SWISSMEDIC INFO

Public Summary SwissPAR vom 13.06.2023

Opdualag® (Wirkstoffe: Nivolumab, Relatlimab)

Erstzulassung in der Schweiz: 23.12.2022
Arzneimittel (Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung) zur Erstlinienbehandlung von Erwachsenen mit Melanom mit einer PD-L1-Expression unter 1%

Über das Arzneimittel

Das Arzneimittel Opdualag enthält die bei-den monoklonalen Antikörper (immunolo-gisch aktive Proteine) Nivolumab und Relat-limab.
Opdualag wird bei Erwachsenen zur Behandlung von nicht resezierbarem (chirurgisch nicht entfernbar oder metastasiertem (mit Bildung von Krebszellablegern) Melanom mit einer PD-L1-Expression unter 1 % angewendet.

Opdualag wurde im Rahmen des «Project Orbis» zugelassen. Project Orbis ist ein von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA koordiniertes Programm für vielversprechende Krebsbehandlungen. Es bietet einen Rahmen für die gleichzeitige Einreichung und Prüfung von Krebsmedikamen-ten durch mehrere internationale Partnerbehörden verschiedener Länder. Damit wird das Ziel verfolgt, Patientinnen und Patienten einen schnelleren Zugang zu innovativen Krebsbehandlungen zu ermöglichen. Zurzeit sind die Zulassungsbehörden von Australien (TGA), Brasilien (ANVISA), Israel (MOH), Kanada (HC), Singapur (HSA), Schweiz (Swissmedic) und dem Vereinigten Königreich (MHRA) im Project Orbis vertreten.

Wirkung

Opdualag enthält in einer fixen Kombination den bereits bekannten Wirkstoff Nivolumab (ein sogenannter PD-1-Hemmstoff) und den neuen Wirkstoff Relatlimab, einen LAG-3-Hemmstoff.

PD-1 (programmierter Zelltod-1 / Programmed cell death protein 1) ist ein Rezeptor (Zielstelle) auf Immunzellen. Diese Immunzellen dienen der körpereigenen Ab-wehr. Bei Aktivierung des Rezeptors durch ein PD-L1 (PD-ligand 1) – ein Protein – wird die Immunantwort des Körpers verringert.
Bestimmte Krebszellen können ein solches PD-L1-Oberflächenprotein ausbilden, das dann die Immunantwort des Körpers auf die Tumorzellen vermindert. Die Blockierung der Bindung des PD-L1 an den PD-1 Rezeptor durch einen PD-1 Hemmstoff, wie Nivolumab, führt somit zu einer erhöhten Aktivität des körpereigenen Abwehrsystems gegenüber dem Tumorgewebe.

Die Hemmung von LAG-3 (Lymphocyte activation gene-3) durch Relatlimab bewirkt über einen anderen Mechanismus ebenfalls eine erhöhte Aktivität des köpereigenen Abwehrsystems gegen den Tumor.

Anwendung

Opdualag mit den Wirkstoffen Nivolumab und Relatlimab ist rezeptpflichtig. Opdualag ist als Konzentrat zur Herstellung einer Infusion in einer Durchstechflasche mit 20 ml Konzentrat mit 240 mg Nivolumab und 80 mg Relatlimab erhältlich. Die empfohlene Dosierung von Opdualag (480 mg Nivolumab und 160 mg Relatlimab) wird alle 4 Wochen als Infusion in die Vene über 30 Minuten verabreicht.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Opdualag wurde in einer Studie (RELATIVITY-047) mit 714 Patientinnen und Patienten mit zuvor unbehandelten metastasiertem oder nicht resezierbarem Melanom untersucht. 355 Personen erhielten Nivolumab in Kombination mit Relatlimab und 359 Personen erhielten nur Nivolumab (Monotherapie). In beiden Grup-pen wurde die Konzentration an PD-L-1-Protein bestimmt, die das Tumorgewebe bildete. Alle Patientinnen und Patienten wurden bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder bis zum Auftreten nicht akzeptabler unerwünschter Wirkungen mit den jeweiligen Therapien behandelt.

Die Wirksamkeit der Therapie wurde an-hand des progressionsfreien Überlebens (PFS1) bestimmt. Nach 12 Monaten war bei 42 % der Patientinnen und Patienten in der Kombinationsgruppe mit einem PD-L1-Wert unter 1 % noch kein PFS-Ereignis eingetreten, verglichen zu 25% in der Nivolumab-Gruppe. Das mediane2 PFS lag bei 6.4 Monaten in der Gruppe mit Nivolumab plus Relatlimab und bei 2.9 Monaten in der Nivolumab-Gruppe.

Das mediane Gesamtüberleben (overall survival, OS)3 war zum Zeitpunkt der Studienauswertung in der Kombinationsgruppe noch nicht erreicht und betrug 27 Monate in der Nivolumab-Gruppe.

Vorsichtsmassnahmen, unerwünschte Wirkungen & Risiken

Opdualag darf bei einer Überempfindlichkeit gegenüber den Wirkstoffen oder einem der Hilfsstoffe nicht angewendet werden.

Die häufigsten beobachteten unerwünschten Wirkungen waren Ermüdung (39 %), Schmerzen des Muskel- und Skelettsystems (28 %), Hautausschlag (22 %), Juckreiz (20 %) und Gliederschmerzen (20 %). Immunvermittelte unerwünschte Wirkungen, wie zum Beispiel entzündliche Veränderungen der Lunge (Pneumonitis), der Leber (Hepatitis) oder des Herzmuskelgewebes (Myokarditis), können auch nach Absetzen der Therapie auftreten, daher sollten die Patientinnen und Patienten weiterhin für mindestens 5 Monate kontinuierlich überwacht werden. Alle Vorsichtsmassnahmen, Risiken und weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind in der Fachinformation aufgeführt.

Begründung des Zulassungsentscheids

Die RELATIVITY-047-Studie zeigte eine Verbesserung des PFS sowie des OS durch die Kombination von Nivolumab und Relatlimab im Vergleich zur Monotherapie mit nur Nivolumab bei Patientinnen und Patienten mit einem zuvor unbehandelten metastasiertem oder nicht resezierbarem Melanom, die eine PD-L1-Expression unter 1% haben.

Unter Berücksichtigung aller Risiken und Vorsichtsmassnahmen und aufgrund der vorliegenden Daten überwiegen die Vorteile von Opdualag die Risiken. Swissmedic hat daher das Arzneimittel Opdualag mit den Wirkstoffen Nivolumab und Relatlimab für die Schweiz zugelassen.

