Adipositas bei Kindern und Jugendlichen

Häufigkeit und Ausmass von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen hat auch in der Schweiz über die letzten Jahrzehnte hinweg stark zugenommen. Der Haus- oder Kinderarzt ist in der Regel die erste Anlaufstelle für Familien. Er kann das Übergewicht rechtzeitig erkennen und frühzeitig eine geeignete Therapie einleiten. Die Ursachen des Übergewichts sind äusserst komplex und individuell unterschiedlich. Neben einer gestörten Energiebalance spielen genetische und soziale Faktoren eine wichtige Rolle. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass sowohl das Übergewicht, als auch die Begleiterkrankungen bis ins Erwachsenenalter fortbestehen. Das Ziel der Behandlung von Kindern und Jugendlichen besteht darin, das Gewicht zu kontrollieren und die Fettmasse langfristig zu verringern und dabei sicherzustellen, dass Wachstum und Entwicklung normal ablaufen.

The frequency and extent of overweight and obesity in children and adolescents have also increased significantly in Switzerland over the last few decades. The family doctor or pediatrician is usually the first point of contact for families who can identify obesity in good time and initiate appropriate treatment at an early stage. The causes of obesity are extremely complex and vary from person to person. In addition to a disturbed energy balance, genetic and social factors play an important role. There is a high probability that both the obesity and the accompanying illnesses will persist into adulthood. The aim of treating children and adolescents is to control weight and reduce fat mass in the long term, while ensuring that growth and development proceed normally.
Key words: Childhood obesity, obesity in adolescents, adiposity comorbidities, weight management, childhood obesity treatment, bariatric.

Hintergrund

In der Schweiz ist rund jedes sechste Schulkind übergewichtig oder adipös. Seit dem Jahr 2005/06 wertet Gesundheitsförderung Schweiz die Angaben der schulärztlichen Dienste zum Body-Mass-Index (BMI) von Schülerinnen und Schülern aus den Städten Basel, Bern und Zürich für das jährliche BMI-Monitoring aus. Die Auswertung der neuesten Daten zeigt, dass im Schuljahr 2020/21 über alle Schulstufen betrachtet 17.4 % der Schülerinnen und Schüler übergewichtig, davon 4.8 % adipös gemessen am BMI waren. Der Vergleich mit früheren Jahren zeigt allerdings, dass der Anteil übergewichtiger Schulkinder in den letzten Jahren stabil bleibt.

Die Häufigkeit von Übergewicht nimmt laut der Daten von Gesundheitsförderung Schweiz bei Kindern und Jugendlichen mit dem Alter zu: so waren im Schuljahr 2020/21 ein Viertel der Jugendlichen in der Oberstufe übergewichtig oder adipös, während im Kindergarten nur jedes 8. Kind von Übergewicht betroffen war (1).

Bis vor einigen Jahren wurde Adipositas lediglich als Risikofaktor für Folgeerkrankungen verstanden, mittlerweile ist sie als chronische Krankheit anerkannt (Abb. 1).

Wer ist zu dick?

Eine Adipositas liegt vor, wenn der Körperfettanteil an der Gesamtkörpermasse pathologisch erhöht ist. Der BMI, definiert als Quotient aus dem gemessenen Körpergewicht in kg und dem Quadrat der in m gemessenen Körpergrösse, stellt ein akzeptables indirektes Mass für die Gesamt-Körper-Fett-Masse dar und wird auch bei Kindern zur Definition von Übergewicht und Adipositas empfohlen. Anders als bei Erwachsenen, bei denen die epidemiologische Definition von Übergewicht und Adipositas durch feste Grenzwerte bestimmt ist, die jeweils auf ein erhöhtes Gesundheitsrisiko hinweisen (Adipositas: BMI > 30 kg/m2, Übergewicht: BMI > 25 kg/m2), sind die Grenzwerte bei Kindern und Jugendlichen aufgrund ihrer körperlichen Entwicklung altersabhängig. Übergewicht besteht bei einem BMI oberhalb der 90. alters- und geschlechtsspezifischen Perzentile; die Adipositas im Kindes- und Jugendalter ist durch einen BMI oberhalb der 97. Perzentile definiert. In der Schweiz werden für die Definition der Adipositas im Kindes- und Jugendalter die deutschen Referenzkurven Kromeyer-Hauschild (2) verwendet. (Tab. 1) (Abb. 2)

Da der BMI nicht nur die Fettmasse sondern die gesamte Körpermasse bestimmt, ist er v. a. im Kindes- und Jugendalter in bestimmten Situationen (puberale Mädchen, Sportler mit viel Muskelmasse, bei Klein- oder Grosswuchs und endokrinen Erkrankungen) nur wenig aussagekräftig. In diesen Fällen ist es angebracht, die Erhöhung der Fettmasse mit alternativen Methoden nachzuweisen, wie z. B. mittels DEXA oder Bioimpedanzanalyse (BIA) (4). Auch die Messung von Taillen- und Hüftumfang sowie die Messung der Hautfaltendicken (5) können zur Beurteilung des individuellen Gesundheitsrisikos verwendet werden (6) (Abb. 3).

Gewichtsassoziierte Komorbiditäten

Ein erhöhter Body-Mass-Index ist ein wichtiger Risikofaktor für nicht übertragbare Krankheiten wie Krebs, Typ-2-Diabetes mellitus, Schlafapnoe sowie Leber- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und geht auch im Kindes- und Jugendalter mit einem erhöhten Morbiditätsrisiko einher (5).

Viele Kinder und Jugendliche mit Adipositas weisen bereits ein oder mehrere kardio-metabolische Risikofaktoren auf, zum Beispiel eine Dyslipidämie, gestörte Glukosetoleranz beziehungsweise Typ-2-Diabetes oder eine Hyperurikämie. Die Anzahl der gewichtsassoziierten Komorbiditäten steigt mit dem Ausmass der Adipositas. Studien haben gezeigt, dass Blutdruck und Ruhepuls mit zunehmendem BMI signifikant ansteigen. Es kann zu einer Beschleunigung von Längenwachstum und Skelettreife kommen, die Pubertät kann vorzeitig einsetzen. Ein nicht unwesentlicher Teil der Betroffenen zeigt bereits deutliche Transaminasenerhöhungen sowie sonografisch eine Steatosis hepatis im Rahmen einer metabolisch-dysfunktionellen steatotischen Lebererkrankung (MASLD; früher nicht-alkoholische Fettlebererkrankung = NAFLD). Ein Genu valgum zeigt sich bei ungefähr 55 % der Kinder mit Adipositas und führt zu Knieschmerzen und begünstigt Arthrosebeschwerden (7).

Besonders schlimm aber ist für die betroffenen Kinder die Stigmatisierung. Sie werden oft gemobbt, haben wenig Selbstvertrauen, sind sozial schlechter integriert. Dies ist häufig mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angstzuständen, Schlafstörungen und Essstörungen verbunden (8).

