SGLT2-Hemmer oder GLP-1-Rezeptor-Agonist?

Der Einsatz moderner Antidiabetika mit Senkung des HbA1c erstreckt sich heute über verschiedene Erkrankungen: Neben dem Diabetes mellitus Typ 2, werden diese mit und ohne T2DM auch bei kardiovaskulären- und bei renalen-Erkrankungen (CKD) und bei der Adipositas erfolgreich zur Organprotektion und zur Senkung der Mortalität eingesetzt. Auch bei einer Lebersteatose gibt es positive Resultate. Daher findet man in den entsprechenden aktuellen internationalen Leitlinien diese beiden Medikamentenklassen bei Patienten mit entsprechendem Risikoprofil. SGLT2-Hemmer bieten insbesondere bei der Herzinsuffizienz (HI) und bei der CKD deutliche Vorteile, während GLP-1 RA besonders effektiv bei der Reduktion von ischämischen Ereignissen und einer Gewichtsreduktion sind; mit Verbesserung der Stoffwechselparameter. Nach einer soeben publizierten Studie sind sie aber auch bei einem T2DM mit einer CKD bezüglich renaler und kardialer Endpunkte hoch effektiv.

The use of modern antidiabetic drugs with lowering of HbA1c now covers various diseases: In addition to type 2 diabetes mellitus, they are also used successfully with and without T2DM for cardiovascular and renal diseases (CKD) and obesity to protect organs and reduce mortality. There are also positive results in liver steatosis. For this reason, the relevant current international guidelines include these two drug classes for patients with a corresponding risk profile. SGLT2 inhibitors offer particular benefits in heart failure (HF) and CKD, while GLP-1 RAs are particularly effective in reducing ischemic events and weight loss, with improvement in metabolic parameters. However, according to a recently published study, they are also highly effective in T2DM with CKD in terms of renal and cardiac endpoints.
Key words: Type 2 diabetes, cardiovascular and renal diseases, SGLT-2 Inhibitors, GLP-1 RA

Wir haben in dieser Zeitschrift seit September 2023 in verschiedenen Publikationen über den Einsatz der beiden modernen Antidiabetika bei der Herzinsuffizienz (HI), bei kardiovaskulären (cv) Erkrankungen und Diabetes Typ 2 (T2DM), bei der chronischen Niereninsuffizienz (CKD), bei der Lebersteatose und bei der Adipositas berichtet (1-5). Nun möchten wir noch eine kurze Gegenüberstellung vornehmen. Diese beiden Substanzklassen sind in den aktuellen internationalen diabetologischen, kardialen und nephrologischen Guidelines in der Therapie bei den entsprechenden Erkrankungen oder bei einem entsprechenden Risikoprofil klar verankert (6-8). Multiple Subanalysen zeigen die Anwendbarkeit beider Substanzen u.a. auch bei niedrigem Blutdruck, Komedikation und Vorhofflimmern.

Einsatz in der kardiovaskulären und renalen Prävention und Therapie

SGLT2-Inhibitoren, wie Empa- u. Dapagliflozin, als auch GLP-1 RA, wie u.a. Semaglutid, reduzieren in diversen grossen Studien die jeweiligen MACE-Endpunkte. Diese zeigen signifikante protektive Einflüsse auf einen nicht letalen Myokardinfarkt, nicht letalen Schlaganfall (GLP-1 RA in SELECT (9)), eine Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz (HI), und auf kombinierte Nieren-Endpunkte. Es kommt zu einer Senkung der cv Todesrate. In den aktuellen ESC-Guidelines «Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes» heisst es: «Basierend auf den Studien-Ergebnissen sind GLP-1 RAs zusammen mit den SGLT2-H. eine bevorzugte glukosesenkende Therapie für Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) und atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankung (ASCVD), unabhängig von Überlegungen zur Glukosekontrolle und unabhängig von der Hintergrundanwendung von Metformin. Bei Patienten mit T2DM ohne ASCVD oder schwerer Zielorgan Schädigung, aber mit einem berechneten 10-Jahres-CVD-Risiko ≥10% im SCORE2-Diabetes-Algorithmus kann eine Behandlung mit GLP-1 RAs und/oder SGLT2-H. unabhängig von Überlegungen zur Glukosekontrolle in Betracht gezogen werden, um das kardiovaskuläre Risiko zu verringern» (7). Nach der soeben publizierten FLOW-Studie verringert Semaglutid bei Patienten mit T2DM und einer CKD das Risiko klinisch wichtiger Nierenschäden und des Todes durch kardiovaskuläre Ursachen (10). Am ERA-Kongress 05/2024 wurde gleichzeitig eine neue Metaanalyse mit 8 GLP-1 RA-Studien (inkl. FLOW) präsentiert. Es zeigte sich dabei ein «composite kidney oucome mit einer HR von 0.82 (11).

Vorteile und Anwendungsgebiete der SGLT2-Inhibitoren

SGLT2-Hemmer haben mäßige Vorteile bei einem T2DM bei schwerwiegenden atherosklerotischen unerwünschten kardiovaskulären Ereignissen, die auf Patienten mit etablierten atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen (ASCVD) beschränkt zu sein scheinen. Sie haben jedoch deutliche Vorteile bei der Reduzierung von Krankenhausaufenthalten wegen HI (bis 30%) und des cv Todes mit und ohne T2DM und des Fortschreitens von Nierenerkrankungen, unabhängig von bestehenden ASCVD oder einer HI in der Vorgeschichte (12-15). Bei der HI mit reduzierter Ejektionsfraktion liegen nur überzeugende Daten für SGLT2-H. vor (IA). Die günstige Beeinflussung der cv Endpunkte über das gesamte Spektrum der Ejektionsfraktion ist erstaunlich, liegen doch bei HFpEF und HFrEF unterschiedliche Pathomechanismen zugrunde.
SGLT2-H. reduzieren nach einer grossen neuen Metaanalyse das MACE-Risiko um 9% bei einem breiten Spektrum von Patienten, unabhängig von ASCVD, T2DM, CKD oder anderen wichtigen klinischen Merkmalen zu Studienbeginn. Diese Daten können dazu beitragen, SGLT2-H.-Therapien über das gesamte Spektrum von T2DM-Herz-Kreislauf-Nieren-Erkrankungen hinweg bei der individuellen korrekten Indikation konsequent zu verordnen (16). Nach einem akuten Myokardinfarkt mit erhöhtem Risiko für eine HI konnte mit Empagliflozin nach der EMPACT-MI Studie keine Risikoreduktion für eine Hospitalisation wegen HI oder bezüglich Gesamttod erreicht werden (17).

Vorteile und Anwendungsgebiete der GLP-1 RA

GLP-1 Rezeptor Agonisten reduzieren das Gewicht, verbessern den Blutzuckerspiegel, verringern cv Herz-Kreislauf-Ereignisse bei T2DM und haben zusätzliche kardioprotektive und nephroprotektive Wirkungen. Für die Verhinderung ischämischer Ereignisse gibt es für GLP-1 RA eine überzeugendere Evidenz. Bei einer atherosklerotischen cv Erkrankung mit einem T2DM u./od. Adipositas, wird ein GLP-1 RA (Semaglutid) bevorzugt (4,7). Bei erhaltener LV-Ejektionsfraktion verhindern beide Substanzklassen die Hospitalisierung wegen HI, aber nur GLP-1 RA verbessern die Symptome und die Leistungsfähigkeit. Semaglutid führt bei einer HFpEF bei Adipositas nach einem Jahr zu einer stärkeren Verringerung der mit der HI verbundenen Symptome und körperlichen Einschränkungen sowie zu einem größeren Gewichtsverlust als Placebo, STEP-HFpEF (18).

GLP-1 Agonisten sind vielversprechende Wirkstoffe, um das Risiko des Fortschreitens einer chronischen Lebererkrankung bei Patienten mit gleichzeitigem T2DM zu verringern (19). Nach der aktuellen FLOW-Studie verringert Semaglutid bei Patienten mit T2DM und einer CKD das Risiko klinisch wichtiger Nierenschäden und des Todes durch kardiovaskuläre Ursachen (10). Bei Patienten mit adipositasbedingter Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion und einem T2DM führte Semaglutid 2.4mg s.c. 1x wö nach 1 Jahr zu einer stärkeren Verringerung der Herzinsuffizienzsymptome und körperlichen Einschränkungen sowie zu einem größeren Gewichtsverlust als Placebo (20).
In der Tabelle 1 werden die unterschiedlichen Wirkungen, Studien, Indikationen, NW und weitere Details der beiden Medikamentenklassen zusammengefasst (Tab. 1)

Individuelle Therapieansätze und Kombinationen

Die bisherigen Ergebnisse sprechen für einen individuellen Einsatz der beiden Medikamentenklassen bei verschiedenen kardiovaskulären und nephrologischen Risiko-Patientengruppen mit und ohne T2DM. GLP-1 RA werden heute auch bei cv Erkrankungen und bei der Adipositas erfolgreich eingesetzt (Abb. 1). Die Limitatio bei den GLP-1 RA haben wir erwähnt (5). In einer aktuellen grossen Kohortenstudie mit 15 638 Patienten aus UK bei T2DM war die Kombination aus GLP-1 RA und SGLT-2 H. mit einem deutlich geringeren Risiko für die wichtigen cv Ereignisse und schwere Nierenereignisse im Vergleich zu einer der beiden Wirkstoffklassen allein assoziiert. Die kardiovaskulären Events wurden um 30%, die Nierenereignisse um 57% gesenkt. Verglichen mit dem SGLT2-H. war die Kombination mit einem 29% tieferen Risiko für cv Ereignisse assoziiert; schwere Nierenereignisse hatten ein breites Konfidenzintervall (HR 0,67, 0.32-1.41) (29).

In den neueren grossen GLP-1 RA Studien hatten bisher nur sehr wenig Patienten eine Kombination mit einem SGLT2-H. (3-15%), begann doch die Rekrutierung in die grossen Studien meist vor der Einführung des SGLT2-H. in die Guidelines. Daher bedarf es weiteren Studiendaten bei der Kombination beider Substanzen. Bei der unterschiedlichen Wirkungsweise wird der additive Effekt ws weiter bestätigt werden. GLP1-RA wirken u.a. antioxidativ und antientzündlich, sie hemmen auch die renale Fibrose (10). Über die Wirkungsweise der SGLT2-H. haben wir berichtet (1-5).
Vielversprechend ist auch der duale GLP-1/GIP-Agonist Tirzepatid bezüglich seiner Effekte bei Patienten mit Adipositas – unabhängig von T2DM (30). Outcome Daten werden bald erwartet.

Nach Absetzen dieser Agonisten kommt es wieder zu einer deutlichen Gewichtszunahme. Es bedarf daher immer auch einer nachhaltigen Änderung des Lebensstils wie in allen Guidelines an erster Stelle beschrieben.

Wir hoffen, Ihnen mit dieser kurzen Gegenüberstellung und den vielen Literaturangaben eine Hilfe beim Einsatz dieser beiden Medikamentenklassen im Praxisalltag zu geben. Das Lesen einzelner wichtiger Studien oder Guidelines ist oft sehr hilfreich.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • SGLT2-H. und GLP-1 RA sind in den aktuellen internationalen Diabetes-, Herzkreislauf- und Nephrologie-Guidelines als bevorzugte Therapieoptionen bei T2DM, kardiovaskulären Erkrankungen und bei einer CKD fest verankert.
  • Beide Medikamentenklassen reduzieren signifikant wichtige kardiovaskuläre und renale Endpunkte (Organprotektion) und senken die kardiovaskuläre Sterblichkeit.
  • SGLT2-H. bieten besondere Vorteile bei der Reduzierung der HI-Hospitalisationen und bei der Verzögerung der Nierenfunktionseinschränkung – eGFR und Albuminurie, dies unabhängig vom Vorhandensein eines T2DM, einer atherosklerotischen Erkrankung oder einer CKD.
  • GLP1-RA haben ebenfalls die oben erwähnten Eigenschaften; diese sind bei den einzelnen Medikamenten unterschiedlich ausgeprägt. Sie senken signifikant das Gewicht (Semaglutid) mit Verbesserung des Stoffwechsels. Daher werden sie neu auch bei der Adipositas mit cv Risikofaktoren eingesetzt. Beide Substanzklassen wirken u.a. antioxidativ und antientzündlich, GLP-1 RA hemmen auch die renale Fibrose.