Weitere Informationen zum Arzneimittel

Information für medizinisches Fachpersonal: Fachinformation Opdualag® auf www.swissmedicinfo.ch
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.

1. PFS: Progressionsfreies Überleben (PFS, progression-free survival): Zeitspanne zwischen dem Start einer Behandlung oder einer klinischen Studie und dem Beginn des Fortschreitens der Krankheit oder dem Tod der Patientin oder des Patienten.

2. Median: Der Wert, der genau in der Mitte einer Datenverteilung liegt, nennt sich Median oder Zentralwert. Die eine Hälfte aller Daten ist immer kleiner, die andere grösser als der Median.

3. Gesamtüberleben (OS, overall survival): Das Gesamtüberleben bezeichnet die Zeitspanne zwischen Therapiebeginn und Tod des Patienten bzw. der Patientin.

Der Stand dieser Information entspricht demjenigen des SwissPAR. Neue Erkenntnisse über das zugelassene Arzneimittel fliessen nicht in den Public Summary SwissPAR ein.
In der Schweiz zugelassene Arzneimittel werden von Swissmedic überwacht. Bei neu festgestellten unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder anderen sicherheitsrelevanten Signalen leitet Swissmedic die notwendigen Massnahmen ein. Neue Erkenntnisse, welche die Qualität, die Wirkung oder die Sicherheit dieses Medikaments beeinträchtigen könnten, werden von Swissmedic erfasst und publiziert. Bei Bedarf wird die Arzneimittelinformation angepasst.

Benchmarking-Studie 2022: Internationaler Vergleich der Schweizer Zulassungszeiten

Swissmedic und die pharmazeutischen Firmen haben bereits zum 10. Mal die Benchmarking Studie der Durchlaufzeiten für die Zulassung von Humanarzneimitteln durchgeführt. Die Gegenüberstellung der Zulassungszeiten der European Medicines Agency (EMA), der US Food and Drug Administration (FDA) und Swissmedic erlauben es, die Leistung der Swissmedic als kleine, unabhängige Zulassungsbehörde mit den Leistungen der grossen internationalen Referenzbehörden direkt zu vergleichen.

Die Analyse der Durchlaufzeiten für Neuanmeldungen neuer aktiver Substanzen (NA NAS) zeigt in 2022 über alle Verfahren einen leicht höheren Zeitbedarf auf, die medianen Zeiten von Swissmedic liegen jedoch mit der EMA gleich auf. Die Verzögerungen werden auf die erhöhte Ressourcenbelastung in den Pandemiejahren 2020/2021 zurückgeführt, als Gesuche für Arzneimittel zur Bekämpfung oder Prävention der Pandemie zu Lasten anderer innovativer Neuanmeldungen prioritär behandelt wurden.

Die zeitlichen Verzögerungen bei der Zulassung von NA NAS gegenüber EMA und FDA haben sich jedoch verringert: Submission Gap1 und Approval Gap2 haben im Vergleich zum letzten Jahr insgesamt abgenommen. Dies wird in erster Linie auf die internationalen Verfahren im Access Consortium und im Project Orbis sowie die vermehrten befristeten Zulassungen zurückgeführt.

Weitere Trends und Erkenntnisse aus der Studie sind im Executive Summary zusammengefasst:
www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/humanarzneimittel/authorisations/informationen/benchmarking-studie-2022.html

Im Zusammenhang möchte Swissmedic auch auf die jüngste Publikation des Centre for Innovation in Regulatory Science (CIRS) aufmerksam machen: Das R&D Briefing 88 – New drug approvals in six major authorities 2013-2022 (https://cirsci.org) vergleicht die Zulassungszeiten von Swissmedic mit den denjenigen von Europa, Japan, Kanada und Australien und der USA (Figure 1). Beim Vergleich des Executive Summary und dem R&D Briefing 88 von CIRS ist zu beachten, dass die Einschlusskriterien für Gesuche nicht identisch sind, was zu kleineren nummerischen Abweichungen führt.

1. Der Submission Gap ist definiert als die Zeit (Median) zwischen dem Datum der Einreichung bei der Referenzbehörde und dem Datum der Einreichung bei Swissmedic.

2. Der Approval Gap ist definiert als die Zeit (Median) zwischen dem Genehmigungsdatum der Referenzbehörde und dem Genehmigungsdatum von Swissmedic.

Konsequenzen von BRCA-Mutationen und HRD für Genitalkarzinome der Frau

Patientinnen mit Ovarialkarzinom sind schwierig zu behandeln und schwierig zu diagnostizieren, weil wir keine guten Screeningmethoden und keine Früh-Symptome haben, die eine frühe Diagnose erlauben würden. stellte Frau Prof. Dr. med. Christine Brambs, Luzern, fest. Die Prognose ist schlecht, insbesondere bei Patientinnen, bei denen die Diagnose zu einem späten Stadium erfolgt. Die Risikofaktoren für Ovarialkarzinom sind bekannt. z.B. Ovulation, Reduktion der Ovulation durch Einnahme von Ovulationshemmern und Stillen. Es gibt aber auch eine genetische Komponente., die die Behandlung beeinflusst. Diese besteht gewöhnlich aus 2 Komponenten, der Chirurgie und einer medikamentösen Therapie, ausser bei Diagnose in einem sehr frühen Stadium. Die Chirurgie ist extrem wichtig, insbesondere die Qualität der chirurgischen Massnahmen. Das Ziel der primären Operation sollte die vollständige Resektion sein.

Bedeutung genetischer Komponenten

Warum ist die genetische Komponente wichtig? Warum empfehlen die Guidelines, dass die Patientinnen alle eine genetische Testung und Beratung erhalten?

BRCA1/2 Mutationen sind Keimbahnmutationen, die in etwa 20% vorkommen. Sie werden im Blut getestet nicht im Tumor. Bei HRD, welches für homologe Rekombinationsdefizienz steht, handelt es sich um einen Defekt in der DNA-Reparatur. Der Ausfall dieses homologen Rekombinations-Reparatursystems verstärkt insgesamt die genomische Instabilität der Tumorzellen. Bei Krebserkrankungen wird dies häufig durch Mutationen in für das homologe Reparatursystem relevanten Genen verursacht. Zu diesen zählen zum Beispiel BRCA1, BRCA2.