Pathogenese der Adipositas

Die Ursache der Adipositas ist multifaktoriell. Neben der gestörten Balance zwischen Energieverbrauch und Energieaufnahme spielen genetische und soziale Faktoren eine wichtige Rolle. Es wird geschätzt, dass der Einfluss der genetischen Veranlagung auf das Körpergewicht ca. 40 %–70 % beträgt (9–11).

Ungünstiges Essverhalten mit ständiger Verfügbarkeit von Süßigkeiten, Fast Food und Softdrinks, mangelnde Bewegung und erhöhter Medienkonsum sind weitere Faktoren, die für den Energiestoffwechsel eine erhebliche Rolle spielen. Aber auch sozioökonomische und soziokulturelle Faktoren wie Migrationshintergrund, Sozialstatus sowie die Prägung durch das soziale und kulturelle Umfeld beeinflussen die Entstehung von Übergewicht und Adipositas. So haben z. B. Kinder, deren Eltern rauchen, ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko übergewichtig zu werden (11, 12).

Manche Medikamente wie Glucocorticosteroide («Kortison») und bestimmte Antidepressiva können die Gewichtszunahme beeinflussen und zu Übergewicht führen. ­Endokrinologische Grunderkrankungen der hormonproduzierenden Drüsen, wie beispielsweise eine Schilddrüsenunterfunktion, Cushing Syndrom oder auch Erkrankungen der Hirnanhangdrüse sind bei circa einem Prozent der adipösen Kinder als Ursache zu nennen. An dieser Stelle sei auch auf einige seltene monogenetische Formen der Adipositas hingewiesen, wie z. B. Leptin-Defizienz, Leptin-Rezeptor Defekte oder Mutationen/Polymorphismen des Melanocorticoidsystems, welche durch eine rapide postpartale Gewichtszunahme mit ausgeprägter Hyperphagie charakterisiert sind und sich zum Teil bereits heute gezielt behandeln lassen. Ebenso wichtig ist das Erkennen einer Adipositas im Rahmen von syndromalen Erkrankungen, wie beispielweise das Prader-Willi oder Bardet-Biedl-Syndrom.

Verlauf

Übergewicht wächst sich leider nicht aus. Pädiatrische Adipositas- und populationsbasierte Studien zeigen, dass das Übergewicht sich in den seltensten Fällen spontan «auswächst» und die erfolgte Gewichtszunahme vom 7. Lebensjahr an bis ins Erwachsenenalter meist beibehalten wird. Je älter (> 11–12 J.) und je adipöser die Kinder sind, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, als Erwachsene unter einer Adipositas zu leiden (66 bzw. 77 %). Epidemiologische Daten zeigen zudem, dass Kinder, welche zwischen dem 2. und dem 6. Lebensjahr schnell an Gewicht zunehmen, meist eine persistierende Adipositas entwickeln, so dass diese Alterspanne offensichtlich eine besonders vulnerable Lebensphase darstellt (13). Wenn mindestens ein Elternteil adipös ist, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines übergewichtigen Kindes um ca. 30 % gegenüber einem Kind normalgewichtiger Eltern, bis ins Erwachsenenalter adipös zu bleiben (14).

Diagnostik von Grund- und Folgeerkrankungen der Adipositas

Um wirksame Massnahmen rechtzeitig einleiten zu können, ist es wichtig, das Übergewicht rechtzeitig zu erkennen und als gesundheitliches Problem ernst zu nehmen. Bei wertschätzender Grundhaltung sollte das Übergewicht im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen von Haus- oder Kinderärzten immer angesprochen werden. Oft erkennen die Eltern weder das eigene Übergewicht noch das des Kindes.

Die Indikationen für Diagnostik und Therapie sind dem Ausmass und Verlauf des Übergewichtes und den anamnestischen Risiken entsprechend gestaffelt. Eine gründliche medizinische Untersuchung und Blutentnahme zur Labordiagnostik ist bei allen Kindern mit einem BMI über P. 97 indiziert. Bei Übergewicht (BMI > P. 90 < P. 97) ist eine medizinische Diagnostik angeraten, wenn die Familienanamnese bei Verwandten 1. oder 2. Grades positiv für Adipositas oder Begleiterkrankungen (Typ-2-Diabetes, frühe atherosklerotische Erkrankungen, arterieller Hypertonus, Hypercholesterinämie) ist, eine gewichtsassoziierte Komorbidität vorliegt und/oder Risikofaktoren, wie Erhöhung von Gesamtcholesterin, Glucose oder Blutdruck u. a. beim Kind bekannt sind. Aber auch bei auffallend starkem BMI-Anstieg (z. B. > 3 kg/m2 pro Jahr) sollte eine umfassende Abklärung von kardiometabolischen Risikofaktoren oder gewichtsassoziierten Komorbiditäten erfolgen (Tab. 2) (15).

Therapie von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen

Das primäre Anliegen einer pädiatrischen Adipositastherapie ist nicht, das Körpergewicht zu senken, sondern eine langfristige Verbesserung des Gesundheitszustandes zu erreichen. Kinder im Wachstum weisen eine normale Gewichtszunahme von 3–4 kg pro Jahr auf. Ziel sollte sein, die Gewichtszunahme zu verlangsamen und unterhalb dieser Spanne zu halten, jedoch nicht das Gewicht zu reduzieren.
Eine Therapie ist immer indiziert bei Adipositas (BMI > 97. Perzentile, Taillenumfang oder Fettmasse über P. 97 respektive +2 SD) oder bei Übergewicht (BMI zwischen 90. und 97. Perzentile) und dem Vorliegen mindestens einer der folgenden Krankheiten, deren Prognose sich durch das Übergewicht verschlechtert oder die eine Folge des Übergewichts ist: Arterielle Hypertonie, Typ-2-Diabetes mellitus, gestörte Glukosetoleranz, endokrine Störungen, Syndrom der polyzystischen Ovarien, orthopädische Erkrankungen, metabolisch-dysfunktionelle steatotische Lebererkrankung, respiratorische Erkrankungen, Glomerulopathie oder Essstörungen in psychiatrischer Behandlung.

