Wann welche Thrombocyten-Aggregationshemmer, wann orale Antikoagulation in der Kardiologie?

Die antithrombotische Therapie bei kardialen Erkrankungen hat sich in den letzten 30 Jahren durch die Etablierung neuer Thrombocytenaggregationshemmer und neuer oraler Antikoagulantien stark verändert. Die Wahl der einzelnen Substanzen und die Festlegung der Behandlungsdauer stellen im klinischen Alltag eine grosse Herausforderung dar. Die heutigen in vielen 100 Seiten dargestellten Richtlinien basieren auf zahlreichen grossen randomisierten Studien, welche sich in erster Linie am Nutzen, nämlich der Verhinderung von atherothrombotischen und thromboembolischen Ereignissen und am Risiko der durch die Gerinnungshemmung in Kauf genommenen Blutungen orientiert. Die Übersicht orientiert sich an den in diesem Zusammenhang kardiologisch wichtigsten Krankheitsbildern Koronare Herzkrankheit, Klappenerkrankungen, Vorhofflimmern/Vorhofflattern und Thrombose/Lungenembolie.

Antithrombotic therapy for cardiac diseases has changed considerably over the last 30 years due to the establishment of new platelet inhibitors and new oral anticoagulants. The choice of individual substances and the determination of the duration of treatment represent a major challenge in everyday clinical practice. The current guidelines, presented in many hundreds of pages, are based on numerous large randomized studies, which are primarily oriented towards the benefit, namely the prevention of atherothrombotic and thromboembolic events and the risk of bleeding associated with anticoagulation. The overview is based on the most important cardiac disease entities in this context: coronary heart disease, valve disease, atrial fibrillation/atrial flutter and thrombosis/pulmonary embolism.
Key words: Thrombocytenaggregationshemmung, Orale Antikoagulation, Akutes und chronisches Coronarsyndrom, Vorhofflimmern/Vorhofflattern

Einleitung

Arterielle und venöse thrombotische und thromboembolische Ereignisse sind für einen wesentlichen Teil der kardiovaskulären Erkrankungen verantwortlich, beispielsweise im Rahmen der koronaren Herzkrankheit, von Vorhofflimmern und –flattern oder von venösen Thrombosen und Lungenembolien. Die Thrombocyten­aggregationshemmung sowie die Hemmung der plasmatischen Gerinnung beeinflussen entscheidend den Verlauf dieser kardiovaskulären Erkrankungen durch Reduktion von thrombotischen Ereignissen im arteriellen und venösen System. Generell aber ist eine effiziente Gerinnungshemmung immer auch mit einem erhöhten Blutungsrisiko verbunden. Der Erfolg einer antithrombotischen Behandlung misst sich am Netto-Benefit zwischen Verhinderung von thrombotischen Ereignissen und der Inkaufnahme von (mehr) Blutung. Für verschiedene Krankheitsentitäten lässt sich das Thrombose­risiko in drei Risikogruppen einteilen (Tab. 1).


Zur Abschätzung des Blutungsrisikos existieren je nach Krankheitsbild unterschiedliche Scores, welche zurzeit noch validiert werden. Die Darstellung der diversen Scores bei der Koronaren Herzkrankheit sprengt den Rahmen dieser Übersicht. Hier sei auf weiterführende Literatur verwiesen (1).

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte sind für die Thrombocyten-Aggregationshemmung neben niedrig dosierter Acetylsalicysäure verschiedene andere orale Substanzen dazugekommen; heute am wichtigsten sind die P2Y12-Inhibitoren Clopidogrel (Plavix®), Prasugrel (Efient®) und Ticagrelor (Brillique®). Zur plasmatischen Gerinnungshemmung werden neben dem Vitamin-K-Antagonisten (VKA) Phenprocoumon (Marcourmar®) und Acenocoumarol (Sintrom®) die NOAKs (Nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulation) in Form der Faktor-Xa-Antagonisten Rivaroxaban (Xarelto®), Apixaban (Eliquis®) und Edoxaban (Lixiana®) und des direkten Thrombin-Inhibitor Dabigatran (Pradaxa®) eingesetzt. Die Wahl der einzelnen Substanzen bzw. allfällige Kombinationen stellt im klinischen Alltag eine grosse Herausforderung dar. In der folgenden Übersicht soll mittels klinischer Standardsituation das Prinzip des rationalen Einsatzes der verschiedenen Substanzen aufgezeigt werden.

Koronare Herzkrankheit

Heutiger Stellenwert der Thrombocytenaggregationshemmung in der Primärprävention

Der Stellenwert von Acetyl-Salicyl-Säure (ASS) in der Dosierung von 75-100mg pro Tag in der Primärprävention einer Koronaren Herzkrankheit ist in den letzten Jahren aufgrund eines ungünstigen Nutzen-Risikos immer mehr in Frage gestellt worden. Mehrere grosse randomisierte Studien haben gezeigt, dass das leicht erhöhte Blutungsrisiko die Verhinderung von kardiovaskulären Ereignissen überwiegt. Eine in diesem Zusammenhang durchgeführte Meta-Analyse anhand von 11 Studien mit insgesamt über 150’000 Probanden zeigte zwar eine 20%ige relative Risikoreduktion von Myokardinfarkten, jedoch keine Reduktion der kardiovaskulären Mortalität, und dies um den Preis von signifikant mehr Blutungen, insbesondere 50% mehr Hirnblutungen (2). Die aktuellen europäischen und amerikanischen Richtlinien raten deshalb in der kardiovaskulären Primärprävention vom Einsatz von niedrig-dosiertem Aspirin (75-100mg täglich) ab (3, 4). Zudem ist unklar, ob die Einnahme von Aspirin das Risiko der Inzidenz oder Mortalität von Darmkrebs verringert (3).

Wo die Grenze zwischen Primär- und Sekundärprävention ist, bleibt arbiträr. Durch verschiedene Risikorechner wie den in der Schweiz hauptsächlich verwendeten AGLA-Score, den ESC-SCORE-2 und ESC-SCORE2-OP lassen sich Risikokategorien für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines zukünftigen kardiovaskulären Ereignisses berechnen: Ein sehr hohes Risiko entspricht im AGLA-Score einer berechneten 10-Jahreseintrittswahrscheinlichkeit von mehr als 30 Prozent für ein tödliches oder nicht-tödliches kardiovaskuläres Ereignis, vergleichbar mit einer im ESC-Score-2 berechneten Wahrscheinlichkeit von mehr als 10 Prozent eines tödlichen vaskulären Ereignisses in 10 Jahren. Die Ziel-Werte für die LDL-Senkung sind hier genau definiert. Wann hingegen mit einer Thrombocytenaggregationshemmung begonnen werden soll, ist nicht ebenso klar geregelt und soll individuell festgelegt werden (4).

Thrombocytenaggregationshemmung bei Chronischem Koronarsyndrom (CCS) und akutem Koronarsyndrom (ACS)

Der Begriff des Chronischen Koronarsyndroms ist 2019 eingeführt worden und soll auf die potentiell dynamische Komponente der chronischen koronaren Herzkrankheit hinweisen (5).

Auch heute ist bei etablierter kardiovaskulärer Erkrankung die tägliche Einnahme von 75-100mg ASS erste Wahl zur antithrombotischen Sekundärprävention (5). Die irreversible Tc-Aggregations-Hemmung ist assoziiert mit einer signifikanten Reduktion zukünftiger kardiovaskulärer Ereignisse inkl. einer 10%igen Reduktion der kardiovaskulären Mortalität (6). Höhere ASS-Dosierungen erhöhen nicht den Effekt der Tc-Aggregationshemmung, jedoch das Risiko von gastrointestinalen Nebenwirkungen. Anstelle von ASS kann unter bestimmten Umständen auch eine Monotherapie mit einem P2Y12-Inhibitor durchgeführt werden: Insbesondere Patienten mit PAVK und KHK könnten von gemäss einer schon im Jahre 1996 publizierten Studie von Clopidogrel profitieren (5).

In erster Linie wird bei ASS-Intoleranz Clopidogrel in einer Dosierung von 75mg empfohlen. Bzgl. einer differenzierten Darstellung sei auf die ausführlichen europäischen Richtlinien verwiesen (5). Die über Jahrzehnte gültige Empfehlung, bei CCS bzw. 1 Jahr nach ACS in der Langzeitsekundärprävention eine Plättchenhemmermonotherapie bzw. bei Patienten mit Antikoagulationsindikation eine Antikoagulationsmonotherapie durchzuführen, wurde mit der Richtlinie von 2019 im Sinne einer Individualisierung leicht modifiziert (5). Insbesondere bei in der COMPASS-Studie untersuchten schwer polyvaskulär kranken CCS-Patienten mit begleitendem Diabetes, peripher arterieller Verschlusskrankheit und Sinusrhythmus kann unter Berücksichtigung des Blutungsrisikos zeitlich unlimitiert eine niedrig dosierte Antikoagulationstherapie mit 2×2.5 mg Rivaroxaban täglich zusätzlich zu ASS 100 mg in Betracht gezogen werden (7).

Antithrombotische Therapie nach elektiv durchgeführter Koronarintervention bei CCS sowie nach ACS: Die Definition der Dauer und die Wahl der antithrombotischen Therapie nach perkutaner Koronarintervention und Stentimplantation bleibt ebenfalls eine Herausforderung (8). Unter dem Gesichtspunkt des Ischämierisikos hängen Art und Dauer der dualen antithrombotischen Therapie von der klinischen Situation (ACS vs. CCS) und der Komplexität des Koronareingriffs ab. Eine Verlängerung der intensivierten antithrombotischen Therapie kann zwar das Ischämierisiko verringern, ist aber mit einer erhöhten Blutungsgefahr und damit potenziell einer erhöhten Sterblichkeit verbunden (8). Die Richtlinien empfehlen deshalb, die Dauer der dualen antithrombotischen Therapie zu individualisieren (9). Die Anpassung an die individuelle klinische Situation bleibt auch deshalb eine Herausforderung, weil erstens Blutungen und Ischämie gemeinsame Prädiktoren haben, und zweitens Thrombozytenfunktionstests nachweislich im klinischen Alltag nicht hilfeich für die Entscheidungsfindung sind. Tabelle 2 fasst die für den Alltag wichtigsten Empfehlungen zusammen.


Die wichtigsten Aspekte der prä-/periinterventionellen antithrombotischen ACS-Therapie (10) :

NSTEMI
– Ticagrelor und Prasugrel werden bevorzugt eingesetzt anstelle von Clopidogrel.
– eine routinemässige Vorbehandlung mit einem P2Y12Inhibitor ist kontraindiziert, falls eine frühe invasive Abklärung (<24Stunden) gewählt wird.

STEMI
– Initial unfraktioniertes Heparin als erste Wahl zusätzlich zu 250 mg ASS i.v. oder p.o.
– Prasugrel und Ticagrelor haben Clopidogrel als erste Wahl ersetzt.

Duale Antithrombotische Therapie nach koronarer Bypassoperation: Neben einer zeitlich unlimitierten Gabe von ASS 100 mg wird im Rahmen eines CCS eine 6-monatige, nach ACS eine 12-monatige zusätzliche Gabe von Clopidogrel empfohlen (5, 10).

Antithrombotische Therapie nach Klappeninterventionen

Nach mechanischer Klappenimplantation ist eine zeitlich unlimitierte orale Antikoagulation mit einem VKA, d.h. in erster Linie Phenprocoumon (Marcourmar®) indiziert. Anstelle einer Bandbreite von einem INR z.B. zwischen 2.0 und 3.0 wird heute ein Ziel-INR bevorzugt angegeben, bei modernen Klappen ohne zusätzliche Risikofaktoren (wie z.B. Klappe in Mitral- oder Tricuspidalposition, frühere Thromboembolie, gleichzeitiges Vorliegen eines Vorhofflimmerns oder eingeschränkte linksventrikuläre Auswurffraktion <35%) beträgt der Ziel-INR 2,5 (4). Das INR-Selbstmonitoring ist assoziiert mit einem erniedrigten Risiko einer VKA-assoziierten Komplikation und sollte bei geeigneten Patienten jeden Alters angestrebt werden (11). Eine zusätzliche Gabe von 75-100mg ASS pro Tag kann bei Patienten mit sehr hohem Thrombose-Embolie-Risiko eingesetzt werden, ist aber begleitet von einem erhöhten Blutungsrisiko (12). Das periinterventionelle antithrombotische Management erfordert bei allen Patienten, welche unter einer gerinnungshemmenden Therapie sind, ein strukturiertes Vorgehen unter Berücksichtigung des Blutungsrisikos des Eingriffes bei Weiterführen der Gerinnungshemmung und des Thrombo-Embolie-Risikos bei Unterbrechung und allfälliger Überbrückung (13).

Die optimale antithrombotische Strategie nach chirurgisch implantierter Bioprothese ist aufgrund unklarer Datenlage nach wie vor kontrovers. In den aktuellen europäischen Richtlinien wird eine 3-monatige OAK mit VKA empfohlen für Bioprothesen in mitraler und tricuspidaler Position, bei Bioprothesen in aortaler Position wird ASS oder VKA empfohlen für 3 Monate (13)

– Nach perkutanem Aortenklappenersatz ist eine zeitlich unlimitierte Gabe von ASS 100 mg empfohlen, ohne zusätzliche Notwendigkeit einer initialen OAK (13).

Vorhofflimmern und Vorhofflattern

Die Indikation für eine Antikoagulation, d.h. Hemmung der plasmatischen Gerinnung zur Risikoreduktion eines thromboembolischen Ereignisses bei chronischem Vorhofflimmern und Vorhofflattern (VHF) ist gegeben bei einem CHA2DS2Vasc-Score >2 beim Mann und >3 bei der Frau (14).

Für den Einsatz von NOAKs besteht eine mindestens gleich gute Effizienz im Vergleich zu VKA d.h. Phenprocoumon (Marcoumar®) bzw. Acenocoumarol (Sintrom®), aber eine insgesamt verbesserte Sicherheit, in erster Linie weniger Hirnblutungen und weniger schwere und lebensbedrohliche Blutungen im Vergleich zu VKA.

In den aktuellen europäischen Richtlinien besteht zwar für die Thromboembolieprophylaxe bei VHF eine gleichwertige Klasse-I-Indikation für VKA und NOAKs. Grundsätzlich wird den NOAKs unter Beachtung der Kontraindikationen (schwere Niereninsuffienz, mechanische Herzklappe, mittel- oder hochgradige Mitralstenose) aber der Vorzug gegeben (14).

Spezial-Situationen: Nach einer Kardioversion ist aufgrund einer vorübergehend eingeschränkten Vorhofskontraktion (sogenanntes «atrial Stunning») eine Thromboembolieprophylaxe vorzugsweise mit einem NOAK unabhängig vom CHA2DS2-VASc Score für mindestens 4 Wochen notwendig. Etwas länger und zwar für 3 Monate, d.h. bis zur erwarteten Abheilung der entstandenen Endothelläsionen im linken Vorhof sollte die OAK nach Pulmonalvenenisolation erfolgen. Aspirin hat in dieser Indikation keinen Stellenwert mehr.

Einige weitere wichtige Aspekte zum Einsatz von NOAKS:
– Eine ungenügende Compliance kann die Wirksamkeit von NOAKs erheblich beeinträchtigen (kurze Halbwertszeit, kein Monitorring).
– Kombination mit Thrombozytenaggregationshemmern bei Patienten mit Vorhofflimmern und KHK kommen in Frage (Tab. 2)
– Das Risiko für gastrointestinale Blutungen ist möglicherweise etwas erhöht unter Rivaroxaban 20 mg und Dabigatran 150 mg 2x/Tag (im Vergleich zu den anderen NOAKs)
– Niereninsuffizienz:
o regelmässige Kreatininkontrolle nötig (Dabigatran höchste Kumulationsgefahr, da 80% renal eleminiert). Die Dosis gemäss Zulassung richtet sich nach der Kreatininclearence und nicht nach der eGFR.
o Schwere Niereninsuffizienz: kaum Daten (weder für NOAK noch für VKA); Apixaban und Edoxaban whs. die besten Optionen
o Quantifizierung der antikoagulatorischen Effekte (Anti-Faktor-Xa Aktivität) im Notfall (Blutung, Operation) möglich, aber nicht generell zur Therapiekontrolle
o Nach bariatrischer Chirurgie wenig Daten hinsichtlich Resorption von NOAK. Primär Verwendung von VKA oder von Apixaban unter Kontrolle der Anti-Faktor-Xa Aktivität

Antithrombotische Therapie bei Thrombose/Lungenembolie

Bezüglich Diagnostik und Risikostratfizierung von Thrombose und Lungenembolie sei auf die neuesten europäischen Richtlinien verwiesen (15). Die NOAKS haben sich gegenüber der antithrombotischen Behandlung mit VKA weitgehend durchgesetzt. Wie in Tabelle 3 ersichtlich, ist die initiale Behandlung entsprechend den in diesem Setting durchgeführten randomisierten Studien bei den verschiedenen NOAKS unterschiedlich.

Wie lange soll die OAK nach Thrombose/Lungenembolie durchgeführt werden?

Neben der Behandlung des akuten thromboembolischen Ereignisses soll die OAK auch ein erneutes Ereignis verhindern. Grundsätzlich soll die OAK mindestens 3 Monate weitergeführt werden. Anschliessend wird ein individualisiertes Vorgehen empfohlen, je nach Risikosituation und Abschätzung des zukünftigen Thrombose- und Blutungsrisikos interdisziplinär mit Hämatologen (Tab. 4).

Prof. Dr. med. Micha T. Maeder

Klinik für Kardiologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstrasse 95
9007 St. Gallen

Prof. Dr. med. Hans Rickli

Klinik für Kardiologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstrasse 95
9007 St. Gallen

Die Autoren haben keine Interessens­konflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Literatur :
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Akutes Koronarsyndrom

Akute Koronarsyndrome (ACS) repräsentieren diverse Zustände, in denen Patienten mit akuten Symptomen, EKG-Veränderungen oder/und Troponinerhöhungen vorstellig werden. Die breite Palette klinischer Präsentationen erfordert eine sorgfältige Triage und Diagnose. Die gezielte Anamnese und eine schnelle klinische Untersuchung sind entscheidend (insbesondere auch für differentialdiagnostische Überlegungen). Das Ruhe-12-Kanal-EKG ist das Hauptinstrument zur ACS-Diagnose und kann Patienten in STEMI und NSTEMI/unstabile Angina unterteilen. Hochsensitive Troponin-Tests spielen eine zusätzliche Rolle in der Diagnose und Risikostratifizierung. Die Erstversorgung umfasst Sauerstoffgabe bei Hypoxämie, sublinguale Nitrate und intravenöse Opioide zur Symptomlinderung sowie Aspirin. Antikoagulation ist essenziell und sollte individuell angepasst werden. Allfällige Revaskularisationsmassnahmen sollten in Abhängigkeit der gewählten Behandlungstrategie/klinischer Präsentation notfallmässig oder zeitnah erfolgen. In der Nachsorge sind Sekundärpräventionmassnahmen entscheidend, beginnend frühzeitig nach dem Ereignis. Die Behandlungsziele sind klar definiert und sollten auf individuellen Patientenbedürfnissen basieren. Die umfassende Betreuung von ACS-Patienten erfordert eine präzise Diagnose, eine zeitnahe Versorgung/Intervention und eine effektive Sekundärprävention.

Acute Coronary Syndromes (ACS) encompass various conditions where patients present with acute symptoms, EKG changes, or elevated troponin levels. The broad spectrum of clinical presentations requires careful triage and diagnosis. Targeted history-taking and a rapid clinical examination are crucial, especially for differential diagnostic considerations. The resting 12-lead electrocardiogram (ECG) is the main instrument for ACS diagnosis, categorizing patients into ST-segment elevation myocardial infarction (STEMI) and non-ST-segment elevation myocardial infarction (NSTEMI)/unstable angina. High-sensitivity troponin tests play an additional role in diagnosis and risk stratification. Initial care includes oxygen supplementation in hypoxemia, sublingual nitrates, and intravenous opioids for symptom relief, along with aspirin. Anticoagulation is essential and should be tailored individually. Revascularization procedures, if needed, should occur urgently or promptly depending on the chosen treatment strategy and clinical presentation. In post-ACS care, secondary prevention measures are crucial and should commence early after the event. Treatment goals are clearly defined and should be based on individual patient needs. Comprehensive care for ACS patients requires precise diagnosis, timely intervention, and effective secondary prevention.
Key words: Akutes Koronarsyndrom (ACS), Elektrokardiogramm (EKG), hochsensitives kardiales Troponin (hs-cTn)

Einleitung

Akute Koronarsyndrome (ACS) (1) umfassen verschiedene Zu­stände, bei denen Patienten mit kürzlichen klinischen Symp­tomen vorstellig werden, und allenfalls Veränderungen im 12-Kanal-Elektrokardiogramm (EKG) oder akute Anstiege der kardialen Troponinkonzentrationen zeigen. ACS sind mit einer breiten Palette klinischer Präsentationen verbunden – von symptomfreien Patienten bis zu Patienten mit anhaltenden Brustbeschwerden/Symptomen sowie Patienten mit Herzstillstand, elektrischer/hämodynamischer Instabilität oder kardiogenem Schock.

Patienten mit Verdacht auf ACS werden in der Regel anhand des EKGs und der klinischen Stabilität bei der Vorstellung für das initiale Management klassifiziert. Danach können Patienten je nach Vorhandensein oder Fehlen einer Erhöhung des kardialen Troponins weiter klassifiziert werden. Diese Merkmale (EKG-Veränderungen und Erhöhung des Troponins) sind wichtig für die initiale Triage und Diagnose von ACS-Patienten, um Patienten zu risikobewerten und die initiale Managementstrategie zu lenken. Ärzte müssen in jeder Phase der Versorgung von ACS-Patienten sorgfältig andere Differentialdiagnosen in ihre klinische Bewertung einbeziehen, da sie häufig sind, mit verschiedenen zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen verbunden sind, unterschiedliche Prognosen haben und oft unterschiedliche Behandlungsansätze erfordern.

Nach der akuten Management- und Stabilisierungsphase sind die meisten Aspekte der anschliessenden Behandlungsstrategie jedoch für alle ACS-Patienten (unabhängig vom anfänglichen EKG-Muster oder dem Vorhandensein/Fehlen einer kardialen Troponinerhöhung bei der Vorstellung) gemeinsam und können daher unter einem gemeinsamen Pfad betrachtet werden (Abb. 1). Die Nachbetreuung (postinterventionelle Überwachung, stationäre oder ambulante Rehabilitation, sekundärprophylaktische Präventiv-Massnahmen, fachärztliche Weiterbetreuung) ist essenzieller Bestandteil einer langfristig orientierten Patientenversorgung. Dabei werden individuelle Patientenbedürfnisse und krankheits-spezifische Aspekte berücksichtigt. Etablierte Kooperationen (Grundversorger, Rehabilitationszentren, niedergelassene Kardiologen) vereinfachen und optimieren die Nachsorge.

Triage und Diagnostik

Patienten mit Verdacht auf ACS präsentieren sich in einer Vielzahl von klinischen Situationen (in der Arztpraxis, ausserklinisch/zuhause, in der Notaufnahme oder im stationären Bereich). Es ist entscheidend, eine gezielte Anamnese durchzuführen und die vorliegenden Symptome genau zu charakterisieren, um den Patienten so schnell wie möglich über den geeigneten Versorgungsweg zu behandeln.

Anamnese

Akute Brustbeschwerden, die als Schmerz, Druck, Enge, Schwere oder Brennen beschrieben werden können, sind das führende Symptom, das zur Überlegung der klinischen Diagnose eines ACS und zur Einleitung von Tests gemäss spezifischen diagnostischen Algorithmen führt. Als Brustschmerzäquivalent gelten Atemnot, epigastrischer Schmerz sowie Schmerzen im linken oder rechten Arm oder im Nacken/Kiefer. Vegetative Begleitsymptome (Übelkeit, Schwindel, Kaltschweissigkeit, u.a.) sind zu berücksichtigen. Fehldiagnosen oder verzögerte Diagnosestellung sind oft auf eine unvollständige Anamnese oder Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Symptomen zurückzuführen.

Klinischer Untersuch

Bei Patienten mit Verdacht auf ACS wird eine schnelle Beurteilung der Vitalzeichen sowie eine körperliche Untersuchung empfohlen, um differenzialdiagnostische Überlegungen auszuschliessen und Hochrisiko-Merkmale zu identifizieren. Dies kann insbesondere für Patienten relevant sein, die einen Herzstillstand, Anzeichen von Schock und hämodynamische oder elektrische Instabilität aufweisen. Eine gezielte körperliche Untersuchung sollte die Überprüfung aller peripheren Pulse, die Messung des Blutdrucks an beiden Armen, das Abhören von Herz und Lunge sowie die Beurteilung von Anzeichen von Herzinsuffizienz oder zirkulatorischer Beeinträchtigung umfassen.

12-Kanal-EKG

Das Ruhe-12-Kanal-EKG ist das diagnostische Hauptinstrument in der Bewertung von Patienten mit Verdacht auf ACS. Es wird empfohlen, dass ein EKG sofort bei ersten medizinischen Kontakt («first-medical-contact», FMC) durchgeführt und von einem qualifizierten Rettungssanitäter oder Arzt innerhalb von 10 Minuten interpretiert wird. Basierend auf dem initialen EKG können Patienten mit Verdacht auf ACS in zwei Arbeitsdiagnosen unterteilt werden:

1. ST-Segment-Elevation-Myokardinfarkt, STEMI

Patienten mit akuten Brustschmerzen (oder Brustschmerz-äquivalenten Zeichen/Symptomen) und anhaltender ST-Segment-Elevation (oder ST-Segment-Elevation-Äquivalenten) im EKG (Arbeitsdiagnose: ST-Segment-Elevation-Myokardinfarkt, STEMI).

Im geeigneten klinischen Kontext wird eine ST-Segment-Elevation (gemessen am J-Punkt) in folgenden Fällen als Hinweis auf einen akuten Verschluss einer Koronararterie betrachtet: Neue ST-Elevation am J-Punkt in mindestens zwei benachbarten Ableitungen (≥2,5 mm bei Männern <40 Jahren, ≥2 mm bei Männern ≥40 Jahren oder ≥1,5 mm bei Frauen unabhängig vom Alter in den Ableitungen V2–V3 und/oder ≥1 mm in den anderen Ableitungen (in Abwesenheit von linksventrikulärer Hypertrophie oder Linksschenkelblock [LBBB]). Bei Verdacht auf einen inferioren ST-Hebungsinfarkt wird empfohlen, rechtspräkordiale Ableitungen (V3R und V4R) aufzuzeichnen, um eine rechtsventrikuläre Beteiligung zu identifizieren (schlechtere Prognose, vermehrte Komplikationen). Neu aufgetretene Blockbilder (Linksschenkelblock und Rechtsschenkelblock) gelten als ST-Hebungs-Äquivalente.

2. NSTEMI oder instabile Angina pectoris

Patienten mit akuten Brustschmerzen (oder Brustschmerz-äquivalenten Zeichen/Symptomen), aber ohne anhaltende ST-Segment-Elevation (oder ST-Segment-Elevation-Äquivalenten) im EKG (Arbeitsdiagnose: Nicht-ST-Elevation-ACS, NSTEMI oder instabile Angina pectoris).

Diese Patienten können andere EKG-Veränderungen aufweisen, einschliesslich anhaltender oder vorübergehender ST-Segment-Depression und T-Wellen-Abnormalitäten (hyperakute T-Wellen, T-Wellen-Inversion, biphasische T-Wellen, flache T-Wellen und Pseudonormalisierung von T-Wellen). Alternativ kann das EKG normal sein.

Zudem sind atypische EKG-Manifestationen zu berücksichtigen: Linkslaterale Ableitungen (V7–V9) können aufgezeichnet werden, um einen posterioren ST-Hebungsinfarkt zu identifizieren, insbesondere bei Patienten mit anhaltenden Symptomen und einem nicht eindeutigen Standard-12-Kanal-EKG. Eine Mehrgefässischämie («Hauptstammäquivalent») kann mit ST-Senkungen ≥1 mm in ≥6 Oberflächenableitungen, gekoppelt mit ST-Hebung in aVR und/oder V1 einhergehen. Dynamische T-Negativitäten über den Brustwandableitungen treten bei kritischen proximalen RIVA-Stenosen auf («Wellens-Syndrom»).

Labor (Troponin)

Nach klinischem elektrokardiographischem Ausschluss eines STEMI oder Hochrisiko-NSTEMI, spielen Biomarker eine ergänzende Rolle bei der Diagnose, Risikostratifizierung und Behandlung von Patienten mit Verdacht auf ACS. Die Messung eines Biomarkers für Schädigung von Kardiomyozyten, vorzugsweise des hochsensitiven kardialen Troponins (hs-cTn), wird bei allen Patienten mit Verdacht auf ACS empfohlen. Wenn die klinische Präsentation mit Myokardischämie vereinbar ist, deutet ein dynamischer Anstieg und/oder Abfall von cTn über den 99. Perzentilwert gesunder Personen auf die Diagnose eines Herzinfarkts hin (Kriterien gemäss der vier

ten universellen Myokardinfarkt-Definition) (2). Bei Patienten mit Myokardinfarkt steigen die cTn-Werte nach Beginn der Symptome schnell an (in der Regel innerhalb von 1 Stunde bei Verwendung von hochsensiblen Assays) und bleiben für eine variable Zeitspanne erhöht (in der Regel mehrere Tage). Die Werte von hs-cTn sollten als quantitative Marker für die Schädigung von Kardiomyozyten interpretiert werden (d.h. je höher der Wert, desto höher die Wahrscheinlichkeit eines Myokardinfarkts): Die Begriffe «positive» und «negative» Troponinwerte sollten vermieden werden. Stattdessen werden bevorzugt «erhöhte» und «nicht-erhöhte» Troponinwerte verwendet. Erhöhungen über das Fünffache des oberen Referenzwertes haben eine hohe (>90%) positive Vorhersagewahrscheinlichkeit (PPV) für einen akuten Myokardinfarkt. Erhöhungen bis zum Dreifachen des oberen Referenzwertes haben nur eine begrenzte (50–60%) PPV für einen Infarkt und können mit einem breiten Spektrum von Zuständen assoziiert sein. Zudem sind erhöhte cTn-Werte auch bei gesunden Personen festzustellen. Aufgrund ihrer hohen Empfindlichkeit können cTn-Werte auch bei akuten und chronischen Zuständen ohne Myokardinfarkt erhöht sein (Tab. 1). Steigende und/oder fallende cTn-Werte unterscheiden einen akuten Myokardinfarkt von chronischer, jedoch nicht von akuter Myokardschädigung anderer Ätiologie.

Fortschritte in der Labordiagnostik haben zu einer Verfeinerung der cTn-Assays geführt und ihre Genauigkeit bei der Erkennung und Quantifizierung von Kardiomyozytenschädigungen verbessert. Hochsensitive cTn-Assays erhöhen die diagnostische Genauigkeit für einen Herzinfarkt zum Zeitpunkt der Vorstellung im Vergleich zu konventionellen Assays, insbesondere bei Patienten, die früh nach dem Beginn von Brustschmerzen vorstellig werden, was spezifische diagnostische Algorithmen zum Ausschluss resp. Bestätigung eines ACS/NSTEMI ermöglicht («Rapid rule-in/rule-out»-Algorithmen, Abb. 2): Aufgrund ihrer höheren Empfindlichkeit und diagnostischen Genauigkeit bei der Erkennung von Myokardinfarkten (MI) bei der Vorstellung kann der Zeitraum bis zur zweiten Bestimmung des kardialen Troponins (cTn) mit Hilfe von hochsensitiven (hs) cTn-Tests verkürzt werden. Dies führt zu erheblich verkürzten Diagnoseverzögerungen, was sich in kürzeren Aufenthalten in der Notaufnahme, niedrigeren Kosten und weniger diagnostischer Unsicherheit für die Patienten niederschlägt. Die ESC 0 h/1 h und 0 h/2 h-Algorithmen basieren auf der Idee, dass hs-cTn eine kontinuierliche Variable ist und die Wahrscheinlichkeit eines MI mit zunehmenden hs-cTn-Werten steigt. Die Algorithmen beruhen auf optimalen Schwellenwerten, die in grossen Studien herstellerspezifisch (!) validiert wurden (Tab. 2).

Es wird empfohlen, den 0 h/1 h-Algorithmus (beste Option) oder den 0 h/2 h-Algorithmus (zweitbeste Option) zu verwenden. Die Blutentnahme für die Messung von kardialen Troponinen mit hochsensitiven Assays sollte unmittelbar nach der Vorstellung erfolgen, und die Ergebnisse sollten innerhalb von 60 Minuten nach der Blutentnahme vorliegen. Patienten, die dem «Rule-out»-Pathway zugeordnet sind, weisen eine sehr niedrige Rate von klinischen Ereignissen bis zu 30 Tagen auf. Die «Rule-in»-Pathway-Patienten benötigen in der Regel eine Krankenhausaufnahme und invasive Koronarangiographie. Zusätzliche Tests nach 3 Stunden werden empfohlen, wenn die ersten beiden hs-cTn-Messungen des 0 h/1 h-Algorithmus nicht eindeutig sind und keine alternativen Diagnosen vorliegen («Observe»-Pathway). Die Anwendung dieser Algorithmen erfordert stets auch eine klinische Einschätzung und Wiederholungsblutentnahmen bei anhaltenden oder wiederkehrenden Brustschmerzen.

Therapie

Erstversorgung

In der ACS-Erstversorgung gilt es primär ein adäquates EKG-Monitoring zur Erfassung allfälliger Rhythmusstörungen sowie einen peripher-venösen Zugang zu installieren (Reanimationsbereitschaft erstellen). Nachfolgend wird eine akute Pharmakotherapie eingeleitet:

• Sauerstoffgabe wird bei ACS-Patienten mit Hypoxämie (Sauerstoffsättigung <90%) empfohlen. Bei Patienten ohne Hypoxie (Sauerstoffsättigung >90%) sind klinische Vorteile nicht nachgewiesen und daher nicht empfohlen.
• Sublinguale Nitrate können zur Linderung ischämischer Symptome hilfreich sein. Nitrate sollten nicht bei Patienten mit Hypotonie, ausgeprägter Bradykardie oder Tachykardie, rechtsventrikulärem Infarkt, bekannter schwerer Aortenstenose oder kürzlicher Anwendung von Phosphodiesterase-5-Inhibitoren in den letzten 24–48 Stunden verabreicht werden.
• Intravenöse Opioide (z.B. Morphin 5–10 mg) sollten zur Linderung schwerer Brustschmerzen in Betracht gezogen werden. Morphin kann jedoch Übelkeit und Erbrechen provozieren und die gastrointestinale Aufnahme von oralen Medikamenten verlangsamen, was den Wirkungseintritt der oral verabreichten Thrombozytenaggregationshemmung verzögern kann. Es gibt Hinweise darauf, dass intravenöses Morphin bei Patienten mit anhaltender akuter Koronararterienokklusion die Myokard- und Mikrozirkulationsschädigung reduzieren kann.
• Die Behandlung mit Aspirin wird mit einer Initialdosis (150–300 mg oral oder 75–250 mg i.v.) so schnell wie möglich begonnen, gefolgt von der Erhaltungstherapie. Die aktuelle Evidenz unterstützt eine Erhaltungsdosis (ED) von 75–100 mg einmal täglich.
• Die routinemässige präinterventionelle Gabe eines P2Y12-Inhibitors (Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor) wird nicht empfohlen, in ausgesuchten Situationen kann dies diskutiert werden.
• Die Antikoagulation ist eine wichtige Komponente der initialen Behandlung des ACS. Daher wird eine parenterale Antikoagulation für alle ACS-Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose empfohlen. Hierfür stehen heutzutage verschiedene Medikamente (unfraktioniertes Heparin (UFH), Enoxaparin, Fondaparinux, Bivalrudin) mit entsprechenden Anwendungsprotollen zur Verfügung, die Wahl ist abhängig von Situation und Verfügbarkeit. Im Allgemeinen sollte ein Wechsel zwischen Antikoagulanzien bei Patienten mit ACS vermieden werden (mit Ausnahme der Zugabe von UFH zu Fondaparinux, wenn ein Patient mit NSTEMI im Verlauf interventionell behandelt wird). Antikoagulanzien sollten im Allgemeinen unmittelbar nach der PCI abgesetzt werden, ausser in spezifischen klinischen Situationen wie dem nachgewiesenen Vorhandensein eines LV-Aneurysmas mit Thrombusbildung oder Vorliegen von Vorhofflimmern, das eine Antikoagulation erfordert.