Patientinnen mit BRCA1/2-Mutationen haben eine bessere Prognose als Nichtmerkmalsträgerinnen. Als mögliche Ursachen für die Differenzen werden Unterschiede in der Tumorbiologie und ein besseres Ansprechen von Merkmalsträgerinnen auf die platinhaltigen Chemotherapien diskutiert.
Die Genetik spielt aber auch bei den neueren Therapien eine hervorragende Rolle. Das Enzym Poly(ADP-Ribose)-Polymerase-1 (PARP-1) fungiert als Sensor für DNA-Schäden. Es erkennt DNA-Schäden und erleichtert die DNA-Reparatur, indem es die DNA-Reparaturmaschinerie zu den Schadensstellen rekrutiert. Wenn dieses Enzym nicht funktionsfähig ist, z.B. weil es durch eine medikamentöse Therapie blockiert wird oder bei HRD positiven Zellen kommt es zum Zelltod.

Angesichts der Empfindlichkeit von BRCA-mutierten Krebsarten gegenüber Poly(ADP-Ribose)-Polymerase-1 (PARP1)-Inhibitoren und Platinanaloga ist es wichtig, die Häufigkeit somatischer BRCA(1/2)-Veränderungen zu bestimmen.

Erhaltungstherapie

Einige Dinge haben sich in den letzten Jahren geändert. Patientinnen mit der Diagnose eines fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms (III-IV) sollten zusätzlich eine Erhaltungstherapie erhalten. Als Erhaltungstherapie können folgende Substanzklassen oder Kombinationen eingesetzt werden (S3-Leitlinie von 2022)

  • Bevacizumab
  • PARP-Inhibitoren
  • PARP-Inhibitoren + Bevacizumab

PARP-Studien: Erstlinie

Verschiedene Studien haben die Therapiepraxis verändert. Die Referentin präsentierte die wichtigsten Studien:
– Maintenance Olaparib in patients wiht newly diagnosed advanced ovarian cancer (Moore K et al. N Engl J Med 2018 Dec 27;379:2495-2505). Die Erhaltungstherapie mit Olaparib brachte Frauen mit neu diagnostiziertem fortgeschrittenem Eierstockkrebs und einer BRCA1/2-Mutation einen erheblichen Vorteil in Bezug auf das progressionsfreie Überleben, wobei das Risiko eines Fortschreitens der Krankheit oder des Todes unter Olaparib um 70 % geringer war als unter Placebo.

– Niraparib in patients with newly diagnosed advanced ovarian cancer (Gonzàlez-Martin A et al. Olaparib plus Bevacizumab as first-line mainenance in ovarian cancer. N Engl J Med 2019;381:2391-2402). Bei Patientinnen mit neu diagnostiziertem fortgeschrittenem Eierstockkrebs, die auf eine platinbasierte Chemotherapie ansprachen, hatten diejenigen, die Niraparib erhielten, ein signifikant längeres progressionsfreies Überleben als diejenigen, die ein Placebo erhielten, unabhängig vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Mangels an homologer Rekombination
– Olaparib plus Bevacizumab as First-Line Maintenance in ovarian cancer (Ray-Coquard I et al. N Engl J Med. 2019;381:2416-2428). Es zeigte sich dabei, dass bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom, die eine Erstlinien-Standardtherapie einschliesslich Bevacizumab erhielten, die zusätzliche Gabe von Olaparib zu einem signifikanten Vorteil beim progressionsfreien Überleben führte, der bei Patientinnen mit HRD-positiven Tumoren, einschliesslich solcher ohne BRCA-Mutation, erheblich war.

Die Studien wurden typischerweise mit Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom durchgeführt, die eine chirurgische Therapie hinter sich hatten. Die Studien waren ähnlich in ihrem Konzept. Die erste Studie, die herauskam, war SOLO-1: Olaparib verglichen mit Standard of Care. Das primäre Ziel war PFS. Die Patientinnen hatten BRCA-Mutationen. Die Resultate waren eindrücklich und Praxis verändernd. Die nächste Studie war PRIMA, Niraparib vs. Placebo bei Patientinnen mit und ohne BRACA-Mutationen. Auch Patientinnen mit Wildtyp. Auch hier ergaben sich eindrückliche Resultate. Patientinnen mit HRD profitierten in Bezug auf PFS. Bei Patientinnen ohne HRD waren die Resultate auch positiv aber lange nicht so eindrücklich wie bei denjenigen mit HRD.

Die dritte Studie, die die Referentin präsentierte war PAOLA-1: Olaparib plus Bevacizumab vs. Placebo bei Patientinnen mit BRCAm/wt und HRDd/p. Das Design ist etwas unglücklich. Heute würde man Olaparib + Bevacizumab vs. Olaparib allein vergleichen, um die Wirkung von Bevacizumab zu analysieren. Dies ist mit diesem Studiendesign nicht möglich, so die Referentin. Die Studie zeigt einen Effekt bei HRD-positiven Patientinnen und weniger bei solchen ohne HRD.

Biomarker sind wichtig

BRCA und HRD sind wichtig für die Therapieentscheidung. Die Referentin präsentierte eine Übersicht über verschiedenen Gruppen von Patientinnen und die entsprechenden Medikamente, die verabreicht werden könnten. Ob ein PARP-Inhibitor verabreicht werden soll oder nicht, oder eine Kombination eines PARP-Inhibitors mit Bevacizumab wird im Wesentlichen durch die Biomarker-Analyse bestimmt. Die Übersicht zeigt, dass Erhaltungstherapie beim Ovarialkarzinom ziemlich komplex geworden ist.

PARP-Inhibitoren in weiteren Linien

NOVA-Studie: In der ENGOT-OV16/NOVA-Studie verlängerte die Erhaltungstherapie mit Niraparib, das progressionsfreie Überleben von Patientinnen mit platinsensitivem, rezidivierendem Ovarialkarzinom, die auf ihre letzte platinbasierte Chemotherapie angesprochen hatten. In NOVA wurde der klinische Nutzen bei Patientinnen, die auf ihre letzte platinhaltige Therapie teilweise (PR) und vollständig (CR) angesprochen hatten untersucht. Dabei zeigte sich, dass Patientinnen einen klinischen Nutzen aus der Erhaltungstherapie mit Niraparib unabhängig vom Ansprechen auf die letzte platinbasierte Therapie erzielten. Die Resultate zeigen aber auch, dass Patientinnen ohne BRCA-Mutationen und negativen HRD-Status von Niraparib nicht profitierten.

Die FDA zog infolgedessen die Zulassung von PARP-Inhibitoren teilweise zurück: Die Zulassung von Olaparib, Niraparib und Rucaparib wird durch die FDA beschränkt auf Patientinnen mit BRCA 1/2-Mutationen und/oder positivem HRD-Status. Dies illustriert die Dynamik dieser Erkrankung und ihrer Therapieoptionen, so die Referentin.