Strukturierte pädiatrischen Adipositastherapie

Seit Anfang 2014 können Kinder und Jugendliche gemäss der strukturierten pädiatrischen Adipositastherapie in der Schweiz umfassend behandelt werden (16). Wenn die Indikation für eine Therapie gegeben ist, können die behandelnden Ärztinnen und Ärzte aus der Pädiatrie oder der Hausarztmedizin 6 Monate lang neben den eigenen Konsultationen die multiprofessionelle strukturierte ­Individualtherapie (MSIT) verordnen (max. 6 mal Er­nährungsberatung, 2 mal Physiotherapie). Wenn nach 6 Monaten der BMI o. a. Parameter oder die psychische/somatische Komorbidität zugenommen haben, soll der Patient an ein multiprofessionelles Gruppenprogramm (MGP) oder eine/n Adipositasspezialist/in für Kinder und Jugendliche überwiesen werden. Die Interventionen umfassen Massnahmen zur Verhaltensänderung in Bezug auf gesunde Ernährung, körperliche Bewegung, seelisches Wohlbefinden und Bildschirmarbeit. Die Programme beziehen Eltern und Kinder (getrennt und/oder gemeinsam) ein und können in Gruppen-, Einzel- oder Familiensitzungen durchgeführt werden.

Bariatrische Chirurgie

Als Therapie der ersten Wahl gelten konservative Behandlungen (Lebensstil-Interventionen), die multimodal und strukturiert durchgeführt werden müssen. Wenn jedoch die konservativen Therapiemöglichkeiten über 2 Jahre erfolglos ausgeschöpft sind, stellen operative Verfahren in zunehmendem Maße eine effektive Therapieoption auch für Jugendliche mit morbider Adipositas dar. Zu betonen ist, dass die bariatrischen Operationsverfahren nicht über eine mechanische Einschränkung der Nahrungszufuhr und Verminderung der Makronährstoffresorption wirken, sondern über komplexe neuroendokrine Wirkmechanismen, die Hunger- und Appetitregulation beeinflussen. Die Indikationsprüfung für eine bariatrische Operation muss nach den Richtlinien zur operativen Behandlung von Übergewicht der SMOB an einem SMOB anerkannten bariatrischen Referenzzentrum (www.smob.ch) in Zusammenarbeit mit einem zertifizierten pädiatrischen Adipositas-Referenzzentrum vorgenommen werden (Tab. 3).

Prospektive Studien haben bislang mittel- bis langfristige Ergebnisse nach bariatrischen Operationen untersucht. Eine Metaanalyse, die 29 Kohortenstudien mit kumulativ 4970 Patienten einschloss, zeigte eine durchschnittliche Reduktion des BMI um 13.1 kg/m2 sowie hohe Remissionsraten von vorbestehenden Komorbiditäten wie Typ-2-Diabetes mellitus (90 %), Dyslipidämie (77 %), arterielle Hypertension (81 %), Schlafapnoe (81 %), und Asthma (92.5 %) (18). Weitere Daten zeigen 8 Jahre nach Roux-en-Y Magenbypass Operation einen Gewichtsverlust von 29 %, entsprechend einer BMI-Reduktion von 16.9 kg/m2 (19). Nach einer Sleeve-Gastrektomie betrug die mittlere BMI-Reduktion nach 7 Jahren rund 16.3 kg/m2.

Neben den operationsassoziierten Risiken wie kardiorespiratorische Probleme, tiefe Beinvenenthrombose mit ggf. nachfolgender Lungenembolie, Anastomoseninsuffizienzen und Wundheilungsstörungen sind v. a. die längerfristigen Komplikationen wie gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, GERD), Mikronährstoffmängel (Eisen, Vitamin B1, Vitamin B12, Vitamin D, Folsäure, Zink), Elektrolytverschiebungen mit Dehydratation bis hin zur Reduktion der Knochendichte zu beachten (20–22). Eine systematische Nachsorge ist daher obligat.

Medikamentöse Therapie

Wenn eine multiprofessionelle Therapie nicht ausreichend wirksam ist, steht für Kinder und Jugendliche mit Adipositas ab 12 Jahren eine medikamentöse Therapie mit den Glucagon-like Peptid-1 (GLP-1) Rezeptorantagonisten Liraglutid (Saxenda®) und Semaglutid (Wegovy®) zur Gewichtsreduktion zur Verfügung. Das Medikament kann bei einem Körpergewicht ≥ 60 kg und einer Adipositas gemäss den dafür international akzeptierten Grenzwerten (entspricht einem BMI ≥ 30 kg/m2 bei Erwachsenen) in Ergänzung zu gesunder Ernährung und verstärkter körperlicher Aktivität eingesetzt werden.

GLP-1-Rezeptoragonisten wirken auf verschiedenen Wegen in den zentralnervösen Zentren der Hunger- und Appetitregulation. Das Hungergefühl wird reduziert, das Sättigungsempfinden erhöht sowie das Verlangen nach Nahrung reduziert. Wie die Zulassungsstudien zeigten, reduziert eine Behandlung mit Liraglutid nach 56 Wochen das Körpergewicht um durchschnittlich 5 % (23), während Semaglutid das Körpergewicht um durchschnittlich rund 16 % nach 68 Behandlungswochen reduziert (24). Die häufigsten Nebenwirkungen von Liraglutid sind gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen und Obstipation, weshalb etwa 10 % der behandelten Jugendlichen die Therapie nicht tolerieren und daher beenden müssen.

Prävention von Übergewicht und Adipositas durch den Hausarzt

Aktuelle Studien fokussieren zunehmend auf die Wichtigkeit und Effektivität der früh einsetzenden Förderung eines gesunden Körpergewichts im Kindes- und Jugendalter. Die Vermittlung einer gesundheitsförderlichen Lebensweise sollte so früh wie möglich im Leben ansetzen und die Familien, Kinder und Jugendlichen in ihren Lebenswelten erreichen. Hausärztliche sowie pädiatrische Praxen sind in der Regel erste Ansprechpartner der Familien im Hinblick auf die Betreuung von gesundheitlichen Problemen und spielen daher im Kontext von Übergewichts- und Adipositas-Prävention eine entscheidende Rolle. Im engen und wiederkehrenden Kontakt mit Kindern und Familie sollte die Förderung eines körperlich aktiven Lebensstils sowie die Verbesserung der Auswahl an energiearmen und gleichzeitig nährstoffdichten Nahrungsmitteln (zum Beispiel Obst, Gemüse und Salat) und die Anpassung der Portionsgrössen immer thematisiert werden.

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Dr. med. Katrin Heldt

Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin
Päd. Endokrinologie und Diabetologie
Interdisziplinärer Schwerpunkt Psychosomatische und
Psychosoziale Medizin (SAPPM)
Stoffwechselzentrum St. Gallen
friendlyDocs AG
Lerchentalstrasse 21
9016 St. Gallen

Prof. Dr. med. Bernd Schultes

Stoffwechselzentrum St. Gallen, friendlyDocs AG
Lerchentalstrasse 21
9016 St. Gallen

stoffwechselzentrum@friendlydocs.ch

Bernd Schultes ist Vize-Präsident der SMOB. Er erhält Vortrags­honorare und Beratungshonorare von Novo Nordisk und Eli Lilly, sowie finanzielle Forschungsunterstützung durch Novo Nordisk.

