Invasiver Brustkrebs bei Frauen im Alter von ≥ 80 Jahren

Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen und nimmt mit zunehmendem Alter deutlich zu. Die Entwicklung der onkologischen Behandlungen hat zu einem Rückgang der Brustkrebssterblichkeit geführt. Dennoch ist die Betreuung der Patientinnen ≥80 Jahren wenig kodifiziert und beinhaltet keine klare Definition der Behandlungsziele sowie der potenziellen Auswirkungen auf die Funktionalität und Lebensqualität. Die auf den verfügbaren Daten basierenden Therapieempfehlungen sollten die Lebenserwartung der Patientin, ihre Ziele und die geriatrische Beurteilung einbeziehen. Dieser Artikel fasst die aktuelle Literatur und die Anpassungen zusammen, die bei Patientinnen ≥80 Jahre mit frühem oder metastasierendem Brustkrebs möglich sind.

Breast cancer is the most common cancer in women and increases considerably with age. Developments in oncological treatments have led to a reduction in breast cancer mortality. However, for patients ≥80 years, there are few treatment guidelines, that is why it is important to clearly define the objectives of the treatment as well as its potential effects on functionality and quality of life. Treatment recommendations based on available data must take into account the patient’s life expectancy, goals and geriatric assessment. This article summarizes the current literature and possible adaptations in patients ≥80 years with early or metastatic breast cancer.
Key words: oncogeriatrics, elderly patients and breast cancer, localised breast cancer, metastatic breast cancer

Das Medianalter bei der Diagnose von Brustkrebs liegt in der Schweiz bei 64 Jahren; 36 % der Patientinnen sind 70 Jahre und älter, 15 % 80 Jahre und älter. Die spezifische 5-Jahres-Überlebensrate steigt seit Jahren an und liegt bei 88 % (1) für alle Stadien. Im Jahr 2022 betrug die Lebenserwartung einer 80-jährigen Frau 10.4 Jahre (2). Diese sehr alten Patientinnen sind in den Studien nicht vertreten, die, von Ausnahmen abgesehen, Folgendes umfassen: Patientinnen in gutem Allgemeinzustand, ohne Organdysfunktion mit einen Leistungsstatus nach WHO 0 oder 1, d. h. normale Aktivität oder eingeschränkt für wichtige körperliche Aktivitäten, aber Patientin ambulant und in der Lage, leichte Arbeit zu verrichten. Es besteht also eine gewisse Unsicherheit über die Wirksamkeit und Toxizität von onkologischen Behandlungen bei dieser Bevölkerungsgruppe, die zudem eine hohe Prävalenz von Komorbiditäten und Polymedikation aufweist. Die Internationale Gesellschaft für geriatrische Onkologie (SIOG) hat Empfehlungen für die ältere Bevölkerung herausgegeben (3).

Geriatrisches Assessment

Die gute Praxis empfiehlt ein geriatrisches Assessment für alle älteren Krebspatienten ≥70 Jahre (3). In der Routine können anhand des G8-Screening-Scores Patientinnen identifiziert werden, die ein umfassenderes geriatrisches Assessment benötigen (4). Mehrere randomisierte Studien haben gezeigt, dass eine Anpassung der Behandlung die Toxizität von Behandlungen reduziert, die Anzahl der Behandlungen verringert und die Krankenhausaufenthalte und die Lebensqualität verbessert werden, während gleichzeitig das Überleben präserviert wird (5, 6). Eine Bewertung der Lebenserwartung mithilfe von Tools, in evidenzbasierten und in ePrognosis aufgelisteten Verfahren sollte durchgeführt werden.

Lokalisierter Brustkrebs

Wenn die Lebenserwartung <10 Jahre beträgt, ist das Mammographie-Screening sinnlos, da eine Reduzierung der Brustkrebssterblichkeit unwahrscheinlich ist (7). Die Standardbehandlung ist in der Tabelle 1 zusammengefasst. Die Wahl der Therapie hängt in erster Linie von der TNM-Klassifikation und dem histologischen Phänotyp ab (Tabelle 2). Etwa 90 % der Patientinnen im Alter von ≥80 Jahren weisen RH+ HER2– Tumoren auf (8).

Chirurgische Behandlung der Brust

Angesichts des fehlenden Unterschieds beim Gesamtüberleben (OS) im Vergleich zur Mastektomie, ist die brusterhaltende Chirurgie (engl. Breast Conserving Surgery = BCS) mit Strahlentherapie der Goldstandard geworden (9). Eine Hormontherapie ohne Operation sollte die Ausnahme bleiben, da sie eine schlechtere lokale Kontrolle beinhaltet, die manchmal einen chirurgischen Eingriff erforderlich macht (10), sowie die Tatsache, dass in einer neueren Studie ein schlechteres OS nach 5 Jahren bei Frauen im Alter von 80 Jahren und älter mit RH+ Krebs festgestellt wurde (11).

Axilläre chirurgische Behandlung

Die Phase-III-Studie NSABP-32, fand keinen Unterschied im Überleben oder der lokoregionären Kontrolle bei Patientinnen mit RH+ Brustkrebs ohne klinischen Befall der Axilla, die mit der Technik des Lymphknotenschnitts des Sentinel-Lymphknotens (engl. Sentinel Lymph Node = SLN) versus die axilläre Ausräumung behandelt wurden, was SLN zur Referenz für diese Patientinnen macht (12). Diese Praxis verringert die ­Komplikationen der klassischen Dissektion (Schmerzen, Taubheitsgefühl, Schwellung, etc. und eine Einschränkung der Armbewegung). Seit 2016 wird in einigen Leitlinien empfohlen, von einer routinemässigen Anwendung der SLN-Biopsie bei Frauen im Alter von ≥70 Jahren mit RH+, HER2– Krebs, < 2 cm, vom Grad 1 oder 2 abzusehen (13). Vor kurzem hat die SOUND-Studie (N=1405, 36 % > 65 Jahre) keinen Unterschied beim krankheitsfreien Überleben von Frauen ohne Fernerkrankungen mit < 2 cm, RH+, HER– Brustkrebs gezeigt (14).

Postoperative Strahlentherapie

Die postoperative Strahlentherapie (RT) reduziert das lokoregionale Rezidiv und senkt bei N+ Patientinnen die Mortalität durch Brustkrebs (15). Die Indikation bei älteren Patientinnen sollte nach einer Risikostratifizierung beurteilt werden (16). Zwei randomisierte Studien, haben gezeigt, dass die RT nach BCS das Gesamt- oder brustkrebsspezifische Überleben bei Patientinnen im Alter von ≥70 Jahren mit RH+ Brustkrebs, die eine Hormontherapie mit Tamoxifen (Tam) erhielten, nicht verbessert (17, 18). In diesen beiden Studien war die Rate des lokoregionalen Rezidivs ohne Strahlentherapie höher (10 % Tam vs. 2 % Tam+RT nach 10 Jahren (17) und 4.1 % Tam vs. 1.3 % Tam+RT nach 5 Jahren (18)). Allerdings zeigte die prospektive Kohortenstudie LUMINA (Alter Median 67.1 Jahre), dass Lokalrezidive nach 5 Jahren gering waren (2.3 %), obwohl bei postmenopausalen Frauen (8 % ≥75 und 3 % ≥80) mit Niedrigrisikokrebs (Luminal A, Grad 1 oder 2, T1N0), die mit BCS und Hormontherapie behandelt wurden, keine RT durchgeführt wurde (19). Die Strahlentherapie der gesamten Brust wird daher immer noch empfohlen nach BCS, aber bei Krebs mit niedrigem Risiko ist es bei Patientinnen mit begrenzter Lebenserwartung sinnvoll, auf eine Bestrahlung zu verzichten.

Neoadjuvante/adjuvante Chemotherapie

Präoperativ waren nur 6.3 % der 8949 eingeschlossenen Patientinnen in 8 randomisierten Studien 65 Jahre oder älter und keine über 80 Jahre alt (20). Die Erfahrung eines Referenzzentrums zeigt, dass höhere Toxizitäten zur Reduktion oder zum vorzeitigen Abbruch der Behandlung bei 78 % versus 57 % (p < 0.001) der 74 Patientinnen im Alter von 71 bis 76 Jahren führten (21). Die Indikation für eine solche Behandlung sollte nur bei hoch selektierten Patientinnen in Betracht gezogen werden, bei erhöhtem Rezidivrisiko, auf der Grundlage von Scores (22) oder bei RH-Karzinomen, bei denen die meisten Rückfälle innerhalb von 5 Jahren auftreten. Wie bei der neoadjuvanten Chemotherapie sind die Standardschemata, die in dieser Altersgruppe vorgeschlagen werden können, die folgenden: 4 Zyklen Docetaxel und Cyclophosphamid (TC), 4 Zyklen Doxorubicin – Cyclophosphamid, oder 6 Zyklen Cyclophosphamid, Methotrexat und Fluorouracil (CMF). Insbesondere wöchentliches Paclitaxel kann mit der Anti-HER2-Therapie kombiniert werden und auch bei schwächeren Patientinnen eingesetzt werden (22).