Krebsprävention bei BRCA-Mutationsträgern

Glücklicherweise wurden wirksame Strategien entwickelt, um das Risiko für die Entwicklung von Brust- und Eierstockkrebs bei Frauen mit BRCA1/2-Mutationen zu verringern, so dass Gentests auf diese Mutationen ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von Frauen mit einer ausgeprägten Familienanamnese für diese Krankheiten sind.

Die Ovariektomie hat sich als sehr wirksame Methode zur Risikoreduktion erwiesen. Als Beispiel wird dabei stets die Filmschauspielerin Angelina Jolie zitiert, die sich aus prophylaktischen Gründen einer Ovariektomie und Mastektomie unterzogen hat.

Take Home Messages

  • Es gibt genetische Komponenten beim Ovarialkarzinom
  • Genetische Beratung und Testung sind wichtig
  • Wahl der adäquaten Erhaltungstherapie
  • PARP Erstlinie
  • PARP ≥2. Linie
  • Biomarker sind wichtig
  • Die Genetik spielt eine Schlüsselrolle bei der Prävention des Ovarialkarzinoms
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Oncosuisse am SOHC 2023

Der Swiss Oncology & Hematology Congress (SOHC) ist der grösste jährliche Anlass im Schweizer Krebsbereich. Im wissenschaftlichen Komitee sind ein Grossteil der landesweit tätigen Akteure der Schweizer Krebsversorgung und -Forschung vertreten, darunter auch Oncosuisse. Seit 2019 veranstaltet Oncosuisse jährlich Sessions zu aktuellen Themen aus dem Krebsbereich. 2023 werden folgende beiden Sessions von Oncosuisse angeboten:

Session 1: Krebsregistrierung in der Schweiz – Rückmeldung an die Meldepflichtigen – Mittwoch, 22. November 2023 – 15h30-17h00 im Raum Darwin
Seit dem Inkrafttreten des Krebsregistrierungsgesetzes am 1. Januar 2020 besteht für die Leistungserbringer eine Meldepflicht, Krebserkrankungen an die zuständigen Krebsregister zu übermitteln. Welchen Nutzen ergibt sich jedoch für die Meldepflichtigen?

Die Idee eines Rückmeldeberichts wurde von den Meldepflichtigen in den letzten Jahren häufig vorgebracht, wobei über Struktur und Inhalte noch nicht in der Breite diskutiert wurde. Anhand eines Beispiels aus Deutschland (Klinisches Krebsregister Niedersachsen) könnte eine Schweizer Lösung entworfen werden. Zentral wäre es festzulegen, was im Schweizer System in Einklang mit dem Krebsregistrierungsgesetz sowie den jeweiligen kantonalen Rahmenbedingungen und unter Einbezug der vorhandenen Daten (NKRS, Kantonale Krebsregister) möglich und pragmatisch umsetzbar ist.

Nach dem Einführungs-Referat «Krebsregistrierung – Wege und Effekte der Rückmeldung an Leistungserbringer» durch Tobias Hartz, Geschäftsführer Klinisches Krebsregister Niedersachsen, wird eine Podiumsdiskussion mit Einbezug des Publikums stattfinden, um die Umsetzung solcher Rückmeldeberichte in der Schweiz voranzutreiben.
Bestätigte Teilnehmer:innen für die Podiumsdiskussion:

► Tobias Hartz, Geschäftsführer KKN / Klinisches Krebsregister Niedersachsen
► Katharina Staehelin, Direktorin NICER und NKRS
► Sabine Rohrmann: Leiterin Kantonale Krebsregister ZH, ZG, SH, SZ
► Miklos Pless, Chefarzt Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie, KSW (Meldepflichtiger)
► Walter Mingrone, Leitender Arzt Medizinische Onkologie, Kantonsspital Olten (Meldepflichtiger)
► Andrea Walliser: Projektleiterin Oncosuisse

Session 2: Nationaler Krebsplan Schweiz
Donnerstag, 23. November 2023 – 15h30-17h00 im Raum Darwin
Die Schweiz hat seit Beendigung der Nationalen Strategie gegen Krebs (NSK) 2020 keinen von Bund und Kantonen getragenen Krebsplan mehr. Es besteht also dringender Handlungsbedarf, es braucht die Zusammenarbeit aller Akteur:innen – auch von Bund und Kantonen.
Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats (SGK-S) hat 2023 Kommissionsmotion 23.3014 «Nationaler Krebsplan» entwickelt und einstimmig überwiesen. Berichterstatter ist Kommissionspräsident Erich Ettlin/Die Mitte OW. Der Bundesrat wird darin beauftragt, einen nationalen Krebsplan auf Basis der nationalen Strategie gegen Krebs 2014-2020 zu erarbeiten. In die Entwicklung des Krebsplans sollen der Bund, die Kantone sowie relevante Organisationen und Expert:innen einbezogen werden.
Der Ständerat hat in seiner Abstimmung vom 6. Juni 2023 die Motion mit 28:0 Stimmen und einer Enthaltung angenommen. Zum Zeitpunkt des SOHC wird das Geschäft aller Voraussicht nach in der SGK-N behandelt worden sein und der genaue Inhalt der Session wird darauf basierend noch im Detail erarbeitet. Für aktuelle Informationen können Sie sich gerne auf der Oncosuisse Webseite oder in unserem Newsletter informieren.

Weitere Informationen zum Kongress, dem Programm und der Anmeldung finden Sie auf folgender Webseite: www.sohc.ch. Anmeldungen bis zum 30. September profitieren noch von einem Frühbucherrabatt.
Für weitere Informationen: Geschäftsstelle Oncosuisse:
info@oncosuisse.ch – www.oncosuisse.ch

Aktuelle Krebspolitik

Im Folgenden werden krebspolitisch relevante Entscheide aus der Sommersession 2023 vorgestellt.

Aktueller Stand: Der Bundesrat soll beauftragt werden, einen nationalen Krebsplan auf Basis der nationalen Strategie gegen Krebs 2014-2020 zu erarbeiten. In die Entwicklung des Krebsplans sollen der Bund, die Kantone sowie relevante Organisationen, Expertinnen und Experten einbezogen werden. Die SGK-S hat sich einstimmig für die Kommissionsmotion ausgesprochen. Der Ständerat hat die Motion in der Sommersession am 6. Juni 2023 einstimmig angenommen. Auffällig waren die vielen abwesenden Ständeräte. Nur 29 Ständerät:innen waren an der Abstimmung im Saal.
Ausblick: Die nächsten Sitzungen der SGK-N finden am 26./27. Oktober und 16./17. November 2023 statt. Es gibt eine ähnlich lautende Motion von Doris Fiala (FDP/ZH) «Die Schweiz braucht einen nationalen Krebs- und Kontrollplan. Gleiche Versorgungs- und Überlebenschancen für alle Krebspatient:innen in der Schweiz. Mehr Koordination lohnt sich» (23.3195), die noch nicht im Rat behandelt wurde. Voraussichtlich werden beide Motionen zusammen im Nationalrat behandelt.

Position Oncosuisse: Die Oncosuisse begrüsst dieses Geschäft und unterstreicht dessen enorme Wichtigkeit. Ein von Bund und Kantonen mitgetragener Krebsplan ist entscheidend für eine effiziente Prävention, Früherkennung, Behandlung, Nachsorge und Registrierung von Krebsfällen.

Aktueller Stand: Mit dieser Revision sollen einerseits Massnahmen zur Kostendämpfung im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) umgesetzt werden. Andererseits sind Anpassungen geplant, die der Prozessoptimierung sowie der Erhöhung der Transparenz und der Schaffung von mehr Klarheit und Rechtssicherheit dienen sollen. Gleichzeitig sind Anpassungen im Bereich der Gebühren für die Verwaltungsverfahren vorgesehen. Schliesslich sollen auch die Bestimmungen über die Vergütung im Einzelfall angepasst werden. Die SGK-N empfiehlt dem Bundesrat mit 13 zu 10 Stimmen, die Revision der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) und der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) zu sistieren, bis die parlamentarische Beratung des zweiten Kostendämpfungspakets abgeschlossen ist. Im Gegensatz zur SGK-N erachtet es die SGK-S als notwendig, die Arbeiten weiterzuführen, damit Patientinnen und Patienten rasch, zuverlässig und gleichberechtigt Zugang zu Medikamenten erhalten. Sie teilt aber die Einschätzung, dass die vorgeschlagenen Änderungen nochmals sorgfältig geprüft werden sollen, unter anderem auf deren Rechtsmässigkeit. Deshalb schliesst sie sich den weiteren Empfehlungen ihrer Schwesterkommission an.
Ausblick: Vorrausichtlich wird erst nach dem Abschluss des Geschäfts 22.062 über die Inkraftsetzung der Verordnung entschieden.
Position Oncosuisse: An den runden Tischen wurden mehrheitsfähige Elemente definiert wie z.B. Preisfestsetzung von Medikamenten und Experteneinbezug bei der Weiterentwicklung des OLU-Tools und bei Ablehnung von Gesuchen. Die konkrete Ausformulierung der Verordnungen liegen aber noch nicht vor. Die Oncosuisse verfolgt dies weiterhin und interveniert bei Bedarf.

Aktueller Stand: Das Ausführungsrecht zum Humanforschungsgesetz wird überarbeitet, bestehende Vorgaben konkretisiert und neue Bestimmungen formuliert. Hintergrund sind Erkenntnisse aus der Evaluation von 2017-2019, neue nationale und internationale Regelungen und die Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung. Im Zuge dieser Teilrevision wird zudem die Stammzellenforschungsverordnung punktuell, zumeist formal, angepasst.

Position Oncosuisse: Die Vorschläge zur Revision der HSG-Verordnung werden gesamthaft sehr begrüsst, im speziellen die Angleichung an die europäischen Anforderungen der klinischen Forschung. Dies wird die Arbeit der Sponsoren, Sponsorenvertreter, Forschenden etc. in gewissen Bereichen sicher erleichtern. Positiv sind auch die Neuerungen in der Digitalisierung, z.B. dass die Einverständniserklärung (informed consent) in elektronischer Form möglich sein wird. Es gibt jedoch auch Artikel, die mit einem bedeutenden Mehraufwand für die Forschenden einhergehen, wie zusätzliche Meldepflichten, welche kaum einen Mehrwert bieten. Oncosuisse wird eine unter der Führung von SPOG und SAKK erarbeitete Vernehmlassungsantwort einreichen.
Für weitere Informationen: info@oncosuisse.ch

Dr. sc. nat. Michael Röthlisberger

Eine systematische Überprüfung und Netzwerk-Meta-Analyse

Die alleinige Androgendeprivationstherapie (ADT) mit Agonisten oder Antagonisten des luteinisierenden Hormon-Releasing-Hormons (LHRH) war während Jahrzehnten die Standardbehandlung für Patienten mit metastasiertem hormonsensitivem Prostatakrebs (mHSPC) (1, 2, 3). In den letzten 10 Jahren haben sich die Behandlungsoptionen für mHSPC jedoch mit der Einführung von vier systemischen Wirkstoffen, die bei kastrationsresistentem Prostatakrebs einen Nutzen gezeigt hatten (Docetaxel, Abirateron, Enzalutamid und Apalutamid), dramatisch verändert. Im Jahr 2015 wurde Docetaxel und ADT als Doppeltherapie zum neuen Behandlungsstandard für mHSPC, nachdem die randomisierten Kontrollstudien (RCTs) CHAARTED und STAMPEDE ARM C trotz des Scheiterns der französischen GETUG-AFU15 einen Vorteil beim Gesamtüberleben (OS) gegenüber der alleinigen ADT-Behandlung gezeigt hatten (4 – 8). Seitdem haben fünf RCTs (LATITUDE, STAMPEDE ARM G, ENZAMET, ARCHES und TITAN) einen OS-Vorteil für eine Doublett-Therapie bestehend aus einem auf die Androgenrezeptorachse ausgerichteten Therapeutikum (ARAT; Abirateron, Enzalutamid oder Apalutamid) und ADT im Vergleich zu ADT allein bei mHSPC gezeigt (9 – 13).

Bislang wurde in zwei laufenden RCTs (PEACE-1 und ARASENS) die Rolle einer Dreifachtherapie bestehend aus einem ARAT (PEACE-1: Abirateron; ARASENS: Darolutamid), Docetaxel und ADT bei mHSPC untersucht (14, 15). Sowohl PEACE-1 als auch ARASENS zeigten einen OS-Vorteil der Dreifach-Therapie gegenüber der Zweifach-Therapie (14, 15). Bemerkenswert ist, dass sowohl PEACE-1 als auch ARASENS im Gegensatz zu früheren RCTs Docetaxel mit ADT (Dublett-Therapie) als Kontrollarm einsetzten. In Anbetracht der Ergebnisse von PEACE-1 und ARASENS besteht die klinische Herausforderung weiterhin darin, die Therapieoptionen (Triplett vs. Dublett [Docetaxel und ADT] vs. Dublett [ARAT und ADT]) zu bewerten und die Triplet- mit der Dublett-Therapie, bestehend aus ARAT und ADT, zu vergleichen. Um diese Wissenslücke zu schliessen, wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt (16), um die meisten aktuellen RCT-bezogenen Daten zu identifizieren und die systematischen Behandlungsmodalitäten für mHSPC zu untersuchen. Anschliessend wurde eine Netzwerk-Meta-Analyse (NMA) mit direktem und indirektem Vergleich durchgeführt, um die Diskrepanz zwischen den RCTs in Bezug auf den Kontrollbehandlungsarm zu überwinden. Zusätzlich wurden die NMAs in den Untergruppen der niedrig- und hochvolumigen mHSPC gemäss den CHAARTED-Kriterien (5) neu angepasst. Soweit bekannt ist, ist die aktuelle Studie die erste, die die neuesten Daten zur Dreifachtherapie (PEACE-1 + ARASENS) berücksichtigt (14, 15).

In zwei kürzlich durchgeführten randomisierten kontrollierten Studien wurde bei Patienten mit metastasiertem hormonsensitivem Prostatakrebs (mHSPC) ein Vorteil der Dreifachtherapie (Androgenrezeptor-Achsen-gezieltes Therapiemittel [ARAT], Docetaxel und Androgendeprivationstherapie [ADT]) gegenüber der Zweifachtherapie (Docetaxel und ADT) festgestellt. Eine Rangfolge der Therapieoptionen und Vergleiche zwischen der Triplett-Therapie und der doppelten ARAT- und ADT-Therapie sind kaum vorhanden.

Zielsetzung einer rezenten Metanalyse (16)

Die Rangfolge der Therapieoptionen (Triplett vs. Dublett [Docetaxel und ADT] vs. Dublett [ARAT und ADT]) und deren Berücksichtigung in formalen Netzwerk-Metaanalysen (NMAs); anschliessend wurden die NMAs nach Stratifizierung nach niedriger und hoher Tumorlast und Dublett- versus Triplett-Therapie neu angepasst.

Es wurde eine systematische Literaturrecherche (PubMed, MEDLINE, Embase, Web of Science, Scopus und Cochrane-Datenbank) von RCT-Studien durchgeführt, in denen die Wirksamkeit einer systemischen Behandlung bei mHSPC in Bezug auf das Gesamtüberleben untersucht wurde. Die Suche nach Studien und die Einschlusskriterien entsprachen den Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-analyses-Leitlinien.

Evidenz

Es wurden zehn RCTs (n = 9702) identifiziert. Die NMA, die sich auf die Gesamtkohorte der mHSPC konzentrierte, zeigte, dass die Dreifachtherapien (Darolutamid, Docetaxel und ADT sowie Abirateron, Docetaxel und ADT) an erster und zweiter Stelle lagen (Hazard Ratio [HR]: 0,54, 95% Konfidenzintervall [CI]: 0,44-0,66; HR: 0,60; 95% KI: 0,46-0,78), gefolgt von der Dublettentherapie (ARAT und ADT) und schliesslich Docetaxel und ADT. Aufgrund fehlender Daten in einer RCT konzentrierte sich die NMA für niedrig- und hochvolumiges mHSPC auf neun Studien. Bei hochvolumigen Erkrankungen lag die Dreifachtherapie (Abirateron, Docetaxel und ADT) an erster Stelle (HR: 0,52, 95% CI: 0,38-0,71).

Schlussfolgerungen

Die Triplett-Therapie, bestehend aus einem ARAT, Docetaxel und einer ADT, stand bei der systematischen Behandlung von mHSPC an erster Stelle. Darüber hinaus könnte die Triplett-Therapie bei hochvolumigen mHSPC zu einem ausgeprägteren Gesamtüberlebensvorteil führen als die ARAT- und ADT-Doppeltherapie.

Quelle: Mandel P et al. Triplet or Doublet Therapy in Metastatic Hormone-sensitive Prostate Cancer Patients: A Systematic Review and Network Meta-analysis. Eur Urol Focus 2023 Jan;9(1):96-105.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Mottet N et al. EAU prostate cancer guidelines . Presented at the EAU/Annual Congress Amsterdam 2022. EAU Guidelines Office . https://uroweb.org/guidelines /prostate cancer
2. Kinsey EN, Zhang T, Armatrong AJ. Metastatic hormone-sensitive prostate cancer : a review of the current treatment landscapes. Cancer J 020.20 :64-75
3. Pagliarulo V.et al.Contemporary role of androgen deprivation therapy for prostate cancer. Eur Urol. 2012; 61: 11-25

Krebsbedingte finanzielle Not

Studien zeigen, dass fast die Hälfte aller Cancer Survivors unter finanziellen Problemen leidet. Fehlendes Bewusstsein und Hemmschwellen hindern jedoch sowohl Betroffene als auch Fachpersonen daran, das Thema anzusprechen. Der vorliegende Artikel berichtet über einen forschungsbasiert entwickelten Betreuungsstandard für die onkologische Praxis und dessen Testung in zwei Spitälern.

Ausgangslage

Eine Krebserkrankung verursacht direkte und indirekte Kosten. Zu den direkten Kosten zählen medizinische (z. B. Medikamente) und nicht-medizinische Kosten (z. B. Kosten für eine Haushaltshilfe). Einen weitaus grösseren Einfluss auf die wirtschaftliche Gesamtsituation von Betroffenen und Angehörigen haben jedoch die indirekten Kosten. Diese entstehen beispielsweise, wenn Betroffene aufgrund der Krankheit das Arbeitspensum reduzieren müssen oder gar den Job verlieren (Fitch et al., 2021; Lueckmann et al., 2020).

Finanzielle Sorgen haben wiederum vielfältige Auswirkungen auf Krebserkrankte und Angehörige. Sie stehen in Zusammenhang mit emotionaler Belastung sowie mit einer geringeren Lebensqualität und können den Gesundheitszustand der Betroffenen langfristig massiv beeinträchtigen (Gordon et al., 2017; Smith et al., 2019).

Studien legen eindrücklich dar, dass es sich bei der Entstehung von krebsbedingten finanziellen Notlagen um einen zirkulären und komplexen Prozess handelt. (Fitch et al., 2021; Scheidegger et al., 2022). Problematisch ist insbesondere, dass diese von allen Beteiligten oft zu spät erkannt oder unterschätzt werden. In der Phase der Diagnostik und Therapie steht das Überleben im Vordergrund – für finanzielle Angelegenheiten bleibt kaum Kapazität (Kobleder et al., 2020). Die Thematik ist zudem meist nicht Bestandteil des routinemässigen Assessments und der Interaktion mit Fachpersonen. Es zeigt sich, dass das Ansprechen von finanziellen Angelegenheiten mit einer Hemmschwelle verbunden ist. Schamgefühle und der Druck, die bestmögliche Behandlung zu erhalten, können dazu führen, dass einige Patientinnen und Patienten das Thema Geld in der Interaktion mit Fachpersonen nicht ansprechen möchten (Thomas et al., 2019). Bei anderen Patientinnen bzw. Patienten kann es wiederum Frustration auslösen, wenn Fachpersonen nicht mit ihnen über finanzielle Angelegenheiten sprechen (Yeager, 2021). Wallace et al. (2015) zeigen, dass Gespräche über die Arbeitssituation sowie über finanzielle Angelegenheiten zu den Themen gehören, die Onkologiepflegefachpersonen am wenigsten mit Pa-tientinnen und Patienten diskutieren. Fast die Hälfte der befragten Pflegefachpersonen erachtete solche Gespräche nicht als Teil ihrer Rolle.

In der Schweiz fehlt es an konkreten, aktuellen Daten zu den finanziellen Auswirkungen einer Krebserkrankung. Zudem fehlen in der onkologischen Versorgung Richtlinien, klare Zuständigkeiten und Hilfsmittel, um finanzielle Probleme in der Interaktion mit Betroffenen und Angehörigen frühzeitig zu erkennen und anzusprechen. Ziel unseres Forschungsprojekts war es deshalb,

1. den komplexen Entstehungsprozess von krebsbedingten finanziellen Problemen erstmals in der Schweiz zu untersuchen und zu visualisieren.

2. einen Betreuungsstandard inkl. Screening Instrument zu entwickeln, der Pflegefachpersonen und Onkologinnen bzw. Onkologen über finanzielle und soziale Risiken einer Krebserkrankung informiert und sie dabei unterstützt, das Thema im Praxisalltag anzusprechen, entsprechende Risiken zu erkennen und frühzeitig entsprechende Massnahmen einzuleiten.

3. die Anwendung des Betreuungsstandards in der onkologischen Praxis zu testen.

Vorgehensweise im Projekt

Analog zu den Teilzielen beinhaltete die Projektdurchführung drei Teilschritte, die nachfolgend dargestellt werden. Ein wesentliches Merkmal des Projekts war der Austausch mit Expertinnen und Experten aus der Sozialen Arbeit. Dieser fand über alle Teilschritte hinweg statt.

Der Betreuungsstandard

Als Anwenderzielgruppe des entwickelten Betreuungsstandards gelten Pflegefachpersonen sowie Onkologinnen und Onkologen im stationären und ambulanten Setting. Der Betreuungsstandard unterstützt sie bei der Vorbereitung von Gesprächen über die sozioökonomischen Auswirkungen der Krebserkrankung gemeinsam mit Betroffenen. Neben Hintergrundinformationen zur Thematik bildet das Screening-Instrument den Hauptbestandteil des Standards. Dieses dient der Früherkennung von Risikopersonen sowie der frühzeitigen Involvierung der Sozialberatung. Das Screening kann zu verschiedenen Zeitpunkten zum Einsatz kommen: nach der Diagnosestellung, zu Beginn der Behandlung, als Follow-up während der laufenden Therapie und Betreuung sowie zum Abschluss der Behandlung. Der Zeitpunkt für das Follow-up liegt im Ermessen der Gesundheitsfachperson.

Das Screening Instrument besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil beinhaltet sechs Fragen aus dem Distress-Thermometer zu den praktischen Problemen (Wohnsituation, Kinderbetreuung usw.). Im zweiten Teil befinden sich gezielte Fragen zu den identifizierten Hauptrisikofaktoren für krebsbedingte finanzielle Probleme (z. B. ob Unterstützung des sozialen Umfeldes vorhanden ist oder ob berufliche bzw. private Verpflichtungen je nach Gesundheitszustand angepasst werden können). Aus der Beantwortung aller Fragen resultiert ein Punktetotal, welche die Zuteilung zu drei Handlungsempfehlungen (Sozialberatung indiziert/empfohlen/ derzeit nicht erforderlich) erlauben.

Erkenntnisse aus der Pilotierung

In den zwei teilnehmenden Spitälern führten sechs Pflegefachpersonen die Testung des Betreuungsstandards bei 64 Patientinnen bzw. Patienten durch. Häufigste Gründe für eine nicht-Teilnahme waren die Ablehnung der Patientin bzw. des Patienten, eine Sprachbarriere oder die Patientin bzw. der Patient wurde verpasst. Das Durchschnittsalter der Patientinnen bzw. der Patienten betrug 66 Jahre (Spannweite 30-86 Jahre), davon waren 67 % männlich und 33 % weiblich. Bei 53 % der Teilnehmenden war eine Sozialberatung indiziert bzw. empfohlen worden.

In den Fokusgruppen wurde berichtet, dass das Instrument beim 2. Chemotherapiezyklus zur Anwendung kam (ca. drei bis vier Wochen nach Diagnosestellung). Dies wurde damit begründet, dass der Fokus zu Beginn auf der Erkrankung und auf den Symptomen liege und keine Zeit bleibe, sich über die Kosten Gedanken zu machen. Oftmals erfolge der Start der Chemotherapie unmittelbar nach der Diagnose.

Der Betreuungsstandard wurde von den Pflegefachpersonen als sinnvolle Erweiterung des Distress-Thermometers wahrgenommen. «Ich finde, es ist auch ein wenig augenöffnend. Es macht einen auf Themen aufmerksam, die man vielleicht jetzt im ersten Moment gar nicht so vor sich hat. (Pflegefachperson FG1)» Die Pflegefachpersonen berichteten davon, dass das Dokument zur Senkung der Hemmschwelle beitrug, um das Thema Finanzen anzusprechen. Viele Patientinnen und Patienten hätten sich zuvor noch keine Gedanken dazu gemacht und das Screening war für sie ein Angebot (jedoch kein Muss), über das Thema zu sprechen. Die Pflegefachpersonen empfanden die Atmosphäre während des Gesprächs als offen und entspannt und sie erlebten kaum Ablehnung von Seiten der Patientinnen und Patienten. Das Screening Instrument vermittelte den Fachpersonen Sicherheit, da weitere Handlungsschritte klar aufgeführt waren. Wenn das Screening im Pflegealltag integriert werden konnte, verursachte es keinen nennenswerten Mehraufwand, lieferte aber einen deutlichen Mehrwert. Eine mehrmalige Anwendung des Screening-Instruments (z. B. auch nach Behandlungsabschluss) wurde als sinnvoll erachtet.