Revaskularisation/Therapiestrategie:

Invasive Management-Strategien in der Akutbehandlung sind zeitkritisch (Abb. 2). Es wird empfohlen, dass Patienten mit Verdacht auf anhaltende akute Koronararterienokklusion (d.h. anhaltende ST-Segment-Hebung oder STEMI-Äquivalente) oder aber NSTEMI mit Risikomerkmalen (Anhaltende Thoraxschmerzen, hämodynamische Instabilität, Rhythmusstörungen), so schnell wie möglich eine Notfallangiographie erhalten. Patienten mit NSTEMI gemäss den 0 h/1 h oder 0 h/2 h ESC-Algorithmen sollten für eine frühzeitige invasive Strategie in Betracht gezogen werden (d.h. Durchführung einer Angiographie innerhalb von 24 Stunden).

Nachsorge

Sekundärprävention nach einem ACS ist entscheidend, um die Lebensqualität zu verbessern und die Morbidität und Mortalität zu verringern. Diese sollte so früh wie möglich nach dem Indexereignis beginnen. Das Thema wird ausführlich in den Richtlinien zum chronischen Koronarsyndrom von 2019 (3) und den Präventionsrichtlinien von 2021 (4) behandelt. Die Aufgaben der Nachsorge und die Behandlungsziele sind gut definiert und werden in Abbildung 1 zusammengefasst.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Christophe Alain Wyss

– HerzKlinik Hirslanden,
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich
– Universität Zürich
Rämistrasse 71
8006 Zürich

christophe.wyss@hirslanden.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Akute Koronarsyndrome (ACS) repräsentieren diverse Zustände, in denen Patienten mit akuten Symptomen, EKG-Veränderungen oder/und Troponinerhöhungen vorstellig werden. Die breite Palette klinischer Präsentationen erfordert eine sorgfältige Triage und Diagnose.
  • Das Ruhe-12-Kanal-EKG ist das Hauptinstrument zur ACS-Diagnose und kann Patienten in STEMI und NSTEMI/unstabile Angina unterteilen.
  • Hochsensitive Troponin-Tests nach spezifizierten Anwendungsprotokollen sind hilfreich in der Diagnosestellung und Risikostratifizierung.
  • Invasive Management-Strategien in der Akutbehandlung sollten in Abhängigkeit der gewählten Behandlungstrategie resp. klinischer Präsentation notfallmässig oder zeitnah erfolgen.
  • Sekundärprävention nach einem ACS ist für den weiteren Krankheitsverlauf entscheidend

1. Byrne RA, Rossello X, Coughlan JJ, Barbato E, Berry C, Chieffo A, et al. 2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes. Eur Heart J. 2023;44(38):3720-826.
2. Thygesen K, Alpert JS, Jaffe AS, Chaitman BR, Bax JJ, Morrow DA, et al. Fourth universal definition of myocardial infarction (2018). Eur Heart J. 2019;40(3):237-69.
3. Knuuti J, Wijns W, Saraste A, Capodanno D, Barbato E, Funck-Brentano C, et al. 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes. Eur Heart J. 2020;41(3):407-77.
4. Visseren FLJ, Mach F, Smulders YM, Carballo D, Koskinas KC, Bäck M, et al. 2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eur Heart J. 2021;42(34):3227-337.

Differenzialdiagnose und medizinische Innovation – Teil 1

Prof. Edouard Battegay, Basel, Stiftungsrat der Walter und Gertrud Siegenthaler Stiftung, Zürich, Prof. Beatrice Beck-Schimmer, Direktorin Universitäre Medizin und Dr. Monika Jänicke, CEO Universitätsspital Zürich richteten ihre Begrüssungsworte an eine zahlreiche Hörerschaft, die grossenteils aus ehemaligen Schülern, vielen Kollegen und Freunden von Walter Siegenthaler bestand.

Prof. Edouard Battegay

In seiner Begrüssungsrede stellte Prof. Edouard Battegay fest: «mit diesem Symposium wollen wir die Neugierde von Prof. Siegenthaler für die Zukunft der Medizin und gleichzeitig seine Achtung für das Altgediente würdigen. Bei Prof. Siegenthaler war das kein Widerspruch. Sein über Generationen und seinen Tod hinaus geschaffenen Werke und Hinterlassenschaften geben uns Orientierung in einer Zeit chaotischer, mikrogemanagter Disruption».

Walter Siegenthaler war in Bonn, der damaligen Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, und dann am Universitätsspital Zürich einflussreicher Chefarzt. Und er war Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich. Und er war Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin und von 1990 bis 2004 Präsident der Ludwig-Heilmeyer-Gesellschaft, eine Arzt-Kadergesellschaft der Inneren Medizin Deutschlands. Diese wurde später ihm zu Ehren zur «Walter Siegenthaler Gesellschaft für Fortschritte in der Inneren Medizin» umbenannt. Sein Engagement und Verantwortungsbewusstsein prägten diese Institutionen nachhaltig.

Prof. Beatrice Beck-Schimmer

Auch Frau Prof. Beatrice Beck-Schimmer lobte das Interesse von Walter Siegenthaler für Innovationen bei gleichzeitiger Wertschätzung für angestammte Werte. Sie würdigte seine Tätigkeit in Bonn und später in Zürich und darüber hinaus seinen unermüdlichen Einsatz für den Nachwuchs. Sie stellte fest, dass unter Walter Siegenthaler sich das Universitätsspital Zürich zu einem veritablen Hotspot für Ärzte entwickelte.

Dr. Monika Jänicke

Die neue CEO des Universitätsspitals, Frau Dr. Monika Jänicke, fügte sich in ihrer Begrüssung dem Vorredner und der Vorrednerin auf sehr eindrückliche Weise an und überzeugte die Anwesenden, dass das Universitätsspital fortan in sehr guten Händen ist.

Frau Dr. Jänicke stellte fest, dass der Geist von Prof. Siegenthaler immer noch in diesen Hallen weht. Er war in vieler Hinsicht prägend, zum einen in der Medizin, zum andern als Ausbildner, aber er war auch eine spannende Persönlichkeit, nicht umsonst wurde ihm ein Buch gewidmet mit dem Titel «Zeitzeuge der Medizin». Er hat einmal gesagt, «das Wichtigste ist, dass der Patient gesagt hat, das war ein netter Arzt». Prof. Siegenthaler hat Menschen betreut, privat oder nicht privat, und wenn man an die Privatpatienten denkt, hat er einflussreiche Persönlichkeiten betreut, vom Bankdirektor über den Regierungspräsidenten über Kunstmaler etc. Es gibt die Anekdote, die sagt, dass ein Kunstmaler mit einem Kunstwerk bezahlt hat. Vielleicht stimmt es. Vielleicht nicht, aber vielleicht hängt der Chagall immer noch irgendwo in der Wohnung von Siegenthalers. Es gibt auch die andere Anekdote, die sich im Hause beharrlich hält, dass es einen Anruf aus dem Vatikan gab und die Telefonistin gesagt hat «also wenn Sie der Papst sind (nämlich Papst Johannes Paul II), dann bin ich die Kaiserin von China». Prof. Siegenthaler hat souverän das Telefon abgenommen und den Heiligen Vater begrüsst mit «Buongiorno Signor Papa». Sein Patient war tatsächlich ein hochrangiger Kardinal. Prof. Siegenthaler lag aber, wie die Vorredner bereits gesagt haben, die Ausbildung des Nachwuchses sehr am Herzen. Man erinnere sich an das Sigirama, am Freitagabend möglichst spät. Man sagt, dass diese Fortbildungen hohen Unterhaltungswert hatten, was zwar bezweifelt werden kann, wenn man gnadenlos der Diskussion ausgesetzt war, aber gelernt hat man sicher unendlich viel. Das ist ebenfalls, was Professor Siegenthaler ausgemacht hat. Sicher gibt es noch viele Anekdoten, ob es der weisse Mantel ist, zugeknöpft mit Krawatte oder auch andere, sie sind alle geprägt von einem hohen Respekt gegenüber der Person von Professor Siegenthaler, aber auch mit einem Schalk und einem Lächeln, was zeigt, wie viel dieser Mann, der Generationen von Medizinern geprägt hat, jedem Studenten bedeutet hat. In diesem Sinne wünschte die Referentin allen Teilnehmern einen wundervollen Nachmittag mit vielen Erinnerungen und mit spannenden Vorträgen, die ganz im Sinne von Prof. Siegenthaler gewesen wären.

Fiebererreger heute und morgen

Prof. Dr. Dr. med. Annelies Zinkernagel

In der Zeitspanne von Jahr 1900 bis zum Jahr 2000 ist die Mortalität an Infektionskrankheiten von 797 auf 36 pro 100’000 zurückgegangen. 1910 erfolgte die erste kommunale Verwendung von Chlorwasser, 1922 die letzte Übertragung von Mensch zu Mensch der Pest, 1940 wurde erstmals Penicillin angewendet, 1955 wurde die Polio-Vakzine von Salk eingeführt und 1962 erfolgte die Verabschiedung des Gesetzes zur Unterstützung von Impfungen. Die bessere Ernährung, Antibiotika, bessere Hygiene, Abwasserentsorgung, Immunisierungen, sicherere Nahrungsmittel, sowie bessere Unterbringung haben zu dieser eindrücklichen Abnahme der Infektionskrankheiten geführt, stellte Frau Prof. Dr. Dr. med. Annelies Zinkernagel, Klinikdirektorin, Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene, Universitätsspital Zürich, fest. Anhand der Poliomyelitis zeigte die Referentin die Bedeutung der Impfung. Zusätzlich hat man die Swimmingpools geschlossen und die Kranken zu Hause eingesperrt. Ein weiteres Beispiel sind die Masern, eine äusserst kontagiöse Infektion. Eine Maser-Infizierte Person kann bis zu 18 weitere Personen anstecken. Vor 1963 gab es in den USA 2,6 Mio. Todesfälle an Masern, seither wurden 20,4 Mio. Todesfälle verhindert. Heute haben wir allerdings viele Impfskeptiker, die sich und ihre Kinder nicht mehr impfen lassen und so kam es wieder zu einer Zunahme dieser infektiösen Krankheit. Die Impfmüdigkeit trotz Verfügbarkeit von Impfstoffen droht den Fortschritt bei der Bekämpfung von durch Impfung vermeidbaren Krankheiten zunichtezumachen.

Die Impfung ist eine der kosteneffizientesten Massnahmen zur Vermeidung von Krankheiten – sie verhindert derzeit 2 bis 3 Millionen Todesfälle pro Jahr und weitere 1,5 Millionen könnten vermieden werden, wenn die weltweite Durchimpfung verbessert würde. Bei Masern beispielsweise ist die Zahl der Fälle weltweit um 30% gestiegen.

Ein Durchbruch in der Infektionsbekämpfung war die «Erfindung» der Händedesinfektion durch Semmelweis 1847 in Wien. Durch das Händewaschen mit chlorhaltiger Lösung nach jeder Patientin von Hebammen und Medizinstudenten konnte die Mortalität unter Wöchnerinnen von 12,3% auf 1,3% gesenkt werden.

Verhinderung der Transmission

Die Massnahmen entsprechen dem Bauprinzip der CDC: Die Basismassnahmen sind Standardmassnahmen wie Händedesinfektion, Hustenetikette und Desinfektion/Sterilisation. Schutzmassnahmen sind Isolationen, Kontakt, Tröpfchen, aerogene Übertragung.

Neues Coronavirus

Schutzmassnahmen: Isolationen, Kontakt, Tröpfchen, Aerogen. Bei Symptomen sofort testen lassen und zuhause bleiben, Tracing (zur Rückverfolgung, wenn immer möglich Kontaktdaten angeben). Bei positivem Test Isolation, bei Kontakt mit positiv getesteter Person Quarantäne.

Schwere Infektionskrankheiten des 21. Jahrhunderts

Schwere Infektionskrankheiten im 21. Jahrhundert waren SARS, das Dengue-Fieber, die Cholera, die Schweinegrippe, Masern, Ebola, Sars-Covid-19, die Affenpocken, die Zika-und Chikunguya-Virusinfektion.

Ende 20. Jahrhundert gab es grosse gesellschaftliche und technologische Veränderungen. Dazu gehören demographische und Verhaltensänderungen, Umweltveränderungen, Zusammenbruch der Massnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, mikrobielle Anpassung und Veränderung, internationaler Reiseverkehr und Handel, Veränderungen in Technologie und Industrie. Auch die Urbanisierung hat Auswirkungen auf die Infektionskrankheiten, so auch das Auftreten von Krankheitserregern aus Wild- und Haustierreservoirs in menschlichen Populationen, wie HIV1, HIV2, 1918 das Influenza-Virus und die entsprechende Pandemie, das Middle East Respiratory Syndrome, SARS-CoV-2 und die Affenpocken.
Stechmücken gedeihen in der Nähe der menschlichen Bevölkerung. Die durch Mücken übertragenen Krankheiten stellen eine zunehmende Gefahr in Europa dar, so die asiatische Tigermücke, die Krankheiten wie Zika, Chikunguya und das Dengue-Fieber übertragen kann.

Die Häufigkeit von Dengue-Fieber ist in den letzten 50 Jahren um das 30-fache gestiegen. Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung ist heute durch Dengue-Fieber gefährdet, geschätzte 100 Millionen Infektionen pro Jahr. Im Juni 2021 empfahl das Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) die Verwendung von Dengvaxia zur Vorbeugung von Dengue (Serotypen 1, 2, 3 und 4) bei Kindern im Alter von 9 bis 16 Jahren mit einer im Labor bestätigten früheren Dengue-Virusinfektion, die in Gebieten leben, in denen Dengue endemisch ist. Dengvaxia enthält abgeschwächte (attenuierte) Gelbfieberviren. Der Ausschuss für Human­arzneimittel (CHMP) der EMA hat eine positive Stellungnahme für Dengue Tetravalent Impfstoff (Lebendimpfstoff, abgeschwächt) von Takeda zur Vorbeugung von Krankheiten, die durch die Dengue-Virus-Serotypen 1, 2, 3 und 4 verursacht werden, bei Menschen ab vier Jahren.

2022 Affenpockenausbruch in einigen Ländern ausserhalb des afrikanischen Kontinents, in denen diese Krankheit noch nie aufgetreten ist. Der WHO-Generaldirektor erklärt den anhaltenden Ausbruch der Affenpocken zu einem öffentlichen Gesundheitsnotstand von internationalem Ausmass.

Bedrohungen

Eine neue Bedrohung ist die Anti-Impfbewegung. Eine Welle von Eltern wurde durch Fehlinformationen aus der COVID-Ära radikalisiert und lehnt die üblichen Impfungen für Kinder ab – mit möglicherweise tödlichen Folgen.

Die Bedrohungen, wie wir sie empfinden und wie sie tatsächlich vorhanden sind, sind in der Abbildung 1 wiedergegeben.

Der Ausbruch der Masernfälle hält unvermindert an. Gemäss UNAIDSGLOBAL AIDS Update 2022 verlangsamt sich der weltweite Fortschritt bei der HIV-Bekämpfung eher, als dass er sich beschleunigt. 1,3 Millionen HIV-Neuinfektionen fanden im Jahr 2022 statt (dreimal mehr als das Ziel von 370’000 für 2025). COVID-19 hat das Risiko von Masernausbrüchen erhöht. Über 61 Millionen Dosen masernhaltigen Impfstoffs wurden von 2020 bis 2022 aufgrund COVID-19-bedingtenVerzögerungen nicht verimpft.

Ferner wird eine Zunahme invasiver Guppe A Streptokokken-Infektionen bei Kindern in Europa festgestellt. Unterschiedlich ist das frühere Auftreten als in den vorangegangenen Jahren (starke Saisonabhängigkeit, typischerweise Anstieg im Winter und Höhepunkt im Frühjahr). Bei Kindern unter 10 Jahren sind die iGAS-Fälle deutlich häufiger als in den vorangegangenen fünf Jahren (in Schottland, Irland, den Niederlanden, Frankreich, Schweden und den USA). Beim Bakterium wurden bisher keine Veränderungen festgestellt. Der Wirt aber ist anfälliger. Zur Prävention dienen Masken und weniger wiederholte Kontakte.

Weitere Bedrohungen sind das frühere und häufigere Auftreten von Influenza und RSV.

Resistenz gegen antimikrobielle Mittel

Schätzungsweise werden im Jahr 2050 10 Millionen Personen an antimikrobieller Resistenz sterben. Seit 2017 wurden nur 12 neue Antibiotika zugelassen, von denen 10 zu bereits bestehenden Klassen mit etablierten Mechanismen der Resistenz gegen antimikrobielle Mittel gehören. 77 antibakterielle Wirkstoffe sind in der klinischen Entwicklung, 45 sind traditionelle direkt wirkende kleine Moleküle und 32 nicht-traditionelle Wirkstoffe. Beispiele für letztere sind monoklonale Antikörper und Bakteriophagen.

Fazit

Fiebererreger heute und morgen:
Negativ: Neue Infektionen
– Ausbrüche von neu auftretenden, wieder auftretenden und endemischen Krankheiten
Positiv: Neue Impfungen, besseres Verständnis, Medikamente

Innovation in der Nierentransplantation – von eineiigen Zwillingen zu Schweinenieren

Prof. Dr. Thomas Fehr

Die heiligen Patrone der Transplantationsmedizin heissen Kosmas und Damian. Sie hatten den Schenkel eines Toten einem Patienten, dem der Krebs sein ganzes Bein weggefressen hatte, transplantiert, so Prof. Dr. Thomas Fehr, Chefarzt und Ärztlicher Direktor, Departementsleiter Innere Medizin, Kantonsspital Chur. Die erste erfolgreiche Nieren-Transplantation erfolgte 1954 durch den späteren (1990) Nobelpreisträger Joseph E. Murray. am Brigham and Women’s Hospital in Boston an eineiigen Zwillingen.

Für die Transplantation gilt seit 1968 bis heute die Hirntoddefinition. Diese Entwicklung kommt aus der Intensivmedizin (Konsens Harvard Med School) – Kriterien für Beendigung einer lebenserhaltenden Therapie bei infauster Prognose. Erst später erfolgte die Anwendung für die Organspende.

1972 wurde Cyclosporin in den damaligen Laboratorien von Sandoz entdeckt, 1978 wurde es erstmals für eine Organtransplantation durch Roy Calne in Cambridge angewandt.

2006 wurde die erste AB0 inkompatible-Transplantation in Zürich durch den Referenten und sein Team durchgeführt. Der Patient wurde zuerst einer Adsorptionsbehandlung durch Apherese unterzogen, wobei die Isoagglutinine entfernt wurden. Die Methode ergab ein exzellentes Überleben einer Trans­plantation bei Blutgruppeninkompatibilität. Der Referent publizierte mehrere Arbeiten zu dieser Methode (z.B. Fehr T and Stüssi G AB0 incompatible kidney transplantation. Current Opinion in Organ Transplantation2012;17:376-385).

2012 erfolgte die erste Trippel Cross-over Transplantation in der Schweiz. Diese stellt eine neue Option für immunologisch inkompatible Lebendspenden dar.

Die Induktion eines gemischten Chimärismus. Dies kann durch die Transplantation von Zellen unterschiedlicher Herkunft in einen Organismus erreicht werden. 2016 wurde die erste Patientin mit erfolgreicher Toleranzinduktion transplantiert. Inzwischen sind 6 Patienten transplantatiert, alle sind «off immunosuppression»! betonte der Referent. Das Verfahren wurde 2022 in den Frontiers of Immunology publiziert (Fehr T et al. Successful induction of specific immunological tolerance by combined kidney and hematopoietic stem cell transplantation in HLA identical siblings). Diese Methode wurde auch in einem Artikel in der NZZ « ein Leben mit fremdem Organ ohne Medikamente » kommentiert.

Organmangel – mögliche Ansätze

Mögliche Lösungsansätze für den Organmangel sind zum einen Anstrengungen, die Lebendspende zu mehren, zum andern die Xenotransplantation, das Toleranzprotokoll, HLA- Desensibilisierungsprotokolle, die Blutgruppen-inkompatible Transplantation, die altruistische Spende, die systematische Evaluierung der Lebendspende und Anstrengungen, die Kadaverspende zu vermehren.

Xenotransplantation
Nieren von gezüchteten Schweinen mit einem Knockout des alpha-1,3-Glaktosyltransferase-Gens und mit subkapsulärem autologem Thymusgewebe wurden in zwei hirntote menschliche Empfänger, deren Kreislauf- und Atmungsaktivität für die Dauer der Studie an einem Beatmungsgerät aufrechterhalten wurde, transplantiert (Montgomery RA et al NEJM). Die gentechnisch veränderten Nierentransplantate blieben in hirntoten menschlichen Empfängern 54 Stunden lang lebensfähig und funktionsfähig, ohne Anzeichen einer hyperakuten Abstossung.

Wo geht die Reise hin?
Zum Abschluss nannte der Referent die folgenden Möglichkeiten für die Zukunft der Behandlungsmöglichkeiten bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz: Allotransplantation, tragbare Dialyse, Xenotransplantation und künstliche Niere.

Innovationen in der Thoraxchirurgie

Frau Prof. Dr. Isabelle Schmitt-Opitz

Thorax-Onkologie: Hybrid-Verfahren, Navigations-Bronschokopie, minimalinvasive Chirurgie, fortgeschrittene Lungenerkrankungen, Lungentransplantation und Operation der Chronisch thromboembolischen Pulmonalen Hypertonie war der Themenausblick von Frau Prof. Dr. Isabelle Schmitt-Opitz, Direktorin der Abteilung für Thoraxchirurgie, Lehrstuhl für Lungenkrebszentrum, Universitätsspital Zürich.

Präzisionsmedizin beim NSCLC
Die Referentin stellte zunächst die traditionelle Medizin mit chirurgischer Entfernung des Tumors, Chemotherapie und Bestrahlung der Präzisionsmedizin mit zielgerichteter Therapie und Immuntherapie beim NSCLC gegenüber.

Screening für Lungenkrebs
In der NELSON Studie, an der Hochrisikopersonen teilnahmen, war die Lungenkrebssterblichkeit bei denjenigen, die an einem CT-Volumenscreening teilnahmen, deutlich niedriger als bei denjenigen, die kein Screening erhielten. Die Rate an Folgeuntersuchungen bei Ergebnissen, die auf Lungenkrebs hindeuten, war gering.

Trotz strenger Kriterien für ein positives Screening, einer zunehmenden Länge des Screening-Intervalls und wenigen weiblichen Teilnehmern führte die Screening-Strategie der NELSON-Studie zu einer günstigen Verteilung des Krebsstadiums bei der Diagnose, was für die Wirksamkeit unserer Screening-Strategie entscheidend ist.

Mit der robotergestützten Bronchoskopie, einem minimalinvasiven Verfahren, können Lungenknoten und -geschwülste mit höherer Genauigkeit und weniger Nebenwirkungen biopsiert werden. Dabei wird ein Roboterarm eingesetzt, der einen Katheter durch die Atemwege des Patienten führt und es ermöglicht, Gewebeproben aus den schwer zugänglichen Bereichen der Lunge zu entnehmen.

Die Navigationsbronchoskopie ist, einfach ausgedrückt, der Einsatz von Technologie (über die Standard-Querschnittsbildgebung hinaus), um dem Bronchoskopiker zu helfen, das Bronchoskop genau zu einem Bereich von Interesse ausserhalb der zentralen Atemwege zu navigieren.
Seit den 1990er Jahren, als die erste videoassistierte thorakoskopische Lobektomie (VATS) durchgeführt wurde, ist das Interesse an der minimalinvasiven Chirurgie (MIS) zur Behandlung von Lungenkrebs stark gestiegen.

Weniger postoperative Schmerzen, ein besseres kosmetisches Ergebnis, ein kürzerer Krankenhausaufenthalt, eine geringere Morbidität und perioperative Mortalität sind nur einige der bemerkenswerten Vorteile der MIC im Vergleich zur offenen Chirurgie. Darüber hinaus haben mehrere Studien gezeigt, dass die minimalinvasive Technik auch bei Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium keine schlechteren onkologischen Ergebnisse erzielt.

In den letzten Jahrzehnten wurden verschiedene minimalinvasive Verfahren entwickelt, wie die robotergestützte Thoraxchirurgie (RATS) oder die uniportale VATS (U-VATS). Während die Befürworter der VATS-Technik behaupten, die Roboterchirurgie sei teuer und nur für elitäre Krankenhäuser geeignet, stehen die technologische Entwicklung und die Vorteile der RATS sowohl für die Patienten als auch für die Chirurgen ausser Frage.

Die videoassistierte thorakoskopische Lobektomie ist mit weniger Schmerzen, weniger Komplikationen und einer besseren Lebensqualität verbunden, ohne dass das onkologische Ergebnis beeinträchtigt wurde. Die Schlussfolgerungen der Violet-Studie lauten, dass die VATS-Lobektomie bei Lungenkrebs mit weniger Schmerzen, weniger Komplikationen im Krankenhaus sowie kürzerem Krankenhausaufenthalt ohne Beeinträchtigung des frühen onkologischen Ergebnisses verbunden ist. Es gab keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse. Eine bessere funktionelle Erholung setzte sich in der postoperativen Phase fort mit verbesserter körperlicher Funktion und niedrigeren Wiedereinweisungsraten. Es gab keinen Unterschied im krankheitsfreien Überleben und keinen Unterschied im Gesamtüberleben bis zu einem Jahr. Die neueste Plattform ist das Da Vinci System. Die Vorteile der Roboter-unterstützten Thoraxchirurgie (RATS) sind 3D-Ansicht, Intuitive Bewegungen, Tremor-Filterung, stabile Kameraplattform, erhöhte Anzahl von Freiheitsgraden, 3D-Ansicht, intuitive Bewegungen, Bewegungsskalierung. Äquivalenz zwischen dominanter und nicht dominanter Hand, Auge-Hand-Ziel-Ausrichtung.

Fallvignetten

Vignette eines 74 Jahre alten, männlichen Patienten.
Vorgeschichte: Rauchen, 36 Jahre, Nebendiagnosen: COPD Gold III, FEV1/FVC-Verhältnis (Tiffeneau-Index): 46 %, FEV1: 1,33l (40 %), TLCO: 45 %, RV/TLC: 124%. Koronare Herzkrankheit, dilatative Arteriopathie mit infrarenalem Aortenaneurysma (46 mm). PET-CT: leicht erhöhte FDG-Aufnahme (16 x 11 x 20 mm, SUVmax 0,9), interlobärer Lymphknoten mit erhöhter Aufnahme (Level 11R, 7 mm, SUVmax 4,2), keine Anzeichen einer Fernmetastasierung. Operative Planung: Sublobar-Resektion – Segmentektomie und Keilresektion sollten parenchymale Resektionsränder ≥2 cm oder ≥die Grösse des Knotens erreichen. Die Referentin demonstrierte die verschiedenen Operationsschritte von der Eröffnung der Fissur, Teil 1, Klammerung der Arterie des Segments 6, Dissektion der Vene, S6-Bronchus-Dissektion, zu den RATS – Glühwürmchen.

Die zweite Vignette betraf ein Adenokarzinom bei einer 68 Jahre alten Frau. Ehemalige Raucherin, 30 py (ausgesetzt 2006).
Indikation: TTF1-positives Adenokarzinom (UICC IIIA), teilweises Ansprechen nach Induktionstherapie (3 Zyklen Carboplatin/Pemetrexed). Keine Kontraindikation für eine Lobektomie. Die Referentin präsentierte die entsprechenden Operationsschritte.

Ein dritter Fall betraf einen 66 Jahre alten Patienten.
Medizinische Vorgeschichte: Raucher, 100 Pack-Jahre, COPD Gold 1, cT2N0M0 linkes zentrales Plattenepithelkarzinom, das in die Wand der absteigenden Aorta eindringt.

Entscheidung des Tumorboards: Induktionstherapie nach dem Checkmate 816-Protokoll. Teilweises Ansprechen.
Entscheidung des Tumorboards für eine Operation: Deszendie­rende thorakale Aortenendoprothese vor der Operation einge­setzt. Endresultat nach erweiterter linksseitiger RATS-Pneu­monektomie bis zur Aortenadventitia: Unauffällige Nachuntersuchung mit Entlassung aus dem Krankenhaus nach 6 Tagen. Endgültige Pathologie: ypT2aypN2cM0 Stadium IIIA. Bronchusmanschettenresektionen, Anastomose, intuitiv – Da Vinci SP

Herausforderungen bei der Ausbildung für die Thoraxchirurgie HEUTE

Einschränkungen der Arbeitszeiten: Reicht eine 80-Stunden-Woche für die Ausbildung eines Arztes aus? In einer retrospektiven, multizentrischen konsekutiven Blinddarm- und Gallenblasen-Kohorte bei 29 Assistenzärzten, 298 Blinddarm, 479 Cholezystektomien, Gesamthaft 777 Prozeduren , 13 (4%) offene Blinddarm, 50 (10.4%) offene Cholezystektomien, insgesamt 8,1% offene , 53 Fälle /29 Assistenzärzte/2.5Jahre = 0,86 offene pro Jahr. Ein Assistenzarzt müsste für eine offene Gallenblasenoperation 1,5 Jahre warten und 5 Jahre für eine offene Blinddarmoperation.

Es gibt ein Simulation-Training, das Copenhagen Academy for Medical Education and Simulation (CAMES) und den Chirurgen-Simulator 3D-Apps auf Google Play. Ferner die ESTS Robotic school overview, ein Einjahresprogramm.

Zusätzlich erhöhen die neue perioperative gezielte und die Immuntherapie die Komplexität.

Lungentransplantation

Die Anzahl Lungentransplantationen steigt kontinuierlich an. Waren es im Jahre 1988 noch 69, so stieg diese Zahl im Jahr 2017 auf 4452, wovon die Mehrzahl Doppellungentransplantationen bei bilateralem Tumor waren. Die Sterblichkeit auf der Warteliste ist aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach Lungentransplantationen weiterhin ein Problem.

In der Schweiz gibt es bei einer Bevölkerung von 8,7 Mio. zwei Lungentransplantationszentren, in Zürich und Lausanne. In den Jahren 2022 und 2021 gab es 153 Spender, 43 Transplantationen und eine Ausbeute von 28,1%. Im Vergleich dazu Spanien mit 1905 Transplantationen, 666 Spendern, 458 Transplantationen und einer Ausbeute von 24.0%.

Neues Konzept zur Überwindung des Spendermangels
1. Erweiterte Spenderkriterien bei der Lungentransplantation (Current Opinion in Organ Transplant. 2009)
2. Grössenreduzierte Lungentransplantation: eine fortschritt­liche operative Strategie zur Linderung des Spenderorganmangels (Tranplantation Proceedings 2004)
3. Transplantation von Lungen eines nicht-herzschlagenden Spenders (Lancet)
4. Update zur lobären Lungentransplantation von Lebendspendern (Current Opinion in Organ Tranplant. 2011)
5. Normothermische Ex-vivo-Lungenperfusion bei klinischer Lungentransplantation (NEJM 2011)

Pulmonalendarteriektomie und chronisch thromboembolische Hypertonie
Mit einem Video illustrierte die Referentin die Pulmonalendarteriektomie (PEA) bei chronisch thromboembolischer Hypertonie (CTEPH). In den ESC Guidelines von 2022 sind CTEPH Teams und Erfahrungskriterien festgelegt. Idealerweise sollten CTEPH-Zentren über PEA-Aktivitäten (>50/Jahr) und BPAs (>30 Patienten/Jahr oder >100 Eingriffe/Jahr) haben, da diese Zahlen mit besseren Ergebnissen in Verbindung gebracht wurden. In der Schweiz wurden vor 2000 keine PEAs durchgeführt. Von 2000 bis 2004 waren es. 6, von 2005-2008 12 und von 2009 bis 2012 16.

Am USZ wurde im Januar 2018 ein CETPH Board zur interdisziplinären Besprechung von CETPH Patienten eingerichtet.
Das CTEPH-Programm Zürich umfasst die folgenden Daten:
– Gesamtresektabilität seit Januar 2015 – Februar 2023:
– 162 von 240 CTEPH-Patienten wurden als operabel eingestuft (67,5%)
– 108 Patienten der 162 operablen CTEPH-Patienten hatten eine PEA (66,6%)
– Resektabilität seit Januar 2018, CTEPH Board:
– 102 von 154 CTEPH-Patienten wurden als operabel eingestuft (66,2%)
– 75 Patienten der 102 operablen CTEPH-Patienten hatten eine PEA (73,5%)
– 30-Tage-Gesamtmortalität seit Januar 2015 – Februar 2023 (der letzte Patient starb im März 2020) 2%.

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Die roboterassistierte thorakoskopische Chirurgie wird in vielen Zentren mehr und mehr als die bevorzugte minimalinvasive Methode angewendet.

Der Ansatz für die anatomische Resektion sollte derjenige sein, mit dem das Zentrum die meiste Erfahrung hat. Nach den aktuellen Leitlinien werden jedoch minimalinvasive Verfahren (VATS oder RATS) bevorzugt. Die operative Strategie für die in Zukunft zunehmende Zahl von Segmentektomien (Lungenkrebs Screening-Programme!) muss im Vorfeld geplant werden – die Technik der Definition der intersegmentalen Ebene wird immer ausgefeilter und sollte onkologisch korrekte Strategien zur Erhaltung sicherer Ränder beinhalten. Angesichts der neuen Erkenntnisse wird die Segmentektomie in Zukunft noch weiterverbreitet sein. Die Prüfungsanforderungen und Lehrprogramme müssen angepasst werden. Dies ist eine institutionelle und gesellschaftliche Verantwortung. Die Ausbildungswege müssen angepasst werden, um weitere Herausforderungen wie Arbeitszeitbe­schränkungen, das Spektrum der “closed chest”/”open chest”-Chirurgie, und einen neuen Komplexitätsgrad zu berücksichtigen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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Vitamin B12 Mangel

Vitamin B12 (Cobalamin) ist ein wasserlösliches Vitamin, das aus tierischen Produkten wie rotem Fleisch, Milchprodukten und Eiern gewonnen wird. Der Intrinsic Factor ist ein Glykoprotein, das von den Parietalzellen im Magen produziert wird und für die Aufnahme von B12 im terminalen Ileum notwendig ist. Nach der Absorption wird B12 als Cofaktor für Enzyme verwendet, die an der Synthese von DNA, Fettsäuren und Myelin beteiligt sind. Infolgedessen kann ein B12-Mangel zu hämatologischen und neurologischen Symptomen führen. B12 wird im Überschuss in der Leber gespeichert; in Fällen, in denen B12 jedoch über einen längeren Zeitraum nicht aufgenommen werden kann (z. B. bei unzureichender Ernährung, Malabsorption, Mangel an Intrinsic Factor), sind die hepatischen Speicher erschöpft und es kommt zu einem Mangel (1, 2, 3).

Ätiologie

Der Vitamin-B12-Mangel hat 3 Hauptursachen:
1. Autoimmun: Die perniziöse Anämie ist eine Autoimmunerkrankung, bei der Antikörper gegen den intrinsischen Faktor gebildet werden. Antikörper gegen den Intrinsic-Faktor binden sich an den Intrinsic-Faktor und hemmen dessen Wirkung, was dazu führt, dass B12 nicht vom terminalen Ileum absorbiert werden kann.
2. Malabsorption: Die Parietalzellen im Magen produzieren den Intrinsic-Faktor; daher besteht bei allen Patienten, die sich einer Magenbypass-Operation unterzogen haben, das Risiko, einen B12-Mangel zu entwickeln, da der neue Verdauungsweg den Ort der Intrinsic-Faktor-Produktion umgeht. Bei Patienten mit normaler Produktion des intrinsischen Faktors beeinträchtigt jede Schädigung des terminalen Ileums, wie z. B. eine chirurgische Resektion aufgrund von Morbus Crohn, die Aufnahme von B12 und führt zu einem Mangel. Auch andere Schädigungen des Dünndarms, wie Entzündungen bei Zöliakie oder Infektionen mit dem Bandwurm Diphyllobothrium latum, können zu einem B12-Mangel führen.
3. Ernährungsbedingte Unzulänglichkeiten: Vitamin B12 wird im Überschuss in der Leber gespeichert; Patienten, die sich etwa drei Jahre lang streng vegan ernährt haben, können jedoch aufgrund einer unzureichenden Nahrungsaufnahme einen B12-Mangel entwickeln.

Epidemiologie

Die Epidemiologie des Vitamin-B12-Mangels variiert je nach Ätiologie. In der Allgemeinbevölkerung haben einige Studien gezeigt, dass bei Patienten mit Anämie etwa 1 bis 2 % auf einen B12-Mangel zurückzuführen sind. Andere Studien haben gezeigt, dass bei Patienten mit klinischer Makrozytose (definiert als ein MCV > 100) 18 % bis 20 % auf einen B12-Mangel zurückzuführen sind. Unabhängig von der Ursache ist ein Vitamin-B12-Mangel bei älteren Menschen häufiger anzutreffen. Ein B12-Mangel aufgrund einer perniziösen Anämie ist bei Menschen nordeuropäischer Abstammung häufiger. Bei Menschen afrikanischer Abstammung oder Menschen aus anderen Regionen Europas ist die Inzidenz der perniziösen Anämie geringer (4, 5).

Pathophysiologie

Bei gesunden Patienten bindet das mit der Nahrung aufgenommene Vitamin B12 an ein Protein namens R-Faktor, das von den Speicheldrüsen ausgeschieden wird. Sobald der Komplex den Dünndarm erreicht, wird das B12 durch Enzyme der Bauchspeicheldrüse vom R-Faktor abgespalten, so dass es sich an ein Glykoprotein namens Intrinsic Factor binden kann, das von den Parietalzellen des Magens ausgeschieden wird. Der neu gebildete Komplex aus B12 und Intrinsic Factor kann dann an Rezeptoren im Ileum binden, wodurch die Aufnahme von B12 ermöglicht wird. Nach der Resorption ist B12 an Stoffwechselwegen beteiligt, die sowohl für neurologische als auch für hämatologische Funktionen wichtig sind. Wenn B12 nicht absorbiert werden kann, können – unabhängig von der Ätiologie – zahlreiche Beeinträchtigungen auftreten.

Behandlung / Management

Die Behandlung des Vitamin-B12-Mangels besteht in der Zufuhr von B12. Je nach Ursache des Mangels variieren jedoch die Dauer und die Art der Behandlung. Bei Patienten, die aufgrund einer strikten veganen Ernährung einen Mangel aufweisen, ist eine orale B12-Ergänzung zur Auffüllung des Bedarfs ausreichend.

Bei Patienten mit einem Mangel an intrinsischem Faktor, der entweder auf eine perniziöse Anämie oder eine Magenbypass-Operation zurückzuführen ist, wird eine parenterale Gabe von B12 empfohlen, da oral aufgenommenes B12 aufgrund des fehlenden intrinsischen Faktors nicht vollständig absorbiert werden kann. Eine Dosis von 1000 mcg B12 über den intramuskulären Weg wird einmal im Monat empfohlen. Bei neu diagnostizierten Patienten werden 1000 mcg B12 vier Wochen lang einmal wöchentlich intramuskulär verabreicht, um die Speicher aufzufüllen, bevor auf eine einmal monatliche Verabreichung umgestellt wird. Studien haben gezeigt, dass die orale B12-Gabe bei einer Dosis, die hoch genug ist, um die B12-Rezeptoren im Darm vollständig zu sättigen, trotz fehlendem Intrinsic Factor ebenfalls wirksam ist.

Quelle: StatPearls [Internet] Fortbildungsaktivität. Vitamin B12 Deficiency Alex Ankar and Anil Kumar. Last Update: October 22, 2022

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Layden AJ et al. Neglected tropical diseases and vitamin B12: a review of the current evidence. Trans R Soc Trop Med Hyg. 2018;112:423-435
2. Fritz J et al. A Systematic Review of Micronutrient Deficiencies in Pediatric Inflammatory Bowel Disease. Inflamm Bowel Dis. 2019;25:445-459]
3. Miller JW. Proton Pump Inhibitors, H2-Receptor Antagonists, Metformin, and Vitamin B-12 Deficiency: Clinical Implications. Adv Nutr. 2018;9:511S-518S.
4. Röhrig G et al. Clinical hematological symptoms of vitamin B12 deficiency in old age : Summarized overview of this year’s symposium of the Working Group “Anemia in the Aged” on the occasion of the annual conference of the German Geriatric Society (DGG) in Frankfurt.. Z Gerontol Geriatr. 2018;51:446-452.
5. Devi A, et al. Vitamin B12 Status of Various Ethnic Groups Living in New Zealand: An Analysis of the Adult Nutrition Survey 2008/2009. Nutrients. 2018;10 [PMC free article]

Herpes Zoster-Impfung bei gefährdeten Erwachsenen

Sicherheit und Wirksamkeit von rekombinanten und Lebendimpfstoffen gegen Herpes Zoster zur Vorbeugung bei gefährdeten Erwachsenen mit chronischen Krankheiten und immunschwächenden Bedingungen.

In einer kürzlich erfolgten Publikation (1) wurden Belege für die Risiken und die Belastung durch Herpes Zoster (HZ) in einem breiten Spektrum von klinisch relevanten Risikopopulationen, einschliesslich wichtiger klinischer Daten zum rekombinanten Herpes Zoster-Impfstoff (RZV) RZV und Einzeldosis Zoster-Lebendimpfung (ZVL) bei diesen Personen präsentiert, um die Ärzte bei der Betreuung für erwachsene IC-Patienten zu unterstützen.

Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung haben ältere Erwachsene mit Immunseneszenz und Personen, die Immunschwäche (IC) aufgrund einer Krankheit oder einer immunsuppressiven Therapie sind einem erhöhten Risiko für HZ und die damit verbundenen Komplikationen, die schwächend und lebensbedrohlich sein können (2-7). Die Impfung kann eine wirksame Strategie gegen HZ sein, und Studien haben gezeigt, dass eine HZ-Impfung bei IC-Patienten eine Immunreaktion auslösen und einen Schutz vor der Infektion bieten kann. Kürzlich erfolgten die ersten Zulassungen in den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union für den rekombinanten HZ-Impfstoff (RZV) bei Erwachsenen im Alter von 18 Jahren, bei denen aufgrund von Immundefizienz oder Immunsuppression ein HZ-Risiko besteht. Vorhandene systematische Übersichten haben die Risiken für HZ bei eingeschränkter Immunschwäche hervorgehoben und nur klinische Daten für RZV untersucht. In der vorliegenden Übersichtsarbeit (1) werden die Risiken und die Belastung durch HZ in einem breiten Spektrum von klinisch relevanten IC-Populationen untersucht und die wichtigsten Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit von RZV und HZ-Lebendimpfstoff bei diesen Personen zusammengefasst. Die Forschung hat gezeigt, dass Menschen mit IC von einer HZ-Impfung profitieren können. Diese Erkenntnisse müssen jedoch noch vollständig in die Impfrichtlinien und die klinische Versorgung aufgenommen werden. Kliniker sollten eine HZ-Impfung bei geeigneten Risikopopulationen in Betracht ziehen, um sich vor HZ und den damit verbundenen Komplikationen zu schützen und damit die Belastung des Gesundheitssystems durch HZ zu verringern. Elektronische Gesundheitsakten und verknüpfte persönliche Gesundheitsakten könnten genutzt werden, um Patienten zu identifizieren und zu kontaktieren, die für eine HZ-Impfung in Frage kommen und klinische Entscheidungshilfen für fehlende oder verspätete Impfungen bereitstellen. Diese Überprüfung wird Klinikern helfen, geeignete IC-Patienten zu identifizieren, die von einer HZ-Impfung profitieren könnten.

Herpes Zoster (HZ) ist ein bedeutendes Gesundheitsproblem, das Morbidität und, weniger häufig, Mortalität bei ungeimpften Erwachsenen im Alter von 50 Jahren betrifft. Vor der Einführung von Impfstoffen gab es schätzungsweise 1 Million Fälle von HZ pro Jahr in den Vereinigten Staaten (USA), und im Jahr 2013 beliefen sich die Gesundheitskosten für HZ auf über 1,0 Milliarden US-Dollar (8-10]. Die Varizella-Zoster-Virus (VZV)-spezifische T-Zell-vermittelte Immunität (CMI) ist der Schlüssel zur Aufrechterhaltung des latenten VZV nach einer Varizellen-(Windpocken-) Infektion; allerdings ist die Immunseneszenz bei älteren Erwachsenen und geschwächte Immunität bei Personen mit geschwächtem Immunsystem (IC), mit Autoimmunkrankheiten (AIDs), chronischen medizinischen chronischen Erkrankungen oder Personen, die eine immunsuppressive Therapie erhalten, erhöhen das Risiko einer VZV-Reaktivierung und HZ (Gürtelrose (11-16). Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung haben IC-Populationen ein höheres Risiko für schwerwiegende HZ-Komplikationen, einschliesslich postherpetischer Neuralgie, die einen Krankenhausaufenthalt erfordert, oder von potenziell lebensbedrohlicher, kutaner und viszeraler VZV-Dissemination begleitet ist. Da IC-Patienten nach Schätzungen in den USA und im Vereinigten Königreich 3% der Erwachsenen ausmachen, bestehen für viele damit verbundene Komplikationen, wobei dieses Risiko mit dem Alter zunimmt (17,18). Eine prophylaktische und postexpositionelle, antivirale Therapie gegen HZ wird für gefährdete Personen empfohlen. Diese Therapien sind häufig suboptimal aufgrund der begrenzten Wirksamkeit, der langen Behandlungsdauer potenzieller Arzneimitteltoxizität, Virusresistenz und Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln, was ein besonderes Problem für IC-Personen darstellt, die Polypharmazie unterworfen sind (7, 19-23). Die Impfung bietet eine prophylaktische Option, die die Herausforderungen der konventionellen antiviralen Prophylaxe überwinden und gleichzeitig einen länger anhaltenden Schutz gegen HZ bietet. Zu den verfügbaren Impfstoffen gehören eine Einzeldosis Zoster-Lebendimpfung (ZVL), die aus demselben abgemilderten VZV wie der Varizellen-Impfstoff mit einem erhöhten viralen Titer (14-fach) (Zostavax; MSD), und ein rekombinanter VZV-Lebendimpfstoff in zwei Dosen (RZV). VZV-Impfstoff (RZV), der das VZV-Glykoprotein-E-Antigen mit dem AS01B Adjuvans-System, das MPL (3-O-desa cyl-4-Monophosphoryl-Lipid A), einen gereinigten Pflanzenextrakt QS-21 (Quillaja Saponaria Molina, Fraktion 21) und Liposomen (Shingrix; GSK) (13, 24-27) enthält. Während ZVL in den USA nicht mehr erhältlich ist, ist es in der Europäischen Union (EU) für die Prävention von HZ bei Erwachsenen im Alter von 50 Jahren zugelassen; allerdings ist es bei Personen mit schwerer IC kontraindiziert wegen des Risikos einer schweren oder tödlichen disseminierten Impfstamm VZV-Krankheit (22). Der RZV-Impfstoff ist in 24 Ländern/Regionen erhältlich (Australien, Österreich, Belgien, Brasilien). (Australien, Österreich, Belgien, Brasilien, Kanada, China, Dänemark, Finnland, Deutschland, Hongkong, Irland, Italien, Japan, Saudi-Arabien, Niederlande, Neuseeland, Portugal, Singapur, Spanien, Schweden, Schweiz, Taiwan, Vereinigtes Königreich, USA) zur Prävention von HZ bei Erwachsenen im Alter von 50 Jahren und Erwachsenen im Alter von 18 Jahren, die ein erhöhtes HZ-Risiko haben, einschliesslich derjenigen, die immunschwach oder immunsupprimiert sind (24, 25).

Quelle: Sullivan KN et al. Safety and efficacy of recombinant and live herpes zoster vaccines forprevention in at-risk adults with chronic diseases and immunocompromising conditions. Vaccine 2023; 41: 36–48

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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1. Sullivan KN et al. Safety and efficacy of recombinant and live herpes zoster vaccines forprevention in at-risk adults with chronic diseases and immunocompromising conditions. Vaccine 2023; 41: 36–48
2. Chen S-Y, et al. Incidence of herpes zoster in patients with altered immune function. Infection 2014;42 (2):325–34.
3. Watson C et al. Herpes zoster: Postherpetic Neuralgia and other complications: Focus on treatment and prevention: Adis. (Springer Nature), Springer International Publishing; 2017.
4. Munoz-Quiles C, et al. Herpes zoster risk and burden of disease in immunocompromised populations: a population-based study using health system integrated databases, 2009– 2014. BMC Infect Dis 2020;20:905.

Die Infektion der oberen Atemwege

Infektionen der oberen Atemwege können durch eine Vielzahl von Viren und Bakterien verursacht werden. Diese sind verantwortlich für eine Vielzahl von Patientenerkrankungen, darunter akute Bronchitis, Erkältung, Grippe und Atemnotsyndrome. Die Definition der meisten dieser Patientenerkrankungen ist schwierig, da sich die Erscheinungsbilder von Infektionen der oberen Atemwege häufig überschneiden und ihre Ursachen ähnlich sind. Infektionen der oberen Atemwege können als selbstbegrenzte Reizung und Schwellung der oberen Atemwege mit begleitendem Husten definiert werden, ohne dass eine Lungenentzündung nachgewiesen werden kann, ohne dass eine separate Erkrankung für die Symptome des Patienten verantwortlich ist oder ohne eine Vorgeschichte von COPD/Emphysem/chronischer Bronchitis. (2). Infektionen der oberen Atemwege betreffen die Nase, die Nebenhöhlen, den Rachen, den Kehlkopf und die grossen Atemwege.

Die Erkältung

Zu den Erregern der Erkältung gehören das Rhinovirus, das Adenovirus, das Parainfluenzavirus, das Respiratory Syncytial Virus, das Enterovirus und das Coronavirus. Das Rhinovirus, eine Spezies der Gattung Enterovirus aus der Familie der Picornaviridae, ist der häufigste Erreger der Erkältung und verursacht in der Hochsaison bis zu 80% aller Atemwegsinfektionen (3). Dutzende von Rhinovirus-Serotypen und häufige Antigenveränderungen unter ihnen machen die Identifizierung, Charakterisierung und Ausrottung komplex. Es wird angenommen, dass die Replikation und Infektion des Rhinovirus nach der Ablagerung in der vorderen Nasenschleimhaut mit dem mukoziliären Transport in den hinteren Nasenrachenraum und die Adenoide beginnt. Bereits 10 bis 12 Stunden nach der Inokulation können die ersten Symptome auftreten. Die durchschnittliche Dauer der Symptome beträgt 7 bis 10 Tage, sie können jedoch bis zu 3 Wochen anhalten. Die Infektion der Nasenschleimhaut und die anschliessende Entzündungsreaktion des Wirtes führen zu einer Vasodilatation und einer erhöhten Gefässdurchlässigkeit. Diese Ereignisse führen zu einer Nasenobstruktion und Rhinorrhoe, während die cholinerge Stimulation die Schleimproduktion und das Niesen auslöst.

Infektionen der oberen Atemwege gehören zu den häufigsten Erkrankungen, mit denen Beschäftigte im Gesundheitswesen im ambulanten Bereich konfrontiert werden. Die Infektion kann von einer gewöhnlichen Erkältung bis hin zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung wie einer akuten Epiglottitis reichen. Aufgrund der unterschiedlichen Ursachen und Erscheinungsformen werden Infektionen der oberen Atemwege am besten von einem interprofessionellen Team behandelt.

Der Schlüssel liegt darin, eine übermässige Verschreibung von Antibiotika zu vermeiden und gleichzeitig eine lebensbedrohliche Infektion nicht zu übersehen. Krankenschwestern und -pfleger, die diese Patienten behandeln, sollten sich mit einem Experten für Infektionskrankheiten in Verbindung setzen, wenn Zweifel an der Schwere der Infektion bestehen. Der Apotheker sollte den Patienten über Infektionen der oberen Atemwege aufklären und von der übermässigen Anwendung unerprobter Produkte absehen.

Ebenso sollte der Arzt in der Notaufnahme Patienten nicht ohne Weiteres mit Antibiotika gegen eine Erkältung nach Hause entlassen. Insgesamt führen Infektionen der oberen Atemwege zu einer sehr hohen Arbeitsunfähigkeit über kurze Zeiträume. Fehlzeiten am Arbeitsplatz und in der Schule sind keine Seltenheit; ausserdem können die Symptome lästig sein und extreme Müdigkeit ist die Regel. Die Patienten sollten dazu angehalten werden, ausreichend zu trinken, sich auszuruhen, das Rauchen einzustellen und die verordneten Medikamente einzuhalten (4).

Ätiologie

Erkältungskrankheiten stellen nach wie vor eine grosse Belastung für die Gesellschaft dar, sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht. Das häufigste Virus ist das Rhinovirus. Weitere Viren sind das Influenzavirus, das Adenovirus, das Enterovirus und das Respiratory Syncytial Virus. Bakterien können etwa 15 % der plötzlich auftretenden Pharyngitis verursachen. Das häufigste Bakterium ist S. pyogenes, ein Streptokokkus der Gruppe A.

Risikofaktoren für eine Infektion der oberen Atemwege:

– Enger Kontakt mit Kindern: Sowohl Kindertagesstätten als auch Schulen erhöhen das Risiko für eine Infektion der oberen Atemwege.
– Medizinische Störung: Menschen mit Asthma und allergischem Schnupfen haben ein höheres Risiko, an einer Infektion der oberen Atemwege zu erkranken.
– Rauchen ist ein häufiger Risikofaktor für eine Infektion der oberen Atemwege.
– Menschen mit geschwächtem Immunsystem, einschliesslich Menschen mit zystischer Fibrose, HIV, Kortikosteroiden, Transplantationen und nach einer Splenektomie haben ein hohes Risiko für eine Infektion der oberen Atemwege.
– Anatomische Anomalien wie dysmorphe Veränderungen im Gesicht oder Nasenpolyposis erhöhen ebenfalls das Risiko einer Infektion der oberen Atemwege.

Impfempfehlungen für Pneumokokken in der Schweiz

Je nach Alter und Gesundheitszustand sind für die Impfung eine oder mehrere Dosen erforderlich.

Ab Januar 2024 wird Personen ab 65 Jahren, die nicht gegen Pneumokokken geimpft sind oder nur mit Pneumovax® geimpft wurden, eine zusätzliche Impfung gegen Pneumokokken mit 1 Dosis des konjugierten Pneumokokkenimpfstoffs (PCV) empfohlen. Die Impfempfehlungen zwischen
2 Monaten und 5 Jahren sowie für Risikopersonen zwischen 5 und 64 Jahren bleiben unverändert, ebenso wie ihre Erstattung, die leider auf < 5 und ≥ 65 Jahre beschränkt ist.

Allgemeine Empfehlungen

Die Impfung gegen Pneumokokken (Prevenar13®) wird empfohlen für Kleinkinder von 2 Monaten bis 5 Jahren, um Pneumokokken-Infektionen (Hirnhautentzündung, Lungenentzündung, Blutvergiftung) zu schützen.

Quelle: Pletz MW und Bahrs C. Pneumokokkenimpfstoffe. Internist 2021;62:807-815

Literatur:
1. Pletz MW und Bahrs C. Pneumokokkemipfstoffe. Internist 2021;62:807- 815 Africano HF et al. Major adverse cardiovascular events during inva­sive pneumococcal disease are serotype dependent. Clin Infect Dis. 2021; 72:e711–e719. doi: 10.1093/cid/ciaa1427.
2. Brown AO et al. Cardiotoxicity during invasive pneumococcal disease. Am J Respir Crit Care Med. 2015;191:739–745. doi: 10.1164/rccm.201411-1951PP.
3. Wagenvoort GH et al. Long-term mortality after IPD and bacteremic versus non-bacteremic pneumococcal pneumonia. Vaccine. 2017;35:1749–1757. doi: 10.1016/j.vaccine.2017.02.037
4. Pletz MW et al. Pneumococcal vaccines: mechanism of action, impact on epidemiology and adaption of the species. Int J Antimicrob Agents. 2008;32:199–206. doi: 10.1016/j.ijantimicag.2008.01.021.
5. Pletz MW et al. Position paper on adult pneumococcal vaccination: position paper of the German respiratory society and the German Geriatric Society. Pneumologie. 2015;69:633–637. doi: 10.1055/s-0034-1393413.
6. Pletz MW,et al. Position paper on adult pneumococcal vaccination: position paper of the German respiratory society and the German Geriatric Society. Pneumologie. 2015;69:633–637. doi: 10.1055/s-0034-1393413.
7. Remschmidt C et al. Effectiveness, immunogenicity and safety of 23-valent pneumococcal polysaccharide vaccine revaccinations in the elderly: a systematic review. BMC Infect Dis. 2016;16:711. doi: 10.1186/s12879-016-2040-y.