Anti- HER2-Behandlungen

Bei HER2+-Krebs sollte eine Anti-HER2-Therapie mit Trastuzumab unabhängig vom Alter eingeführt werden, obwohl ältere Patientinnen ≥60 Jahre in der HERA-Studie mit 16 % unterrepräsentiert waren (23), und eine erhöhte kardiale Toxizität aufwiesen, was die Notwendigkeit von Behandlungsunterbrechungen in fast 40 % der Fälle (24) bedeutete. Die SIOG empfiehlt eine adjuvante Chemotherapie (Docetaxel oder Paclitaxel wöchentlich) in Kombination mit 1 Jahr Trastuzumab. Angesichts des erhöhten Risikos für Toxizität, insbesondere im Verdauungstrakt, sollte die Kombination mit Pertuzumab nur gesunden Patientinnen vorbehalten sein (22). Eine Behandlung mit kürzerer Behandlungsdauer (6 Monate) kann für schwächere Patientinnen mit einem kardiologischen Risiko in Betracht gezogen werden (25, 26). Die Phase-III-Studie Short-HER zeigt ein vergleichbares krankheitsfreies Überleben und Gesamtüberleben mit 9 Wochen Trastuzumab versus 1 Jahr bei niedrigem Risiko (N0) und intermediärem Risiko (weniger als 4 befallene Lymphknoten) (27). Die Anwendung von Trastuzumab allein, ohne Chemotherapie, kann bei besonders anfälligen Patientinnen ebenfalls in Betracht gezogen werden (28).

Trastuzumab Emtansine (T-DM1) als adjuvante Therapie bei einer Erkrankung mit Resttumor reduziert das Risiko von Rückfällen und Tod nach neoadjuvanter Trastuzumab-basierter Behandlung im Vergleich zu Trastuzumab adjuvant. Toxizitäten wie Neuropathie und Pneumopathie stellen das Nutzen-Risiko-Verhältnis bei älteren Patientinnen in Frage (29).

Hormontherapie

Die Wirksamkeit der endokrinen Therapie ist altersunabhängig und die Wahl der Behandlung hängt vom geschätzten Rezidivrisiko, den Komorbiditäten der Patientin und den erwarteten Nebenwirkungen der endokrinen Therapie, darunter Osteoporose und Muskelschmerzen, der Skelettmuskulatur (Aromatasehemmer (AI)) oder dem Risiko von Thromboembolien und Endometriumkarzinom (Tam) (30) ab. Die IA sind dem Tam in Bezug auf das Risiko eines erneuten Auftretens des Brustkrebses und der Mortalität überlegen und sollten bevorzugt werden. Die Nicht-einhaltung der endokrinen Therapie in jedem Alter ein grosses Problem und scheint bei den 80-Jährigen und Älteren (n=100) mit 52 % gegenüber 24.2 % in der Gesamtbevölkerung (n=1192) zuzunehmen (31). In einer Studie mit 437 Patientinnen im Alter von ≥60 Jahren, weigerten sich die Patientinnen im Alter von ≥80 Jahren (n=79) häufiger, mit der Hormontherapie zu beginnen. (13 Prozent gegenüber 4.5 Prozent, P= 0.01) (32). Dieses Problem sollte angesprochen werden, bevor man sich bei einer lokalisierten Erkrankung gegen eine Operation entscheidet.

Behandlung von metastasierendem Krebs

Die Behandlung jeder Patientin mit metastasierendem Brustkrebs, unabhängig von ihrem Alter, ist nicht kurativ und zielt darauf ab, den Krebs zu kontrollieren und die Lebensqualität zu erhalten. Wir beschränken uns auf die ersten Behandlungslinien (Tabelle 2).

Je höher die RH-Expression, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Krebs auf eine Hormonbehandlung anspricht, die dann die erste Wahl darstellt. Wenn eine Bedrohung der Organfunktion eine schnelle Tumorreaktion voraussetzt, kann eine Chemotherapie in Betracht gezogen werden. Die Inhibitoren der Cyclin-abhängigen Kinase 4/6 (CDK4/6) (Ribociclib, Abemaciclib, Palbociclib) in Kombination mit einem IA oder Fulvestrant (Antiöstrogen) verbessern die Ansprechrate und das progressionsfreie Überleben (PFS) (33). Ein besseres Gesamtüberleben wird in der 2. Linie erhalten. In der Erstlinie hat bislang nur Ribociclib plus Letrozol einen Vorteil beim OS auch bei den ≥75-Jährigen nachgewiesen (median 63.9 Monate vs. 51.4 Monate mit Letrozol plus Placebo) (34). Die Wirksamkeit von CDK4/6-Inhibitoren scheint altersunabhängig zu sein (198 Patientinnen ≥75 Jahre, d. h. 10.8 % der eingeschlossenen Population), zum Preis erhöhter Toxizitäten (88.8 % Grad 3–4 bei ≥75 Jahren versus 73.4 % bei <75 Jahren), was Dosisänderungen oder sogar den Abbruch der Behandlung erforderlich machte (33). Zum Zeitpunkt der Progression wird ein Wechsel der endokrinen Therapie (von IA zu Fulvestrant, von Fulvestrant zu IA) vorgeschlagen. Die Fortsetzung der Behandlung mit dem CDK4/6-Inhibitor wird weiterhin diskutiert (35), doch sollte diese begonnen werden, wenn sie nicht bereits vorher eingeführt wurde, in Anbetracht des erwarteten Nutzens für das OS (36). Bei Resistenz gegen eine Hormontherapie, können andere Therapien diskutiert werden (Chemo, zielgerichtete Therapien (37)).

HER2+-Krebs

Bei Patientinnen mit HER2+-Krebs wird die Anti-HER2-Therapie mit Trastuzumab in Kombination mit Pertuzumab und wöchentlichem Paclitaxel als Erstlinientherapie empfohlen (38). Für Patientinnen, die nicht für Taxane in Frage kommen oder die ein Schema wünschen, das weniger toxisch ist (wenig oder keine Alopezie oder Komplikationen im Verdauungstrakt, Infektionen und Neuropathie), können Vinorelbin oder Capecitabine Alternativen sein (22, 39, 40). Bei sehr fragilen Patientinnen kann Trastuzumab +/– Pertuzumab allein oder in Kombination mit einer Hormontherapie bei RH+ in Betracht gezogen werden (41, 42). Nach der Erstlinientherapie mit Trastuzumab ist der konjugierte Antikörper Trastuzumab-Deruxtecan (T-dxd) mit einem besseren OS im Vergleich zu T-DM1 (OS nach 24 Monaten 77.4 % vs. 69.9 %) assoziiert (43). Bei Patientinnen im Alter von ≥65 Jahren wurde eine Zunahme der Toxizitäten (Verdauung und Hämatologie) beobachtet, die in 25.4 % der Fälle zum Abbruch der Behandlung führten, verglichen mit 18.7 % bei den jüngeren Patientinnen. Das Risiko einer Lungenerkrankung ist auch höher (17.5 % gegenüber 11.8 %) (44). Die Anwendung dieser Behandlung muss daher bei älteren Patientinnen sehr vorsichtig sein. T-DM1 könnte bei Unverträglichkeit eingesetzt werden (45).

Triple-negative (TN) oder hormonresistente Krebserkrankungen

Eine Chemotherapie kann Patientinnen mit TN-metastasiertem Krebs oder bei RH+ Krebs, der gegen eine endokrine Therapie resistent ist oder deren Krankheit schnell fortschreitet oder die Funktion von Organen bedroht, vorgeschlagen werden. Eine Monochemotherapie ist vorzuziehen, wegen des höheren Risikos von Nebenwirkungen (22). Die Wahl basiert auf dem Nebenwirkungsprofil, Komorbiditäten und den Wünschen der Patientin. Die Hinzufügung eines Checkpoint-Inhibitors (CPI) zur Erstlinien-Chemotherapie verbessert bei PDL1-exprimierenden TN-Tumoren das OS um etwa 7 Monate (medianes Alter 55 Jahre, 23 % ≥65 Jahre (46); (medianes Alter 53 Jahre, 21 % > 65 Jahre (47)). Die Verwendung dieser neuen Therapien müssen bei älteren Patientinnen mit der grössten Vorsicht angewendet werden. Die schlechte Prognose von TN-Tumoren mit dem Einsatz von Chemo allein, wird auch verbessert in der 2. Linie durch den Antikörper Sacituzumab, gegen Trop2 konjugiert mit Govitecan (einem Topoisomerase-Inhibitor), mit einem medianen Überleben von 12.1 versus 6.7 Monaten (medianes Alter 54 Jahre, (29–82) (48)). Diese neuen Therapien sollten bei älteren Patientinnen mit grösster Vorsicht eingesetzt werden.

Schlussfolgerung

Brustkrebspatientinnen im Alter von ≥ 80 Jahren stellen einen wachsenden Anteil der Bevölkerung dar. Die therapeutischen Entscheidungen sollten auf der Lebenserwartung, den Vorteilen der potenziellen Behandlung, den Wünschen der Patientin und den potenziellen Nebenwirkungen der Behandlung beruhen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Onkologen und Geriatern ist von entscheidender Bedeutung, um ein Gleichgewicht zwischen den Zielen der onkologischen Behandlung und der Erhaltung der Lebensqualität der Patienten zu erreichen.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Marie-Gabrielle Courtès

Abteilung für Onkologie
Spital Wallis – CHVR
Av. Grand-Champsec 86
1951 Sitten

PD Dr. med. Sandro Anchisi

Abteilung für Onkologie
Spital Wallis – CHVR
Av. Grand-Champsec 86
1951 Sitten

Die Autor/-innen haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Ältere Frauen mit Brustkrebs stellen eine wachsende Population dar.
  • Die Sterblichkeit durch Brustkrebs sinkt dank der Weiterentwicklung der onkologischen Behandlungsmethoden.
  • Patientinnen ≥80 Jahre sind in klinischen Studien kaum vertreten, was die Entwicklung von Standards in dieser Population schwierig macht.
  • Eine Anpassung der Behandlungen ist nach einer geriatrischen Beurteilung erforderlich, unter Berücksichtigung der Lebenserwartung, der Komorbiditäten und den Wünschen der Patientinnen.

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Infektiologie: Therapie im Wandel

Der Kongress des Kollegiums für Hausarztmedizin stand im Zeichen der Neuerung: Unter dem Motto «Alles bleibt im Wandel» stellten die Organisatoren ein Programm zusammen, welches einen tiefgreifenden Einblick in die gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen der Allgemeinmedizin gab. «Nichts ist so beständig wie der Wandel» (Heraklit von Ephesos) stellte Dr. med. Stefan Zinnenlauf in seiner Begrüssung fest. Im Folgenden werden einzelne Ausschnitte aus dem vielseitigen Programm wiedergegeben.

Antimikrobielle Resistenzen sind eine grosse Gefahr für die öffentliche Gesundheit, stellte PD Dr. med.Andreas Plate, MSc vom Institut für Hausarztmedizin am Universitäts Spital Zürich im Seminar mit Hausärztin Dr. med. Hanni Bartels, Küssnacht, fest.

Die WHO hat unter den zehn grössten Bedrohungen der globalen Gesundheit die antimikrobielle Resistenz nach Luftverschmutzung und Klimaveränderungen, den nicht übertragbaren Krankheiten, der Bedrohung durch eine Influenza-Pandemie sowie fragilen und gefährdeten Situationen an fünfter Stelle gelistet. Das beste Mittel gegen steigende Resistenzen ist, kein Antibiotikum einzusetzen, so der Referent.

Fall 1

Frau Dr. Bartels präsentierte einen ersten Fall aus ihrer Praxis, der eine 28-jährige nicht schwangere Frau betraf. Die persönliche Anamnese ergab, dass die Patientin keine Operationen hatte, keine täglichen Medikamente einnimmt und seit drei Jahren in einer festen Partnerschaft lebt.

Klinik

Seit drei Tagen besteht eine Dysurie und Pollakisurie. Der Abdomen ist weich, wobei eine leichte Druckdolenz suprapubisch zu verzeichnen ist. Eine Abwehrspannung ist nicht festzustellen, ebenso wenig ein Peritonismus. Die Körpertemparatur ist normal, und es bestehen keine Klopfdolenz oder Flanken- oder Rückenschmerzen.

Diagnostik

Urinstatus: Lc +++, Erys ++, Nitrit +++. BB: Lc 9.8, leichte Granulozytose, CRP 17.
Urinkultur: E. coli 105 KBE/ml (pansensible).

Unkomplizierte Zystitis ohne Antibiotika

Wer kennt die nationalen Guidelines?
Welches ist Ihr First-Line Antibiotikum?
Wer hat schon einmal eine akute, unkomplizierte Harnwegsinfektion (HWI) ohne Antibiotikum behandelt?
Bei wem ist eine Therapie ohne Antibiotikum erste Wahl bei Patienten mit einem unkomplizierten HWI? So lauteten die Fragen der Referenten.

Antibiotika-sparende Therapieansätze im Zeichen der Antibiotikaresistenz

Untere HWI:
Bis zur Hälfte der Harnwegsinfektionen heilen spontan ab (allerdings beschleunigen Antibiotika den Heilungsprozess um 1–2 Tage).
Eine unbehandelte Zystitis scheint das Risiko einer Progression zur Pyelonephritis nicht signifikant zu erhöhen.
Für ausgewählte Patienten können zuerst Antibiotika-sparende Ansätze versucht werden.
Keine Vorgeschichte einer Pyelonephritis.
Symptomdauer ≤ 5Tage.

Häufige komplizierende Faktoren und Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf in der Hausarztpraxis:

Alle HWI bei Kindern, Männern und Schwangeren.
Funktionelle oder anatomische Besonderheiten, Z. n. OP.
Immunsupprimierte Patient/-innen.
Fieber und Flankenschmerzen.

Urologische Behandlung bei Nierensteinen innerhalb der letzten zwei Wochen:
• Anlage eines Urinkatheters.
• Entlassung aus dem Krankenhaus oder dem Pflegeheim.
• Antibiotikatherapie in den letzte zwei Wochen
• renale Erkrankung

Welche Patientengruppen eignen sich für eine primärsymptomatische Behandlung? Junge und ansonsten gesunden Patienten mit unkomplizierten Harnwegsinfektionen. Bei komplizierten Harnwegsinfektionen oder Hinweisen auf komplizierende Faktoren, älteren Patienten (> 65 Jahre), Patienten mit eingeschränktem Allgemeinzustand, Patienten mit stark erhöhtem CRP, Pyelonephritis in der Vorgeschichte, Patienten mit Fieber sowie Patienten mit Symptomen, die länger als fünf Tage andauern, sollte eine antibiotische Therapie erfolgen.

Aus einer Publikation aus dem Jahr 2019 (Gharbi M et al. BMJ 2019;364: l525) geht hervor, dass bei älteren Patienten, bei denen in der Primärversorgung eine Harnwegsinfektion diagnostiziert wurde, keine Antibiotika und aufgeschobene Antibiotika im Vergleich zur sofortigen Antibiotikagabe mit einem signifikanten Anstieg der Blutstrominfektionen und der Gesamtmortalität verbunden war. Vor dem Hintergrund der Zunahme von Escherichia coli-Blutstrominfektionen in England wird eine frühzeitige Einleitung der empfohlenen Erstlinien-Antibiotika bei Harnwegsinfektionen in der älteren Bevölkerung befürwortet.

Empirische Therapie

Zystitis
Erstlinien-Therapie: Nitrofurantoin, po 100 mg alle 8 h für 5 Tage oder Trimethoprim /Sulfamethoxazol (TMP/SMX) pro 160/80 mg alle 12 h für 3 Tage
Zweitlinien-Therapie: Fosfomycin po 3 g (Einmaldosis) oder Norfloxacin po 400 mg alle 12 h für 3 Tage oder Cefuroxim po 500 mg alle 12 h für 3 Tage oder Amoxicillin/Clavulansäure po 500/125 mg alle 8 h für 3 Tage.

Fall 2

Ein siebenjährige Junge ohne Vor-OPs, keine Grund­erkrankung.

Klinik

Akut seit zwei Tagen Halsschmerzen und Schluckbeschwerden. Fieber bis 38° C.
Enoral: Rachen gerötet, Tonsillen vergrössert mit gelben Stippchen, LK submandibulär geschwollen und druck­dolent.

Diagnostik

BB: Lc 12.3, Granulozytose (Linksverschiebung), CRP 68, Transmainasen im Normbereich, Center Score 4 Punkte/McIsaac Score 5 Punkte.

Management Pharyngitis

Dr. Plate stellte die folgenden Fragen: Wer kennt die Guidelines? Was ist Ihr First Line Antibiotikum? Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulinsäure, Penicillin, Makrolid, Cephalosporin. Wer hat schon einmal eine Streptokokken-Pharyngitis ohne Antibiotikum behandelt?

Bei wem ist eine Therapie ohne Antibiotikum erste Wahl bei Patienten mit einer Streptokokken-Pharyngitis?

Häufig wird folgendes gemacht: Patient mit Symptomen → Abstrich, bei einem positiven Ergebnis erfolgt die Verabreichung eines Antibiotikums.
Patient mit Symptomen → Abstrich, wenn positiv erfolgt eine Beratung (SDM) über die Therapie.

Zur Vorhersage von Gruppe-A-Streptokokken im Rachenabstrich wird der McIsaac-Score herangezogen.

Bei einem Patienten, der über Halsweh klagt, werden die folgenden Symptome zusammengezählt: Kein Husten: 1 Punkt, Fieber > 38° C: 1 Punkt, Tonsillen-Rötung + Beläge: 1 Punkt, Zervikale Lymphadenopathie: 1 Punkt, Kein Husten: 1 Punkt.

Alter:

3–14 Jahre: 1 Punkt, 15–44 Jahre: 0 Punkte, 48 oder mehr –1 Punkt.
Die Wahrscheinlichkeit eines positiven Rachenabstrichs je nach McIsaac Score beträgt: Score 1 → 5–10 %, Score 2 → 11–17 %, Score 3 → 28–39 %, Score 4 oder Score 5 → 51–63 %
McIsaac Score 3 oder mehr → Rachenabstrich + Strepokokken-Schnelltest.
Im Falle eines negativen Befunds ist die Verabreichung eines Antibiotikums kontraindiziert (Ausnahmen: siehe Red Flag-Patienten). Im Falle eines positiven Befundes wird auf die Anwendung von Penicillin/Amxicillin verzichtet oder deren Einsatz zumindest verzögert.
McIsaac Score 0–2 → kein Rachenabstrich, keine Anti­biotika.

(Strepokokken)-Pharyngitis

Empirische Behandlung
Option: Beobachten -ohne Antibiotikum
• Selbst bei Streptokokken-Angina möglich
• Symptomdauer mit Antibiotika unwesentlich verkürzt (1–2 Tage)

Therapieindikation (Erwachsene und Kinder)

• Centor Score 3 oder 4 (s. Diagnostik)
• UND
• Positives Resultat Streptokokken-Antigen-Schnelltest (Schnelltest nur durchführen, wenn eine antibiotische Behandlung bei positivem Ergebnis in Betracht gezogen wird).
• Das Entscheidende steht in der Klammer: Beratung VOR dem Schnelltest.

Beratung

Beratung über voraussichtlichen Verlauf, selbstlimitierend, Beschwerdedauer ca. 1 Woche.
Geringes Risiko (ca. Otitis media/Sinusitis/PTA/Erysipel)
Selbstmanagement (z. B. viel Flüssigkeit, körperliche Schonung usw.)

Wahrscheinlichkeit für eine behandelbare bakterielle Pharyngitis auf Basis von Anamnese und ärztlicher Befunderhebung
Vor- und Nachteile einer antibiotischen Therapie bei Pharyngitis
(+) durchschnittliche Symptomverkürzung von 16 Stunden
(–) hohe NNT v. ca. 200 zur Vermeidung einer o.g. Komplikation
(–) bei Einnahme, ca. 10 % UAW (Diarrhoe, Anaphylaxie, Mykosen)
(ggf. auf Nachfrage: geschätzte Inzidenz des ARF: < 1 : 1 000 000, Geschätzte NNT > 5500 für rheumatologische Herzerkrankung in De.)

Wenn Sie doch behandeln wollen

Erwachsene
• Penicillin V 1 Mio. IE/12 h per os, 6 Tage
• Amoxicillin 1 g/12 h per os, 6 Tage
• Ausnahmen:
– Penicillin-Allergie, Cephalosporine nicht kontraindiziert, Cefuroxim 500 mg/12 h p o, 6 Tage
– Penicillin-Allergie, alle Betalactam-Antibiotika kontraindiziert

Kinder
• Amoxicillin 25 mg/kg/12 h per os, 6 Tage
• Ausnahme:
– Penicillin-Allergie, Cephalosporine nicht kontraindiziert, Cefuroxim 15 mg/kg/8 h per os, 6 Tage
Häufig wird Amoxicillin/Clavulinsäure verschrieben.

Fazit

Sowohl bei Patienten mit einer unkomplizierten Harnwegsinfektion als auch mit einer Streptokokken-Pharyngitis kann eine symptomatischer Therapieversuch vor einer (sekundären) antibiotischen Therapie erfolgen.
Antibiotika-sparende Therapieansätze werden in den nationalen (SSI-) Guidelines empfohlen.
Achten Sie auf die richtige Identifizierung der Patienten, bei welchen Sie diese Therapie durchführen.
Aufklärung und Beratung. Viele Patienten sind darüber froh, keine Antibiotika einnehmen zu müssen.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Insomnia

An der diesjährigen 26. Fortbildungstagung des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM) in Luzern präsentierte Dr. med. Martin Meyer, Basel, und Dr. Cristina Mitrachem, Basel, ein Seminar über das Thema Insomnie und stellten dabei einführend fest, dass es sich dabei um ein 24h-Syndrom und nicht bloss um ein Symptom handelt.

Insomnie ist eine klinische Diagnose. Es handelt sich um eine im Vordergrund stehende Beschwerde der Unzufriedenheit mit der Schlafqualität oder -quantität, verbunden mit einem oder mehreren der folgenden Symptome: Schwierigkeiten einzuschlafen, Schwierigkeiten durchzuschlafen, charakterisiert durch häufige Wachperioden oder Schwierigkeiten nach nächtlichen Wachperioden wieder einzuschlafen. Frühmorgendliches Erwachen mit der Unfähigkeit wieder einzuschlafen, so Dr. med. Martin Meyer.

Die Schlafstörung führt zu klinisch signifikantem Leiden oder Einschränkungen im sozialen, ausbildungs- und beruflichen Leben oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Die Schlafstörung tritt mindestens 3 Nächte pro Woche auf und hält mindestens drei Monate an. Sie tritt trotz ausreichender Schlafgelegenheit ein. Sie wird nicht besser erklärt und tritt nicht ausschliesslich im Rahmen einer andern Schlaf-, Wach- oder Rhythmusstörung auf. Die Insomnie ist nicht zurückführbar auf die physiologischen Effekte einer Substanz (Droge oder Medikation) und die koexistierenden psychischen und körperlichen Erkrankungen erklären nicht das Auftreten der Insomnie.

Dr. med. Meyer stellte das psychologische Insomnie-Modell nach Morin CM 1993 vor (Abb. 1).

Er nannte als Problem 1 das Bett als Stressor (Wut, Anspannung, Grübeln, Angst, Ärger, Wachsein). Das ­Problem 2 ist die Erniedrigung des homöostatischen Schlafdrucks. Die zirkadiane Rhythmik und die Schlafhomöostase sind zwei Hauptkomponenten der Schlaf-Wach-Regulation. Das fein aufeinander abgestimmte Zusammenspiel dieser zwei oszillatorischen Prozesse erlaubt dem Menschen optimale Aufmerksamkeit während des Wachseins am Tag und konsolidierten Schlaf in der Nacht. Kleine Abweichungen im Zusammenspiel beider Prozesse führen zu Aufmerksamkeits- und Schlafstörungen.

Insomnia Severity Index Fragebogen

Der Fragebogen umfasst die folgenden 5 Punkte: Einschätzung der Schwere der Schlafstörung in den letzten beiden Wochen, Zufriedenheit mit dem gegenwärtigen Schlaf, Auswirkung der Schlafstörung auf die Lebensqualität, Sorge um die momentane Schlafstörung mit jeweils 4 Schweregraden (gar nicht – 0 Punkte, bis sehr schwer – 4 Punkte). Cut Off: 10 Punkte, 15–21 mittelschwer, 22–28 schwer.

Elemente der Kognitiven Verhaltenstherapie

Verhaltenstherapeutische Techniken: Stimuluskontrolle, Bettzeit-Restriktion.

Instruktionen zur Stimuluskontrolle:
1. Erst ins Bett gehen, wenn man glaubt, innerhalb von 15–20 Min. einschlafen zu können.
2. Wenn dies nicht möglich, aufstehen, Zimmer verlassen, sich anderweitig beschäftigen.

Die konsequente Durchführung führt zu Erfolgen nach 2–3 Wochen.
Des Weiteren ist ein Mittagsschlaf zu vermeiden, das Bett ist ausschließlich zum Schlafen zu nutzen, nirgendwo sonst darf geschlafen werden, beispielsweise nicht vor dem Fernseher. Die Aufstehzeit am Morgen ist fix einzuhalten. Eine Reduktion der Schlafdauer führt zur Konsolidierung der Schlafphase. Die Wachphasen werden geringer, die Schlafeffizienz erhöht sich, die Einschlaflatenz wird verkürzt. Die Anwendung dieser Methode ist bei Vorliegen einer Psychose, bipolaren Erkrankung oder Epilepsie kontraindiziert.

Zur Durchführung der Bettzeit-Restriktion ist es erforderlich, dass die betreffende Person lediglich die durchschnittliche Schlafphase im Bett verbringt.
• Minimum: 5 h stationär, 6 h ambulant
• Restriktion am Anfang vs. Ende der Nacht, Aufstehzeiten fixieren
• Zeitfenster entsprechend dem Chronotyp planen.

Die Ziele umfassen die Erhöhung des Schlafdrucks sowie die Assoziation von Bett und Schlaf. Die Evaluation erfolgt wöchentlich und umfasst eine sukzessive Verlängerung der Zeit im Bett. Die Schlafeffizienz wird anhand folgender Kriterien beurteilt:

≥ 90 %: Zeit im Bett +30 min
≥ 80 % und ≤ 90 %: keine Veränderung
≤ 80 %: Zeit im Bett –30 min

1. Sitzung
Die erste Sitzung dauert 45 Minuten und beinhaltet einen persönlichen Kontakt. Im Rahmen dessen werden Hintergrundinformationen, schlafverhinderndes oder schlafstörendes Verhalten, Bildschirmzeit und Onlineverhalten, Schlafphysiologie, Schlafprotokoll der letzten 14 Tage sowie Bettzeiten und Aufstehzeiten, Einschlaflatenz, Wachzeiten nach Schlafbeginn, Zeit im Bett und Schlafzeit besprochen.
Regel 1: Die Bettzeit wird auf 6 Stunden reduziert. Ziel ist eine Zeit im Bett von 8–9 Stunden. Das Zubettgehen erfolgt, wenn man müde ist.
Die Aufstehzeit ist fixiert. Die Einschlafzeit kann verschoben werden, unabhängig davon, wie schlecht die Nacht davor war.
Es wird empfohlen, nicht wach im Bett zu liegen. Wenn man 20 Minuten wach ist, sollte man das Bett verlassen, bis man wieder schläfrig wird.

2. Sitzung
In der zweiten Sitzung wird ein Kurzkontakt persönlich oder telefonisch durchgeführt. Die Einschlafzeit sollte zwischen 15 und 30 Minuten vorverschoben werden und weniger als 30 Minuten betragen. Auch die Wachzeit im Bett sollte unter 30 Minuten liegen.

3. Sitzung
In der dritten Sitzung wird eine persönliche Beratung mit folgenden Empfehlungen durchgeführt:
a) Die Einschlafzeit sollte weniger als 30 Minuten betragen, genauso wie die Wachzeit im Bett. Einschlafzeit um 15–30 Minuten vorverschieben
b) Einschlafzeit > 30 Minuten oder > 30 Minuten Wachzeit im Bett. Die Einschlafzeit sollte zwischen 15–30 Minuten nach hinten verschoben werden.

4. Sitzung
Die vierte Sitzung findet persönlich statt, wobei es um eine Evaluation und die Rückfallprävention geht. Bei fehlender Verbesserung nach vier Wochen sollte eine Zuweisung an einen Schlafspezialisten mit CBT-I erwogen werden.

Komorbiditäten sind zu berücksichtigen, insbesondere OSAS, Restless-Legs-Syndrom und Parasomnien.
Circadiane Schlafstörungen können wie Insomnien aussehen, insbesondere bei jungen Patienten oder bei einem deutlichen Unterschied zwischen Arbeits- und Schulphasen einerseits und Ferien oder Wochenenden andererseits.

Die Medikation von Schlafstörungen ist in Abbildung 2 ersichtlich.

Patientenbeispiele

Im Rahmen der Präsentation stellte Dr. med. Mayer drei Fallbeispiele von Patienten mit Insomnie vor. Fall 1 umfasste einen jungen Erwachsenen, der durch seinen Medienkonsum nicht ausreichend Schlaf erhielt. Fall 2 zeigte eine Person, die durch Schichtarbeit in ihrer Schlafqualität beeinträchtigt wurde. Fall 3 demonstrierte eine circadiane Schlafstörung.

Zusammenfassung

• Chronische Isomnie ist ein 24 h Syndrom
• Klinische Diagnose (DSM-V, ICD-11) mit Behandlungsbedarf
• Stress und Hyperarrousel als Modell für die Einleitung und Aufrechterhaltung der Insomnie mit oder ohne Grunderkrankung

• Therapie 1. Wahl bei Erstkontakt: Kognitive Verhaltenstherapie (KVT). Therapie 2. Wahl: KVT und Medikation → Schlafspezialisten
https://prodormo.ch/clubdesk/www?p=1000056
• Therapieoption für Grundversorger: Brief Behavioral Treatment for Insomnia (BBT-I) und Medikationsempfehlungen, Rückfallprophylaxe
• Digitale Gesundheitsanwendungen (DIGA) sind evidenzbasiert und werden auch teilweise von Kostenträgern übernommen. (Beispiel CH: Somnio ist Medizinalprodukt https://somn.io)
• Gemeinsame Erwartungen bewältigen: kleine, aber stetige Schritte, weil die Therapie einer chronischen Insomnie ein unspezifischer, aber effektiver Faktor für körperliches und psychisches Wohlbefinden ist.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

«Adhärenz: Entscheidend für Prävention und Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen»

Während der 77. World Health Assembly der WHO veranstaltete die World Heart Federation (WHF) das Expertentreffen «Adherence to Treatment: An Essential Contribution to Cardiometabolic Disease Management» in Genf. Führende Kardiologen, Nephrologen, Patientenvertreter sowie Entscheidungsträger aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft diskutierten die zentrale Bedeutung der Therapieadhärenz bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und teilten internationale Strategien.

Jean-Luc Eiselé, CEO der WHF, betonte in seiner Eröffnungsrede, dass Therapieadhärenz insbesondere bei kardiovaskulären Erkrankungen eine der grössten Herausforderungen für Gesundheitssysteme darstelle. Die Auswirkungen der Nicht-Einhaltung verordneter Therapien seien gravierend, da diese eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes sowie erhöhte Gesundheitskosten zur Folge haben. Bereits 2003 habe die WHO auf die Relevanz von Adhärenz-Massnahmen hingewiesen und auch 21 Jahre später bestehe diese Herausforderung fort. Bedauerlich sei der verpasste Nutzen, der ohne zusätzliche Kosten hätte realisiert werden können.

In Paneldiskussionen wurden länderspezifische Strategien vorgestellt. Portugal, ein Land mit hoher Schlaganfallrate, hat den Salzgehalt in Lebensmitteln gesetzlich limitiert und Strategien zur Förderung der Gesundheitskompetenz implementiert. Indien unterstützt den unterfinanzierten ambulanten Bereich mit IT-gestützten Tools zur Verbesserung der Therapietreue.

Übereinstimmend sahen die Experten einen der bedeutendsten Hebel zur Verbesserung der Adhärenz im Einsatz von antihypertensiven medikamentösen Kombinationspräparaten. Hierdurch würden die Komplexität des Therapieplans sowie die Tablettenlast für den Patienten reduziert. Prof. Dr. med. Belén Ponte, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Hypertonie, erläuterte spezifische Strategien aus der Region Genf. Dabei würden Patienten in Laiensprache auch durch das Pflegepersonal über Hypertonie und die Risiken der Nicht-Adhärenz aufgeklärt. Die bildliche Darstellung potenzieller Folgeerkrankungen aufgrund fehlender Therapietreue hätten sich im Rahmen von edukativen Workshops als besonders effektiv erwiesen. Darüber hinaus wurde durch die Apotheke des Universitätsspitals Genf ein Programm zur Besprechung und Überwachung der Therapietreue implementiert.

Pressemitteilung anlässlich der Veranstaltung «Adherence to Treatment: An Essential Contribution to Cardiometabolic Disease Management» der World Heart Federation, 28. Mai 2024, Genf.

Wirksamkeit des rekombinanten Zoster-Impfstoffs gegen Herpes Zoster in der Praxis

Herpes Zoster oder Gürtelrose resultiert aus der Reaktivierung des latenten Varizella-Zoster-Virus (VZV) und manifestiert sich typischerweise als vesikulärer, schmerzhafter dermatomaler Hautausschlag (1, 2). Die häufigste Komplikation von Herpes Zoster, die postherpetische Neuralgie, manifestiert sich als chronische neuropathische Schmerzen, die die täglichen Aktivitäten stark einschränken können (1, 3–6).

Die Gesamtinzidenz von Herpes Zoster liegt bei 2 bis 4.6 Fällen pro 1000 Personenjahre, steigt aber mit zunehmendem Alter auf 10 bis 12.8 pro 1000 Personenjahre bei Personen ab 80 Jahren. In ähnlicher Weise nimmt auch die Inzidenz von postherpetischer Neuralgie mit zunehmendem Alter zu (7–10). Die postherpetische Neuralgie und der Herpes ophthalmicus sind die gefürchtetsten Komplikationen bei Herpes Zoster.

Eine antivirale Therapie kann die Dauer des Herpes-Zoster-Ausschlags verkürzen, es wurde jedoch nicht gezeigt, dass sie die Inzidenz von postherpetischer Neuralgie verringert (11–14). Die Impfung ist daher eine attraktive Option, um die Krankheitslast durch Herpes Zoster und seine Komplikationen bei älteren Erwachsenen zu reduzieren.

Die Impfung mit Zostavax® oder Zoster Vaccine Live (ZVL) wurde 2006 zugelassen (15). Die Wirksamkeit von ZVL bei der Vorbeugung von Herpes Zoster erwies sich jedoch als variabel: Sie lag bei Patienten im Alter von 50 bis 59 Jahren bei etwa 70 % und bei Patienten über 70 Jahren bei nur 38 % (16). Ein neuer Herpes-Zoster-Impfstoff (HZ/su; GSK-Impfstoff, Shingrix), der das VZV-Glykoprotein E und das adjuvante System AS01B enthält, wird heute zur Prävention von Herpes Zoster und postherpetischer Neuralgie bei Erwachsenen ab 50 Jahren eingesetzt.
Eine frühere Studie (Zoster Efficacy Study in Adults 50 Years of Age or Older [ZOE-50]) zeigte, dass Shingrix eine Impfstoffwirksamkeit von 97.2 % gegen Herpes Zoster aufwies, was in allen Altersgruppen konsistent war (17).

In einer neuen Studie wurde nun die Wirksamkeit des Impfstoffs Shingrix gegen Herpes Zoster in der Praxis bewertet (18).

Es handelte sich um eine prospektive Kohortenstudie an vier Gesundheitssystemen im Vaccine Safety Datalink. Die Teilnehmer waren 50 Jahre alt oder älter.

Das Studienendpunktergebnis war ein neu aufgetretener Herpes Zoster, der durch eine Diagnose mit einer antiviralen Verschreibung definiert wurde. Die Cox-Regression wurde verwendet, um die Gefahr von Herpes Zoster bei geimpften Personen im Vergleich zu ungeimpften Personen abzuschätzen, wobei die Kovariaten angepasst wurden. Die Wirksamkeit des Impfstoffs (VE) wurde als 1 minus der angepassten Hazard Ratio berechnet und anhand der Zeit seit der letzten Shingrix-Dosis und der Verwendung von Kortikosteroiden geschätzt.

Ergebnisse

Die Studie umfasste fast 2 Millionen Personen, die 7.6 Millionen Personenjahre zur Nachbeobachtung beitrugen. Nach der Anpassung betrug die VE von 1 Dosis 64 % und die VE von 2 Dosen 76 %. Nach nur 1 Dosis betrug die VE im ersten Jahr 70 %, im zweiten Jahr 45 %, im dritten Jahr 48 % und nach dem dritten Jahr 52 %. Nach zwei Dosen betrug die VE im ersten Jahr 79 %, im zweiten Jahr 75 % und im dritten und vierten Jahr 73 %. Die Wirksamkeit des Impfstoffs betrug 65 % bei Personen, die vor der Impfung Kortikosteroide erhielten, und 77 % bei Personen, die dies nicht taten.

Schlussfolgerung

Zwei Dosen Shingrix waren hochwirksam, wenn auch weniger wirksam als in den vorangegangenen klinischen Studien. Die Wirksamkeit von zwei Dosen liess während der 4-jährigen Nachbeobachtung nur sehr wenig nach. Die Wirksamkeit der ersten Dosis nahm jedoch nach 1 Jahr erheblich ab, was die Bedeutung der zweiten Dosis unterstreicht.
Eine Limitation der Studie ist, dass Herpes Zoster in diesen Beobachtungsdaten nicht so genau identifiziert werden konnte wie in den vorangegangenen klinischen Studien.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Cohen, JI. Herpes zoster. N Engl J Med 2013;369:255-263
2. Harpaz, R, Ortega-Sanchez, IR, Seward, JF. Prevention of herpes zoster: recommendations of the Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP). MMWR Recomm Rep 2008;57:1-30
3. Cunningham, AL, Dworkin, RH. The management of post-herpetic neuralgia. BMJ 2000;321:778-779
4. Johnson, RW, Rice, ASC. Postherpetic neuralgia. N Engl J Med 2014;371:1526-1533
5. Drolet, M, Brisson, M, Schmader, KE, et al. The impact of herpes zoster and postherpetic neuralgia on health-related quality of life: a prospective study. CMAJ 2010;182:1731-1736
6. Duracinsky, M, Paccalin, M, Gavazzi, G, et al. ARIZONA study: is the risk of post-herpetic neuralgia and its burden increased in the most elderly patients? BMC Infect Dis 2014;14:529-529
7. Kawai, K, Gebremeskel, BG, Acosta, CJ. Systematic review of incidence and complications of herpes zoster: towards a global perspective. BMJ Open 2014;4:e004833-e004833
8. Kawai, K, Rampakakis, E, Tsai, TF, et al. Predictors of postherpetic neuralgia in patients with herpes zoster: a pooled analysis of prospective cohort studies from North and Latin America and Asia. Int J Infect Dis 2015;34:126-131
9. Johnson, RW, McElhaney, J. Postherpetic neuralgia in the elderly. Int J Clin Pract 2009;63:1386-1391
10. Yawn, BP, Saddier, P, Wollan, PC, St Sauver, JL, Kurland, MJ, Sy, LS. A population-based study of the incidence and complication rates of herpes zoster before zoster vaccine introduction. Mayo Clin Proc 2007;82:1341-1349
11. McDonald, EM, de Kock, J, Ram, FS. Antivirals for management of herpes zoster including ophthalmicus: a systematic review of high-quality randomized controlled trials. Antivir Ther 2012;17:255-264
12. Bruxelle, J, Pinchinat, S. Effectiveness of antiviral treatment on acute phase of herpes zoster and development of post herpetic neuralgia: review of international publications. Med Mal Infect 2012;42:53-58
13. Whitley, RJ, Volpi, A, McKendrick, M, Wijck, Av, Oaklander, AL. Management of herpes zoster and post-herpetic neuralgia now and in the future. J Clin Virol 2010;48:Suppl 1:S20-8
14. Chen, N, Li, Q, Yang, J, Zhou, M, Zhou, D, He, L. Antiviral treatment for preventing postherpetic neuralgia. Cochrane Database Syst Rev2014:CD006866-CD006866
15. Zostavax® (zoster vaccine live) prescribing information. Whitehouse Station, New Jersey: Merck & Co., Inc; 2019.
16. Cunningham AL et al. Efficacy of the herpes zoster subunit vaccine in adults 70 years of age or older. N Engl J Med, 375 (11) (2016), pp. 1019-1032
17. Lal H et al. et al.Efficacy of an adjuvanted herpes zoster subunit vaccine in older adults. N Engl J Med, 372 (22) (2015), pp. 2087-2096
18. Zerbo O et al. Effectiveness of Recombinant Zoster Vaccine Against Herpes Zoster in a Real-World Setting. Ann Intern Med 2024 Feb;177(2):189-195. doi: 10.7326/M23-2023.

Säureblocker – offene ­Fragen, häufige Fragen

Protonen-pumpen-Inhibitoren (PPI) gehören zu den am meisten verschriebenen Medikamenten in der Schweiz und weltweit. Gleichzeitig werden sie aber auch zu oft ohne korrekte Indikation gegeben. Zudem sind sie in den letzten Jahren aufgrund postulierter Nebenwirkungen in Verruf geraten. Der folgende Artikel soll für die häufigsten und umstrittensten Fragen eine Evidenz- und Guideline-basierte Antwort geben, inklusive Indikationen, Interaktionen, Stolpersteinen bei der Verschreibung und Datenlage bzgl. Langzeit-Sicherheit.

Proton Pump Inhibitors (PPIs) are among the most commonly prescribed medications in Switzerland and worldwide. At the same time however, they are often given without a proper indication. Furthermore, they have fallen into disrepute due to alleged side effects. This article aims to provide evidence- and guideline-based answers to the most frequent and controversial questions, including indications, interactions, pitfalls in prescribing, and data regarding long-term safety.
Key words: Proton Pump Inhibitors, PPI, reflux disease, peptic ulcer disease, osteoporosis

Einleitung

Die Zulassung der Protonen-pumpen-inhibitoren vor ca. 30 Jahren hat die Therapie der gastroösohagealen Refluxerkrankung (GERD) und der gastroduodenalen Ulcuskrankheit revolutioniert. Sie sind in der Therapie dieser Erkrankungen nicht mehr wegzudenken. Seit ca. 2010 sind sie in tieferer Dosierung auch als «over-the-counter»-Medikation zugelassen. 2022 wurden PPI in der Schweiz im Wert von ca. CHF 156 Mio. abgerechnet, mit einer DDD (Defined daily dose) von 70 Tabletten pro 1000 Einwohner, d. h. im Schnitt 70 pro 1000 Einwohner haben 1 Dosis PPI pro Tag eingenommen (1). In den letzten 5–8 Jahren scheint diese Zahl etwa konstant zu sein.

Wie häufig werden PPI’s falsch verschrieben?

Studien zeigen, dass bis 20-60 % der Patienten, die PPI verschrieben bekommen, keine Guideline-basierte Indikation für eine solche Therapie haben (2). Gleichzeitig werden aber auch bei einer klaren Indikation für einen PPI (z. B. bei einer gleichzeitigen Therapie mit NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika) und systemischem Glucocorticoid) diese häufig fälschlicherweise nicht rezeptiert (3). Diese Zahlen sind natürlich davon abhängig, wie stringent man die Indikation stellt. Einer der häufigsten Fehler ist, dass trotz nur «temporärer Indikation» der PPI dann nicht korrekt gestoppt wird, wenn die Indikation nicht mehr besteht.

Worauf ist bei der Verschreibung von PPI zu achten (Stichwort Interaktionen)? Müssen PPI wirklich frühmorgens ­ein­­genommen werden?

Es existieren aktuell 6 verschiedene PPI: Pantoprazol, Esomeprazol, Omeprazol, Rabeprazol, Lansoprazol und Dexlansoprazol. Die «Standard-Dosierungen» gemäss Studien und Compendium sind in Tabelle 1 aufgeführt, wobei die Standard-Dosierungen nicht äquivalent sind. PPI bewirken eine irreversible Bindung (und damit Inaktivierung) der Na+–K+–ATPase der Belegzelle des Magens. Diese zeigt einen zirkadianen Rhythmus mit maximaler Aktivität in den frühen Morgenstunden. Damit ist die auch PPI-Wirkung am frühen Morgen am grössten, so dass die Tablette am besten nüchtern 30–45 min vor dem Frühstück einzunehmen ist. Eine Ausnahme bildet Dexlansoprazol, welches (gemäss Studien bei gesunden Probanden) unabhängig von der Nahrungseinnahme eingenommen werden kann.

PPI werden durch hepatische P450-Enzyme abgebaut; welches Isoenzym ist je nach Präparat unterschiedlich, meist jedoch das Cytochrom 2C19 und weniger auch 3A4 (4). Teile der Bevölkerung metabolisieren genetisch bedingt schneller oder langsamer (5, 6). Ein Teil der Menschen asiatischen Ursprungs haben hierdurch eine höhere Bioverfügbarkeit und könnten die Dosierung reduzieren. Möglicherweise ist die Rate an Nebenwirkungen bei diesen Menschen auch höher. Umgekehrt gibt es Rapid-Metabolizer, welche das Medikament schneller verstoffwechseln. Die Wirkung von Rabeprazol ist weniger vom CYP2C19-Metabolismus beeinflusst, so dass die genetische Variabilität bei diesem Präparat möglicherweise eine geringere Rolle spielt. Die genetische Analyse wäre eigentlich sinnvoll, wird im klinischen Alltag aber selten durchgeführt (vielleicht zu selten). Bei klarer PPI-Indikation und fehlendem Ansprechen auf die Therapie kann pragmatisch auch das PPI-Präparat gewechselt werden.

Aufgrund einer möglichen Interaktion wird die gleichzeitige Einnahme von Clopidogrel und Esomeprazol / Omeprazol von manchen Guidelines nicht empfohlen (Alternative z. B. Pantoprazol und zeitlicher Abstand der Einnahme von 4h), wobei die klinische Relevanz dieser Interaktion weiterhin umstritten ist. Des Weiteren scheint die Erhöhung des Magen-pH durch PPI die Absorption von Schilddrüsenhormonen zu reduzieren. Bei Beginn eines PPI sollte die Einnahme zeitlich getrennt werden oder – wenn dies nicht möglich ist – die Schilddrüsenfunktion enger monitorisiert werden. Methotrexat wird bei gleichzeitiger PPI-Gabe verzögert renal eliminiert, so dass möglicherweise erhöhte Spiegel vorhanden sind. Inwiefern dies klinisch relevant ist, ist umstritten.

Welche Laborwerte werden durch PPI ­beeinflusst?

Sowohl Gastrin (s.u.) als auch Chromogranin A steigen bei einer PPI-Therapie an, was bei der entsprechenden Diagnostik (z. B. Tumorsuche) berücksichtigt werden muss (Gastrin beim Gastrinom, Chromogranin A z. B. bei neuroendokrinen Tumoren / Phäochromozytom).

Was sind die Guideline-basierten Indikationen Kurzzeit / Langzeit?

Gemäss Guidelines sind die folgenden Indikationen für eine PPI-Therapie akzeptiert (7–9):
1) Peptisches Ulcus Magen oder Duodenum
• Dauer: Je nach Aetiologie (z. B. NSAR-induziertes Ulcus je nach Grösse 4–8 Wochen)
• Ulcus-Prophylaxe siehe unten
2) Erosive Refluxösophagitis
• Leichte Erosionen (LA Klassifikation A und B): Therapie mit Antazida oder PPI für 4 Wochen, keine Erhaltungstherapie, sondern bedarfsadaptiert, Versuch Wechsel auf Antazida
• Ausgeprägte Erosionen (LA Klassifikation C und D, peptische Stenose): formale Indikation für Erhaltungstherapie in Standarddosis aufgrund hohen Rezidivrisikos
3) Nicht-erosive Refluxerkrankung
• 4–8 Wochen, danach Auslassversuch, Fortsetzung nur bedarfsadaptiert, Versuch Wechsel auf Antazida
4) Eradikation eines Helicobacter pylori:
• Je nach Schema 10–14 Tage
5) Zollinger-Ellison-Syndrom (Gastrin-produzierender Tumor)
• Erhaltungstherapie
6) Funktionelle Dyspepsie
• Therapieversuch für 4–8 Wochen, falls Ansprechen Fortsetzung nur bedarfsadaptiert
7) Sekundärprophylaxe einer idiopathischen Ulcuskrankheit (d. h. ohne H. pylori und ohne NSAR-Anamnese)
8) «Stressulcus»-Prophylaxe bei Patienten auf Intensivstation
9) Primärprophylaxe bei Medikamenten: Kombination von
• Mehreren gerinnungsaktiven / thrombozytenaggregationshemmenden (TAH) Medikamenten (z. B. ASS und OAK)
• NSAR plus OAK
• NSAR plus systemisches Glucocorticoid
• TAH plus Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)

Wie gut wirken PPI überhaupt?

PPI sind hoch-effizient in der Suppression der Säure. Demgegenüber ist der Effekt auf die Beschwerden sehr unterschiedlich und hängt schlussendlich auch von der Pathophysiologie der jeweiligen Erkrankung ab. Allgemein kann gesagt werden, dass der Effekt höher ist bei sichtbarer Entzündung (Refluxerosionen / Ulcus). Weniger gut wirksam sind PPI, wenn viszerale Hypersensitivität (sog. ösophageale Hypersensitivität) oder anatomische Pathologien im Vordergrund sind (z. B. Regurgitation von Mageninhalt bei grosser Hiatushernie). Eine Übersicht gibt Abbildung 1 (adaptiert aus Kharilas (10)).

Warum soll bei einer längeren PPI-Therapie ein H. pylori gesucht werden?

Die Langzeit-PPI-Therapie führt bei gleichzeitiger H.pylori-Infektion zu einer Corpus-dominanten HP-Gastritis, welche ein Risikofaktor für ein Magenkarzinom darstellt (7). Deshalb soll er in diesem Fall gesucht und eliminiert werden. Jedoch ist die Sensitivität der HP-Diagnostik unter laufender PPI-Therapie sowohl beim 13C-Atemtest als auch beim Stuhlantigen und bei der Magen-­Biopsie reduziert. Um dies zu umgehen muss die PPI-Therapie in den zwei Wochen vor dem Test pausiert werden.

Wie sollen PPI abgesetzt werden (Stichwort acid Rebound)

Es ist nicht verboten, PPI’s bei auslaufender Indikation direkt zu stoppen ohne sog. «Tapering». Allerdings wurden bei gesunden beschwerdefreien Probanden nach plötzlichem (und verblindetem) PPI-Stopp Refluxbeschwerden und Dyspepsie beobachtet (11). Dies kann auch z. B. bei Refluxpatienten nach PPI-Stopp auftreten (12). Der Effekt scheint mit Höhe der Dosis und Dauer der Therapie assoziiert zu sein. Der Grund für dieses Phänomen liegt in einem Anstieg des Gastrins durch den PPI (Reaktive Hypergastrinämie). Nach Absetzen desselben bleibt das Gastrin für eine gewisse Zeit hoch, was zu mehr Säuresekretion und hierdurch zu (mehr) Beschwerden führen kann (Rebound Acid Hypersecretion; RAHS).
Die Datenlage, in diesem Falle ein Tapering durchzuführen oder beim PPI-Stopp ein Antazidum oder ein Alginat einzusetzen ist dürftig, aber es gibt Hinweise dass dies helfen könnte (13):
• Ausschleichen über 2–4 Wochen (je höher dosiert und länger die Therapie war, desto länger das Ausschleichen
• Einsatz eines Alginates (Gaviscon) bis 4 x  / Tag in Reserve bei PPI Stopp.

Welche akuten Nebenwirkungen können unter PPI auftreten?

Zu den akuten Nebenwirkungen gehören neben seltenen allergischen Reaktionen auch Übelkeit / Erbrechen, Diarrhoe und Obstipation sowie Kopfschmerzen. In diesem Fall kann gut auf einen anderen Wirkstoff gewechselt
werden.

Wie ist die Datenlage bezüglich Langzeit­sicherheit?

PPI wurden in den letzten Jahren in Studien immer wieder in Zusammenhang gebracht mit den verschiedensten Nebenwirkungen, inklusive potentiell schwerwiegende Erkrankungen wie Demenz, Osteoporose, Infektionen und weiteres.

Hierbei ist folgendes zu beachten (7)
• Die allermeisten dieser Studien sind Assoziations-Studien, deren Wertigkeit bzgl. Kausalität sehr umstritten ist, weshalb sie mit grosser Vorsicht interpretiert werden müssen.
• Selbst wenn man diese Risiken als gegeben annehmen würde, so dürfte das absolute Risiko nahezu ausnahmslos sehr gering sein, so dass der Nutzen der Substanzen bei klarer Indikation das Risiko deutlich überwiegt.
• Des Weiteren existieren nun auch grosse randomisierte prospektive Studien (Vergleiche von Fundoplicatio vs. PPI bei Refluxpatienten, 700 Patienten (14) PPI als Primärprophylaxe bei gerinnungsaktiven Medikamenten, 18 000 Patienten (15)) mit Beobachtungszeiten von bis über 10 Jahren (und insg. 1300-1500 Personenjahren), welche bis auf ein gering erhöhtes Risiko für gastrointestinale Infektionen (s. u.) keine relevanten negativen Folgen zeigte.

Risiken

Auf eine Auswahl postulierter Risiken wird nun im Folgenden eingegangen, mit jeweils persönlichem Fazit des Autors:

Demenz

In gewissen (meist retrospektiv ausgewerteten) Kohortenstudien schien das Risiko für eine Demenz bei PPI-Einnahme erhöht (16). Demgegenüber stehen die Nurses’ Health Study II mit 13 864 Teilnehmer/-innen sowie zwei grosse, prospektive, populationsbasierte Zwillingsstudien aus Dänemark, die keinen solchen Zusammenhang fanden (17, 18). Zudem kam ein systematisches Review mit Metaanalyse, die eine randomisierte und fünf prospektive Kohortenstudien mit mindestens 5-jährigem Verlauf zusammenfasst, zum Resultat: keine Kausalität nachweisbar (19). Dies ist auch das Fazit des Autors.

Osteoporose

Es existieren mehrere (meist retrospektive) Analysen mit Assoziation von PPI und Knochenbrüchen. Die Resultate sind aber nicht konsistent. Zudem existieren mehrere prospektive, randomisierte Studien, die keinen Effekt zeigen (20–22). Fazit des Autors: Kausalität äusserst unwahrscheinlich.

Magenkarzinom

Verschiedene retrospektive Studien zeigen z.T. eine Assoziation zwischen PPI-Therapie und Magenkarzinom. Einige Studien zeigen vor allem ein erhöhtes Risiko zu Beginn der Therapie (wahrscheinlich eine sog. inverse causality, d. h. es wurden beispielsweise PPI eingenommen wegen Symptomen des noch nicht diagnostizierten Magenkarzinoms). Metanalysen zeigen keinen kausalen Zusammenhang (23). Fazit des Autors: Aktuell keine Hinweise für Kausalität.

Gastrointestinale Infektionen

Die oben erwähnte Studie mit 17 500 Patienten, die ASS +/– Rivaroxaban sowie entweder PPI oder Placebo über einen Zeitraum von 3 Jahren erhielten, ergab ein leicht erhöhtes Risiko für gastrointestinale Infektionen (1.4 vs. 1 %, OR 1.33, 95 % CI 1.01–1.75) (15). Das Risiko für eine C. difficile Infektion war doppelt so hoch, bei allerdings insg. nur 13 Ereignissen, so dass die Studie hierfür «underpowered» war. Fazit des Autors: Leicht erhöhtes Risiko für gastrointestinale Infektionen inkl. C. difficile möglich.
Ebenso ist ein gering erhöhtes Risiko für eine Mikroskopische Kolitis möglich, was während der Abklärung dieser Erkrankung berücksichtigt werden muss.

Zusammenfassend kann den PPI in den Augen des Autors ein sehr gutes Sicherheitsprofil in der Langzeiteinnahme attestiert werden. Jedoch muss festgehalten werden, dass sehr seltene Nebenwirkungen sowie solche, die erst nach langer (Jahrzehnte) Einnahme von PPI auftreten, sich auch durch die Daten der vorliegenden prospektiven kontrollierten Studien nicht mit letzter Sicherheit ausschliessen lassen (7).

Die gute Sicherheit der PPI stellt keinen Grund dar, die Indikation insb. für eine Langzeiteinnahme nicht äusserst streng zu prüfen. Zudem sollen wo möglich Alternativen eingesetzt werden (z. B. Antazida / Alginate bei GERD) und bei bedarfsadaptierter Therapie sollen die Patienten zu Auslassversuchen ermuntert werden. Dem für Langzeitsicherheit interessierten Leser sind die Artikel von Vaezi et al (24) und Ahmed (4) zu empfehlen.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

PD Dr. med. Matthias Sauter

Leitender Arzt, Leiter Gastroenterologie
Klinik für Innere Medizin
Spital Zollikerberg
Trichtenhauser Str. 20
8125 Zollikerberg

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. https://www.versorgungsatlas.ch/indicator/_007. abgerufen am 5.7.2024.
2. Boster J, Lowry LE, Bezzant ML, Kuiper B, Surry L. Reducing the Inappropriate Use of Proton Pump Inhibitors in an Internal Medicine Residency Clinic. Cureus. 2020 Jan 9;12(1):e6609.
3. Schubert I, Lappe V, Marschall U, Grandt D. Missing PPI prescriptions while overprescribing? Eur J Clin Pharmacol. 2023 Nov;79(11):1579-81.
4. Ahmed A, Clarke JO. Proton Pump Inhibitors (PPI). 2024 Jan.
5. Modak AS, Klyarytska I, Kriviy V, Tsapyak T, Rabotyagova Y. The effect of proton pump inhibitors on the CYP2C19 enzyme activity evaluated by the pantoprazole-(13)C breath test in GERD patients: clinical relevance for personalized medicine. J Breath Res. 2016 Dec 17;10(4):046017.
6. El Rouby N, Lima JJ, Johnson JA. Proton pump inhibitors: from CYP2C19 pharmacogenetics to precision medicine. Expert Opin Drug Metab Toxicol. 2018 Apr;14(4):447-60.
7. S2k-Leitlinie Gastroösophageale Refluxkrankheit und eosinophile Ösophagitis der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) – März 2023 – AWMF-Registernummer: 021–013. Z Gastroenterol. 2023 Jul;61(7):862-933.
8. Grandt D, Gamstätter T, Fölsch UR. [Recommendations for Drug Treatment in Patients with Multimorbidity]. Dtsch Med Wochenschr. 2020 Oct;145(20):1504-8.
9. Lorenz P, Fischbach W, Schulz C, Macke L, Jansen PL. Leitlinienreport der aktualisierten S2k-Leitlinie Helicobacter pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) – Juli 2022 – AWMF-Registernummer: 021–001. Z Gastroenterol. 2023 May;61(5):e172-e9.
10. Kahrilas PJ, Boeckxstaens G. Failure of reflux inhibitors in clinical trials: bad drugs or wrong patients? Gut. 2012 Oct;61(10):1501-9.
11. Reimer C, Søndergaard B, Hilsted L, Bytzer P. Proton-pump inhibitor therapy induces acid-related symptoms in healthy volunteers after withdrawal of therapy. Gastroenterology. 2009 Jul;137(1):80-7, 7 e1.
12. Lødrup AB, Reimer C, Bytzer P. Systematic review: symptoms of rebound acid hypersecretion following proton pump inhibitor treatment. Scand J Gastroenterol. 2013 May;48(5):515-22.
13. Vales A, Coyle C, Plehhova K, Hobson A, Woodland P. Randomised clinical trial: the use of alginates during preinvestigation proton pump inhibitor wash-out and their impact on compliance and symptom burden. BMJ Open Gastroenterol. 2023 Jan;10(1).
14. Attwood SE, Ell C, Galmiche JP, Fiocca R, Hatlebakk JG, Hasselgren B, et al. Long-term safety of proton pump inhibitor therapy assessed under controlled, randomised clinical trial conditions: data from the SOPRAN and LOTUS studies. Aliment Pharmacol Ther. 2015 Jun;41(11):1162-74.
15. Moayyedi P, Eikelboom JW, Bosch J, Connolly SJ, Dyal L, Shestakovska O, et al. Safety of Proton Pump Inhibitors Based on a Large, Multi-Year, Randomized Trial of Patients Receiving Rivaroxaban or Aspirin. Gastroenterology. 2019 Sep;157(3):682-91 e2.
16. Northuis CA, Bell EJ, Lutsey PL, George KM, Gottesman RF, Mosley TH, et al. Cumulative Use of Proton Pump Inhibitors and Risk of Dementia: The Atherosclerosis Risk in Communities Study. Neurology. 2023 Oct 31;101(18):e1771-e8.
17. Lochhead P, Hagan K, Joshi AD, Khalili H, Nguyen LH, Grodstein F, et al. Association Between Proton Pump Inhibitor Use and Cognitive Function in Women. Gastroenterology. 2017 Oct;153(4):971-9 e4.
18. Wod M, Hallas J, Andersen K, García Rodríguez LA, Christensen K, Gaist D. Lack of Association Between Proton Pump Inhibitor Use and Cognitive Decline. Clin Gastroenterol Hepatol. 2018 May;16(5):681-9.
19. Desai M, Nutalapati V, Srinivasan S, Fathallah J, Dasari C, Chandrasekhar VT, et al. Proton pump inhibitors do not increase the risk of dementia: a systematic review and meta-analysis of prospective studies. Dis Esophagus. 2020 Oct 12;33(10).
20. Kumar S, Drake MT, Schleck CD, Johnson ML, Alexander JA, Katzka DA, et al. Incidence and predictors of osteoporotic fractures in patients with Barrett’s oesophagus: a population-based nested case-control study. Aliment Pharmacol Ther. 2017 Dec;46(11-12):1094-102.
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22. Targownik LE, Leslie WD, Davison KS, Goltzman D, Jamal SA, Kreiger N, et al. The relationship between proton pump inhibitor use and longitudinal change in bone mineral density: a population-based study [corrected] from the Canadian Multicentre Osteoporosis Study (CaMos). Am J Gastroenterol. 2012 Sep;107(9):1361-9.
23. Crafa P, Franceschi M, Rodriguez-Castro KI, Franzoni L, Russo M, Brandimarte G, et al. PPIs and gastric cancer: any causal relationship? Acta Biomed. 2023 Jun 14;94(3):e2023096.
24. Vaezi MF, Yang YX, Howden CW. Complications of Proton Pump Inhibitor Therapy. Gastroenterology. 2017 Jul;153(1):35-48.