Insbesondere im Ambulatorium wurde es als herausfordernd beschrieben, die Patientinnen und Patienten zu «erwischen» bei den vielen anderen Terminen, die diese wahrnehmen mussten. Zudem wurde die mangelnde Privatsphäre als hinderlich empfunden, um dieses sensible Thema zu besprechen. Darüber hinaus erlebten die Pflegefachpersonen die Einstiegsfrage in den zweiten Teil des Screenings als zu konfrontierend («Ich weiss, dass im Zusammenhang mit meiner Krebserkrankung Kosten auf mich zukommen können, die nicht von einer Versicherung gedeckt werden.») Diese wurde deshalb nach der Testphase umformuliert. Abschliessend gilt es darauf hinzuweisen, dass individuelle Entscheidungen zur Notwendigkeit der Handlungsempfehlungen zulässig sind. Diese sollten jedoch auf dem Screening-Instrument schriftlich festgehalten werden.

Es wurden verschiedene Empfehlungen für die Weiterentwicklung des Betreuungsstandards genannt:

► Verfügbarkeit in anderen Sprachen
► elektronische Verknüpfung mit dem Distress-Thermometer
► Erarbeitung einer Version, die den Patientinnen und Patienten abgegeben wird: Screening Instrument und eine kurze Zusammenfassung von Hintergrundinformationen
► Schulung der Pflegefachpersonen zum Thema Finanzen/Versicherungen inklusive Abgrenzung des Zuständigkeitsbereichs

Fazit

Die folgenschweren Auswirkungen von krebsbedingten finanziellen Problemen wurden in zahlreichen Studien hinreichend dargelegt. Trotzdem werden finanzielle Angelegenheiten sowohl von Fachpersonen als auch von Patientinnen bzw. Patienten nach wie vor zu wenig bis gar nicht angesprochen. Der erläuterte Betreuungsstandard liefert eine niederschwellige und effiziente Möglichkeit, um die Thematik als festen Bestandteil in der onkologischen Pflegepraxis zu verankern.

Das Projekt «Gesundheitsrisiko Geld – Sozioökonomische Auswirkungen einer Krebserkrankung» wurde von der Krebsliga Schweiz finanziell unterstützt und befindet sich in der Abschlussphase. Derzeit arbeiten wir an einer Disseminationsstrategie, um den Betreuungsstandard inkl. Screening-Instrument interessierten Fachpersonen zugänglich zu machen und sie bei der Implementierung in ihren jeweiligen Settings zu unterstützen.

Daniela Bernhardsgrütter, MScN
Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Prof. Dr. Andrea Kobleder
Co-Leiterin Kompetenzzentrum OnkOs & Studienleiterin MAS Palliative C
Institut für Angewandte Pflegewissenschaft
OST – Ostschweizer Fachhochschule
St. Gallen

Fitch, M. I., Sharp, L., Hanly, P. & Longo, C. J. (2021). Experiencing financial toxicity associated with cancer in publicly funded healthcare systems: a systematic review of qualitative studies. J Cancer Surviv. doi:10.1007/s11764-021-01025-7
Kobleder, A., Richle, E. & Müller, M. (2020). Gesundheitsrisiko Geld – Sozioökonomische Auswirkungen einer Krebserkrankung. Pflegerecht, (3), 138-143.
Lueckmann, S. L., Schumann, N., Hoffmann, L., Roick, J., Kowalski, C., Dragano, N. & Richter, M. (2020). ‘It was a big monetary cut’ – A qualitative study on financial toxicity analysing patients’ experiences with cancer costs in Germany. Health & social care in the community, 28(3), 771-780. doi:10.1111/hsc.12907
Scheidegger, A., Bernhardsgrütter, D., Kobleder, A., Müller, M., Nestor, K., Richle, E. & Baum, E. (2022). Financial Toxicity among Cancer-Survivors: A Conceptual Model Based on a Feedback Perspective. Research Square; 2022. doi:10.21203/rs.3.rs-2377201/v1
Thomas, T., Hughes, T., Mady, L. & Belcher, S. M. (2019). Financial Toxicity: A Review of the Literature and Nursing Opportunities. Clinical Journal of Oncology Nursing, 23(5), 5-13. doi:10.1188/19.CJON.S2.5-13.

EDITORIAL – Therapeutische Umschau

Eine verlässliche Quelle für medizinisches Wissen

Sehr geehrte Leserinnen und Leser der «Therapeutischen Umschau»

Ich bin froh und dankbar, dass die «Therapeutische Umschau» im gewohnten und bewährten Rahmen weiter erscheinen kann. Wir Ärztinnen und Ärzte erwarten evidenz-basierte Informationen. Dank einem peer-review Prozess kann die «Therapeutische Umschau» garantieren. Allfällige Interessenkonflikte sind deklariert.

Während meiner fast zehnjährigen Herausgeberschaft konnte das Themenspektrum der «Therapeutische Umschau» stetig erweitert werden, um den vielfältigen und sich ständig weiterentwickelnden medizinischen Herausforderungen gerecht zu werden.
Wir sind durch Verlage nie in der Themenauswahl eingeschränkt oder beeinflusst worden. Es freut mich daher besonders, dass dies, nach dem Hans Huber und dem Hogrefe Verlag, kontinuierlich gewährleistet bleibt und der Schweizerische Aerzteverlag medinfo AG, von Verlegerin Eleonore E. Droux die Medline-gelistete Zeitschrift mit neuem Elan, Ideen und Mut aufrecht erhält. Diese Veränderung ist ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der «Therapeutischen Umschau».

Die «Therapeutische Umschau» ist in Pubmed gelistet und leistet damit einen Beitrag über unsere Landesgrenzen hinaus!

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Prof. Dr. med. Jörg Leuppi

Prof. Dr. med.Jörg D. Leuppi

Facharzt Allgemeine Innere Medizin und Pneumologie
Klinischer Professor für Innere Medizin Universität Basel
Chief Medial Officer und Leiter Universitäres Instiut Innere Medizin
Kantonsspital Baselland

joerg.leuppi@ksbl.ch