  • Bei Kindern und Jugendlichen wird Übergewicht und Adipositas altersabhängig anhand von BMI-Perzentilen definiert.
  • Im Rahmen der Primärversorgung sollte immer gezielt auf das Vorliegen von Übergewicht untersucht und bei Vorliegen das Thema in einer respektvollen Weise angesprochen
    werden.
  • Bei Vorliegen von Übergewicht sollte eine Basisdiagnostik erfolgen und eine strukturierte Therapie angeboten werden.
  • Multiprofessionelle strukturierte Therapieprogramme werden in der Schweiz bei gegebener Indikation seitens der Krankenkasse finanziert und sollten betroffenen Kindern und Jugendlichen angeboten werden.
  • Die bariatrische Chirurgie kann bei Jugendlichen mit extremer Adipositas hilfreich sein, wobei die Indikation differenziert und interdisziplinär gemäss den SMOB-Richtlinien gestellt und eine strukturierte Nachsorge sichergestellt werden muss.
  • Mit Liraglutid und Semaglutid stehen zwei GLP-1 Rezeptoragonisten zu Verfügung, welche zur Gewichtsregulation ab einem Alter von 12 Jahren eingesetzt werden können.

1. Gesundheit fördern und Krankheiten vorbeugen | Gesundheitsförderung Schweiz [Internet]. [cited 2024 Sep 19]. Available from: https://gesundheitsfoerderung.ch/
2. AGA – Adipositas Gesellschaft [Internet]. [cited 2024 Sep 19]. Available from: https://adipositas-gesellschaft.de/aga/
3. Cole TJ, Bellizzi MC, Flegal KM, Dietz WH. Establishing a standard definition for child overweight and obesity worldwide: international survey. BMJ. 2000 May 6;320(7244):1240–3.
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17. Richtlinien zur operativen Behandlung von Übergewicht – SMOB : Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders [Internet]. [cited 2024 Sep 19]. Available from: https://www.smob.ch/richtlinien-zur-operativen-behandlung-von-uebergewicht/
18. Wu Z, Gao Z, Qiao Y, Chen F, Guan B, Wu L, et al. Long-Term Results of Bariatric Surgery in Adolescents with at Least 5 Years of Follow-up: a Systematic Review and Meta-Analysis. Obes Surg. 2023 Jun;33(6):1730–45.
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ESMO 2024: Neue Daten zum Melanom

Prof. Roger von Moos, Direktor Tumor- und Forschungszentrum, Kantonsspital Graubünden, Chur und Chefredaktor bei info@ONCO-SUISSE kommentiert neue Daten zum Melanom.

Eleonore E. Droux, Verlegerin des Aerzteverlag medinfo AG, und Prof. Dr. med. Roger von Moos, Chefredaktor der info@onco-suisse, waren live am ESMO in Barcelona, um für unsere Kongress-Zeitung über die aktuellen Ergebnisse zu berichten.

Daten zum neoadjuvanten Setting

 

Daten zum metastasierten Melanom

 

Non-CF-Bronchiektasen – Ursachen, Abklärung, Therapie

Eine Bronchiektasen-Erkrankung liegt vor bei chronisch produktivem Husten, Atemnot oder einer Vorgeschichte mit Exacerbationen im Zusammenhang mit dem Nachweis von Bronchiektasen im CT-Thorax. Die Prävalenz von Bronchiektasen nimmt seit einigen Jahren zu, so dass diese Patienten nicht mehr nur von Pneumologen betreut werden. Kenntnisse über zugrundeliegende Erkrankungen, die therapeutischen Möglichkeiten und potentielle Komplikationen gehören unterdessen in das Repertoire von Grundversorger/-innen. Es werden CF-Bronchiektasen (Bronchiektasen bei Patienten mit zystischer Fibrose) und Non-CF-Bronchiektasen unterschieden. Weiter gibt es Traktionsbronchiektasen, welche im Zusammenhang mit fibrotischen Lungenparenchym­veränderungen auftreten, klinisch aber ohne Relevanz sind. In diesem Artikel wird nur auf die Non-CF-Bronchiektasen eingegangen.

A diagnosis of bronchiectasis is considered in patients with chronic productive cough, shortness of breath, and a history of exacerbations along with the detection of bronchiectasis on a chest CT scan. The prevalence of bronchiectasis has been increasing, meaning that these patients are no longer only treated by pulmonologists. Knowledge about the underlying conditions, therapeutic options, and potential complications has become essential for general practitioners too. There are CF (cystic fibrosis) bronchiectasis and non-CF bronchiectasis. Additionally, there are traction bronchiectasis, which occur in the context of fibrotic changes in the lung parenchyma but are clinically irrelevant. This article focuses only on non-CF bronchiectasis.
Key words: Non-CF Bronchiectasis, Etiology, Mucociliary Clearance, Exacerbations, Secretion Management, Therapeutic Approaches

Einleitung

Non-CF-Bronchiektasen können als alleinstehendes Krankheitsbild oder im Rahmen einer Grunderkrankung auftreten. Die Entstehung wird als Folge einer Wechselwirkung zwischen gestörter mukoziliärer Clearance, Infekt, Entzündung und destruierter Bronchialwand gesehen. Es entsteht ein Teufelskreis, welcher zur Erkrankung führt (1). Die Prävalenz in Europa liegt je nach untersuchter Population zwischen 67 und 500 Patienten pro 100 000 Einwohner.

Ursachen der Bronchiektasen

Am häufigsten sind postinfektiöse Bronchiektasen. Bronchiektasen können auch im Zusammenhang mit COPD oder Asthma auftreten und den Krankheitsverlauf komplizieren. COPD-Patienten mit Bronchiektasen haben beispielsweise häufiger Exacerbationen. Eine Immunsuppression oder aber eine überschiessende Immunreaktion (z. B. Autoimmunerkrankungen oder allergische bronchopulmonale Aspergillose (ABPA)) können ebenfalls zu Bronchiektasen führen. Bei rund einem Drittel der Bronchiektasien bleibt die Ursache auch nach einer systematischen Abklärung offen. Sie fallen in die Gruppe der idiopathischen (oder kryptogenen) Bronchiektasen. Eine umfassende Zusammenstellung der Ursachen entnehmen Sie der Tab. 1.

Bronchiektasen-Erkrankung

Die typischen Symptome von Bronchiektasen sind ein produktiver Husten (chronisch oder nur intermittierend) und Dyspnoe. Oft haben Patienten eine Vorgeschichte mit Exacerbationen oder Haemoptoe. Vor allem im Zusammenhang mit Exacerbationen bestehen eine Malaise und ein Gewichtsverlust, selten Thoraxschmerzen. Das Ausmass der Beschwerden variiert stark, oft ist die Lebensqualität aber in relevantem Masse eingeschränkt.