. Dürst U. et al., SGLT2-Hemmer in der Therapie, Teil 1 Herzinsuffizienz, der informierte Arzt 09/2023:25-28
2. Dürst U., SGLT2-Hemmer in der Therapie, Teil 2Niereninsuffizienz, der informierte Arzt 11/2023:14-17
3. Dürst U., Les inhibiteurs du SGLT2 et les GLP-1 RA en hépatologie, la gazette mödicale 01/2024:22-24
4. Vontobel J. et al., ESC-Guidelines, Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes – ein Summary, info@herz+gefäss 02/03/ 2024:10-15
5. Dürst U., Herz und Adipositas, der informierte Arzt, 05/204:21-24
6. Davies MJ. et al., Management of Hyperglycemia in Type 2 Diabetes, 2022. A Consensus Report by the American Diabetes Association (ADA) and the Eu¬ropean Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetes Care. 2022; 45(11):2753-86
7. Marx N. et al., 2023 ESC Guidelines for the management of cardiovascular disease
in patients with diabetes, European Heart Journal 2023 ; 44 (39) : 4043-4140 https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad192
8. KDIGO, Kidney Int Suppl 2022; Clinical Practice Guideline for Diabetes Managment in CKD, Kidney International 2022;102 (suppl.5 S): S1-S127 + www.kdigo.org: KDIGO-2024-CKD-GUIDELINE.pdf
9. Lincoff AM. et al., Semaglutid and Cardiovascular Outcomes in Obesity without Diabetes,
SELECT, N Engl J Med 2023; 389:2221-2232, DOI: 10.1056/NEJMoa2307563
10. Perkovic V et al. Effects of Semaglutide on Chronic Kidney Disease in Patients with Type 2 Diabetes, FLOW-Study, N Engl J Med. 2024. DOI: 10.1056/NEJMoa2403347
11. Tuttle R., Flow Study Results Presentation, New Metaanalysis GLP-1 RA, May 24 2024 12.00-13.15. ERA Congress 2024
12. Anker S.D. et al., Empagliflozin in Heart Failure with a Preserved Ejection Fraction, EMPEROR Preserved, N Engl J Med 2021;385:1451-1461
13. Scott D.S. et al., Dapagliflozin in Heart Failure with Mildly Reduced or Preserved Ejection Fraction, DELIVER, N Engl J Med 2022;387:1089-1098
14. Zelniker TA. et al., SGLT2 inhibitors for primary and secondary prevention of cardiovascular and renal outcomes in type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis of cardiovascular outcome trials. Lancet. 2019; 393(10166):31-39
15. Usman M.S. et al., Effect of SGLT2 inhibitors on cardiovascular outcomes in different patient populations, JACC 2023; 81/25:2377-2387
16. Patel S.M. et al., SGLT2-Inhibitor and Major Adverse Cardiovasc. Outcomes, Circulation 7.4.2024 doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.124.069568
17. Butler J. et al., Empagliflozin after Acute Myocardial Infarction, EMPACT-MI, N Engl J Med. 2024; 390:1455-1466
18. Kosiborod MN. et al., Semaglutide in Patients with Heart Failure with Preserved Ejection Fraction and Obesity, STEP-HFpEF, N Engl J Med 2023;389:1069-1084
19. Wester A. et al., GLP-1 RA and risk of major adverse liver outcomes in patients with chronic liver disease and type 2 diabetes, Gut 2024 ;73 :835-843
20. Kosiborod MN. et al., Semaglutide in Patients with Obesity-Related Heart Failure and Type 2 Diabetes, STEP-HFpEF DM, N Engl J Med 2024;390:1394-1407, DOI: 10.1056/NEJMoa2313917
21. Heerspink HJL. et al., Dapagliflozin in Patients with Chronic Kidney Disease, DAPA-CKD, N Engl J Med 2020 Oct 8 ;383(15):1436-1446
22. Herrington WG. et al., Empagliflozin in Patients with Chronic Kidney Disease, EMPA KIDNEY,
N Engl J Med 2022; 388:117-127
23. Zannad F. et al., SGLT2 inhibitors in patients with heart failure with reduced ejection fraction: a meta-analysis of the EMPEROR-Reduced and DAPA-HF trials. Lancet. 2020;396(10254):819-829
24. Abu-Qaoud MR. et al., Impact of SGLT2 Inhibitors on Atrial Fibrillation Recurrence After Catheter Ablation in Patients with Type-2-Diabetes. JACC Electrophysiology 2023; https://doi.org/10.1016/j.jacep.2023.06.008
25. Dürst U., SGLT2-H. bei Gicht, info @herz+gefäss 02/03/2024: 31
26. Paik JM. et al., SGLT2-I. and Nephrolithiasis risk by Diabetes Typ 2 Patients, JAMA Praktikant Med. 2024 1. März; 184(3):265-274. DOI: 10.1001/jamainternmed.2023.7660
27. Yee Hui Yeo et al., Increased Risk of Aspiration Pneumonia Associated With Endoscopic Procedures Among Patients With Glucagon-like Peptide 1 Receptor Agonist Use, Gastroenterology 2024 Mar 27: S0016-5085(24)00298-1. doi: 10.1053/j.gastro.2024.03.015
28. Sajja A.P. et al., Verschiedenen pharmakologischen Angriffspunkte der beiden Substanzklassen in Abb.1, J Cardiovasc Pharmacal Ther 2019 Sep; 24(5):422-427
29. Simms-Williams N. et al., Effect of combination treatment with glucagon-like peptide-1 receptor agonists and sodium-glucose cotransporter-2 inhibitors on incidence of cardiovascular and serious renal events: population based cohort study, BMJ 2024; 385:e078242 doi: 10.1136/bmj-2023-078242
30. Jastreboff AM. et al., Tirzepatide Once Weekly for the Treatment of Obesity, N Engl J Med. 2022; 387(3):205-16

Wachstumsabklärungen bei Kindern und Jugendlichen

Das Wachstum ist ein guter Indikator für die Gesundheit eines Kindes. Ab dem 2. Geburtstag bis zur Pubertät wächst ein Kind in der Regel im genetisch vorgegebenen Perzentilenkanal. Entwickelt sich die Körpergrösse eines Kindes unterhalb der 3. Perzentile, oberhalb der 97. Perzentile oder verlässt diese plötzlich die ererbte Spur, den Perzentilenkanal, muss man den Ursachen auf den Grund gehen. Die Früherkennung einer Wachstumsstörung ist schon deswegen wichtig, weil für das Wachstum nur ein Fenster von wenigen Jahren zur Verfügung steht. Eine verpasste Wachstumsstörung geht meistens einher mit einem Verlust an Endgrösse. Für den Arzt bedeutet dies, dass er jedes Kind sorgfältig messen und den Wachstumsverlauf dokumentieren muss, aber nur in ganz seltenen Fällen Normabweichungen finden wird. Die Überwachung des Wachstums erfordert Normwerte, die das Wachstum der betreffenden Population korrekt und genau wiedergeben.

Growth is a good indicator of a child‘s health. From the 2nd birthday until puberty, a child generally grows along the percentile curve that is genetically predetermined. If a child‘s height develops below the 3rd percentile, above the 97th percentile or suddenly leaves the inherited track, the percentile channel, the causes must be investigated. Early detection and treatment of growth retardation is important because there is only a window of a few years available for growth. A missed growth disorder is then tantamount to a loss of final adult height. For the doctor, this means that he or she must carefully measure each child and document the course of growth but will only find deviations from the norm in very rare cases. Monitoring growth requires standard values that correctly and accurately reflect the growth of the population in question.
Keywords: Wachstum, Perzentilenkurve, Körpergrösse, Knochenalter

Einleitung

Wächst mein Kind gut oder gar zu gut? Die Bedeutung der Körpergrösse wird offensichtlich immer wichtiger. Immer mehr Eltern sind verunsichert und haben Angst, ihr Kind würde nicht richtig wachsen. Das Bedürfnis nach entsprechender Beratung nimmt nach unserer Erfahrung deutlich zu. Die Eltern kommen mit immer jüngeren Kindern und zunehmend auch mit normalem Wachstum zu uns. Soll man deswegen Verunsicherte abweisen? Das scheint uns keine kluge Massnahme. Wir sehen nämlich auch immer wieder Kinder, bei denen eine Diagnose verpasst wurde und wo die Kinder unnötigerweise deutlich an Endgrösse verloren haben. Es ist unmöglich, die Spreu vom Weizen zu trennen, ohne genaue Analyse des bisherigen Wachstums und Untersuchung des Kindes.

Was heisst eigentlich zu klein?

Die Wachstumsabklärung beginnt mit einer genauen Messung der Körpergrösse, die ab dem 2. Geburtstag stehend mittels reproduzierbarer Technik erfolgen sollte (Abb. 1). Die Fersen sind dabei fest an der Wand. Der Blick muss geradeaus gerichtet sein, mit maximaler Extension am Kopf. Gerade bei jüngeren Kindern ist es hilfreich, die Eltern bei der Messung zu Hilfe zu nehmen, da jüngere Kinder oft auf den Zehenspitzen stehen. Eine Körpergrösse unterhalb der 3. Perzentile ist auffällig und definiert den Kleinwuchs. Dies ist jedoch noch keine Diagnose, sondern ausschliesslich eine statistische Aussage. Neben diesem Vergleich mit den Gleichaltrigen ist der Vergleich mit den Grössen der Eltern wichtig. Wir benutzen sie, um die genetischen Aspekte der Familie zu berücksichtigen. Wir sprechen im Gespräch mit der Familie von «kleiner oder grosser Körpergrösse» (statt «Kleinwuchs» oder «Grosswuchs»), um unnötige Stigmatisierung zu vermeiden. Für die Bestimmung der familiären Zielgrösse dient die Formel:

Zielgrösse = (Grösse Vater + Grösse Mutter /2) – 6.5 cm für Mädchen und + 6.5 cm für Knaben

Diese Formel berücksichtigt die Tatsache, dass der durchschnittliche Grössenunterschied zwischen Frau und Mann 13 cm beträgt.
Bei Eltern mit sehr unterschiedlichen Körpergrössen kann diese Formel irreleiten, weil das Kind die Grösse nur eines Elternteils geerbt haben kann. Deshalb tragen wir auf der Wachstumskurve neben der familiären Zielgrösse auch die geschlechtskorrigierten Grössen der Eltern ein. Für einen Knaben die Grösse seines Vaters und die Grösse seiner Mutter plus 13 cm und für ein Mädchen die Grösse der Mutter und die Grösse des Vaters minus 13 cm. Cave: Die untere Grenze des Wachstums sollte nicht mehr als 3 cm unter der korrigierten Grösse des kleineren Elternteils liegen.

Wachstum

Jeder Mensch trägt einen individuellen, genetisch vorbestimmten Bauplan in sich – auch für sein Wachstum. Wie gross ein Kind schlussendlich wird, hängt von seiner genetischen Disposition ab. Das fetale Wachstum wird vor allem über die Funktion der Plazenta gesteuert. Es kann sein, dass Kinder grosser Eltern klein und Kinder kleiner Eltern gross geboren werden. Diese Unterschiede haben mit der Nährstoffversorgung des Fetus im Mutterleib zu tun. Die notwendigen Anpassungsvorgänge finden in den ersten beiden Lebensjahren statt. Im angelsächsischen Raum spricht man von einem «Catch-up»- bzw. «Catch-down»-Wachstum. Perzentilenwechsel in den ersten beiden Lebensjahren sind deshalb meist normal und kommen häufig vor. Ab dem zweiten Geburtstag bis zum Beginn der Pubertätsentwicklung sollte das Wachstum dann etwa im gleichen Perzentilenkanal erfolgen. Ein Kreuzen der Perzentilen nach dem zweiten Geburtstag muss darum aufmerksam verfolgt und je nach Schweregrad weiter abgeklärt werden.

