Swiss Hematologists and Oncologists of Tomorrow

Mit der ersten Ausgabe des Jahres 2025 begrüssen wir Sie herzlich in ein Jahr voller Veränderungen und neuer Perspektiven, auch in der Onkologie. Neben den gewohnten wissenschaftlichen und klinischen Highlights freuen wir uns, Ihnen eine bedeutende Neuerung in dieser Zeitschrift vorstellen zu dürfen: Ab sofort wird die «info@ONCO-SUISSE» regelmässig eine Rubrik enthalten, die von SHOOT (Swiss Hematologists and Oncologists of Tomorrow) gestaltet wird. Diese Plattform bietet jungen Hämatolog/-innen und Onkolog/-innen die Möglichkeit, ihre Stimmen, Ideen und Visionen in den Fokus zu rücken und eine stärkere Präsenz in der Fachwelt zu erhalten.

Wir freuen uns, Sie durch dieses spannende Jahr zu begleiten – mit wichtigen Einblicken, aktuellen Entwicklungen und den Stimmen der nächsten Generation. Über die bisherigen Leistungen, Arbeiten und Ziele von SHOOT seit der Gründung werden Sie in der nächsten Ausgabe der Fachzeitschrift «info@ONCO-SUISSE» mehr erfahren.

Herzlichst Dr. med. Tämer El Saadany, Dr. med. Eveline Daetwyler (im Auftrag von SHOOT)

Positionspapier «SHOOT»

Wir freuen uns sehr, heute «Swiss Hematologists and Oncologists of Tomorrow» (SHOOT) vorstellen zu dürfen und ab jetzt Teil von «info@ONCO-SUISSE» zu sein.

Kaum ein Fachgebiet der Medizin hat über die letzten Jahre eine solch rasante Entwicklung erlebt wie die beiden Fachbereiche Hämatologie und Onkologie. In immer kürzeren Abständen werden neue Therapieoptionen und -ansätze publiziert und angewendet. Gewisse Krankheiten haben sich von rasch tödlich ­verlaufenden zu chronischen Krankheiten entwickelt. Das Verständnis der Tumorentwicklung mit den entsprechenden molekularbiologischen Hintergründen und der Interaktion mit dem Immunsystem wird immer besser, und das führt zur Entwicklung von neuen und zielgerichteten Therapieoptionen. Auch in der Hämostaseologie halten neue Therapiekonzepte Einzug. In der Diagnostik kommen zudem immer genauere Methoden zur Anwendung, um die Krankheiten auf molekularer Ebene zu erfassen und einzuordnen.

Die demographische Entwicklung mit einer alternden Bevölkerung sowie die verbesserte Prognose von hämatologischen/onkologischen Erkrankungen mit entsprechend längeren Krankheitsverläufen führen zu einem steigenden Bedarf an Hämatolog/-innen und Onkolog/-innen. Der Anteil von Frauen in der Medizin hat in den letzten Jahren stark zugenommen, was (auch) zu neuen Arbeitszeitmodellen führt (z. B. neue/andere Familienmodelle, Zunahme von Teilzeittätigkeit).

Aktuelle Entwicklungen führen zu vielfältigen neuen Herausforderungen. Die demographische Entwicklung mit einer älter werdenden Bevölkerung führt zu einer zunehmenden Multimorbidität, die einer komplexen individualisierten Therapieplanung bedarf und in aktuellen Guidelines teilweise noch unzureichend abgebildet ist. Das zunehmende Wissen über molekularbiologische Grundlagen der Neoplasien führt zur Aufsplittung von Tumorentitäten in immer mehr Subentitäten mit eigenen Behandlungspfaden und tumoragnostischen Behandlungsoptionen. Zusammen mit den rasanten Fortschritten in der medikamentösen Tumortherapie wird das gesamte Feld für einzelne Versorger/-innen immer schwieriger, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Hinzu kommt die Entwicklung von neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI) und Big Data, die auch vor der Hämatologie und Onkologie nicht Halt machen und die Entwicklung über die nächsten Jahrzehnte prägen werden. Auch die steigende Anzahl der Krebsüberlebenden mit den oft lebenslang bestehenden Therapiefolgen stellen eine Herausforderung für die zukünftige Versorgung dar.

All diese Herausforderungen bieten aber auch Chancen zur aktiven Mitgestaltung des künftigen Berufsbildes und -feldes. In diesem Zusammenhang haben sich sowohl die SGMO wie auch die SGH zur Gründung einer eigenen Arbeitsgruppe entschlossen. Young SGMO und Young SGH sind Teil der jeweiligen Fachgesellschaften; sie organisieren sich seit dem Gründungsdatum am 5. August 2021 nun auf einer gemeinsamen Plattform als SHOOT. Diese Plattform dient dazu, organisatorische Synergien zu nutzen, gemeinsame Bedürfnisse zu adressieren und zukünftige Herausforderungen zu bewältigen.

Die Ziele der Organisationen bestehen in folgenden Bereichen:

1. Förderung und Vernetzung von jungen ­Hämatolog/-innen und Onkolog/-innen

Oberstes Ziel der Nachwuchsorganisationen ist die Förderung und Vernetzung der jungen Hämatolog/-innen und Onkolog/-innen. Ziel ist es auch, die aktuell bestehende Attraktivität des Berufsfeldes zu erhalten und weiterzuentwickeln, mit dem Ziel der Erreichung einer langfristigen und nachhaltigen Versorgungssicherheit.

2. Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit Förderung von Teilzeitmodellen

Der zunehmende Anteil von Frauen in der Medizin und auch die Auflösung von traditionellen Familienstrukturen erfordern heute flexiblere und andere Arbeitsmodelle für alle Geschlechter. Die Hämatologie und Onkologie mit ihrem überwiegend ambulanten Tätigkeitsfeld bieten hier vielfältige Möglichkeiten zur Mitgestaltung an. Eine anstehende Herausforderung ist hierbei auch die Förderung von Teilzeitmodellen, auch in der Forschungstätigkeit und auch in Führungspositionen.

3. Förderung von Resilienz und Burn-out Prävention

Der tägliche Umgang mit schwerstkranken Menschen sowie die ständige Präsenz von Tod und Leid gehören zu den grossen Herausforderungen in der Behandlung von onkologischen und hämatologischen Erkrankungen. Dies bedeutet eine Belastung sowohl für Berufseinsteiger/-innen, aber auch für erfahrene Kolleg/-innen. Zusammen mit der zunehmenden Bürokratisierung und Regulierung im Gesundheitswesen stellen dies Risikofaktoren für die psychische Gesundheit der Hämatolog/-innen und Onkolog/-innen dar. Dieser Herausforderung möchte SHOOT proaktiv begegnen und eine diesbezüglich erste und wichtige Anlaufstelle sein.

4. Erhaltung der hohen Qualität der Weiterbildung

Um den zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden, ist eine hochstehende Facharztweiterbildung essenziell. Ziel von SHOOT ist der Erhalt und die Neuschaffung von Ausbildungsplätzen sowie die stetige Weiterentwicklung der Facharztweiterbildung im Hinblick auf kommende Herausforderungen. Das erklärte Ziel besteht im aktiven Einbezug des Nachwuchses in der Gestaltung des Weiterbildungscurriculums.

5. Förderung der Forschungstätigkeit

Die Schweizer Krebsforschung ist auf einem international hohen Niveau. Ziel der SGMO und der SGH ist es, dieses Niveau langfristig halten zu können. Essenziell ist hierbei die Vernetzung der kommenden Generationen mit bestehenden Strukturen und Fördermöglichkeiten.

6. Aufklärung über verschiedene Karrieremodelle

Die Onkologie und Hämatologie bieten diverse Karrieremöglichkeiten sowohl im Rahmen einer selbstständigen wie auch einer angestellten Tätigkeit. Ziel von SHOOT ist die Aufklärung über verschiedene Tätigkeitsmodelle und Möglichkeiten zum Austausch mit entsprechenden Exponenten. SHOOT soll zudem beratende Anlaufstelle bei Fragen der Karriereplanung werden.

7. Förderung von Chancengleichheit

Ein weiterer Schwerpunkt von SHOOT besteht in der gezielten Förderung und Vernetzung der Frauen in der Onkologie und Hämatologie. Ziele sind die verbesserte Sichtbarkeit von Onkologinnen und Hämatologinnen, das Aufzeigen von Karrieremöglichkeiten bis hin zur gezielten Förderung von Frauen in Führungspositionen.

8. Kontinuierlicher Austausch mit internationalen Organisationen wie DGHO, ESMO und EHA

Nicht zuletzt ist das Ziel von SHOOT die Kooperation mit internationalen Organisationen wie ESMO, DGHO und EHA, zur Anstossung gemeinsamer Projekte und Aufklärung über Möglichkeiten für internationale Fortbildungen und Fellowships.

Zielgruppe von SHOOT sind Hämatolog/-innen und Onkolog/-innen in Ausbildung wie auch junge Fachärzt/-innen. Im Rahmen der sich verändernden Karrieremodelle wird auf ein oberes Alterslimit zur Teilnahme verzichtet.

Dr. med. Rahel Schwotzer
Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Universitätsspital Zürich, Zürich

Dr. med. Kathrin Vollmer
Onkologie-/Hämatologiezentrum Thun-Spiez-Berner Oberland
Spital STS AG Thun, Thun

Weitere Informationen
https://www.ssh-ssmo-shoot.ch

Dr. med. Tämer El Saadany

Kantonsspital Graubünden
Onkologie / Hämatologie
Loestrasse 170
7000 Chur

Dr. med. Eveline Daetwyler

HOCH Health Ostschweiz
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

Auswirkungen des Geschlechts auf die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik

Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik können die Arzneimittelwirkung erheblich beeinflussen. Frauen sind tendenziell höheren Arzneimittelkonzentrationen ausgesetzt als Männer, was zu einem höheren ­Risiko für unerwünschte Reaktionen führt. Der Artikel hebt diese Unterschiede hervor und unterstreicht die Bedeutung der Berücksichtigung von Geschlechtsunterschieden während der gesamten Arzneimittelentwicklung, der Marktüberwachung und in der klinischen Praxis, um die Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln für alle Patienten zu verbessern.

Sex-related differences in pharmacokinetics and pharmacodynamics can significantly affect drug response. Women tend to be exposed to higher drug concentrations than men, leading to a higher risk of adverse reactions. The article highlights these differences and underscores the importance of considering sex and gender differences throughout drug development, post-market surveillance, and clinical practice to improve drug safety and efficacy for all patients.
Key words: Sex-specific pharmacokinetics, Gender differences in drug response, Adverse drug reactions, Clinical trial representation

Einleitung

Der Einfluss von Geschlecht und Gender im Bereich der Medizin, insbesondere im Zusammenhang mit der Behandlung mit Arzneimitteln, ist ein sehr aktuelles Thema. Der vorliegende Artikel befasst sich vor allem mit geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Reaktion auf medikamentöse Behandlungen.

Der Ursprung des Geschlechtsdimorphismus geht zurück bis zur Befruchtung und zur nachfolgenden Entwicklung eines Embryos, der die Geschlechtschromosomen XX oder XY trägt. In der Medizin werden Unterschiede in der Häufigkeit und Schwere bestimmter Erkrankungen auf diesen Dimorphismus zurückgeführt: Beispielsweise sind Autoimmunerkrankungen bei Frauen häufiger, während Gicht bei Männern häufiger auftritt. Die mit COVID-19 verbundene Morbidität und Mortalität ist bei Männern signifikant höher, was teilweise durch biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern erklärt wird (Modulation des Immunsystems und der Expression der ACE2-Rezeptoren, an die SARS-CoV-2 bindet, durch Sexualhormone) (1). Im Zusammenhang mit medikamentösen Behandlungen kann sich das Geschlecht auch auf die Pharmakokinetik (PK) und die Pharmakodynamik (PD) auswirken.

Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Pharmakokinetik

Es gibt zahlreiche anatomische, physiologische und biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die sich auf die PK auswirken können (Tab. 1).

Der Einfluss des Geschlechts auf die verschiedenen PK-Parameter ist von den physikalisch-chemischen Eigenschaften und den Eliminationswegen des angewendeten Arzneimittels abhängig. Die schlussendliche Wirkung ist das Ergebnis der Einflüsse des Geschlechts auf die Phasen der Absorption, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung des Wirkstoffs.

Die Magen-Darm-Passage ist bei Frauen langsamer, deshalb kann die Aufnahme bestimmter Wirkstoffe verzögert sein, wie z. B. beim NSAR Ketoprofen (2). Auch die aufgenommene Menge kann je nach Geschlecht variieren: Bei vorpubertären Mädchen und Jungen, bei denen es keine Unterschiede in den Eisenspeichern oder im Hämoglobinspiegel gab, war die Aufnahme von oral eingenommenem Eisen bei den Mädchen signifikant höher (3).

Im Vergleich zu Männern ist die Körperzusammensetzung von Frauen durch einen höheren Fettanteil und einen geringeren Wassergehalt gekennzeichnet. Bei lipophilen Substanzen wirkt Körperfett als Reservoir, und Wirkstoffe können bei Frauen eine verlängerte Eliminationshalbwertszeit aufweisen. Folglich ist auch die Zeit bis zum Erreichen des Steady State länger. Die maximale Plasmakonzentration von hydrophilen Wirkstoffen wiederum kann bei Frauen höher sein, da sich diese Arzneimittel in einem kleineren Volumen verteilen als bei Männern. Der Einfluss des Geschlechts auf die Verteilung ist jedoch begrenzt; er ist geringer als der Einfluss von Fettleibigkeit auf die Verteilung von lipophilen Wirkstoffen oder von fettfreier Körpermasse auf die Verteilung von hydrophilen Wirkstoffen.

Die Clearance (Metabolismus und Ausscheidung) ist der PK-Parameter, der am ausgeprägtesten durch das Geschlecht beeinflusst wird. Männer haben im Allgemeinen eine schnellere Clearance als Frauen, was auf die grösseren Ausscheidungsorgane (Leber, Nieren) und die unabhängig von der Grösse der Organe insgesamt höhere Enzymaktivität zurückzuführen ist. Da die Dosierungsempfehlungen für beide Geschlechter gleich sind und bis vor Kurzem auf PK-Studien basierten, die an Männern durchgeführt wurden, sind Frauen tendenziell systematisch überexponiert (4). Diese Überexposition ist in der Regel moderat, mit Konzentrationen von durchschnittlich +20 % im Vergleich zu Männern, was unter den interindividuellen Unterschieden bei einer moderaten Variabilität von rund 30 % liegt (5). Eine Ausnahme ist Zolpidem: Es wurde eine Exposition von +40–50 % bei Frauen festgestellt, was die FDA und Health Canada dazu veranlasste, die Dosierung bei Frauen ab 2013 zu halbieren (6, 7). Diese Empfehlung wurde von anderen Regulierungsbehörden, einschliesslich Swissmedic, nicht übernommen. Abgesehen davon wurde später in Frage gestellt, ob diese ungewöhnliche Entscheidung der FDA und von Health Canada sinnvoll war (8).

Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Pharmakodynamik

Es gibt auch bezüglich der PD Unterschiede zwischen den Geschlechtern, auch wenn diese weniger gut dokumentiert sind als PK-Unterschiede, da sie wahrscheinlich schwieriger zu untersuchen sind. In einer Studie wurde die maximale Wirksamkeit von Vasopressin (antidiuretisches Hormon) bei niedrigeren Konzentrationen bei Frauen als bei Männern beobachtet, und Hyponatriämie trat bei Frauen häufiger auf (9). Die Unterdrückung der Cortisolsekretion trat bei Frauen bei niedrigeren Konzentrationen von Methylprednisolon auf als bei Männern (10). Bei gesunden Freiwilligen führte Chinidin bei gleichen Konzentrationen zu einer stärkeren QT-Verlängerung bei Frauen als bei Männern (11).

Zusammenfassung

Das Geschlecht hat einen Einfluss auf das Ansprechen auf Arzneimittel, ist aber nur einer von mehreren Faktoren, und die PK-Variabilität innerhalb einer Population gleichen Geschlechts ist grösser als die PK-Variabilität zwischen den Geschlechtern. Viele Faktoren sind für die interindividuelle PK-Variabilität verantwortlich. Die wichtigsten sind die Nierenfunktion und die Leberfunktion, die bei der Verschreibung konsequent berücksichtigt werden müssen.

Dennoch sind Frauen im Vergleich zu Männern tendenziell höheren Wirkstoffkonzentrationen ausgesetzt. Obwohl diese Überexposition insgesamt moderat ist, ist sie wegen der systematischen Ausprägung problematisch und zumindest teilweise für die beobachtete signifikante Übervertretung von Frauen bei unerwünschten Arzneimittelwirkungen verantwortlich, da alle unerwünschten Wirkungen – in unterschiedlichem Ausmass – konzentrationsabhängig sind. Eine Studie über die Sicherheit neuer Arzneimittel ergab, dass bei Frauen im Vergleich zu Männern 60 % mehr unerwünschte Wirkungen auftraten (12). In einer Studie zu verschiedenen Klassen von onkologischen Behandlungen waren Frauen von schweren unerwünschten Wirkungen um 34 % häufiger betroffen, wobei die überproportionale Vertretung bei Immuntherapien sogar 49 % erreichte (13). Schliesslich entzog die FDA zwischen 1997 und 2000 zehn Arzneimitteln aus Sicherheitsgründen die Zulassung, wobei acht dieser zehn Arzneimittel mit signifikant höheren Risiken für Frauen in Verbindung gebracht worden waren (14). Neben der Überexposition können auch andere, eher genderspezifische Faktoren zu den häufigeren unerwünschten Wirkungen bei Frauen beitragen. Dazu gehören Unterschiede in der Empfindlichkeit gegenüber unerwünschten Wirkungen (PD-Unterschiede), die Exposition gegenüber einer grösseren Anzahl von Arzneimitteln und eine grössere Bereitschaft zur Meldung von unerwünschten Wirkungen bei Frauen als bei Männern (15, 16, 17).

Lange Zeit beruhte die Entwicklung von Arzneimitteln, insbesondere in den frühen Phasen, auf männlichen Versuchspersonen, hauptsächlich wegen allfälligen teratogenen Wirkungen. Auch wenn die Beteiligung von Frauen an klinischen Studien in den letzten zwei Jahrzehnten allmählich zugenommen hat, sind Frauen in den Phasen I und II immer noch in der Minderheit. Dasselbe gilt für präklinische Studien, die immer noch überwiegend mit männlichen Tieren durchgeführt werden (5). Eine bessere Repräsentation während der gesamten Arzneimittelentwicklung sowie die Analyse von Daten in geschlechtsspezifischen Untergruppen sollten zu einer besseren Beschreibung der PK/PD von Arzneimitteln bei Frauen führen, namentlich zu einer Verringerung der Verzerrung bei der Dosisfindung, und somit zur Markteinführung neuer Arzneimittel, die für die Patientengruppe der Frauen insgesamt besser geeignet und sicherer sind.
Nach der Marktzulassung ist es weiterhin wichtig, geschlechts- und genderspezifische Überlegungen zu berücksichtigen, insbesondere bei Phase-IV-Studien und in der Pharmakovigilanz, aber auch in der täglchen klinischen Praxis.

Erstpublikation
Der Originalartikel «Auswirkungen des Geschlechts auf die Pharmako­kinetik und Pharmakodynamik», von Françoise Livio und Frédérique Rodieux, wurde in den «Swissmedic Vigilance-News», Edition 33 vom 25.11.2024, veröffentlicht.

Dr. med. Françoise Livio

Abteilung Klinische Pharmakologie, Departement für Medizin,
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV),
Rue du Bugnon 46
1005 Lausanne

Dr. med. Frédérique Rodieux

Abteilung Arzneimittelsicherheit, Swissmedic,
Hallerstrasse 7
3012 Bern

Die Autorinnen haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang zu diesem Artikel deklariert.

1. Ya’qoub L, Elgendy IY, Pepine CJ. Sex and gender differences in COVID-19: More to be learned! Am Heart J Plus 2021;3:100011. doi: 10.1016/j.ahjo.2021.100011.
2. Magallanes L, Lorier M, Ibarra M, et al. Sex and food influence on intestinal absorption of ketoprofen gastroresistant formulation. Clin Pharmacol Drug Dev 2016;5(3):196-200. doi: 10.1002/cpdd.208.
3. Woodhead JC, Drulis JM, Nelson SE, et al. Gender-related differences in iron absorption by preadolescent children. Pediatr Res 1991;29(5):435-9. doi: 10.1203/00006450-199105010-00005.
4. Stader F, Marzolini C. Sex-related pharmacokinetic differences with aging. Eur Geriatr Med 2022;13(3):559-565. doi: 10.1007/s41999-021-00587-0.
5. Dekker MJHJ, de Vries ST, Versantvoort CHM, et al. Sex proportionality in pre-clinical and clinical trials: an evaluation of 22 marketing authorization application dossiers submitted to the European Medicines Agency. Front Med (Lausanne). 2021 Mar 11;8:643028. doi: 10.3389/fmed.2021.643028.
6. Greenblatt DJ, Harmatz JS, Singh NN, et al. Gender differences in pharmacokinetics and pharmacodynamics of zolpidem following sublingual administration. J Clin Pharmacol 2014;54(3):282-90. doi: 10.1002/jcph.220.
7. https://www.fda.gov/files/drugs/published/Drug-Safety-Communication–Risk-of-next-morning-impairment-after-use-of-insomnia-drugs–FDA-requires-lower-recommended-doses-for-certain-drugs-containing-zolpidem-%28Ambien–Ambien-CR–Edluar–and-Zolpimist%29.pdf (zuletzt aufgerufen am 04.09.2024).
8. Greenblatt DJ, Harmatz JS, Roth T. Zolpidem and gender: are women really at risk? J Clin Psychopharmacol 2019;39(3):189-199. doi: 10.1097/JCP.0000000000001026.
9. Juul KV, Klein BM, Sandström R, et al. Gender difference in antidiuretic response to desmopressin. Am J Physiol Renal Physiol 2011;300(5):F1116-22. doi: 10.1152/ajprenal.00741.2010.
10. Lew KH, Ludwig EA, Milad MA, et al. Gender-based effects on methylprednisolone pharmacokinetics and pharmacodynamics. Clin Pharmacol Ther 1993;54(4):402-14. doi: 10.1038/clpt.1993.167.
11. El-Eraky H, Thomas SH. Effects of sex on the pharmacokinetic and pharmacodynamic properties of quinidine. Br J Clin Pharmacol 2003;56(2):198-204. doi: 10.1046/j.1365-2125.2003.01865.x.
12. Martin RM, Biswas PN, Freemantle SN, et al. Age and sex distribution of suspected adverse drug reactions to newly marketed drugs in general practice in England: analysis of 48 cohort studies. Br J Clin Pharmacol 1998;46(5):505-11. doi: 10.1046/j.1365-2125.1998.00817.x.
13. Unger JM, Vaidya R, Albain KS, et al. Sex differences in risk of severe adverse events in patients receiving immunotherapy, targeted therapy, or chemotherapy in cancer clinical trials. J Clin Oncol 2022 May 1;40(13):1474-1486. doi: 10.1200/JCO.21.02377.
14. Heinrich J. Drug safety : most drugs withdrawn in recent years had greater health risks for women. United States general accounting office 2001. https://digital.library.unt.edu/ark:/67531/metadc297960/m1/3/ (zuletzt aufgerufen am 04.09.2024).
15. Sportiello L, Capuano A. Sex and gender differences and pharmacovigilance: a knot still to be untied. Front Pharmacol 2024;15:1397291. doi: 10.3389/fphar.2024.1397291.
16. Holm L, Ekman E, Jorsäter Blomgren K. Influence of age, sex and seriousness on reporting of adverse drug reactions in Sweden. Pharmacoepidemiol Drug Saf 2017;26(3):335-343. doi: 10.1002/pds.4155. Epub 2017 Jan 10. PMID: 28071845.
17. Watson S, Caster O, Rochon PA, et al. Reported adverse drug reactions in women and men: Aggregated evidence from globally collected individual case reports during half a century. EClinicalMedicine 2019;17:100188. doi: 10.1016/j.eclinm.2019.10.001.