Die radiologische Definition von Bronchiektasen im CT-Thorax ist in der Tab. 2 aufgeführt. Nur wenn Bronchiektasen von typischen Symptomen begleitet werden, liegt eine Bronchiektasen-Erkrankung vor. Ein Zufallsbefund im CT-Thorax ohne Beschwerden und ohne Vorgeschichte mit Exacerbationen hat klinisch keine Relevanz und muss in der Regel nicht abgeklärt werden.

Abklärungen

Die Abklärung von Bronchiektasien hat zum Ziel, eine behandelbare Ursache («treatable traits») zu finden und /oder häufige Komorbiditäten zu identifizieren. Siehe dazu Tab. 3. Die Komorbiditäten müssen nicht zwingend die Ursache der Bronchiektasen darstellen, sie verstärken aber die Symptome und komplizieren den Verlauf.

Die Basisdiagnostik besteht aus Laboruntersuchungen, Sputumanalyse und einer Lungenfunktion. Je nach der klinischen Einschätzung folgen weitere Spezialuntersuchungen. Vergleiche hierzu Abb. 1. Es sei auch auf ausführliche Guidelines hingewiesen, z. B. die soeben aktualisierte Leitlinie der DGP (2).

Therapie

Die Ziele der Therapie sind die Symptomkontrolle, der Erhalt der Lungenfunktion und das Verhindern von Komplikationen. Bisher gibt es keine zugelassene spezifische Therapie für Non-CF-Bronchiektasen. Alle hier angegebenen Therapien entsprechen einem Off-Label-Use.
Am Anfang steht die Behandlung der Grunderkrankung, falls eine solche gefunden werden konnte. Die Eckpfeiler der Behandlung der Bronchiektasen bestehen aus:
1. Allgemeinmassnahmen wie Impfungen, Rauchstopp, körperliche Aktivität und pulmonale Rehabilitation,
2. dem Sekretmanagement und
3. der Kontrolle der Entzündung und Infektion. Siehe auch die Abb 1.

Das Sekretmanagement hat zum Ziel, die mukoziliäre Clearance zu verbessern. Dies geschiet mit regelmässiger Inhalation von hochprozentiger NaCl-Lösung und anschliessendem Abhusten des gelösten Sekretes (Autodrainage). Eine effiziente Autodrainage kann bei einer spezialisierten Physiotherapie erlernt werden. Der zeitliche Aufwand für das Sekretmanagement ist beträchtlich.

Exacerbation

Eine Exacerbation liegt vor, wenn der Husten und die Dyspnoe zunehmen, das Sputum putrider wird oder zusätzlich eine Haemoptoe vorliegt. Die Präsentation kann sehr unterschiedlich sein, oft sind Malaise und Gewichtsverlust assoziiert.

Exacerbationen nehmen eine besondere Stellung ein und sind charakteristisch für die Bronchiektasen-Erkrankung. Sie beeinflussen die Lebensqualität, den Verlauf der Lungenfunktion, den Bedarf an medizinischen Ressourcen und die Prognose. Eine Exacerbation wird mit Antibiotika während 10–14 Tagen behandelt. Die Antibiotikawahl stützt sich auf die letzte verfügbare Sputummikrobiologie. Falls keine vorliegt, erfolgt die Therapie empirisch. Die häufigsten Keime sind Haemophilus influenzae, Enterobacterioceae, Staphylococcus aureus, Pneumokokken oder aber Pseudomonas aeruginosa und auch Viren. Mit zunehmendem Antibiotikabedarf steigen die Resistenzen, eine orale Antibiotikatherapie ist dann nicht mehr möglich.

Ein Phänotyp ist der «frequent exacerbator». Diese Patienten haben pro Jahr mindestens zwei behandlungsbedürftige Exacerbationen oder eine Exacerbation mit Hospitalisationspflicht. Es sind die Patienten mit dem schwersten Krankheitsverlauf. Sie qualifizieren für eine langdauernde Immunmodulation mit Azithromycin oder aber eine inhalative Antibiotikatherapie über mehrere Monate, gelegentlich gar unbefristet. Die Reduktion der Exacerbationen durch diese zwei Massnahmen ist signifikanter bei chronischer Infektion mit Pseudomonas aeruginosa.

Beim Erstnachweis von Pseudomonas aeruginosa ist eine Eradikationstherapie empfohlen. Es gibt verschiedene Kombinationsmöglichkeiten aus oralen, intravenösen und inhalativen Antibiotika, siehe hierzu die Empfehlungen der European Respiratory Society (ERS) (3). Die Erfolgschance einer anhaltenden Eradikation nach 12 Monaten liegen um 50 %.

Etwas komplexer wird die Behandlung bei multiresistenten Keimen oder Keimen mit einem anspruchsvollen Therapieschema, wie es bei nichttuberkulösen Mykobakterien der Fall ist. Diese Patienten gehören in eine spezialisierte Sprechstunde.

Bei fehlendem Ansprechen auf die Antibiotikatherapie muss differentialdiagnostisch an neue Resistenzen, neue Keime wie NTM, eine fehlende Therapieadhärenz, an Komplikationen wie ein Empyem oder an eine alternative Diagnose wie z. B. an eine ABPA gedacht werden.
Es ist wichtig, die Patienten über das Krankheitsbild mit chronischem Verlauf aufzuklären und die Therapieansätze zu erläutern. Ein Krankheitsverständnis verbessert die Therapieadhärenz auch langfristig. Es ist zudem wichtig, dass Patienten eine Exacerbation erkennen und sich rechtzeitig ärztlich vorstellen.

Komplikationen

Die häufigsten Komplikationen sind Haemoptoe, Lungenabszess, Pleuraempyem, Pneumothorax, eine ventilatorische Insuffizienz oder ein Cor pulmonale. Nur in ausgewählten Situationen hat ein operatives Vorgehen oder eine Lungentransplantation einen Stellenwert.

Ausblick

Die Prävalenz wird weiter steigen. Umso wichtiger ist es, dass die Patienten früh erkannt werden und eine Basistherapie erhalten. Es gibt mehrere europäische Kohorten mit Non-CF-Bronchiektasen, welche neue Erkenntnisse und Therapieansätze liefern werden. Es zeichnet sich ab, dass der eosinophile Endotyp auch bei Non-CF-Patienten eine gewisse Relevanz hat; Studien mit spezifischen Antikörpertherapien wie Mepolizumab und Benralizumab sind unterwegs. Aber auch die neutrophile Entzündungskaskade ist ein neuer Angriffspunkt: Brensocatib, ein oraler Antikörper gegen die neutrophile Elastase, dürfte bald die Zulassung erhalten bei Non-CF-Bronchiektasen. Studien zeigten eine signifikante Reduktion von Exacerbationen (4). Es wäre das erste zugelassene spezifische Medikament für Non-CF-Bronchiektasen.

Abkürzungen
ABPA: allergische bronchopulmonale Aspergillose (endobronchiale Hypersensibilisierung auf Aspergillen)
CF: Cystische Fibrose
NTM: nichttuberkulöse Mykobkterien
PCD: primäre Ziliendysfunktion

Copyright Aerzteverlag medinfo A

KD Dr. med. Urs Bürgi

Chefarzt Pneumologie / Schlafmedizin
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Die Bedeutung von Non-CF-Bronchiektasen in der Grundversorgung nimmt zu. Die Abklärung einer möglichen Ursache beinhaltet die Bestimmung von Immunglobulinen, HIV, Alpha-1-Antitrypsin, Rheumaserologien und eine Sputumuntersuchung. Die Therapieziele sind die Symptomkontrolle, der Erhalt der Lungenfunktion und das Verhindern von Komplikationen wie Infektektexacerbationen und Haemoptoe. Dies wird erreicht mit der Behandlung der Grunderkrankung, der Sekretdrainage und einem gezielten Einsatz von Antibiotika. Neuere Therapieansätze, welche auf die neutrophile und eosinophile Entzündungskaskade abzielen, sind in greifbarer Nähe.

1. O’Donnell. Bronchiectasis – A Clinical Review. NEJM 2022;387:533-45
2. S2k-Leitlinie Management erwachsener Patientinnen und Patienten mit Bronchiektasen-Erkrankung. Version 1.2 – Mai 2024. AWMF Online
3. Polverino. European Respiratory Society guidelines for the management of adult bronchiectasis. Eur Respir J. 2017 Sep 9;50(3):1700629.
4. Chalmers. Dipeptidyl peptidase 1 inhibition as a potential therapeutic approach in neutrophil-mediated inflammatory disease. Front Immunol. 2023 Dec 14:14:1239151.
5. Aliberti. Criteria and definitions for the radiological and clinical diagnosis of bronchiectasis in adults for use in clinical trials: international consensus recommendations. Lancet Respir Med. 2022 Mar;10(3):298-306.
6. Quellhorst L, Barten-Neiner G, de Roux A et al. Psychometric Validation of the German Translation of the Quality of Life Questionnaire-Bronchiectasis (QOL-B)-Data from the German Bronchiectasis Registry PROGNOSIS. J Clin Med 2022; 11
7. Pasteur MC. Pasteur. An Investigation into Causative Factors in Patients with Bronchiectasis. Am J Crit Care Med 2000 Oct;162(4 Pt 1):1277-84.

Sommerloch ade

Wir alle kennen es – die administrativen Pendenzen vor und nach den wohlverdienten Ferien: Ausstehende IV-/ SUVA-Berichte, unnötige Physiotherapie, Verlängerungsgesuche an KK für MS und Parkinson Betroffene, Überweisungsschreiben und Kostencontrolling-Verzeige unserer MC-Programme etc.

Vor ein paar Wochen wurde ich angefragt, ob ich für «der informierte arzt / die informierte ärztin» noch schnell ein Editorial aus dem Ärmel zaubern könnte, da ich, oh Schreck, meiner Pflicht schon lange nicht mehr nachgegangen bin.

Als eine der letzten Gemeinschaftspraxen in der Region bieten wir am Samstagvormittag jeweils noch eine Sprechstunde an. Super, Sommerflaute und Zeit für ein Editorial!

Und so sitze ich nach einem bekanntlich wettertechnisch verhaltenen Sommerbeginn an einem strahlend schönen Samstagvormittag mit meinem tapferen, hochmotivierten MPA-Team in der Praxis und betreue geduldig die ersten Reiserückkehrer mit Badeotitiden, Bagatelltraumen und Insektenstichen und erwarte freundlich einige Seniorinnen, welche sich darüber freuen, ihren Hausarzt etwas länger als gewohnt für ihre diversen Altesrbeschwerden für sich zu haben.

Kurz vor Mittag kommt nach Behandlung und Meldung einer Gonorrhoe dann doch noch die Rosine des Tages, eine Lungenembolie, welche im CT des Regionalspitals bestätigt werden kann. Zufrieden fahre ich nach Hause und höre in einem längeren Nachrichtenblock über die Häufung von Mykoplasmeninfekten in den Schweizer Kinderspitälern und kurz darauf «WHO ruft wegen Affenpocken weltweit Notlage aus – höchste Alarmstufe!»

Etwas irritiert frage ich mich, ob das hustende Kind am Morgen nicht vielleicht eine atypische Pneumonie hatte oder der Mückenstich des Reiserückkehrers aus Westafrika nicht doch eine Erstmanifestation von Mpox war.

Liebe Leserinnen und Leser, vergesst nun das «Sommerloch» möglichst rasch und freut Euch über eine wiederum gelungene und tolle Ausgabe mit Niveau.

Dr. med. Manfred Wicki-Amrein
Willisau

Dr. med.Manfred Wicki

Willisau

m.wicki@hin.ch

Journal Watch von unseren Experten

Sport-Paradox: Intensiver Sport erhöht das Risiko eine relevante Koronarstenose zu entwickeln

Frage: Welchen Einfluss hat über einen langen Zeitraum betriebener Ausdauersport auf die Entwicklung einer Koronarsklerose? Ist regelmässiges Training mit einer niedrigeren Prävalenz vulnerabler Plaques im Vergleich zu Nichtsportlern und folglich geringerem Risiko für kardiale Ereignisse assoziiert?

Studienort: Die Master@Heart (Master Athlete’s Heart) ­Studie ist eine multizentrische prospektive Beobachtungs­studie mit drei Zentren in Belgien.

Hintergrund: Regelmässige körperliche Aktivität wird zur Prophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen propagiert. In jüngerer Zeit deuteten Studien jedoch darauf hin, dass insbesondere intensiver Sport, über viele Jahre betrieben, zu mehr koronaren Plaques führen könnte. Etablierte Risikofaktoren für eine ischämische Herzkrankheit sind: nicht-kalzifizierte und gemischte Plaques, Stenosegrad ≥ 50% und proximal lokalisierte Plaques. Bislang fehlten Daten, inwiefern sich die absolute koronare Plaquebelastung und die Plaquestruktur bei sportlich sehr aktiven Menschen von der bei Nicht-Sportlern unterscheidet.

Methode: Auf der Basis eines Fragebogens wurden drei Gruppen gebildet: • 191 lebenslange Ausdauersportler (i.e. Beginn bereits vor 30.Lebensjahr) • 191 Späteinsteiger, die erst nach dem 30. Lebensjahr mit dem Ausdauersport begannen • 176 Nicht-Sportler als Kontrollgruppe.
Als Sportler wurde definiert: Radfahren ≥ 8 h oder Laufen ≥ 6 h oder Triathlon ≥ 8 h/Woche seit mindestens 6 Monaten vor Einschluss. Als Nichtsportler wurde gewertet, wer ≤ 3 h/Woche Sport betrieb.
Alle Teilnehmer waren Männer, im Median 56-jährig (± 6 Jahre), kardiovaskulär gesund und ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Hypertonie, Übergewicht, Diabetes, Dyslipidämie und Rauchen.

Einschlusskriterien: Männer im Alter zwischen 45 und 70 Jahren

Ausschlusskriterien: • bekannte koronare kardiovaskuläre Risikofaktoren (Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie, Bluthochdruck, Rauchen) und BMI über > 27.2 kg/m².

Outcome: Der primäre Endpunkt war der Nachweis von koronaren Plaques jeglicher Zusammensatzung in einem Coro-CT.

Ergebnisse: • Eingeschlossen wurden 605 Probanden, ausgewertet wurden 558 Teilnehmer, davon 191 lebenslange Ausdauersportler, 191 Späteinsteiger sowie 176 Nichtsportler als Kontrollen. • Das mittlere Alter betrug 55 (50–60) Jahre in allen Gruppen. • Lebenslanger Sport war mit einer gesamthaft höheren Plaquebelastung assoziiert mit einem gegenüber den Kontrollen 86 % erhöhten Risiko für ≥ 1 koronare Plaques (odds ratio [OR] 1.86, 95 % confidence ­interval [CI] 1.17–2.94) und sogar 96 % für ≥ 1 proximale Plaques (OR 1.96, 95 % CI 1.24–3.11) • Die Verteilung der Plaquetypen war ähnlich (lebenslanger Sport vs. Späteinsteiger vs. Kontrollen): am häufigsten waren kalzifizierte Plaques (62.3 % vs. 68.4 % vs. 67 %), vor gemischten (25.9 % vs. 21.8 % vs. 19.3 %) und nicht-kalzifizierten Plaques (11.8 % vs. 9.8 % vs. 13.7 %). • Die Prävalenz für eine ≥ 50 %ige Koronarstenose war bei den lebenslangen Athleten gegenüber den Späteinsteigern erhöht: 2.8-fach für jegliches Koronarsegment (OR 2.79, 95 % CI 1.22–28.80) und fast 6-fach für das proximale Segment (OR 5.92, 95 % CI 1.22–28.80).

Kommentar: • Die Studie zeigt, dass Sport das Risiko, relevante koronare Plaques und Stenosen zu entwickeln, erhöhen kann. Offenbar besteht eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Sportintensität/-dauer und Ausmass der koronaren Veränderungen. • Alarmierend an den Ergebnissen ist, dass mit dem Sport neben der allgemeinen Plaquelast speziell die für ein ischämisches Event prädiktiven Plaques vermehrt waren. • Auch im Hinblick auf die Plaques zusammensetzung widerlegte die Studie die bisherige Annahme, dass Sport eher zu stabilen, kalzifizierten Plaques führt, wie dies beispielsweis durch Statine der Fall ist. • Es gilt wie zumeist im Leben die Empfehlung mit «Mass und Ziel»: moderater Freizeitsport kann die kardiovaskuläre Gesundheit fördern, die vorliegenden Ergebnisse sollten jedoch Anlass geben, vor intensivem Sport abzuraten, auch unter der Berücksichtigung des durch Ausdauersport deutlich erhöhten Risikos, Vorhofflimmern zu entwickeln.

Prof. Dr. Dr. med. Thomas Rosemann

Literatur: De Bosscher R, Dausin C, Claus P, Bogaert J, Dymarkowski S, Goetschalckx K, Ghekiere O, Van De Heyning CM, Van Herck P, Paelinck B, Addouli HE, La Gerche A, Herbots L, Willems R, Heidbuchel H, Claessen G. Lifelong endurance exercise and its relation with coronary atherosclerosis. Eur Heart J. 2023 Jul 7;44(26):2388-2399. doi: 10.1093/eurheartj/ehad152. Erratum in: Eur Heart J. 2023 Oct 1;44(37):3668. doi: 10.1093/eurheartj/ehad546. PMID: 36881712; PMCID: PMC10327878.

SGLT-2-Hemmer und kardiovaskuläres Outcome – Resultate einer grossen 2. Metaanalyse

SGLT2-Inhibitoren zeigten in den letzten sieben Jahren, seit der Publikation der EMPA-REG-Studie, einen eindrücklichen medizinischen Fortschritt bei grossen Patientenkollektiven mit kardiovaskulärem Risiko. Bisher gab es 14 grosse randomisierte Studien, die die Vorteile dieser Wirkstoffklasse bei verschiedenen Endpunkten zeigten; fast jede Studie wies dabei eine signifikante Verringerung der Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz um etwa 30 % nach (1).

In einer aktuellen Publikation im Circulation wird eine weitere Metaanalyse vorgestellt aus 11 Phase-III-Studien mit 78 607 Patienten. Diese schloss Patienten ein mit Diabetes Typ 2 (T2DM) mit hohem Risiko für eine atherosklerotische Erkrankung (ASCVD) (54.2 %), eine Herzinsuffizienz (HI) (26.4 %) bzw. eine chronische Niereninsuffizienz (CKD) (19.5 %).

Ein Nutzen bezüglich Reduktion des MACE-Risikos von 9 % konnte bei allen Patientengruppen nachgewiesen werden, dies unabhängig von einer dieser drei Erkrankungen. Vor allem der kardiovaskuläre Tod (HR 0.86) und der plötzliche Herztod (0.68) bei einer HI konnte signifikant gesenkt werden. Dieser war in allen Untergruppen konsistent. Bei Patienten mit einer Albuminurie war dies noch deutlicher. Kein signifikanter Effekt zur Vermeidung eines Myokardinfarktes und kein Effekt bezüglich einem Stroke (2).

SGLT2-Hemmer reduzieren das MACE-Risiko bei einem breiten Spektrum von Patienten, unabhängig von ASCVD, T2DM, CKD oder anderen wichtigen klinischen Merkmalen zu Studienbeginn. Diese Daten können dazu beitragen, SGLT2-H. Therapien über das ­gesamte Spektrum von T2DM-Herz-Kreislauf-Nieren- Erkrankungen hinweg bei der individuellen korrekten Indikation konsequent zu verordnen.

Dr. Urs Dürst, Forch

Literatur
1. Usman M.S. et al., Effect of SGLT2 inhibitors on cardiovascular outcomes in different patient populations, JACC 2023;81/25:2377-2387
2. Patel S.M. et al., SGLT2-Inhibitor and Major Adverse Cardiovasc. Outcomes, Circulation 7.4.2024 doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.124.069568.

Neudefinition des Eisenmangels bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz

Ein Serumferritin-Spiegel < 15 bis 20 μg/L identifizierte in der Vergangenheit Patienten mit fehlenden Eisenspeichern im Knochenmark, aber die Serumferritin-Werte werden durch die systemischen Entzündungszustände bei Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen oder Herzinsuffizienz verzerrt. Daher wurde vor fast 25 Jahren die diagnostische Ferritinschwelle bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung um das 5- bis 20-fache erhöht (d. h. Eisenmangel wurde festgestellt, wenn der Serumferritin-Spiegel < 100 μg/L war, unabhängig von der Transferrin-Sättigung [TSAT], oder 100 bis 299 μg/L, wenn die TSAT < 20 % war). Diese Empfehlung wurde nicht durch die Ergebnisse von Studien über die Eisenverarmung des gesamten Körpers oder des Gewebes motiviert, sondern durch den Wunsch, die Verwendung von Eisenpräparaten zu fördern, um die Reaktion auf Erythropoese-stimulierende Mittel bei Patienten mit Nierenanämie zu verstärken.

Bei Patienten mit Herzinsuffizienz identifiziert diese Definition jedoch nicht zuverlässig Patienten mit einem absoluten oder funktionellen Eisenmangelzustand und schliesst Personen mit TSATs (≥ 20 %) und Serumferritin-Werten im Normalbereich (20–100 mg/L) ein, die keinen Eisenmangel aufweisen, eine ausgezeichnete Prognose haben und nicht positiv auf eine Eisentherapie ansprechen. ­Darüber hinaus können die Serumferritin-Werte durch die Einnahme von Neprilysin- und Natrium-Glukose-Cotransporter-2-Inhibitoren verzerrt werden, die beide zur Mobilisierung endogener Eisenspeicher beitragen können. Die mit der grössten Evidenz- und in Studien erprobte Definition von Eisenmangel ist das Vorhandensein einer ­Hypoferrämie, die sich in einem TSAT-Wert < 20 % widerspiegelt. Diese hypoferrämischen Patienten weisen bei der Untersuchung des Knochenmarks in der Regel einen Eisenmangel auf, und nach einer intravenösen Eisentherapie zeigen sie eine Verbesserung der körperlichen Belastbarkeit und der funktionellen Kapazität (wenn sie erheblich beeinträchtigt sind) und weisen die deutlichste Verringerung (d. h. 20–30 %) des Risikos eines kardiovaskulären Todes oder einer Krankenhauseinweisung wegen Herzinsuffizienz auf. Daher schlagen die Autoren vor, die derzeitige, auf Ferritin basierende Definition von Eisenmangel bei Herzinsuffizienz aufzugeben und eine auf Hypoferrämie (TSAT < 20 %) basierende Definition zu übernehmen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

Literatur: Parker M et al. Redefining Iron Deficiency in Patients With Chronic Heart Failure Circulation. 2024; 150: 151–161

Was nun mit unseren Krankenversicherungs-Prämien?

Die Prämienentlastungs- und Kostenbremseninitiativen wurden mit solider Unterstützung der offiziellen Ärzteverbände gebodigt.

Allerdings wäre es ein Trugschluss, jetzt einfach so weiterzumachen wie bisher. Wenn die Politik – und die Ärzteschaft! – zeitnah keine Lösungen finden, wie die Prämienzahlenden entlastet werden, wird das Problem der (zu) hohen Prämienkosten mit immer extremeren Lösungsansätzen von immer radikaleren Gruppen angegangen werden. Es könnte so zu einer Schocktherapie ­kommen, die breiten Kreisen massiv schaden würde – Patientinnen, Patienten und Gesundheitsberufsleuten.

Es werden zwar homöopathische Vorschläge in die Diskussion geworfen wie vermehrter Generikagebrauch, die Einheitskasse oder die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Auch wenn die Ideen gut sind, die Kosten werden damit – wenn überhaupt – kaum spürbar gebremst.
Ein Ansatz, der wirklich die Gesundheitslandschaft ändern könnte, die monistische Finanzierung der Gesundheitsleistungen, d.h. die gleiche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen durch den Steuer- und Prämienzahler, wird ausgerechnet von den Pflegeverbänden bekämpft. Ob es da um das liebe Geld geht? Dies wird natürlich verneint. Es wird argumentiert, dass die durch die neue Finanzierung geförderte Ambulantisierung – wie sie in den meisten industrialisierten Ländern schon längst stattgefunden hat – durch die höhere Kadenz der Eingriffe eine vermehrte Belastung der Pflege zur Folge hätte. Dies mag so sein. Allerdings werden reguläre ambulante Eingriffe während normaler Arbeitszeiten an normalen Wochentagen mit Entlassung der Patientinnen und Patienten am selben Tag durchgeführt. Die Patientenaufenthalte in der Nacht und auch am Wochenende würden so signifikant sinken. Das bedeutete eine massive Entlastung der Pflege. Gerade solche Erleichterungen kämen den Wünschen der Gen Z nach einer besseren Work-Life-Balance entgegen, was den Pflegeberuf bei bereits guter Bezahlung klar attraktiver machen würde.

Und dann ist da noch der Elefant im Raum, über den kaum gesprochen wird: Es hat zu viele Spitäler in der Schweiz! Im internationalen Vergleich haben wir die höchste Spitaldichte. Natürlich, wenn der Prämienzahler und die Steuerzahlerin bereit sind, die zusätzlichen finanziellen Lasten zu schultern, kann jedes Dorf ein eigenes Spital haben. Allerdings würde das aufgrund der geringen Fallzahlen zu einer Abnahme der Behandlungsqualität führen. Darum führt nichts an weiteren Spitalschliessungsrunden vorbei. Es würden u.a. viele nicht ausgelastete und sehr kostspielige Vorhalteleistungen entfallen. Zudem würden viele Fachkräfte freigestellt, nach denen die Spitäler händeringend suchen. Spitalschliessungen können und sollten jedoch patientenfreundlich und sozialverträglich erfolgen, d.h. vorangekündigt über einen Zeitraum von 5, besser 10 Jahren. Das erlaubt den Akteuren, sich an die neue Situation anzupassen. Zudem würden die meisten Akutspitäler einem neuen Zweck in der Gesundheitslandschaft zugeführt, sodass der häufig befürchtete Abbau bisheriger Stellen zwar stattfindet, welche aber meist in neue zukunftssicherere Positionen umgewandelt werden.

Es ist höchste Zeit, dass die Ärzteschaft nicht nur Fundamentalopposition gegen wirklich wirksame Änderungen betreibt, sondern selbst wirksame (!) Lösungen entwickelt, die zu einer Stabilisierung der Gesundheits- und Prämienkosten führen. Ansonsten gilt möglicherweise auch für unseren Berufsstand: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Prof. Dr. med. Bruno Imthurn, Zürich

Prof. em. Dr. med. Bruno Imthurn

Senior Consultant Kinderwunschzentrum
360° Zürich

bruno.imthurn@uzh.ch