Wachstumsgeschwindigkeit

Säuglinge wachsen mit einer rasanten Wachstumsgeschwindigkeit von bis zu 25 cm im Jahr. Die meisten Knaben erreichen die Hälfte ihrer Endgrösse im Alter von ca. 2 Jahren, Mädchen mit ca. 19 Monaten. Nach anfänglich schneller Wachstumsrate nimmt die Wachstumsgeschwindigkeit bis zum Beginn der Pubertät auf minimal 3,8 cm pro Jahr ab und steigt danach, abhängig vom Geschlecht, in der Pubertät wieder bis über 10 cm pro Jahr an. Man spricht vom Pubertätswachstumsspurt. Mädchen sind im Durchschnitt mit ca. 15 Jahren ausgewachsen, Knaben mit ca. 17 Jahren.

Zentral bei der Frage, ob eine Normvariante oder eine Störung mit Krankheitswert vorliegt, ist die Wachstumsgeschwindigkeit. Solange ein Kind regelmässig entlang oder parallel zu einer Perzentilenkurve wächst, ist die Wachstumsgeschwindigkeit normal. Liegt die Wachstumsgeschwindigkeit (ausgedrückt in cm pro Jahr) über einen Zeitraum von mindestens 6, besser 12 Monaten unter der 25. Perzentile für das Alter, ist eine Abklärung indiziert. Auch ein beschleunigtes Wachstum vor der Pubertät ist immer pathologisch und sollte gründlich abgeklärt werden (cave: nicht-klassisches Adrenogenitales Syndrom oder andere Ursachen, z. B. idiopathische Pubertas praecox).

Bedeutung des Handröntgenbildes

Zu jeder Wachstumsabklärung gehört ein Handröntgenbild der linken Hand, damit das Knochenalter bestimmt werden kann (Abb. 2). Die Knochenreifung (man spricht auch vom «Knochenalter») ist ein gutes Mass für das biologische Alter. Aufgrund des Handröntgenbildes können erfahrene Ärzte berechnen, wann ungefähr die Pubertätsentwicklung beginnen wird, das heisst, ob sie früh oder spät einsetzen wird. Daraus lässt sich ableiten, wie gross ein Kind letztlich als Erwachsener sein wird.

Gleiches Alter, aber biologisch nicht gleich alt

Die Knochenreifung verläuft normalerweise, zumindest ab etwa dem 5. Lebensjahr, ziemlich linear. Eine Verzögerung oder eine Beschleunigung der Knochenreifung bleibt während Jahren bestehen. Die Extrapolation in die Zukunft der Beziehung des Knochenalters zum chronologischen Alter ist die rationale Basis für Wachstumsprognosen. Wenn das biologische Alter dem chronologischen Alter vorausgeht, beginnt die Pubertät früher und das Kind ist früher ausgewachsen (konstitutionelle Beschleunigung oder Frühentwickler). Umgekehrt kann die Knochenreifung in Bezug auf das chronologische Alter verzögert verlaufen. Dann beginnt die Pubertät verspätet, das Kind wächst länger und ist erst später ausgewachsen als der Durchschnitt der Gleichaltrigen – und zwar in der Regel ohne irgendeine krankhafte Störung (Konstitutionelle Verzögerung bzw. Spätentwickler).

Ist die Knochenreifung bei einem zu kleinen Kind nicht verzögert, ist damit zu rechnen, dass auch die Pubertät nicht verspätet beginnen und eine geringe Erwachsenen­grösse resultieren wird. Wenn der Arzt bei diesem Wachstumsmuster keine krankhafte Störung findet, sondern nur eine Normvariante diagnostiziert, wird er in den meisten Fällen von «familiär kleiner Körpergrösse» sprechen.

Fast alle behandelbaren Wachstumsstörungen, nämlich Zöliakie, Hypothyreose und Wachstumshormonmangel, gehen mit einer Verzögerung des Knochenalters einher. Bei Kindern, die gastroenterologisch völlig beschwerdefrei sind, wird die Zöliakie oft nur aufgrund des verlangsamten Wachstums oder eines verzögerten Pubertätseintritts diagnostiziert.

Tabelle 1 zeigt, welche Blutuntersuchungen bei einem zu kleinen Kind durchgeführt werden sollten.

Syndrome

Kleinwuchs ohne Knochenalterverzögerung und bei normaler Grösse der Eltern lässt sich nicht selten durch eine syndromale Erkrankung erklären. Nahezu alle der ca. 650 Kleinwuchsformen gehören zu den seltenen Krankheiten. Bei Mädchen mit einer deutlichen Abweichung von der familiären Zielgrösse sollte an das Turner-Syndrom gedacht werden. Eine Chromosomenanalyse (respektive eine Zuweisung zu einem Genetiker oder zu einem pädiatrischen Endokrinologen) ist indiziert, auch wenn prima vista keine Dysmorphien festzustellen sind. Diese sind meist so diskret, dass sie vom Ungeübten oft nicht erkannt werden. Das Turner-Syndrom ist mit einer Inzidenz von 1:2500 relativ häufig.
Noch häufiger (1:1000-1:2500 Geburten) und bei beiden Geschlechtern zu finden, ist das Noonan-Syndrom. Hauptmerkmale des Noonan-Syndroms sind der Kleinwuchs, ein charakteristisches Gesicht mit Ptose und auffälligen Ohren, kongenitale Herzfehler, Skelett­anomalien, Kryptorchismus, Fehlbildungen der Lymph­gefässe und eine mehr oder weniger ausgeprägte Entwicklungsverzögerung. Da der Erbgang in fast allen Fällen autosomal-dominat verläuft, ist es wichtig, sich auch die Eltern anzuschauen. Oft findet sich auch bei einem Elternteil ein nicht diagnostiziertes Noonan-Syndrom.

Wachstumshormonmangel

Der Wachstumshormonmangel ist eine komplizierte Diagnose, die auf mehreren Säulen steht. Neben der kleinen Körpergrösse muss eine unzureichende Wachstumsgeschwindigkeit dokumentiert sein. In der Regel fällt die Körpergrösse unter die dritte Perzentile, wenn die Wachstumsgeschwindigkeit unterhalb der 25. Perzentile liegt. Ist das Knochenalter um über 1 Jahr verzögert und das IGF1 (als Marker für die Wachstumshormonaktivität) erniedrigt, also unterhalb von –1 SD, ist die Durchführung von Wachstumshormon-Stimulationstests zu prüfen. Diese stellen zusammen mit der typischen Klinik den Goldstandard für die Diagnose des Wachstumshormonmangels dar. In der Zeit unmittelbar vor der Pubertät sollte ein sogenanntes Priming mit Sexualhormonen (Testosteron oder Estradiol) vor dem Test durchgeführt werden (Abb. 3).

Konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Pubertät bei Knaben

Strenggenommen ist dies keine Diagnose, sondern eine besondere Art des Wachstums und der Pubertätsentwicklung; sie wird auch «Spätentwicklung» genannt. Viele dieser Jugendlichen, vor allem aber junge Männer, leiden im Alter von 14 Jahren sehr unter dieser Verzögerung, so dass es dann sinnvoll sein kann, mit niedrig dosiertem Testosteron die Pubertät zu induzieren. Die Behandlung ist praktisch frei von Nebenwirkungen, sollte jedoch nach ausreichender Berücksichtigung relevanter Differentialdiagnosen (z.B. Hypogonadismus, Wachstumshormonmangel etc.) von darin erfahrenen Kollegen erfolgen. Die Induktion sollte jedoch nicht vor dem 12. biologischen Jahr (Knochenalter) und nicht vor dem 14. chronologischen Jahr erfolgen.

SGA (Small for Gestational Age)

Die meisten für die Schwangerschaftsdauer zu klein geborenen Kinder holen in den ersten zwei Lebensjahren ihr Wachstumsdefizit wieder auf – aber nicht alle. Etwa 10 % der Kinder machen den Rückstand nicht wett. Wenn das Aufholwachstum bis zum 4. Geburtstag nicht erfolgt, haben diese Kinder ohne Behandlung nur eine geringe Chance, ihre durch die Grösse der Eltern genetisch vorgegebene Zielgrösse zu erreichen und bleiben klein. Wir pädiatrischen Endokrinologen sind dankbar, wenn wir die Kinder schon vor dem vierten Geburtstag sehen und untersuchen dürfen. So bleibt uns genügend Zeit, um das Kind genau zu messen und zu untersuchen, um eine Wachstumskurve anzufertigen, die Körperproportionen zu berechnen, und die Eltern genau zu informieren. Die Kriterien für eine Wachstumsbehandlung sind streng. Es wird bis zum 4. Lebensjahr gewartet, ob noch ein Aufholwachstum stattfindet. Andererseits kommt es durch die frühzeitige Aktivierung der Nebennierenrinde häufig zu einer leichten Beschleunigung des Wachstums und damit zum «Herauswachsen» aus den SGA-Kriterien. Eine Wachstumshormonbehandlung ist dann nicht mehr möglich bzw. wird nicht mehr von der Krankenkasse übernommen.

Kriterien der Wachstumshormontherapie bei SGA-Kindern in der Schweiz

1. Geburtsgewicht und / oder Geburtsgrösse ≤–2 SD
2. Kein Aufholwachstum bis zum 4. Lebensjahr
3. Aktuelle Grösse ≤–2.5 SD
4. Wachstumsgeschwindigkeit im letzten Jahr ≤0 SD
5. Angleichung an elterliche Zielgrösse <–1 SD
6. Ein Wachstumshormonmangel und/oder eine ­Hypothyreose müssen vorher ausgeschlossen sein.
7. Andere medizinische Gründe oder Behandlungen, welche eine Wachstumsstörung verursachen könnten, müssen vor Therapie mit Wachstumshormon ausgeschlossen werden.
8. Reevaluation der Therapie nach 1 Jahr: wenn die Standardabweichung der Wachstumsgeschwindigkeit nach 1 Jahr mindestens +1 beträgt, wird die ­Behandlung mit Wachstumshormon weitergeführt.

Und wenn es um Grosswuchs geht?

Liegt die Körpergrösse über der 97. Perzentile, so liegt definitionsgemäss ein Grosswuchs vor. War das Kind «schon immer das Grösste in der Klasse» und ist ein Elternteil auch relativ gross, so liegt wahrscheinlich die häufigste Konstellation vor: familiärer Grosswuchs. Dabei ist zu beachten, dass man bei Knaben die Muttergrösse korrigiert (also +13 cm) und bei Mädchen die Vatergrösse korrigiert (also – 13 cm). Vorsicht ist immer dann geboten, wenn eine Wachstumsbeschleunigung vorliegt, da dieser vermeintliche «Wachstumsschub» in einen Kleinwuchs mündet (z.B. typischerweise bei der Pubertas preacox, weil hier die Knochenreifung beschleunigt verläuft). Ursachen für krankhaften Grosswuchs sind Hormonstörungen (z.B. Überfunktion der Schilddrüse oder der Nebennierenrinden, sowie Störungen von Hoden und Eierstöcken). Wenn die Wachstumsprognosen deutlich über dem familiären Rahmen liegen, müssen Syndrome wie das Klinefelter-Syndrom oder das Marfan-Syndrom in Betracht gezogen werden. Eine Behandlung des Grosswuchses ist medikamentös (hochdosiert Testosteron bzw. Estradiol) oder chirurgisch (Epiphysiodese im Bereich der proximalen Wachstumsfugen am Unterschenkel) möglich. Hierbei gibt es keine allgemein anerkannten Grenzwerte, es zählt der bestehende oder zu antizipierende Leidensdruck.

Neue Wachstumskurven für die Schweiz

Die Überwachung des Wachstums ist eine zentrale Aufgabe der Kinderärzte. Sie können aber diese Aufgabe nur erfüllen, wenn ihnen richtige Normwerte in Form von Perzentilenkurven zur Verfügung gestellt werden. Nur Normwerte, welche die lokalen Wachstumsmuster korrekt und passgenau abbilden, haben die notwendige Trennschärfe, um gesundes von krankhaftem Wachstum abzugrenzen.
Während fast alle europäischen Länder nationale (landesspezifische) Wachstumskurven einsetzen, werden in der Schweiz immer noch Referenzdaten der WHO empfohlen. Die Daten der WHO für die Altersgruppe der 0- bis 5-Jährigen stammen von Kindern aus Brasilien, Ghana, Indien, Norwegen, Oman. Die Daten der 5- bis 19- Jährigen basieren auf alten (1950 -1970) Erhebungen in US-amerikanischen Staaten bei weissen, schwarzen, hispanischen und asiatischen Kindern. Diese Referenzdaten passen auf die Kinder in der Schweiz in keiner Weise. Studien haben gezeigt, dass die Anwendung der 3. WHO-Perzentile bei europäischen Kindern die Gefahr birgt, dass die Diagnose «Wachstumsstörung» verspätet gestellt oder gar verpasst werden könnten. Das PEZZ, unter der Leitung von Prof. Eiholzer hat sich zum Ziel gesetzt, Ärzten und Eltern in der Schweiz repräsentative Normwerte für Wachstum, Gewicht und den Body-Mass-Index (BMI) zur Verfügung zu stellen. Zusammen mit 64 Kinderarztpraxen und 30 Schulen haben wir von 2017 bis 2019 Wachstums- und Gewichtsdaten bei 36 000 Kindern in der heutigen Schweiz erhoben. Das tatsächliche Wachstum weicht von den seit 2011 in der Schweiz verwendeten WHO-Kurven deutlich ab, insbesondere in Bezug auf die dritte Perzentile für die Grösse und der 97. Perzentile für das Gewicht. pädiatrie schweiz hat die Notwendigkeit für ein Update der Schweizer Wachstumskurven eingesehen und wird 2025 die neuen Wachstumskurven (Eiholzer et al 2019) empfehlen.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Claudia Katschnig

Pädiatrisch-Endokrinologisches Zentrum Zürich AG
Möhrlistrasse 69
8006 Zürich
www.pezz.ch

Dr. med. Ilja Dubinski

Pädiatrisch-Endokrinologisches Zentrum Zürich AG
Möhrlistrasse 69
8006 Zürich
www.pezz.ch

Prof. Dr. med Urs Eiholzer

Pädiatrisch-Endokrinologisches Zentrum Zürich AG
Möhrlistrasse 69
8006 Zürich
www.pezz.ch

Die Autor/-innen haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Nur sehr wenige Kinder leiden effektiv an einer Wachstumsstörung. Die Frage hingegen, ob das Wachstum des Kindes normal sei, wird in der Praxis häufig gestellt.
  • Das Wachstum ist ein Gradmesser für die Gesundheit eines Kindes. So kann jede chronische Allgemeinerkrankung das Wachstum beeinträchtigen.
  • Bei auffälligem Wachstum kann es mitunter schwierig sein, eine Normvariante von einer echten Wachstumsstörung zu unterscheiden.
  • Wenn ein Kind zu gross oder zu klein ist oder falls die Wachstumsgeschwindigkeit nicht normal ist, ist eine klare Diagnosestellung unumgänglich, damit eine behandlungsbedürftige Situation nicht verpasst wird.
  • Jeder Arzt und jede Ärztin, die Kinder behandeln, sind verpflichtet, diese zu messen und das Wachstum zu kontrollieren.

Auf Anfrage bei den Autor/-innen

ChatGPT und KI in der Medizin: Zwischen Revolution und Vorsicht

ChatGPT (Chat Generative Pre-trained Transformer) weckt weltweit in der Medizinbranche sowohl Hoffnung als auch Bedenken. Experten betonen sein revolutionäres Potenzial für den Gesundheitssektor, mahnen aber gleichzeitig zu einer durchdachten Einführung und kritischen Nutzung, um Risiken zu vermeiden. Parallel dazu spielt die Künstliche Intelligenz (KI) eine zunehmend wichtige Rolle in der kardiovaskulären Medizin, insbesondere bei der Segmentierung bildgebender Verfahren. Ein Vergleich innerhalb der Medizin zeigt, dass sich bis Januar 2023 am meisten FDA (Food and Drug Administration in der USA, ähnlich wie Swissmedic in der Schweiz) -zugelassene Algorithmen in der Radiologie und der Kardiologie etabliert haben. Daher ist die kardiovaskuläre Bildgebung eines der wichtigsten Gebiete für die Anwendung von KI.

ChatGPT (Chat Generative Pre-trained Transformer) is raising both hopes and concerns in the medical industry worldwide. Experts emphasize its revolutionary potential for the healthcare sector, but at the same time urge thoughtful introduction and critical use in order to avoid risks. At the same time, artificial intelligence (AI) is playing an increasingly important role in cardiovascular medicine, particularly in the segmentation of imaging procedures. A comparison within medicine shows that by January 2023, the most FDA (Food and Drug Administration in the USA, similar to Swissmedic in Switzerland) -approved algorithms will have been established in radiology and cardiology. Cardiovascular imaging is therefore one of the most important areas for the application of AI.
Keywords: Chat GPT, Artificial intelligence (AI), Cardiovascular imaging

ChatGPT, entwickelt von OpenAI, einem Unternehmen mit Sitz in Kalifornien, erfreut sich grosser Beliebtheit und findet bereits im Alltag vielfältige Anwendung, beispielsweise im Bereich Kundenservice und Support, als Assistent für E-Mail und Präsentationserstellung, in sozialen Medien, bei der Programmierung und Software­entwicklung sowie in der Bildung und Lehre.

Was ist eigentlich ChatGPT?

ChatGPT ist ein fortschrittliches Sprachmodell (Large Language Model), das auf der Transformer-Architektur basiert. Es wurde durch die Analyse einer riesigen Menge an Textdaten trainiert, um Sprachmuster, Grammatik und Stil zu erkennen. Der Chatbot wurde mit einem umfangreichen Textdatenkorpus trainiert, der etwa 570 GB an Datensätzen umfasst, einschliesslich Webseiten, Büchern und weiteren Quellen. Dies klingt zwar nach einer sehr grossen Datenmenge, doch da es sich um reine Textdaten handelt und das Modell die Daten nicht selbst speichert, sondern nur auf deren Basis trainiert wurde, ist der tatsächliche Speicherbedarf relativ gering. Das Sprachmodell kann bereits 50 Sprachen und verarbeitet ca. 10 Millionen Anfragen pro Tag von 100 Millionen wöchentlichen Nutzern. Dieses Training ermöglicht es ChatGPT, Texte zu generieren, die in Struktur und Inhalt menschenähnlich sind. Bei der Verarbeitung einer Benutzereingabe zerlegt ChatGPT den Text in kleinere Einheiten, sogenannte Tokens, und generiert daraufhin eine Antwort, indem es das nächste wahrscheinliche Token basierend auf dem Kontext der vorherigen Tokens vorhersagt. Anders gesagt, wenn ich dem System ein Wort eingebe, ermit­telt es anhand statistischer Wahrscheinlichkeiten, welches Wort wahrscheinlich folgen wird. Dieser Prozess ermöglicht es ChatGPT, kohärente und kontextbezogene Antworten zu formulieren. Darüber hinaus kann ChatGPT für spezifische Aufgaben oder Richtlinien feinabgestimmt werden, um bestimmten ethischen oder praktischen Standards zu entsprechen.

In der Praxis kann ChatGPT eine breite Palette von Aufgaben bewältigen, die ein Verständnis natürlicher Sprache erfordern, von der Beantwortung von Fragen bis hin zur Textgenerierung, indem es auf sein umfangreiches Training und seine Fähigkeit, den Kontext zu verstehen, zurückgreift. Also, zusammengefasst, besitzt das Modell kein intrinsisches Wissen, sondern stützt sich auf statistische Analysen. Es ist momentan nicht angebracht, zu behaupten, dass dies der menschlichen Intelligenz in irgendeinem Aspekt gleichkommt. Trotzdem eröffnet es schon jetzt zahlreiche Anwendungsbereiche, einschliesslich in der Herz-Gefässmedizin. Es ist wichtig zu betonen, dass ChatGPT und ähnliche KI-Tools die fachliche Expertise und Urteilskraft von medizinischem Personal nicht ersetzen können.

Einsatz von ChatGPT in der Herz-­Gefässmedizin

Ärzte können ChatGPT für verschiedene Aufgaben nutzen, darunter Informationsrecherche zu medizinischen Themen, Unterstützung bei der Patientenkommunikation durch Generierung verständlicher Erklärungen medizinischer Sachverhalte und Übersetzungen in alle Sprachen, Hilfe bei der Ausbildung und Weiterbildung durch Bereitstellung von Lehrmaterialien und als Hilfsmittel zur Ideenfindung für Forschungsprojekte. Andererseits wird ChatGPT bereits von vielen Patienten genutzt, um bestimmte Diagnosen und Vorschläge selbst zu erforschen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie schnitt sogar ChatGPT besser ab als Fachpersonen, wenn es darum geht, auf Online-Medizinforen zu beraten. Die Studie, durchgeführt auf der Plattform AskDocs mit ca. 452 000 Mitgliedern, die es Menschen ermöglicht, medizinische Fragen zu stellen, die von verifizierten Gesundheitsfachkräften beantwortet werden, sammelte insgesamt 195 Dialoge. In dieser Studie, bei der Patientenfragen aus dem AskDocs-Subreddit von Reddit gesammelt und sowohl von Ärzten als auch von ChatGPT beantwortet wurden, wurden die Antworten von ChatGPT als deutlich besser gewertet. Im Detail wurde die Studie wie folgt durchgeführt: Die ursprünglichen Fragen wurden anschliessend ChatGPT gestellt, dessen Antworten von einem Gremium aus drei lizenzierten Ärzten bewertet wurden. Die Ärzte verglichen die Antworten hinsichtlich Informationsqualität und Einfühlungsvermögen. Jede Bewertung erfolgte auf einer fünfstufigen Skala von «sehr schlecht» bis «sehr gut» für die Qualität bzw. von «nicht empathisch» bis «sehr empathisch» für das Einfühlungsvermögen. In 78,6 % der 585 abgeschlossenen Bewertungen bevorzugte das Gremium die Antworten von ChatGPT gegenüber denen der Ärzte. Die Antworten von ChatGPT waren mit 168 bis 245 Wörtern auch länger als die der Ärzte, die zwischen 17 und 62 Wörtern lagen. Die Antworten der KI wurden zudem signifikant höher sowohl in Bezug auf Qualität als auch Empathie bewertet. Im Durchschnitt erzielten ChatGPTs Antworten eine 4 in Qualität und eine 4,67 in Empathie. Im Vergleich dazu erreichten die Antworten der Ärzte eine 3,33 in Qualität und 2,33 in Empathie. Insgesamt hatte ChatGPT 3,6-mal mehr qualitativ hochwertige Antworten und 9,8-mal mehr empathische Antworten als die Ärzte. Also, KI scheint nicht nur akkurater, sondern auch empathischer zu sein.

Weitere Sprachmodelle

Eine weitere Applikation hat Google entwickelt mit «Google Gemini», vormals bekannt als «Google Bard». Dies widerspiegelt eine revolutionäre Software, die das Potenzial hat, die medizinische Suche und Forschung zu transformieren. Diese KI-basierte Anwendung bietet ähnliche Funktionen wie ChatGPT, ist jedoch speziell darauf ausgerichtet, medizinischen Fachkräften und Patienten massgeschneiderte Unterstützung zu bieten. Gemini ermöglicht es, individuelle Antworten auf komplexe medizinische Fragen zu generieren, fachspezifische Texte zu verfassen und zu bearbeiten sowie bei der medizinischen Forschung und Programmierung von gesundheitsbezogenen Anwendungen zu assistieren. Ein besonderer Vorteil von Gemini ist seine Fähigkeit, selbst in der kostenlosen Version, mit den neuesten medizinischen Informationen zu arbeiten. Neben Gemini hat Google mit Med-PaLM, kurz für «Medical Pre-trained Attention-based Language Model», ein medizinspezifisches Modell präsentiert. Im Gegensatz zu ChatGPT, (KI für allgemeine Zwecke), wurde Med-PaLM speziell für den Einsatz im medizinischen Bereich konzipiert und basiert auf 540 Milliarden Parametern. Ein in Nature veröffentlichter Bericht zeigt, dass die von Med-PaLM erzeugten Antworten «sich sehr akkurat mit den Antworten von Klinikern vergleichen lassen.» Dieser spezial­isierte Ansatz von Google zeigt eine gezielte Bemühung, KI in die Gesundheitssysteme zu integrieren.

Risiken von Sprachmodellen

Obwohl diese neuen Tools in Zukunft nicht mehr wegzudenken sind, ist es auch wichtig, dass man sich der Limitationen und Risiken von solchen KI-gesteuerten Systemen bewusst ist. Anwender, die nicht mit den zugrundeliegenden Prozessen vertraut sind, übersehen leicht, dass auch fortschrittliche KI-Systeme im Kern auf Mustererkennung beruhen und Sätze generieren, die lediglich auf Wahrscheinlichkeitsanalysen basieren. Somit repräsentieren sie, entgegen der durch den Namen implizierten Annahme, keine Intelligenz im herkömmlichen Verständnis. Die Nutzung von ChatGPT in der Medizin birgt Risiken, darunter die Genauigkeit der Informationen, Datenschutzbedenken und die potenzielle Abhängigkeit von KI-gesteuerten Entscheidungen. Fehlinformationen können zu fehlerhaften Diagnosen oder Behandlungsempfehlungen führen. Die Haftung und wer dafür verantwortlich wäre in einem solchen Fall ist nicht geklärt, und ob ein solches System als Medizinprodukt zuerst geprüft und zugelassen werden muss, sind alles offene Fragen. Datenschutz ist ebenfalls kritisch, da sensible Patientendaten geschützt werden müssen. Zudem könnte eine übermässige Abhängigkeit vom KI-System die klinische Urteilsfähigkeit beeinträchtigen. Eine sorgfältige Überwachung und regulative Massnahmen sind notwendig, um diese Risiken zu minimieren. Deshalb ist es wichtig, trotz des enormen revolutionären Potenzials von KI, diese Bedenken bezüglich der Systeme von ChatGPT und Co. ernst zu nehmen und nicht blind den neuen Systemen zu vertrauen, ohne diese zu hinterfragen.

Revolution in der Kardiovaskulären Bildgebung – KI-gesteuerte Diagnostik und Analyse

Künstliche Intelligenz spielt eine zunehmend wichtige Rolle in der kardiovaskulären Medizin, insbesondere bei der Segmentierung bildgebender Verfahren. Ein Vergleich innerhalb der Medizin zeigt, dass sich bis Januar 2023 am meisten FDA (Food and Drug Administration in den USA, ähnlich wie Swissmedic in der Schweiz) -zugelassene Algorithmen in der Radiologie und der Kardiologie etabliert haben. Daher ist die kardiovaskuläre Bildgebung eines der wichtigsten Gebiete für die Anwendung von KI. Algorithmen des maschinellen Lernens (ML) und des Deep Learnings (DL) ermöglichen es insbesondere, Strukturen wie die Herzkammern, den Herzmuskel sowie die Aorta und die Koronargefässe in Echokardiographien, kardiovaskuläre CT- und MRI schnell und akkurat zu identifizieren-, segmentieren- und zu analysieren. Diese Technologie ermöglicht es, die Herzfunktion wie die systolische linksventrikuläre Ejektionsfraktion und den Myokard-Strain innerhalb von Sekunden mit hoher Genauigkeit zu berechnen. Darüber hinaus unterstützt KI bei der Erkennung pathologischer Veränderungen, wie z.B. bei der Diagnose von Herzmuskelerkrankungen oder der Beurteilung von Atherosklerose in den Koronararterien.

Manche Ansätze, die ursprünglich nur für Forschungszwecke entwickelt wurden, haben später ihren Weg in kommerzielle Produkte gefunden und sind bereits im klinischen Alltag im Einsatz. Ein Beispiel für eine bereits eingesetzte Methode ist die automatische Erkennung der Koronarverkalkung im nativen CT, um den Kalziumscore automatisch zu berechnen. Hier werden Voxel, die eine Abschwächung von 130 Hounsfield Units oder mehr aufweisen, automatisch markiert und dem korrekten Koronargefäss zugeordnet. Am Ende wird der Kalziumscore automatisch berechnet und in Relation gesetzt zu den Perzentilen gemäss Alter und Geschlecht (Abb. 2). Dies dient der schnellen Risikostratifizierung, insbesondere von Patienten, bei denen die Entscheidung bezüglich einer Statintherapie aufgrund der Laborwerte und klinischen Daten allein ungenügend ist.

Eine andere Anwendung von KI ist im Bereich des Herz-MRIs. Bei einer Herz-MRI-Untersuchung werden circa 1000 Bilder in verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Sequenzen aufgenommen, die viele Atemanhaltekommandos erfordern. Die Planung dieser Untersuchung ist komplex und nur für speziell ausgebildete und erfahrene Ärzte und Radiologiefachpersonen möglich (Abb. 3). Eine schnellere Untersuchungszeit wäre hier natürlich wünschenswert. Der neue Algorithmus von Heart Vista soll nun Abhilfe schaffen und dabei helfen, Herz-MRI-Untersuchungen mit weniger Fachkenntnissen und deutlich schneller durchzuführen. Dies wird unter dem Slogan «One Click MRI» beworben, wobei das neue Produkt bis zu sechsmal schneller ist als wenn ein Mensch die MRI Untersuchung durchführt, zudem weniger oder sogar keine Atemkommandos benötigt und deutlich weniger Artefakte, insbesondere bei Arrhythmien aufweist. Ein weiteres Herz-MRI-Beispiel ist die automatische Segmentierung des Endokards und Epikards in der Diastole sowie in der Systole. Normalerweise ist dies zeitintensiv, da jede Schicht und jede Phase (typischerweise wird das Herz in 10–14 Schichten zu je 8 mm gescannt, in ca. 25–30 Phasen) bearbeitet werden muss. Dies führt einerseits zu einem erheblichen Aufwand und andererseits zu Unterschieden in den Messwerten zwischen verschiedenen Untersuchern (Interrater-Variabilität) sowie auch innerhalb des gleichen Untersuchers (Intrarater-Variabilität), wenn die gleiche Person den gleichen Patienten später nochmals analysiert. Diese automatische Konturerkennung erfolgt innerhalb von Sekunden und ist sehr genau und hilft diese Messwertunterschiede zu minimieren.

Ein weiteres Produkt für die kardiale Bildgebung kommt von der Firma Caption AI, welches eine innovative Technologie für die Echokardiographie bietet, die medizinisches Personal durch Live-Anleitungen unterstützt, um qualitativ hochwertige Ultraschallbilder zu erfassen. Ein Qualitätsmesser beurteilt live die diagnostische Qualität der Bilder und die Software gibt Anleitungen, wie der Schallkopf gedreht oder gekippt werden soll, um die Bildqualität zu verbessern. Die Anzeige färbt sich grün, sobald die optimale Bildqualität erreicht ist und gleichzeitig werden die Messungen automatisch erhoben. Zudem speichert das System automatisch nur die besten Bilder jeder Scansitzung, was auch Nicht-Experten ermöglicht, am Schluss einen Datensatz an diagnostisch auswertbaren Bildern zu gewinnen.

Eine weitere Firma, US.ai aus Singapur, bietet eine Technologie an, die während der Echokardiographie alle Messwerte laufend generiert und zudem direkt einen Bericht inklusive der Wahrscheinlichkeitsbewertung der Diagnose erzeugt. Dies wird ein enormer Zeitgewinn sein für die Kardiologen/-innen und wird auch helfen, schnell zu entscheiden, welche weiteren Abklärungen indiziert sind.

KI-Technologien zur Segmentierung und Erkennung von Herz-Gefässerkrankungen werden in Zukunft nicht nur dazu beitragen, Diagnosen präziser, personalisierter und schneller zu stellen, aber auch zunehmend ganzheitliche Rollen zu übernehmen. Diese umfassen korrekte Diagnosestellung und den Vorschlag zur individualisierten Therapie, beispielsweise bei der Aortenklappen Stenose durch optimale Klappenselektion (Grösse der Klappe, Zugang minimalinvasiv oder chirurgisch) oder wie eine medikamentöse Therapie aussehen soll (z.B. bei der kardialen Amyloidose oder Entschied einer Defibrillator Implantation bei der hypertrophen Kardiomyopathie) oder Empfehlungen zum weiteren Patienten Monitoring (z.B. wie man kardiale Sarkoidose Patienten nachkontrollieren soll). In dieser Zukunft werden Ärztinnen und Ärzte hauptsächlich eine überwachende und bestätigende Experten Rolle einnehmen, anstatt die Analysen und Berechnungen direkt selber durchzuführen.

(Dieser Text wurde von ChatGPT 4.0 auf Grammatik und Stil korrigiert.)

Zweitabdruck aus info@herz+gefäss 01/24 und 02/24

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. Dr. med. Christoph Gräni

PhD, FESC, FACC, FSCCT, FSCMR
Leiter kardiale Bildgebung
Universitätsklinik für Kardiologie
Inselspital Bern
Freiburgstrasse 18
3010 Bern

christoph.graeni@insel.ch

Es besteht keine Beteiligung des Autors an den erwähnten Produkten, weder in Bezug auf deren Entwicklung noch in
finanzieller Hinsicht.

– https://openai.com/
– https://chat.openai.com/
– https://gemini.google.com/
– https://sites.research.google/med-palm/
– Ayers JW et al. JAMA Intern Med. 2023;183(6):589-596. doi:10.1001/jamainternmed.2023.1838
– Singhal, K et al. Nature 620, 172–180 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06291-2
– https://www.captionhealth.com/technology
– https://vista.ai/
– https://cleerlyhealth.com/
– https://us2.ai/
– https://cleerlyhealth.com/
– Griffin WF et al. JACC Cardiovasc Imaging . 2022 Feb 15;S1936-878X(22)00001-8.
– Ash FM et al. Circ Cardiovasc Imaging . 2019 Sep;12(9):e009303.
– Louhai A. et al. JACC Cardiovasc Imaging. 2023 Nov 27:S1936-878X(23)00473-4.
– Gräni C. Eur Heart J. 2023 Dec 1;44(45):4793-4795

Physikalische Massnahmen bei Arthroseschmerzen und Physiotherapie

Arthrose verursacht starke Schmerzen, die die Mobilität und die Lebensqualität der Betroffenen ­beeinträchtigen. Dies gilt insbesondere für Menschen über 55 Jahren, wobei Frauen häufiger betroffen sind. Physiotherapie, die sich auf die Entwicklung und den Erhalt funktioneller Fähigkeiten konzentriert, ist für die Behandlung von Arthroseschmerzen von entscheidender Bedeutung. Dieser Artikel untersucht die physikalischen Interventionen, die in der Physiotherapie zur Behandlung von Arthroseschmerzen angeboten werden, und hebt ihre Wirksamkeit hervor. Schmerzen sind komplex und erfordern einen individuellen Ansatz. Ein Training, welches die Kräftigung der Muskulatur, die Förderung der Ausdauer, die Verbesserung der Beweglichkeit sowie die Stärkung des Gleichgewichtssinns zum Ziel hat, weist einen klaren Nutzen auf. Ein strukturiertes, auf den Einzelnen zugeschnittenes Programm kann diese Effekte maximieren. Von Massagen und Elektrostimulation wird hingegen abgeraten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein aktiver Lebensstil und angemessene Bewegung eine entscheidende Rolle bei der Schmerzbekämpfung und der Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Arthrose spielen.

Osteoarthritis causes severe pain, impacting mobility and quality of life, especially in those over 55, particularly women. Physiotherapy, focused on developing and preserving functional capacities, is crucial for managing arthritic pain. This article explores physical interventions, highlighting their effectiveness. The complex nature of pain requires an individualized approach. Exercise, including muscle strengthening, endurance, flexibility, and balance, provides benefits. A structured program tailored to the individual can maximize these effects. However, massages and electrostimulation are not recommended. In conclusion, an active lifestyle and tailored exercises play a crucial role in managing pain and improving the quality of life for people with osteoarthritis.
Keywords: Osteoarthritis – Physiotherapy – Pain Management – Exercise Interventions – Quality of Life

Einführung

Arthrose ist eine degenerative Gelenkerkrankung. Sie betrifft alle Gelenke und das sie umgebende Gewebe. Am häufigsten tritt sie in den Knien (85 %), den Hüften, der Wirbelsäule und den Händen auf (1). Sie ist bei Personen über 55 Jahren weit verbreitet (73 %) und betrifft vor allem Frauen (60 %) (1). Die Inzidenz von Knie- und Hüftarthrose nimmt bei beiden Geschlechtern mit zunehmendem Alter stetig zu, während das Risiko für Handarthrose bei Frauen um die Menopause herum am höchsten ist (1).

Dieser Zustand führt zu Schmerzen, Schwellungen und Steifheit, die die Bewegungsfähigkeit des Betroffenen einschränken (1). Von allen Symptomen werden die Schmerzen von den Patienten häufig als am stärksten beeinträchtigend empfunden (2). Arthrose geht mit einer Vielzahl an Einschränkungen einher und stellt für die Betroffenen eine erhebliche und zunehmende gesundheitliche Belastung dar, welche die Lebensqualität beeinträchtigt (2). Aufgrund der kumulativen Auswirkungen der alternden Weltbevölkerung, der zunehmenden Fettleibigkeit, der steigenden Zahl von Gelenkverletzungen und der Inaktivität nimmt dieses bereits schwerwiegende Syndrom weiter zu (2).

Physiotherapie ist eine Therapie, die von Physiotherapeuten an Einzelpersonen und Gruppen durchgeführt wird, um lebenslang ein Höchstmass an Beweglichkeit und Funktionsfähigkeit zu entwickeln, zu erhalten und wiederherzustellen. Physiotherapie ist indiziert, wenn Bewegung und Funktion bedroht sind, z.B. durch Alterung, eine oder mehrere Verletzungen oder Schmerzen sowie verschiedene andere Pathologien (3).
Obwohl Physiotherapie traditionell bei Arthrose und den damit verbundenen Schmerzen verordnet wird, werden den Patienten immer wieder Behandlungen angeboten, deren Wirksamkeit fragwürdig ist. Dieser Artikel befasst sich mit den verschiedenen physikalischen Massnahmen, die in diesem Zusammenhang eingesetzt werden, und ihrer Wirksamkeit.

Schmerzen

Schmerzen bei Arthrose sind sehr heterogen und variieren von Person zu Person und in verschiedenen Stadien der Erkrankung. Diese Komplexität macht es besonders schwierig, den Schmerz zu bewerten. Traditionell wird der Schmerz als nozizeptiv betrachtet, d.h. als Folge einer abnormalen Belastung eines geschädigten Gelenks (4). Einige Patienten weisen jedoch eine entzündliche Komponente in ihrem Schmerzerleben auf. Neuere Studien zeigen auch eine signifikante Prävalenz von neuro­pathischen Schmerzen bei Menschen mit Knie- oder Hüftarthrose von bis zu 23% (4). Im Gegensatz zum nozizeptiven Schmerz, der durch eine tatsächliche Gewebe­schädigung oder potentiell gewebeschädigende Reize ausgelöst wird, entsteht der neuropathische Schmerz durch eine Schädigung des Nervensystems selbst. Ein besseres Verständnis dieser multifaktoriellen Komponenten des Arthroseschmerzes ist für eine bessere Behandlung unerlässlich (4).

Schmerzen bei Kniearthrose sind in der Regel intermittierend und hauptsächlich gewichtsabhängig (mechanisch) (2). Häufig sind intermittierende Schmerzen vorhersehbar, aber wenn sie stärker, häufiger oder unvorhersehbar werden, stufen die Patienten sie häufiger als unerträglich ein. Das Konzept und Verständnis von Attacken, die als «flare-ups» bezeichnet werden, entwickelt sich weiter und wird nun als umfassender als eine einfache Schmerzexazerbation angesehen (2). Entgegen der landläufigen Meinung zeigen konventionelle Röntgen- und MRT-Bilder bei den Betroffenen nur eine mässige Assoziation zwischen struktureller Arthrose und dem Vorhandensein von Schmerzen (2). Obwohl die Arthrose eine grosse medizinische Herausforderung darstellt, ist eine krankheitsmodifizierende Behandlung noch nicht verfügbar. Die medikamentöse Analgesie (Paracetamol und NSAR) ist nach wie vor die bevorzugte Schmerz­therapie (2). Infiltrationen kommen zum Einsatz, wenn die orale Medikation versagt (2). Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, weniger invasive Optionen zu prüfen, bevor grössere Eingriffe vorgenommen werden.

Physiotherapie

Der Physiotherapeut muss den Patienten bei der Durchführung der physikalischen Therapie darauf hinweisen, dass er nicht über seine Schmerzgrenze hinaus trainiert. Eine umfassende Eingangsuntersuchung ermöglicht es dem Therapeuten, ein sinnvolles und wirksames Programm zu entwickeln (5). Im Folgenden werden sehr empfehlenswerte, mässig wirksame und nicht empfehlenswerte Interventionen unterschieden (Abb. 1). Diese Einteilung basiert auf den Ergebnissen klinischer Studien und dem wissenschaftlichen Fortschritt in der Arthrosetherapie.

Massagen

Die wenigen Studien zur Massagetherapie bei Kniearthrose weisen darauf hin, dass sie einen kurzfristigen
Nutzen bei der Linderung von Knieschmerzen haben könnte. Im Allgemeinen wird diese Behandlungsform jedoch nicht empfohlen (6).

Wärme und Kälte

Diese Interventionen umfassen direkte Wärme- und Kältequellen sowie indirekte Wärmequellen wie Diathermie oder Ultraschall. Die Variation der Methoden zur Durchführung der Intervention in den veröffentlichten Studien und die kurze Dauer des Nutzens haben zu einer bedingten Empfehlung geführt (6).

Die Elektrostimulation

Studien, die den Einsatz der transkutanen elektrischen Neurostimulation (TENS) untersuchten, haben gezeigt, dass es keinen Nutzen bei Kniearthrose gibt. Die Studien sind jedoch von geringer Qualität, mit kleinen Stichproben und variablen Kontrollen, was den Vergleich zwischen den Studien erschwert (6).

Die Balneotherapie

Balneotherapie ist die Bezeichnung für die Technik des Badens in Mineralwasser zu Gesundheitszwecken und umfasst auch verwandte Praktiken wie Schlammpackungen. Obwohl einige Studien darauf hindeuten, dass diese Art der Balneotherapie die Schmerzen bei Arthrose
lindern kann, ist die Zahl der qualitativ hochwertigen Studien zu gering, um zu eindeutigen Schlussfolgerungen zu gelangen (7).

Die Wasserübungen, bei denen Muskelaufbau- und Ausdauerübungen in einem Schwimmbecken durchgeführt werden, haben sich jedoch als deutlich vorteilhaft erwiesen, was die Schmerzreduktion und die Funktionsverbesserung betreffen (8). Bemerkenswert ist, dass die Übungen im Wasser im Vergleich zur Übungsgruppe an Land weniger Nebenwirkungen, wie z.B. Beschwerden, aufweisen (9). Die Verbesserungen bei den Schmerzen selbst scheinen jedoch zwischen den beiden Gruppen vergleichbar zu sein (9).

Gehhilfe / Hilfsmittel

Die Verwendung von Gehstöcken wird für Patienten mit Knie- und/oder Hüftarthrose dringend empfohlen, wenn die Krankheit das Gangbild und die Gelenkstabilität stark beeinträchtigt oder starke Schmerzen verursacht (6). Die Verwendung von Knieschonern und/oder Ferseneinlagen ist jedoch umstritten (10).

Körperliches Training

Bewegung im Allgemeinen hat sich als wirksam bei der Schmerzbekämpfung erwiesen (10). Neben der Wirkung auf den Schmerz selbst könnten verschiedene Wirkungsmechanismen vorliegen, wie z.B. die Verbesserung der allgemeinen Funktion, des Selbstbewusstseins, die Verringerung von Depressionen und Angstzuständen (11), die Steigerung der sozialen Interaktion, die Verbesserung der Körperzusammensetzung oder die Verbesserung der Erholung von Knorpelschäden (12). Zu den wichtigsten Komponenten eines jeden Bewegungsprogramms gehören Übungen zur Verbesserung der Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer. Abbildung 2 zeigt die grundlegenden Empfehlungen der American Society of Geriatry (13).

Dehnen
Obwohl Dehnübungen (Stretching) nicht direkt die zugrunde liegenden Ursachen von Osteoarthritis bekämpfen, können sie eine gewisse Linderung der damit verbundenen Schmerzen und Unannehmlichkeiten bewirken. Sanfte Dehnübungen können dazu beitragen, Muskelverspannungen zu lindern und die Entspannung zu fördern (10).

Stärkung der Muskeln
Die Muskeln spielen eine wichtige Rolle in der Biomechanik der Gelenke, da sie Bewegung erzeugen, Belastungen absorbieren und für eine dynamische Gelenkstabilität sorgen. Diese Beteiligung am Anpassungs- und Degenerationsprozess der Gelenke bei Osteoarthritis unterstreicht die Bedeutung der Muskelfunktion bei der Behandlung dieser Erkrankung (14).

Beim Krafttraining ist ein gezielter Ansatz erforderlich, um sowohl den Gelenkschutz als auch die Muskelfunktion im Zusammenhang mit Osteoarthritis zu optimieren. Es hat sich gezeigt, dass Krafttraining die Schmerzlinderung erleichtert und die Stossdämpfungsfähigkeit der Muskeln der unteren Gliedmassen beim Gehen stärkt (11). Wenn die Muskeln in einer Art Kette eingesetzt und statisch trainiert werden, können sie insgesamt als «Stossdämpfer» wirken, um ein verletztes Gelenk zu schützen. Beispielsweise tragen Trizeps, Quadrizeps, Hamstrings, Gesässmuskeln, Bauchmuskeln und Rückenmuskeln zum Schutz der Hüfte bei. Andererseits sind diese Muskeln wichtig für die Funktion und sollten besonders angesprochen werden (15).

Ausdauer
Ausdauertraining kann den Stoffwechsel des Fettgewebes fördern, Muskelatrophie verhindern, die Erholung von Knorpelschäden beschleunigen und Schmerzen reduzieren (12). Die Art des Ausdauertrainings kann vielfältig sein und neben der spezifischen Kräftigung auch ganzheitlichere Aktivitäten wie Gehen, Radfahren oder die Verwendung eines Sitzsteppers umfassen, je nachdem, was für den Patienten am bequemsten und durchführbar ist (15). Laut mehreren klinischen Studien wird auch Kraft- und Ausdauertraining für Patienten mit Kniearthrose empfohlen (9).ance
Das Gleichgewichtstraining hat sich bei Kniearthrose als wirksam erwiesen, da es die Beweglichkeit verbessert und die Schmerzen sowie das Sturzrisiko reduziert. Der direkte Zusammenhang zwischen Gleichgewichtstraining und Schmerzen ist noch nicht eindeutig geklärt (6).

Strukturierte körperliche Übungen
Umfassende Programme haben positive Ergebnisse bei der Linderung der Symptome von Osteoarthritis, einschliesslich der Schmerzen, gezeigt. Ein bemerkenswertes Beispiel ist das Programm GLA:D® (Good Life with osteoArthritis in Denmark), das 2013 in Dänemark und 2019 in der Schweiz eingeführt wurde und speziell für Menschen mit Osteoarthritis in den Knien oder Hüften entwickelt wurde (16). Das Ziel des Schweizer GLA:D® -Programms ist es, die internationalen Empfehlungen in die Praxis umzusetzen und gleichzeitig eine strenge Qualitätskontrolle zu gewährleisten (17). Das Programm kombiniert über mehrere Wochen Beratung, Anleitung und neuromuskuläre Übungen.

Andererseits konnten Gehübungen, die dreimal pro Woche über einen Zeitraum von drei Monaten durchgeführt wurden, in Kombination mit einem anschliessenden Spaziergang nach Hause über einen Zeitraum von 15 Monaten, ebenfalls eine signifikante Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung bewirken (9).

Die Teilnahme an Aktivitäten wie Tai Chi scheint im Vergleich zu anderen gemischten Übungen eine deutlichere Verbesserung der Schmerzen bei Osteoarthritis des Knies zu bewirken. Tai Chi hat gezeigt, dass es nicht nur die Schmerzen, sondern auch die Steifheit, den Muskelaufbau und die Gelenkfunktion bei Personen mit Osteoarthritis des Knies verbessern kann (8). Obwohl Qi Gong und Yoga ähnliche Vorteile haben können, sind weitere Untersuchungen notwendig, um die Vorteile der Schmerzlinderung zu untersuchen (8, 15).

Um eine optimale Verbesserung der Symptome und der Funktion zu erreichen, ist ein Programm aus Einzel- und Gruppentraining, das von einem Physiotherapeuten beaufsichtigt wird und auf das ein Heimprogramm folgt, von entscheidender Bedeutung (15). Programme, die auch eine therapeutische Ausbildung und/oder Unterstützung bei der Gewichtsabnahme beinhalten, scheinen auch bei Knie- und Hüftarthrose wirksam zu sein, um Schmerzen zu reduzieren und die Funktion zu verbessern (12, 18, 19). Es ist nicht ungewöhnlich, dass Patienten während des Trainings Beschwerden in dem betroffenen Gelenk verspüren; dies ist normal und bedeutet keine Verschlechterung der Arthroseerkrankung. Das Tragen von geeignetem Schuhwerk, angemessenes Aufwärmen, eine korrekte Übungstechnik und eine schrittweise Erhöhung der Dosis können diese Symptome verhindern oder begrenzen (15). Eine deutliche Zunahme von Schmerzen und/oder Schwellungen während oder nach dem Training, die mehrere Stunden lang anhält, kann darauf hindeuten, dass eine Änderung des Trainingsprogramms erforderlich ist.

Körperliches Training ist sicher und wird von den meisten Menschen mit Arthrose der unteren Extremitäten auch im fortgeschrittenen Stadium gut vertragen. Es gibt nur wenige Kontraindikationen, die gegen eine körperliche Betätigung aufgrund der Arthrose selbst sprechen, obwohl Komorbiditäten berücksichtigt werden müssen (15).

Übersetzung aus «la gazette médicale» 02/03-2024:
Verbelen D., Lovell-Rod L., Vignaux L.: Douleurs arthrosiques et physiothérapie – Mesures physiques

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

PT MSc Debora Verbelen

Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
Av. de Beaumont 21 bis
1011 Lausanne

debora.verbelen@chuv.ch

PT DPT Lori Lovell-Rod

Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
Av. de Beaumont 21 bis
1011 Lausanne

michelle.lovell-rod@chuv.ch

PT PhD Laurence Vignaux

Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
Av. de Beaumont 21bis
1011 Lausanne

laurence.vignaux@chuv.ch

DIe Autorinnen haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Die physikalischen Massnahmen der Physiotherapie, die bei Schmerzen im Zusammenhang mit Arthrose wirksam sind, lassen sich im Wesentlichen auf körperliche Übungen reduzieren.
  • Der multidimensionale Ansatz, der sich auf angepasste physikalische Massnahmen konzentriert, ermöglicht die Optimierung des Bewegungs- und Funktionspotenzials über die gesamte Lebensspanne. Die verschiedenen Interventionen – Wasserübungen, Krafttraining, regelmässiges Gehen und strukturierte Programme wie GLA:D® – zeigen deutliche Vorteile in Bezug auf die Schmerzlinderung und die Verbesserung der Funktion.
  • Ein aktiver Lebensstil und die regelmässige Teilnahme an geeigneten Übungsprogrammen können bei der Schmerzbekämpfung und der Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Osteoarthritis eine entscheidende Rolle spielen.
  • Aufgrund der Heterogenität der Osteoarthritis sollte die Bewegungstherapie in erster Linie individualisiert und auf den Patienten, seine Krankheit, seinen Zustand und seine Ziele ausgerichtet sein.
  • Die Literatur ist am umfangreichsten für Kniearthrose und dann für Hüftarthrose, je nach der höheren Prävalenz; ­dennoch sprechen die Schmerzen bei Wirbelsäulenarthrose gut auf ganzheitliche Übungen an. Die Literatur über physikalische Massnahmen und Arthrose der Hände ist begrenzt.

1. Organization WH. Arthrose2023 5.1.2024 29.1.2024]. Available from: https://www.who.int/fr/news-room/fact-sheets/detail/osteoarthritis.
2. Hunter DJ, Bierma-Zeinstra S. Osteoarthritis. Lancet. 2019;393(10182):1745-59.
3. Therapy WCfP. Description of physical therapy: Policy statement2019 [cited 2019. Available from: https://world.physio/sites/default/files/2020-07/PS-2019-Description-of-physical-therapy.pdf.
4. Fu K, Robbins SR, McDougall JJ. Osteoarthritis: the genesis of pain. Rheumatology (Oxford). 2018;57(suppl_4):iv43-iv50.
5. van Baar ME, Dekker J, Oostendorp RA, Bijl D, Voorn TB, Bijlsma JW. Effectiveness of exercise in patients with osteoarthritis of hip or knee: nine months‘ follow up. Ann Rheum Dis. 2001;60(12):1123-30.
6. Kolasinski SL, Neogi T, Hochberg MC, Oatis C, Guyatt G, Block J, et al. 2019 American College of Rheumatology/Arthritis Foundation Guideline for the Management of Osteoarthritis of the Hand, Hip, and Knee. Arthritis Care Res (Hoboken). 2020;72(2):149-62.
7. Protano C, Fontana M, De Giorgi A, Marotta D, Cocomello N, Crucianelli S, et al. Balneotherapy for osteoarthritis: a systematic review. Rheumatol Int. 2023;43(9):1597-610.
8. Bannuru RR, Osani MC, Vaysbrot EE, Arden NK, Bennell K, Bierma-Zeinstra SMA, et al. OARSI guidelines for the non-surgical management of knee, hip, and polyarticular osteoarthritis. Osteoarthritis Cartilage. 2019;27(11):1578-89.
9. Golightly YM, Allen KD, Caine DJ. A comprehensive review of the effectiveness of different exercise programs for patients with osteoarthritis. Phys Sportsmed. 2012;40(4):52-65.
10. Hurley M, Dickson K, Hallett R, Grant R, Hauari H, Walsh N, et al. Exercise interventions and patient beliefs for people with hip, knee or hip and knee osteoarthritis: a mixed methods review. Cochrane Database Syst Rev. 2018;4(4):Cd010842.
11. Tarantino D, Theysmans T, Mottola R, Verbrugghe J. High-Intensity Training for Knee Osteoarthritis: A Narrative Review. Sports (Basel). 2023;11(4).
12. Zeng CY, Zhang ZR, Tang ZM, Hua FZ. Benefits and Mechanisms of Exercise Training for Knee Osteoarthritis. Front Physiol. 2021;12:794062.
13. Exercise prescription for older adults with osteoarthritis pain: consensus practice recommendations. A supplement to the AGS Clinical Practice Guidelines on the management of chronic pain in older adults. J Am Geriatr Soc. 2001;49(6):808-23.
14. Valderrabano V, Steiger C. Treatment and Prevention of Osteoarthritis through Exercise and Sports. J Aging Res. 2010;2011:374653.
15. Bennell KL, Hinman RS. A review of the clinical evidence for exercise in osteoarthritis of the hip and knee. J Sci Med Sport. 2011;14(1):4-9.
16. [Available from: www.glaid.dk.
17. [30.1.2024]. Available from: https://gladsuisse.ch/arthrose/.
18. Sinatti P, Sánchez Romero EA, Martínez-Pozas O, Villafañe JH. Effects of Patient Education on Pain and Function and Its Impact on Conservative Treatment in Elderly Patients with Pain Related to Hip and Knee Osteoarthritis: A Systematic Review. Int J Environ Res Public Health. 2022;19(10).
19. Robson EK, Hodder RK, Kamper SJ, O‘Brien KM, Williams A, Lee H, et al. Effectiveness of Weight-Loss Interventions for Reducing Pain and Disability in People With Common Musculoskeletal Disorders: A Systematic Review With Meta-Analysis. J Orthop Sports Phys Ther. 2020;50(6):319-33.

Vitamin D: Was bleibt?

An der diesjährigen Frühjahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) vom 29. bis 31.5.2024 in Basel gab Prof. Thomas Rosemann einen Überblick über die aktuelle Studienlage zur Wirkung von Vitamin D. Die Ergebnisse sind teilweise ernüchternd und sprechen gegen viele der populären Annahmen.

«Vitamin D – immer wenn es um Leben und Tod geht» , «Superhormon Vitamin D – So aktivieren Sie Ihren Schutzschild gegen chronische Erkrankungen», «Gesund in 7 Tagen-Erfolge mit der Vitamin D-Therapie», dies einige Titel zum «Wunderhormon» Vitamin D, wie sie in der Presse in den letzten Jahren erschienen sind. Prof. Dr. Dr. med. Thomas Rosemann, Direktor des Instituts für Hausarztmedizin der Universität Zürich, zeigte anhand wissenschaftlicher Studien und Meta-Analysen eindrücklich auf, was zu Vitamin D tatsächlich wissenschaftlich belegt ist.

Assoziation zwischen Calcium oder Vitamin D und Frakturrisiko

In einer Metaanalyse randomisierter klinischer Studien war die Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln, die Kalzium, Vitamin D oder beides enthielten, im Vergleich zu Placebo oder keiner Behandlung nicht mit einem geringeren Frakturrisiko bei älteren Erwachsenen verbunden, die in der Gemeinschaft leben. Diese Ergebnisse unterstützen nicht die routinemässige Verwendung dieser Nahrungsergänzungsmittel bei älteren Menschen, die nicht in Institutionen leben (Zhao JG et al. Association Between Calcium or Vitamin D Supplementation and Fracture Incidence in Community-Dwelling Older Adults: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA 2017 ;318 :2466–2482).

Vitamin D mit Omega-3 Fettsäuren-Supple­mentierung und Krafttraining

In einer randomisierten Schweizer Studie sprechen die Ergebnisse nicht für den Einsatz von Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren oder einem Krafttrainingsprogramm für diese Therapien bei gesunden älteren Erwachsenen Vitamin D Supplmetireung und kardiovaskuläres (Bischoff-Ferrari H et al..Effect of Vitamin D Supplementation, Omega-3 Fatty Acid Supplementation, or a Strength-Training Exercise Program on Clinical Outcomes in Older Adults: The DO-HEALTH Randomized Clinical Trial. JAMA 2020 Nov 10;324(18):1855–1868).

Vitamin D reduziert das kardiovaskuläre Risiko nicht

In einer weiteren Meta-Analyse mit mehr als 83 000 Probanden aus 21 randomisierten klinischen Studien zur ­Vitamin D-Supplementierung und dem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wurde ebenfalls kein Nutzen für die Einnahme von Vitamin D beobachtet (p=0.69) (Barbarawi M et al. Vitamin D Supplementation and Cardiovascular Disease Risks in More Than 83 000 Individuals in 21 Randomized Clinical Trials: A Meta-analysis. JAMA Cardiol 2019 Aug 1;4(8):765–776.)

Vitamin D und Prävention von Krebs und ­kardiovaskulärer Erkrankung

Die Supplementierung mit Vitamin D führte nicht zu einer geringeren Inzidenz von invasivem Krebs oder kardiovaskulären Ereignissen als Placebo, wie in einer randomisierten Studie bei über 50-jährigen Männern und über 55-jährigen Frauen gezeigt wurde (Manson JA et al. Vitamin D Supplements and Prevention of Cancer and Cardiovascular Disease. N Engl J Med 2019;380:33-44).

Vitamin D und marines Omega-3 bei Vorhofflimmern

Aber auch die Supplementierung mit mariner Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D bei Auftreten von Vorhofflimmern zeigte in einer randomisierten klinischen Studie keinen signifikanten Effekt (Albert CM et al. Effect of Marine Omega-3 Fatty Acid and Vitamin D Supplementation on Incident Atrial Fibrillation:A Randomized Clinical Trial JAMA 2021 16;325:1061-1073).

Vitamin D-Supplementierung bei Depression

In einer Meta-Analyse von randomisserten, kontrollierten Studien an 4385 Teilnehmern war die Supplementierung mit Vitamin D bei älteren Erwachsenen nicht miteiner Verbesserung der Symptome keine signifikante Verbesserung der depressiven Symptome assoziiert (Park Y et al. Vitamin D supplementation for depression in older adults : a meta-analysis of randomized controlled trials. Front Nutr 2023 Jun 21:10:1169436)

Gibt es eine Assoziation zwischen Inflammation und Serum- Vitamin D?

In einer retrospektiven cross-sektionalen Studie, die 25(OH)D-Werte bei 687 gebrechlichen und älteren stationären Patienten untersuchte, wurde kein Hinweis auf einen klinisch relevanten Zusammenhang zwischen Serum-Vitamin D und Serum-CRP als Inflammationsmarker gefunden (Funk L et al. Is there an association between inflammation and serum-vitmain D? – Results of a retrospective analysis of hospitalized geriatric patients . Clin. Interv. Aging 2024;19:763–768).

Geringe Wirkung von Vitamin D bei akuten ­respiratorischen Infekten

Das Ausmass der in einer Analyse beobachteten schützenden Wirkung einer Vitamin D-Supplementierung auf das Risiko eines akuten respiratorischen Infekts ist gering (OR 0.92; 0.86 bis 0.99) (Joliffe DA et al. Vitamin D supplementation to prevent acute respiratory infections: a systematic review and meta-analysis of aggregate data from randomised controlled trials. Lancet Diabetes Endocrinol 2021; 9(5):276–292).

Vitamin D und COVID-19

Die Wirkung einer einzelnen hohen Dosis von Vitamin D3 bei hospitalisierten Patienten mit moderatem bis schwerem COVID-19 wurde in einer randomisierten klinischen Studie untersucht. Es zeigte sich dabei, dass eine einzelne hohe Dosis D3 im Vergleich zu Placebo die Krankenhausaufenthaltsdauer nicht signifikant reduzierte. Die Ergebnisse unterstützen die Verwendung einer hohen Dosis von Vitamin D3 zur Behandlung von mittelschwerem bis schwerem COVID-19 nicht (Murai ICH et al. Effect of a single high dose of vitamin D3 on hospital length of stay in patients with moderate to severe COVID-19 a randomized clinical trial . JAMA 2021 ;325 :1053–1060).

FAZIT

Die jüngsten Meta-Analysen zeigen:
Die Gabe von Vitamin D (in Kombination mit Calcium) hat keinen positiven Effekt auf
• Frakturen und Stürze
• Blutdruck
• Kardiovaskuläre Ereignisse
• Vorhofflimmern
• Tumoren

Auch bei Menschen, die nach (derzeitiger) Definition einen Vitamin D Mangel haben. Dies gilt auch in Kombination mit Omega-3-FS und körperlicher Aktivität.

Vitamin D senkt minim das Risiko für Atemwegsinfekte (0.92; CI 0.86–0.99), die entsprechenden Studien sind aber methodisch oft mangelhaft.
Die Gabe hoher (Bolus-)dosen ist mit einem höheren Frakturrisiko und einer erhöhten Tumorinzidenz assoziiert.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Integrative Medizin: Die «Extended toolbox» für Klinik und Praxis macht beachtliche Fortschritte

«Integrative Medizin» war am SGAIM Frühjahrskongress 2024 in Basel Gegenstand sowohl einer Keynote Lecture (Brent Bauer von der Mayo Clinic, Rochester, NY) als auch einer interaktiven «Beyond Guidelines»-Session (Pierre-Yves Rodondi, Fribourg & Brent Bauer). Das perfekt zum Kongressmotto «Creative Medicine: Renew & transmit» passende Thema stiess beim Publikum auf viel Resonanz, und die Fülle der präsentierten Studiendaten und Erfahrungen war beeindruckend. Genau der Anspruch der Evidenz ist es, die die Integrative Medizin begrifflich von der komplementären und alternativen Medizin abgrenzt, auch wenn viele ihrer therapeutischen Zusatzangebote genau in diesen Bereichen angesiedelt sind.

Prof. Brent Bauer von der Mayo Clinic, Rochester (NY) berichtete am Freitagmorgen vor vollem Plenarsaal über das vor über 30 Jahren ins Leben gerufene «Integrative Medicine Program» der Mayo Clinic. Das Forschungsprogramm basiert auf einer evidenzbasierten Methodik, die wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse aus der Schulmedizin mit den besten verfügbaren Daten aus der komplementären und alternativen Medizin kombiniert.

So definiert das Academic Consortium for Integrative Medicine & Health (ACIMH) zur Förderung integrativer Medizin die integrative Medizin als „die Praxis der Medizin, die die Bedeutung der Beziehung zwischen Arzt und Patient bekräftigt, den ganzen Menschen in den Mittelpunkt stellt, sich auf Evidenz stützt und alle geeigneten therapeutischen Ansätze, Gesundheitsfachleute und Disziplinen einsetzt, um optimale Gesundheit und Heilung zu erreichen“ (1).

Laut Brent Bauer wurden im Rahmen des Integrative Medicine-Programms der Mayo Clinic bis heute 175 klinische Studien mit Patienten, gesunden Probanden und Angehörigen von Gesundheitsberufen durchgeführt und mehr als 400 peer-reviewte Publikationen im Bereich integrative Medizin veröffentlicht: zur Wirkung von Akupunktur, von Mind-Body-Verfahren, von Phytotherapie und natürlichen Nahrungsergänzungsmitten, tiergestützten Therapien, Yoga oder medizinischen Massagen bei Krebs-, Schmerz oder kardiologischen Patienten. Ein aktuelles Pilotprojekt befasst sich mit Roboter- und KI-gestützter Tuina-Massage bei Rückenschmerzen.

Ansätze der integrativen Medizin neu in Onkologie-Leitlinien

Der Einsatz von Integrativen Therapien während und nach der Brustkrebsbehandlung hat mit Unterstützung der ASCO mittlerweile auch Einzug in die in Praxis-Leitlinien der Gesellschaft für Integrative Onkologie (SIO) für das Management von Brustkrebs oder das Schmerzmanagement bei Krebspatienten gehalten (2, 3). So werden beispielsweise Musiktherapie, Meditation, Stressmanagement und Yoga Massage zum Abbau von Angst- und Stresszuständen empfohlen, Meditation, Entspannungsübungen, Yoga, Massagen und Musiktherapie oder gegen Depression und Stimmungsstörungen. Auch zeigen sich Effekte bei der Milderung von Nebenwirkungen von Krebstherapien wie Müdigkeit, Schmerz und Übelkeit.
Im Alltag kommen Methoden der integrativen Medizin als erweitertes Instrumentarium an den verschiedenen Standorten der Mayo Clinic mittlerweile bei jährlich mehr als 100‘000 Patienten pro Jahr zum Einsatz. Auch Pflegehunde sind Teil des Engagements für die Heilung von Körper, Geist und Seele. Die gut ausgebildeten Tiere werden zum Beispiel eingesetzt, um Patienten mit Depressionen durch Erfahrung von Wärme und bedingungsloser Liebe von einem Tier Mut zu machen. Wie Prof. Pierre-Yves Rodondi in der interaktiven Session berichtete, sollen Therapiehunde ab 2025 auch am CHUV eingeführt werden.

Brent Bauer hob in seinem Vortrag auch die Bedeutung des am Institut für komplementäre und integrative Medizin des Universitätsspitals Zürich und der Universität Zürich ansässigen Schweizer Cochrane-Satelliten „Cochrane Complementary Medicine“ hervor. Dessen Ziel ist es, zu systematischen Übersichten über komplementär- und integrativmedizinische Therapien beizutragen und einen evidenzbasierten Ansatz in der Komplementär- und Integrativmedizin zu fördern (4).

Nutzung komplementärer Medizin und SARS-CoV-2-Impfung

Die ebenfalls erwähnte CoviCare-Studie der von Mayssam Nehme, Olivia Braillard, Pierre-Yves Rodondi und Idris Guessous (5) zeige nicht nur, dass ein signifikanter Anteil der Schweizer Bevölkerung komplementäre und alternative Medizin (CAM) während der Pandemie nutzte, sondern dass Teilnehmer/-innen, die komplementäre Medizin nutzten, eine höhere Bereitschaft zur SARS-CoV-2-Impfung aufwiesen – vermutlich aufgrund eines höheren Gesundheitsbewusstseins. Die longitudinale Studie ist ein bedeutender Beitrag zur Forschung im Bereich der integrativen Medizin und zeigt, wie alternative Ansätze die öffentliche Gesundheit und das individuelle Gesundheitsverhalten positiv beeinflussen können.

Das SGAIM-Kongress-Komitee lag recht in der Annahme, dass das Integrative Medicine Program der Mayo Clinic Vorbild und Inspirationsquelle sein könnte, wie eine Kombination aus traditionellen und komplementären Therapien zur Optimierung des Wohlbefindens vieler Patient/-innen beitragen könne. Das Interesse der Teilnehmer in der von Pierre-Yves Rodondi und Brent Bauer gestalteten interaktiven Session war aufgrund des Plenarvortrags am Morgen so gross, dass aufgrund der vielen Fragen an die beiden Referenten nur einer von den vier geplanten Patientenfällen besprochen werden konnte.

In der Schweiz integrieren Ärztinnen und Ärzte Komplementärmedizin in ihre Facharztausbildung, und es gibt zunehmend stationäre Abteilungen für integrative Medizin. Trotz wachsender Angebote übersteigt die Nachfrage nach komplementärmedizinischen Behandlungen das verfügbare Angebot erheblich. Auch die Kostenübernahme der Leistungen der integrativen Medizin ist ein offener Punkt.

Fest steht jedoch, dass alle gefragt sind, im Sinne der Patientinnen und Patienten auch dieses Feld der Gesundheitsversorgung aus ärztlicher bzw. allgemeininternistischer Sicht mit zu gestalten. Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang, die entsprechenden Wünsche der Patient/-innen ernstzunehmen.

Dr. sc. nat. Winfried Suske

1. Academic Consortium for Integrative Medicine and Health, https://imconsortium.org/
2. Lyman GH, et al. Integrative Therapies During and After Breast Cancer Treatment: ASCO Endorsement of the SIO Clinical Practice Guideline. J Clin Oncol. 2018 Sep 1;36(25):2647-2655. doi: 10.1200/JCO.2018.79.2721. Epub 2018 Jun 11.
3. Mao JJ, et al. Integrative Medicine for Pain Management in Oncology: Society for Integrative Oncology-ASCO Guideline Summary and Q&A. JCO Oncol Pract. 2023 Jan;19(1):45-48. doi: 10.1200/OP.22.00622. Epub 2022 Oct 19.
4. Institut für komplementäre und integrative Medizin, Universitätsspital Zürich, https://www.usz.ch/en/department/complementary-and-integrative-medicine/research/
5. Nehme M, et al. Use of complementary medicine and its association with SARS-CoV-2 vaccination during the COVID-19 pandemic: a longitudinal cohort study. Swiss Med Wkly. 2023 Dec 18;153:3505. doi: 10.57187/s.3505