SAKK 08/23

Kann eine Kombinationstherapie mit Darolutamid das ­Fortschreiten des metastasierten hormonrefraktären ­Prostatakarzinoms hinauszögern?

In der Schweiz erhalten jedes Jahr rund 6000 Männer die Diagnose Prostatakrebs. Das macht diese Krebsart zur häufigsten bösartigen Tumorerkrankung bei Männern. Die Medizin hat in den letzten Jahrzehnten wichtige Fortschritte in der Behandlung erzielt. Doch das metastasierte Prostatakarzinom, das nicht mehr auf antihormonelle Therapie reagiert – und somit hormon­refraktär ist – bleibt leider unheilbar. Deshalb sucht die Forschung nach neuen Therapieoptionen.

Darolutamid ist ein Wirkstoff, der den Androgenrezeptor auf den Prostatakrebszellen besetzt und so die wachstumsfördernde Wirkung von Testosteron blockiert. Der Wirkstoff weist ein günstiges Nebenwirkungsprofil auf und ist in der Schweiz und in Europa zur Behandlung von Prostatakrebs in früheren Stadien zugelassen.

Die Vorgängerstudie SAKK 08/16 hat gezeigt, dass Darolutamid bei Patienten mit einem metastasierten hormonrefraktären Prostatakrebs wirksam ist, wenn es nach der Chemotherapie als Erhaltungstherapie eingenommen wird. Die neue Studie SAKK 08/23 prüft, ob sich diese Wirkung bestätigen oder sogar verstärken lässt, wenn Darolutamid schon von Anfang an zusätzlich zur Standardtherapie und danach als Erhaltungstherapie zum Einsatz kommt.

Die Studie vergleicht die Behandlungsresultate bei 81 Patienten in der Versuchsgruppe mit den Resultaten von 81 Patienten in der Kontrollgruppe, die die Standardtherapie ohne Darolutamid erhält. Der Zufall entscheidet, welche Studienteilnehmer zu welcher Gruppe zugewiesen werden. Insgesamt nehmen 162 Patienten an der Studie teil. (Abb. 1)

Die Studie wird in 11 Behandlungszentren in der Schweiz und in 20 Behandlungszentren in Spanien durchgeführt. Eine erste Datenanalyse erfolgt, nachdem 81 Patienten eingeschlossen wurden; die abschliessende Datenanalyse erfolgt, sobald für 121 Patienten ein Fortschreiten der Krankheit innerhalb der Studie gemeldet wurde.

Eckdaten zur Studie

Studientitel
SAKK 08/23 Addition of Darolutamide to first line treatment of mCRPC: a randomized open label phase II trial

Teilnehmende Zentren
Tumorzentrum Aarau, Kantonsspital Baden, Istituto Oncologico della Svizzera Italiana, Kantonsspital Graubünden, Hôpitaux Universitaires de Genève, Centre hospitalier universitaire Vaudois, Kantonsspital St. Gallen, Kantonsspital Winterthur, Onko­zentrum Zürich, Stadtspital Triemli, Universitätsspital Zürich. Zusätzlich werden 20 Zentren in Spanien an der Studie teilnehmen.

Coordinating Investigator
Prof. Dr. med. Richard Cathomas

Supporting Coordinating Investigator
PD Dr. med. Ursula Vogl, MBA

Clinical Project Manager SAKK
Simone Wyss, SAKK Kompetenzzentrum Bern
trials@sakk.ch

Clin.gov link:
https://clinicaltrials.gov/study/NCT06401980

SAKK-Website
https://www.sakk.ch/en/trial/can-combination-therapy-darolutamide-delay-progression-metastatic-castration-resistant

Prof. Dr. med. Miklos Pless

Winterthur
SAKK Präsident

miklos.pless@ksw.ch

Ausgewählte Studien zu soliden Tumoren

Axillarchirurgie bei Brustkrebs – Primäre Ergebnisse der INSEMA-Studie

Es ist unklar, ob im Rahmen einer brusterhaltenden Therapie auf ein chirurgisches axilläres Staging verzichtet werden kann, ohne das Überleben zu beeinträchtigen. In einer prospektiven, randomisierten Nicht-Unterlegenheitsstudie wurde der Verzicht auf eine axilläre Operation im Vergleich zu einer Sentinel-Lymphknoten-Biopsie bei Patientinnen mit klinisch nodal-negativem invasivem Brustkrebs im Stadium T1 oder T2 (Tumorgrösse ≤5 cm), die für eine brusterhaltende Operation vorgesehen waren, untersucht. Im Folgenden wird die Per-Protocol-Analyse des invasiven krankheitsfreien Überlebens (der primäre Wirksamkeitsnachweis) berichtet. Um die Nicht-Unterlegenheit des Verzichts auf eine axilläre Operation nachzuweisen, musste die 5-Jahres-Rate des invasiven krankheitsfreien Überlebens mindestens 85 % betragen und die obere Grenze des Konfidenzintervalls für die Hazard Ratio für invasive Erkrankung oder Tod unter 1,271 liegen.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 5502 Patientinnen (90% mit klinischem T1 und 79% mit pathologischem T1-Stadium) im Verhältnis 1:4 randomisiert. Die Per-Protocol-Population umfasste 4858 Patienten, von denen 962 für eine Behandlung ohne axilläre Operation (die Nicht-Operationsgruppe) und 3896 für eine Sentinel-Lymphknoten-Biopsie (die Operationsgruppe) ausgewählt wurden.

Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 73,6 Monate. Das 5-Jahres-DFiS betrug 91,9% (95% Konfidenzintervall [CI], 89,9 bis 93,5) für die Patienten in der Gruppe ohne Operation und 91,7% (95% CI, 90,8 bis 92,6) für die Patienten in der Gruppe mit Operation, mit einer Hazard Ratio von 0,91 (95% CI, 0,73 bis 1,14) unterhalb der vordefinierten Nichtunterlegenheitsgrenze. Die Analyse der ersten primären Ereignisse (Auftreten oder Wiederauftreten einer invasiven Erkrankung oder Tod jeglicher Ursache), die bei insgesamt 525 Patienten (10,8 %) auftraten, zeigte Unterschiede zwischen der nicht operierten und der operierten Gruppe hinsichtlich des Auftretens von axillären Rezidiven (1,0 % vs. 0,3 %) und Tod (1,4 % vs. 2,4 %). Die Sicherheitsanalyse deutet darauf hin, dass in der Gruppe ohne Operation weniger Lymphödeme, eine grössere Beweglichkeit des Arms und weniger Schmerzen bei Bewegung des Arms oder der Schulter auftraten als bei den Patienten, bei denen eine Sentinel-Lymphknoten-Biopsie durchgeführt wurde.

Schlussfolgerungen

In dieser Studie an Patientinnen mit klinisch nodal-negativem, invasivem T1- oder T2-Mammakarzinom (90% mit klinischem T1-Mammakarzinom und 79% mit pathologischem T1-Mammakarzinom) war der Verzicht auf ein operatives axilläres Staging nach einem medianen Follow-up von 6 Jahren der Sentinel-Lymphknoten-Biopsie nicht unterlegen.

Quelle
Reimer T et al. Axillary Surgery in Breast Cancer — Primary Results of the INSEMA Trial. N Engl J Med 2024 Dec 12. doi: 10.1056/NEJMoa2412063. Online ahead of print.

Metronomisches Capecitabin plus Aromatasehemmer als Ersttherapie bei Patientinnen mit HR pos./HER2 neg. metastasiertem Brustkrebs – die Phase-III-Studie MECCA

Die Mehrzahl der Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs (MBC) ist hormonrezeptorpositiv, wobei die endokrine Therapie (ET) der Eckpfeiler der Erstbehandlung ist. Trotz des anfänglichen Ansprechens entwickeln jedoch praktisch alle Patientinnen schliesslich eine Resistenz gegen der ET, was zum Versagen der Behandlung führt (1-4). Bemühungen, diese Resistenz zu überwinden oder zu verzögern, wie der Einsatz von Hemmstoffen der Cyclin-abhängigen Kinase 4 und 6 (CDK4/6) oder des Mammalian Target of Rapamycin (mTOR)-Inhibitors Everolimus, haben bedeutende Erfolge gezeigt (5-10). Dennoch besteht nach wie vor Bedarf an neuartigen Kombinationsstrategien, um die Überlebenschancen von Patientinnen mit MBC mit Hormonrezeptor-positiver, humaner epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptor-2 (HER2)-negativer Erkrankung weiter zu verbessern.

Die Auswirkungen einer metronomischen Chemotherapie in Kombination mit einer endokrinen Therapie wurden kürzlich in einer randomisierten klinischen Phase-III-Studie untersucht (11.)

Methoden

Diese randomisierte Studie wurden an 12 Zentren in China vom 22. August 2017 bis zum 24. September 2021 durchgeführt, die letzte Nachuntersuchung fand am 25. August 2023 statt. Eingeschlossen wurden Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem, humanem epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor 2 (HER2)-negativem metastasiertem Brustkrebs (MBC), die keine vorherige systemische Therapie für die metastasierte Erkrankung erhalten hatten. Die Teilnehmerinnen entweder einer metronomischen Behandlung mit Capecitabin plus einem Aromatasehemmer (AI) oder einer alleinigen AI-Therapie zugewiesen. Der primäre Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS). Zu den sekundären Endpunkten gehörten das Gesamtüberleben (OS), die objektive Ansprechrate, die Krankheitskontrollrate (definiert als Krankheitskontrolle für ≥24 Wochen) und die Sicherheit.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 263 Patienten randomisiert, von denen 254 die vollständige Analysegruppe bildeten. Während der medianen Nachbeobachtungszeit von 50,7 Monaten traten 203 PFS-Ereignisse auf. Der metronomische Capecitabin-plus-AI-Arm wies ein medianes PFS von 20,9 Monaten auf, verglichen mit 11,9 Monaten im AI-Arm (Hazard Ratio [HR], 0,58 [95% CI, 0,43 bis 0,76]). Das mediane OS wurde in der Kombinationsgruppe nicht erreicht und lag in der AI-Gruppe bei 45,1 Monaten (HR, 0,58 [95 % CI, 0,37 bis 0,93]). Die häufigsten unerwünschten Ereignisse waren palmar-plantare Erythrodysästhesie und periphere Neuropathie; Ereignisse des Grades 3 traten bei 15,1 % der mit der Kombination behandelten Patienten auf.

Schlussfolgerung

Die MECCA-Studie zeigte bei Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem+/HER2-negativem MBC eine signifikante Verbesserung des PFS und OS unter metronomischer Erstlinientherapie mit Capecitabin plus AI im Vergleich zu AI allein. Beide Behandlungsarme wiesen ein tolerierbares Sicherheitsprofil auf, das mit früheren Berichten übereinstimmt.

Quelle
Hong R-X et al. Metronomic Capecitabine Plus Aromatase Inhibitor as Initial Therapy in Patients With Hormone Receptor–Positive, Human Epidermal Growth Factor Receptor 2–Negative Metastatic Breast Cancer—The Phase III MECCA Trial. J Clin Oncol 2025 Jan 2:JCO2400938. doi: 10.1200/JCO.24.00938. Online ahead of print.

Prof. Dr. med. Beat Thürlimann

SwissBreastCare
Bethanienspital
Toblerstrasse 51
8044 Zürich

  1. Cardoso F, Paluch-Shimon S, Senkus E, et al: 5th ESO-ESMO international consensus guidelines for advanced breast cancer (ABC 5).Ann Oncol 31:1623-1649, 2020
  2. Milani A, Geuna E, Mittica G, et al: Overcoming endocrine resistance in metastatic breast cancer: Current evidence and future directions.World J Clin Oncol 5:990-1001, 2014
  3. Rugo HS, Rumble RB, Macrae E, et al: Endocrine therapy for hormone receptor-positive metastatic breast cancer: American Society of Clinical Oncology guideline.J Clin Oncol 34:3069-3103, 2016
  4. Hong R, Xu B: Breast cancer: An up-to-date review and future perspectives.Cancer Commun (Lond) 42:913-936, 2022
  5. Sledge GW Jr, Toi M, Neven P, et al: MONARCH 2: Abemaciclib in combination with fulvestrant in women with HR+/HER2- advanced breast cancer who had progressed while receiving endocrine therapy. J Clin Oncol35:2875-2884, 2017
  6. Hortobagyi GN, Stemmer SM, Burris HA, et al: Ribociclib as first-line therapy for HR-positive, advanced breast cancer.N Engl J Med 375:1738-1748, 2016
  7. Finn RS et al: Palbociclib and letrozole in advanced breast cancer. N Engl J Med 2016 ; 375:1925-1936
  8. Fan Y et al: Effectiveness of adding everolimus to the first-line treatment of advancedbreast cancer in premenopausal women who experienced disease progression while receiving selective estrogen receptor modulators: A phase 2 randomized clinical trial. JAMA Oncol 2021 ;7:e213428
  9. Dickler MN et al: MONARCH 1, a phase II study of abemaciclib, a CDK4 and CDK6  inhibitor, as a single agent, in patients with refractory HR1/HER2– metastatic breast cancer. Clin Cancer Res 2017 ; 23:5218-5224
  10. Cristofanilli M et al: Fulvestrant plus palbociclib versus fulvestrant plus placebo for  treatment of hormone-receptor-positive, HER2-negative metastatic breast cancer that progressed on previous endocrine therapy (PALOMA-3): Final analysis of the multicentre, double-blind, phase 3 randomised controlled trial. Lancet Oncol 2016 ; 17:425-439 Hong R-X et al. Metronomic Capecitabine Plus Aromatase Inhibitor as Initial
  11.  Therapy in Patients With Hormone Receptor–Positive, Human Epidermal Growth Factor Receptor 2–Negative Metastatic Breast Cancer—The Phase III MECCA Trial. J Clin Oncol 2025 Jan 2:JCO2400938. doi: 10.1200/JCO.24.00938. Online ahead of print

Ausgewählte Studien aus der Hämato-Onkologie

Zanubrutinib, Obinutuzumab und Venetoclax zur Erstlinienbehandlung des Mantelzelllymphoms mit einer TP53-Mutation

Das Mantelzell-Lymphom tritt in der häufigsten nodulären Variante, einer relativ benignen SOX11-negativen leukämischen Variante und einer aggressiven blastoiden Morphologie auf. Die TP53-Mutation ist mit hoher Aggressivität, kurzer Ansprechdauer und hoher Mortalität assoziiert.
In dieser Phase II Studie wurde die Kombination des Bruton Kinase Inhibitors Zanubrutinib, des CD20 monoklonalen Antikörpers Obinutuzumab und des BCL2 Inhibitors Venetoclax (BOVen) bei neu diagnostizierten Mantelzelllymphompatienten mit TP53 Mutation untersucht. Venetoclax wurde ab Zyklus 2 gegeben, Obinutuzumab weniger häufig ab Zyklus 2. Die maximale Zykluszahl betrug 24 für Patienten in MRD negativer CR.

25 Patienten wurden eingeschlossen. Die Ansprechrate war 96% (24/25) und die CR Rate 88% (22/25). Die MRD-Negativität nach 13 Behandlungszyklen lag bei 84% (16/19). Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 28 Monate, das 2-Jahres-PFS 72 %, 91 % bzw. 76 %. Die Nebenwirkungen waren wie bei diesen Medikamenten zu erwarten.
www.clinicaltrials.gov #NCT03824483

Literatur
Anita Kumar, Jacob Soumerai, Jeremy S. Abramson et al.
BLOOD 2025; 145: 497-507

Sieben-Jahres-Ergebnisse der Venetoclax-Ibrutinib-Therapie bei Mantelzelllymphom

Wie oben beschrieben, werden beim Mantelzell-Lymphom Chemotherapie-freie Strategien untersucht. Es handelt sich um eine Phase II Studie mit dem Bruton Kinase Inhibitor Ibrutinib in Kombination mit dem BCL2 Inhibitor Venetoclax bei 24 Patienten mit rezidiviertem/refraktärem Mantelzelllymphom. Die Kombination Ibrutinib-Venetoclax ist aus der CLL-Therapie bekannt und wurde in Phase III-Studien mit hohem Ansprechen in der Kurzzeittherapie getestet.

Ibrutinib wurde in der Mantelzelllymphom-Dosis von 560 mg qd und Venetoclax in der üblichen Dosis von 400 mg qd verabreicht. In dieser Studie war ursprünglich eine Dauertherapie vorgesehen, in einem Amendment wurde ein Therapieabbruch innerhalb der Studie bei MRD-negativer CR erlaubt. Bei langem Follow-up betrug das PFS nach 7 Jahren 30% (95% CI, 14-49; median 28 Monate) und das Gesamtüberleben 43% (95% CI, 23-62; median 32 Monate). Von 8 Patienten mit einem Therapieunterbruch (58 Monate) kam es bei 4 zu einem Rezidiv. Über unerwartete Nebenwirkungen wurde nicht berichetet. Insgesamt kann diese Kombination bei einem Teil der Patienten mit R/R MCL zu langanhaltenden Remissionen führen.
www.clinicaltrials.gov #NCT02471391

Literatur
Sasanka M. Handunnetti, Mary Ann Anderson, Kate Burbury, et al
BLOOD 2024; 144:867-872

Die Dosisintensität von Dexamethason hat keinen Einfluss auf die Ergebnisse bei neu diagnostiziertem multiplem Myelom

Dexamethason in hoher Dosierung mit Tagesdosen 20mg bis 40mg gehört zur Induktionstherapie beim Plasmazellmyelom; die wahrscheinlich häufigst verwendete Kombination ist Dexamethason, das Imid Lenalidomide, der Proteasomhemmer Bortezomib und der monoklonale CD38 Antikörper Daratumumab.

Die Steroidtoxizitäten (Hyperglykämie, Schlaflosigkeit, psychomotorische Unruhe, Immunsuppression und im Verlauf Cushing-Syndrom, Osteoporose, Muskelschwund) sind gut bekannt.

In der ECOG E4A03-Studie wurde Dexamethason 40 mg einmal wöchentlich mit höheren Dosen von Dexamethason (40 mg d1-4) verglichen, und die einmal wöchentliche Dosis erwies sich aufgrund der geringeren Mortalität als überlegen. Diese Dosis (40 mg einmal wöchentlich oder die gleiche Dosis über 2 Tage verteilt) ist in verschiedenen Schemata enthalten.

In der hier vorliegenden Arbeit wurden die Daten der Myelom Studien für Erstinduktionen SWOG 0777 und SWOG 1211 gepooled. Die Studien hatten Lenalidomid-Dexamethason mit oder ohne Bortezomib und mit oder ohne Elotuzumab (ein SLAMF7-Antikörper) untersucht. Die Patienten wurden hinsichtlich der tatsächlich verabreichten Dexamethason-Dosis untersucht (Verabreichung nach Protokoll versus Verabreichung einer niedrigeren Dosis). Eine Dexamethason Dosisreduktion war per Studienprotokoll für Nebenwirkungen erlaubt.
541 Patienten konnten evaluiert werden. Dexamethason-Dosisreduktionen waren bei 373 (69 %) vorgenommen worden. Es gab keine Unterschiede in PFS oder OS in der Volldosis oder reduzierten Dosis Dexamethason Gruppen. Die Studie wurde dahingehend interpretiert, dass Dosisreduktionen sogar in klinischen Studien sehr häufig vorgenommen werden und dass die wirksame Dexamethason-Dosis, insbesondere in modernen Kombinationen zu evaluieren sei.

Literatur
Rahul Banerjee, Rachael Sexton, Andrew J. Cowan,et al.
BLOOD 2025; 145:75-84

Menin-Hemmung mit Revumenib bei KMT2A-Rearranged-­rezidivierter oder refraktärer akuter Leukämie (AUGMENT-101)

Akute myeloische Leukämie mit KMT2A Rearrangement (= 11q23 Translokationen) ist eine aggressive Krankheiten mit kurzer Remissionsdauer und tiefer Überlebensrate. Menin-Inhibitoren sind oral verabreichbare, kleinmolekulare Hemmer der Menin-Lysin-Methyltransferase 2A (KMT2A)-Interaktion und somit der Bindung des KMT2A-Proteinkomplexes an den entsprechenden Genpromotor.

In dieser Studie erhielten Patienten mit rezidivierter / refraktärer KMT2A rearrangierter akuter Leukämie den Menin-Inhibitor Revumenib.

Die Studie AUGMENT-101 wurde in eine Phase I/II Dosiseskalationsstudie umgewandelt. Patienten mit KMT2A rearrangierter oder mit NPM1-Mutation (gleicher Aktivierungsweg) wurden eingeschlossen und erhielten Revumenib oral zweimal täglich in 4-wöchigen Zyklen.

94 Patienten im Durchschnittsalter von 37 Jahren wurden eingeschlossen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren febrile Agranulozytose (37,2%), Differenzierungssyndrom (16%) und QTc-Verlängerung (13,8%). Hinsichtlich der Wirksamkeit konnten 57 Patienten ausgewertet werden, 23% erreichten eine komplette Remission, insgesamt lag die Ansprechrate bei 63,2% (95% CI, 49,3-75,6).

Literatur
Ghayas C. Issa, MD; Ibrahim Aldoss; Michael J. Thirman, et al.
J Clin Oncol 2024; 43:75-84

Ibrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie im Frühstadium: Die randomisierte, placebokontrollierte, doppelblinde Phase-III-Studie CLL12

Die Kriterien für die Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie sind an die symptomatische Krankheit gebunden, weil frühe Studien gezeigt hatten, dass die Langzeitresultate bei Behandlung im Frühstadium keine Prognoseverbesserung bringen. Diese Studien wurden mit Chemotherapien durchgeführt und somit machte es Sinn, diese Frage im Zeitalter der zielgerichteten Therapien zu überprüfen.

Die Deutsche CLL-Studiengruppe hat deshalb den Bruton Kinase Inhibitor Ibrutinib in einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie mit 363 Patienten auf diese Fragestellung hin untersucht. Patienten mit hohem GCLLSG-Score (bestehend aus klinischen, genetischen, Krankheitsaktivitäts- und Mutationsstatus-Variablen) wurden randomisiert, Patienten mit niedrigem Score nur beobachtet.

Ibrutinib verzögerte die Progression zur symptomatischen CLL signifikant (P < .001; HR, 0.28 [95% CI, 0.19-0.41]), ein Überlebensvorteil wurde jedoch nicht gesehen, allerdings mit nur 26 Todesfällen, aber einer medianen Beobachtungsdauer von 69.3 Monaten. Das 5-Jahres-Überleben betrug 93,3% (95%-KI, 89,3-97,3) in der Ibrutinib-Gruppe und 93,6% (95%-KI, 89,5-97,7) in der Placebo-Gruppe.

Literatur
P Langerbeins, S Robrecht, P Nieper, et al
J Clin. Oncol. 2025: 43; 392-399

Lokale Bestrahlung verbessert die systemische CAR-T-Zell-Wirksamkeit durch Verstärkung der Antigen-Kreuzpräsentation und T-Zell-Infiltration

Über die Wirksamkeit von CAR-T-Zelltherapien gegen das CD19-Antigen bei verschiedenen CD19-exprimierenden B-Zell-Lymphomen wurde auf diesen Seiten bereits mehrfach berichtet. Da diese Therapien in der Regel bei rezidivierten / refraktären Lymphomen eingesetzt werden, ist die Rückfallhäufigkeit hoch. Häufig erhalten die Patienten vor der CAR-T Therapie sogenannte «Bridging Therapien», die mit verschiedenen Modalitäten durchgeführt werden können, u.a. auch mit Bestrahlung.

Dies ist eine tierexperimentelle Studie mit einem CAR-T CD19 positivem Lymphom-Mausmodell. Die Mäuse wurden mit 1 oder 2 niedrigen Dosen (2x4Gy oder 1x8Gy) bestrahlt. In diesem Modell waren die Mäuse Träger von zwei Lymphommanifestationen, von denen nur eine bestrahlt wurde.

Bestrahlung und CD19 CAR-T Therapie hatten einen additiven Effekt auf das Tumorwachstum. Die Bestrahlung führte zu einem erhöhten Ansprechen auf die CAR-T Therapie und dies nicht nur im bestrahlten, sondern auch im nichtbestrahlten Tumor.

Als Erklärung wurden die Aktivierung von Interferon-assoziierten Genen, Tumorantigen-assoziiertes Crosspriming und Epitopspreading gefunden.

Nun bleibt es zu zeigen, dass auch in der klinischen Situation bei Patienten eine solche Strategie Anwendung finden kann.

Literatur
Nektarios Kostopoulos, Francesca Costabile, Elisavet Krimitza,et al.
BLOOD Advances, 2024; 8 :6308-6320

Prof. Dr. med. Jakob Passweg

Klinik für Hämatologie
Hämatologische Diagnostik Labormedizin
Universitätsspital Basel und Blutspendezentrum beider Basel SRK
Petersgraben 4
4031 Basel

jakob.passweg@usb.ch

Patientenforum Onkologie und Hämatologie: Konzept der gemeinsamen Entscheidungsfindung

Unter der Leitung von Prof. Roger von Moos, Leiter des Tumor- und Forschungszentrums am Kantonsspital Chur, diskutierten Ärzte, Patienten, Pflegende und Vertreter von Patientenorganisationen am healthbook Patientenforum vom 18. Januar in Bern, wie das Konzept des «Shared Decision Making» (SDM) in der onkologischen und hämatologischen Praxis besser verankert und mit Leben gefüllt werden kann.

Dr. Ellen Heitlinger, CEO von healthbook, begrüsste die zahlreichen Interessierten, die am Samstagmorgen nach Bern gekommen waren, um sich über ein Konzept zu informieren, das mittlerweile in allen medizinischen Disziplinen Einzug gehalten hat. «Passend zum Weltkrebstag am 4. Februar und im Vorfeld des Darmkrebsmonats März wollen wir den Blick auf die gemeinsame Entscheidungsfindung schärfen», so die Organisatorin des Forums. Dieses verfolge einen ganzheitlichen Ansatz. Nicht nur onkologische, sondern auch chronische Erkrankungen sollen beleuchtet werden, bei denen die gemeinsame Entscheidungsfindung eine ebenso zentrale Rolle spielt. Patientinnen und Patienten setzen in der Regel andere Prioritäten als Ärztinnen und Ärzte, so ist die Verträglichkeit oft wichtiger als die Wirksamkeit einer Therapie. Patientinnen und Patienten sollten daher aktiv in Entscheidungen über die Behandlung ihrer Krankheit einbezogen werden.

Prof. von Moos erinnerte zunächst mit der folgenden Illustration an die Zitate von Snoopy über das Leben und das Glück, «In den letzten Jahren haben wir viel in Bezug auf Multidisziplinarität und Interprofessionalität für den Patienten getan, aber wir hinken noch etwas hinterher, dies gemeinsam mit dem Patienten anzugehen. Im heutigen Patientenforum werden wir verschiedenste Aspekte dieses wichtigen Themas angehen» so der Referent.

Angehörige der Gesundheitsberufe müssen anerkennen, dass ihre Patienten oft mehr über einen bestimmten Aspekt ihrer Behandlungssituation wissen als sie selbst. Sie sind somit auch «Spezialisten», deren Wissen, Meinung und Entscheidungskompetenz respektiert werden muss. Auf dieses «Empowerment» zielt das Konzept der gemeinsamen Entscheidungsfindung ab.

SESSION 1:
Das Konzept verstehen: Shared ­Decision Making in Onkologie und Hämatologie

Grundlagen und Prinzipien der gemeinsamen ­Entscheidungsfindung

«Eine effektive Versorgung in der Onkologie/Hämatologie setzt sich zusammen aus der Wahl der medizinischen Behandlung, der Evidenz der Nachteile und Vorteile, den Bedürfnissen, Werten und Präferenzen des Patienten und einer «präferenzsensiblen» Entscheidung», so PD Dr. med. Martina Kleber, Chefärztin Institut für Allgemeine Innere Medizin, Hirslanden Klinik, Zürich.
Die Phasen des Shared Decision Making sind
Schritt 1: Suche nach der Teilnahme des ­Patienten
Schritt 2: Helfen Sie Ihrem Patienten, Behandlungsoptionen zu erkunden und zu vergleichen
Schritt 3: die Werte und Vorlieben Ihres Patienten einschätzen
Schritt 4: Treffen Sie eine Entscheidung mit Ihrem Patienten
Schritt 5: Bewerten Sie die Entscheidung des Patienten

Konzepte der gemeinsamen Entscheidungsfindung: informierte Entscheidung, wertebasierte Entscheidung, patientenzentrierte Versorgung, Zusammenarbeit, kontinuierlicher, partnerschaftlicher Dialog.

Grundsätze der gemeinsamen Entscheidungsfindung
Evidenzbasierte Information, Deliberation und Abwägung, Einbeziehung des Patienten, Autonomie des Patienten, unterstützendes Umfeld – erleichterter Dialog.
Vorteile von Shared Decision Making: Verbesserte Kommunikation, Patientenzufriedenheit, Therapietreue / Compliance, Positive Auswirkungen auf die Gesundheit des Patienten.

Digitale Entscheidungshilfen
Unterstützung im Vorfeld zur Vorbereitung auf Shared Decision Making. Bereitstellung von standardisierten, meist evidenzbasierten Informationen über Krankheiten, mögliche medizinische Massnahmen und damit verbundene Vor- und Nachteile sowie Risiken. Elektronische bzw. webbasierte Entscheidungshilfen können helfen, Lücken in der Vorbereitung der Patienten zu schliessen und sie so im Prozess des SDM zu unterstützen.

Chatbot als effiziente Hilfe
Textbasierte Dialogsysteme, Chat per Texteingabe oder Sprache mit einem automatisierten System, text- oder sprachbasierter Dialog mit dem Nutzer über eine interaktive Schnittstelle. Dies spart Zeit und bereitet das Gespräch mit dem Arzt vor.

Schlussfolgerungen
– Therapieentscheidungen in der Onkologie/Hämatologie sind komplex
– Gemeinsame Entscheidungsfindung ist ein kontinuierlicher Prozess
– Häufig im Kontext von Breaking Bad News
– Unterstützende Umgebung – erleichterter Dialog
– Unterstützung durch digitale Werkzeuge.

Patientenzentrierte Versorgung durch Shared Decision Making stärken

Erik Aerts, Abteilungsleiter Pflege am USZ betonte die zentrale Rolle der Kommunikation in der gemeinsamen Entscheidungsfindung. Besprechung von Behandlungspräferenzen und -prioritäten zum Verständnis dessen, was Patienten brauchen, um fundierte Entscheidungen zu treffen, sind essenziell. Es sollte effektiv kommuniziert werden, zurück zu den 5 As (Ask, Assess, Advice, Assisst, Arrange), so der Referent.

Aus Sicht der Pflege zeigte Erik Aerts auf, wie sehr klar und respektvoll vermittelte Informationen über Behandlungsoptionen, Risiken und Vorteile einer Krebsbehandlung den Patienten helfen können, fundierte Entscheidungen zu treffen und eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Fachpersonen und Patienten zu schaffen. Er warnte vor unrealistischen Erwartungen und vor den Gefahren von Fehlinformationen aus den Medien oder dem Internet.

Was fehlt oft?
Die Diskussionen über Behandlungen konzentrieren sich oft auf SOM aber Patienten mit hämatologischen Erkrankungen brauchen mehr. Dazu gehören auch Diskussionen über die Planung des Lebensendes, die realistische Prognosen erfordert.

SESSION 2:
Gemeinsame Entscheidungsfindung und die Rolle eines multidisziplinären Tumorboards

Berührungspunkte zwischen gemeinsamer Entscheidungsfindung und einem multidisziplinären Tumorboard

Zu den Beziehungen und Problemen zwischen gemeinsamer Entscheidungsfindung und den Entscheidungen des Tumorboards referierte Dr. Michael Montemurro, Clinique Genolier Genf.

Teamarbeit findet in der Krebsmedizin bereits innerhalb der Ärzteschaft statt. Die behandelnden Onkologen, Pathologen, Radiologen sowie organspezialisierte Fachärzte treffen sich in multidisziplinären Tumorboards und beleuchten und bewerten Diagnosen, Therapieentscheidungen und Therapieverläufe aus unterschiedlichen Perspektiven. Im anschliessenden Gespräch mit dem Patienten kann sich der Weg der gemeinsamen Entscheidungsfindung ebenso komplex gestalten wie die Therapieauswahl selbst. Denn die Patientenpräferenzen können sich unter anderem auf die Wahl der Therapieziele (z.B. Heilung oder Verbesserung der Lebensqualität), die Art der Therapie (Chemotherapie oder Immuntherapie) sowie die jeweiligen Risiken und Nebenwirkungen beziehen. Abschliessend verwies der Referent auf die Ergebnisse einer Umfrage zu wahrgenommenen Hindernissen und benötigten Ressourcen:
– Der Patient ist mit der Entscheidung überfordert (53%),
– Der Patient möchte, dass sein Arzt die Entscheidung trifft (46%)
– Der Patient hat eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz (46%)
– Ich wurde nicht ausreichend geschult, um an der gemeinsamen Entscheidungsfindung teilzunehmen (13%).

SESSION 3:
Fähigkeiten für bessere gemeinsame Entscheidungen stärken: Übungen, die helfen

Welche Kompetenzen müssen verbessert werden und wie?

Der Onkologe Dr. Alexander Meisel (Glarus) betonte die grosse Bedeutung des kontinuierlichen Dialogs mit den Patienten. Ausreichend Zeit, klare Kommunikation, gute Vorbereitung sowie der Einsatz von verständlichen Materialien und Bildern seien dabei entscheidend. Wichtige Voraussetzungen für ein erfolgreiches Shared Decision Making seien zudem verlässliche Diagnosedaten, zeitnahe Laborergebnisse und leicht zugängliches Informationsmaterial.

Der Referent betonte, dass Ärzte und Patienten zu jedem Zeitpunkt der Behandlung ein Behandlungsteam bilden und vor allem immer auf dem neuesten Stand der Behandlung sein sollten. Wenn Disease Management keine Worthülse bleiben solle, müsse es zeigen, dass es mehr als ein theoretisches Konzept sei. Deshalb müssten sich alle an der Behandlung und Betreuung Beteiligten täglich für eine vertrauensvolle, partnerschaftliche und transparente Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten einsetzen, so der Referent. Ziele einer partizipativen Behandlungsentscheidung sollten sein, so Dr. Meisel:
– Die Präferenzen des Patienten genau kennen
– Patienten bestmöglich und verständlich informieren
– Trotz der Präferenzen des Patienten die bestmögliche Behandlungsentscheidung treffen, insbesondere wenn mehrere Optionen zur Verfügung stehen
– Gesamtüberleben
– Tumorkontrolle
– Nebenwirkungen
der Wahrheit so nahe wie möglich kommen.

Partizipative Behandlungsentscheidung SDM – Was bevorzugen die Patienten?
Eine Untersuchung an 1081 Patienten (48.6% weiblich) ergab die folgenden Resultate

– 402 Patienten (37.2%) bevorzugen die Kontrolle über ihre Behandlung zu behalten
– 400 Patienten (37.0%) bevorzugen die Kontrolle mit ihrem Arzt zu teilen
– 279 Patienten (25.5%) bevorzugen die Kontrolle dem behandelnden Arzt zu überlassen.
– Bei Patienten zwischen 18 und 40 Jahren war die Wahrscheinlichkeit höher, die Kontrolle über die Behandlung selbst behalten zu wollen. Ein gleicher Trend war bei höherer Bildung und höherem Einkommen zu beobachten.
– Patienten mit metastasierter Erkrankung wollten häufiger eine gemeinsame Entscheidungsfindung.

Partizipative Entscheidung/SDM: Auswirkungen auf den ­Praxisalltag und Patienten
Es wurde festgestellt (Abukmail E et al. Pat Educ Count 2024 Dec; 129:1o8408), dass die Umsetzung von SDM in der Regel weder Kosten noch die Konsultationszeit erhöht, während es für bestimmte Bevölkerungsgruppen neutrale bis positive Auswirkungen auf die Ergebnisse und die Qualität hat. Es bestehen weiterhin Wissenslücken, einschliesslich einer besseren Erforschung des Klimas, in dem SDM am effektivsten ist.
Wichtige Voraussetzungen für eine partizipative Behandlungsentscheidung: die persönliche Meinung des Referenten
– Patient und behandelnder Arzt sollten immer ein Behandlungsteam sein
– Wir sind Berater – keine Patriarchen
– Alle Hindernisse sollten uns nicht davon abhalten, eine bestmögliche, patientenorientierte Behandlung zu bieten
– SDM spart am Ende Zeit und Energie

SESSION 4:
Patientenforum Perspektiven von Patientinnen und Patienten erforschen

Rosmarie Pfau aus Aesch, Gründerin und Präsidentin des Patientennetzes Lymphome Schweiz (lymphome.ch), war selbst Lymphom-Patientin. Sie berichtete von den Erfahrungen von Patienten mit dem Thema gemeinsame Entscheidungsfindung im Alltag. Dabei stützte sie sich ­insbesondere auf Daten einer Umfrage des Lymphom-Patientennetzes.

Die Befragung ergab, dass etwa 30% der Patienten stärker in den Entscheidungsprozess einbezogen werden könnten, was die Behandlungserfahrung verbessern und eine stärkere Patientenorientierung ermöglichen würde. 40% der Patienten würden Therapieentscheidungen lieber gemeinsam mit dem behandelnden Arzt treffen. Rosmarie Pfau betonte, wie wichtig eine auf den Patienten und seine persönlichen Lebensumstände zugeschnittene Unterstützung, anschauliches Informationsmaterial und die individuelle Begleitung durch Patientenorganisationen seien.

Gemeinsame Entscheidungsfindung ist sinnvoll, so die Referentin
– bei chronischen und akuten Erkrankungen
– bei Behandlungen mit mehreren gleichwertigen Alternativen
– bei Behandlungen mit grossen Risiken oder Nebenwirkungen
Beteiligung an der Entscheidungsfindung laut Lymphoma Coalition Global Patient Survey 2024/Schweiz: 64% der Patienten wurden in dem Masse in Entscheidungen über ihre Versorgung und Behandlung einbezogen, wie sie es wünschten. 29% fühlten sich bis zu einem gewissen Grad so einbezogen, wie sie es wünschten 4% wünschten sich eine stärkere Einbeziehung 1% wünschten sich keine Einbeziehung.
Als besonders wichtig erachtet die Referentin die Information und Erklärung der empfohlenen Therapieoptionen, die Information über mögliche Nebenwirkungen, die Berücksichtigung ihrer beruflichen Situation, d.h. eine Therapie, bei der sie weiterarbeiten kann, die Entscheidung gemeinsam mit dem Arzt zu treffen.

Gemeinsame Entscheidungsfindung aus Sicht der Patientenbetreuung

Darüber, wie sich die Umsetzung des Konzepts der gemeinsamen Entscheidungsfindung im Alltag aus der Perspektive der Patientenbetreuung und Pflege gestaltet, sprach die diplomierte Pflegefachfrau Onkologie, Rita Deininger, vom Tumor und BrustZentrum,St. Gallen.

Sie verglich den Prozess mit einer Bergtour, bei der ein guter Führer dank vorausschauender Planung auch auf schwierige Wetterbedingungen vorbereitet ist. Zusammen mit einer Haltung im Sinne «Hope for the best, be prepared for the worst» würden Weitsicht, Vertrauen und enge Zusammenarbeit zwischen Patienten, Angehörigen und medizinischen Fachpersonen Patienten gerade in schwierigen Situationen unterstützen. Zum Beispiel bei der Frage, wie es weitergeht, wenn eine Palliativpflege im Raum steht.

Hinweis:
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personen und Berufsbezeichnungen, die in diesem Text im männlichen Geschlecht aufgeführt sind, gelten daher selbstverständlich gleichermassen für alle Geschlechter.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch