Zeckenstich mit Folgen

Die 27-jährige Patientin entwickelte nach einem periumbilikalen Zeckenstich Fieber, Kopfschmerzen und Lichtempfindlichkeit. An der Zeckenstichstelle trat ein zentral verkrustetes Ulkus mit einer begleitenden schmerzhaften Lymphadenopathie inguinal links auf. Zudem entwickelte die Patientin neurokognitive Einschränkungen. Aufgrund stark erhöhter IgM- und IgG-Titer für Francisella tulariensis konnte eine Tularämie mit Beteiligung des zentralen Nervensystems diagnostiziert werden. Nach zehntägiger Therapie mit Gentamicin und Ciprofloxacin waren die Kopfschmerzen rückläufig, die neurokognitive Symptomatik besserte sich nur langsam.

The 27-year-old patient developed fever, headache, and light sensitivity after a tick bite in the periumbilical region. At the site of the tick bite, a centrally crusted ulcer appeared, accompanied by painful inguinal lymphadenopathy on the left side. Additionally, the patient developed neurocognitive impairments. Due to significantly elevated IgM and IgG titers for Francisella tularensis, a diagnosis of tularemia with central nervous system involvement was made. After a ten-day treatment with gentamicin and ciprofloxacin, the headaches subsided, but the neurocognitive symptoms improved only slowly.
Key words: Tularemia with central nervous affection, tick-borne diseases with central nervous affection, Ulcer following tick bite

Anamnese und Befunde

Die 27-jährige Patientin bemerkte eine Zecke links periumbilikal und entfernte diese. Drei Tage später traten Kopfschmerzen, Lichtempfindlichkeit, Übelkeit und Fieber auf. Sie stellte sich in der hausärztlichen Sprechstunde vor. Bei erhöhten Entzündungswerten (CRP 86 mg/l, Leukozyten 7.3 x 103/µl (Normwerte: CRP < 5 mg/l, Leukozyten 3.9–10 x 103/µl) und Rötung um die Stichstelle verschrieb der Hausarzt in Annahme eines Erythema migrans bei Borrelien-Infektion Amoxicillin für sechs Tage. Die Kopfschmerzen besserten unter Ibuprofen nur temporär. Es persistierte ein «nebliges Gefühl im Kopf». Fünf Tage nach der antibiotischen Therapie stellte sich die Patientin mit einem schmerzhaften Ulkus an der Zeckenstichstelle und linksseitigen Leistenschmerzen auf der Notfallstation vor. In der körperlichen Untersuchung zeigte sich an der Zeckenstichstelle eine fibrinbelegte Wunde mit umgebender Rötung und papulopustulösen Hautveränderungen von etwa 4 x 2 cm mit subkutaner Induration (Abb. 1).

In der linken Leiste fand sich ein 7 mm messender, druckdolenter, verschieblicher Lymphknoten, sonographisch vereinbar mit einer reaktiven Lymphadenopathie. Das CRP war mit 67 mg/l erhöht, die Leukozyten mit 6.61 x 103/µl normwertig. Die Patientin wurde mit symptomatischer Therapie entlassen. Eine Woche später stellte sie sich erneut in der hausärztlichen Sprechstunde vor, da sie zunehmend schwach war und ihrer Arbeit nicht nachgehen konnte. Am Bauchnabel persistierte das eiternde Ulkus. Die Entzündungswerte waren leicht erhöht (CRP 29 mg/l, Leukozyten 6.6 x 103/µl). Bei Verdacht auf eine bakterielle Superinfektion nach Zeckenstich wurde die Therapie mit Clindamycin eingeleitet. In der hausärztlichen Kontrolle zwei Tage später waren die Entzündungswerte leicht rückläufig (CRP 21 mg/l, Leukozyten 7 x 103/µl). Die Patientin und ihr Umfeld berichteten jedoch über eine zunehmende psychomotorische Verlangsamung und Wesensveränderung.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Der erlittene Zeckenstich mit konsekutiver Rötung und Entwicklung eines Ulkus an der Einstichstelle mit begleitender schmerzhafter Lymphadenopathie und neurokognitiven Beschwerden lassen primär an folgende mögliche Krankheitsbilder denken:

Lyme Borreliose

Mit 650 000 bis 850 000 Fällen jährlich ist die Lyme-Borreliose die häufigste vektorübertragene Erkrankung in Europa. Hervorgerufen wird sie durch verschiedene Spezies von Borrelia burgdorferi, gramnegative, anaerobe, spiralförmige Bakterien aus der Familie der Spirochäten. 3 bis 30 Tage nach Übertragung kann sich an der Zeckenstichstelle ein Erythema migrans, ein sich ausbreitender Hautausschlag, entwickeln. Begleitend können selten auch vergrößerte Lymphknoten auftreten. Bei unbehandelten Patienten kann es zu einer Dissemination mit Allgemeinsymptomen, weiteren kutanen Manifestationen, früher Neuroborreliose, Karditis und nach Monaten bis Jahren zu Spätmanifestationen wie Arthritis oder späte Neuroborreliose kommen. Die Hautmanifestationen nach Zeckenstich und neurologischen Symptome unserer Patientin könnten auf eine frühe Lyme-Neuroborreliose hindeuten. Jedoch sah das Hautulkus der Patientin nicht wie ein Erythema migrans aus, dessen Diagnose klinisch erfolgt. Zur Diagnose einer Neuroborreliose muss der Serum-Liquor-Index der spezifischen Antikörper bestimmt werden (1).

Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis wird durch das FSME-Virus aus der Gruppe der Flaviviren hervorgerufen. Nur ein Drittel der Infektionen verläuft symptomatisch. Nach einer Inkubationszeit von vier bis 28 Tagen treten Fieber, Muskelschmerzen und Abgeschlagenheit auf. Nach zwei bis sieben Tagen tritt eine symptomarme, afebrile Phase von etwa zehn Tagen auf, auf die eine zweite febrile Phase mit Meningitis oder Meningoenzephalitis folgt. Während der initialen symptomatischen Phase ist die spezifische serologische Diagnostik noch negativ. In dieser Phase wäre ein Virusnachweis im Blut mittels PCR möglich. In der zweiten Phase ist die serologische Diagnostik positiv (2). Die neurologischen Beschwerden der Patientin könnten zu einer FSME passen, jedoch war der Krankheitsverlauf bei unserer Patientin nicht zweigipflig, sie war durchgehend symptomatisch. Ausserdem treten bei der FSME in der Regel keine ausgeprägten Hautveränderungen an der Zeckenstichstelle auf.

Tularämie

Die Tularämie wird durch das gramnegative, aerobe, fakultativ intrazelluläre Bakterium Francisella tularensis hervorgerufen (3). Die Übertragung erfolgt meist vektorgebunden durch Zecken und Stechmücken. Einen weiteren Übertragungsweg stellt der direkte Kontakt mit infizierten Säugetieren, typischerweise Nagetieren, oder Ingestion von rohem Fleisch eines infizierten Tieres dar. Auch durch kontaminiertes Wasser und Inhalation kontaminierter Aerosole, beispielsweise bei landwirtschaftlicher Tätigkeit, kann die Infektion erfolgen (4–7).

Die Tularämie kann sich durch ein breites Spektrum klinischer Symptome äussern; der Schweregrad reicht von asymptomatisch bis tödlich. Nach einer Inkubationszeit von drei bis fünf Tagen kommt es vom Ort der Infektion aus (je nach Infektionsweg von der Insektenstichstelle, den Konjunktiven, dem Gastrointestinal- oder Respirationstrakt) zur Ausbreitung der Bakterien über das Lymphsystem zu den regionalen Lymphknoten, wo die Replikation stattfindet. Anschliessend erfolgt die Dissemination, während der grippeähnliche Symptome auftreten können. Klassischerweise werden sechs Verlaufsformen unterschieden (7): Bei der ulceroglandulären und glandulären Form kommt es zu regionaler Lymphadenopathie mit (ulceroglandulär) oder ohne (glandulär) Hautläsion. Bei der oculoglandulären Form tritt eine Konjunktivitis mit cervicaler Lymphadenopathie auf. Die oropharyngeale Form präsentiert sich mit einer Pharyngitis und teilweise oropharyngealen Ulcera mit cervicaler Lymphadenopathie. Die respiratorische Form äussert sich als akute oder subakute Pneumonie. Die typhoide Form beschreibt einen schweren Verlauf mit Sepsis (4, 8). Es können eine Vielzahl von Komplikationen auftreten. Die Bildung von Lymphknotenabszessen ist mit ca. 30 % der Patienten mit Lymphadenopathie die häufigste. Seltener kommt es zu Beteiligung anderer Organe, beispielsweise Karditis oder zu Meningitis und Meningoencephalitis (4, 8, 9). Mit einem Ulkus an der Zeckenstichstelle und begleitende Lymphadenopathie weist unsere Patientin typische Krankheitszeichen einer ulceroglandulären Tularämie auf. Die neurologischen Symptome könnten Hinweise für eine begleitende Meningoenzephalitis sein. Angesichts dieser differentialdiagnostischen Überlegungen und des schwerwiegenden Krankheitsbildes der Patientin sind weiterführende Untersuchungen zur genaueren Diagnose und Behandlungsplanung dringend empfohlen.

Weitere Abklärungsschritte und Verlauf

Durch den Hausarzt wurden bei Verdacht auf Encephalitis ein Elektroencephalogramm (EEG), eine Liquorpunktion und eine zerebrale Magnetresonanztomographie (MRT) veranlasst. Das EEG zeigte eine regionale Verlangsamung linkshemisphäriell.

Die MRT zeigte keine strukturell pathologischen Befunde im Sinne einer Enzephalitis. In der Lumbalpunktion fand sich eine Zellzahl von drei mononukleären Zellen/µl bei normwertigem Protein und negativem Borrelien- und FSME-Serum-Liquor-Index. Die Patientin wurde zur weiteren Abklärung in die neurologische Sprechstunde zugewiesen. Hier wurde zwei Monate nach Auftreten der ersten Symptome bei stark erhöhten IgG- sowie IgM-Titer für Francisella tulariensis (IgG 123.7 U/ml [Normwert < 10], IgM 241.5 U/ml [Normwert < 10]) eine Tularämie mit zerebraler Beteiligung diagnostiziert. Bei normaler Zellzahl im Liquor waren formal die Kriterien für eine Meningitis nicht erfüllt, wobei die Lumbalpunktion knapp zwei Monate nach den initialen Beschwerden durchgeführt wurde. Die Patientin wurde zur Therapie mit Gentamicin 350 mg intravenös einmal täglich sowie Ciprofloxacin 500 mg peroral zweimal täglich für zehn Tage stationär aufgenommen. In der erneuten MRT ergaben sich weiterhin keine bildmorphologischen Korrelate einer Enzephalitis. Ein wiederholtes EEG zeigte eine fokale Verlangsamung temporo-occipital rechts und in geringerem Ausmass temporo-occipital links. Im Montreal Cognitive Assessment erreichte die Patientin 26 von 30 Punkten. Unter der Therapie waren die Kopfschmerzen komplett rückläufig. Aufgrund der nur langsam regredienten neurokognitiven Symptomatik wurde die Patientin der stationären neurologischen Rehabilitation zugewiesen. Bei Spitalsaustritt bestanden ein subjektives Schwächegefühl der rechten Körperseite ohne klinisch manifeste Parese, Wortfindungsschwierigkeiten, phonematische Paraphasien bei verlangsamter Spontansprache und deutliche Defizite in attentionalen, mnestischen und exekutiven Funktionen. Die Symptome besserten sich im Laufe der neurologischen Rehabilitation. Zwei Monate später bestanden weiterhin kognitive Einschränkungen im Sinne einer erhöhten geistigen Erschöpfbarkeit im Alltag, welche ein reduziertes Arbeitspensum bedingen. Somatische Beschwerden waren keine mehr vorhanden.

Kommentar

Die beschriebene Patientin wies initial einen typischen Verlauf einer ulzeroglandulären Tularämie mit Ausbildung eines Ulkus an der Einstichstelle und schmerzhafte Lymphadenopathie mit ausgeprägtem Krankheitsgefühl auf. Aufgrund der Seltenheit der Tularämie konnte die Diagnose trotz wiederholter Arztkontakte erst spät gestellt werden. Bei klinischem Verdacht auf eine Tularämie ist es essenziell, die entsprechende Diagnostik in die Wege zu leiten und die entsprechende antibiotische Therapie zu beginnen, um Komplikationen zu verhindern. Für die Diagnose wird ein über vierfacher Titeranstieg der spezifischen Antikörper, ein einmalig sehr hoher Titer, wie bei unserer Patientin, oder ein direkter Erregernachweis aus Patientenmaterial wie Blut, Ulkus- oder Lymphknotengewebe per PCR oder Kultur gefordert. Der kulturelle Nachweis gelingt selten, da das Bakterium rasch transportiert werden muss und spezielle Nährmedien benötigt (3, 10, 11). Eine zentralnervöse Beteiligung bei Tularämie ist selten (12). Eine Meningitis drei bis 30 Tage nach der initialen febrilen Erkrankung bei ulceroglandulärer und typhoidaler Form ist beschrieben (12–14). Auch Fälle von Meningitis nach inhalativer Exposition werden berichtet (12). Weitere seltene neurologische Verlaufsformen sind das Guillain-Barre-Syndrom sowie die Manifestation an einzelnen kranialen Nerven (15, 16). Zur Therapie der Tularämie kommen Chinolone, Tetracycline und bei schweren Verläufen Aminoglycoside zum Einsatz (17). Seit 2004 ist die Tularämie beim Menschen meldepflichtig. 2022 wurden 114 Fälle gemeldet, was einer Inzidenz von 1.3 Fällen pro 100  000 Einwohnern entspricht. Seit 2011 wird eine Zunahme der Fallzahlen verzeichnet, wobei die Fallzahl seit 2017 in etwa stabil geblieben ist. Die Zunahme wird zumindest teilweise auf vermehrte Testung zurückgeführt (18). Aufgrund der typischen Klinik der Patientin, die sich nach einem Zeckenstich entwickelt hat und den sehr hohen Titern für Francisella tularensis, ist die Diagnose bei unserer Patientin gesichert. Auf die Therapie mit Gentamicin und Ciprofloxacin hat sie gut angesprochen, auch wenn die neurokognitiven Einschränkungen nicht komplett regredient waren.

Abkürzungen
FSME Frühsommer-Meningoencephalitis
PCR Polymerase Chain Reaktion
MRT Magnetresonanztomographie
EEG Elektroencephalographie
ZNS Zentralnervensystem

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Veronika Busch-Hofbauer

Allgemeine Innere Medizin
Kantonsspital Graubünden
Loestrasse 170
7000 Chur

Dr. med. Rolf Sturzenegger

Neurologie
Kantonsspital Graubünden
Loestrasse 170
7000 Chur

PD Dr. med. Alexia Cusini

Leitende Ärztin für Infektiologie
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170
7000 Chur

alexia.cusini@ksgr.ch

Die Autorschaft hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Die Tularämie wir durch Zeckenstiche oder durch direkten Kontakt mit infizierten Tieren übertragen und präsentiert sich typischerweise mit einer Initialphase mit grippeähnlichen Symptomen, gefolgt vom Auftreten eines Ulcus mit regionärer Lymphadenopathie um die Zeckenbissstelle.
  • Für die Diagnose wird ein mehr als vierfacher Titer Anstieg, ein einmalig sehr hoher Titer oder der direkte Erregernachweis gefordert.
  • Selten geht eine Tularämie mit einer Beteiligung des Zentralnervensystems einher
  • Therapeutisch kommen Chinolone, Tetracycline sowie Aminoglycoside bei schweren Verläufen zum Einsatz.

1. Zajkowska JM, Eldin C, Talagrand-Reboul E, Raffetin A, Zachary P, Jaulhac B. Immunoserological Diagnosis of Human Borrelioses: Current Knowledge and Perspectives. Front Cell Infect Microbiol. 2020;1:241.
2. Wendt S, Trawinski H, von Braun A, Lübbert C. Durch Zecken übertragbare Erkrankungen: Von der Lyme-Borreliose über das Q-Fieber bis zur FSME. CME (Berl). 2019;16:53–71.
3. Ellis J, Oyston PCF, Green M, Titball RW. Tularemia. Clin Microbiol Rev. 2002;15:631–46.
4. Maurin M, Gyuranecz M. Tularaemia: clinical aspects in Europe. Lancet Infect Dis. 2016;16:113–24.
5. Yeni DK, Büyük F, Ashraf A, Shah MS ud D. Tularemia: a re-emerging tick-borne infectious disease. Folia Microbiol (Praha). 2021;66.
6. Zellner B, Huntley JF. Ticks and Tularemia: Do We Know What We Don’t Know? Front Cell Infect Microbiol. 2019;9.
7. World Health Organization. WHO guidelines on tularaemia : epidemic and pandemic alert and response. World Health Organization; 2007.
8. Evans M, Gregory D, Schaffner W, McGee Z. Tularemia: a 30-year experience with 88 cases. Medicine (Baltimore). 1985;64:251–69.
9. Maurin M. Francisella tularensis, Tularemia and Serological Diagnosis. Front Cell Infect Microbiol. 2020;10.
10. Tärnvik A, Chu MC. New approaches to diagnosis and therapy of tularemia. Ann N Y Acad Sci. 2007;1105:378–404.
11. Porsch-Özcürümez M, Kischel N, Priebe H, Splettstösser W, Finke EJ, Grunow R. Comparison of enzyme-linked immunosorbent assay, Western blotting, microagglutination, indirect immunofluorescence assay, and flow cytometry for serological diagnosis of tularemia. Clin Diagn Lab Immunol. 2004;11:1008–15.
12. Venkatesan S, Johnston C, Mehrizi MZ. A rare case of tularemic meningitis in the United States from aerosolized Francisella tularensis. J Am Coll Emerg Physicians Open. 2020;1:238.
13. Ducatez N, Melboucy S, Bentayeb H, Dayen C, Suguenot R, Lecuyer E, et al. A case of Francisella tularensis meningitis in a 64-year-old man treated with quinolones. Infect Dis Now. 2022;52:107–9.
14. Hofinger DM, Cardona L, Mertz GJ, Davis LE. Tularemic meningitis in the United States. Arch Neurol. 2009;66:523–7.
15. Ylipalosaari P, Ala-Kokko TI, Tuominen H, Syrjälä H. Guillain-Barré syndrome and ulceroglandular tularemia. Infection. 2013;41:881–3.
16. Blech B, Christiansen M, Asbury K, Orenstein R, Ross M, Grill M. Polyneuritis cranialis after acute tularemia infection: A case study. Muscle Nerve. 2020;61:E1–2.
17. Kohlmann R, Geis G, Gatermann SG. Die Tularämie in Deutschland. Deutsche Medizinische Wochenschrift. Georg Thieme Verlag; 2014. p. 1417–22.
18. Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV, Bundesamt für Gesundheit BAG. Bericht zur Überwachung von Zoonosen und lebensmittelbedingten Krankheitsausbrüchen. 2022.

Infektiöse Endokarditis – Update 2024

Trotz grosser Fortschritte sowohl in Prävention, Diagnostik und Therapie in den letzten Jahren bleibt die infektiöse Endokarditis (IE) eine Erkrankung mit erheblicher Morbidität und Mortalität. Im Jahr 2023 wurden sowohl durch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) als auch durch die Internationale Fachgesellschaft für kardiovaskuläre Infektionen (ISCVID) überarbeitete Leitlinien zur IE publiziert. Darin wurden umfangreiche Neuerungen in den Bereichen Prävention, Diagnostik und Therapie implementiert. Präventive Massnahmen wurden klarer definiert und mit einer höheren Empfehlung versehen. In der Diagnostik werden neben der Echokardiographie der Einsatz weiterer Bildgebungsverfahren wie kardiale Computertomographie (CT) oder Positronenemissionstomographie (PET/CT) stärker gewichtet und in Bezug auf mikrobiologische Kriterien das Spektrum der typischen IE-Erreger erweitert. Bei der Therapie schliesslich gibt es relevante Neuerungen in Bezug auf Möglichkeiten einer ambulanten antibiotischen Therapie für bestimmte selektionierte Patienten. Die Indikationen für herzchirurgische Operationen wurden ebenfalls überarbeitet, wobei der Zeitpunkt der Operation klarer definiert wurde. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen.

Despite significant advancements in prevention, diagnosis, and therapy in recent years, infectious endocarditis (IE) remains a disease with considerable morbidity and mortality. In 2023, both the European Society of Cardiology (ESC) and the International Society for Cardiovascular Infectious Diseases (ISCVID) published revised guidelines on IE. Extensive innovations in the areas of prevention, diagnosis, and therapy were implemented. Preventive measures were more clearly defined and given stronger recommendations. In diagnosis, alongside echocardiography, the use of additional imaging modalities such as cardiac computed tomography (CT) or positron emission tomography (PET/CT) is given greater emphasis, and the spectrum of typical IE pathogens has been expanded concerning microbiological criteria. In therapy, there are significant innovations regarding the possibilities of outpatient antibiotic treatment for certain selected patients. The indications for cardiac surgical operations have also been revised, with the timing of surgery being more clearly defined. This article provides an overview of the most important changes.
Key words: Endocarditis/prevention, endocarditis/Diagnosis, endocarditis

Einleitung

Weltweit beträgt die geschätzte Inzidenz der IE 13.8 Fälle pro 100 000 Personen pro Jahr; 66 300 Patienten versterben an den Folgen einer IE (1). Trotz enormer Fortschritte in der Medizin haben sich sowohl die Inzidenz als auch die Mortalität (bei hospitalisierten Patienten mit IE zwischen 15 und 30 %) in den letzten 25 Jahren nicht wesentlich gebessert. Was sich jedoch verändert hat, ist die Ätiologie der IE. Waren früher häufiger Patienten mit rheumatischer Herzkrankheit als Risikofaktor betroffen und vergrünende Streptokokken die häufigsten Erreger einer IE, so sehen wir heute vermehrt Patienten mit kardiovaskulären Implantaten (Schrittmacher, künstliche Herzklappen (inkl. TAVI), Rekonstruktionen etc.), ältere Patienten mit mehr Komorbiditäten, mehr Immunsuppression, mehr altersbedingt degenerativen Klappenveränderungen und als auslösende bakterielle Erreger häufiger Staphylokokken, Enterokokken und weitere bisher eher seltene IE-Erreger, wie zum Beispiel Cutibakterien, Corynebakterien sowie gramnegative Bakterien, wie zum Beispiel Serratia marcescens. Vor diesem Hintergrund der epidemiologischen, klinischen und mikrobiologischen Veränderungen der IE wurden 2023 sowohl durch die European Society of Cardiology (ESC) (1) als auch die International Society of Cardiovascular Infections (ISCVID) (2) neue Guidelines zur Prävention, Diagnostik und Therapie der IE publiziert. In diesem Übersichtsartikel werden die für den Allgemeinpraktiker wichtigsten Aspekte der neuen IE-Guidelines beleuchtet und zusammengefasst.

Prävention

Patienten werden in Gruppen mit niedrigem, mittlerem und hohem Risiko einer IE eingeteilt. Unverändert bleibt die Empfehlung zur Prophylaxe mit Antibiotika für Patienten mit hohem IE-Risiko (Tab. 1), wurde aber von Evidenzklasse IIa auf Evidenzklasse I erhöht, innerhalb der Gruppe mit hohem Risiko für eine IE wurde ausserdem speziell eine früher durchgemachte IE stärker gewichtet (neu Evidenzklasse Ib für eine Antibiotikaprophylaxe bei diesen Patienten [zuvor Evidenzklasse II]). Die Gruppe mit Klappenprothesen (= hohes IE-Risiko) umfasst nun auch Patienten, bei denen für eine Klappenrekonstruktion Fremdmaterial eingesetzt wurde. Ebenso zählen Patienten dazu, bei denen mithilfe eines kathetergestützten Verfahrens eine Aorten- (TAVI) oder Pulmonalklappe implantiert wurde. Neu ist die Empfehlung zur Antibiotikaprophylaxe überdies bei Patienten mit Herzunterstützungssystemen (ventricular assist devices «VAD»). Erwogen werden kann eine Prophylaxe bei Patienten mit minimal-invasivem Eingriff an der Mitral- (MitraClip) oder Trikuspidalklappe (TriClip) (Evidenzklasse IIa), für Patienten nach Herztransplantation ist die Evidenzlage unklar und eine Prophylaxe sollte mit den behandelnden Ärzten individuell diskutiert werden. Für Patienten mit mittlerem (z. B. rheumatische Herzerkrankung, nicht-rheumatische degenerative Herzklappenerkrankungen, angeborene bikuspide Aortenklappe, intrakardiale Devices wie Pacemaker etc.) oder tiefem Risiko ist die Evidenzlage unklar und eine Antibiotikaprophylaxe wird nicht empfohlen.

Die Gabe der Antibiotikaprophylaxe bei Patienten mit hohem Risiko wird in folgenden Situationen empfohlen: bei zahnmedizinischen Interventionen mit Blutungsfolge (Zahnextraktionen, kieferchirurgische Eingriffe, Eingriffen mit Manipulation an der Gingiva oder der periapikalen Zahnregion). Neu in den Guidelines ist auch die Empfehlung, dass eine Antibiotikaprophylaxe bei Patienten mit hohem Risiko auch im Rahmen invasiver diagnostischer oder therapeutischer Eingriffe am Respirationstrakt, Gastrointestinaltrakt, Urogenitaltrakt sowie an Haut, Weichteilen und muskuloskelettalem System erwogen werden kann (Evidenzklasse IIb), hiervon wurde in den vorhergehenden Leitlinien aus dem Jahr 2015 noch explizit abgeraten. Diese optionale Erweiterung der Indikation für eine Prophylaxe sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt und es bleibt abzuwarten, wie sich die Schweizerische Expertengruppe «Infective Endocarditis Prevention» hierzu äussern wird (3). Allen Patienten mit hohem Risiko sollte ein Endokarditis-Ausweis (4) abgegeben werden. Das empfohlene prophylaktische Antibiotikaregime ist in Tab. 2 aufgelistet. Unspezifische Präventionsmassnahmen werden für alle Patienten mit mittlerem und hohem Risiko einer IE empfohlen (Evidenzklasse I), dazu gehören allgemeine Massnahmen, die in Tab. 3 zusammengefasst sind.

Neu ist weiter die Empfehlung, dass als präoperative antibiotische Prophylaxe vor kathetergestützter Implantation einer Klappe (z.B. TAVI) nicht wie sonst standardmässig Cefuroxim, sondern ein S. aureus- und Enterokokken-wirksames Antibiotikum verabreicht werden soll, nämlich Amoxicillin/Clavulansäure (Evidenzklasse IIa).

Patienten, die eine IE durch Streptococcus gallolyticus oder Enterokokken durchgemacht haben, sollen nach Abschluss der IE-Therapie im zeitnahen Intervall einer diagnostischen Koloskopie zugeführt werden, aufgrund einer Assoziation mit kolorektalen Neoplasien.

Diagnostik

Die IE bleibt aufgrund der vielfältigen klinischen Manifestation eine diagnostische Herausforderung. Je nach Prädilektion, Erreger und Komorbiditäten ist die klinische Präsentation unterschiedlich. Ein klinischer Verdacht sollte bei allen Patienten in Betracht gezogen werden, welche neu Fieber oder eine Sepsis mit unklarem Fokus haben. Fieber (77 %), neues Herzgeräusch (64 %), Herzinsuffizienz (27 %), septisch-embolische Komplikationen (25 %) und Rhythmusstörungen (11 %) sind die häufigsten Symptome vor Diagnosestellung einer IE (6). Klassische lehrbuchmässige Stigmata wie Janeway Läsionen, Osler Knoten, Roth Spots und Splinter Hämorrhagien sehen wir heutzutage selten. Dies hängt wahrscheinlich mit einem Shift von den früher häufiger (und eher protrahiert diagnostizierten) «Endocarditis lenta» Erregern (klassischerweise vergrünende Streptokokken) zu heute häufiger virulenteren Keimen (wie z. B. S. aureus u.a.) zusammen. Wichtig ist, dass man, gerade am Anfang der Versorgungskette in der Hausarztpraxis, an die Differentialdiagnose IE denkt, mehrere (idealerweise 3 x 2) Blutkulturen abnimmt und bei stabilem Allgemeinzustand des Patienten mit Antibiotika nach Möglichkeit noch zuwartet, um die entscheidende Erregerdiagnostik und Resistenzprüfung nicht zu verzögern.

Die diagnostischen Dukes Kriterien zur IE wurden 2023 überarbeitet (Tab. 4). Die Echokardiographie bleibt weiterhin die zentrale Bildgebungsmodalität in der Diagnostik einer IE. Nachdem in den früheren Leitlinien CT und PET/CT als wertvolle diagnostische Ergänzungen erwähnt wurden, wird in den aktuellen Leitlinien die Bedeutung dieser Verfahren weiter hervorgehoben. Die CT hat neu eine Evidenzklasse IB zur ergänzenden Diagnostik bei Patienten mit vermuteter IE von Nativklappen. Ebenso haben PET/CT und CT bei vermuteter Prothesenklappen-IE eine IB-Empfehlung erhalten, wenn eine valvuläre Läsion detektiert und die Diagnose einer IE bestätigt
werden soll. Bei der Diagnosestellung einer Prothesenklappen-IE lässt sich die Sensitivität durch das PET/CT deutlich erhöhen (Sensitivität PET/CT für Prothesenklappenendokarditis 73–100 %, Spezifität 71–100 %) (5) Unabhängig davon, ob es sich um eine Nativ- oder Prothesenklappen-IE handelt, ist die CT gut geeignet zur Diagnose von paravalvulären oder periprothetischen Komplikationen, wenn die Ergebnisse der Echokardiographie uneindeutig sind.

Bei symptomatischen Patienten mit Nativ- oder Prothesenklappen-IE wird eine Bildgebung des Gehirns und des gesamten Körpers (CT, MRT, ev. PET/CT) empfohlen, um zerebrale oder periphere septische-embolische Läsionen zu erkennen oder diagnostische Nebenkriterien zu bestimmen (Evidenzklasse IB).

Mikrobiologisch wurde das Spektrum der IE typischen Erreger sowie auch die Technik des Erregernachweises erweitert. Neu werden bei allen Formen der IE auch Enterococcus faecalis und Staphylococcus lugdunensis, bei ­Prothesenklappen zusätzlich neben den Koagulase-negativen Staphylokokken auch Corynebakterien (Corynebacterium striatum, Corynebacterium jeikeium), Serratia marcescens, Pseudomonas aeruginosa, Cutibacterium acnes oder avidum, Candida sowie Mycobacterium chimaera zu den typischen IE-Erregern gezählt. Bei der Technik des Erregernachweises zählen neben der konventionellen Kultur neu auch molekulare Techniken (PCR, in-situ Hybridisierung, Next Generation Sequencing) als diagnostische Kriterien für eine IE. Ausserdem wurde als neues und drittes Major-Kriterium neben den beiden bisherigen zwei Major-Kriterien (Mikrobiologie und Bildgebung) ein chirurgisches Kriterium etabliert: Dieses ist erfüllt, wenn durch den Chirurgen direkt intraoperativ die Diagnose IE gestellt wird.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass gewisse Unterschiede in der Formulierung und Gewichtung einzelner Kriterien bestehen, wenn man die europäischen (ESC) mit den internationalen (ISCVID) Guidelines vergleicht. Für beide Guidelines gilt, dass mit den neuen Kriterien die Sensitivität, eine definitive Diagnose einer IE zu stellen, steigt (Sensitivität für Prothesenklappen IE mit den ESC Dukes Kriterien von 2015: 65–97 %, Sensitivität mit den revidierten Duke-ISCVID Kriterien 2023: 78–97 %), diese Steigerung der Sensitivität geht aber einher mit einer gewissen Einbusse der Spezifität (5).

Tab. 4a und 4b zeigen die revidierten diagnostischen Duke-ISCVID Kriterien 2023 zur Diagnosestellung einer IE.

Therapie

Heutzutage ist durch Daten belegt, dass ein interdiziplinärer Approach bei der Diagnostik und Therapie der IE das Outcome inklusive Mortalität verbessert. Man spricht auch vom «Endokarditis Team» und dieses setzt sich idealerweise zusammen aus Experten der Infektiologie/Mikrobiologie, Kardiologie, Herzchirurgie, ggf. Nuklearmedizin und Intensivmedizin (7) (Abb. 1).

Bei der Behandlung der IE ist die komplette Eradikation der Erreger das Ziel. Meist können Bakterien in den Biofilmen auf Klappe oder Fremdmaterial aufgrund der Erregerdichte in den Vegetationen ihre metabolische Aktivität drosseln und somit die Empfindlichkeit auf Antibiotika reduzieren. Dies erklärt die in der Regel notwendige lange Dauer der antibiotischen Therapie (meist 4–6 Wochen, in ausgewählten spezifischen Fällen ggf. verkürzbar auf 2 Wochen). Als empirische Therapie (bevor der Erreger und die Empfindlichkeit bestimmt sind) gilt nach wie vor Amoxicillin/Clavulansäure i.v. hochdosiert (+/– in Kombination mit einem Aminoglykosid) als Therapie der Wahl. Sobald Erreger und Empfindlichkeit bekannt sind, wird auf eine gezielte Antibiotikatherapie i.v. gewechselt. Auf die verschiedenen Antibiotikaregime bei den entsprechenden Erregern geht dieser Artikel im Detail nicht ein. Zur Konsultation empfehlen wir lokale Therapieempfehlungen wie z.B. das Vademecum Infektiologie des Stadtspitals Zürich (verfügbar online unter www.vademecum-
infektiologie.ch/ (9) oder als App im IOS oder Android Store gratis zum Download).

Eine wesentliche Neuerung der 2023 überarbeiteten Leitlinien ist die Möglichkeit einer ambulanten Fortführung der antibiotischen Therapie. In der Anfangsphase der Behandlung einer IE wird eine standardmässige i.v.-Behandlung über mindestens 7–10 Tage durchgeführt. Im Anschluss kann eine ambulante parenterale Antibiotikabehandlung oder auch eine abgestufte ambulante orale Antibiotikabehandlung zur Konsolidierung der antimikrobiellen Therapie erfolgen, vorausgesetzt, der Patient ist klinisch stabil und es liegen keine kritischen infektionsbedingten Komplikationen vor (8). Die ambulante Antibiotikatherapie wird in der Praxis aufgrund des ­klinischen Zustandes oder weiterer limitierender Komorbiditäten jedoch nur für wenige Patienten in Frage kommen.

Operative Versorgung

Etwa die Hälfte der Patienten mit einer IE benötigt eine Operation (10). Es gibt drei Hauptgründe, eine Operation durchzuführen: 1. progressive Herzinsuffizienz, 2. unkontrollierte Infektion und 3. Verhinderung septischer Embolien. Die Eingriffe werden in notfallmässig (innerhalb von 24 Stunden), dringlich (innerhalb von 3 bis 5 Tagen) und nicht dringlich (i.d.R. nach 1–2 Wochen antibiotische Therapie) unterteilt. Aorten- oder Mitralklappen-IE mit schwerer akuter Klappeninsuffizienz oder -stenose mit refraktärem Lungenödem oder kardiogenem Schock ist unverändert die Indikation zur notfallmässigen Operation. Die IB-Empfehlung für eine dringliche Operation bei lokal unkontrollierter Infektion wurde neben dem Vorliegen eines Abszesses, eines Pseudoaneurysmas, einer Fistel und einer grösser werdenden Vegetation neu um das Vorliegen einer Prothesendehiszenz sowie das Auftreten eines neuen atrioventrikulären Blocks erweitert. Eine dringliche Operation ist in Abhängigkeit vom klinischen Zustand des Patienten empfohlen, wenn die IE durch eine Pilzinfektion oder multiresistente Keime verursacht ist. Ebenso erwogen werden sollte eine dringliche Operation bei Patienten mit persistierend positiver Blutkultur nach 7 Tagen antimikrobieller Therapie, bei einer Prothesenendokarditis verursacht durch S. aureus oder ein gramnegatives Bakterium ausserhalb der HACEK-Gruppe (HACEK steht für Haemophilus, Aggregatibacter, Cardiobacterium, Eikenella und Kingella). Die Prävention septischer Embolien ist das dritte Hauptkriterium zur Operationsindikation. Eine dringliche Operation ist hier empfohlen bei Patienten mit Nativklappen IE der Aorten- oder Mitralklappe sowie bei Prothesenklappen IE mit grossen Vegetationen (≥ 10 mm) nach einem oder mehreren embolischen Ereignissen trotz adäquater Antibiotikatherapie. Aufgewertet zu einer IC-Empfehlung wurde, eine Herzoperation dringlich durchzuführen bei Aorten- oder Mitralklappen IE mit grossen Vegetationen (≥ 10 mm), wenn eine weitere Indikation zu einer Operation besteht. Neu ist die Empfehlung, dass eine dringliche Operation bei Aorten- oder Mitralklappen IE mit einer Vegetation ≥ 10 mm erwogen werden soll, wenn keine hochgradige Klappenstörung oder kein klinischer Nachweis von Embolien vorliegt und ein niedriges Operationsrisiko besteht (Evidenzklasse IIB). Neu ist auch die Empfehlung, Prothesenklappen IE, welche in den ersten 6 Monaten nach Implantation auftreten, grundsätzlich herzchirurgisch zu sanieren (Evidenzklasse IC).

Bei Patienten mit intrakranieller Blutung nach ischämischem Schlaganfall und IE sollte die herzchirurgische Behandlung der IE in der Regel zurückgestellt werden, es sei denn, es besteht eine hämodynamische Instabilität. In diesen Fällen muss im Endokarditis-Team unter Beizug der Kollegen der Neurologie interdisziplinär Nutzen und Risiko einer allfällig vorgezogenen Operation sorgfältig abgewogen werden.

Danksagung
Herrn Dr. Adrian Schibli danke ich herzlich für die kritische Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Kommentare

Dr. med. Benjamin Preiswerk

Leitender Arzt Infektiologie
Leitung Med. Mikrobiologie
Stadtspital Zürich Triemli
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • IE bleibt eine häufige Erkrankung mit hoher Morbidität und Mortalität
  • Antibiotikaprophylaxe für Patienten mit hohem Risiko für IE ist vor zahnärztlichen Risikoeingriffen unbedingt empfohlen
  • Bei klinischem Verdacht auf IE sollen 3×2 Blutkulturen
    abgenommen werden, bevor mit einer Antibiotikatherapie begonnen wird.
  • Die Echokardiographie bleibt Bildgebung der ersten Wahl; neuere bildgebende Methoden wir CT und PET/CT gewinnen aber an Bedeutung
  • Die Planung und Durchführung der IE Therapie erfolgt idealerweise im Endokarditis Team, zusätzlich zur Erreger- und resistenzgerechten antibiotischen Therapie empfiehlt sich eine frühe Rücksprache mit der Herzchirurgie

1. 2023 ESC Guidelines for the Management of endocarditis, European Heart Journal 2023 00, 1-95
2. The 2023 Duke-International Society for Cardiovascular Infectious Diseases Criteria for Infective Endocarditis, Fowler V et al, Clinical Infectious Diseases 2023;77(4):518-26
3. (3) Empfehlungen der Expertengruppe „Infective Endocarditis Prevention“, Swiss Medical Forum 2021;21(5-6):84-89
4. (4) Endokarditis Ausweis -> zu beziehen bei Schweizerische Herzstiftung: https://swissheart.ch/
5. Cuervo G et al, The clinial challenge of prosthetic valve endocarditis, Journal of the American College of Cardiology Vol 83, No 15, 2024:1418-1430
6. Habib G et al, Clinical presentation, aetiology and outcome of infective endocarditis. ESC-EORP EURO-ENDO registry; European Heart Journal 2019;40:3222-3232
7. Dayer M et al, recent insights into native valve infective endocarditis, Journal of the American College of Cardiology Vol 83, No 15, 2024:1431-1443
8. Iversen K et al, Partial Oral versus Intravenous Antibiotic Treatment of Endocarditis (POET trial), New England Journal of Medicine, 2019;380:415-424
9. Vademecum Infektiologie: www.vademecum-infektiologie.ch
10. Tornos P, Infective endocarditis in Europe: lessons from the Euro heart survey, Heart 2005 May;91(5):571-5.

Das Chronic Care Model zur besseren Versorgung kardiovaskulärer und chronisch kranker Patient/innen

Das Chronic Care Model (CCM) ist ein evidenzbasiertes Konzept zur Versorgung chronisch kranker Patientinnen und Patienten. Durch seinen ganzheitlichen Ansatz eignet es sich auch für die Versorgung einzelner, indikationsbezogener Erkrankungen. Das CCM wurde daher von einer Expertengruppe, welche die aktuelle Versorgung von kardiovaskulären Erkrankungen beurteilt hat, zur Verbesserung der Versorgung vorgeschlagen. Mit dem CCM konnten bereits erste Umsetzungserfahrungen in der Schweiz gesammelt werden. Aus diesen und weiteren Rückmeldungen von Expertinnen und Experten lassen sich CCM-Umsetzungsempfehlungen für die Praxis ableiten.

The Chronic Care Model (CCM) is an evidence-based approach for the care of chronically ill patients. With its holistic approach, it is also well-suited for managing individual, indication-specific diseases. An expert panel evaluating the current care of cardiovascular diseases has thus proposed the CCM to improve patient care. Initial implementation experiences with the CCM have already been gathered in Switzerland. From these experiences and additional feedback from experts, practical recommendations for CCM implementation can be derived.
Key words: chronic care model, chronic ill patients, holistic approach

Kardiovaskuläre Versorgung und das Chronic Care Model

Die Ergebnisse einer aktuellen Analyse der kardiovaskulären Versorgung in der Schweiz (1) haben eine erhebliche «Versorgungslücke» zwischen den empfohlenen Behandlungszielen aus den medizinischen Leitlinien und der Behandlung in der täglichen Praxis aufgezeigt; dies insbesondere im Hinblick auf die Erreichung der Zielwerte von kardiovaskulären Risikofaktoren (Evidence Performance Gap (EPG)). Inwieweit der ermittelte EPG von Expertinnen und Experten aus der Praxis bestätigt wird und wie sich dieser reduzieren lässt, wurde im Rahmen eines Roundtables 1, 2 diskutiert. Dabei hat sich gezeigt, dass der EPG durchaus so in der Praxis besteht. Die Teilnehmenden nannten folgende praxisbezogene Gründe für den EPG:

  • Evidenz, welche dem EPG zu Grunde liegt
    Die Versorgungsziele werden aus verschiedenen Guidelines entnommen. Diese stützen sich vielfach auf Studien, die nicht unbedingt repräsentativ für die ambulante Versorgung sind.
  • Technisch-digitale Infrastruktur in der Praxis
    Vor allem die technisch-digitale Infrastruktur in der ambulanten Versorgung unterstützt heute kaum bzw. nur vereinzelt die Langzeitversorgung chronisch kranker Patientinnen und Patienten.
  • Finanzielle und personelle Ressourcen
    Aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels und veralteter Tarifstrukturen besteht immer weniger Zeit für die einzelnen Patientinnen und Patienten. Hierunter leidet speziell die notwendige Zeit für die Aufklärung und die Förderung des Selbstmanagements
  • Verantwortliches Selbstmanagement der Patientinnen und Patienten
    Durch ein «verantwortliches Selbstmanagement» besitzen die Patientinnen und Patienten einen grossen Einfluss auf ihre Gesundheit und Krankheit. Die Versorgungsstrukturen unterstützen aber erst in einem geringen Masse die Entwicklung der Betroffenen als «Experten» ihrer Erkrankung
  • Geringe Gesundheitskompetenz/Healthliteracy
    Im Praxisalltag zeigt sich immer wieder sehr überraschend, wie gering die Gesundheitskompetenz einzelner Patientinnen und Patienten ist. Dies führt oftmals zu bewussten Entscheidungen gegen eine Therapie, bzw. diese wird mit der Zeit immer weniger befolgt. Gesundheitsfachpersonen erreichen diese Betroffenen meistens nur sehr schwer.

Einig war sich die Expertengruppe, dass diese EPG-Gründe nicht nur bei der Versorgung kardiovaskulärer Erkrankungen eine Bedeutung haben, sie lassen sich auf jede andere chronische Erkrankung übertragen. Aus diesem Grund wurde ein umfassendes und ganzheitliches Versorgungskonzept wie das Chronic Care Model (CCM), das in den 90er Jahren in den USA entwickelt wurde, vorgeschlagen. Das CCM ist ein Grundversorger-basiertes sechsteiliges Versorgungskonzept, dass die Bedürfnisse chronisch Erkrankter stärker berücksichtig und den kompletten Versorgungsprozess danach ausrichtet. Es beinhaltet die in Tab. 1 aufgeführten sechs Versorgungselemente.

Das CCM ist in der Schweiz nicht unbekannt. Vor allem in grösseren Gruppenpraxen, wie die der Sanacare (2) oder in Ärztenetzen (3) wird das CCM bzw. einzelne Elemente bereits für die strukturierte Versorgung von chronisch kranken Patientinnen und Patienten umgesetzt. Mit zwei weiteren Initiativen, der Praxis Gesundheitspunkt (4) in Oberägeri sowie dem Projekt OptiQ (5) des Vereins QualiCCare, welches durch die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz während den Jahren 2020 bis 2024 mitfinanziert wurde, wurden zusätzlich zu den Erkenntnissen aus dem Roundtable Interviews zu ihren CCM-Umsetzungserfahrungen durchgeführt.

Das CCM-Konzept der Gesundheitspunkt Praxis wird in Abb. 1 dargestellt. Wie sich zeigt, werden durch die Praxis mehrere Komponenten des CCM angewendet. Das «Gemeinwesen: Mobilisierung wohnortnaher Ressourcen» erfolgt durch den Einbezug der Gemeinde Oberägeri, sowohl durch die Berücksichtigung des bereits bestehenden sozialmedizinischen Unterstützungsangebotes der Gemeinde durch die Praxis, als auch durch die Mitfinanzierung des zusätzlichen CCM-Angebotes der Praxis durch die Gemeinde. Besonders letzteres ist hervorzuheben, da es aufzeigt, dass für die Finanzierung eines zusätzlichen Versorgungsangebotes Gemeinden erfolgreich eingebunden werden können.

Im Projekt OptiQ wurden die im Kanton Waadt interprofessionell im ADAPTE Prozess erarbeiteten Praxisempfehlungen Multimorbidität (RPC multimorbidité (6)) in der Grundversorgung getestet. Zur Implementierung der sechs Versorgungsschritte der Praxisempfehlungen (Abb. 2) wurden diese durch QualiCCare übersetzt und durch die interprofessionelle Expertengruppe des Projekts Opti-Q national validiert. Für die praktische Anwendung in Hausarztpraxen, Apotheken und/oder durch die Spitex wurden die folgenden Anwendungshilfen erarbeitet, welche in einem Pilotprojekt getestet und anschliessend überarbeitet wurden.

  • einen Versorgungspass in Papierform für die Betroffenen
  • ein ganzheitliches Assessment für die strukturierte Standortbestimmung der Betroffenen als beschreibbares PDF eine Medikationscheckliste zur Überprüfung der Medikation inkl. Möglichkeit von pharmazeutischen Empfehlungen als beschreibbares PDF
  • Eine elektronisch verfügbare Liste an Selbstmanagement-Förderungsangeboten mit Suchfunktion auf der QualiCCare Webseite sowie auf der Blueprint Seite des BAG

Zusätzlich erhielten alle Pilotteilnehmer eine Fortbildung zur interprofessionellen Zusammenarbeit des Vereins SwissIPE (7).
In Tab. 2 sind die Empfehlungen für ein CCM aus Sicht dieser beiden Initiativen dargestellt.

Welche CCM-Elemente heute bereits wie in der Praxis umgesetzt werden können, zeigen die konkreten Umsetzungsempfehlungen aus Tab. 1. Es ist bekannt, dass eine Umsetzung ein erhebliches Engagement aller Beteiligten benötigt. Aber die Praxisbeispiele wie die Empfehlungen der Expertinnen und Experten zeigen auf, dass eine schrittweise Einführung und Entwicklung eines CCM heute bereits möglich sind. Es bedarf daher keiner grundsätzlich neuen Regulatorien, sei es im Bereich der Tarifierung oder der Systemstrukturen, wie sie u. a. im Parlament im Rahmen der Massnahmenpakete zur Kostendämpfung diskutiert werden. Förderlich wäre aber sicherlich die dringliche Modernisierung/Aktualisierung vieler Tarifsysteme in der ambulanten Versorgung, damit die interprofessionelle Zusammenarbeit in den «Prepare Practice Teams (PPT)» in der Praxis leichter umzusetzen ist.

Weitere Empfehlungen für die Umsetzung des CCM in der Praxis sind in Tab. 1 aufgeführt. Aus Sicht der Autoren bieten sich für den ersten Umsetzungsschritt die Systemelemente «3 Angebot von Entscheidungshilfen» und «5 Unterstützung und Förderung des Selbstmanagements» an. Hierzu bestehen bereits umfassende Vorarbeiten und Angebote, welche zur Verfügung stehen und den Start in die Umsetzung eines CCM-Konzeptes unterstützen. Ausgewählte Anwendungsbeispiele finden Sie ebenfalls in Tab. 1.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dipl. SozialwirtOliver Strehle

Schweizer Forum für Integrierte Versorgung (fmc)
Zugerstrasse 193
6314 Neuägeri

oliver.strehle@fmc.ch

Das vorliegende Paper ist im Rahmen des von Novartis unter­stützten Projektes «Take action» entstanden, das darauf abzielt, die Versorgung von kardiovaskulären Risikopatient/-innen zu verbessern und von Frau Agnès Bachofner geleitet wird. Novartis hat auf den Inhalt keinen Einfluss genommen.

1. Rosemann, T., Bachofner, A., Strehle, O. (2024), Kardiovaskuläre ­Erkrankungen in der Schweiz – Prävalenz und Versorgung, PRAXIS 2024; 113 (03): 57–66
2. Sahli, R., Jungi, M., Christ, E., Goeldlin, A. (2019), «Chronic Care Management»-Programm in der hausärztlichen Praxis, SWISS MEDICAL FORUM, 19(7–8):113–116
3. Strehle, O., Ritzmann, P., Helg, A. (2023), Qualität steigern und Kosten senken dank Ärztenetzen, Schweizerische Ärztezeitung, 104(27–28):36–38
4. https://gesundheitspunkt.ch/angebot/chronic-care/
5. Projekt «Opti-Q Multimorbidität – Optimierung der Behandlungsqualität von multimorbiden Patienten» | Gesundheitsförderung Schweiz (gesundheitsfoerderung.ch)
6. RPC_multimorbidite.pdf (recodiab.ch)
7. Home – SwissIPE

Messung des Albumins im Urin bei über 45-Jährigen für ein langes Leben in Gesundheit?

Die chronische Nierenerkrankung (CKD) betrifft etwa 10 % der Bevölkerung, wobei frühe Stadien oft unbemerkt bleiben. Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer CKD, die nicht nur zur Niereninsuffizienz, sondern auch zu kardiovaskulären Erkrankungen führen kann. Zwei Hauptparameter zur Diagnose sind der Kreatininwert im Serum (zur Abschätzung der glomerulären Filtrationsrate) und die Albuminurie, welche eine strukturelle Schädigung der Nieren anzeigt. Studien empfehlen regelmäßige Screenings bei Risikogruppen, um frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen. In der Schweiz gibt es jedoch eine Versorgungslücke, da Leitlinien oft unzureichend umgesetzt werden. Alternative Versicherungsmodelle könnten Anreize für eine bessere Prävention schaffen.

Chronic kidney disease (CKD) affects approximately 10 % of the population, with early stages often going unnoticed. Risk factors such as diabetes, hypertension, and obesity increase the likelihood of CKD, which not only leads to renal failure but also to cardiovascular diseases. Two key parameters for diagnosis are serum creatinine levels (for estimating glomerular filtration rate) and albuminuria, indicating structural kidney damage. Studies recommend regular screenings for high-risk groups to enable early intervention. However, there is a gap in care implementation in Switzerland, as guidelines are often inadequately followed. Alternative insurance models could create incentives for improved prevention strategies.
Key words: chronic kidney disease, estimated glomerular filtration rate, albuminuria, longevity.

Mit zunehmendem Alter nimmt die Nierenfunktion langsam, aber stetig ab. Bei manchen Menschen nimmt sie so stark ab, dass eine Nierenersatztherapie notwendig wird. Da die Bevölkerung in unseren Breitengraden immer älter wird, nimmt die Zahl der Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion zu. Die Prävalenz der chronischen Nierenerkrankung (CKD) (1) in der Bevölkerung liegt bei etwa 10 %, wobei frühe und klinisch weniger relevante Stadien überwiegen (2). Es nimmt aber auch die Häufigkeit der Menschen mit einer gravierenden Einschränkung der Nierenfunktion zu. Die Zahl der neuen Dialysepa­tienten steigt jährlich um 2 bis 3 % (3). In wenigen Jahren wird die Niereninsuffizienz zu den zehn häufigsten Todesursachen im Alter gehören (4). Die chronische Nierenerkrankung ist nicht nur wegen der aufwendigen Nierenersatzverfahren – eingeschränkte Lebensqualität und hohe Kosten – sondern auch wegen des negativen Einflusses auf andere Organsysteme – z. B. kardiovaskuläres System, Knochen, Kognition – von klinischer Relevanz.

Der Erhalt der Nierenfunktion und die Verlangsamung der Abnahme der Nierenfunktion sind deshalb eine wichtige Voraussetzung für ein langes Leben in Gesundheit.

Die wichtigsten Massnahmen für den Erhalt der Nierenfunktion sind die Identifizierung eines frühen Nierenschadens und die Behandlung der Risikofaktoren und, wenn indiziert, der Einsatz von organprotektiven Medikamenten. Die wichtigsten Risikofaktoren sind: Diabetes mellitus, Hypertonie, Adipositas und Hyperlipidämie.

Laborparameter für die Erfassung der CKD und Prävention

Für Erfassung und Monitoring einer CKD sind hauptsächlich zwei Parameter relevant. Der Kreatininwert im Serum, aus dem die glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) abgeschätzt werden kann, und die Bestimmung des Albumins im Urin. Die eGFR spiegelt die Filtrationsleistung, also die exkretorische Funktion der Nieren wider, die Albuminurie ist Folge einer strukturellen Schädigung in den Nieren.

Es besteht Konsens darüber, dass Serumkreatinin und die Albuminurie bei allen Personen mit einem der oben genannten Risikofaktoren in jährlichen Abständen bestimmt werden sollten (5–7).

Populationsbasiertes Screening für die ­Identifikation einer Albuminurie

Menschen mit CKD haben nicht nur ein erhöhtes Risiko für eine terminale Niereninsuffizienz. Eine CKD führt bereits in einem frühen Stadium zu einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (8). Während dies die direkte Folge einer eingeschränkten Nierenfunktion und reduzierter eGFR ist, so hat sich in den vergangenen Jahren auch die Bedeutung einer Albumin­urie als unabhängiger Risikofaktor kardiovaskulärer Ereignisse gezeigt. Da einfache Tests für eine Albumin­urie zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, ob nicht für alle Personen ab einem bestimmten Alter eine Untersuchung auf eine Albuminurie durchgeführt werden soll. In den Niederlanden wurde diese Frage in einer Studie mit mehr als 15 000 Personen im Alter zwischen 45 und 80 Jahren untersucht, wobei bei etwa 4 % der Teilnehmer eine abnorme Albuminurie festgestellt wurde. Bei diesen Personen konnte dann frühzeitig eine Behandlung eingeleitet werden, um sowohl eine Abnahme der Nierenfunktion als auch das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen zu reduzieren (9).

Unterversorgung von Menschen mit chronischer Niereninsuffizienz in der Schweiz – Lücke zwischen Wissen und Tun?

Es gibt Hinweise, dass das in Leitlinien (5, 7, 10) dargestellte Wissen in der Praxis nicht oder noch nicht vollständig umgesetzt wird.
Eine Studie, die Daten von Grundversorgern aus der Schweiz erfasste, zeigt vor allem im Monitoring (eGFR) von Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und in der Bestimmung der Albuminurie mittels der Albumin-Kreatinin-Ratio im Urin (uACR) ein deutliches Verbesserungspotential (11). Aus den Ergebnissen der Studien geht nicht klar hervor, ob der Grund für das Defizit in mangelndem Wissen, knappen Ressourcen oder anderen Faktoren liegt.

Verbesserung der Versorgung – mögliche Ansätze

Ärztinnen und Ärzte in der Primärversorgung spielen eine wichtige Rolle in der Prävention und Behandlung von Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung. Die Aufgabe besteht in der Erfassung und Behandlung von Risikofaktoren, der Bestimmung der eGFR und der Albuminurie. Menschen mit den erwähnten Risikofaktoren sind auf eine chronische Nierenerkrankung zu untersuchen (5) und die Risikofaktoren konsequent zu behandeln.

Wirksame Prävention benötigt Ressourcen

Dies alles benötigt Ressourcen. Dies insbesondere, um die betroffenen Menschen zu informieren und für diese Untersuchungen und Therapien zu motivieren.

Ein Faktor für die mangelnde Umsetzung der Empfehlungen in der Praxis ist möglicherweise die Tatsache, dass für Prävention im überwiegend durch den Einzelleistungstarif geprägten Tarifsystem kein systematischer Anreiz besteht.

Die Rolle alternativer Versicherungsmodelle – bessere Anreize für mehr Gesundheit

Wirksame Prävention setzt jedoch Qualitätsarbeit von Hausärztinnen und Hausärzten und interdisziplinären Teams auch ausserhalb von akuten Krankheitsanlässen voraus. Innerhalb von alternativen Versicherungsmodellen – «Hausarztmodellen» – können entsprechende positive Anreize gesetzt werden, um die geleistete Qualitätsarbeit zusätzlich zu vergüten. Dies ist auch eine Chance für Krankenversicherer, sich durch gute Leistungen über mehr Qualität und Prävention bei ihren Versicherten auszuzeichnen. Einzelne Versicherer schliessen bereits seit Jahren mit Ärztenetzen Vereinbarungen ab, um mit Hilfe von Abrechnungsdaten qualitätsfördernde Massnahmen zu unterstützen. Diese könnten auch auf diesen Themenbereich anwendbar sein und entsprechend ausgebaut werden (12, 13).
Schliesslich bietet eine Überarbeitung der «Nationalen Strategie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten» eine Chance, chronische Nierenerkrankungen – in wenigen Jahren eine der häufigsten Ursachen verlorener Lebensjahre – im Hinblick auf ein längeres Leben bei guter Gesundheit die Bedeutung zu geben, um schlussendlich die nötigen Ressourcen zu mobilisieren, die diese wichtige Erkrankung verdient.

Für die Arbeitsgruppe «WDA Swiss Longevity Council»

Autoren
Prof. Dr. med. Patrice Ambühl
Institut für Nephrologie, Stadtspital Zürich

Prof. Dr. med. Heike Bischoff-Ferrari
DrPH, Lehrstuhl Geriatrie und Altersforschung, Universität Zürich

Prof. Dr. med. Eva Blozik
MPH, SWICA, Gesundheitsorganisation, Winterthur & Institut für Hausarztmedizin, Universität und UniversitätsSpital Zürich

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Verena Briner
FRCP, Medical Centre, Bürgenstock

Dr. med. Claude Cao
MPH, Meydoo Consulting

Dr. med. Hans Groth
Präsident World Demographic & Ageing Forum (WDA Forum), St. Gallen

Dr. med. Leander Muheim
EMBA, mediX zürich und mediX schweiz

Dr. Heiner Sandmeier
MPH, Sandmeier Health Care Consulting

Prof. em. Dr. med. Johann Steurer
Universität Zürich

Prof. Dr. med. Christoph Wanner
Universität Würzburg

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Hans Groth

World Demographic
& Ageing Forum (WDA Forum)
Rorschacher Strasse 304
9016 St. Gallen

Die Autorschaft hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Jager KJ, Kovesdy C, Langham R, Rosenberg M, Jha V, Zoccali C. A single number for advocacy and communication—worldwide more than 850 million individuals have kidney diseases. Nephrol Dial Transplant. 2019;34(11):1803-5.
2. Ponte B, Pruijm M, Marques-Vidal P, Martin PY, Burnier M, Paccaud F, et al. Determinants and burden of chronic kidney disease in the population-based CoLaus study: a cross-sectional analysis. Nephrol Dial Transplant. 2013;28(9):2329-39.
3. Boerstra BA, Boenink R, Astley ME, Bonthuis M, Abd ElHafeez S, Arribas Monzón F, et al. The ERA Registry Annual Report 2021: a summary. Clinical kidney journal. 2024;17(2):sfad281.
4. Brauer M, Roth GA, Aravkin AY, Zheng P, Abate KH, Abate YH, et al. Global burden and strength of evidence for 88 risk factors in 204 countries and 811 subnational locations, 1990–2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021. The Lancet. 2024;403(10440):2162-203.
5. Stevens PE, Ahmed SB, Carrero JJ, Foster B, Francis A, Hall RK, et al. KDIGO 2024 clinical practice guideline for the evaluation and management of chronic kidney disease. Kidney international. 2024;105(4):S117-S314.
6. Committee ADAPP. Introduction and Methodology: Standards of Care in Diabetes—2024. Diabetes Care. 2023;47(Supplement_1):S1-S4.
7. Schweizerischge Gesellschaft für Nephrologie. Richtlinien zu Screening und Identifikation der Chronischen Niereninsuffizienz für Allgemeinmediziner und Internisten.15. Juli 2024. Available from: https://www.swissnephrology.ch/wp/wp-content/uploads/2023/01/161121_SGN_Pocketguide_CKD_Web_A4_d_WZ.pdf.
8. Matsushita K, Van der Velde M, Astor B, Woodward M, Levey A, De Jong P, et al. Chronic Kidney Disease Prognosis Consortium: Association of estimated glomerular filtration rate and albuminuria with all-cause and cardiovascular mortality in general population cohorts: A collaborative meta-analysis. Lancet. 2010;375(9731):2073-81.
9. van Mil D, Kieneker LM, Evers-Roeten B, Thelen MH, de Vries H, Hemmelder MH, et al. Participation rate and yield of two home-based screening methods to detect increased albuminuria in the general population in the Netherlands (THOMAS): a prospective, randomised, open-label implementation study. The Lancet. 2023;402(10407):1052-64.
10. Crea F. The ESC Guidelines on cardiovascular prevention and a focus on old and new risk factors. Oxford University Press; 2021. p. 3209-13.
11. Jager L, Rosemann T, Burgstaller JM, Senn O, Markun S. Quality and variation of care for chronic kidney disease in Swiss general practice: A retrospective database study. PLoS One. 2022;17(8):e0272662.
12. Farcher R, Graber SM, Thuring N, Blozik E, Huber CA. Does the implementation of an incentive scheme increase adherence to diabetes guidelines? A retrospective cohort study of managed care enrollees. BMC Health Serv Res. 2023;23(1):707.
13. Hoglinger M, Wirth B, Carlander M, Caviglia C, Frei C, Rhomberg B, et al. Impact of a diabetes disease management program on guideline-adherent care, hospitalization risk and health care costs: a propensity score matching study using real-world data. Eur J Health Econ. 2023;24(3):469-78.

Adipositas – die neue Epidemie

Vorbeugen ist besser als heilen. Den Organisatoren des Prevention Summits – Prof. Thomas Lüscher, Zürich und London, Prof. François Mach, Genf, Prof. Felix Mahfoud, Basel und Prof. Stephan Windecker, Bern – ist es gelungen, hochkarätige Referenten einzuladen. Mit einem aktuellen Überblick über Risikofaktoren und neue Behandlungsmethoden haben sie ein äusserst interessantes Programm gestaltet, das auch eine grosse Anzahl von Zuhörern anzog. Der folgende Bericht umfasst den ersten Teil des Symposiums.

Adipositas: Neurobiologische und genetische Ursachen


Die Prävalenz der Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m²) nimmt seit 1975 exponentiell zu. Gleichzeitig nimmt die Mortalität zu, und zwar in einer U-förmigen Kurve ab einem BMI von mehr als 23 kg/m², stellte PD Dr. Eleonora Selig aus Basel eingangs fest.

Adipositas ist sowohl mit einer Übermenge als auch mit einer Dysfunktion des weissen Fettgewebes, insbesondere der viszeralen Fettdepots, verbunden. Adipositas ist ein evolutionäres Missverhältnis zwischen unserer uralten, genetisch bedingten Physiologie und der modernen Ernährung sowie Lebensweise. Wir haben uns nicht nur nicht so entwickelt, dass wir Fettleibigkeit haben, sondern auch nicht, um mit den zahlreichen damit verbundenen Fehlanpassungen fertig zu werden, wie z. B. der massiven Adipozyten-Hypertrophie, die überschüssiges Fett aufnehmen muss.

Gene regulieren das Körpergewicht.

Vererbt werden Appetit, Sättigung, Energieverbrennung in Ruhe und bei körperlicher Aktivität. Dies ergibt sich aus Untersuchungen an eineiigen Zwillingen, die eine Konkordanz von 70–90 % aufweisen, während diese bei zweieiigen Zwillingen 30–50 % beträgt.

Neurobiologie der Gewichtsregulation

Für die Regulation des Körpergewichts ist Leptin essenziell, wie die Referentin zeigte. Leptin soll den Körper vor Verhungern schützen.
Das Leptin-Melanocortin-System: Der Melanocortin-Signalweg erwies sich als wertvoller Weg für die Pharmakotherapie der Fettleibigkeit. Der Melanocortin-4-Rezeptor (MC4R), eine Komponente des Leptin-Melanocortin-Systems, spielt eine Rolle bei der Regulierung des Körperfetts. Eine genetische Störung des MC4R führt zu extremer Fettleibigkeit, während subtilere polymorphe Variationen die Verteilung des Körpergewichts in der Bevölkerung beeinflussen. Die Korrelation zwischen den Signaleigenschaften dieser mutierten Rezeptoren und der Energieaufnahme unterstreicht die Schlüsselrolle dieses Rezeptors bei der Kontrolle des Essverhaltens beim Menschen.

Studien mit dem MC4-Agonisten Setmelanotid bei Personen mit schwerer Adipositas, die entweder auf einen Pro-Opiomelanocortin-(POMC)-Mangel oder einen Leptin-Rezeptor-Mangel zurückzuführen sind, unterstützen die Behandlung von Fettleibigkeit mit diesem Medikament. Dabei wurden mehr als 10 % Gewichtsverlust beobachtet.

Genetisches Screening

Die Endocrine Society Clinical Practice Guideline empfiehlt ein genetisches Screening bei Patienten mit morbider Adipositas seit der Kindheit (Beginn < 5 Jahre) in Kombination mit Hyperphagie und/oder einer Familienanamnese von morbider Adipositas.

Monogenes vs. polygenes Adipositas-Risiko

Monogen: Früher Beginn, schwere Adipositas, starker genetischer Beitrag, Einzelmutation in einem einzigen Gen, grosser genetischer Effekt, hohe Penetranz, kein Umwelteinfluss.

Polygen: Allgemeine Fettleibigkeit, bescheidener genetischer Beitrag, Hunderte von Varianten in oder nahe vieler Gene, jede Variante mit schwachem Effekt, niedrige Penetranz, Umwelt ist eine Hauptdeterminante.

Gesunder Lebensstil reduziert das Risiko für Adipositas

Ein hohes genetisches Risiko und ein adipogener Lebensstil werden sowohl unabhängig voneinander als auch gemeinsam mit einem hohen Adipositas-Risiko in Verbindung gebracht. Die Einhaltung eines gesunden Lebensstils kann jedoch der genetischen Veranlagung erheblich entgegenwirken. Darüber hinaus mindert die Einhaltung eines gesunden Lebensstils, der eine Gewichtsabnahme begünstigt, das Risiko fettleibigkeitsbedingter Erkrankungen bei genetisch prädisponierten Personen. Gesunde Lebensweisen sollten daher unabhängig vom genetischen Hintergrund gefördert werden, so die Referentin.

Fazit

Sowohl Umweltfaktoren (Energieaufnahme und Energieverbrauch) als auch Gene (strukturelle Variationen, Chromosomen; epigenetische Variationen, Histone; Single-Nucleotide-Variationen, DNA) beeinflussen unser Gewicht.
Ein gesunder Lebensstil reduziert das Adipositas-Risiko.

Globesitas – was kann durch körperliche Aktivität und Ernährung erreicht werden?


Das Leben in westlichen, gebildeten, industrialisierten, reichen Demokratien («weird countries») hat die Art und Weise, wie wir unseren Körper nutzen, tiefgreifend verändert, stellte Prof. Matthias Wilhelm aus Bern fest. Menschen aus diesen sogenannten «weird countries» sind anfällig für chronische Mismatch-Krankheiten, das heisst Krankheiten, bei denen die Gene einer Person nicht ausreichend an neue Umweltbedingungen angepasst sind. Die evolutionäre Perspektive verdeutlicht die Bedeutung des Lebensstils als zentralen Gesundheitsfaktor.

Faktoren, die im Laufe des Lebensalters eine Rolle spielen

Der Referent wies auf verschiedene altersabhängige Faktoren hin:
• Im Fetus: Genetik spielt eine entscheidende Rolle. Mehr als 250 Gene sind mit Obesitas verknüpft. Epigenetische Veränderungen beeinflussen die Genexpression. Übermässige Gewichtszunahme während der Schwangerschaft erhöht das Risiko für Adipositas beim Kind.
• Im Kleinkindalter: Gestationeller Diabetes erhöht das Risiko, später im Leben an Diabetes zu erkranken. Nur etwa 44 % der Säuglinge zwischen 0 und 6 Monaten werden ausschliesslich gestillt.
• Mit 10 Jahren: Kinder verbringen 4–6 Stunden täglich vor Bildschirmen, Teenager bis zu 9 Stunden. Ungesundes Essen, die «Teller-leer-essen»-Kultur und Nahrung als Belohnung tragen zur Gewichtszunahme bei.
• Mit 20 Jahren: Körperliche Untätigkeit nimmt zu. Weniger als 10 % der Erwachsenen erreichen das empfohlene Mass an körperlicher Betätigung. Gleichzeitig steigt der Konsum kalorienreicher, übermässig schmackhafter Fertiggerichte.
• Mit 30 Jahren: Ein sesshafter Lebensstil dominiert. 80 % der Arbeitsplätze gelten als sitzende Schreibtischarbeit. Ökonomische Faktoren verstärken die Problematik, da Fettleibigkeit disproportional Menschen mit niedrigem Einkommen betrifft.
• Mit 40 Jahren: Umwelt- und soziale Faktoren spielen eine grössere Rolle. Schlechte Stadtplanung, Transport zur Arbeit und mangelnde Freizeitmöglichkeiten fördern Adipositas. Schlechte soziale Verbindungen, Stress und hohe Ghrelin-Spiegel verschärfen das Problem.
• Mit 50 Jahren: Verhaltensbedingte Faktoren wie hormonelles Ungleichgewicht und schlechter Schlaf fördern übermässiges Essen und Gewichtszunahme. Frauen nehmen während der Perimenopause durchschnittlich 5–7 Pfund zu.
• Mit 60 Jahren: Abnehmende Kraft und Mobilität führen zu sarkopenischer Adipositas. Altersbedingte Veränderungen bei Östrogen und Testosteron beeinflussen die Körperzusammensetzung.

Das Risiko, Fettleibigkeit als Krankheit zu betrachten: Schwerpunkt auf pharmazeutischen Strategien gegen Fettleibigkeit

Was ist in der Pipeline für zukünftige Medikationen gegen Fettleibigkeit? «Da die neuen Pharmakotherapien gegen Fettleibigkeit zu einem durchschnittlichen Gewichtsverlust von 15-25% führen, können intensive Lebensstil-Interventionen lediglich einen geringen zusätzlichen Gewichtsverlust bewirken» (Int J Obesity 2024).

Da die Pharmakotherapie grössere Aufrechterhaltung der Gewichtsabnehme als Lebensstiländerungen allein (z.B. Step 3 Studie) unterstützen klinische Guidelines die Verwendung von Langzeit-Anti-Obesitas-Medikation (JAMA 2023; 330: 2000-2015).
Eine ausschliessliche Fokussierung auf die Gewichtsabnahme erscheint unangemessen, da GLP-1 RA sich negativ auf die fettfreien Körpermasse auswirkt (bis zu 40%) und eine Veränderung des Körperfettanteils für die Wirksamkeit berücksichtigt werden sollte.
Ozempic kann möglicherweise Ihr persönliches und ihr Sexualleben verändern, sagt ein Experte. Das Absetzen von GLP-1 Rezeptor-Agonisten war bei denjenigen die nur an Adipositas litten, häufiger als bei denjenigen, die zu Beginn der Studie an Diabetes litten (Obesitas 50%, Diabetes 36%).

Fazit

Lebensstilinterventionen sind sicher und wirksam und bleiben der Eckpfeiler sowohl in der Vorbeugung als auch der Behandlung von Fettleibigkeit, erfordern jedoch einen systemorientierten Ansatz Eine erfolgreiche Umsetzung erfordert Ressourcen für eine langfristige Betreuung und Beratung, die mit denen für Pharmakotherapie vergleichbar sind.

Pharmazeutische Strategien zur Bekämpfung der Fettleibigkeit sind wertvoll, um eine Gewichtsabnahme einzuleiten und die Prognose für Patienten mit Fettleibigkeit zu verbessern, In Anbetracht ihrer Wirkungen gibt die langfristige Anwendung dieser Therapien – insbesondere bei gleichzeitiger Anwendung von Lebensstiländerungen jedoch Anlass zu Bedenken.

Neue Therapien: GLP1 und GIP/GLP-1 Rezeptoragonisten


«Herausforderungen der heutigen Gesellschaft sind Klimawandel, Künstliche Intelligenz und Langlebigkeit», so Prof. John Deanfield, London.
Weltweit ist das Leben länger aber nicht gesünder geworden. Die durchschnittliche globale Lebenserwartung hat massive Verbesserungen erfahren. Die mittlere Lebenserwartung lag 1960 bei 54 Jahren. 2019 betrug sie 73 Jahre, was einer Zunahme um 19 Jahre entspricht, so der Referent. 1922 hatte ein 20jähriger nur eine 20%ige Chance 80 Jahre alt zu werden. Ein heute geborenes Kind hat dagegen eine mehr als 50%ige Chance bis 95 Jahre alt zu werden. Das Alter sollte als biologischer, und nicht bloss als ein chronologischer Prozess angeschaut werden.

Fettleibigkeit – von der Epidemie zur Pandemie

Von 1990 bis 2022 hat sich die Fettleibigkeit bei Erwachsenen verdoppelt und bei Jungen in allen Regionen vervierfacht. Dies hat Auswirkungen auch auf die Lebenserwartung. Mit einem normalen BMI habe 80% die Chance ein Alter von 70 Jahren zu erreiche, bei einem BMI von 35-40kg/m2 60<% und bei einem BMI von 40-50kg/m2 nur 50%. Dies hat auch negative ökonomische Konsequenzen.

Neue Behandlungen für Fettleibigkeit

GLP-1RAs: Erstmalige potenzielle Lösung, um zuverlässig signifikanten, nachhaltigen Gewichtsverlust sicher mit Medikamenten zu produzieren.

Glykämische Kontrolle des T2DM, Management der Fettleibigkeit, kardiovaskuläre Krankheits-Modifizierung, plus andere Krankheiten?

Der Referent verwies auf die EMPA-REG Studie mit Empagliflozin die eine relative Risikosenkung des Risikos für Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz von 35% ergab und die SUSTAIN 6 Studie mit Semaglutid, die eine relative Risikosenkung für MACE von 26% zeigte. Die SELECT Studie, in welcher Patienten mit Herzkrankheit aber ohne Diabetes, die übergewichtig oder fettleibig waren, Semaglutid (2.4mg sc/Woche mit Placebo verglichen wurde, ergab eine Hazard Ratio von 0.8 für kardiovaskulären Tod, von 0.80 (p<0.001 für Überlegenheit) für ein kardiovaskuläres Komposit und 0.81 für Gesamtmortalität. Zwischen BMI und Herzinsuffizienz gibt es eine starke Assoziation bereits ab BMI 30kg/m2, zwischen BMI und KHK ab BMI 45kg/m2, aber keine Assoziation zwischen BMI und Schlaganfall, wie aus der ARIC-Studie hervorgeht.

Wie verursachen GLP-1RAs Körpergewichtsverlust?

GLP-1-Rezeptor-Agonisten fördern Glucose-abhängig die Insulinsekretion aus den Betazellen des Pankreas. Sie senken die Glucagonsekretion aus den Alphazellen und führen dadurch zu einer verminderten Glucose-Abgabe durch die Leber (Senkung der Gluconeogenese). Sie erhöhen die Insulinsensitivität und verlangsamen die Magenentleerung und reduzieren damit die Geschwindigkeit, mit der Glucose in den Blutkreislauf gelangt. Sie erhöhen die Sättigung (zentral), senken das Hungergefühl und tragen damit zu einer Gewichtsabnahme bei.

Neue Ansätze gegen Übergewicht/ Fettleibigkeit

Bimagrumab ist ein humaner monoklonaler Antikörper, der den Activin-Typ II-Rezeptor bindet und inhibiert. In einer randomisierten Phase 2 Studie bewirkte Bimagrumab eine signifikante Abnahme der Fettmasse, eine Zunahme der fettfreien Köpermasse, und metabolische Verbesserungen bei Patienten mit Übergewicht oder Adipositas und T2DM.

Fazit

Fettleibigkeit verändert das Krankheitsbild der kardio-renalen-metabolischen Erkrankungen in der Bevölkerung
GLP1-Ras und Kombinationen ermöglichen eine signifikante und nachhaltige Gewichtsabnahme, die sich auf mehrere Alterskrankheiten wie T2DM, CKD und CVD positiv auswirken kann.

Die Regierungen engagieren sich, weil Prävention eine Chance zur Schaffung von Wohlstand ist und nicht einfach nur eine Ausgabe für das Gesundheitsbudget.

Die Öffentlichkeit ist begeistert von der Fähigkeit der GLP-1 Ras eine signifikante Gewichtsabnahme zu erreichen., aber die Medikamente können auch die Ergebnisse bei verschiedenen Alterskrankheiten verbessern und das Verhalten ändern. Dies schafft eine neue Möglichkeit zum Nutzen der Patienten und der Gesundheit der Bevölkerung ausserhalb des traditionellen Gesundheitssystems.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Die Bedeutung des Stentings

Einen kritischen Überblick über die Bedeutung des Stenting präsentierte Prof. Dr. Franz Eberli, Stadtspital Triemli, Zürich an den diesjährigen ZAIM MediDays. Die Behandlung der koronaren Herzkrankheit erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen Stenting und medikamentöser Therapie.

Stenting zur Verbesserung der Prognose


Studien wie ISCHEMIA und ORBITA zeigen, dass ein invasives Vorgehen bei einer stabilen koronaren Herzkrankheit (KHK) oft keinen langfristigen Überlebensvorteil bietet, aber Symptome deutlich lindert und die Lebensqualität verbessert, sagte Prof. Eberli. Die Kombination aus optimaler medikamentöser Therapie, Lebensstiländerungen und gezielten Revaskularisationsmassnahmen bleibt der Schlüssel zu einer patientenzentrierten Behandlungsstrategie.

Konservatives Management der KHK

Das konservative Management der koronaren Herzkrankheit umfasst eine Vielzahl von Ansätzen, die auf die Reduktion von Risikofaktoren und die Verbesserung der Lebensqualität abzielen:
• Risikoreduktion
– Anpassung des Lebensstils: Rauchstopp, Gewichtsreduktion, körperliches Training, Essgewohnheiten
– Cholesterinsenkende Therapie
– Behandlung der Hypertonie
– Diabetestherapie
• Thrombozytenaggregationshemmer
• Antiischämische Therapie
• Betablocker
• Kalziumantagonisten
• Langwirkende Nitrate und Molsidomin (Corvaton®)
• Nicorandil (Dancor®), Ranolazin (Ranexa®), Ivabradin  (Procalaran®)

Mehrwert von Stenting zusätzlich zum medikamentösen Management

• Die einzelnen Komponenten der medikamentösen Therapie haben oft nur einen begrenzten Einfluss auf Prognose und Symptome. Jedoch verbessert die Gesamtheit der medikamentösen Therapie die Prognose.
• Lebensstiländerungen, eine optimale medikamentöse Therapie und die koronare Revaskularisation spielen komplementäre Rollen in der Behandlung der KHK.

Wann bringt die Revaskularisation mittels Stenting einen Mehrwert?

Beim akuten Koronarsyndrom zeigt die perkutane Koronarintervention (PCI) eine deutliche Senkung der Mortalität, wie der Referent anhand von Daten aus den Jahren 1997 bis 2015 darlegte.

Prognostischer Wert bei Hauptstammstenose und schwerer Dreigefässerkrankung

Historisch zeigte sich ein Überlebensvorteil bei der Revaskularisation mittels Bypass-Operation im Vergleich zur rein medikamentösen Therapie. Dies wurde in einer Meta-Analyse der 10-Jahres-Mortalität (Lancet 1994;344:563–570) für folgende Patientenpopulationen bestätigt:
• Patienten mit einer Hauptstammstenose >50 %
• Patienten mit Mehrgefäss-KHK und hochgradiger proximaler RIVA-Stenose
• Patienten mit Mehrgefäss-KHK und einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (EF) <40 %
Die Folge war, dass alle diese Patienten von allen Studien ausgeschlossen wurden.

Prognostischer Wert des invasiven Managements beim chronischen Koronarsyndrom mit Ein/Zwei­gefässerkrankung

• In randomisierten Einzelstudien über 3–5 Jahre wurde kein prognostischer Vorteil einer initial invasiven im Vergleich zu einer initial medikamentösen Therapie nachgewiesen.
• Meta-Analysen deuten jedoch auf mögliche prognostische Vorteile hin.
• Die Randomisierung erfolge in allen Studien nach Koronarographie mit Ausnahme der ICHEMIA Studie
• In allen Studien führte die Revaskularisation zu einer Reduktion der Symptome und der benötigten antiischämischen Medikamente
Beispiel ISCHEMIA-Studie (New Engl J Med 2020;382: 1395–1407:
In die Studie wurden 5179 Patienten mit moderater oder schwerer Ischämie eingeschlossen. Sie wurden in zwei Gruppen randomisiert:
• Initial invasive Strategie: Koronarangiographie und, wenn möglich, Revaskularisation plus medikamentöse Therapie.
• Initial konservative Strategie: Medikamentöse Therapie allein, Angiographie und Revaskularisation nur bei Versagen der Therapie.
Der primäre Endpunkt war ein Komposit aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Hospitalisation wegen instabiler Angina pectoris, Herzinsuffizienz oder reanimiertem Herzstillstand. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass es keine Evidenz dafür gab, dass die initial invasive Strategie das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse oder die Gesamtmortalität über einen Median von 3,2 Jahren reduzierte.

Studien bei stabiler Angina pectoris: Fast Check

Bei stabiler Angina gab es nie eine Studie, die PCI vs. medikamentöse Therapie allein, d. h. unter Verbot/Ausschluss der jeweils anderen Therapie untersucht hat. Alle Studien bei stabiler Angina waren Strategiestudien initial medikamentöse Therapie vs. initial invasives Vorgehen. Ein Drittel aller Patienten, die initial medikamentös behandelt wurden, mussten im Verlauf revaskularisiert werden.
ISCHEMIA: Ist es sicher, dass die Prognose durch das konservative Management im Langzeitverlauf nicht schlechter wird?
Es ist wichtig zu wissen, dass der erste erreichte Endpunkt auf der Kaplan-Meier-Kurve dargestellt ist. Das heisst: Wenn jemand einen Herzinfarkt erleidet, gilt dies als Erreichen des Endpunkts. Wenn der Patient drei Wochen später stirbt, erscheint das nicht auf der Kaplan-Meier-Kurve.
ISCHEMIA Trial: Mehr spontane Myokardinfarkte (Typ 1) bei anfänglich konservativer Strategie
• Spontane Myokardinfarkte waren mit einer höheren Sterblichkeit im Verlauf von 3.2 Jahren verbunden
• Sorge, dass bei Weiterbestehen der erhöhten Rate an spontanen Myokardinfarkten die konservative Strategie zu erhöhter kardiovaskulärer Mortalität führt.

ISCHEMIA Extended (Hochman JS et al. Circulation 2023;147:8–19)

Es wurde eine 22 % erhöhte kardiovaskuläre Mortalität bei initial konservativem Management beobachtet:
• Beobachtungszeit betrug 7 Jahre
• Mortalität (Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Mortalität unbestimmt)
• Es wurden keine weiteren Ereignisse wie Myokardinfarkt, Revaskularisationen, Herzinsuffizienz oder medikamentöse Therapie berücksichtigt
• Hazard Ration betrug 0.78 (0.63 bis 0.96)

Konklusionen zur Prognose

• Der Nutzen eines koronaren Stenting muss differenziert bezüglich Verbesserung der Prognose und der Symptome betrachtet werden
• Die Prognose hängt ab vom Ausmass der KHK (Hauptstammstenose, Dreigefässerkrankung)
• Patienten, auch diabetische, können initial eine medikamentöse Therapie erhalten, sofern aus prognostischen und symptomatischen Gründen keine Revaskularisation erforderlich ist
• Bei konservativem Management muss im Verlauf eine erhöhte Anzahl an spontanen Myokardinfarkten in Kauf genommen werden

Meta-Analyse aller Studien mit invasivem vs. konservativem Management

Das Risiko für einen spontanen Myokardinfarkt kann durch das invasive Management um 26 % gesenkt werden. Ebenso kann die kardiale Mortalität durch das invasive Management um 21 % reduziert werden (Navarese et al Eur. Heart J 2021;42:4638–4651.
OMT plus präventive PCI vs. medikamentöse Therapie (Prevent trial Lancet 2024;403:1752).
• Patienten mit hämodynamisch nicht wirksamen Stenosen (FFR > 0.8) von > 50 %
• Vulnerable Plaque nach IVUS und/oder OCT
• Randomisiert zu 803 Patienten mit optimaler medikamentöser Therapie versus 803 Patienten mit OMT plus Stenting (33 % ABSORB 67 % XIENCE)

Konklusionen I

• Der Nutzen von koronarem Stenting muss differenziert erfolgen, wobei einerseits die Verbesserung der Prognose und andererseits die Linderung der Symptome zu betrachten sind
• Die Prognose hängt ab vom Ausmass der koronaren Herzkrankheit KHK (Hauptstammstenose, Dreigefässerkrankung)
• Auch Patienten mit Diabetes können initial medikamentös behandelt werden, wenn aus prognostischen und symptomatischen Gründen keine Revaskularisation erforderlich ist
• Bei einem konservativen Management muss im Verlauf eine erhöhte Anzahl an spontanen Myokardinfarkten in Kauf genommen werden

Stenting zur Verbesserung der Symptome

Messen der Qualität eines initial konservativen vs. invasiven Managements der chronisch koronaren Herzkrankheit

Clinical Reported Outcome Measures (CROM)
• Kardiovaskulärer Tod
• Gesamtmortalität
• Myokardinfarkt
• Revaskularisation
• Instabile Angina pectoris
• Herzinsuffizienz
Patient Reported Outcome Measures (PROM)
• Symptome
• Funktioneller Status (physisch, psychisch, sozial)
• Lebensqualität bezüglich Gesundheit
• Lebensqualität insgesamt
• Gesundheitsverhalten (Medikamentenadhärenz, Selbstsorge)
• Erfahrung mit der Behandlung (PREM)

Resultate der ISCHEMIA-Studie

CROM: Ischämische KV-Ereignisse oder Tod. Kein Vorteil der initial invasiven Strategie vs. initial konservatives Management.
PROM: Angina, QoL, physische Fitness. Weniger Angina und bessere Lebensqualität durch initial invasives vs. konservatives Management.
ISCHEMIA: Die initial invasive Strategie zeigt eine höhere Effektivität bezüglich der Symptomfreiheit als die initial konservative Strategie. Die Wahrscheinlichkeit, frei von Angina pectoris zu sein, ist gegeben. In der Gesamtpopulation der Studie mit mässiger oder schwerer Ischämie, zu der 35 % der Teilnehmer ohne Angina pectoris zu Studienbeginn gehörten, zeigten die Patienten, die nach dem Zufallsprinzip der invasiven Strategie zugewiesen wurden, eine grössere Verbesserung des Angina-bedingten Gesundheitszustands als diejenigen, die der konservativen Strategie zugewiesen wurden. Die geringen mittleren Unterschiede zugunsten der invasiven Strategie in der Gesamtgruppe reflektierten die minimalen Unterschiede bei den asymptomatischen Patienten sowie die grösseren Unterschiede bei denjenigen, die zu Beginn der Studie eine Angina pectoris auswiesen.

ORBITA-Studie

Die ORBITA-Studie stellt die PCI als Therapie der Angina pectoris in Frage.

Im Rahmen der ORBITA-Studie wurde untersucht, ob die PCI besser als die anti-anginöse Therapie zur Leistungs- und Symptomverbesserung bei Eingefässerkrankung ist.

Es wurden 200 Patienten mit stabiler KHK x 1 (≥ 70 % Stenose), im Mittel 3.1 anti-anginöse Medikamente, 75 % AP CCS II, CCS 0-1, randomisiert zu PCI oder Sham-Intervention. Die Resultate zeigten keine signifikante Verbesserung der Belastbarkeit bei Stenting vs. OMT. Stenting reduzierte die Ischämie, nach Sham gab es keine Reduktion der Ischämie (p = 0.011). Je kleiner FFR (je grösser die Ischämie), desto grösser war die Verbesserung. 20 % mehr PCI-Patienten waren nach 6 Wochen frei von Angina (NNT = 5).
Urteil der Patientinnen und Patienten: 85 % der Sham Gruppe wünschten und erhielten eine PCI.

ORBITA-2-Studie

PCI reduziert Angina pectoris bei instabiler KHK. Die ORBITA-2-Studie ging der Frage nach, ob die PCI die Angina bei Patienten, welche keine antianginöse Therapie erhalten, verbessert. Es wurden 300 Patienten mit stabiler KHK (80 % Eingefäss-, 20 % Mehrgefässerkrankung) in die Studie eingeschlossen. Die antianginöse Therapie wurde unterbrochen, alle Patienten waren symptomatisch. Sie wurden randomisiert zu PCI oder Sham-Intervention («Placebo»). Primärer Endpunkt war die Differenz im Angina-Symptom-Score nach 12 Wochen. Die PCI verbesserte die Ischämie und alle Aspekte der Symptome und der Lebensqualität.

Konservatives vs. invasives Management der KHK

Die Kosten für ein Stenting belaufen sich auf 500 CHF pro eingesetztem Stent. Im Mittel werden zwei Stents pro Intervention eingesetzt, was einer Gesamtzahl von 25 933 Stents pro Jahr entspricht. Multipliziert mit einem Preis von 500 CHF pro Stent resultiert dies in Kosten von 25.9 Mio. CHF pro Jahr. Im Jahr 2022 beliefen sich die Kosten für Statine auf 200.5 Mio. CHF. Die jährlichen Behandlungskosten der stabilen koronaren Herzkrankheit sind in Tab. 1 dargestellt.

Arteriosklerose in der CH: 1.2 Mio. Personen. Kosten für Medikamente und ärztliche Betreuung 1.2 Mio. x 1901 = 2.73 Milliarden.

ODYSSEY Kosten für die Verhinderung eines nicht-tödlichen kardiovaskulären Ereignisses (MI, CVI, UAR, HF-Hospitalisierung, Revaskularisation wegen Ischämie). NNT für 4 Jahre: 44 für das erste Ereignis, 18 für alle Ereignisse. Kosten, um ein kardiovaskuläres Ereignis zu verhindern:
Erstereignis CHF 4993 x 44 x 4 = 878 768 CHF
Jedes Ereignis CHF 4993 x 18 x 4 = 359 496 CHF
STEMI = 8 % aller kardiovaskulärer Ereignisse. Kosten zur Verhinderung eines STEMI: 359 496 CHF x 12.5 = 4 493 700 CHF.

Stabile KHK

Unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des Patienten kann eine Entscheidung bezüglich der zu wählenden Behandlungsstrategie getroffen werden. Dazu schilderte der Referent das Fallbeispiels Bill Clinton, 2004: vierfacher aorto-koronarer Bypass, 2010 Stentimplantation wegen Bypass-Verschluss. Der Patient hatte die Statintherapie abgesetzt.
Die Betreuung des Patienten mit chronischer koronarer Herzkrankheit erfolgt nach dem Prinzip der gemeinsamen Entscheidungsfindung (Shared Decision Making).
Die Patientenperspektive umfasst folgende Aspekte:
• Symptome und Lebensqualität
• Kardiovaskuläres Risiko
• Präferenzen des Patienten
• Haltung gegenüber dem Risiko
Die Perspektive des Arztes beinhaltet:
• Wissen um Behandlungsoptionen
• Nutzen und Risiko der verschiedenen Therapie­strategien

Konklusionen II

• Die koronare Revaskularisation reduziert zuverlässig die Symptome bei stenosierender koronarer Herzkrankheit
• Die medikamentöse Therapie und die koronare Revaskularisation ergänzen einander in der Behandlung der KHK
• Therapieentscheide sollten patientenzentriert getroffen werden
• Die Kosten für eine Revaskularisation entsprechen den Kosten für 10 Jahre konservatives Management, solange kein PCSK9-Inhibitor eingesetzt wird.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch