Individuelle Bedürfnisse der Patientin bei der Brust­rekonstruktion – gibt es Grenzen für die Plastische Chirurgie?

Die Brust ist das Sinnbild für Weiblichkeit und kann essenziell sein für die körperliche Integrität einer Frau. Es gibt zahlreiche Techniken zur Brustrekonstruktion, sodass die Bedürfnisse und Limitationen jeder Patientin berücksichtigt werden können. Bezüglich der Entscheidung Silikonimplantate vs. Eigengewebe, Grösse und Form der Brust sowie Timing spielen die individuellen Präferenzen der Patientin eine wichtige Rolle. Die einzigen Gründe, auf eine Rekonstruktion zu verzichten, ist ein lokal unvollständig entfernter Tumor oder der entsprechende Wunsch der Patientin. Die Kosten für die Rekonstruktion werden von der Krankenkasse für alle Verfahren übernommen, auch für die Anpassung der Gegenseite, die Mamillenrekonstruktion und eventuelle Fettgewebetransfers.
Schlüsselwörter: Brustkrebs, autologe Brustrekonstruktion, implantatbasierte Brustrekonstruktion, Mamillenrekonstruktion, autologer Fettgewebstransfer

Einführung

Brustkrebs ist bei Frauen die häufigste Form von Krebs. In der Schweiz werden pro Jahr ungefähr 6600 neue Fälle von Brustkrebs diagnostiziert, davon betreffen 99 % Frauen und 1 % Männer [1]. In der Regel – ausser in primär schon fortgeschrittenen Stadien – besteht die Indikation zur chirurgischen Tumorresektion. Diese erfolgt in den meisten Fällen brusterhaltend [2]. Bei etwa 20–30 % der Patientinnen ist aufgrund des Tumorstadiums, einer Kontraindikation für eine adjuvante Radiotherapie oder auf Wunsch der Patientin eine Mastektomie indiziert. Auch bei Nachweis einer Genmutation mit erhöhtem Risiko für Brustkrebs besteht die medizinische Indikation für eine Mastektomie und nachfolgende Brustrekonstruktion.
Für die betroffenen Patientinnen ist die Diagnose Brustkrebs ein Schock, und der Fokus liegt auf der Therapie des Tumors. Oft tritt schon wenige Monate nach der akuten Behandlung und erfolgreichen Tumorkontrolle aber auch der Aspekt der körperlichen Integrität und des weiblichen Selbstbildes in den Vordergrund. Da die Patientinnen durch eine fehlende oder unzureichend rekonstruierte Brust täglich an die Erkrankung erinnert werden, hilft die Rekonstruktion auch bei der Verarbeitung der Erkrankung. Auch wenn bei der Diagnose Brustkrebs initial selbstverständlich die Behandlung des Tumors im Vordergrund steht, sollten wir als behandelndes Team vorausschauend auch diesen Aspekt beachten und von Anfang an die Rekonstruktion in unseren Therapieplan miteinbeziehen. Da es verschiedene Techniken zur Brustrekonstruktion gibt und man auch in der zeitlichen Durchführung einen grossen Spielraum hat, kann die Brustrekonstruktion sehr individuell auf die Bedürfnisse der Patientinnen angepasst werden.

Ziele einer Brustrekonstruktion

Das grundsätzliche Ziel einer Brustrekonstruktion ist der Erhalt der körperlichen Integrität. Dies bedeutet den Erhalt des weiblichen Körperbildes und Körpergefühls. Neben dem häufig geschilderten Verlust von Lebensqualität und der psychischen Belastung kann die asymmetrische Gewichtsverteilung bei einseitigem Fehlen der Brust muskuloskelettale Beschwerden verursachen.
Das Ziel einer Brustkonstruktion ist primär eine symmetrische, formschöne Brust. Diese sollte aus verschiedenen Gründen nicht zu gross sein. Bei einer Eigengewebs­rekonstruktion steigt die Morbidität an der Entnahmestelle mit zunehmender Grösse der rekonstruierten Brust. Auch bei einer Implantatrekonstruktion steigt das Risiko für ­Implantat-bezogene Komplikationen, je grösser das gewählte Implantat ist. Zudem ist bei einer sehr grossen Brust das ästhetische Langzeitergebnis schlechter.
Deshalb macht es häufig Sinn, die kontralaterale Brust mit einer Verkleinerung an die rekonstruierte Brust an­zugleichen. In wenigen Fällen ist auch eine angleichende Augmentation mittels Implantateinlage indiziert. Ab­geschlossen wird die Brustrekonstruktion mit der Rekonstruktion des Mamillen-Areola-Komplexes. Punkto Symmetrie wird das beste Ergebnis erreicht, wenn all ­diese Schritte gestaffelt in einzelnen Operationen durchgeführt werden [3]. Jedoch können auf Wunsch der Patientin mehrere rekonstruktive Schritte gleichzeitig gemacht werden; dies hängt von den individuellen Prioritäten ab. Als Faustregel gilt, je höher der ästhetische Anspruch, ­desto mehr operative Schritte werden benötigt [4].

Übersicht Verfahren Brustrekonstruktion

Während bis vor wenigen Jahren noch Bedenken bestanden über die onkologische Sicherheit von Haut erhaltenden Mastektomietechniken, sind diese mittlerweile zum Standard geworden [5, 6]. Es ist nur selten eine radikale Mastektomie indiziert. Man unterscheidet die Nipple-spar­ing Mastektomie (NSM), bei welcher der gesamte Hautmantel inklusive Mamillen-Areola-Komplex erhalten werden kann, und die Skin-sparing Mastektomie (SSM) bei welcher der Mamillen-Areola-Komplex mit dem Brustdrüsengewebe reseziert wird.
Diese Techniken haben die Brustrekonstruktion massgeblich verändert, da dies neue Optionen zulässt und das ästhetische Resultat deutlich besser ist [7].
Eine Brustrekonstruktion kann entweder primär im selben Eingriff wie die Mastektomie oder sekundär zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Prinzipiell ist eine primäre Brustrekonstruktion anzustreben, um der Patientin einen Zeitraum ohne Brust zu ersparen. Jedoch ist dies aus Gründen wie Tumorbiologie, geplanten adjuvanten Therapien oder auch organisatorisch nicht immer möglich. Im Fall eines hautsparenden Verfahrens sollte jedoch immer mindestens ein Platzhalter (Expander) eingelegt werden, da sich sonst die Haut kontrahiert und der Vorteil der Hauterhaltung verloren geht. Wird danach eine Eigengewebsrekonstruktion durchgeführt, wird dies im Englischen häufig als «delayed-immediate» bezeichnet.
Grundsätzlich werden die Techniken zur Brustrekonstruktion eingeteilt in die Rekonstruktion mit Eigengewebe und die Rekonstruktion mit Silikonimplantaten. Die Verfahren können auch kombiniert werden. In Abhängigkeit der Mastektomietechnik muss «nur» das fehlende Volumen des Brustdrüsengewebes ersetzt werden oder zusätzlich auch der Haut-/Weichteilmantel und der Mamillen-Areola-Komplex rekonstruiert werden.

Wünsche und Bedürfnisse der Patientin

In den meisten Fällen ist sowohl die Eigengewebsrekonstruktion als auch die Implantat-basierte Rekonstruktion möglich. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Patientin durch eine/n spezialisierte/n Arzt/Ärztin über alle mög­lichen Verfahren mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen aufgeklärt wird und so früh in den Entscheidungsprozess der Rekonstruktion einbezogen wird.
Im Gespräch sollte die Zufriedenheit mit der aktuellen Brustform und -grösse eruiert werden, sodass dies bei der Rekonstruktion berücksichtigt werden kann. Es muss abgewogen werden, wie viel eine Patientin für welches Resultat investieren möchte.
Weiter wird die Patientin auch bezüglich des Timings in die Planung einbezogen. Während die Tumorresektion zeitnah erfolgen muss, können die Rekonstruktionsschritte gut geplant und für die Patientin wichtige persönliche oder berufliche Ereignisse berücksichtigt werden.

Brustrekonstruktion mit Implantat

Die Voraussetzung für eine Brustrekonstruktion mit einem Silikonimplantat ist ein vorhandener Haut-/Weichteilmantel. Somit kommt diese Technik vor allem bei hautsparenden Mastektomien (NSM, SSM) in Frage. Nach einer radikalen Mastektomie ist eine Implantateinlage nur möglich in Kombination mit Eigengewebe oder nach vorgängiger Dehnung des Hautmantels durch einen Gewebeexpander.
Während lange Zeit die Positionierung des Brustimplantats hinter den M. pectoralis major der Standard war, hat sich dies durch die Weiterentwicklung der Implantate, die Verfügbarkeit von Matrizes bzw. Meshes sowie den technischen Fortschritt des autologen Fettgewebetransfers (­Lipofilling) grundsätzlich geändert.
Moderne Implantate haben eine weichere Hülle, jedoch eine kohäsivere Füllung, sodass weniger Falten entstehen. Um das Implantat in der richtigen Position zu halten, wird ein resorbierbares Netz oder eine azelluläre dermale Matrix eingelegt, welche sich im Verlauf inte­griert. Durch einen autologen Fettgewebetransfer können Konturunregelmässigkeiten im Bereich des Implantatrandes gut moduliert werden. Deshalb ist es nicht mehr notwendig, das Implantat unter den Brustmuskel zu positionieren. Dies hat den Vorteil, dass die Rekonstruktion weniger schmerzhaft ist, das Nachblutungsrisiko verringert ist und es vor allem nicht zu einer störenden Animation der Brust bei Aktivierung des M.pectoralis major kommt.
Für die Positionierung des Implantats können sowohl azelluläre dermale Matrizes als auch resorbierbare oder teilweise resorbierbare Meshes verwendet werden. Bis anhin gibt es keine wissenschaftliche Evidenz, dass das eine oder andere bezüglich Outcome überlegen ist [8, 9, 10]. Wird eine primäre definitive Brustrekonstruktion mit einem Implantat durchgeführt, wird dies häufig als DTI («direct-to-implant») bezeichnet, im Gegensatz zum früher üblichen Vorgehen mit temporärer Einlage eines Expanders (Abb. 1).
Vorteile: Die Brustrekonstruktion mit einem Implantat ist technisch einfacher und die zusätzliche Operationszeit für die Rekonstruktion gering. Es entstehen keine zusätzlichen Narben durch die Entnahme von Gewebe. Eine sehr gute Indikation für eine Implantat-basierte Rekonstruk­tion ist die bilaterale, prophylaktische Mastektomie [11].
Nachteile: Über die Jahre kommt es zu einer Kapsel­fibrose und das Implantat muss ausgewechselt werden. Zudem können seltenere Komplikationen wie eine Implantatdislokation oder Implantatruptur eine Reoperation notwendig machen. Insbesondere bei einseitigen Rekonstruktionen ohne Einlage eines Implantats auf der Gegenseite ist eine im Langzeitverlauf anhaltende Symmetrie schwierig zu erhalten.

Brustrekonstruktion mit Eigengewebe

Bei der Brustrekonstruktion mit Eigengewebe wird die Brust durch Verschieben von Gewebe aus der Umgebung (regionale Lappenplastik) oder die freie Transplantation von Gewebe von entfernten Körperarealen (freie Lappenplastik) rekonstruiert.
Der Goldstandard für eine autologe Brustrekonstruk­tion ist die freie Transplantation von Eigengewebe vom Abdomen (DIEP-Lappenplastik). Dabei wird Haut und Unterhautfettgewebe vom Unterbauch an den inferioren epigastrischen Gefässen gestielt gehoben, transferiert und mikrochirurgisch an die Mammaria-interna-Gefässe angeschlossen. Es kann der gesamte Hautmantel rekonstruiert werden, und häufig reicht das Gewebe aus, um beidseitig die Brust zu rekonstruieren. Alternativ können freie Lappenplastiken auch vom Oberschenkel, dem ­Gesäss oder den Flanken gehoben werden. Da die Ge­fässe mikrochirurgisch anastomosiert werden müssen, besteht das Risiko eines Lappenverlusts durch eine arterielle oder venöse Thrombose im Bereich der Anastomose. Dieses ist deutlich geringer im Fall einer regionalen Lappenplastik mit Einschwenken von Gewebe vom Rücken oder den Flanken ohne Unterbruch der Blutgefässversorgung.
Im weitesten Sinn gehört auch eine onkoplastische Tumorresektion bei einer Brust-erhaltenden Operation in die Gruppe der Eigengewebsrekonstruktionen. Dabei wird das verbleibende Brustgewebe so in der Brust umverteilt, dass wieder eine ansprechende Brustform resultiert (Tabelle 1, Abb. 2 und 3).
Vorteile: Bei der Brustrekonstruktion mit Eigengewebe sind nach einer erfolgreichen Operation keine Langzeitkomplikationen zu erwarten. Das Gewebe fühlt sich natürlich weich an und verhält sich bezüglich der Formveränderung wie die natürliche Brust. Bei sehr ausgedehnten Resektionen ist dies häufig die einzige Möglichkeit. Zudem kann durch das Einbringen von gut durchblutetem Gewebe die strahlengeschädigte Haut ersetzt werden.
Wissenschaftliche Studien hinsichtlich der Lebensqualität der Patientinnen ergaben eine höhere Zufriedenheit beim Aufbau mit Eigengewebe im Vergleich zur Implantat-basierten Rekonstruktion [12, 13].
Nachteile: Die Operation ist technisch anspruchsvoll und stellt höhere Anforderungen ans Personal und an die Infrastruktur (Mikroskop, postoperative Überwachung). Es resultieren zusätzliche Narben und mögliche Komplikationen an den Entnahmestellen.

Autologer Fettgewebetransfer/Hybridverfahren

Beim autologen Fettgewebetransfer (Lipofilling) wird an einer Körperstelle subkutanes Fett mittels Liposuktion gewonnen. Dieses wird gewaschen, filtriert und mittels Kanülen in die Brust eingebracht. Dort wird es initial aus der Umgebung versorgt und heilt schliesslich zu 50–70 % ein, der Rest wird resorbiert [14]. Das Verfahren eignet sich sehr gut zur Korrektur von Konturunregelmässigkeiten. Eine Brustrekonstruktion mit alleinigem Fetttransfer ist beschrieben, führt jedoch in den Augen der Autoren nicht zu einem befriedigenden Resultat. Hingegen etabliert ist das Hybridverfahren. Hier wird in mehreren Sitzungen Lipofilling der Haut-/Weichteilmantel aufgebaut, somit kann ein kleineres Implantat gewählt ­werden. Der Vorteil besteht darin, dass sich die Brust natürlicher anfühlt als bei einer klassischen Implantatrekonstruktion [15]. Mittlerweile ist die onkologische Sicherheit des autologen Fettgewebetransfers gut untersucht worden, ohne dass sich in einer Studie eine erhöhte Rate an Lokalrezidiven gezeigt hätte [16, 17].
Aktuell werden von der Krankenkasse bis zu drei ­Sitzungen für autologen Fettgewebetransfer im Rahmen einer Brustrekonstruktion übernommen, sofern sie von ­einem Facharzt für Plastische Chirurgie durchgeführt werden (Abb. 4).

Expander

Ein Gewebeexpander ist eine Silikonhülle, welche mit NaCl gefüllt werden kann und früher, wie der Name sagt, v.a. zur Dehnung des Hautmantels verwendet wurde. Heutzutage wird ein Expander häufiger als Platzhalter nach einer hautsparenden Mastektomie benutzt, z.B. wenn eine adjuvante Radiotherapie geplant ist. Bei kritischen Weichteilverhältnissen kann der Expander leer eingebracht werden, um die Bedingungen für die Wundheilung zu optimieren, und nach Abheilen aufgefüllt werden. Ein Expander kann aber auch verwendet werden, wenn eine Patientin sich in der kurzen Zeit zwischen Diagnose des Krebses und dessen Entfernung aufgrund der psychischen Belastung durch die Diagnose und den gleichzeitigen Zeitdruck nicht sofort für ein Rekonstruktionsverfahren entscheiden kann.

Limitationen

Auch wenn es verschiedenste Verfahren zur Brustrekonstruktion gibt und man den Bedürfnissen seiner Patientinnen gerecht werden möchte, gibt es in gewissen Fällen ­tumorspezifische oder auch Patienten-spezifische Limitationen und Kontraindikationen.
Die Tumorausdehnung und -biologie gibt vor, welche Technik der Mastektomie zur einer onkologisch sicheren Tumorentfernung führt. Während bei einer bilateralen Nipple-sparing-Mastektomie die Implantatrekonstruktion eine exzellente Lösung ist, wird man nach einer radikalen Mastektomie häufiger eine Eigengewebsrekonstruktion oder Kombination der Methoden anwenden.
Aufgrund des stark erhöhten Risikos für eine Kapsel­fibrose empfiehlt man im Fall einer adjuvanten Radio­therapie eine Eigengewebsrekonstruktion [18]. Da in ­einzelnen Fällen auch das Eigengewebe mit einem Volumenverlust auf die Bestrahlung reagiert, ist in unseren Augen in diesen Fällen die Einlage eines Expanders und Rekonstruktion mit Eigengewebe sechs Monate nach abgeschlossener Radiotherapie die beste Lösung [19].
Bei der Planung einer Eigengewebsrekonstruktion muss der individuelle Körperbau der Patientin evaluiert werden, um eine möglichst geringe Hebemorbidität durch die Entnahme der Lappenplastik zu verursachen und genügend Volumen für die Brust zu erhalten. Voroperationen können ein Grund sein, weshalb aus einem bestimmten Areal kein Gewebe mehr entnommen werden kann, weil die benötigten Blutgefässe nicht mehr vorhanden sind oder schlichtweg nicht genügend Gewebe vorhanden ist.
Schliesslich besteht bei Patientinnen mit kardiovaskulären Risikofaktoren (Diabetes mellitus, Adipositas, Rauchen) und bei Gerinnungsstörungen ein deutlich erhöhtes Risiko für einen Verlust einer freien Lappenplastik, weshalb man in diesen Fällen auf eine gestielte Lappenplastik zurückgreift.

Dr. med. Martina Schneider

Fachärztin Plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie
Clinic Utoquai
Brustzentrum Zürichsee
Utoquai 41
8008 Zürich
Schweiz

dr.mschneider@clinicutoquai.ch

Historie
Manuskript akzeptiert: 13.02.2023

Interessenskonflikte
Es bestehen keine Interessenskonflikte.

  • ORCID
    Martina Schneider
    https://orcid.org/0000-0002-5624-9919
    Farid Rezaeian
    https://orcid.org/0000-0003-0320-3762

  • Es gibt zahlreiche Techniken zur Brustrekonstruk­tion, sodass die Bedürfnisse und Limitationen jeder Patientin berücksichtigt werden können.
  • Bezüglich der Entscheidung Silikonimplantate vs. Eigengewebe, Grösse und Form der Brust sowie ­Timing spielen die individuellen Präferenzen der Patientin eine wichtige Rolle.
  • Die einzigen Gründe, auf eine Rekonstruktion zu verzichten, ist ein lokal unvollständig entfernter Tumor oder der explizite Wunsch der Patientin.
  • Die Kosten für die Rekonstruktion werden von der Krankenkasse für alle Verfahren übernommen, auch für die Anpassung der Gegenseite, die Mamillen­rekonstruktion und allfällige Fettgewebetransfers.

 

Lernfragen

1. Wie lange sollte nach einer Mastektomie gewartet werden, bevor eine Brustrekonstruktion erfolgen kann?
2. Welche Patientinnen eignen sich für eine Eigen­gewebsrekonstruktion?
3. Welche Art von Rekonstruktion ist im Fall einer ­adjuvanten Bestrahlung empfohlen?

 

Antworten zu den Lernfragen
1. In aller Regel kann der erste Schritt der Brustrekonstruktion im selben Eingriff wie die Mastektomie erfolgen. Ausnahmen sind sehr ausgedehnte Tumoren (T4) und das Inflammatorische Mammakarzinom.
2. Es kann bei praktisch allen Patientinnen eine Eigengewebsrekonstruktion durchgeführt werden. Je nach Körperbau erfolgt die Entnahme des Gewebes an einer anderen Körperstelle. Bei Patientinnen in reduziertem Gesundheitszustand oder mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko kann auch eine gestielte, regionale Lappenplastik, ev. kombiniert mit einem Fettgewebestransfer, erfolgen.
3. Aufgrund des erhöhten Risikos für eine Kapselfibrose empfiehlt man im Fall einer adjuvanten Radiotherapie oder einer stattgehabten Radiotherapie eine Eigengewebsrekonstruktion. Da auch das Eigengewebe in seltenen Fällen durch die Bestrahlung Schaden nimmt, hat sich die initiale Einlage eines Expanders für die Zeit der Radiotherapie bewährt. Die Eigengewebsrekonstruktion erfolgt in diesen Fällen sechs Monate nach abgeschlossener Radiotherapie.

1. Krebsliga Schweiz. Brustkrebs. Bern; Krebsliga Schweiz: 2022. https://www.krebsliga.ch/ueber-krebs/krebsarten/brustkrebs; letzter Zugriff: 15.02.2023.
2. Moo TA, Sanford R, Dang C, Morrow M. Overview of Breast Cancer Therapy. PET Clin. 2018;13(3):339–354. DOI: 10.1016/j.cpet.
2018.02.006.
3. Chang EI, Selber JC, Chang EI, et al. Choosing the optimal timing for contralateral symmetry procedures after unilateral free flap breast reconstruction. Ann Plast Surg. 2015;74(1):12–16. DOI: 10.1097/SAP.0b013e31828bb1e3.
4. Moller L, Berner JE, Dheansa B. The reconstructive journey: Description of the breast reconstruction pathway in a high-volume UK-based microsurgical centre. J Plast Reconstr Aesthet Surg. 2019;72(12):1930–1935. DOI: 10.1016/j.bjps.2019.
07.017.
5. Garcia-Etienne CA, Cody Iii HS 3rd, Disa JJ, Cordeiro P, Sacchini V. Nipple-sparing mastectomy: initial experience at the Memorial Sloan-Kettering Cancer Center and a comprehensive review of literature. Breast J. 2009;15(4):440–449. DOI: 10.
1111/j.1524–4741.2009.00758.x.
6. Caruso F, Ferrara M, Castiglione G, et al. Nipple sparing subcutaneous mastectomy: sixty-six months follow-up. Eur J Surg Oncol. 2006;32(9):937–940. DOI: 10.1016/j.ejso.2006.05.013.
7. Galimberti V, Vicini E, Corso G, et al. Nipple-sparing and skin-sparing mastectomy: Review of aims, oncological safety and contraindications. Breast. 2017;34 Suppl 1(Suppl 1):S82–S84. DOI: 10.1016/j.breast.2017.06.034.
8. Sorkin M, Qi J, Kim HM, et al. Acellular Dermal Matrix in Immediate Expander/Implant Breast Reconstruction: A Multicenter Assessment of Risks and Benefits. Plast Reconstr Surg. 2017;140(6):1091–1100. DOI: 10.1097/PRS.0000000000003842.
9. Asaad M, Morris N, Selber JC, et al. No Differences in Surgical and Patient-reported Outcomes Between Alloderm, Surgimend, and Dermacell for Prepectoral Implant-based Breast Reconstruction. Plast Reconstr Surg. 2022. DOI: 10.1097/PRS.
0000000000010070.
10. Ganesh Kumar N, Berlin NL, Kim HM, Hamill JB, Kozlow JH, Wilkins EG. Development of an evidence-based approach to the use of acellular dermal matrix in immediate expander-implant-based breast reconstruction. J Plast Reconstr Aesthet Surg. 2021;74(1):30–40. DOI: 10.1016/j.bjps.2020.10.005.
11. Cemal Y, Albornoz CR, Disa JJ, et al. A paradigm shift in U.S. breast reconstruction: Part 2. The influence of changing mastectomy patterns on reconstructive rate and method. Plast Reconstr Surg. 2013 Mar;131(3):320e–326e. DOI: 10.1097/PRS.0b013e31827cf576.
12. Santosa KB, Qi J, Kim HM, Hamill JB, Wilkins EG, Pusic AL. Long-term Patient-Reported Outcomes in Postmastectomy Breast Reconstruction. JAMA Surg. 2018;153(10):891–899. DOI: 10.1001/jamasurg.2018.1677.
13. Santanelli Di Pompeo F, Barone M, Salzillo R, et al. Predictive Factors of Satisfaction Following Breast Reconstruction: Do they Influence Patients? Aesthetic Plast Surg. 2022;46(2):610–618. DOI: 10.1007/s00266-021-02584-x.
14. Nelissen X, Lhoest F, Preud’Homme L. Refined Method of Lipofilling following DIEP Breast Reconstruction: 3D Analysis of Graft Survival. Plast Reconstr Surg Glob Open. 2015;3(9):e526. DOI: 10.1097/GOX.0000000000000495.
15. Alessandri Bonetti M, Carbonaro R, Borelli F, et al. Outcomes in Hybrid Breast Reconstruction: A Systematic Review. Medicina (Kaunas). 2022;58(9):1232. DOI: 10.3390/medicina58091232.
16. Cohen O, Lam G, Karp N, Choi M. Determining the Oncologic Safety of Autologous Fat Grafting as a Reconstructive Modality: An Institutional Review of Breast Cancer Recurrence Rates and Surgical Outcomes. Plast Reconstr Surg. 2017;140(3):382e–392e. DOI: 10.1097/PRS.0000000000003576.
17. Tukiama R, Vieira RAC, Moura ECR, et al. Oncologic safety of breast reconstruction with autologous fat grafting: A systematic review and meta-analysis. Eur J Surg Oncol. 2022;48(4):
727–735. DOI: 10.1016/j.ejso.2021.12.017.
18. Alderman A, Gutowski K, Ahuja A, Gray D; Postmastectomy ExpanderImplant Breast Reconstruction Guideline Work Group. ASPS clinical practice guideline summary on breast reconstruction with expanders and implants. Plast Reconstr Surg. 2014;134(4):648e–655e. DOI: 10.1097/PRS.0000000000
000541.
19. Reinders FCJ, Young-Afat DA, Batenburg MCT, et al. Higher reconstruction failure and less patient-reported satisfaction after post mastectomy radiotherapy with immediate implant-based breast reconstruction compared to immediate autologous breast reconstruction. Breast Cancer. 2020;27(3):435–444. DOI: 10.1007/s12282-019-01036-4.

Impfung gegen die Infodemie

Fehlinformation zu Impfungen führt zu Impfzurückhaltung. Während der SARS-CoV-2 Pandemie konnten unterschiedliche Muster beobachtet werden, wie sich Fehlinformation auf Sozialen Medien verbreiteten, was den Begriff der “Infodemie” geprägt hat. Gegen Fehlinformation bei Impfung gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen, wobei einige auch in der medizinischen Praxis umsetzbar sind. Dieser Artikel ist eine Einführung und Übersicht über das Phänomen der Fehlinformation in Sozialen Medien. Der Artikel hat zudem das Ziel einzelne Mechanismen aufzudecken, welche Fehlinformation glaubhaft erscheinen lassen und somit als “Impfung gegen die Infodemie” funktionieren.

Einführung

Beinahe prophetisch erklärte die WHO noch kurz vor Ausbruch der SARS-CoV-2-Pandemie die «Vaccine Hesitancy» (zu Deutsch «Impf-Zurückhaltung») zu einer der grössten Bedrohungen der globalen Gesundheit [1]. Dies, obwohl Impfungen eine der beeindruckendsten Errungenschaften der Medizingeschichte sind: Das Pockenvirus, welches eine entstellende und lebensbedrohliche Krankheit auslöst, wird schon seit dem 18. Jahrhundert wirksam mit Impfungen bekämpft und gilt seit 1978 als ausgerottet. Das Poliovirus, welches im 20. Jahrhundert zu schweren Epidemien mit jährlich tausenden von Toten führte, konnte dank einer wirksamen und verträglichen Impfung beinahe ausgerottet werden. Das Masernvirus – vor der Verfügbarkeit von Impfungen verantwortlich für mehrere Millionen Todesfälle jährlich- konnte weit zurückgedrängt werden. Im letzten Jahrzehnt aber ist der Trend umgeschlagen: Die Todesfälle durch Masern nehmen weltweit wieder zu und auch Polioviren tauchen wieder auf, selbst in Ländern mit niederschwelligem Zugang zu Impfungen [2, 3].
Vaccine hesitancy ist gemäss der Strategic Advisory Group of Experts Working Group (SAGE WG) durch unterschiedliche Faktoren bedingt [4]: Am häufigsten fallen Faktoren ins Gewicht, welche im Individuum selbst oder im nahen persönlichen Umfeld vorhanden sind (z.B. eigene Erfahrungen mit Impfungen oder persönliche Glaubensinhalte). Zudem sind kontextuelle Faktoren massgebend (z.B. Medienkommunikation) und zuletzt Eigenschaften der Impfungen selbst (z.B. objektives Risiko-/Nutzen-Verhältnis). Nur bei den letzteren Faktoren allerdings spielen wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse direkt eine Rolle. Je nach subjektiver Gewichtung der unterschiedlichen Faktoren besteht das Risiko, dass es
zu letztlich irrational begründeter Vaccine hesitancy kommen kann.

Desinfomation, Fehlinformation und Bullshit

Menschen kommen bei identischen Informationen typischerweise zu sehr ähnlichen Schlussfolgerungen. Bei Impfungen weichen die Schlussfolgerungen aber teilweise weit voneinander ab und es ist anzunehmen, dass unterschiedliche, teils falsche, Information zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führt. Bei solch falscher Information zu Impfungen wird zwischen «Fehlinformation» und «Desinformation» unterschieden. Fehlinformation bezeichnet (ohne Absichten zu unterstellen) lediglich, dass eine Information falsch ist. Desinformation hingegen bezeichnet Fehlinformation, welche im Bewusstsein von deren Unwahrheit absichtlich in Umlauf gebracht wird.

Ein konkretes Beispiel für mutmassliche Desinformation bei Impfungen ist die Behauptung, dass Masernimpfungen Autismus auslösen. Diese Behauptung wurde vom britischen Arzt Andrew Wakefield (motiviert durch eine Beteiligung bei Schadenersatzforderungen) propagiert auf der Basis von acht gezielt ausgewählten Fällen mit Entwicklungsstörungen, welche nach der Gabe einer Masernimpfung aufgetreten waren. Der British General Medical Council unterstellt Wakefield, bewusst durch Rosinenpicken der Fälle fälschlich eine Kausalität unterstellt zu haben, was Desinformation gleichkommt [5]. Ein konkretes Beispiel für Fehlinformation ist demgegenüber die experimentell unbestätigte Theorie, dass Kinderkrankheiten eine salutogenetische Bedeutung haben, d.h. deren natürliche Überwindung notwendig ist für eine gesunde Entwicklung. Diese Theorie appelliert an das menschliche Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit und Erklärungen und stellt Impfungen gegen Kinderkrankheiten in ein zweifelhaftes Licht als Störfaktoren einer gesunden Entwicklung. Bei dieser Theorie handelt es sich um einfache Fehlinformation, da sie
gutgläubig in Umlauf gebracht wird aber mit grösser
Wahrscheinlichkeit falsch ist, da sie aus wissenschaftlicher Sicht haltlos ist.

Bullshit ist ein zusätzliches Label, welches sowohl Des- als auch Fehlinformation gegeben werden kann. Charakteristisch für Bullshit ist die besondere Leichtigkeit von dessen Erstellung und Verbreitung, besonders in Sozialen Medien, wo ein grosses Risiko besteht, dass Bullshit bei leichtgläubigen Personen zur Meinungsbildung beitragen kann. Ein konkretes Beispiel für Bullshit ist, dass mRNA-Impfungen Eingriffe ins Erbgut sind. Bullshit wird im Internet nicht aufgrund des mutmasslichen Wahrheitsgehalts weitergereicht, sondern aufgrund des rohen unreflektierten Interesses, welches eine reisserische Aussage wie die obige erwecken kann. Da Websitebetreiber durch Anzeigen von Werbungen an möglichst viele User Einnahmen erzielen können, gibt es sogar einen regelrechten Anreiz möglichst billige aber nicht notwendigerweise richtige «Information» ins Netz zu stellen (Bullshit, welcher zum Generieren von Websitebesuchen kreiert wurde, wird als «Clickbait Bullshit» bezeichnet).

Die Infodemie

Über die sozialen Medien ist es möglich, Informationen an so viele Menschen in so kurzer Zeit wie nie zuvor zu verbreiten. Zwar bringen sie das Potential, Wissen und Fakten einem grossen Publikum effizient bekanntzumachen. Allerdings bergen sie aber auch die Gefahr, nicht zuletzt durch personalisierte Inhaltsvorschläge, Fehlinformation effizient zu streuen. Während der SARS-CoV-2-Pandemie war dies tatsächlich der Fall. Die WHO spricht von einer «Infodemie» und versteht darunter die Verbreitung von «zu vielen Informationen, einschliesslich falscher oder irreführender Informationen […] während eines Krankheitsausbruchs» [6].
Ein Blick auf die Dynamik der Infodemie lässt einige Parallelen zur Dynamik der eigentlichen Pandemie erkennen. Eine Analyse von fast 300 Millionen englischsprachiger Tweets im Jahr 2021 zeigte, dass ein grosser Anteil der Fehlinformation von wenigen Hundert «Superspreaders» geteilt wurde [7]. Gleichzeitig geht aus einem Bericht des britischen Center for Countering Digital Hate hervor, dass zwölf Nutzende – «The Disinformation Dozen» – für bis zu 65% der auf sozialen Medien zirkulierenden Fehlinformation verantwortlich waren [8].
Die Inhalte der Fehlinformation zur SARS-CoV-2-Impfung ähneln sich in verschiedenen Ländern. So lassen sich einfache Falschaussagen zur Erkrankung und zum Herstellungsprozess der Impfung genauso wie komplexe Verschwörungstheorien über die Sprachgrenzen hinaus wiederfinden [9].

Impfen gegen Fehlinformation

Die Parallelen zwischen Pandemie und Infodemie gehen über die Tendenz zur «viralen» Verbreitung hinaus [10]. Genauso wie sich Impfungen in randomisierten Studien als wirksam gegen SARS-CoV-2 erwiesen haben, konnte in zwei randomisierten Studien gezeigt werden, dass Aufklärung gegenüber Fehlinformation wirksam gegen Vaccine Hesitancy ist und zwar besonders, wenn die Aufklärung vor dem Kontakt zur Fehlinformation stattfindet [11]. Diese fast schon ironische Parallele zur Pandemie legt nahe, dass Vorsorge mit einer kognitiven Impfung gegen Fehlinformation effektiver wäre als Nachsorge.
Aufklärung gegenüber Fehlinformation bei Impfungen kann in unterschiedlichen Stossrichtungen erfolgen. Einerseits kann bei der Erkennung von Angriffsflächen der Fehlinformation Unterstützung gegeben werden. Andererseits kann aufgedeckt werden, wie falsche Argumentationsweisen ihre unberechtigte Glaubwürdigkeit erhalten. Hinsichtlich der Angriffsflächen von Fehlinformation können drei Kategorien unterschieden werden: Krankheitsverharmlosung, Impfstoff-Fehlinformation und Verschwörungstheorien. Wichtig ist dabei zu verstehen, dass Fehlinformation besonders verfänglich wird, wenn sie mit einer einzigen Aussage gleichzeitig unterschiedliche Angriffsflächen anvisiert, wie z.B. bei der Aussage «SARS-CoV2 ist eigentlich harmlos und wird von amtierenden Politikern übertreiben, damit diese ihre Macht ausbauen können», oder «Die Pharmaindustrie hält das Autismus-Risiko von Impfungen aus finanziellen Interessen unter Verschluss». Abbildung 1 Illustriert Angriffsflächen für Fehlinformation bei Impfungen.
Hinsichtlich der Argumentationsweisen, welche zu einer unberechtigten Glaubwürdigkeit führen, sind insbesondere die vielseitigen Formen der «Rosinenpickerei» wichtig zu erwähnen. Rosinenpickerei bezeichnet das selektive Verwenden von faktisch korrekter Information, um einen verzerrten oder falschen Eindruck zu erwecken. Im Kontext von Fehlinformation bei Impfungen ist die «anekdotische Evidenz» eines der prominentesten Beispiele. Seltene unerwünschte Impfreaktionen werden dabei selektiv aufgenommen und verbreitet ohne Zusammenschau mit deren statistischen Wahrscheinlichkeit und dem gegenüberstehenden statistischen Nutzen. Ein weiteres Beispiel von Rosinenpickerei ist das Hinzuziehen von «Pseudo-Experten» mit dem Argument «Es gibt auch Ärzte, die gegen Impfungen sind». Bei diesem Argument handelt es sich um eine an sich korrekte Feststellung, allerdings folgt daraus nicht, dass diese Ärzte die einzig richtige Theorie vertreten. Das Argument ist aber besonders verfänglich aufgrund des mutmasslichen Expertenstatus dieser impfkritischen Fachpersonen. Erst bei näherer Betrachtung fehlt es diesen Pseudo-Experten an hinreichender Qualifikation und auch an Evidenz, was sich in deren Argumentationsweisen und Schlussfolgerungen auf eine Weise niederschlägt, welche leider nur für andere Fachpersonen (nicht die weniger qualifizierte Bevölkerung) offensichtlich ist. Ein letztes Beispiel der Rosinenpickerei ist der «Prävalenz-Fehler». Im Zusammenhang mit Impfungen, funktioniert das Argument so, dass die Sterblichkeit der Geimpften ohne Berücksichtigung von Risikofaktoren ausgewiesen wird. Während der SARS-CoV2-Pandemie lautete das Argument spezifisch: «auf den Intensivstationen hat es mehr Geimpfte als Ungeimpfte». Die Beobachtung war korrekt, die unterschwellig transportierte Nachricht des Risikos durch die Impfung aber falsch. Fragile und multimorbide Patienten hatten nämlich an sich bereits ein viel höheres Risiko, Intensivmedizin zu benötigen. Dass die SARS-CoV2-Impfung, welche insbesondere dieser Patientenpopulation verabreicht wurde, dieses unterliegende Risiko nicht aufwiegen konnte, war nicht unerwartet. Dennoch hat dieser Fall von Rosinenpickerei bei vielen Personen in der Bevölkerung verfangen und zu Verunsicherung und Vaccine Hesitancy geführt. Im Gegensatz zur anekdotischen Evidenz und zu den Pseudo-Experten erfordert der Prävalenz-Fehler auch statistisches Denken um ihn zu durchschauen, was es schwieriger macht dagegen kognitiv zu immunisieren.
Zuletzt ist wichtig zu erwähnen, dass Fehinformation besonders in Videos von Meinungsführenden auf sozialen Medien in regelrechten Salven auf unterschiedliche Angriffsflächen und mit unterschiedlichen falschen Argumentationsweisen gleichzeitig projiziert wird. Die Überzeugungskraft von solchen Salven besteht in deren Überflutung des kritischen Denkapparates bis hin zur Überforderung, bei welcher für Zuhörende keine Zeit für Reflektion besteht. Eine solche Salve von irreführenden Argumenten (auch «Gish-Galopp» genannt) ist eine rhetorische Technik von höherer Ordnung, welche eine präzise Debatte oder Replik durch die reine Flut von Argumenten praktisch verunmöglicht. Gleichzeitig macht die «galoppierende» Person aber durch sehr vielseitige Argumente einen besonders gut informierten Eindruck und erweckt von sich selbst den Eindruck das «Big Picture» zu sehen. Paradoxerweise gelingt es der galoppierenden Person dabei zusätzlich die Meinung von ausgewiesenen Experten in Frage zu stellen da diese angeblich durch ihren Expertenstatus besonders unfähig sind das «Big Picture» zu sehen (implizit im Gegensatz zur galoppierenden Person). Aus dieser Erklärung des Gish-Galopps wird aber klar, dass es sich dabei um ein sehr auffälliges rhetorisches Manöver handelt, welches von über die Technik informierten Personen sehr einfach zu erkennen ist und somit auch einen Kandidaten darstellt für eine potentiell wirksame kognitive Impfung gegen Fehlinformation.

Wer soll gegen Fehlinformation impfen und wie?

Kompetenz im Umgang mit Sozialen Medien gehört zu den neuen zivilisatorischen Herausforderungen, von denen die Medizin betroffen ist und nur einen Teil zur Lösung beitragen kann. Bei der Bekämpfung der Infodemie bei Impfungen sieht die WHO das grösste Potential bei denjenigen Ärztinnen und Ärzten, zu denen die Patienten das grösste Vertrauen haben, und fordert von den Nationen, diese Berufskollegen entsprechend auszubilden [12]. Ob dies ein Postulat mit nachfolgender Umsetzung wird ist fraglich; immerhin gibt es aber Hinweise darauf, dass koordiniert informierende medizinische Fachpersonen auch während einer laufenden Pandemie ad hoc wirksam Fehlinformation bekämpfen und Impfraten anheben können [13]. Als praktische Empfehlung für den Alltag ist zuletzt das «Fact-Sandwich» zu erwähnen, welches das von der CDC empfohlene Kommunikationsmodell ist beim Begegnen von Fehlinformation [14]. Dieses besteht aus vier Komponenten, wobei es sich bei der ersten und letzten Komponente um die Faktenlage handeln sollte (das Brot des Sandwiches). Dies kann überraschend schwierig sein, da die Fehlinformation potentiell so abstrus ist, dass eine Begegnung auf der Ebene der Fakten ein enorm weites Ausholen voraussetzen würde, damit von einer gemeinsamen Basis des Verständnisses ausgegangen werden kann. Die zweite Komponente ist die einfachste: die Warnung, dass es sich um Fehlinformation handelt. Die dritte Komponente hängt davon ab, ob es sich um Fehlinformation oder Desinformation handelt. Bei gutgläubig im Umlauf gebrachter Fehlinformation besteht die Komponente aus Aufklärung über die Mechanismen der Fehlinformation (Framinig als Fehlinterpretation). Bei Desinformation besteht die Komponente daraus, die Quelle der Desinformation zu entlarven und unglaubwürdig zu machen (Framing als bewusste Täuschung).

Fazit

Im Kampf gegen die Fehlinformation ist unsere Mitarbeit von der internationalen Gemeinschaft gefragt. Die Infodemie stellt jedoch eine neuartige Herausforderung für uns Ärztinnen und Ärzte dar. Nicht zuletzt, weil uns die eigentliche Pandemie – besonders zu Beginn – mit vielen offenen Fragen und Unsicherheiten konfrontierte, auf die wir selbst keine Antworten parat hatten.
Die Flut an Fehlinformation kann beängstigend wirken, und der Umgang mit den sozialen Medien kann für uns einen Schritt ausserhalb der Komfortzone bedeuten. Wir sind im Kampf gegen die Infodemie allerdings nicht auf uns alleine gestellt: Die hier vorgestellten kommunikativen Werkzeuge sind einfach, validiert und lassen sich in einer Vielzahl von Situationen effektiv anwenden. Durch eine aktive Stärkung unserer eigenen kognitiven Abwehrkräfte, beispielsweise durch die Beschäftigung mit entsprechender Literatur, können wir einen wichtigen Beitrag zur kognitiven Immunisierung der Bevölkerung leisten.

Stefan Markun

Institut für Hausarztmedizin
Universität und Universitätsspital Zürich
Pestalozzistr. 24, 8091 Zürich

Historie
Manuskript eingereicht: 12.09.2023
Manuskript akzeptiert: 27.09.2023

Interessenskonflikte
Es bestehen keine Interessenskonflikte.

  • Fehlinformation, welche speziell auf Sozialen Medien verbreitet wird, führt zu Impfzurückhaltung.
  • Die negativen Auswirkungen von Fehlinformation lassen sich durch Bildung über Fehlinformation vermindern, ähnlich wie eine Impfung gegen eine Infektionskrankheit schützt.
  • Medizinische Berufspersonen können auch auf Ebene der Bildung über Fehlinformationen wirksam sein und die Impfzurückhaltung vermindern.

Lernfragen

1. Mit welcher Sequenz in der Argumentationsweise wird empfohlen auf Fehlinformation zu reagieren?
A) Fakten -> Warnung vor Fehlinformation -> Fakten -> Denkfehler erklären
B) Fakten -> Warnung vor Fehlinformation -> Denkfehler erklären -> Fakten
C) Fakten -> Denkfehler erklären -> Fakten
D) Warnung vor Fehlinformation -> Fakten -> Denkfehler erklären

2. Welche Aussage zu Fehlinformation in Sozialen Medien ist korrekt?
A) Fehlinformation ist sehr divers, d.h. sie wird von zahllosen Nutzern unabhängig ins Netz gestellt
B) Die meisten Menschen, die Fehlinformation verbreiten machen dies im Bewusstsein von deren Unwahrheit (Desinformation)
C) Fehlinformation tritt typischerweise in verschachtelten Informationspaketen auf, welche einfach zu erstellen sind, aber nur schwer entwirrt werden können
D) Verschwörungstheorien kommen selten vor bei Fehlinformation zu Impfungen

Antworten zu den Lernfragen:
1. B) ist richtig.
Fakten -> Warnung vor Fehlinformation -> Denkfehler erklären  ->Fakten2.
2. C) ist richtig.
Fehlinformation tritt typischerweise in verschachtelten Informationspaketen auf, welche einfach zu erstellen sind, aber nur schwer entwirrt werden können

1. World Health Organization (WHO). Ten threats to global health in 2019. 2019 [cited 2023 12.07.2023]; Available from: https://www.who.int/news-room/spotlight/ten-threats-to-global-health-in-2019.
2. Cousins, S., Measles: a global resurgence. The Lancet Infectious Diseases, 2019. 19(4): p. 362-363.
3. Kim, C.Y., et al., Threat of resurgence or hope for global eradication of poliovirus? Curr Opin Neurol, 2023. 36(3): p. 229-237.
4. Kulkarni, S., et al., Trends in classifying vaccine hesitancy reasons reported in the WHO/UNICEF Joint Reporting Form, 2014–2017: Use and comparability of the Vaccine Hesitancy Matrix. Human Vaccines & Immunotherapeutics, 2021. 17(7): p. 2001-2007.
5. Motta, M. and D. Stecula, Quantifying the effect of Wakefield et al. (1998) on skepticism about MMR vaccine safety in the U.S. PLoS One, 2021. 16(8): p. e0256395.
6. World Health Organization (WHO). Infodemic. 2023 01.09.2023]; Available from: https://www.who.int/health-topics/infodemic.
7. Pierri, F., et al., One Year of COVID-19 Vaccine Misinformation on Twitter: Longitudinal Study. J Med Internet Res, 2023. 25: p. e42227.
8. Center for Countering Digital Hate. The Disinformation Dozen: Why platforms must act on twelve leading online anti-vaxxers. 2021 01.09.2023]; Available from: https://counterhate.com/wp-content/uploads/2022/05/210324-The-Disinformation-Dozen.pdf.
9. Skafle, I., et al., Misinformation About COVID-19 Vaccines on Social Media: Rapid Review. J Med Internet Res, 2022. 24(8): p. e37367.
10. Gisondi, M.A., et al., A Stanford Conference on Social Media, Ethics, and COVID-19 Misinformation (INFODEMIC): Qualitative Thematic Analysis. J Med Internet Res, 2022. 24(2): p. e35707.
11. Jolley, D. and K.M. Douglas, Prevention is better than cure: Addressing anti-vaccine conspiracy theories. Journal of Applied Social Psychology, 2017. 47(8): p. 459-469.
12. World Health Organization (WHO), WHO policy brief: COVID-19 infodemic management. 2022: Geneva, Switzerland.
13. Jain, S., et al., Empowering Health Care Workers on Social Media to Bolster Trust in Science and Vaccination During the Pandemic: Making IMPACT Using a Place-Based Approach. J Med Internet Res, 2022. 24(10): p. e38949.

Geschlechtsspezifische Unterschiede  der Sportmedizin

Die Sportmedizin schliesst als klassisches Querschnittsfach diverse Themen ein, die geschlechtsspezifische Unterschiede aufweisen und so eine differenzierte Betrachtung erfordern. Evidenzbasierte Forschung gibt es im Bereich der muskuloskelettalen Medizin, z.B. in Bezug auf Kreuzbandverletzungen oder Gehirnerschütterungen. Es zeigen sich auch markante Unterschiede im Bereich der Trainierbarkeit (sowohl muskulär als auch kardial oder pulmonal). Auch Schwangerschaft und Sport ist ein Thema von zunehmendem Interesse. Eine engmaschige, interdisziplinäre Betreuung von Athletinnen, die Kenntnis der physiologischen Veränderungen in der Schwangerschaft und der Kontraindikationen für sportliche Aktivität (v.a. mit höherer Intensität) sind hier unerlässlich. Aspekte der internistischen Sportmedizin mit geschlechtsspezifischen Unterschieden sind Themen wie Eisenmangel oder das relative Energiedefizit (RED-S). Auch bestehen Geschlechtsunterschiede mit Implikationen beispielsweise bezüglich der jährlichen Screening-Untersuchung (sog. Preparticipation Screening).
Schlüsselwörter: Eisenmangel, Gender, Kreuzbandv

Einleitung

Frauen sind keine kleinen Männer («Women are not small men», Stacy Sims) und Kinder sind keine kleinen Erwachsenen [1]. Auf Grund dieser Tatsache ist es sinnvoll, dass beiden Gruppen auch im Zusammenhang mit der Sportmedizin als ein ausgeprägtes Querschnittsfach eine besondere Bedeutung beigemessen wird.
In diesem Artikel sollen die weiterführenden Aspekte in Bezug auf das Thema «Frau und Sport» dargestellt werden. Hierbei soll zuallererst der Fokus auf die muskuloskelettale Sportmedizin sowie weitere Geschlechtsspezifika in Bezug auf Verletzungen (z.B. Schädel-Hirn-Trauma) gerichtet werden. Im Weiteren soll noch das wichtige Thema «Schwangerschaft und Sport» beleuchtet werden. Zudem werden die trainingsphysiologischen bzw. internistischen weiblichen Aspekte der Sportmedizin dargelegt.
Um sich mit dem Thema der geschlechtsspezifischen Medizin auseinander setzen zu können, ist in einem ersten Schritt eine Begriffsdefinition notwendig. Im Englischen unterscheidet man zwischen «Sex» und «Gender», wobei «Sex» die biologischen Geschlechterdifferenzen bezeichnet und «Gender» dagegen die soziokulturelle Prägung auf Grund des Geschlechts. In der deutschen Sprache wird der Begriff «Geschlecht» für beides synonym gebraucht. Wenn in diesem Artikel der Begriff Geschlecht verwendet wird, wird auf die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau Bezug genommen.
Sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der populärwissenschaftlichen Literatur hat das Thema Frau und Sport in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. So hat die Anzahl der veröffentlichten Artikel, die sich spezifisch mit dieser Thematik auseinandersetzt, exponentiell zugenommen. Die Notwendigkeit dieser Entwicklung macht auch die sportliche Entwicklung von Frauen deutlich. Seit 1900 ist der Anteil an Athletinnen bei den olympischen Spielen ständig gewachsen und ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis wurde erstmals in der Historie im Jahr 2020 bei den olympischen Spielen in Tokyo erreicht. Aufgrund der IOC-Vorgaben soll auch bei zukünftigen Olympischen Spielen ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bestehen.

Muskuloskelettale geschlechts­spezifische Sportmedizin

In Bezug auf das muskuloskelettale System zeigen sich einige Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht. So ist z.B. der Q-Winkel (Quadriceps-femoris-Winkel) bei Frauen durchschnittlich grösser. Dieser gilt als Indikator für die Beinachsenstellung und somit die Kraftübertragung und indirekt für die sportliche Leistung [2]. Auch für die Diagnose verschiedener schmerzhafter patellofemoraler Störungen und Erkrankungen hat er klinische Relevanz [3]. Des Weiteren sind Frauen von Erkrankungen wie Arthrose (untere Extremitäten, Omarthrose) und Osteoporose häufiger betroffen als Männer [4, 5, 6]. Bislang gibt es nur begrenzte wissenschaftliche Evidenz in Bezug auf geschlechtsspezifische und in der Sportmedizin relevante Verletzungen, mit Ausnahme von Kreuzbandverletzungen [7, 8, 9, 10, 11, 12, 13] So ist beispielsweise bekannt, dass Frauen unter Berücksichtigung der Sportbeteiligung, des Leistungsniveaus und der Belastung ein 4- bis 8-fach erhöhtes Risiko haben, eine Kreuzbandverletzung zu erleiden [14, 15, 16, 17]. Das ­absolute Risiko einer zweiten Kreuzbandverletzung zeigt einen vernachlässigbaren Unterschied zwischen den Geschlechtern, wobei Frauen eher kontralateral eine erneute Verletzung erleiden und Männer eher ipsilateral [14]. Weibliche Geschlechtshormone scheinen sich hierbei negativ auf den Stoffwechsel und die biomechanischen Eigenschaften des vorderen Kreuzbands auszuwirken, da Östrogen die Steifigkeit der Bänder reduziert und damit die Stabilität von Gelenken beeinflusst [9, 18, 19]. Der Gesamteffekt der zyklischen Schwankungen der weiblichen Geschlechtshormone auf die Verletzungsrate des Kreuzbands ist messbar, allerdings gering, und weitere Studien bezüglich anatomischer,
biomechanischer und neuromuskulärer Effekte sind notwendig [20].
Tag eins des Menstruationszyklus beginnt mit dem 1. Tag der Menstruation und definiert den Beginn der Follikelphase, diese geht nach dem Eisprung (der Ovulation) in die Lutealphase über. Follikel- und Lutealphase können jeweils in frühe und späte Follikel-/Lutealphase eingeteilt werden. Da der Menstruationszyklus durch die zyklischen Schwankungen von Östrogen und Progesteron auch einen Einfluss auf weitere Gewebe (z.B. Muskeln, Sehnen und Bänder) hat, liegt die Vermutung nahe, dass auch andere Verletzungen in ihrer Art und Häufigkeit durch die hormonellen Ver­änderungen beeinflusst werden können [9, 19, 21]. So variiert die Häufigkeit von Verletzungen über den eumenorrhoischen Menstruationszyklus hinweg, je nach Art der ­Verletzung oder dem betroffenen Gewebe. So wurde beispielsweise nachgewiesen, dass Muskel- und Sehnenverletzungen in der späten Follikelphase fast doppelt so häufig auftreten wie in der frühen Follikel- oder Lutealphase [9]. Es besteht jedoch ein Bedarf an weiteren Studien zur Erlangung von solideren wissenschaftlichen Erkenntnissen über andere Verletzungen als die des vorderen Kreuzbands.
Athletinnen scheinen ausserdem einem grösseren Risiko für Gehirnerschütterungen ausgesetzt zu sein und länger als Männer unter den Symptomen wie z.B. Kopfschmerzen, Schwindel, Licht- und Geräuschempfindlichkeit oder auch Konzentrationsstörungen zu leiden [22, 23]. Dabei spielt auch der weibliche Zyklus eine Rolle. In der Lutealphase, wenn der Progesteronspiegel am höchsten ist, zeigen sich ausgeprägtere Symptome einer Commotio als in den anderen Zyklusphasen [24, 25].
Biomechanische Aspekte, die zu der höheren Anfälligkeit von Athletinnen für Gehirnerschütterungen beitragen, sind der kürzere Nacken von Athletinnen, ein geringeres Gewicht des Kopfes und ein schmalerer Halsumfang im Vergleich zu den männlichen Pendants [24]. Diese anatomischen Unterschiede führen zu einem weniger kräftigen Nacken und einer grösseren Kopf-Hals-Beschleunigung bei Stössen [24]. Ausserdem scheinen Sport­lerinnen eine geringere Toleranz für lineare Kopfstöße zu haben als männliche Athleten [24].

Schwangerschaft und Sport

Die derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse über sportartspezifische Empfehlungen für Leistungs- und Spitzensportlerinnen während der Schwangerschaft sind spärlich. Auch die Auswirkungen intensiver sportlicher Betätigung während der Schwangerschaft und im Wochenbett sind sowohl bei Freizeit- als auch bei Spitzensportlerinnen nur wenig erforscht [26, 27]. Aktuelle Empfehlungen für schwangere Spitzensportlerinnen beruhen in erster Linie auf Expertenmeinungen und somit auf limitierter Evidenz [28, 29]. Klinische Empfehlungen in Bezug auf Häufigkeit, Intensität, Umfang und Art der körperlichen Aktivität ­können nur individuell unter genauer Beobachtung des mütterlichen und kindlichen Wohlbefindens abgeleitet werden [30, 31].
Entsprechende Kontraindikationen für körperliche Aktivität müssen hier berücksichtigt werden [31, 32]. Risikosportarten, bei denen das mütterliche Verletzungsrisiko (z.B. Stürze oder Schläge auf den Bauch) erhöht ist oder die Mutter gegenüber extremen Umweltbedingungen (vor allem heisses und feuchtes Klima) exponiert wird, sind zu meiden. Beispielsweise steigt das Risiko für fetale Neuralrohrdefekte bei erhöhter Körpertemperatur (über 39 °C) [33, 34, 35, 36, 37, 38]. Schwangeren wird empfohlen, die sportliche Aktivität bei warmen und feuchten Temperaturen anzupassen oder zu vermeiden, um eine Erhöhung der Körpertemperatur auf über 39 °C zu vermeiden [33, 34, 35, 36, 37, 38]. In einem Review von Ravanelli et al. konnte ­allerdings gezeigt werden, dass bei einem intensiven Ausdauertraining (≈ 90 % HFmax) bis zu 35 min bei einer Lufttemperatur von bis zu 25 °C und 45 % relativer Luftfeuchtigkeit die Kerntemperatur von 39,0 °C nicht erreicht respektive überschritten wurde [33].
Trotzdem sind aller Wahrscheinlichkeit nach auch hohe Trainingsumfänge und intensive Belastung während der Schwangerschaft möglich, wie einzelne Beispiele von erfolgreichen Spitzensportlerinnen zeigen [39]. Bei Belastungen mit Ansteigen der mütterlichen Herzfrequenz über 90 % vom Maximum scheint jedoch Vorsicht geboten zu sein, da hier ein Abfall des mittleren Blutflusses der Arteria uterina mit einem konsekutiven Abfall der fetalen Herzfrequenz beobachtet werden konnte [40]. Hierbei ist der Abfall der fetalen Herzfrequenz als Surrogatparameter für einen fetalen Stress durch z.B. Hypoperfusion zu deuten. Allerdings normalisierten sich die Werte zügig nach Sistieren der sportlichen Aktivität und mögliche langfristige Folgen sind unklar [40]. Das Valsalva-Manöver während Krafttrainingseinheiten scheint keine nachteiligen Wirkungen auf die fetale Blutversorgung zu haben [41, 42]. Hinsichtlich Übungen in Rückenlage gibt es keine suffiziente wissenschaftliche Evidenz [43]. Bei Auftreten von Unwohlsein, Schwindel oder ähnlichen Beschwerden sollte eine Alternative zur Rückenlage gewählt werden.
Ein weiteres vernachlässigtes häufiges und belastendes Beschwerdebild der Sportmedizin, das allerdings nicht nur schwangere Athletinnen betrifft, sind Beckenbodendysfunktionen, die z.B. in Harninkontinenz resultieren [44]. Es ist bekannt, dass die Prävalenz der Harninkontinenz im Sport unterschätzt wird [45], und je nach Sportart bis zu 80 % der (nicht schwangeren) Sportlerinnen betroffen sein können [46]. Nach einer Geburt sind die häufigsten Beckenbodendysfunktionen Urininkontinenz, Stuhlinkontinenz und ein Beckenorganprolaps [47]. Ein frühzeitiges, systematisches Beckenbodentraining in der Frühschwangerschaft bei kontinenten Frauen kann das Auftreten von Urininkontinenz in der späten Schwangerschaft sowie postpartal vorbeugen [48]. Es gibt einige Hinweise darauf, dass anstrengende körperliche Aktivität (z.B. Gewichtheben, High-impact-Sportarten) einen Beckenorganprolaps verursachen und verschlimmern kann, aber die Daten hierzu sind widersprüchlich [49]. Instrumentelle Entbindungen oder Episiotomien sowie Verletzungen des M. levator ani können allerdings das Risiko für einen Beckenorganprolaps um bis zu 50 % erhöhen [50, 51]. Wie sich der Zeitpunkt der Rückkehr zu anstrengender körperliche Aktivität respektive zum Leistungssport nach der Geburt auf Beckenbodendysfunktionen ist unklar [47].

Trainierbarkeit von Frauen und Männern

Ausdauer/kardiopulmonale Trainierbarkeit

Bei untrainierten Individuen zeigt sich bei Männern im Vergleich zu Frauen eine ausgeprägtere Verbesserung der absoluten und relativen maximalen Sauerstoffaufnahme VO2max auf einen Ausdauertrainingsreiz, was auf das ­Vorhandensein eines Geschlechtsdimorphismus bei der Trainierbarkeit der aeroben Kapazität hindeutet [52]. Dabei wurden 3–6 Trainingseinheiten pro Woche mit einer ca. 30–60-minütigen Dauer über 5 bis 52 Wochen durchgeführt [52]. Die wichtigsten funktionellen Anpassungen des linken Ventrikels an Ausdauertraining (z.B. erhöhte Füllung und Schlagvolumen) sind bei Frauen im Vergleich zu Männern um ca. zwei Drittel geringer ausgeprägt. Die Hypertrophiereaktion des linken Ventrikels (gemessen mittels der absoluten linksventrikulären Masse) auf einen Ausdauer-Trainingsreiz (3–6 Trainingseinheiten/Woche, 0,4–3,2 h/Einheit über 12–52 Wochen) ist aber bei beiden Geschlechtern ähnlich [52, 53].
In einer Übersichtsarbeit konnte eine minimal redu­zierte Leistungsfähigkeit in der frühen Follikelphase im Vergleich zu allen anderen Zyklusphasen nachgewiesen werden [54]. Dies kann allerdings interindividuell stark variieren. Studien, die die Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit vom Menstruationszyklus untersucht haben, weisen oft methodische Mängel auf [55, 56]. Daher wird für ambitionierte Athletinnen empfohlen, ein individuelles Zyklus-Monitoring durchzuführen und entsprechend der persönlichen Leistungsfähigkeit das Training zu steuern [54]. In Zukunft wäre das Erstellen von individuellen Hormon­profilen von Sportlerinnen eine Option, um diese mit ­Leistungsmerkmalen (z.B. Kraft und plyometrische Fähigkeiten), Verletzungen und Trainingsreaktionen in Korrelation setzen zu können [57].
Der Durchmesser der Atemwege, das Lungenvolumen, der maximale exspiratorische Fluss und die Diffusionsfläche der Alveolen sind bei Frauen kleiner als bei Männern [58]. Bei hohem Atemminutenvolumen sind die mechanische Atemarbeit sowie die Sauerstoffkosten der Atmung bei Männern geringer [59]. Daten deuten aber darauf hin, dass die Reaktion des pulmonalen Kapillarblutvolumens und der Diffusionskapazität bei einer steigenden Belastung bei gesunden Frauen und
Männern proportional zur Lungengrösse ist [60]. Dennoch haben Männer typischerweise eine höhere absolute und relative VO2max aufgrund von Geschlechtsunterschieden, die nicht mit dem Lungensystem zusammenhängen (d.h. Unterschiede in der Hämoglobinmasse) [61].

Kraft/muskuläre Trainierbarkeit

Männer haben aufgrund des Testosteron-induzierten Muskelwachstums nach der Pubertät eine um ca. 40 % grössere Skelettmuskelmasse als Frauen und eine daraus resultierende höhere Maximalkraft [62, 63, 64, 65, 66]. Frauen haben in der Regel ein geringeres Körpergewicht und eine geringere Magermasse, einen höheren Körperfettanteil und eine kleinere Querschnittsfläche der Muskelfasern mit einer proportional grösseren Fläche von Typ-I-Muskelfasern [67]. Daher sind Kapillarisierung, mitochondriale Atmungskapazität und Ermüdungswiderstand grösser [59]. Die absolute Hypertrophie und der Kraftzuwachs ist bei Männern nach Krafttraining grösser als bei Frauen [67]. In einem systematischen Review und Metaanalyse konnte aber gezeigt werden, dass die rela­tiven Zuwächse bei der Muskulatur und der Kraft im unteren Körperbereich zwischen den Geschlechtern ähnlich sind, während die relativen Zuwächse bei der Kraft im oberen Körperbereich bei Frauen grösser sein könnten [67]. Limitierend ist, dass sich die Daten vorwiegend auf nicht trainierte Populationen beziehen.
Auch in Bezug auf Adaptationen an Krafttraining scheint der Menstruationszyklus einen Einfluss zu haben. In einigen Studien konnte gezeigt werden, dass bei einem Follikelphasen-basiertem Training ein grösserer Kraft­zuwachs und ein stärkeres Muskelwachstum erreicht werden kann als bei einem Krafttraining unabhängig von der Zyklusphase [68, 69, 70, 71], wobei hier die Studienlage nicht eindeutig ist [72, 73]. Grössere, gut kontrollierte und methodisch korrekte Studien sind hier erforderlich, um eine valide, evidenzbasierte Aussage machen zu können.

Aspekte der internistischen Sportmedizin

Plötzlicher Herztod

Obwohl, wie bereits erwähnt, beide Geschlechter eine ähnliche linksventrikuläre Hypertrophiereaktion als Anpassung auf Ausdauertraining aufweisen, haben Männer ein bis zu 7,5-fach höheres Risiko für das Auftreten eines plötzlichen Herztodes, und dies bereits auch im jüngeren Lebensalter (ab ca. dem 14. Lebensjahr) [74, 75]. Die linksventrikuläre Hypertrophiereaktion an sich ist kein Risikofaktor für das Auftreten eines plötzlichen Herztodes, da sie einem physiologischen Remodelling entspricht [76]. Allerdings führt die Hypertrophiereaktion dazu, dass physio­logische Veränderungen schwieriger von pathologischen zu unterscheiden sind, z.B. die Unterscheidung zwischen einem Athletenherz und einer früher Form der Kardiomyopathie (meist HCM) [76]. Die Mechanismen und ­Risikomarker des plötzlichen Herztodes sind bei Frauen weniger gut definiert [77]. Frauen scheinen zum Zeitpunkt eines plötzlichen Herztodes älter als Männer zu sein, Ur­sachen sind dabei häufiger nicht-ischämischer Genese [77]. Das Screening bei Athletinnen ist anspruchsvoller, da Frauen bei einer nicht-ischämischen Ursache vorher häufiger ein normales EKG aufweisen und auch die sonstigen Screening-Untersuchungen wie Echokardiografie oder Belastungs-EKG meist unauffällig sind [77].

Eisenmangel mit oder ohne Anämie

Eisenmangel und Eisenmangelanämien sind im Leistungssport ein häufiges Problem und oft auf Grund des hohen Bedarfes und schlechter tolerierten höheren Sub­stitutionsdosen schwer zu behandeln [78, 79]. Weibliche Athletinnen haben aufgrund ihrer Menstruation und dem damit verbundenen Blutverlust tendenziell einen tieferen Serumferritinspiegel, und die Inzidenz von Eisenmangel bei Athletinnen beträgt zwischen 20 und 50 % [80, 81, 82, 83]. Eine Eisenmangelanämie zeigt sich weniger häufig mit 10–15 % bei Athletinnen, Athleten sind nur selten betroffen [84]. Eine ausreichende Eisensubstitution spielt hier bei beiden Geschlechtern eine wichtige Rolle, da die Leistungsfähigkeit von AthletInnen bereits auch ohne die klinische Konstellation einer Anämie beeinträchtigt sein kann. Dies beruht darauf, dass Eisen auch in der Atmungskette eine wichtige Rolle spielt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Eisenresorption durch erhöhte Trainingsvolumina und hochintensive Trainingseinheiten reduziert sein und vor allem bei Läufern (Kurz-, Mittel-Lang- und Ultra-LangstreckenläuferInnen) eine erhebliche belastungs­bedingt Hämolyse vorliegen kann [85, 86]. Zur Prävention eines Eisenmangels ist die ausreichende Zufuhr von Eisen über die Nahrung, aber auch eine adäquate Kalorien­zufuhr, um eine ausgeglichene Energiebalance erreichen zu können, essenziell [78, 87]. Die orale Eisensupplementierung ist zusätzlich oft unumgänglich und zeigt den grössten ­Effekt, wenn das Eisen alternierend jeden 2. Tag morgens vor dem Training eingenommen wird, auch gastrointestinale Nebenwirkungen lassen sich so reduzieren [85, 88]. Bei der Einnahme muss beachtet werden, dass zahlreiche Inhibitoren wie Phytate, Polyphenole, Calcium sowie Zink und Mangan die Absorption vermindern [79]. Vitamin C, Carotinoide und fermentierte Lebensmittel wirken hin­gegen als Promotoren der Eisenaufnahme im Darm [79].

Relatives Energiedefizit im Sport (RED-S)

Nicht nur in Bezug auf einen möglichen Eisenmangel ist eine ausgeglichene Energiebilanz von grösster Wichtigkeit. Das relative Energiedefizit im Sport (kurz: RED-S) entsteht durch eine unzureichende Kalorienzufuhr und/ oder einen übermässigen Kalorienverbrauch und kann diverse physiologische Prozesse wie den Stoffwechsel, die Menstruation, den Knochenstoffwechsel, das Immunsystem, die kardiovaskuläre und psychologische Gesundheit sowie weitere betreffen [87, 89, 90]. Das RED-S wurde durch das IOC an das frühere Konzept der «Female Athlete Triad» (FAT) adaptiert [87]. Ergänzend zum Syndrom der FAT mit den Symptomen der Zyklusstörung, Knochendichteminderung und Essstörung werden hier weitere Auswirkungen und Zusammenhänge aufgeführt [90]. Auch männliche Athleten sind betroffen, wobei die Prävalenz hier deutlich tiefer liegt [90]. Um ein RED-S be­handeln zu können, ist ein multidisziplinäres Team von Medizinnerinnen und Medizinern sowie Athletenbetreuerinnen und -betreuern notwendig [90]. Vor allem aber die Prävention und frühzeitige Erkennung des RED-S sind von enormer Wichtigkeit, um Folgeschäden vermeiden zu können. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf das Erreichen einer ausgeglichenen Energiebilanz [90].

Fazit

Die Sportmedizin als Querschnittsfach umfasst diverse geschlechtsspezifische Themen im Bereich der muskulo­skelettalen Medizin, der internistischen Medizin, der Trainierbarkeit und im Rahmen einer Schwangerschaft und postpartal Periode.
Sowohl in der praktischen Arbeit als auch in der Forschung werden geschlechtsspezifische Unterschiede häufig vernachlässigt, da sowohl das Wissen als auch das ­Bewusstsein hierfür teilweise noch nicht gefestigt sind. Dabei sollten diese Unterschiede in der Prävention, der Diagnostik, bei Krankheits-/Verletzungsverläufen und auch in der Therapie und von Athletinnen berücksichtigt werden, um somit deren optimale Betreuung gewährleisten zu können. Auch hinsichtlich eines Preparticipation Screenings müsste ein Umdenken stattfinden.

Im Artikel verwendete Abkürzungen
FAT Female Athlete Triad
HFmax Maximale Herzfrequenz
IOC International Olympic Committee
Q-Winkel Quadriceps-femoris-Winkel
RED-S Relatives Energie Defizit im Sport
VO2max Maximale Sauerstoffaufnahmekapazität in ml/min/kg

Dr. med. Nora Wieloch

Universitätsklinik Balgrist
Universitäres Zentrum für Prävention und Sportmedizin
Forchstrasse 319
8008 Zürich
Schweiz

nora.wieloch@balgrist.ch

Historie
Manuskript eingereicht: 19.12.2022
Nach Revision angenommen: 30.01.2023

Interessenskonflikte
Es bestehen keine Interessenskonflikte.

ORCID
Nora Wieloch
https://orcid.org/0000-0001-8658-0760

  • Das Risiko für Kreuzbandverletzungen bei Frauen ist 4–8-fach erhöht, wobei die Evidenz hinsichtlich ­weiterer geschlechtsspezifischer Verletzungen begrenzt ist.
  • Urininkontinenz und die damit verbundenen Einschränkungen ist ein in der Sportmedizin stark unterschätztes Krankheitsbild.
  • Athletinnen und Athleten zeigen eine ähnliche linksventrikuläre Hypertrophie als Anpassung auf ein Ausdauertraining.
  • Das relative Energiedefizit im Sport ist ein häufiges Krankheitsbild, das negative Auswirklungen sowohl auf die unmittelbare Leistungsfähigkeit, aber auch auf die längerfristige Gesundheit von Athletinnen und auch Athleten hat.

Lernfragen
1. Welche Aussage zu Verletzungen bei Athletinnen ist falsch?
a) Das Risiko einer zweiten Kreuzbandverletzung ist bei Frauen und Männern gleich.
b) Athletinnen haben eine geringere Toleranz gegenüber linearen Kopfstössen als Athleten.
c) Die Symptome einer Gehirnerschütterung zeigen bei Athletinnen in der Follikelphase eine grössere Ausprägung.
d) Der Gesamteffekt der zyklischen Schwankungen der weiblichen Geschlechtshormone auf die Verletzungsrate des Kreuzbands ist gering.
e) Die Häufigkeit von Verletzungen variiert über den eumenorrhoischen Menstruationszyklus hinweg.

2. Welche Aussage ist falsch?
a) Die Erhöhung der Füllung und des Schlagvolumens des linken Ventrikels als Anpassung auf regel­mässiges Ausdauertraining ist bei Frauen und Männern gleich ausgeprägt.
b) Männer sind häufiger von plötzlichem Herztod betroffen als Frauen.
c) Der Serumferritinspiegel ist bei Athletinnen in der Regel tiefer als bei Athleten.
d) Die Leistungsfähigkeit von AthletInnen kann bereits auch ohne Symptome eines Eisenmangels und ohne Anämie beeinträchtigt sein.
e) Bei einem relativen Energiedefizit im Sport sind verschiedene physiologische Körperfunktionen betroffen, wie z.B. das Immunsystem oder der Stoffwechsel.

Antworten zu den Lernfragen
1. Antwort c) ist richtig.
2. Antwort a) ist richtig.

1. Sims TS. ROAR. Emmaus, USA; Rodale: 2016.
2. Daugherty HJ, Weiss LW, Paquette MR, et al. Potential Predictors of Vertical Jump Performance: Lower Extremity Dimensions and Alignment, Relative Body Fat, and Kinetic Variables. J Strength Cond Res. 2021;35(3):616–625. DOI: 10.1519/JSC.0000000000003962.
3. Khasawneh RR, Allouh MZ, Abu-El-Rub E. Measurement of the quadriceps (Q) angle with respect to various body parameters in young Arab population. PLoS One. 2019;14(6):e0218387. DOI: 10.1371/journal.pone.0218387.
4. Xu Y, Wu Q. Trends and disparities in osteoarthritis prevalence among US adults, 2005–2018. Sci Rep. 2021;11(1):21845. DOI: 10.1038/s41598-021-01339-7.
5. Nakagawa Y, Hyakuna K, Otani S, et al. Epidemiologic study of glenohumeral osteoarthritis with plain radiography. J Shoulder Elbow Surg. 1999;8(6):580–584. DOI: 10.1016/s1058-27 46(99)90093-9.
6. Ärztliche Behandlung: Osteoporose nach Alter, Geschlecht, Sprachgebiet, Bildungsniveau. Neuchâtel; Bundesamt für Statistik: 2012. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/tabellen.assetdetail.262768.html; letzter Zugriff: 09.01.2023.
7. Forouzandeh Shahraki S, Minoonejad H, Moghadas Tabrizi Y. Comparison of some intrinsic risk factors of shoulder injury in three phases of menstrual cycle in collegiate female athletes. Phys Ther Sport. 2020;43:195–203. DOI: 10.1016/j.ptsp.2020.02.010.
8. La Fountaine MF, Hill-Lombardi V, Hohn AN, et al. Preliminary Evidence for a Window of Increased Vulnerability to Sustain a Concussion in Females: A Brief Report. Front Neurol. 2019; 10:691. DOI: 10.3389/fneur.2019.00691.
9. Martin D, Timmins K, Cowie C, et al. Injury Incidence Across the Menstrual Cycle in International Footballers. Front Sports Act Living. 2021;3(17) DOI: 10.3389/fspor.2021.616999.
10. Hollander K, Rahlf AL, Wilke J, et al. Sex-Specific Differences in Running Injuries: A Systematic Review with Meta-Analysis and Meta-Regression. Sports Med. 2021;51(5):1011–1039. DOI: 10.1007/s40279-020-01412-7.
11. Soligard T, Steffen K, Palmer D, et al. Sports injury and illness incidence in the Rio de Janeiro 2016 Olympic Summer Games: A prospective study of 11274 athletes from 207 countries. Br J Sports Med. 2017;51(17):1265–1271. DOI: 10.1136/bjsports- 2017-097956.
12. Edouard P, Feddermann-Demont N, Alonso JM, et al. Sex differences in injury during top-level international athletics championships: surveillance data from 14 championships between 2007 and 2014. Br J Sports Med. 2015;49(7):472–477. DOI: 10.1136/bjsports-2014-094316.
13. Bere T, Florenes TW, Nordsletten L, et al. Sex differences in the risk of injury in World Cup alpine skiers: a 6-year cohort study. Br J Sports Med. 2014;48(1):36–40. DOI: 10.1136/bjsports- 2013-092206.
14. Patel AD, Bullock GS, Wrigley J, et al. Does sex affect second ACL injury risk? A systematic review with meta-analysis. Br J Sports Med. 2021;55(15):873–882. DOI: 10.1136/bjsports-2020-103408.
15. Gornitzky AL, Lott A, Yellin JL, et al. Sport-Specific Yearly Risk and Incidence of Anterior Cruciate Ligament Tears in High School Athletes: A Systematic Review and Meta-analysis. Am J Sports Med. 2016;44(10):2716–2723. DOI: 10.1177/0363546515617742.
16. Montalvo AM, Schneider DK, Yut L, et al. “What’s my risk of sustaining an ACL injury while playing sports?” A systematic review with meta-analysis. Br J Sports Med. 2019;53(16):1003–1012. DOI: 10.1136/bjsports-2016-096274.
17. Montalvo AM, Schneider DK, Webster KE, et al. Anterior Cruciate Ligament Injury Risk in Sport: A Systematic Review and Meta-Analysis of Injury Incidence by Sex and Sport Classification. J Athl Train. 2019;54(5):472–482. DOI: 10.4085/1062-6050-407-16.
18. Smith HC, Vacek P, Johnson RJ, et al. Risk factors for anterior cruciate ligament injury: a review of the literature-part 2: hormonal, genetic, cognitive function, previous injury, and extrinsic risk factors. Sports Health. 2012;4(2):155–161. DOI: 10. 1177/1941738111428282.
19. Chidi-Ogbolu N, Baar K. Effect of Estrogen on Musculoskeletal Performance and Injury Risk. Front Physiol. 2018;9:1834. DOI: 10.3389/fphys.2018.01834.
20. Somerson JS, Isby IJ, Hagen MS, et al. The Menstrual Cycle May Affect Anterior Knee Laxity and the Rate of Anterior Cruciate Ligament Rupture: A Systematic Review and Meta-Analysis. JBJS Rev. 2019;7(9):e2. DOI: 10.2106/JBJS.RVW.18.00198.
21. Herzberg SD, Motu’apuaka ML, Lambert W, et al. The Effect of Menstrual Cycle and Contraceptives on ACL Injuries and Laxity: A Systematic Review and Meta-analysis. Orthop J Sports Med. 2017;5(7): 2325967117718781. DOI: 10.1177/2325967117718781.
22. Bretzin AC, Covassin T, Wiebe DJ, et al. Association of Sex With Adolescent Soccer Concussion Incidence and Characteristics. JAMA Netw Open. 2021;4(4):e218191. DOI: 10.1001/jamanet workopen.2021.8191.
23. Alsalaheen B, Almeida A, Eckner J, et al. Do male and female adolescents report symptoms differently after concussion? Brain Inj. 2021;35(6):698–704. DOI: 10.1080/02699052.2021.1896034.
24. McGroarty NK, Brown SM, Mulcahey MK. Sport-Related Concussion in Female Athletes: A Systematic Review. Orthop J Sports Med. 2020; 8(7):2325967120932306. DOI: 10.1177/232 5967120932306.
25. Wunderle K, Hoeger KM, Wasserman E, et al. Menstrual phase as predictor of outcome after mild traumatic brain injury in women. J Head Trauma Rehabil. 2014;29(5):E1–E8. DOI: 10. 1097/ HTR. 0000000000000006.
26. Bo K, Artal R, Barakat R, et al. Exercise and pregnancy in recreational and elite athletes: 2016/17 evidence summary from the IOC expert group meeting, Lausanne. Part 4-Recommendations for future research. Br J Sports Med. 2017;51(24):1724–1726. DOI: 10.1136/bjsports-2017-098387.
27. Wieloch N, Klostermann A, Kimmich N, et al. Sport and exercise recommendations for pregnant athletes: a systematic scoping review. BMJ Open Sport Exerc Med. 2022;8(4): e001395. DOI: 10.1136/bmjsem-2022-001395.
28. Bo K, Artal R, Barakat R, et al. Exercise and pregnancy in recreational and elite athletes: 2016 evidence summary from the IOC expert group meeting, Lausanne. Part 1-exercise in women planning pregnancy and those who are pregnant. Br J Sports Med. 2016;50(10):571–589. DOI: 10.1136/bjsports-2016-096218.
29. Meah VL, Davies GA, Davenport MH. Why can’t I exercise during pregnancy? Time to revisit medical ‘absolute’ and ‘relative’ contraindications: systematic review of evidence of harm and a call to action. Br J Sports Med. 2020;54(23):1395–1404. DOI: 10.1136/bjsports-2020-102042.
30. Bo K, Artal R, Barakat R, et al. Exercise and pregnancy in recreational and elite athletes: 2016/2017 evidence summary from the IOC expert group meeting, Lausanne. Part 5. Recommendations for health professionals and active women. Br J Sports Med. 2018;52(17):1080–1085. DOI: 10.1136/bjsports-2018-099351.
31. Wieloch N, Kimmich N, Spörri J, et al. Leistungssport und Schwan­gerschaft – aktuelle Empfehlungen und Güte der aktuellen Evidenzlage. SEMS. 2020;68(4):17–23. DOI: 10.34045/SEMS/2020/44.
32. Physical Activity and Exercise During Pregnancy and the Postpartum Period: ACOG Committee Opinion, Number 804. Obstet Gyne­col. 2020;135(4):e178–e188. DOI: 10.1097/AOG.0000000000003772.
33. Ravanelli N, Casasola W, English T, et al. Heat stress and fetal risk. Environmental limits for exercise and passive heat stress during pregnancy: a systematic review with best evidence synthesis. Br J Sports Med. 2019;53(13):799–805. DOI: 10.1136/bjsports- 2017-097914.
34. Chambers CD. Risks of hyperthermia associated with hot tub or spa use by pregnant women. Birth Defects Res A Clin Mol Teratol. 2006;76(8):569–573. DOI: 10.1002/bdra.20303.
35. Shaw GM, Todoroff K, Velie EM, et al. Maternal illness, including fever and medication use as risk factors for neural tube defects. Teratology. 1998;57(1):1–7. DOI: 10.1002/(SICI)1096–9926(199801) 57:1<1::AID-TERA1>3.0.CO;2-6.
36. Andersen AM, Vastrup P, Wohlfahrt J, et al. Fever in pregnancy and risk of fetal death: a cohort study. Lancet. 2002;360(9345):
1552–1556. DOI: 10.1016/S0140-6736(02)11518-2.
37. Milunsky A, Ulcickas M, Rothman KJ, et al. Maternal heat exposure and neural tube defects. JAMA. 1992;268(7):882–885.
38. Soultanakis-Aligianni HN. Thermoregulation during exercise in pregnancy. Clin Obstet Gynecol. 2003;46(2):442–455. DOI: 10. 1097/00003081-200306000-00023.

39. Solli GS, Sandbakk O. Training Characteristics During Pregnancy and Postpartum in the World’s Most Successful Cross Country Skier. Front Physiol. 2018;9:595. DOI: 10.3389/fphys.2018.00595.
40. Salvesen KA, Hem E, Sundgot-Borgen J. Fetal wellbeing may be compromised during strenuous exercise among pregnant elite athletes. Br J Sports Med. 2012;46(4):279–283. DOI: 10.1136/ bjsm.2010.080259.
41. Gould S, Cawyer C, Dell’Italia L, et al. Resistance Training Does Not Decrease Placental Blood Flow During Valsalva Maneuver: A Novel Use of 3D Doppler Power Flow Ultrasonography. Sports Health. 2021;13(5):476–81. DOI: 10.1177/19417381211000717.
42. Prevett C, Kimber ML, Forner L, et al. Impact of heavy resistance training on pregnancy and postpartum health outcomes. Int Urogynecol J. 2022. DOI: 10.1007/s00192–022–05393–1.
43. Mottola MF, Nagpal TS, Bgeginski R, et al. Is supine exercise associated with adverse maternal and fetal outcomes? A systematic review. Br J Sports Med. 2019;53(2):82–89. DOI: 10.1136/bjsports- 2018-099919.
44. Moossdorff-Steinhauser HFA, Berghmans BCM, Spaanderman MEA, et al. Prevalence, incidence and bothersomeness of urinary incontinence in pregnancy: a systematic review and meta-analysis. International Urogynecology Journal. 2021. DOI: 10.1007/s00192-020-04636-3.
45. Casey EK, Temme K. Pelvic floor muscle function and urinary incontinence in the female athlete. The Physician and sportsmedicine. 2017;45(4):399–407. DOI: 10.1080/00913847.2017.1372677.
46. Rebullido TR, Gomez-Tomas C, Faigenbaum AD, et al. The Prevalence of Urinary Incontinence among Adolescent Female Athletes: A Systematic Review. J Funct Morphol Kinesiol. 2021;6(1) DOI: 10.3390/jfmk6010012.
47. Bo K, Artal R, Barakat R, et al. Exercise and pregnancy in recreational and elite athletes: 2016/17 evidence summary from the IOC Expert Group Meeting, Lausanne. Part 3-exercise in the postpartum period. Br J Sports Med. 2017;51(21):1516–1525. DOI: 10.1136/bjsports-2017-097964.
48. Woodley SJ, Lawrenson P, Boyle R, et al. Pelvic floor muscle training for preventing and treating urinary and faecal incontinence in antenatal and postnatal women. Cochrane Database Syst Rev. 2020;5(5):CD007471. DOI: 10.1002/14651858.CD007471.pub4.
49. Bo K, Nygaard IE. Is Physical Activity Good or Bad for the Female Pelvic Floor? A Narrative Review. Sports Med. 2020;50(3): 471–484. DOI: 10.1007/s40279-019-01243-1.
50. Hagen S, Stark D. Conservative prevention and management of pelvic organ prolapse in women. Cochrane Database Syst Rev. 2011(12):CD003882. DOI: 10.1002/14651858.CD003882.pub4.
51. Dietz HP, Simpson JM. Levator trauma is associated with pelvic organ prolapse. BJOG. 2008;115(8):979–984. DOI: 10.1111/
j.1471-0528.2008.01751.x.
52. Diaz-Canestro C, Montero D. Sex Dimorphism of VO2max Trainability: A Systematic Review and Meta-analysis. Sports Med. 2019; 49(12):1949–1956. DOI: 10.1007/s40279-019-01180-z.
53. Diaz-Canestro C, Montero D. The Impact of Sex on Left Ventricular Cardiac Adaptations to Endurance Training: a Systematic Review and Meta-analysis. Sports Med. 2020;50(8):1501–1513. DOI: 10.1007/s40279-020-01294-9.
54. McNulty KL, Elliott-Sale KJ, Dolan E, et al. The Effects of Menstrual Cycle Phase on Exercise Performance in Eumenorrheic Women: A Systematic Review and Meta-Analysis. Sports Med. 2020. DOI: 10.1007/s40279-020-01319-3.
55. Janse DEJX, Thompson B, Han A. Methodological Recommendations for Menstrual Cycle Research in Sports and Exercise. Med Sci Sports Exerc. 2019;51(12):2610–2617. DOI: 10.1249/MSS. 0000000000002073.
56. Elliott-Sale KJ, Minahan CL, de Jonge X, et al. Methodological Considerations for Studies in Sport and Exercise Science with Women as Participants: A Working Guide for Standards of Practice for Research on Women. Sports Med. 2021;51(5):843–861. DOI: 10.1007/s40279-021-01435-8.
57. Meignie A, Duclos M, Carling C, et al. The Effects of Menstrual Cycle Phase on Elite Athlete Performance: A Critical and Systematic Review. Front Physiol. 2021;12:654585. DOI: 10.3389/fphys. 2021.654585.
58. LoMauro A, Aliverti A. Sex differences in respiratory function. Breathe (Sheff). 2018;14(2):131–140. DOI: 10.1183/20734735.000318.
59. Ansdell P, Thomas K, Hicks KM, et al. Physiological sex differences affect the integrative response to exercise: acute and chronic implications. Exp Physiol. 2020;105(12):2007–2021. DOI: 10.1113/ EP088548.
60. Bouwsema MM, Tedjasaputra V, Stickland MK. Are there sex differences in the capillary blood volume and diffusing capacity response to exercise? J Appl Physiol (1985). 2017;122(3):460–469. DOI: 10.1152/japplphysiol.00389.2016.
61. Joyner MJ. Physiological limits to endurance exercise performance: influence of sex. J Physiol. 2017;595(9):2949–2954. DOI: 10.1113/JP272268.
62. McCarthy HD, Samani-Radia D, Jebb SA, et al. Skeletal muscle mass reference curves for children and adolescents. Pediatr Obes. 2014;9(4):249–259. DOI: 10.1111/j.2047-6310.2013.00168.x.
63. Ivey FM, Tracy BL, Lemmer JT, et al. Effects of strength training and detraining on muscle quality: age and gender comparisons. J Gerontol A Biol Sci Med Sci. 2000;55(3):B152–B157; discussion B8–B9. DOI: 10.1093/gerona/55.3.b152.
64. Lindle RS, Metter EJ, Lynch NA, et al. Age and gender comparisons of muscle strength in 654 women and men aged 20–93 yr. J Appl Physiol (1985). 1997;83(5):1581–1587. DOI: 10.1152/jappl.1997.83.5.1581.
65. Miller AE, MacDougall JD, Tarnopolsky MA, et al. Gender differences in strength and muscle fiber characteristics. Eur J Appl Physiol Occup Physiol. 1993;66(3):254–262. DOI: 10.1007/BF00235103.
66. Welle S, Tawil R, Thornton CA. Sex-related differences in gene expression in human skeletal muscle. PLoS One. 2008;3(1):
e1385. DOI: 10.1371/journal.pone.0001385.
67. Roberts BM, Nuckols G, Krieger JW. Sex Differences in Resistance Training: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Strength Cond Res. 2020;34(5):1448–1460. DOI: 10.1519 JSC.0000000000003521.
68. Sung E, Han A, Hinrichs T, et al. Effects of follicular versus luteal phase-based strength training in young women. Springerplus. 2014;3:668. DOI: 10.1186/2193-1801-3-668.
69. Wikstrom-Frisen L, Boraxbekk CJ, Henriksson-Larsen K. Effects on power, strength and lean body mass of menstrual/oral contraceptive cycle based resistance training. J Sports Med Phys Fitness. 2017;57(1–2):43–52. DOI: 10.23736/S0022-4707.16.05848-5.
70. Tenan MS, Hackney AC, Griffin L. Maximal force and tremor changes across the menstrual cycle. Eur J Appl Physiol. 2016; 116(1):153–160. DOI: 10.1007/s00421-015-3258-x.
71. Kissow J, Jacobsen KJ, Gunnarsson TP, et al. Effects of Follicular and Luteal Phase-Based Menstrual Cycle Resistance Training on Muscle Strength and Mass. Sports Med. 2022;52(12):2813–2819. DOI: 10.1007/s40279-022-01679-y.
72. Kubo K, Miyamoto M, Tanaka S, et al. Muscle and tendon properties during menstrual cycle. Int J Sports Med. 2009;30(2):
139–143. DOI: 10.1055/s-0028-1104573.
73. Abt JP, Sell TC, Laudner KG, et al. Neuromuscular and biomechanical characteristics do not vary across the menstrual cycle. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc. 2007;15(7):901–907. DOI: 10.1007/s00167-007-0302-3.
74. Schmied C, Borjesson M. Sudden cardiac death in athletes. J Intern Med. 2014;275(2):93–103. DOI: 10.1111/joim.12184.
75. Peterson DF, Kucera K, Thomas LC, et al. Aetiology and incidence of sudden cardiac arrest and death in young competitive athletes in the USA: a 4-year prospective study. Br J Sports Med. 2021;55(21):1196–1203. DOI: 10.1136/bjsports-2020-102666.
76. Palmisano A, Darvizeh F, Cundari G, et al. Advanced cardiac imaging in athlete’s heart: unravelling the grey zone between physiologic adaptation and pathology. Radiol Med. 2021;126(12):1518–1531. DOI: 10.1007/s11547-021-01411-2.
77. Haukilahti MAE, Holmstrom L, Vahatalo J, et al. Sudden Cardiac Death in Women. Circulation. 2019;139(8):1012–1021. DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.118.037702.
78. Clenin GE. The treatment of iron deficiency without anaemia (in otherwise healthy persons). Swiss Med Wkly. 2017;147:w14434. DOI: 10.4414/smw.2017.14434.

Frauen und Sport

Frauen können und sollen sich in jeder Lebensphase regelmässig bewegen und sportlich aktiv sein. Zum Glück hat sich diese Erkenntnis in den vergangenen Jahren klar durchgesetzt. Noch vor weniger als hundert Jahren wurde Frauen aus medizinischer und gesellschaftlicher Sicht von Sport abgeraten und die Teilnahme an Wettkämpfen war nur in sehr wenigen Sportarten erlaubt (z.B. Golf). 1932 wurde in einer Zeitschrift für Gynäkologie [1] festgehalten, dass etwas gegen die «Ausartung des weiblichen Sportes gemacht werden muss», da bei der Frau «grosse Energiemengen für die normale biologische Funktion verbraucht werden, welche dem Mann als überschüssige Muskelkraft zur Verfügung stehen».
Mittlerweile ist es erwiesen, dass Sport und Bewegung auch bei Frauen einen positiven Einfluss auf die Gesundheit haben. Die positiven Auswirkungen sind jedoch je nach Art und Intensität der Bewegung sowie dem sport­lichen Niveau für Frauen und Männer unterschiedlich [2].
Für die Beratung von Frauen in der Sprechstunde braucht es demnach angepasste Empfehlungen in verschiedenen medizinischen Bereichen. So zum Beispiel zur Art und Intensität einer Aktivität, der Trainierbarkeit des kardiopulmonalen Systems oder den Einflüssen von Ak­tivität während der Schwangerschaft. In der (sport)medizinischen Literatur fehlen noch immer spezifische Erkenntnisse, die sich auf Frauen beziehen. Eine aktuelle Übersicht von Paul [3] zeigt auf, dass zwischen 2017 und 2021 in den sechs besten Sportmedizin-Journals in über 70 % der Studien isoliert Männer betrachtet wurden, in knapp 9 % nur Frauen und in den restlichen Studien jeweils beide Geschlechter. Sucht man in PubMed nach Literatur zu den beiden Begriffen «Menstrual Cycle» AND «Athlete», so findet sich ein Artikel aus 1963 und dann erst wieder einige ab 2009. 2021 wurden erstmals mehr als 20 Artikel dazu publiziert.
Nora Wieloch und Johannes Scherr beschreiben in einer Mini-Review [4] die aktuellen Kenntnisse zu internistischen, muskuloskelettalen und leistungsrelevanten Bereichen, die für die Beratung von Sportlerinnen in der Praxis hilfreich sind. Zudem zeigen sie auf, welche Faktoren beachtet werden sollen, um Schwangere bezüglich Sport und Bewegung adäquat beraten zu können. Dies ist wichtig, da Sport während einer Schwangerschaft ohne Komplikationen sowohl für die Mutter als auch für das Kind positive Auswirkungen hat. Sportliche Aktivität hat zum Beispiel einen präven­tiven Effekt auf die Entstehung eines Gestationsdiabetes oder einer Hypertonie. Aber noch heute wird schwangeren Frauen viel zu häufig von Bewegung und Sport ab­geraten, obwohl es keinen medizinischen Grund dafür gibt. Der aktuelle Artikel hilft, die bestehenden Vorurteile abzubauen.
Damit wünsche ich Ihnen eine gute Lektüre und hoffe, die Erkenntnisse daraus unterstützen Sie in der sportmedizinischen Beratung ihrer Patientinnen.
Dr. med. Sibylle Matter Brügger

Leitende Ärztin Sportmedizin
Medbase Bern Zentrum
Sports Medical Center
Schwanengasse 10
3011 Bern
Schweiz

sibylle.matter@medbase.ch

1. Vaubel H. Frauensport und Gesundheit. Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 1932;92:173–177. DOI: 10.1159/000309628.
2. Hands BP, Parker H, Larkin D, Cantell M, Rose E. Male and female differences in health benefits derived from physical activity: implications for exercise prescription. Journal of Women’s Health, Issues and Care. 2016;5:4. DOI: 10.4172/23 25-9795.1000238.
3. Paul RW, Sonnier JH, Johnson EE, et al. Inequalities in the Evaluation of Male Versus Female Athletes in Sports Medicine Research: A Systematic Review. Am J Sports Med. 2022; DOI: 10.1177/03635465221131281. Epub ahead of print.
4. Wieloch N, Scherr J. Geschlechtsspezifische Unterschiede der Sportme­dizin. Praxis (Bern 1994). 2023;112(12):582–588.

Antibiotikatherapie, Chirurgie oder beides?

Die 90-jährige Patientin wurde mit zunehmenden lumbalen Rückenschmerzen bei bekannter rheumatoider Arthritis und Spinalkanalstenose zur Optimierung der Schmerztherapie zugewiesen. Bei klinisch auffallender Druck­dolenz im Unterbauch sowie deutlich erhöhten Entzündungsparametern erfolgte eine weitere Diagnostik mittels Computer­tomografie des Abdomens, wobei sich eine gedeckt perforierte Appendizitis mit perityphlitischem Abszess zeigte. Die konservative Therapie mittels Abszess-Drainage und Antibiotika war erfolgreich.

Anamnese und Befunde

Die elektive Zuweisung der 90-jährigen Patientin erfolgte zur Optimierung der analgetischen Behandlung chronischer lumbaler Rückenschmerzen im Rahmen einer hochgradigen spinalen Stenose L4/5 und L1/2. Die Patientin berichtete, dass sie bereits seit mehreren Monaten an lumbalen Rückenschmerzen mit Ausstrahlung nach gluteal sowie in die dorsalen Oberschenkel leide. Die Schmerzen hätten in den letzten Tagen so stark zugenommen, dass eine selbstständige Mobilisation nicht mehr möglich sei. In der persönlichen Anamnese der Patientin bestand eine rheumatoide Arthritis mit langjähriger Therapie mit Leflunomid, das wegen Diarrhö sistiert und zwei Wochen vor Eintritt durch Methotrexat 10 mg subkutan ersetzt worden war. Als Nebendiagnosen hatte die Patientin eine arterielle Hypertonie, die mit Valsartan und Hydrochlorothiazid gut eingestellt war, sowie ein chronisches Vorhofflimmern/
-flattern. Die orale Antikoagulation mit Rivaroxaban hatte die Patientin wegen Epistaxis selbstständig abgesetzt.
Bei Krankenhauseintritt präsentierte sich die Patientin grenzwertig hypoton (Blutdruck 107/68 mmHg), knapp normokard (Herzfrequenz 97/min) und afebril (Temperatur 37,0 °C) in leicht reduziertem Allgemein- und adipösem Ernährungszustand. In der klinischen Untersuchung fiel eine deutliche Druckdolenz im Unterbauch sowie eine Klopfdolenz paravertebral beidseits im Bereich der unteren Lumbalwirbelsäule auf. Laboranalytisch imponierten ein deutlich erhöhtes C-reaktives Protein von 214 mg/l (< 5 mg/l) sowie eine Panzytopenie (Tabelle 1).

Differenzialdiagosen

Unsere hochbetagte Patientin präsentierte sich mit zunehmenden lumbalen Schmerzen, einer abdominalen Druckdolenz sowie mit einem laboranalytisch nachgewiesenen Entzündungszustand und einer Panzytopenie. Wegen der wenig spezifischen Präsentation ergeben sich verschiedenste Differenzialdiagnosen. Aufgrund der langjährigen Vorgeschichte besteht neben einer Exazerbation der Schmerzen im Rahmen der bekannten Spinalkanalstenose die Möglichkeit einer Spondylarthritis. Dagegen spricht das hohe Alter der Patientin sowie eine fehlende Besserung der Symptomatik durch Bewegung im Verlauf des Tages. Eine weitere Differenzialdiagnose aus dem rheumatologischen Formenkreis ist eine Kristallarthropathie, am ehesten eine Calciumpyrophosphat-Ablagerungserkrankung. Dafür passend sind das hohe Alter und das Geschlecht der Patientin. Üblicherweise sind hier eher die peripheren Gelenke betroffen, und bei einer akuten Arthritis kommt es zu einer Schwellung und Rötung des betroffenen Gelenks.
In Zusammenhang mit der in der klinischen Untersuchung festgestellten Druckdolenz im Unterbauch kamen differenzialdiagnostisch auch abdominale Infektionen in Frage. Kolitiden unterschiedlicher Ätiologie verursachen in der Regel neben abdominalen Schmerzen auch Stuhlveränderungen wie Diarrhö, Schleimbildung oder Blutbeimengung und führen selten oder nur in Schüben zu so deutlich erhöhten Entzündungsparametern. Sowohl eine Cholezystitis, Divertikulitis als auch eine Appendizitis kommen aufgrund der Symptomatik und des deutlich erhöhten C-reaktiven Proteins als infektiologische Differenzialdiagnosen in Frage.
Die Panzytopenie wurde am ehesten im Rahmen der Therapie mit Methotrexat der bekannten rheumatoiden Arthritis mit Aggravation im Rahmen des akuten Entzündungszustands gewertet. Differenzialdiagnostisch muss an eine neo- oder dysplastische hämatologische Erkrankung gedacht werden.

Weitere Abklärungen und Verlauf

Zur Suche eines möglichen Infektfokus erfolgte aufgrund der Druckdolenz im Unterabuch eine Computertomografie des Abdomens. Hierbei zeigte sich der Verdacht auf eine gedeckt perforierte Appendizitis mit perityphlitischer Abszedierung und beginnender Peritonitis (Abb. 1). Aufgrund des hohen Patientenalters wurde in Rücksprache mit den Kolleginnen und Kollegen der Viszeralchirurgie auf eine notfallmässige Appendektomie verzichtet. Nach Abnahme von Blutkulturen wurde mit einer intravenösen antibiotischen Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure begonnen. Am Folgetag erfolgte durch die interventionellen Radiologen eine perkutane Drainageeinlage in den perityphlitischen Abszess. Darunter kam es zu einer raschen Besserung der Schmerzsymptomatik und die Entzündungs­parameter waren rückläufig. In den Kulturen der Abszess-Drainage wurden pansensible Escherichia coli nachgewiesen. Unter einer parenteralen antibiotischen Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure kam es zu einer Normalisierung der Leuko- und Thrombozyten. Bei weiter persistierender makrozytärer Anämie konnte in der weiteren Diagnostik ein schwerer Vitamin-B12-Mangel von 71 pmol/l (141–189 pmol/l) nachgewiesen werden. Es wurde mit einer parenteralen Substitution begonnen.

Diagnose

Bei unserer hochbetagten Patientin wurde computertomografisch eine komplizierte Appendizitis mit perityphlitischem Abszess diagnostiziert. Die eingeleitete konser­vative Therapie mit Abszess-Drainage und antibiotischer Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure war erfolgreich.

Kommentar

Die genaue Pathophysiologie der Appendizitis ist nicht vollständig geklärt. Am ehesten entwickelt sich eine Appendizitis durch eine Obstruktion des Lumens mit Sekretansammlung, Steigerung des intraluminalen Drucks und Bakterienvermehrung. Die venöse und die lymphatische Drainage werden gestört, was zu einer Ischämie führt. Die Folgen sind Gangrän, Perforation mit Freisetzung von Darmbakterien (insbesondere Enterobacteriaceae und Anaerobier) bis hin zu perityphlitischem Abszess, Peritonitis und Sepsis. Je nach Ausprägungsgrad wird die Appendizitis als unkompliziert oder kompliziert bezeichnet: Bei der unkomplizierten Form beschränkt sich Inflammation auf den Appendix. Die komplizierte Form ist jede ­Appendizitis mit periappendikulärer Phlegmone, freier ­Flüssigkeit oder Abszess, mit oder ohne Perforation. Die sichere Einteilung im klinischen Alltag ist oft erst intraoperativ oder sogar nur durch den histologischen Befund möglich. Trotz hoher Zuverlässigkeit der Computertomografie in der Diagnosestellung einer Appendizitis ist die Differenzierung der unkomplizierten und komplizierten Appendizitis nicht immer möglich.
Die Appendizitis ist der weltweit häufigste abdominelle chirurgische Notfall. Jährlich erkrankt eine von 1000 Personen an einer Appendizitis. Das Lebenszeitrisiko beträgt bei Männern 8,6 %, bei Frauen 6,7 %. Am häufigsten erkranken Jugendliche im Alter von 10–19 Jahren. Bei älteren Personen > 65 Jahre, wie im Fall unserer Patientin, ist eine Appendizitis oft mit milderen und unspezifischen Symptomen, einem protrahierten Verlauf und einer höheren Perforationsrate verbunden [1]. Die Herausforderung für die Klinikerin und den Klinker besteht bei älteren Pa­tientinnen und Patienten darin, aus einem atypischen klinischen Beschwerdebild und orientierenden Laboruntersuchungen (CRP, Blutbild) an eine Appendizitis zu denken und die entsprechende bildgebende Diagnostik zu veranlassen.
Historisch besteht die Meinung, dass die Appendizitis eine irreversible Krankheit ist, die unbehandelt unweigerlich zur Perforation und Peritonitis führt. Aus diesem Grund wird eine Appendizitis praktisch in allen Fällen operativ behandelt. In der internationalen Beobachtungsstudie POSAW von 2018 wurden von 4282 Personen mit Appendizitis 95,7 % operativ (51,7 % laparoskopisch und 42,2 % offen) und nur 4,3 % konservativ behandelt [2].
Die Appendektomie als einzige Behandlungsoption der unkomplizierten Appendizitis wird jedoch immer häufiger hinterfragt. Als alternative Therapieoption kommt die konservative Therapie mittels Antibiotika in Frage. In einer Metaanalyse von fünf randomisierten Studien mit insgesamt 1351 Personen betrug die Effektivität der Therapie nach einem Jahr 98,3 % bei Appendektomie im Vergleich zu 75,9 % bei der konservativen Therapie (p < 0,0001). Im Antibiotika-Arm erlitten 22,5 % der Betroffenen innerhalb des ersten Jahrs ein Rezidiv und mussten doch noch operiert werden [3]. In der CODA-Studie aus dem Jahr 2020 mit 1552 Teilnehmenden (je 50 % in der Appendektomie- und in der Antibiotikagruppe) zeigte sich, dass der Gesundheitszustand der Teilnehmenden nach 30 Tagen gleich gut war, unabhängig von der Therapiemethode. 29 % der Teilnehmenden mit primärer Antibiotika-Behandlung wurden jedoch bis zum Tag 90 doch noch appendektomiert; wenn ein Appendikolith nachgewiesen wurde, waren es sogar
41 %. [4].
Zusammenfassend kann eine unkomplizierte Appendizitis beim Erwachsenen primär antibiotisch behandelt werden. Die Effektivität der chirurgischen Therapie bleibt jedoch höher. Der Eingriff ist komplikationsarm, und bei rund 1 % der Appendektomien werden unerwartete Neoplasien diagnostiziert. Bei einer komplizierten akuten ­Appendizitis mit freier Perforation sollte eine Appendektomie unverzüglich durchgeführt werden. Bei der Appendizitis mit einer lokalen Komplikation (Abszess oder Phlegmone) kann bei stabilen Patientinnen und Patienten, wie in unserem Fall, eine initial konservative Therapie mit Antibiotika und allenfalls Drainage durchgeführt ­werden, gefolgt bei Bedarf von einer Appendektomie nach 6–8 Wochen. Bei diesem Vorgehen kommt es zu weniger Komplikationen als bei einer Notfalloperation [5].
Antibiotika sind wichtige Bestandteile der Appendizitis, Therapie und sollten gegen Gram-negative Bakterien und Anaerobier wirksam sein (Tabelle 2). Die notwendige Dauer der Antibiotikatherapie im Rahmen der nicht-­operativen Therapie orientiert sich hauptsächlich am ­klinischen Verlauf und der Dynamik der Entzündungsparameter; in der Regel wird vorerst eine parenterale Antibiotikatherapie über 1–3 Tage empfohlen, die für weitere 5–7 Tage mit oralen Antibiotika fortgeführt wird [2]. Perioperativ sollten Antibiotika immer, unabhängig davon, ob eine unkom­plizierte oder komplizierte Appendizitis vorliegt, angewendet werden. Dadurch werden Wundinfek­tionen und ­Abszesse reduziert. Die postoperative Fortsetzung der Antibiotikatherapie über 5–7 Tage ist nur bei der komplizierten Appendizitis, vor allem beim Vorliegen eines Abszesses indiziert.

Im Artikel verwendete Abkürzungen
CRP C-reaktives Protein
L1/2 Segment 1 und 2 der Lendenwirbelsäule
L4/5 Segment 4 und 5 der Lendenwirbelsäule

PD Dr. med. Alexia Cusini

Leitende Ärztin für Infektiologie
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170
7000 Chur

alexia.cusini@ksgr.ch

Historie
Manuskript akzeptiert: 20.02.2023

Interessenskonflikte
Es bestehen keine Interessenskonflikte.

ORCID
Meret Joanna Zehnder
https://orcid.org/0000-0003-1299-8122
Alexia Cusini
https://orcid.org/0000-0001-5086-0293

  • Je nach Ausprägungsgrad wird eine unkomplizierte Appendizitis (Inflammation des Organs) von einer komplizierten Appendizitis (Abszess, Phlegmone, freie Flüssigkeit, mit/ohne Perforation) unterschieden.
  • Bei älteren Personen präsentiert sich eine Appendizitis oft mit milderen und unspezifischen Symptomen, einem protrahierten Verlauf und einer höheren Perforationsrate.
  • Die Appendektomie bleibt auch bei der unkomplizierten Appendizitis die Standardbehandlung, weil es ein effektiver und komplikationsarmer Eingriff ist.
  • Bei stabilen Patientinnen und Patienten mit komplizierter Appendizitis und einer lokalen Komplikation kann eine initial konservative Therapie mit Antibiotika und allenfalls Drainage durchgeführt werden mit nachfolgender Appendektomie.

Ulnokarpale Handgelenk­schmerzen – eine Handhabe für die Praxis

Der ulnare Handgelenksschmerz ist ein häufiges Symptom mit einer Vielfalt an zu Grunde liegenden Erkrankungen oder Verletzungen. Aufgrund der komplexen Anatomie und Biomechanik des Handgelenks mit dem ulnokarpalen Komplex mitsamt dem triangulären fibrokartilaginären Komplex (TFCC), dem distalen Radioulnargelenk (DRUG) und den ulnaren Handwurzelknochen (Carpalia) ist eine Zuordnung der Beschwerden zu den bestimmten Ursachen schwierig. Eine gezielte klinische Untersuchung und weiterführende bildgebende Diagnostik ist unumgänglich, um die wichtigsten Differenzialdiagnosen bereits früh zu erkennen und die entsprechenden ersten therapeutischen Schritte und eine frühe und gezielte Zuweisung zum Handchirurgen zu veranlassen.

Einleitung

Das klinische Beschwerdebild und die zugrundeliegenden Ursachen der ulnokarpalen Handgelenksschmerzen sind vielseitig und auf den ersten Blick nicht immer eindeutig einer Diagnose zuzuordnen. Eine gezielte klinische Untersuchung unter Kenntnis der anatomischen Landmarken (Abb. 1.) , sowie eine gerichtete bildgebende Diagnostik können allerdings zur korrekten Diagnose führen und helfen, die ersten therapeutischen Schritte in die Wege zu leiten oder die Zuweisung zum Spezialisten zu vereinfachen. Das differenzialdiagnostische Vorgehen bei ulnokarpalen Handgelenksschmerzen möchten wir anhand eines Fallbeispiels erläutern und die Differenzialdiagnosen sowie das Vorgehen bei der Auswahl der bildgebenden Diagnostik im Anschluss näher beleuchten.

Fallbeispiel und differenzial­diagnostische Überlegungen

Eine 37-jährige Physiotherapeutin klagt seit dem Biken vor einigen Wochen über zunehmende, belastungsabhängige Schmerzen im ulnaren Handgelenk ohne eigentliches Trauma. Die Schmerzen treten vor allem beim Aufstützen auf dem extendierten Handgelenk, aber auch bei axialen Belastungen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit auf. Eine Selbsttherapie mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) zeigte vorübergehend Wirkung. Die Patientin hatte zuvor nie Schmerzen im Handgelenk. In der klinischen Untersuchung des Handgelenks zeigt sich eine im Vergleich zur Gegenseite leicht eingeschränkte Ulnarduktion, Extension und Flexion sowie Pro-/Supination. Gleichzeitig werden insbesondere in der endgradigen Ulnarduktion und Exten­sion Schmerzen angegeben. Eine Druckdolenz besteht ­explizit über dem dorsalen ­Ulnokarpalgelenk. Die Stabilitätsprüfung im distalen ­Radioulnargelenk (DRUG) ist symmetrisch zur Gegenseite und ohne Krepitationen. Die Pro-Supinationsbewegung unter gleichzeitiger Kompression von distalem ­Radius und distaler Ulna ist schmerzfrei, und die Sehne des Extensor carpi ulnaris (ECU) verläuft stabil über dem Ulnakopf.
Beim Blick auf die Anatomie des ulnaren Handgelenks (Abb. 1) kommen verschiedene Strukturen als Schmerz­ursache in Frage: ECU-Sehne, DRUG, triangulärer fibro-kartilaginärer Komplex (TFCC), luno-triquetrales Gelenk, piso-triquetrales Gelenk oder hamato-lunäres Gelenk.
Aufgrund der erhobenen klinischen Befunde können die in Frage kommenden Strukturen bereits mit hoher Sicherheit weiter eingeschränkt werden. Die explizite Lokalisation der Druckdolenz über dem ulnokarpalen Gelenk spricht gegen eine Pathologie des hamato-lunären Gelenks (Druckdolenz weiter distal) oder des piso-triquetralen Gelenks (Druckdolenz ulnar und/oder palmar). Das schmerzfreie DRUG macht eine Schmerzursache hier unwahrscheinlich. Bei indolenter ECU-Sehne fällt diese als Ursache auch ausser Betracht. Das Auslösen des Schmerzes bei Ulnarduktion und Extension zusammen mit der Druckdolenz über dem ulnokarpalen Gelenkspalt lässt aber auf eine Pathologie des TFCC und/oder einen Konflikt zwischen distaler Ulna und Carpus schliessen. Der TFCC ist ein Verbund aus verschiedenen Bändern und stabilisiert das DRUG und den ulnokarpalen Handgelenks­anteil (s.u.). Er kann sowohl traumatisch als auch degenerativ geschädigt sein.
Nachdem durch die genaue Untersuchung die in Frage kommenden anatomischen Strukturen eingegrenzt wurden, stellt sich die Frage des weiteren Vorgehens. Soll ­zugewartet und der Spontanverlauf abgewartet, sollen weitere Abklärungen, insbesondere eine Bildgebung, getätigt oder direkt therapeutische Massnahmen eingeleitet werden? Bei der Entscheidung, ob zugewartet werden kann, stellt sich die Frage, ob dadurch ein relevantes Therapiefenster verpasst werden könnte. Bei langsam zunehmenden Schmerzen im Bereich des ulnaren Handgelenks ohne vorangegangenes Trauma und ohne Instabilität im DRUG kann dies mit grosser Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Die Anamnese und Befunde sprechen eher für eine Überlastungssituation oder ein degenera­tives Geschehen, welche wenig zeitkritisch bezüglich einer Behandlung sind. Im Fall einer traumatischen Band­läsion (z.B. TFCC mit DRUG-Instabilität, scapho-lunäre Bandläsion) sähe das anders aus, da hier eine zeitnahe Therapie das Outcome verbessert. Da die Patientin bereits einen Therapieversuch mit NSAR mit lediglich temporärer Besserung durchgeführt hat, erscheint ein weiteres Zuwarten nicht zielführend. Bei der Abwägung Physio-/Ergotherapie versus Bildgebung priorisieren wir in dieser Situation ganz klar Letzteres, um abschätzen zu können, welche Therapieoption die besten Erfolgschancen hat. In der Auswahl der bildgebenden Diagnostik stehen das konventionelle Röntgen, die Computertomografie, die Magnetresonanztomografie und die Sonografie zur Verfügung. Ein konventionelles Röntgenbild ist als Erstdiagnostik indiziert, um einen Überblick über die knöchernen Strukturen und Lagebeziehungen, Traumafolgen oder degenerative Veränderungen zu erhalten. Zur genaueren Evaluation einer knöchernen Pathologie macht ein anschliessendes CT Sinn. Eine MRT eignet sich hervorragend für die Dia­gnostik von ligamentären und versteckten ossären Patho­logien, wird aber erfahrungsgemäss zu häufig als Erstdia­gnostik verordnet, obwohl es nicht notwendig wäre. Im Fall unserer Patientin wurden zu Beginn Röntgenbilder des Handgelenks angefertigt (Abb. 2.A). Hier zeigt sich eine im Vergleich zum Radius längere Ulna (positive ulnare Varianz, sog. Ulna-Plus-Variante). Gleichzeitig zeigt sich eine rundliche, zystische Läsion im Os lunatum. Durch die Überlänge der Ulna kann es zu einer Impaktion des Ulnakopfs gegen die proximale Handwurzelreihe kommen. Dies kann im Verlauf der Zeit zu Veränderungen im TFCC, der zwischen diesen beiden Strukturen liegt, oder im Knochen führen, wobei sich hier vor allem zystische Veränderungen im Os lunatum und/oder im Ulnakopf zeigen. Auch wenn sich der TFCC als ligamentäre Struktur im Röntgen nicht direkt darstellen und beurteilen lässt, kann aufgrund der Klinik und der Befunde im konventionellen Röntgen die Diagnose eines ulnokarpalen Impaktionssyndroms gestellt und ein Behandlungsplan gemacht werden. Eine MRT ist häufig nicht notwendig zur Diagnosesicherung, kann aber helfen, den Zustand des TFCC und mög­liche degenerative Veränderungen besser zu definieren. In der MRT unserer Patientin zeigt sich denn auch eine gros­se zentrale TFCC-Läsion mit einem Knorpelschaden am Os lunatum (Abb. 2.B), was obige Diagnose bestätigt.
Es bleibt nun das weitere Vorgehen festzulegen. Bei starken Schmerzen können eine Ruhigstellung und analgetische Therapie für ein bis zwei Wochen sinnvoll sein. Eine intraartikuläre, unter Röntgenkontrolle durchgeführte Kortisonspritze ist ebenfalls eine gute Option zur Linderung starker Schmerzen. Meist sind dies jedoch keine Dauerlösungen, da das Grundproblem nicht beseitigt wird. Bei unserer Patientin erfolgte deshalb eine Arthroskopie zum Débridement des TFCC und einer lokalen Syno­vektomie sowie eine offene Ulnaverkürzungsosteotomie von 4 mm zur Entlastung des ulnokarpalen Kompartimentes (Abb. 3). Dies führte zu einer Beschwerdefreiheit bei sämtlichen Tätigkeiten innerhalb von sechs Monaten.

 

Ulnokarpales Impaktionssyndrom

Das ulnokarpale Impaktionssyndrom kann primär aufgrund einer anlagebedingten positiven ulnaren Varianz oder posttraumatisch auftreten, i.d.R. wenn der Radius nach distaler Fraktur in Verkürzung abheilt. Die ulnokarpale Gelenkspalt-Verschmälerung führt zu einer erhöhten Belastung des dazwischen liegenden TFCC. Dies kann mit der Zeit zu einer zentralen TFCC-Läsion und zu einem Knorpelschaden am Os lunatum und am Ulnakopf, später auch zu luno-triquetralen Bandläsionen führen [1]. Die ­Patientinnen und Patienten beschreiben entweder langsam zunehmende oder nach einem bestimmten Ereignis (Sturz, Schlag, etc.) rasch auftretende ulnare Handgelenksschmerzen. In der klinischen Untersuchung zeigen sich Schmerzen typischerweise in Ulnarduktion und Extension im Handgelenk, da dabei das ulnokarpale Kompartiment komprimiert wird (Ulnocarpal Stress Test) [2]. Zur weiterführenden Diagnostik sollte zunächst eine ­konventionelle Röntgenaufnahme mit Bestimmung der ulnaren Varianz durchgeführt werden. Bestätigt sich eine positive ulnare Varianz, sollte bei entsprechenden Beschwerden eine Überweisung an eine Handchiurgin oder einen Handchirurgen erfolgen, wo die Entscheidung bzgl. weiterer Abklärungen (MRT) und Therapie erfolgen kann. Eine ­Ulnaverkürzungsosteotomie ist bei vorliegender ­Ulna-Plus-Variante das therapeutische Mittel der Wahl, um die Kraftverteilung im Handgelenk wieder zu normalisieren [3].

TFCC-Läsion

Verletzungen des triangulären fibrokartilaginären Komplexes können sowohl degenerativ als auch traumatisch entstehen [4]. Der TFCC ist der Hauptstabilisator des DRUG. Er erstreckt sich vom ulnarseitigen Radius bis zum Processus styloideus ulnae sowie zur proximalen Handwurzelreihe (Abb. 4). Die dorsalen und palmaren Anteile sind bandartig (Lig. radioulnare dorsale und Lig. radioulnare palmare) und stabilisieren das DRUG. Der zentrale Teil dazwischen, der eigentliche Diskus (triangulärer Faserknorpel), ist wie ein Trampolin aufgespannt. Er hat keine wesentliche stabilisierende Funktion. Nach distal-ulnar hin schliesst eine meniskeale Struktur, das «ulnokarpale Meniscus Homologue» an. Zusätzlich stabilisiert der TFCC durch die Bänder der Ulna zum Carpus (Lig. ulno-triquetrale und Lig. ulno-lunare) auch diesen. Bei Läsionen des TFCC klagen Betroffene typischerweise über Schmerzen bei Ulnarduktion sowie bei Kombinations-­Bewegungen mit Pro-/Supination und Belastung im Handgelenk. Eher selten wird auch über eine Instabilität des DRUG berichtet. Eine solche muss bei ulnokarpalen Handgelenkschmerzen immer gesucht werden. Hierzu wird der Arm auf dem 90 ° flektierten Ellbogen aufgestützt. Mit der einen Hand des Untersuchers werden Carpus und distaler Radius fixiert, während mit der anderen Hand die distale Ulna gefasst und nach palmar und dorsal bewegt wird. Dabei wird einerseits auf das Ausmass der Translation geachtet, andererseits darauf, ob end­ständig ein harter (Band eher intakt) oder weicher (Band eher rupturiert) Anschlag verspürt wird. Der Test wird in neutraler und in maximaler Pro- und Supinationsstellung durchgeführt und mit der gesunden Gegenseite verglichen [5]. Besteht in einer der Stellungen eine vermehrte Translation, sollte eine Überweisung zu einem Handchiurgen stattfinden. Bildgebend ist die MRT das Diagnostikum der Wahl [6]. Läsionen ohne Instabilität profitieren von einer temporären Ruhigstellung, nicht-steroidalen Antiphlogistika, intraartikulären Kortisoninfiltrationen oder Physiotherapie und benötigen nicht zwingend eine chirurgische Therapie [7]. Bei Läsionen mit Instabilität muss eine chirur­gische Refixation zwingend evaluiert und, wenn für notwendig befunden, möglichst zeitnah durchgeführt werden [8].

DRUG-Arthrose

Arthrose im distalen Radioulnargelenk (DRUG) führt zu schmerzhafter Pro-/Supination und Instabilität. In der ­klinischen Untersuchung zeigen sich Schmerzen und Krepitation vor allem bei Kompression von Radius und Ulna ­gegeneinander bei gleichzeitiger Pro-/Supination (Radioulnar Compression Test) [9].
Wegen geringer Kongruenz von Ulnakopf und Incisura ulnaris des Radius hängt die Stabilität des DRUG in hohem Masse von ligamentären Stabilisatoren ab. Eine chronische Instabilität kann zur Ausbildung einer schmerzhaften Arthrose führen. Ursächlich sind hier häufig TFCC-Läsionen oder in Fehlstellung verheilte distale extraartikuläre Radiusfrakturen, welche zu einer Veränderung des ulnaren Inklinationswinkels führen [10]. Neben der primären und posttraumatischen DRUG-Arthrose kommen ebenso inflammatorische und rheumatische Ursachen in Betracht. Um die Entwicklung einer DRUG-Arthrose zu verhindern, sollten die möglichen Ursachen rechtzeitig therapeutisch, ggf. auch chirurgisch, angegangen werden. Hat sich eine symptomatische Arthrose etabliert, werden vorerst die konservativen Massnahmen (Schienenanpassung, Antiphlogistika, Injektionen) ausgeschöpft. Als chirurgische Optionen stehen die Implantation einer Ulnakopfprothese oder Rettungsoperationen wie z.B. eine Resektion des Ulnakopfs (Operation nach Darrach) oder eine distale radioulnare Arthrodese mit proximaler Pseudarthrose (Operation nach Kapandji) zur Verfügung [11, 12].

Hamatumspitzen-Syndrom

Auch eine Impaktion im Bereich der Carpalia, am Gelenk zwischen Os lunatum und Os hamatum, kann Ursache von ulnokarpalen Handgelenksschmerzen sein. Hier zeigen sich dorsale Druckschmerzen etwas distal des ulnokarpalen Gelenkspalts lokalisiert. Diese sind durch einen Knorpelschaden an der Hamatumspitze, ggf. auch am Lunatum, verursacht. Oft liegt eine anatomische Variante des Os lunatum mit direkter Artikulation zum Os hamatum vor (Abb. 5) [13]. Personen mit ausgeprägter Symptomatik profitieren von einer Handgelenksarthroskopie und Knochenresektion am Os hamatum [14].

 

Pisotriquetralarthrose

Bei der Pisotriquetralarthrose sind die Schmerzen eher seitlich und palmar lokalisiert. In der klinischen Untersuchung können Schmerzen und Krepitationen durch Druck und Verschiebung des palmar gut tastbaren Os pisiforme ausgelöst werden. Schmerzen werden häufig durch Extension im Handgelenk verstärkt, da hierbei das Os pisiforme stärker an das Triquetrum gepresst wird. Konventionell-radiologisch können typische Arthrosezeichen wie Gelenkspaltverschmälerung und Osteophytenbildung mit einer Zielaufnahme des Pisotriquetralgelenks (wozu das Handgelenk in leichter Supination aufgenommen wird) dargestellt werden. Eine Injektion eines Lokalanästhetikums in das Pisotriquetralgelenk unter Durchleuchtung bewirkt eine sofortige Schmerzfreiheit und beweist die ­Diagnose. Bei ausgeprägten Beschwerden kann eine Resektion des Os pisiforme erfolgen [15].

Pathologie der Extensor-carpi-ulnaris-Sehne

Pathologien der ECU-Sehne respektive des 6. Strecksehnenfachs stellen extraartikuläre Ursachen ulnokarpaler Handgelenksschmerzen dar. Die Sehne verläuft innerhalb des 6. Strecksehnenfachs in einer Rinne neben dem Ulnastyloid. Neben der Funktion als Ulnardeviator und Extensor im Handgelenk fungiert der ECU auch als aktiver Stabilisator des DRUG. Durch den Sehnenverlauf über dem Ulnakopf und die Insertion an der Basis des Meta­carpale V ändert sich die Verlaufsrichtung der Sehne im Bewegungsablauf der Pro-/Supination beträchtlich. Das 6. Strecksehnenfach übernimmt deshalb eine wichtige stabilisierende Funktion und ist anfällig für Verletzungen, die zu einer symptomatischen Instabilität der Sehne führen können. Neben der Instabilität können auch atraumatisch verursachte Tenosynovitiden und Ansatztendinosen zu Schmerzen führen.
Typischerweise werden Schmerzen bei Unterarmdrehbewegungen beklagt. Zudem können Schwellung und akut zunehmende Schmerzen nach manueller Tätigkeit, auch nachts und in Ruhe auftreten. Eine Schmerzprovokation kann bei Ulnarduktion/Extension gegen Widerstand ausgelöst werden. Bei einer Instabilität der Sehne kann es ausserdem zu einem schmerzhaften Schnappphänomen kommen, wenn die Sehne über den Ulnakopf springt. Dies kann in der klinischen Untersuchung reproduziert werden, indem das Handgelenk bei voller Supination voll flektiert und ulnardeviiert wird [16].
Die chronische Subluxation und die dadurch einher­gehende Synovialitis können klinisch diagnostiziert und mittels MRT oder Ultraschall erhärtet werden. Akute Verletzungen können allenfalls mittels Vorderarmschiene in leichter Handgelenksextension und Radialduktion behandelt werden [17]. Bei persistierenden Symptomen muss eine operative Stabilisierung erfolgen. Bei der Ansatztendinopathie der ECU-Sehne ist das Punctum maximum der Druckdolenz im Bereich der Basis des Os metacarpale V zu finden. In der Akutphase sind Ruhigstellung, Kühlung und orale Therapie mit nicht-steroidalen Antirheumatika hilfreich. Bei persistierenden Beschwerden kann eine Kortisoninfiltration erwogen werden. In hartnäckigen Fällen muss eine operative Therapie mittels Glättung der Sehne und Entfernung von etwaigen Osteophyten erfolgen [18].

Zusammenfassung

Ulnokarpale Handgelenksschmerzen stellen eine differenzialdiagnostische Herausforderung dar. Mit einer differenzierten klinischen Untersuchung und einer gezielten bildgebenden Diagnostik lassen sich die Pathologien jedoch weiter eingrenzen. Die obige Differenzialdiagnoseliste sollte bei ulnokarpalen Schmerzen stets systematisch durchgegangen werden. Bei der Erstvorstellung sollte eine konventionell-radiologische Diagnostik des Handgelenks mit Frage nach ulnarer Varianz und ossären Pathologien durchgeführt werden. Mit Ausnahme der TFCC-Läsion mit DRUG-Instabilität ist eine Therapieeinleitung aber wenig zeitkritisch, d.h. es kann je nach Ausmass der Beschwerden durchaus zuerst eine 6-wöchige symptomatische Therapie durchgeführt werden. Tritt in dieser Zeit keine wesentliche Besserung ein, sollte eine handchirurgische Beurteilung oder eine weitergehende Diagnostik indiziert werden. Im Fall einer klinischen DRUG-Instabilität sollte eine sofortige handchirurgische Beurteilung angestrebt werden.

 

 

Im Artikel verwendete Abkürzungen
CT Computertomografie
DRUG Distales Radioulnargelenk
ECU Extensor carpi ulnaris
MRT Magnetresonanztomografie
NSAR Nicht-steroidale Antirheumatika
TFCC Triangulärer fibrokartilaginärer Komplex

Dr. med. Mathias Häfeli

Chefarzt Handchirurgie
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170
7000 Chur
Schweiz

mathias.haefeli@ksgr.ch

Historie
Manuskript eingereicht: 06.12.2022
Nach Revision angenommen: 30.01.2023

Interessenskonflikte
Es bestehen keine Interessenskonflikte.

  • Ulnocarpale Handgelenkschmerzen stellen aufgrund der anatomischen Komplexität auf engem Raum eine differenzialdiagnostische Herausforderung dar.
  • Bei der Erstvorstellung sollte nebst der differenzierten klinischen Untersuchung eine konventionell-radiologische Diagnostik des Handgelenks mit Frage nach ulnarer Varianz und ossären Pathologien durchgeführt werden.
  • Mit Ausnahme der TFCC-Läsion mit DRUG-Instabilität ist eine fachärztliche Vorstellung wenig zeit­kritisch, und es kann zuerst eine 6-wöchige symptomatische Therapie durchgeführt werden.
  • Im Fall einer klinischen DRUG-Instabilität oder bei therapierefraktären Beschwerden sollte hingegen eine rasche handchirurgische Beurteilung angestrebt werden.

Lernfragen
1. Welche Bildgebung sollte standardmässig bei ­ulnokarpalen Handgelenkschmerzen durchgeführt
werden?
a) MRT mit Kontrastmittel intraartikulär
b) MRT mit i.v. Kontrastmittel
c) Standard-Röntgenbild Handgelenk in zwei Ebenen
d) CT
e) Sonografie

2. Zu den Hauptfunktionen des TFCC gehört:
a) Stabilisierung des skapho-lunären Intervalls
(SL-Intervall)
b) Stabilisierung des distalen Radio-Ulnargelenks (DRUG)
c) Einleitung der Ulnarduktion bei supiniertem
Vorderarm
d) Limitieren der Radialduktion

3. In welchem Fall sollte eine rasche handchirurgische Beurteilung stattfinden?
a) Bei chronischen Handgelenkschmerzen ohne Trauma und normalem Radiologiebefund
b) In jedem Fall bei ulnokarpalen Handgelenk-
schmerzen
c) Bei klinischer Instabilität des DRUG
d) Bei degenerativer TFCC-Läsion und gelegentlichem NSAR-Bedarf

1. Palmer AK, Werner FW. The triangular fibrocartilage complex of the wrist-anatomy and function. J Hand Surg Am. 1981;6:153–162.
2. Nakamura R, Horii E, Imaeda T, Nakao E, Kato H, Watanabe K. The ulnocarpal stress test in the diagnosis of ulnar-sided wrist pain. J Hand Surg Br. 1997;22:719–723.
3. Sachar K. Ulnar-sided wrist pain: evaluation and treatment of triangular fibrocartilage complex tears, ulnocarpal impaction syndrome, and lunotriquetral ligament tears. J Hand Surg Am. 2012;37:1489–1500.
4. Palmer AK. Triangular fibrocartilage complex lesions: a classification. J Hand Surg Am. 1989; 14:594–606.
5. Kleinman WB. Stability of the distal radioulna joint: biomechanics, pathophysiology, physical diagnosis, and restoration of function what we have learned in 25 years. J Hand Surg Am. 2007;32:1086–1106.
6. Petsatodis E, Pilavaki M, Kalogera A, Drevelegas A, Agathangelidis F, Ditsios K. Comparison between conventional MRI and MR arthrography in the diagnosis of triangular fibrocartilage tears and correlation with arthroscopic findings. Injury. 2019;50:1464–1469.
7. Sander AL, Sommer K, Kaiser AK, Marzi I, Frank J. Outcome of conservative treatment for triangular fibrocartilage complex lesions with stable distal radioulnar joint. Eur J Trauma Emerg Surg. 2021;47:1621–1625.
8. Shinohara T, Tatebe M, Okui N, Yamamoto M, Kurimoto S, Hirata H. Arthroscopically assisted repair of triangular fibrocartilage complex foveal tears. J Hand Surg Am. 2013;38:271–277.
9. Yao J, Skirven T, Osterman L, Culp RW. Clinical Assessment of the Wrist. In: Cooney WP (ed.). The Wrist: Diagnosis and Operative Treatment. 2nd ed. Rochester, MN; Wolters Kluwer/Lippincott Williams & Wilkins: 2010;119–150.
10. Prommersberger KJ, Lanz U. [Biomechanical aspects of malunited distal radius fracture. A review of the literature]. Handchir Mikrochir Plast Chir. 1999;31:221–226.
11. Sauvé L. KM. Nouvelle technique de traitement chirurgical des luxations récidivantes isolées de l’extrémité inférieure du cubitus. J Chir (Paris). 1936;47:589–594.
12. Darrach W. Partial excision of lower shaft of ulna for deformity following Colles’s fracture. 1913. Clin Orthop Relat Res. 1992:3–4.
13. Viegas SF, Wagner K, Patterson R, Peterson P. Medial (hamate) facet of the lunate. J Hand Surg Am. 1990;15:564–571.
14. De Smet L, Degreef I. Hamate Impingement: A Rare Cause of Ulnar Wrist Pain? In: Del Pinal F, Mathoulin C, Nakamura T, (eds.). Arthroscopic Management of Ulnar Pain. Berlin; Springer: 2012:191–197.
15. Compson J. Arthroscopic Management of Piso-Triquetral Conditions. In: Del Pinal F, Mathoulin C, Nakamura T, (eds.). Arthroscopic Management of Ulnar Pain. Berlin; Springer: 2012;237–252.
16. Garcia-Elias M. Tendinopathies of the Extensor Carpi Ulnaris. Handchir Mikrochir Plast Chir. 2015;47:281–289.
17. Patterson SM, Picconatto WJ, Alexander JA, Johnson RL. Conservative treatment of an acute traumatic extensor carpi ulnaris tendon subluxation in a collegiate basketball player: a case report. J Athl Train. 2011;46:574–576.
18. Heras-Palou C. Extraarticular Ulnar-Sided Wrist Pain. In: Del Pinal F, Mathoulin C, Nakamura T (eds.). Arthroscopic Management of Ulnar Pain. Berlin; Springer: 2012;191–197.