Sie kennen die Silvester- Neujahr-Komplikation – oder nicht?

Sie kennen sie bestimmt, aber vielleicht nicht unter diesem Namen. Sie geht so: an Silvester werden tapfer gute Vorsätze gefasst; vielfach solche, welche schon früher mehrmals auf ihre Dringlichkeit evaluiert wurden und nun im nächsten Jahr unbedingt und mit einem kategorischen «das muss nun getan werden!» zur Pflicht erhoben werden.

Im Januar geht’s los, definitiv. Nur: das neue Jahr gleicht verdächtig dem vergangenen – dem Neujahrsmorgen fehlt der Impetus des Silvesterabends. Und so plant man die Umsetzung des guten Vorsatzes auf den nächsten, auf den übernächsten und den …Tag. Vielleicht erreicht mich dann die Gnade des Vergessens, welche bis zum nächsten Dezember anhält. Und dann kann ich es ja nochmals versuchen.

Ja, es ist schwierig, eine theoretische Einsicht, den guten Vorsatz, in die Tat umzusetzen. Zu sehr halten vertraute Gewohnheiten davon ab, die gewünschte Kehrtwendung zu vollziehen. Als Beispiel soll die Änderung des Lebensstils hin zu einem gesunden Leben dienen. Nur schon das Gewicht zu reduzieren oder zu halten und die Bewegung zu intensivieren, sind für manche eine gewaltige Herausforderung. Spritzen und Pillen können mithelfen, das Gym ebenfalls. Aber umsetzen muss man es dennoch selbst. Wie soll das gehen? In kleinen Schritten, dafür aber konstant, andauernd. In kleinen Schritten soll es geschehen, damit der Austausch von ungesunden in gesunde Gewohnheiten nicht schwerfällt, sondern auch noch Spass macht. Ohne gute Gefühle gelingt eine Änderung nicht. Zudem: sollen die Änderungen des Lebensstils Bestand haben, sind diese auch nicht in einem Monat zu erreichen. In 66 Tagen soll der Turnaround, der Wechsel der Gewohnheiten, geschafft sein; so wenigstens wird berichtet. Also bis zur Frühlingssaison. Und wenn dies alles nicht klappt? Dann braucht es Verständnis für die Lebensgewohnheiten, welche eine Veränderung blockieren. Gewohnheiten «wohnen» im Menschen, sie betreffen nicht nur das Äussere. Sie bedeuten auch Heimat, Vertrautheit und Liebgewordenes. Und vielleicht gelingt es mit einem erneuten guten Vorsatz nächsten Silvester … oder man akzeptiert es.

Dr. med. Christian Häuptle
Gossau

Dr. med. Christian Häuptle

Gossau

haeuptle@hin.ch

Journal Watch von unseren Experten

Impfstoffe gegen Erkältungen

Die Erkältung ist eine spontan wiederkehrende Infektion der oberen Atemwege, die durch eine laufende und verstopfte Nase, Niesen, Husten, Unwohlsein, Halsschmerzen und Fieber (normalerweise < 37.8 ºC) gekennzeichnet ist. Erkältungskrankheiten sind zwar in der Regel harmlos, verursachen aber durch Fehlzeiten in der Schule und am Arbeitsplatz wirtschaftliche Schäden. In den Vereinigten Staaten wird der wirtschaftliche Schaden durch Erkältungskrankheiten auf über 40 Mrd. USD pro Jahr geschätzt, einschliesslich geschätzter 70 Mio. verpasster Arbeitstage von Arbeitnehmern, 189 Mio. verpasster Schultage von Kindern und 126 Mio. verpasster Arbeitstage von Eltern, die sich um erkältete Kinder kümmern. Darüber hinaus zeigen Daten aus Europa, dass die Gesamtkosten pro Episode bis zu 1102 EUR betragen können. Auch die unsachgemässe Verschreibung antimikrobieller Mittel verursacht hohe Kosten. Die Entwicklung von Impfstoffen gegen Erkältungskrankheiten ist aufgrund der Antigenvariabilität von Erkältungsviren schwierig; auch Bakterien können als Infektionserreger fungieren. Über die Wirksamkeit und Sicherheit von Massnahmen zur Vorbeugung von Erkältungskrankheiten bei gesunden Menschen besteht nach wie vor Unsicherheit. Aus diesem Grund wurde eine Aktualisierung des 2011 erstmals veröffentlichten und 2013 sowie 2017 aktualisierten Cochrane Reviews durchgeführt. Ziel war es, die klinische Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen zur Vorbeugung von Erkältungen bei gesunden Menschen zu bewerten.

Methodik

Die Autoren durchsuchten das Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL) (April 2022), MEDLINE (1948 bis April 2022), Embase (1974 bis April 2022), CINAHL (1981 bis April 2022) und LILACS (1982 bis April 2022). Zusätzlich wurde in drei Studienregistern nach noch laufenden Studien und auf vier Websites nach weiteren Studien gesucht (April 2022). Es gab keine Einschränkungen bezüglich Sprache oder Datum.

Randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) zu einem beliebigen Virusimpfstoff im Vergleich zu Placebo zur Prävention von Erkältungen bei gesunden Personen. Auswahlkriterien waren randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) zu einem beliebigen Virusimpfstoff im Vergleich zu Placebo zur Vorbeugung von Erkältungen bei gesunden Personen.

Datenerfassung und -analyse

Für die Bewertung der ersten Suchergebnisse wurde der Screen4Me-Workflow von Cochrane verwendet. Vier Autoren führten unabhängig voneinander ein Titel- und Abstract-Screening durch, um potenziell relevante Studien zu identifizieren. Die Volltexte der als potenziell relevant eingestuften Studien wurden von den Review-Autoren unabhängig voneinander für den Einschluss in den Review gesichtet und die Gründe für den Ausschluss der Studien festgehalten. Mögliche Unstimmigkeiten wurden durch Diskussion oder ggf. durch Rücksprache mit einem dritten Autor geklärt. Zwei Review-Autoren trugen die Daten unabhängig voneinander in ein Datenextraktionsformular ein und klärten Unstimmigkeiten im Konsens oder durch Hinzuziehen eines dritten Review-Autors.

Wichtigste Ergebnisse

Wir haben keine neuen RCTs identifiziert, die in diese Aktualisierung aufgenommen werden sollten. Diese Überprüfung umfasst eine 1965 durchgeführte RCT mit einem insgesamt hohen Risiko der Verzerrung. Die RCT umfasste 2307 gesunde junge Männer in einer Militäreinrichtung, die alle in die Analysen einbezogen wurden, und verglich die Wirkung von drei Adenovirus-Impfstoffen (Lebendimpfstoff, inaktivierter Typ 4 und inaktivierter Typ 4 und 7) mit einem Placebo (Injektion von physiologischer Kochsalzlösung oder Gelatinekapsel). In der Impfstoffgruppe traten bei 1139 Teilnehmern 13 (1.14 %) Ereignisse auf, in der Placebogruppe bei 1168 Teilnehmern 14 (1.19 %). Insgesamt wissen wir nicht, ob es einen Unterschied zwischen dem Adenovirus-Impfstoff und Placebo in Bezug auf die Verringerung der Häufigkeit von Erkältungen gibt (Risikoverhältnis 0.95, 95 % Konfidenzintervall 0.45 bis 2.02; Evidenz mit sehr geringer Sicherheit). Ausserdem wurde kein Unterschied bei den unerwünschten Ereignissen beim Vergleich des Lebendimpfstoffpräparats mit Placebo festgestellt. Wir stuften die Sicherheit der Evidenz auf sehr niedrig herab, weil das Risiko einer Verzerrung unklar ist, weil die Population dieser Studie nur aus jungen Männern bestand und weil die Konfidenzintervalle breit waren und die Zahl der Ereignisse gering war. In der eingeschlossenen Studie wurde die impfstoffbedingte oder die Gesamtmortalität nicht untersucht.

Schlussfolgerungen der Autoren

Dieser Cochrane-Review basierte auf einer Studie mit sehr geringer Evidenz, die zeigte, dass es möglicherweise keinen Unterschied zwischen dem Adenovirus-Impfstoff und Placebo bei der Verringerung der Häufigkeit von Erkältungen gibt. Wir haben festgestellt, dass es einen Bedarf an gut konzipierten, ausreichend aussagekräftigen RCTs zur Untersuchung von Impfstoffen gegen Erkältungen bei gesunden Menschen gibt. Künftige Studien zur Vorbeugung von Erkältungskrankheiten sollten eine Reihe von Virusimpfstoffen für diese Erkrankung untersuchen und Ergebnisse wie die Häufigkeit von Erkältungskrankheiten, die Sicherheit des Impfstoffs und die Sterblichkeit (alle Ursachen und im Zusammenhang mit dem Impfstoff) messen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

Quelle: Montesinos-Guevara C et al. Vaccines for the common cold. Cochrane Acute Respiratory Infections Group PMCID: PMC9749450 PMID: 36515550.
Dieser Artikel ist ein Update von «Vaccines for the common cold» im Band 2017, CD002190.

Umstellung von Einweg- auf Mehrweg-Schutzkleidung

Wiederverwendbare Schutzkleidung ist nachweislich ebenso sicher, kostengünstig und nachhaltig wie Einwegkleidung. Eine Ökobilanz von der Wiege bis zur Bahre, die von einem unabhängigen Forschungsunternehmen für medizinische Geräte durchgeführt wurde, ergab, dass wiederverwendbare Mäntel im Vergleich zu Einwegmänteln 30 % weniger Treibhausgas­emissionen verursachen und 28 % weniger Energie verbrauchen. Möglicherweise muss dieser Vergleich für verschiedene geografische Regionen neu bewertet werden, um festzustellen, wie die Emissionen je nach Energiemix in den einzelnen ­Ländern variieren. Eine kürzlich durchgeführte Studie, in der die Leistung von Mehrweg- und Einwegkitteln verglichen wurde, ergab, dass Mehrwegkittel sicherer sind: Unabhängig davon, wie oft sie gewaschen wurden, erfüllten Mehrwegkittel die PB70-Leistungsspezifikationen (von der Association of the Advancement Instrumentation) besser als Einwegkittel und wiesen eine höhere Nahtfestigkeit und eine vergleichsweise höhere Widerstandsfähigkeit gegen Reißen, Brechen und Knötchenbildung auf. Darüber hinaus konnten durch die Verwendung von Mehrwegkitteln in großen medizinischen Zentren in den USA Hunderte von Tonnen Deponieabfall vermieden und Kosteneinsparungen von fast 50 % pro Kittel erzielt werden, was im Laufe der Jahre zu Einsparungen in Millionenhöhe führte, ohne dass sich dies auf die Infektionsraten auswirkte.

Kommentar: Mehrweg-Schutzkleidung ist genauso sicher wie Einweg-Schutzkleidung, wenn nicht sogar sicherer in Bezug auf mechanische Eigenschafteninsbesondere Reissfestikeit. Die Wegwerfmentalität verursacht nicht nur hohe Kosten, sondern belastet unsere Ressourcen in vielerlei Hinsicht. Entsprechende finanzielle Anreize, wie z. B. Selbstbehalte ( wie bei Medikamenten/Generika), wären hier sowohl für Patienten als auch für Ärzte/Spitäler hilfreich. Solange die Kosten von der Allgemeinheit getragen werden, wird sich hier nicht viel ändern. Offenbar ist weiterhin zu viel Geld im System, bei diesen Beispielen gerade bei den Spitälern: Wie uns die Werbung für die Produkte sagt, schätzen alle Beteiligten die Anwenderfreundlichkeit, d.h. hier Einwegkleidung und OP-Besteck aus poliertem Stahl als Hauptgrund für die Verwendung von Einwegutensilien, nach Gebrauch wegwerfen. Die Kosten tragen letztlich die Krankenkassen und die Allgemeinheit über die Defizitdeckung der Spitäler.

Prof. Dr. med. Beat Thürlimann

Quelle:
Bromley-Dulfano R et al. Switching from disposable to reusable PPE BMJ 2024; 384 doi: https://doi.org/10.1136/bmj-2023-075778
(Published 18 March 2024) Cite this as: BMJ 2024;384:e075778

Vitamin K2 reduziert die Häufigkeit nächtlicher ­Wadenkrämpfe bei älteren Menschen

Hintergrund
Etwa die Hälfte der vorwiegend älteren Menschen haben ­gelegentlich nächtliche Wadenkrämpfe. Bei einigen treten
die Krämpfe häufig auf und diese Menschen suchen medizinische Hilfe. Empfohlen werden oft Magnesium oder Kalzium-Kanal-Blocker, wobei die Wirksamkeit fraglich ist. Wegen schweren Nebenwirkungen wird Quinin nicht mehr empfohlen.
In einer Studie bei Dialysepatienten zeigte sich, dass Vitamin K2 (rezeptfrei erhältlich) wirksam ist und im Vergleich zu ­Plazebo deutlich weniger Wadenkrämpfe auftraten. Wenn Wadenkrämpfe auftraten, dauerten sie weniger lang.
In dieser Studie wurde die Wirksamkeit von Vitamin K2 bei Nicht-Dialysepatienten untersucht.

Einschlusskriterien
• Personen älter als 65 Jahre mit zwei oder mehr Episoden von nächtlichen Wadenkrämpfen in den vergangenen zwei Wochen.

Ausschlusskriterien
• Personen mit Wadenkrämpfen aufgrund metabolischer Krankheiten (z.B. Hypothyreose, Hypoglykämien, ­Hämodialyse) und von Neuropathien (z.B. Alkoholismus, ­Parkinson, amyotrophe Lateralsklerose)
• Einnahme von Diuretika oder Vitamin K-Antagonisten
• Hämodialyse

Studiendesign und Methode
Multizentrische, verblindete, randomisierte Studie

Studienort
In verschiedenen Spitälern einer chinesischen Provinz wurde Werbung für die Teilnahme an der Studie gemacht.

Interventionen
• Gruppe 1: Vitamin K2 (Menaquinon) 180 µg/Tag für acht Wochen
• Gruppe 2: Plazebopräparat für acht Wochen

Outcome
Primärer Outcome
• Mittlere Anzahl nächtlicher Wadenkrämpfe pro Woche

Sekundäre Outcomes
• Dauer der Wadenkrämpfe in Minuten
• Schweregrad der Wadenkrämpfe auf einer Skala von
1 bis 10

Resultat
• 310 Personen wurden für die Eignung an der Studie teilzunehmen untersucht, 199 wurden randomisiert (weniger als zwei Wadenkrämpfe war der häufigste Grund Personen nicht einzuschliessen); das mittlere Alter lag bei 72 Jahren, 54 % waren Frauen, 70 % hatten eine Hypertonie und knapp 50 % einen Diabetes.
• In den zwei Wochen vor Einschluss in die Studie lag die mittlere Frequenz von nächtlichen Wadenkrämpfen bei 2.6/Woche in der Vitamin K2-Gruppe und bei 2.71/Woche in der Plazebo-Gruppe.
• Mittlere Häufigkeit von nächtlichen Wadenkrämpfen ­während der Studie: 0.96/Woche in der Vitamin K2-Gruppe und 3.63/Woche in der Plazebogruppe. Statistisch signifikanter Unterschied.
• Auch die mittlere Dauer der Krämpfe als auch der ­Schweregrad wurden von Vitamin K2 positiv beeinflusst.
• Nebenwirkungen wurden keine registriert.

Kommentar
• Diese Studie liefert Hinweise, dass Vitamin K2 bei älteren Menschen die Häufigkeit, die Dauer und den Schweregrad von nächtlichen Wadenkrämpfen reduziert.
• Nebenwirkungen sind keine beschrieben und die Substanz ist ohne Rezept erhältlich.
• Ungeklärt ist der doch markante Anstieg der Häufigkeit von nächtlichen Wadenkrämpfen von 2.71/Woche in den zwei Wochen vor Einschluss in die Studie auf 3.63/Woche während der Studie. In der Diskussion der Ergebnisse gehen die Autoren auf diesen Anstieg nicht ein.
• Die Wirkungsweise von Vitamin K2 ist nicht bekannt.

Prof. em. Dr. med. Johann Steurer

Literatur
Tan j et al. Vitamin K2 in managing nocturnal leg cramps. A randomized clinical trial. JAMA Intern Med. Doi:10.1001/jamainternmed. 2024.6726.

Praxisassistenz und Curriculum: Bedeutung für den ­Nachwuchs in der Grundversorgung im Kanton Zürich

Praxisassistenzprogramme sowie hausärztliche Curricula bieten einen niederschwelligen und attraktiven Zugang zur Weiterbildung in der Grundversorgung. Dadurch sollen mittelfristig mehr Ärztinnen und Ärzte für eine Karriere in der Grundversorgung gewonnen werden. In dieser Arbeit wurden Ehemalige aus dem Kanton Zürich zu ihrem Karriereverlauf und der inhaltlichen Gestaltung hausärztlicher Curricula befragt. Von 178 Ehemaligen haben 46.6 % (83 Ehemalige) die Umfrage vollständig ausgefüllt. Eine abgeschlossene Weiterbildung haben 79.5 %, und 84.3 % möchten mittelfristig in der Grundversorgung arbeiten. Die Mehrheit hat eine Tätigkeit im Kanton Zürich aufgenommen. Dermatologie, ORL, Rheumatologie und Psychiatrie wurden als die attraktivsten Fächer im Rahmen eines Curriculums bewertet. Die Resultate dieser Arbeit zeigen, dass die Programme ein wichtiges Instrument zur Förderung des ärztlichen Nachwuchses in der Grundversorgung sind.

Schlüsselwörter: Praxisassistenzprogramm, Praxisassistenz, Curriculum Hausarztmedizin, Schweiz, Zürich

Einleitung

Im Bereich der ambulanten medizinischen Grundversorgung, konkret in der Hausarztmedizin und der Kinder- und Jugendmedizin (KJM), fehlt es in der Schweiz an Ärztinnen und Ärzten. Aufgrund der Demografie der Ärzteschaft wird sich die Situation zunehmend verschärfen, wenn nicht mehr Ärztinnen und Ärzte eine Tätigkeit in diesem Bereich aufnehmen (1, 2). In Anbetracht des bereits spürbaren Mangels wurde in den letzten Jahren die Hausarztmedizin als auch die KJM sowohl in der universitären Ausbildung als auch in der Weiterbildung von Assistenzärztinnen und Assistenzärzten gestärkt.

Konkret ermöglichen Praxisassistenzprogramme jungen Assistenzärztinnen und Assistenzärzten, einen Teil ihrer Weiterbildung zur Fachärztin bzw. zum Facharzt für Allgemeine Innere Medizin (AIM) oder KJM in einer Grundversorgerpraxis zu absolvieren (3). Praxisassistenzen stellen für junge Ärztinnen und Ärzte eine konkrete Möglichkeit dar, eine Alternative zur klassischen Spitalmedizin kennenzulernen bzw. zu erleben und damit ein potenzielles Karriereziel zu entdecken. Gleichzeitig ermöglichen die Praxisassistenzen, sich gezielt auf die spätere Tätigkeit in der Grundversorgung vorzubereiten. Die Attraktivität einer Karriere in der Grundversorgermedizin soll durch die Praxisassistenzprogramme somit erhöht und dem Mangel an Grundversorgern mittel- und langfristig begegnet werden. Zusätzlich zu den Praxisassistenzprogrammen bieten viele Kantone hausärztliche Curricula an (4). Diese bestehen neben einer Praxisassistenz aus zusätzlichen Weiterbildungsabschnitten in für die Hausarztmedizin relevanten Fachrichtungen, wie zum Beispiel der Dermatologie oder der Rheumatologie. Neben der unmittelbaren Bedeutung dieser Programme für die Ausbildung junger Ärztinnen und Ärzte erlangen gerade die Praxisassistenzprogramme für die etablierten Arztpraxen eine zunehmende Bedeutung. Viele Fachärztinnen und Fachärzte erreichen bald das Pensionsalter, und aufgrund des Nachwuchsmangels gestalten sich die Rekrutierung von ärztlichem Personal und die Übergabe der eigenen Praxis schwierig. Daten aus den Kantonen Bern und Solothurn zeigen, dass ehemalige Praxisassistentinnen und Praxisassistenten den Einstieg in die Praxistätigkeit häufig in der ehemaligen Lehrpraxis hatten (5, 6). Praxisassistenzprogramme stellen daher auch ein gewolltes Instrument der unmittelbaren Nachwuchsrekrutierung dar. Das Praxisassistenzprogramm im Kanton Zürich wurde über die letzten Jahre kontinuierlich ausgebaut, und aktuell (Stand 2024) können jährlich 42 Praxisassistenzstellen vergeben werden, wovon mindestens 8 Stellen für die KJM reserviert werden. Die verfügbaren Stellen im zweijährigen Curriculum Hausarztmedizin, mit Rotationen in die Dermatologie, Oto-Rhino-Laryngologie (ORL) und Rheumatologie, sind auf Jahre hin ausgebucht. Kenntnisse über eine erfolgreiche Nachwuchsförderung im Rahmen der Programme sowie Kenntnisse darüber, welcher Bedarf an Rotationsstellen im Rahmen hausärztlicher Curricula besteht, sind für die Organisation und den Ausbau der Programme von grosser Bedeutung. Das Ziel dieser Arbeit war es daher zu erheben, wie viele ehemalige Assistenzärztinnen und Assistenzärzte sich für eine Grundversorgertätigkeit entschieden haben und welche Rotationsstellen im Rahmen eines hausärztlichen Curriculums als sinnvoll und damit attraktiv erachtet werden.

Methoden

Die Daten für diese Studie wurden mittels einer Online-umfrage erhoben. Ehemalige Assistenzärztinnen und Assistenzärzte aus dem Praxisassistenzprogramm (AA-PA) sowie dem Curriculum Hausarztmedizin (AA-CU), welche ab 2015 an den Programmen teilgenommen hatten, wurden eingeladen, an der Umfrage teilzunehmen. Der Umfragezeitraum war von Dezember 2023 bis Februar 2024.
Die Umfrage bestand aus insgesamt 62 Fragen. Neben allgemeinen Fragen zur Person wurden spezifische Fragen zu den Themenblöcken aktuelle und zukünftige Arbeitssituation sowie zur Ausgestaltung eines Curriculums Hausarztmedizin gestellt. Die Umfrage beinhaltete adaptive Fragestellungen. So wurden zum Beispiel die Fragen zur Ausgestaltung eines Curriculums Hausarztmedizin als Teil des Facharztes AIM nicht an ehemalige AA-PA einer pädiatrischen Praxisassistenz gestellt.

Statistik

Für die Analyse wurden nur die Ergebnisse der vollständig ausgefüllten Fragebögen verwendet (complete case analysis). Die statistische Analyse erfolgte mit der Software R (Version 4.4.0) (7). Die Ergebnisse wurden deskriptiv als absolute Zahlen und Prozentsätze, N (%), für kategoriale oder binäre Variablen und als Mittelwert (Standardabweichung [SD]) für kontinuierliche Variablen dargestellt. Das kumulative Arbeitszeitpensum wurde aus dem Produkt von Anzahl Monaten und dem Arbeitspensum ermittelt (Stellenprozent).

Ethik und Informed Consent

Die Durchführung einer anonymen Onlineumfrage fällt nicht unter das Humanforschungsgesetz, und die kantonale Ethikkommission Zürich bescheinigte die entsprechende Nichtzuständigkeit (Basec Nummer: Req-2023-01085). Alle Teilnehmenden wurden auf der ersten Seite der Umfrage über Ziel und Zweck der Umfrage, die Freiwilligkeit der Teilnahme, die wissenschaftliche Auswertung und Intention zur Publikation der aggregierten Daten informiert. Die Teilnahme an der Umfrage war freiwillig und anonym.

Resultate

Die Einladung zur Teilnahme an der Umfrage wurde an 178 ehemalige AA-PA/AA-CU versandt, und 109 (61.3 %) hatten die Onlineumfrage geöffnet. In die Auswertung einbezogen wurden die Antworten von 83 (46.6 %) vollständig ausgefüllten Fragebögen. Diese stammten mehrheitlich von ehemaligen AA-PA AIM (37, 44.6 %) und ehemaligen AA-CU (26, 31.3 %). 20 Antworten (24.1 %) stammten von ehemaligen AA-PA KJM. Das mittlere Alter betrug 36.3 Jahre (SD 4.1), und 72.3 % waren weiblich.

Aktuelle Arbeitssituation

Die Mehrheit der ehemaligen AA-PA/AA-CU (66, 79.5 %) gab an, bereits eine abgeschlossene Weiterbildung zu haben, welche ein eigenverantwortliches Arbeiten in der Grundversorgung erlaubt (Facharzt AIM/KJM oder Praktische Ärztin/Praktischer Arzt). Von diesen gaben 55 (83.3 %) an, in den zwölf Monaten vor Teilnahme an der Umfrage mindestens einen Monat in der Grundversorgung gearbeitet zu haben (Abb. 1). Durchschnittlich wurden 9.7 Monate (SD 3.3) in der Grundversorgung gearbeitet, und 18.2 % arbeiteten in mehr als einer Grundversorgerpraxis. Die Mehrheit (57, 87.7 %) der ehemaligen AA-PA/AA-CU hatte im Kanton Zürich gearbeitet (Abb. 2).
Nach Ende der Praxisassistenzzeit hatten 40 (48.2 %) der ehemaligen AA-PA/AA-CU noch einmal in ihrer alten Lehrpraxis gearbeitet. Von diesen hatten 31 (77.5 %) die Zeit in der Lehrpraxis unmittelbar an die Praxisassistenz verlängert, und 33 (82.5 % bzw. 50 % aller ehemaligen AA-PA/AA-CU mit abgeschlossener Weiterbildung) hatten ihren Praxiseinstieg in ihrer ehemaligen Lehrpraxis.

Karrierepläne der ehemaligen AA-PA/AA-CU

Unabhängig des aktuellen Weiterbildungsstands planen 70 % bzw. 84 % kurzfristig bzw. mittelfristig die Aufnahme einer Grundversorgertätigkeit (Abb. S1). Bei Ehemaligen mit abgeschlossener Weiterbildung erhöhen sich die Anteile auf 82 % bzw. 89 %. Von den ehemaligen AA-PA/AA-CU, welche mittelfristig die Aufnahme einer Grundversorgertätigkeit planen, gab die Mehrheit an, den Entscheid bereits vor (34, 48.6 %) oder während (26, 37.1 %) der Praxisassistenz getroffen zu haben. Von den neun ehemaligen AA-PA/AA-CU, welche mittelfristig keine Aufnahme einer Grundversorgertätigkeit planen, gab die Mehrheit an, den Entscheid während (4, 44.4 %) oder nach (3, 33.3 %) der Praxisassistenz getroffen zu haben. Bei acht der neun ehemaligen AA-PA/AA-CU war eine Spitalkarriere das neue Karriereziel. Eine Übersicht über die Faktoren, welche den Entscheid über die zukünftige Karriere der ehemaligen AA-PA/AA-CU mitbeeinflusst haben, ist in Abb. S2 dargestellt. Stratifiziert nach ehemaligen AA-PA/AA-CU, welche angegeben hatten, mittelfristig in der Grundversorgung zu arbeiten, zeigte sich, dass Faktoren wie der hohe Anteil an klinischer Arbeit und die Arzt-Patienten-Beziehung signifikant häufiger als wichtig bewertet wurden. Im Gegensatz wurden Karrieremöglichkeiten signifikant seltener als wichtig bewertet (Abb. S3).

Zukünftige Curricula in der Hausarztmedizin

Insgesamt haben 21 (56.8 %) der 37 ehemaligen AA-PA AIM berichtet, dass sie gerne an einem Curriculum Hausarztmedizin teilgenommen hätten. Abb. S4 zeigt die für ein Curriculum am relevantesten beurteilten Rotationsstellen. Die Dermatologie, ORL, Rheumatologie und Psychiatrie wurden dabei als am relevantesten beurteilt. Ambulante Arztpraxen wurden von 95 % der Umfrageteilnehmer als die am ehesten geeigneten Ausbildungsstätten bewertet, wohingegen nur 61 % die Universitätsspitäler als geeignet betrachteten. Grössere und kleinere Spitäler wurden von 87 % bzw. 89 % als geeignet bewertet (Abb. S5).

Diskussion

In dieser Arbeit wurden ehemalige Assistenzärztinnen und Assistenzärzte aus dem Zürcher Praxisassistenzprogramm sowie dem Curriculum Hausarztmedizin über ihre aktuelle und geplante Arbeitssituation sowie über als sinnvoll erachtete Rotationen in Bezug auf zukünftige hausärztliche Curricula befragt. Ein Grossteil der ehemaligen AA-PA/AA-CU hat die Weiterbildung bereits abgeschlossen und übt eine Grundversorgertätigkeit im Kanton Zürich aus. Im Hinblick auf hausärztliche Curricula werden die Fächer Dermatologie, ORL, Rheumatologie und Psychiatrie als die am relevantesten Fächer für eine spätere Grundversorgerkarriere bewertet, und Ausbildungsplätze in diesen Fächern in ambulanten Praxen werden als am vorteilhaftesten angesehen.

Ein Grossteil der ehemaligen AA-PA/AA-CU plant, die aktuelle Grundversorgertätigkeit auch kurz- bzw. mittelfristig auszuüben. Ein Drittel der Befragten fällte diesen Karriereentscheid sogar während der Praxisassistenz. Die Angaben zur zukünftigen Tätigkeit ähneln den Resultaten vergleichbarer Umfragen aus den Kantonen Bern, Solothurn und Luzern, in denen 81 %, 77 % bzw. 74 % der Ehemaligen angegeben hatten, bereits in der Grundversorgung zu arbeiten oder kurz davorzustehen (5, 6, 8). Ebenso zeigten sich in Bezug auf den Praxiseinstieg ähnliche Resultate. Auch in den Kantonen Bern und Solothurn berichtete etwa die Hälfte aller Befragten, den eigenen Praxiseinstieg in der ehemaligen Lehrpraxis gehabt zu haben. Diese Zahlen verdeutlichen die Rolle der Praxisassistenzprogramme für die etablierten Grundversorgerpraxen. Eine gute Praxisassistenz ist nicht nur ein wichtiger Faktor für eine gute klinische Ausbildung und die spätere Berufswahl an sich, sondern auch ein effektives Instrument, für die Lehrpraxis Nachwuchs zu rekrutieren.

Betrachtet man die Einschätzung der Faktoren, welche die spätere Karrierewahl für die Grundversorgermedizin beeinflusst haben, zeigt sich, dass die ehemaligen AA-PA/AA-CU vor allem den hohen Anteil an klinischer Tätigkeit und die Arzt-Patienten-Beziehung schätzen und die Karrieremöglichkeiten weniger im Vordergrund stehen. Insgesamt wurde jedoch die Möglichkeit der Teilzeitarbeit als der wichtigste Faktor bewertet. Schon bei Bachelor-Studierenden zeigt sich im Verlauf des Studiums die zunehmende Bedeutung von Teilzeitarbeit (9). Teilzeitarbeit ist gerade in Gruppenpraxen, wo die Mehrheit der Ehemaligen tätig ist, einfacher umsetzbar, und entsprechend überraschen die angegebenen niedrigen Stellenprozente der Befragten nicht. Die Zahlen dieser Umfrage sind damit sogar leicht tiefer als bei einer Umfrage unter jungen Hausärzten 2017, wo das gewünschte Pensum bei Männern bei 78 % und bei Frauen bei 66 % gelegen hatte (10). Auch zeigen die Daten aus den Kantonen Bern und Solothurn, dass nur etwa 40 % der Ehemaligen ein Arbeitspensum über 80 % haben (5, 6). De facto bestätigen die Zahlen zum Arbeitspensum, dass es aktuell fast zwei neue Ärztinnen und Ärzte braucht, um ein Vollzeitäquivalent eines Grundversorgers zu ersetzen.

Für die Planung und Organisation der hausärztlichen Curricula ist die Kenntnis über die von den Weiterzubildenden nachgefragten klinischen Rotationen von grosser Bedeutung. Auf der einen Seite müssen die Curricula für die Weiterzubildenden attraktiv sein, auf der anderen Seite müssen die Curricula den Anforderungen der späteren Grundversorgertätigkeit gerecht werden. Ehemalige AA-PA/AA-CU bewerteten die Fachgebiete Dermatologie, ORL, Rheumatologie und Psychiatrie als am relevantesten für eine spätere Grundversorgertätigkeit. Aber auch Chirurgie und Geriatrie wurden als weitere relevante Fachgebiete identifiziert. Es zeigt sich hier eine grosse Übereinstimmung mit einer Umfrage, welche vor einigen Jahren unter Studierenden sowie jungen Hausärztinnen und Hausärzten durchgeführt wurde (11). Die Tatsache, dass vor allem Praxen und kleinere Spitäler als optimale Weiterbildungsstätten angesehen werden, überrascht nicht, da das Patientengut in den Universitätsspitälern häufig sehr selektiert und in der Regel nicht mehr unbedingt mit einer Grundversorgerpraxis vergleichbar ist.

Limitationen

Grösste Limitation der Arbeit ist die relativ geringe Antwortrate unter den Ehemaligen. Obwohl eine Antwortrate von knapp 50 % vollständig ausgefüllter Fragebögen objektiv gut ist (12), wäre eine höhere Antwortrate einer «Alumni»-Umfrage wünschenswert gewesen. Aufgrund der Anonymität der Umfrage konnte die Antwortrate nicht durch gezieltes Kontaktieren der ehemaligen AA-PA/AA-CU erhöht werden, sondern war beschränkt auf zwei allgemeine «Reminder». Entsprechend sind auch keine Aussagen über die Charakteristika der Nichtteilnehmenden möglich.

Ebenso muss erwähnt werden, dass für die wirkliche Messung der Effektivität von Praxisassistenzprogrammen Querschnittserhebungen einen entscheidenden Nachteil haben. Gerade die Berufsabsichten derer, welche die Programme erst vor Kurzem abgeschlossen haben, unterliegen einer gewissen Unschärfe. In informellen Gesprächen berichten viele Ehemalige, dass sie zwar mittelfristig in der Grundversorgung arbeiten möchten, jedoch vorher noch Erfahrung als z. B. Oberärztin bzw. Oberarzt im Spital sammeln wollen. Ob in einigen Jahren dann wirklich der Wechsel in die Praxis stattfindet, bleibt jedoch ungewiss. Umgekehrt mag der Arbeitsalltag im Spital dazu führen, dass Ehemalige, welche heute eine Spitalkarriere anstreben, mittelfristig doch in der Grundversorgung arbeiten werden.

Schlussfolgerung

Die Studie bestätigt die vorhandene Evidenz, dass ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Praxisassistenzprogramme und hausärztlichen Curricula mittelfristig in der medizinischen Grundversorgung arbeiten. Die Stärkung dieser Programme kann dazu beitragen, den Nachwuchs zu fördern und dem Mangel an Grundversorgern entgegenzuwirken.

Abkürzungen:
AIM Allgemeine Innere Medizin
AA-CU Assistenzärztinnen und Assistenzärzte aus dem ­Curriculum Hausarztmedizin
AA-PA Assistenzärztinnen und Assistenzärzte aus dem ­Praxisassistenzprogramm
KJM Kinder- und Jugendmedizin
ORL Oto-Rhino-Laryngologie
SD Standardabweichung

PD Dr med. Andreas Plate

Institut für Hausarztmedizin
Universitätsspital Zürich
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich

andreas.plate@usz.ch

Die Autorin und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Die Mehrheit der ehemaligen Assistenzärztinnen und Assistenzärzte strebt mittelfristig eine Karriere in der medizinischen Grundversorgung an.
• Die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit, die Arzt-Patienten- ­Beziehung und die Erfahrungen während der Praxisassistenz waren die wichtigsten Faktoren im Rahmen der Karrierewahl.
• Dermatologie, ORL, Rheumatologie und Psychiatrie sind die für eine Grundversorgertätigkeit am relevantesten empfundenen Rotationsstellen im Rahmen eines hausärztlichen Curriculums.

1. Stierli R, Rozsnyai Z, Felber R, Jörg R, Kraft E, Exadaktylos AK, Streit S. Primary Care Physician Workforce 2020 to 2025 – a cross-sectional study for the Canton of Bern. Swiss Med Wkly. 2021;151:w30024.
2. Hostettler S, Kraft E. FMH-Ärztestatistik 2023 – 40% ausländische Ärztinnen und Ärzte. Schweizerische Ärztezeitung. 2024:105(12):32–36.
3. Gerber T, Häuptle C, Denti F, Graf S, Merlo C, Pasche O, et al. Praxisassistenz in der Schweiz: eine Übersicht in den Kantonen. PRIMARY AND HOSPITAL CARE – ALLGEMEINE INNERE MEDIZIN. 2022;22(11):331–334.
4. Häuptle C, von Erlach M. Weiterbildung in Hausarztmedizin: Praxisassistenz und Curriculaweiterbildung (Rotationsstellen) in der Schweiz. Praxis (Bern 1994). 2019;108(1):63-72.
5. Rozsnyai Z, Diallo B, Floriani C, Blum M, Streit S. Nachwuchs für die Grundversorgung im Kanton Bern. Primary and Hospital Care. 2022;22(9):281–283.
6. Zimmerli L, Fluri M, Droste P, Cina C, Leupold F, Streit S, Fenner L. Erfolgreiche Nachwuchsförderung. Schweizerische Ärztezeitung. 2020;101(31–32):948–949.
7. R Core Team. R: A language and environment for statistical computing. 2020. R Foundation for Statistical Computing, Vienna, Austria. Available from https://www.R-project.org/
8. Studer C, Merlo C. Weiterbildung in Hausarztmedizin im Kanton Luzern. PRIMARY AND HOSPITAL CARE – ALLGEMEINE INNERE MEDIZIN. 2017;17(5):87–88.
9. Weiss K, Di Gangi S, Inauen M, Senn O, Markun S. Changes in the attractiveness of medical careers and career determinants during the bachelor’s program at Zurich medical schools. BMC Medical Education. 2024;24(1):693.
10. Gisler LB, Bachofner M, Moser-Bucher CN, Scherz N, Streit S. From practice employee to (co-)owner: young GPs predict their future careers: a cross-sectional survey. BMC Family Practice. 2017;18(1):12.
11. Rozsnyai Z, Tal K, Bachofner M, Maisonneuve H, Moser-Bucher C, Mueller Y, et al. Swiss students and young physicians want a flexible goal-oriented GP training curriculum. Scand J Prim Health Care. 2018;36(3):249-61.
12. Baruch Y, Holtom BC. Survey response rate levels and trends in organizational research. Human Relations. 2008;61(8):1139-60.

Metabolisches Syndrom und die Leber: Eine zunehmende Herausforderung für Internisten und Hepatologen

Die Steatohepatitis, eine Manifestation des metabolischen Syndroms in der Leber, ist inzwischen die häufigste chronische Lebererkrankung weltweit. In der Schweiz liegt die geschätzte Prävalenz bei etwa 5 % für Steatohepatitis und 25 % für die Lebersteatose, eine mildere Vorstufe (1). Global ist die Prävalenz der Lebersteatose von 25.5 % vor 2006 auf 37.8 % nach 2016 gestiegen (2). Wie andere chronische Hepatopathien kann die Steatohepatitis im fortgeschrittenen Stadium zu erheblichen Komplikationen wie Leberzirrhose, portaler Hypertonie, hepatischer Dekompensation und hepatozellulärem Karzinom führen. Dies stellt sowohl Grundversorger als auch Spezialisten vor grosse Herausforderungen in der Abklärung und Behandlung betroffener Patienten. Die europäischen und amerikanischen Fachgesellschaften für Hepatologie und Endokrinologie haben kürzlich neue Leitlinien mit zahlreichen Empfehlungen veröffentlicht (3, 4). Dr. Vana und Kollegen beleuchten in ihrem Übersichtsartikel entsprechend aktualisierte dia­gnostische, therapeutische und pathophysiologische Aspekte der Steatohepatitis, welche ein optimales Management dieser Patienten ermöglichen.
Interessanterweise wurde diese chronische Hepatopathie erst vor etwas mehr als 40 Jahren beschrieben und lange als Alkohol-assoziierte Lebererkrankung fehldiagnostiziert. Der Begriff «nicht-alkoholische Steatohepatitis» (NASH) wurde erstmals 1980 von Prof. Jürgen Ludwig geprägt (5). Er beschrieb in Leberbiopsien von 20 abstinenten Patienten typische histologische Merkmale einer alkoholischen Hepatopathie, einschliesslich hepatozellulärer Steatose, lobulärem Entzündungsinfiltrat, sogenannten Mallory-Körpern, und teilweise fortgeschrittener Leberfibrose oder Leberzirrhose. Die meisten dieser Patienten wiesen eine oder mehrere Komponenten des metabolischen Syndroms auf. Erst Jahre später wurde der pathophysiologische Zusammenhang zwischen metabolischem Syndrom und Steatohepatitis etabliert. Angesichts der klaren Assoziation mit dem metabolischen Syndrom und dem mittlerweile pandemischen Vorkommen der nicht-alkoholischen Fettleber (NAFL) wurde 2023 die Nomenklatur nach einem internationalen Delphi-Konsensprozess angepasst. Dies erfolgte, um die bisherige Ausschlussdiagnose «nicht-alkoholisch» zu eliminieren, den stigmatisierenden Begriff «Fett» durch «steatotisch» zu ersetzen und die Assoziation zum metabolischen Syndrom hervorzuheben. Neu lautet die Bezeichnung «metabolische Dysfunktion-assoziierte steatotische Lebererkrankung» (MASLD) und bei histologischem Nachweis «metabolische Dysfunktion-assoziierte Steatohepatitis» (MASH). Zusätzlich wurde das Akronym «MetALD» eingeführt, um Personen mit konkomitierender Alkohol-assoziierter Lebererkrankung (ALD) und MASLD zu klassifizieren: metabolische Dysfunktion-assoziierte steatotische Lebererkrankung mit erhöhtem Alkoholgebrauch, definiert als ein täglicher Alkoholkonsum von durchschnittlich mehr als 20 Gramm für Frauen bzw. 30 Gramm für Männer (3, 4).

Für die Diagnosestellung der MASLD sind gemäss den neuen Empfehlungen neben der obligaten radiologisch oder histologisch nachgewiesenen Lebersteatose das Vorhandensein eines oder mehrerer kardiometabolischer Risikofaktoren erforderlich. Diese Risikofaktoren entsprechen den Komponenten des metabolischen Syndroms: Body Mass Index ≥ 25 kg/m2, Insulinresistenz, arterielle Hypertonie (≥ 130/85 mmHg), erhöhte Plasma-Triglyceride (≥ 1.7 mmol/l), erniedrigtes Plasma-HDL-Cholesterin (≤ 1.0 mmol/l für Männer bzw. ≤ 1.3 mmol/l für Frauen) (3, 4).

Patienten mit MASLD/MASH und fortgeschrittener Leberfibrose sind gefährdet, Komplikationen wie Leberzirrhose, Leberversagen und ein hepatozelluläres Karzinom zu entwickeln. Daher wird in den aktuellen Leitlinien ein einfaches und kostengünstiges Screening bei Risikogruppen (z.B. Diabetes, Adipositas oder metabolisches Syndrom) empfohlen: Der Fibrosis-4- (FIB-4)-Score, basierend auf den Transaminasen AST, ALT, Alter und Thrombozytenzahl, ermöglicht eine einfache und nicht invasive Einschätzung des Risikos für fortgeschrittene Leberfibrose. Überschreitet der FIB-4-Score den Schwellenwert von ≥ 1.3, sollte der Patient einer Leberelastographie unterzogen werden (Schwellenwert ≥ 8 kPa) und je nach Befund hepatologisch weiter abgeklärt werden (3, 4).

Eine bedeutende Neuerung im Bereich der MASLD ist die kürzliche Zulassung von Resmetirom in den USA als erstes Medikament zur spezifischen Behandlung der MASH bei Patienten mit moderater bis fortgeschrittener Leberfibrose. Der orale Agonist des Schilddrüsenhormon-Rezeptors Beta (THR-β) Resmetirom zeigte in einer Phase-3-Studie nach 52-wöchiger Behandlung eine signifikante Abnahme der Steatohepatitis und Regression der Leberfibrose (6). Möglicherweise wird Resmetirom 2025 auch in der Schweiz zugelassen. Neben Resmetirom befinden sich mehrere weitere Medikamente, einschliesslich Glukagon-like Peptide-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) und andere (duale) Inkretine, Fibroblast Growth Factor 21 Rezeptoragonisten (FGF21-RA) und Peroxisome Proliferator-activated Rezeptoragonisten (PPAR), in fortgeschrittener klinischer Entwicklung für Patienten mit MASLD. Trotz dieser positiven therapeutischen Entwicklungen bleibt die interdisziplinäre, internistisch-hausärztliche und interprofessionelle Betreuung (Ernährungsberatung) von betroffenen Patienten hinsichtlich Lebensstil (ausgewogene, gesunde Ernährung, regelmässige körperliche Aktivität) und optimaler Behandlung des metabolischen Syndroms zentral, was Dr. Váňa und Kollegen in ihrer aktuellen Übersichtsarbeit darlegen.

PD Dr. med. et phil. nat. David Semela

Leiter Fachbereich Hepatologie
Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstrasse 95
CH-9005 St. Gallen

david.semela@kssg.ch

1. Goossens N, Bellentani S, Cerny A, Dufour JF, u. a. Nonalcoholic fatty liver disease burden – Switzerland 2018-2030. Swiss Med Wkly. 2019; 149:w20152.
2. Riazi K, Azhari H, Charette JH, Underwood FE, u. a. The prevalence and incidence of NAFLD worldwide: a systematic review and meta-analysis. Lancet Gastroenterol Hepatol. 2022;7(9):851-61.
3. European Association for the Study of the Liver (EASL). EASL-EASD-EASO Clinical Practice Guidelines on the management of metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease (MASLD). J Hepatol. 2024;S0168-8278(24)00329-5.
4. Rinella ME, Tacke F, Sanyal AJ, Anstee QM, u. a. AASLD Practice Guidance on the clinical assessment and management of nonalcoholic fatty liver disease. Hepatology. 2023;77(5):1797-1835.
5. Ludwig J, Viggiano TR, McGill DB, Oh BJ. Nonalcoholic steatohepatitis: Mayo Clinic experiences with a hitherto unnamed disease. Mayo Clin Proc. 1980;55(7):434-8.
6. Harrison SA, Bedossa P, Guy CD, Schattenberg JM, u. a. A Phase 3, randomized, controlled trial of resmetirom in NASH with liver fibrosis. N Engl J Med. 2024;390(6):497-509.

Nicht-alkoholische Fettleber: Neuer Name, aber die Herausforderung bleibt

Aufgrund von Volkskrankheiten mit steigenden Patientenzahlen, wie etwa dem metabolischen Syndrom, werden metabolische Lebererkrankungen zu den häufigsten Lebererkrankungen der Zukunft. Im Artikel werden wesentliche Neuerungen erläutert, darunter die Nomenklaturänderung von nicht-alkoholischer Fettlebererkrankung zu metabolischer Dysfunktion-assoziierter steatotischer Lebererkrankung.

Schlüsselwörter: MASLD, NAFLD, Metabolisches Syndrom, Fibrose, Zirrhose

Die neuen Definitionen: Nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) wird zu metabolische Dysfunktion-assoziierte steatotische Lebererkrankung (MASLD)

Im Sommer 2023 gaben internationale Lebergesellschaften – einschliesslich der European Association for the Study of the Liver (EASL) – das Ergebnis eines Delphi-Prozesses zur Änderung der NAFLD-Nomenklatur bekannt. Diese Überarbeitung erfolgte, um diagnostische Kriterien anhand leicht messbarer Parameter zu standardisieren und somit Heterogenität zu minimieren sowie potenziell stigmatisierende Begriffe aus der Nomenklatur zu eliminieren (1).

Überbegriff der neuen Nomenklatur ist die «steatotische Lebererkrankung» (Engl. «Steatotic Liver Disease» [SLD]). Eine SLD liegt vor, wenn eine Steatose in ≥5 % der Hepatozyten nachgewiesen werden kann. SLD umfasst als Überbegriff verschiedene Ursachen der Lebersteatose, die in Untergruppen genauer klassifiziert werden (Abb. 1).

Die nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) wird zu metabolische Dysfunktion-assoziierte steatotische Lebererkrankung (Engl. «Metabolic Dysfunction-associated Steatotic Liver Disease» [MASLD]) umbenannt (2). MASLD ist definiert als das Vorliegen einer Lebersteatose von mindestens 5 % in Kombination mit mindestens einem kardiometabolischen Risikofaktor (kmRF). Gemäss aktuellem Kenntnisstand können NAFLD und MASLD weitestgehend synonym verwendet werden und erfassen ein ähnliches Patientenkollektiv (3). Bei Vorliegen von entzündlicher Aktivität spricht man nun von einer metabolischen Dysfunktion-assoziierten Steatohepatitis (Engl. «Metabolic Dysfunction-associated Steatohepatitis» [MASH]).

Zudem wurde ein neues Krankheitsbild definiert, welches bis jetzt wenig Aufmerksamkeit erhielt. Diese neue Entität, MetALD, umfasst Patienten, welche die diagnostischen Kriterien für MASLD erfüllen und zudem relevante Alkoholmengen konsumieren (durchschnittlich >30g/Tag bei Männern, >20g/Tag bei Frauen). Diese Gruppe umfasst ein dynamisches Spektrum zwischen MASLD, wo der Krankheitsverlauf massgeblich bestimmt wird durch kmRF und Alkohol-bezogener Lebererkrankung (Engl. «Alcohol-associated Liver Disease» [ALD]), wo Alkoholkonsum der treibende Faktor ist. Das Risiko für eine schwere Lebererkrankung ist bei gleichzeitigem Vorliegen von kmRF und relevantem Alkoholkonsum stark erhöht (4). Bisher wurde dieser Tatsache durch die strikte Trennung von NAFLD und ALD kaum Rechnung getragen. Es ist davon auszugehen, dass MetALD Betroffene von gezielten klinischen Studien und der Sensibilisierung des Versorgungssystems profitieren werden. Weiterhin bestehen bleibt das Krankheitsbild der ALD. Hierbei steht der Alkoholkonsum im Vordergrund, und es liegen keine kmRF vor (Tab. 1).

Wenn auch nach Ausschluss von kmRF und seltenerer Ursachen (z.B. Wilson-Krankheit, Hypobetalipoproteinämie, vgl. Abb. 1) keine spezifische Ätiologie identifiziert werden kann, wird die Erkrankung als kryptogene steatotische Lebererkrankung (Engl. «Cryptogenic SLD») klassifiziert. Besonders in pädiatrischen Populationen ist es dabei wichtig, bei Fehlen eindeutiger kmRF andere mögliche Ursachen auszuschliessen. So sollte bei Verdacht auf eine Stoffwechselerkrankung insbesondere auch eine Untersuchung auf LAL-D (Lysosomale saure Lipase-Defizienz) in Betracht gezogen werden, da es sich um eine seltene, aber fatale und behandelbare Erkrankung handelt. In Fällen, in denen die Behandelnden eine Stoffwechselerkrankung ohne zunächst eindeutiges Vorliegen von kmRF vermuten, wird empfohlen, weitere Untersuchungen (z.B. Oral Glucose Tolerance Test, OGTT) durchzuführen und den Begriff «mögliche MASLD» zu verwenden (1).

Progression der MASLD: Von einfacher ­Steatose zur Steatohepatitis, Fibrose und Zirrhose, ­Dekompensation bis zum hepato­zellulärem Karzinom (HCC)

MASLD beinhaltet ein weites Spektrum an Schweregraden (Abb. 2). Eine Insulinresistenz von Fett- und Lebergewebe, welche v.a. bei Typ 2 Diabetes mellitus (T2DM) und metabolischem Syndrom vorliegt, bedingt eine gestörte Homöostase des Glukose- und Fettsäurestoffwechsels. Hierdurch werden in Hepatozyten vermehrt Triglyceride synthetisiert und eingelagert. Durch mitochondriale Dysfunktion entstehen toxische reaktive Sauerstoffradikale (ROS). Die resultierende Entzündung, sog. Steatohepatitis, wird durch Aktivierung von hepatischen Makrophagen (Kupfferzellen) und systemischen Entzündungsmediatoren vermittelt. Im Zusammenhang mit MASLD spricht man hier von einer metabolischen Dysfunktion-assoziierten Steatohepatitis (MASH).

Es kommt zum Untergang von Lebergewebe und einer Dysregulation verschiedener Zellpopulationen. Endotheliale Zellen der Lebersinusoide verändern ihre Konfiguration (z.B. Verlust von Fenestrae, Kontraktion), was den hepatischen Blutfluss und Gewebefunktionen (z.B. Entgiftung und Verstoffwechselung) beeinträchtigt. Hepatische Sternzellen werden zu Myofibroblasten aktiviert. Dies führt zu einer gesteigerten Produktion von extrazellulärer Matrix mit zunehmender Fibrose. Einen kritischen Punkt stellt die Entwicklung einer signifikanten Fibrose (≥F3) dar, da dies mit erhöhter Mortalität assoziiert ist.

Mechanische und hämodynamische Veränderungen führen zu portaler Hypertonie, die das Risiko für hepatische Dekompensation mit Ikterus, Aszites, Ösophagusvarizenblutung oder hepatischer Enzephalopathie erhöht und mit einer schlechten Prognose einhergeht. Bei Vorliegen einer fortgeschrittenen Leberfibrose (F3-Fibrose) und Leberzirrhose (F4-Fibrose) besteht zudem ein hohes Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom (HCC). Im Gegensatz zu anderen Lebererkrankungen wie viralen Hepatitiden oder ALD, bei denen ein HCC meist erst in späteren Stadien auftritt, kann bei MASLD bereits in früheren Fibrosestadien ein HCC entstehen (vgl. Abb. 2) (5, 6). Das Risiko für ein HCC steigt jedoch mit zunehmender Fibrose und insbesondere bei Vorliegen einer Zirrhose signifikant an.

Fortgeschrittene Fibrose und Zirrhose bei MASLD sind reversibel

Fibrose ist als dynamischer Prozess zu verstehen, der auch in fortgeschrittenen Stadien zumindest teilweise reversibel ist. Voraussetzung für eine Regression der Fibrose ist die Abwesenheit leberschädigender Faktoren. Im Kontext von MASLD sind dies insbesondere kmRF, jedoch auch zusätzliche Stressoren wie Alkohol. Kürzlich wurde nachgewiesen, dass eine Regression der Zirrhose mit einer Verbesserung der Prognose bei MASLD assoziiert ist (7). Somit stellt Fibroseregression ein wichtiges therapeutisches Ziel bei MASLD dar.

MASLD ist eine Herausforderung für die ­kommenden Jahrzehnte

In der Schweiz waren 2020 etwa zwei Mio. Personen (rund 23 % der Bevölkerung) von MASLD betroffen (8). Insgesamt variiert die Prävalenz in Europa zwischen 20 % und 30 % (Stand 2019) (9). Nur ein geringer Anteil dieser Personen entwickelt eine schwere Lebererkrankung. Aufgrund der grossen Anzahl Betroffener ist dennoch die absolute Zahl derer, die eine Leberzirrhose oder ein HCC bei MASLD entwickeln, sehr hoch und steigend. Durch Fortschritte, vor allem bei der Behandlung der Hepatitis C (10), wird MASLD zukünftig eine zentrale Bedeutung unter den Lebererkrankungen haben. Aufgrund der hohen MASLD-Prävalenz sind zudem viele transplantierte Lebern von Steatose betroffen (11).

Evidenz-basierte Tests und Algorithmen sollten zur Diagnose und Risikostratifizierung eingesetzt werden

Evidenz-basierte Ansätze zur Diagnostik und Risikostratifizierung sind aufgrund der hohen Anzahl Betroffener unabdingbar. Im klinischen Alltag dient häufig der abdominelle Ultraschall zur Diagnose einer Steatose. Der hepato-renale Index vergleicht die Echogenität von Nierenparenchym und Leber. Eine relativ «hellere» Leber und abgeschwächte Gefässzeichnung weisen auf relevante Steatose hin. Weiterhin ist der controlled attenuation parameter (CAP; FibroScan®) ein verbreitetes, günstiges Verfahren zur Diagnose der MASLD (Grenzwert ≥275 dB/m). Magnetresonanz-basierte Methoden (v.a. MRI-PDFF) sind genauer, aber aufwendiger und werden daher in dieser Indikation selten klinisch eingesetzt. CAP und MRI-PDFF erlauben eine quantitative Bestimmung der Steatose. Ein direkter prognostischer Wert der Steatosequantifizierung konnte bisher nicht belegt werden. Da man jedoch annimmt, dass eine Reduktion der Steatose zur einer Reduktion von entzündlicher Aktivität führt, kann CAP in der klinischen Praxis eingesetzt werden, um eine Tendenz des Verlaufs abzuschätzen. In klinischen Studien dient die eine Reduktion der Steatose, gemessen mittels MRI-PDFF, als akzeptierter Endpunkt.

Erhöhte Transaminasen können eine klinische Einschätzung bezüglich Vorliegen einer Steatohepatitis erlauben, eine Biopsie ist jedoch für die Diagnose nötig. Unbedingt zu beachten ist, dass Transaminasen für die Einschätzung des Fibrosegrades ungeeignet sind. Normwertige Transaminasen schliessen eine Zirrhose nicht aus. Stattdessen sollten einfache Tests wie der Fibrosis-4-Score (FIB-4; Link) und der NAFLD-Fibrosis-Score (NFS; Link) angewandt werden. Diese bieten sich als wertvolle Screening-Tools besonders in der allgemeinmedizinischen Praxis an, sind leicht anwendbar und kosteneffizient.

Gemäss aktuellen EASL sowie deutschen Leitlinien sollte bei Personen mit erhöhten Werten (z.B. FIB-4 ≥1,30) eine erweiterte Diagnostik mittels Elastographie (z.B. FibroScan®) durchgeführt werden (12, 13). Bei der klinischen Einschätzung sollten neben nicht invasiven Tests Faktoren, die eine schwerwiegende MASLD begünstigen, wie kmRF, postmenopausaler Hormonstatus (14), Alkoholkonsum und das Vorliegen anderer Lebererkrankungen (z.B. virale Hepatitis B) einbezogen werden.

Gewichtsreduktion ist eine effektive Therapie und kann Fibrose verbessern

Therapie der ersten Wahl sind Lebensstiländerungen mit Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung und Alkoholabstinenz (14). Hausärzte spielen dabei eine enorm wichtige Rolle in der Motivation und Unterstützung der Patienten. Eine Gewichtsreduktion ≥10 % durch 12-monatige Diät und erhöhte körperliche Aktivität führen zu einer Fibroseregression (16). Empfohlen wird daher eine schrittweise Gewichtsreduktion von 5–10 % bei Übergewicht und 3–5 % bei Normalgewicht unter Vermeidung von Sarkopenie (Muskelschwund). Sarkopenie ist mit einer schlechteren Prognose bei Lebererkrankungen assoziiert.

Hinsichtlich Ernährung ist eine mediterrane Kost mit pflanzlichen Proteinen, weissem Fleisch, ballaststoffreichen Nahrungsmitteln und Nüssen zu bevorzugen (17, 18). Rotes Fleisch und gesättigte Fettsäuren sollten reduziert werden. Die WHO empfiehlt zudem eine Zuckeraufnahme von <50 g/Tag.

Der häufig verwendete Tafelzucker ist ein Disaccharid, das aus Glukose und Fruktose besteht. Insbesondere eine erhöhte Zufuhr von Fruktose (isoliert oder als Bestandteil des Disaccharids Kristallzucker) führt im Vergleich zu Glukose zu einer ungünstigen intrahepatischen Stoffwechsellage mit vermehrter Steatose. Daher sind mit Zucker oder Fruktose gesüsste Getränke zu meiden. Zudem ist komplette Alkoholabstinenz bei MASLD essenziell, da bereits geringe Mengen das Risiko für schwere Lebererkrankungen erhöhen. Kaffeekonsum hingegen hat einen positiven Einfluss auf die Erkrankung.

In der Schweiz ist bariatrische/metabolische Chirurgie (BMC) nicht für MASLD, aber für metabolische Komorbiditäten zugelassen (19). Insgesamt stellt BMC eine wirksame Therapie bei sorgfältig ausgewählten Patienten dar. 84 % der adipösen Patienten wiesen 5 Jahre nach BMC keine entzündliche Aktivität mehr auf, und die Fibrose verbesserte sich bei 70 % (20). Jedoch kann es auch bei Patienten mit präoperativ normaler Leberfunktion bei unerkannter portaler Hypertension postoperativ zu einer Verschlechterung der Leberfunktion und zu Komplikationen kommen, sodass hier eine sorgfältige Evaluation nötig ist (21). Weitere mögliche Risiken sind rascher Gewichtsverlust mit Malnutrition und Sarkopenie sowie ein erhöhter Alkoholkonsum (sog. addiction shift) (22).

Aktuell sind in Europa und der Schweiz keine spezifischen Therapien zugelassen

In der Schweiz und im deutschsprachigen Raum ist bisher kein Medikament zur Behandlung der MASLD zugelassen. Die konsequente Behandlung von kmRF ist essenziell, da sich dies positiv auf MASLD auswirken kann und eine erhöhte Mortalität in frühen Erkrankungsstadien insbesondere durch kardiovaskuläre Ereignisse bedingt ist.

Die GLP-1-Analoga Semaglutid und Liraglutid, die in der Schweiz für T2DM bzw. Adipositas zugelassen sind, haben in Studien positive Ergebnisse bei MASH gezeigt. Eine Studie mit Semaglutid zeigte im Vergleich zu Placebo eine häufigere Remission der Entzündung und 13 % Gewichtsverlust in der Hochdosisgruppe (23). Die LEAN-Studie zeigte eine vermehrte Steatohepatitis-Resolution und geringere Fibroseverschlechterung unter Liraglutid (24). Re­trospektive Daten weisen bei Patienten mit T2DM und Zirrhose auf eine geringere Rate hepatischer Dekompensation unter GLP-1-Analoga hin (25).

Vitamin E und Pioglitazon, die in den EASL-NAFLD-Leitlinien 2016 erwähnt werden (26), sind gemäss deutscher Leitlinie nicht empfohlen (11). Die PIVENS-Studie (27) zeigte eine Verbesserung der Steatohepatitis unter Vitamin E. Andere Studien brachten jedoch hohe Dosen von Vitamin E mit einem erhöhten Risiko für Mortalität, Schlaganfall und Prostatakrebs in Verbindung. Pioglitazon führte in Studien bei Personen mit MASH (mit und ohne T2DM) zu einer Verbesserung der entzündlichen Aktivität und Steatose sowie Resolution der Steatohepatitis. Es besteht jedoch ein erhöhtes Risiko für Gewichtszunahme, Verschlechterung einer Herzinsuffizienz sowie Frakturen (28).

Resmetirom, selektiver Agonist des Schilddrüsenhormon- rezeptors-β (THR-β), erreichte in einer Phase-2- und -3-Studie eine Reduktion der Steatohepatitis sowie Leberfibrose (29–32). Seit Kurzem ist Resmetirom für die Behandlung der MASH in den USA zugelassen. In der Schweiz ist das Präparat aktuell nicht verfügbar, und es ist unklar, ob eine Zulassung auf dem europäischen bzw. dem Schweizer Markt erfolgen wird (Tab. 2).

Fibroseregression in klinischen Studien

Regression der Fibrose ist aufgrund der oben genannten prognostischen Bedeutung ein wichtiges therapeutisches Ziel in der Behandlung der MASLD. Obeticholsäure (OCA), ein FXR-Agonist und Gallensäureanalogon, zeigte in Studien eine positive Wirkung hinsichtlich Fibroseregression (33). Allerdings wurde OCA kürzlich von der FDA für die MASLD-Therapie abgelehnt aufgrund von Sicherheitsbedenken, im Zusammenhang mit Fällen von akutem Leberversagen. Der Pan-PPAR-Agonist Lanifibranor, der derzeit nur in Studien erhältlich ist, wirkt auf alle drei Isoformen des nuklearen PPA-Rezeptors. In der Phase-2-NATIVE-Studie verbesserte Lanifibranor die Fibrose bei etwa der Hälfte der Patienten in der Hochdosisgruppe (1200 mg/Tag) im Vergleich zu 30 % in der Placebogruppe, mit weiteren Verbesserungen bei anderen histologischen Indikatoren, einschliesslich Resolution der Steatohepatitis (34). Weitere Medikamente, für welche bisher ein Effekt auf Fibrose nachgewiesen werden konnte, sind die FGF21-Analoga Pegozafermin und Efruxifermin. In der Phase-2-­ENLIVEN-Studie zeigte sich unter Pegozafermin (44 mg QW) eine Reduktion der Fibrose bei 26 % der Teilnehmenden gegenüber 2 % unter Placebo (35). Efruxifermin führte zu einer Fibrosereduktion in 39 % der Teilnehmer gegenüber 20 % unter Placebo (36).

Abkürzungen:
FXR = Farnesoid-X-Rezeptor; GLP-1 = Glucagon-like Peptid 1; LDL = Low Density Lipoprotein; MRI-PDFF = MRI-proton density fat fraction; NASH = nicht-alkoholische Steatohepatitis; PPAR = Peroxisom-Proliferator-aktivierter Rezeptor (Englisch: peroxisome proliferator-activated receptor); SCD1 = Stearoyl-CoA-Desaturase 1; T2DM = Typ 2 Diabetes mellitus; THRß = Schilddrüsenhormonrezeptor ß (Englisch: thyroid hormone receptor ß).

MUDr. MSc. Miroslav Vána

Inselspital, Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, UVCM
Hepatologie
Freiburgstrasse
3010 Bern

vana_miroslav@hotmail.com

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• NAFLD wird zu MASLD, definiert durch Lebersteatose (≥ 5 %) und mindestens einen kardiometabolischen ­Risikofaktor. NASH wird zu MASH.
• Risikopatienten mit metabolischen Störungen regelmässig mittels validierter Scores (z.B. FIB-4, NFS) auf Fibrose screenen.
• 5–10 % Gewichtsreduktion (3–5 % bei Normgewicht) durch Diät und Sport verbessert Inflammation und ­Fibrose. Mediterrane Diät mit Alkoholkarenz und Zucker <50 g/Tag (einschliesslich Getränke!).
• Bisher sind in der Schweiz und Europa keine Medikamente für die MASLD-Therapie zugelassen. GLP1-Analoga sollten bei bestehender Indikation (Diabetes, Adipositas) eingesetzt werden, da sie die MASLD verbessern.
• Medikamente, die Fibrose verbessern, sind bisher in der Schweiz und Europa nur in Studien erhältlich. In den USA wurde kürzlich Resmetirom zugelassen für die Therapie der MASH.

1. Rinella ME, Lazarus JV, Ratziu V, Francque SM, u. a. A multi-society Delphi consensus statement on new fatty liver disease nomenclature. Hepatol Baltim Md. 24. Juni 2023;
2. Berg, T., Messer, E. Änderungen zur Nomenklatur für Fettlebererkrankungen. Gastro-News 10, 24–27 (2023). https://doi.org/10.1007/s15036-023-3307-y
3. Song SJ, Lai JCT, Wong GLH, Wong VWS, u. a. Can we use old NAFLD data under the new MASLD definition? J Hepatol. 2. August 2023;S0168-8278(23)05000-6.
4. Israelsen M, Torp N, Johansen S, Thiele M, u. a. MetALD: new opportunities to understand the role of alcohol in steatotic liver disease. Lancet Gastroenterol Hepatol. Oktober 2023;8(10):866–8.
5. Parola M, Pinzani M. Liver fibrosis: Pathophysiology, pathogenetic targets and clinical issues. Mol Aspects Med. 1. Februar 2019;65:37–55.
6. Makri E, Goulas A, Polyzos SA. Epidemiology, Pathogenesis, Diagnosis and Emerging Treatment of Nonalcoholic Fatty Liver Disease. Arch Med Res. 1. Januar 2021;52(1):25–37.
7. Sanyal AJ, Anstee QM, Trauner M, Lawitz EJ, u. a. Cirrhosis regression is associated with improved clinical outcomes in patients with nonalcoholic steatohepatitis. Hepatol Baltim Md. 18. Oktober 2021;
8. Goossens N, Bellentani S, Cerny A, Dufour JF, u. a. Nonalcoholic fatty liver disease burden – Switzerland 2018–2030. Swiss Med Wkly (Internet). 17. Dezember 2019;(51). Verfügbar unter: https://smw.ch/article/doi/smw.2019.20152
9. Younossi Z, Tacke F, Arrese M, Chander Sharma B, u. a. Global Perspectives on Nonalcoholic Fatty Liver Disease and Nonalcoholic Steatohepatitis. Hepatology. 2019;69(6):2672–82.
10. Heim M. Hepatitis C ist heilbar: eine Erfolgsgeschichte der biomedizinischen Forschung. Swiss Med Forum. 30. März 2022;(2022/13-14):214–6.
11. Tien C, Remulla D, Kwon Y, Emamaullee J. Contemporary strategies to assess and manage liver donor steatosis: a review. Curr Opin Organ Transplant. 1. Oktober 2021;26(5):474–81.
12. Roeb E, Canbay A, Bantel H, Bojunga J, u. a. Aktualisierte S2k-Leitlinie nicht-alkoholische Fettlebererkrankung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) – April 2022 – AWMF-Registernummer: 021–025. Z Für Gastroenterol. September 2022;60(09):1346–421.
13. Berzigotti A, Tsochatzis E, Boursier J, Castera L, u. a. EASL Clinical Practice Guidelines on non-invasive tests for evaluation of liver disease severity and prognosis – 2021 update. J Hepatol. 1. September 2021;75(3):659–89.
14. Balakrishnan M, Patel P, Dunn-Valadez S, Dao C, u. a. Women Have a Lower Risk of Nonalcoholic Fatty Liver Disease but a Higher Risk of Progression vs Men: A Systematic Review and Meta-analysis. Clin Gastroenterol Hepatol. 1. Januar 2021;19(1):61-71.e15.
15. Francque SM, Marchesini G, Kautz A, Walmsley M, u. a. Non-alcoholic fatty liver disease: A patient guideline. JHEP Rep Innov Hepatol. Oktober 2021;3(5):100322.
16. Vilar-Gomez E, Martinez-Perez Y, Calzadilla-Bertot L, Torres-Gonzalez A, u. a. Weight Loss Through Lifestyle Modification Significantly Reduces Features of Nonalcoholic Steatohepatitis. Gastroenterology. 1. August 2015;149(2):367-378.e5.
17. Vuille-Lessard É, Lange N, Riebensahm C, Dufour JF, u. a. Dietary Interventions in Liver Diseases: Focus on MAFLD and Cirrhosis. Curr Hepatol Rep (Internet). 19. April 2021; Verfügbar unter: https://doi.org/10.1007/s11901-021-00563-z
18. European Association for the Study of the Liver. EASL Clinical Practice Guidelines on nutrition in chronic liver disease. J Hepatol. Januar 2019;70(1):172–93.
19. SMOB, Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders. Richtlinien zur operativen Behandlung von Übergewicht (Internet). 2021. Verfügbar unter: https://www.smob.ch/de/component/jdownloads/?task=download.send&id=116&catid=2&m=0&Itemid=101
20. Lassailly G, Caiazzo R, Ntandja-Wandji LC, Gnemmi V, u. a. Bariatric Surgery Provides Long-term Resolution of Nonalcoholic Steatohepatitis and Regression of Fibrosis. Gastroenterology. Oktober 2020;159(4):1290-1301.e5.
21. Reverter E, Cirera I, Albillos A, Debernardi-Venon W, u. a. The prognostic role of hepatic venous pressure gradient in cirrhotic patients undergoing elective extrahepatic surgery. J Hepatol (Internet). 19. Juli 2019; Verfügbar unter: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0168827819304155
22. Mendoza YP, Becchetti C, Watt KD, Berzigotti A. Risks and Rewards of Bariatric Surgery in Advanced Chronic Liver Diseases. Semin Liver Dis (Internet). 9. Juli 2021; Verfügbar unter: http://www.thieme-connect.de/DOI/DOI?10.1055/s-0041-1731705
23. Newsome PN, Buchholtz K, Cusi K, Linder M, u. a. A Placebo-Controlled Trial of Subcutaneous Semaglutide in Nonalcoholic Steatohepatitis. N Engl J Med. 25. März 2021;384(12):1113–24.
24. Armstrong MJ, Gaunt P, Aithal GP, Barton D, u. a. Liraglutide safety and efficacy in patients with non-alcoholic steatohepatitis (LEAN): a multicentre, double-blind, randomised, placebo-controlled phase 2 study. The Lancet. 13. Februar 2016;387(10019):679–90.
25. Simon TG, Patorno E, Schneeweiss S. Glucose-Like Peptide-1 Receptor Agonists and Hepatic Decompensation Events in Patients With Cirrhosis and Diabetes. Clin Gastroenterol Hepatol Off Clin Pract J Am Gastroenterol Assoc. 10. Juli 2021;S1542-3565(21)00724-2.
26. EASL–EASD–EASO. EASL–EASD–EASO Clinical Practice Guidelines for the management of non-alcoholic fatty liver disease. J Hepatol. 1. Juni 2016;64(6):1388–402.
27. Sanyal AJ, Chalasani N, Kowdley KV, McCullough A, u. a. Pioglitazone, Vitamin E, or Placebo for Nonalcoholic Steatohepatitis. N Engl J Med. 6. Mai 2010;362(18):1675–85.
28. Lange NF, Graf V, Caussy C, Dufour JF. PPAR-Targeted Therapies in the Treatment of Non-Alcoholic Fatty Liver Disease in Diabetic Patients. Int J Mol Sci. 13. April 2022;23(8).
29. Harrison SA, Bashir MR, Guy CD, Zhou R, u. a. Resmetirom (MGL-3196) for the treatment of non-alcoholic steatohepatitis: a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 2 trial. The Lancet. 30. November 2019;394(10213):2012–24.
30. Harrison SA, Bashir M, Moussa SE, McCarty K, u. a. Effects of Resmetirom on Noninvasive Endpoints in a 36-Week Phase 2 Active Treatment Extension Study in Patients With NASH. Hepatol Commun. 2021;5(4):573–88.
31. Harrison SA, Taub R, Neff GW, Lucas KJ, u. a. Resmetirom for nonalcoholic fatty liver disease: a randomized, double-blind, placebo-controlled phase 3 trial. Nat Med. 16. Oktober 2023;
32. Harrison SA, et al A Phase 3, Randomized, Controlled Trial of Resmetirom in NASH with Liver Fibrosis. N Engl J Med. 2024 Feb 8
33. Neuschwander-Tetri BA, Loomba R, Sanyal AJ, Lavine JE, u. a. Farnesoid X nuclear receptor ligand obeticholic acid for non-cirrhotic, non-alcoholic steatohepatitis (FLINT): a multicentre, randomised, placebo-controlled trial. The Lancet. 14. März 2015;385(9972):956–65.
34. Francque S, Szabo G, Abdelmalek MF, Byrne CD, u. a. Nonalcoholic steatohepatitis: the role of peroxisome proliferator-activated receptors. Nat Rev Gastroenterol Hepatol. Januar 2021;18(1):24–39.
35. Loomba R, Sanyal AJ, Kowdley KV, Bhatt DL, u. a. Randomized, Controlled Trial of the FGF21 Analogue Pegozafermin in NASH. N Engl J Med. 14. September 2023;389(11):998–1008.
36. Harrison SA, Frias JP, Neff G, Abrams GA, u. a. Safety and efficacy of once-weekly efruxifermin versus placebo in non-alcoholic steatohepatitis (HARMONY): a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 2b trial. Lancet Gastroenterol Hepatol. Dezember 2023;8(12):1080–93.
37. Singh S, Allen AM, Wang Z, Prokop LJ, u. a. Fibrosis Progression in Nonalcoholic Fatty Liver vs Nonalcoholic Steatohepatitis: A Systematic Review and Meta-analysis of Paired-Biopsy Studies. Clin Gastroenterol Hepatol. April 2015;13(4):643-654.e9.

Optimierte ambulante interdisziplinäre Rauchstopp-Intervention

Dem Ablauf unserer Rauchstopp-Beratungssprechstunde am Universitätsspital Zürich liegt ein Konzept zugrunde mit ­diversen Elementen, die in einer längeren Erstberatung und mindestens vier Folgeberatungen innert circa 3 Monaten vermittelt werden. Je nach medizinischem Kontext, mentaler Verfassung, Motivationsstufe und Vorerfahrungen der rauchenden Person können Inhalte und Intervalle sowie die Anzahl erforderlicher Sitzungen individuell variieren. In aller Regel wird die wiederholte Beratung ergänzt durch eine medikamentöse Unterstützung, relativ oft auch durch medikamentöse Kombinationstherapien. Die Behandlungsfrequenz ist in den ersten 3 Monaten hoch, weil der Unterstützungsbedarf und die Rückfallgefahr dann am grössten sind. Anfänglich finden die Beratungen alle 2 bis 4 Wochen statt, dann werden sie individuell auf 6 bis 8 Wochen ausgedehnt. Idealerweise zieht sich die Beratung über ein halbes Jahr hin. So können der Verlauf über mehrere Monate verbindlich begleitet und bei Bedarf Anpassungen am Procedere vorgenommen werden.

Schlüsselwörter: Rauchstopp-Intervention, interdisziplinäre Beratung, Nikotinersatz, Trigger, Medikamente

Zuweisungsprozess

In der Regel erfolgt die Zuweisung von Patientinnen und Patienten zur Rauchstoppberatung spitalintern durch behandelnde Ärztinnen und Ärzte der verschiedenen Kliniken. Sie entspricht derselben Praxis wie jener anderer Spezialsprechstunden, wie z. B. der Adipositassprechstunde, der Hypertoniesprechstunde oder der Diabetesberatung. Zuweisungen können ebenso von niedergelassenen externen Arztpraxen gemacht werden. Niederschwellig können sich Patienten auch selbst anmelden. Das Konzept «Die rauchende Person muss den ersten Schritt zur Anmeldung selbst unternehmen» ist aus unserer Sicht nicht mehr zeitgemäss und nur unzureichend zielführend. Aus diesem Grund erwarten wir primär Zuweisungen von medizinischen Fachpersonen und erlauben aber auch Selbstzuweisungen.

Die Anmeldung erfolgt mehrheitlich elektronisch oder über das Sekretariat der Pneumologie des Universitätsspitals Zürich (USZ). Dieses terminiert die Rauchstoppsprechstunden und informiert Patienten mittels Brief über Termin, Kontaktmöglichkeiten sowie Konditionen.

Vorbereitung

Aufgrund des Zuweisungsschreibens und klinikinterner Berichte werden die Erst- und Folgeberatungen vorbereitet. Es finden auch Fallbesprechungen zwischen Arzt und Beraterin statt, um geeignete Behandlungsansätze zu evaluieren, eine gemeinsame Strategie festzulegen und eine Behandlungsempfehlung zu machen. Der Fokus richtet sich dabei auf medikamentöse Therapiemöglichkeiten, Klärung allfälliger Medikamentenunverträglichkeiten, Kontraindikationen für gewisse Medikamente, Therapie- und Beratungsansätze unter Berücksichtigung medizinisch relevanter Diagnosen, Therapien sowie bereits erfolgter Massnahmen. Auch soziale anamnestische Aspekte werden beleuchtet und in der Planung berücksichtigt. So können bedarfsweise etwa Bezugspersonen in den Prozess einbezogen werden (1, 2, 3).

Die Erstberatung (Zeitaufwand 45–60 Min.)

Beim ersten Treffen wird nach der Begrüssung die Patientenidentität verifiziert. Je nach Persönlichkeit und Zustand des Patienten kann eine niederschwellige Konversation als Eisbrecher dienen. Patienten werden angehalten, auf Wunsch während der Beratung eigene Notizen zu machen. Dafür liegen ein Schreibblock und Stifte bereit (4).

Als Einstieg ins Rauchstoppgespräch werden weitgehend offene Fragen gestellt. Dazu zählen zum Beispiel:

  • «Sie wurden durch die Klink X oder durch Dr. Y in die Rauchstoppsprechstunde überwiesen. Welcher ist der Grund Ihrer dortigen Behandlung?»
  • «Berichten Sie mir von Ihrem Rauchverhalten.»
  • «Haben Sie schon einmal mit dem Rauchen aufgehört? Mit welcher Methode? Wie ist es Ihnen dabei ergangen? Was führte zum Rückfall?»
  • «Sie möchten etwas an Ihrem Rauchverhalten ändern. Was möchten Sie ändern? Welche Ziele haben Sie?»
  • «Welche Folgen des Rauchens nehmen Sie wahr?» «Wo­ran spüren Sie, dass Ihnen das Rauchen nicht guttut?»
  • Situationsangepasst weitere Fragen.

Offene Fragen ermöglichen es dem Patienten, in eigenen Worten seine Intention zu formulieren, Vorstellungen und Erwartungen, aber auch Bedenken zu äussern. Durch die Art und Weise und den Inhalt seiner Formulierungen lassen sich erste Informationen und Erkenntnisse zum aktuellen Befinden, zur Rauchgeschichte, zur Sichtweise bezüglich des Rauchverhaltens, zum Kommunikationsverhalten und erste medizinische sowie verhaltenstypische Anhaltspunkte erkennen und dokumentieren. Patienten erhalten die Möglichkeit, ihnen wichtige Aspekte zu kommunizieren. Häufig sind solche frühe Aussagen für die Herangehensweise an die Thematik entscheidend. Sie werden daher oft wortwörtlich festgehalten.

Ein zentraler Anhaltspunkt ist die Ausführung der Patienten, ob sie «fremdbestimmt» zugewiesen wurden (ggf. Hinweis auf Absichtslosigkeit, geringe Motivation oder Ambivalenz) oder diesen Schritt selbst initiiert haben (ggf. Hinweis auf höhere Eigenmotivation). Die Antworten auf die Einstiegsfragen können für das weitere Vorgehen im Gespräch richtungsweisend sein.
Wird der Fokus auf das Thema konkreter Rauchstopp gerichtet, geht man darauf ein, wie die Patienten zur Beratung stehen. Kommen sie eher «fremdbestimmt», kann das Thema aufgenommen und vertieft werden. Lässt man die Patienten in eigenen Worten über ihre Intention und Motivation sprechen, erfährt man viel über ihre persönliche Haltung, ihre Erwartungen und über Erfahrungen aus der (Raucher-)Geschichte. Andere Patienten kommen hoch motiviert und erklären gleich zu Beginn, was sie erreichen möchten und welche Hilfe sie benötigen. Oder sie berichten, dass sie bereits mit dem Rauchen aufgehört hätten und den Fokus auf die Aufrechterhaltung legen wollten.

Nachdem die Patienten ein erstes Mal zu Wort gekommen sind, werden sie über das Angebot eines möglichen Standardablaufs und sonstige Aspekte der Rauchstoppberatung informiert. Zur Anamneseerhebung gehören Informationen zur Anzahl täglich gerauchter Zigaretten bzw. sonstiger Nikotinprodukte oder Suchtmittel, Alter bei Rauchbeginn, Berechnung der Anzahl Raucherjahre (py), Schweregrad der Abhängigkeit (Fagerström-Test, FTND), Auskunft zu Anzahl und Dauer früherer Rauchstoppversuche, Gründe für Rückfälle sowie Erfahrungen mit Nikotinersatzprodukten (NET/NRT).

Es gilt, situationsbedingt abzuwägen zwischen für die Beratenden relevanten Standardangaben und dem Hospital Quit Support (HQS)-Standard, wonach im ersten Gespräch nur ein minimales Datenset erhoben werden sollte. Der HQS-Standard gibt selektiv Auskunft über Abhängigkeit und Vorgeschichte mit Relevanz zur Beratungs- und Therapieplanung. Es besteht das Risiko, dass zu viele Details in Erfahrung gebracht werden, die nicht zwingend den Beratungs- und Therapieansatz beeinflussen und oft redundant sind. Andererseits können Aussagen, die auf den ersten Blick wenig bedeutend erscheinen, «zwischen den Zeilen» wichtige Hinweise enthalten. Diese gilt es abzuwägen, zu erfassen und zu dokumentieren, damit sie in den Behandlungsplan integriert und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden können. Hier kommen Erfahrung, Empathie und Sensibilität der beratenden Personen zum Tragen.

Grundsätzlich ist rauchenden Personen die Schädlichkeit ihres Verhaltens bewusst. Je nach Situation kann es aber notwendig sein, einzelne Punkte hervorzuheben und zu erklären (Wirkungsspektrum des Nikotins im Gehirn, Teer, Kohlenmonoxid (CO) und was dies bei jeder Zigarette für den Körper bedeutet). Solche Informationen können allgemeingültigen Charakter haben oder individuell und im Kontext der Patientendiagnosen erläutert werden.

Eine CO-Messung in der Ausatmungsluft kann den Konsum objektivieren, die Informationen rund um das Thema Kohlenmonoxid untermauern und den Patienten veranschaulichen, wie positiv sich eine Änderung ihres Rauchverhaltens zeitnah auswirken kann. Üblicherweise ist der CO-Wert bei einer ersten Beratung, wenn Patienten noch rauchen, hoch (> 10ppm bzw. > 2 % HbCO). Die Aussicht auf tiefere Werte kann motivierend sein. Wann immer möglich, sollte eine CO-Messung durchgeführt werden. In einzelnen Fällen kann sie aber auch kontraproduktiv sein und sollte daher weggelassen werden. Vereinzelt lehnen Patienten die Messung von vornherein ab, weil sie einen hohen Wert befürchten und nicht damit konfrontiert werden möchten.

Aufgrund der erhobenen Informationen/Daten zur Stärke der Abhängigkeit (FTND), Dauer und Intensität des Tabakkonsums und unter Berücksichtigung ggf. schon gemachter Rauchstopperfahrungen kann in einem nächsten Schritt eine erste Therapiestrategie empfohlen bzw. gemeinsam festgelegt werden. Dies erfolgt in der Regel unter Einbezug der ärztlichen Fachperson mit Erfahrung in der Pharmakotherapie des Rauchstopps sowie der Kompetenz der Medikamentenverschreibung, insbesondere bezüglich Polypharmazie von älteren Patienten.

Wir erklären, dass es sich bei der Nikotinsucht sowohl um eine körperliche als auch um eine psychische Abhängigkeit handelt. Die psychische Abhängigkeit hat mit Gewohnheiten, Ritualen, Assoziationen, Belohnungs- und Bewältigungsmechanismen, Trigger sowie dem Umgang mit alltäglichen Situationen und Begebenheiten zu tun. Demgegenüber steht die körperliche Abhängigkeit, bei der es sich um physiologische und z.T. biochemische Reaktionen handelt (Abb. 1, Gewohnheit und Sucht) (5).

Für eine langfristige Nikotinabstinenz ist es unerlässlich, beide Komponenten zu betrachten. Viele Patienten sind sich nur unzureichend bewusst, wie bedeutend eine intensive und vertiefte Auseinandersetzung mit Gewohnheiten ist. Sie erhält in der Beratung ein starkes Gewicht. Erst eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Themen und die Ableitung konkreter und individuell zugeschnittener Bewältigungspläne ermöglichen es, Hochrisikosituationen erfolgreich zu bewältigen und Rückfälle längerfristig zu vermeiden. Dieser Prozess kann anhand der hier aufgeführten Unterlagen («Werkzeuge») gemeinsam mit den Patienten erörtert und vertieft werden.

Ein eigens für die Rauchstoppberatung entwickelter persönlicher Handlungsplan enthält neben Erklärungen zur Nikotinabhängigkeit und Themen rund um die Rauchgewohnheit eine Reihe von «Werkzeugen». Mit diesen wird ein individueller Rauchstopp-Plan gemeinsam erarbeitet. Dabei werden relevante individuelle Faktoren, die den Prozess in die Rauchfreiheit wesentlich beeinflussen, betrachtet und einbezogen.

In der ersten Beratung wird der Handlungsplan vorgestellt und einzelne individuell geeignete Instrumente hervorgehoben. Patienten bekommen die Aufgabe, bis zum zweiten Beratungstermin ausgewählte Themen zu erarbeiten.
In einem ersten Schritt können folgende Instrumente dienlich sein:

Die Motivationswaage (Abb. 2) ermöglicht es, Vor- und Nachteile des Rauchens sowie des Nikotinverzichts aufgrund persönlicher Überlegungen einzuordnen und zu dokumentieren. Daraus können mögliche Ambivalenzen erkannt und beim nächsten Beratungstermin angesprochen werden. Eine konkrete Auseinandersetzung und Formulierung einzelner Punkte dienen der Visualisierung, Gewichtung und Wertung der einzelnen Pro- und Contra-Argumente und können als Diskussionsgrundlage in der Beratung dienen.

Das Rauchprotokoll (Abb. 3, Mein Protokoll) dient der Selbstbeobachtung. Es wird über einige Tage oder Wochen, idealerweise in unterschiedlichen Situationen (Freizeit, [Berufs-]Alltag, Ferien …) geführt und soll Aufschluss darüber geben, in welchen Situationen typischerweise geraucht wird (z. B. in Zusammenhang mit Stress, Routine, Rückzugsbedürfnis, Entspannung, Geselligkeit, Genuss, Langeweile, Sucht). Erhoben wird auch die Selbsteinschätzung, ob die Zigarette im jeweiligen Augenblick als «notwendig» oder «nicht notwendig» betrachtet wird. Ziel ist es, Wahrnehmungen und Bedürfnisse zu erkennen, zu benennen und Tendenzen zu isolieren. Die Ergebnisse bilden eine wichtige Grundlage im Beratungskontext.

Eine erste Auseinandersetzung mit Verknüpfungen von Gewohnheiten und Zigarettenkonsum hat zum Ziel, über mögliche Alternativhandlungen (Abb. 4) nachzudenken. Langfristig sollen neue Handlungen zu neuen Verknüpfungen führen, sich etablieren und so neue Verhaltensweisen zu neuen Gewohnheiten werden. Dieser Prozess der Abkoppelung von alten Verhaltensmustern wird sich über die Dauer der gesamten Beratung und darüber hinaus erstrecken. Patienten werden dazu angehalten, realistische, aber durchaus kreative und ansprechende Alternativen zu sammeln und Schritt für Schritt im Alltag einzuüben. Je nach Situation und Präferenzen können dies Ablenkungen für Hand, Mund, Kopf und/oder Körper sein. Daneben können auch Situationen definiert werden, die es ohne Alternative zu überwinden gilt.

Die meisten Rauchenden erwarten, dass sie mit der Erstberatung unmittelbar mit dem Rauchen aufhören müssen. Diese Erwartung wird besprochen und relativiert, weil ein Rauchstopp gut geplant und vorbereitet werden sollte. Dafür sind Tage oder sogar Wochen nötig. Manche Patienten sind erleichtert, dies zu hören. Allerdings soll die Dauer bis zum Rauchstopp als wichtige Vorbereitungszeit definiert und nicht als Aufschub betrachtet werden. Abhängig von der Bereitschaft zur Veränderung und der Motivationsstufe wird ein langsameres oder rascheres Vorgehen festgelegt.

Liegt eine niedrige Bereitschaft, Unentschlossenheit oder gar Absichtslosigkeit vor, wird der Fokus auf dem ­weiteren Gespräch liegen, mit dem Ziel, Patienten weitere Informationen zu möglichen unterstützenden Massnahmen zu vermitteln oder Ambivalenzen aufzulösen. Sie werden in ihrem Gedankenprozess unterstützt, sodass sich ihre Selbstwirksamkeit erhöht und sie mit gestärkter Zuversicht in den Prozess einsteigen. Hier kann das Motivational Interviewing (MI) als geeignetes Instrument eingesetzt werden. MI hat zum Ziel, mittels klientenzentrierter, direktiver Methode die intrinsische Motivation für eine Veränderung zu verbessern mittels Erforschung und Auflösung von Ambivalenz (Miller & Rollnick, 2002). Dabei sollen Patienten durch gezielte Fragestellungen eigene Bewältigungsschritte und Ziele definieren und formulieren. Sie sollen sich ihrer persönlichen Stärken bewusst werden und sich diese zunutze machen. Damit gewinnen sie an Selbstvertrauen und Zuversicht. Ein wichtiger Aspekt des MI ist gutes Zuhören bzw. Patienten ausreden zu lassen. So erhalten sie die Möglichkeit, eigene Gedanken zum Thema zu entwickeln, welche einen inneren Prozess (Auflösung der Ambivalenz) unterstützen können.

Mit Patienten, die hoch motiviert und gut vorbereitet sind, können bereits konkrete nächste Schritte besprochen werden. Wann immer möglich, wird die Schlusspunktmethode (abrupter Rauchstopp) angestrebt. In Ausnahmefällen kann eine Reduktionsstrategie als erstes Zwischenziel in Erwägung gezogen werden.

Medikamente in der Erstberatung

Meist wird in der ersten Beratung der Einsatz von unterstützenden Medikamenten empfohlen (European Strategy for Smoking Cessation Policy WHO, 2004). Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Patienten, die zu unserer Rauchstoppberatung kommen, häufig schon mehrere frustrane Rauchstoppversuche hinter sich haben, und eine gewisse Eskalation der Intervention notwendig erscheint.
Empfehlungen zu Wahl und Dosierung richten sich nach dem täglichen Zigarettenkonsum, Anzahl Packyears und FTND-Score (Tab. 1). Unsere Empfehlung wird mit den Präferenzen des Patienten abgeglichen und ein Konsens angestrebt (Adhärenz!).

Als Erfolg versprechendste Vorgehensweise zur langfristigen Rauchfreiheit wird – gestützt auf der Empfehlung der WHO – eine Kombination empfohlen aus medikamentöser Therapie und wiederholten Beratungssitzungen. Als medikamentöse Therapie kommen Nikotinersatztherapie (NET/NRT) infrage oder der Einsatz von Bupropion, Vareniclin oder Cytisin. Ganz selten wird das Hilfsmittel L-Cystein-Lutschtabletten (Acetium®) eingesetzt, besonders wenn die Motivation für den Rauchstopp gering ist und eine Rauchreduktion im Vordergrund steht.

Rauchreduktion, ob mit NRT (z. B. Inhaler) oder mit Acetium®, ist aus unserer Sicht nur ein Zwischenschritt zum Rauchstopp (reduce to quit) und wird nur ausnahmsweise als primäre Strategie empfohlen. Oft kommt es vor, dass Patienten den geplanten abrupten Rauchstopp beginnen, aber nicht fortführen können. Einige erfahren einen Rückfall mit wenigen Zigaretten. Andere erzielen gar nicht erst den vollständigen Rauchstopp, schaffen am Rauchstopp-tag aber eine deutliche Reduktion (zahlenmässig > 50 % Reduktion des bisherigen Konsums an Tabak) und können diesen reduzierten Konsum beibehalten. Dies wird in der Beratung als Zwischenerfolg gewürdigt und in einem zweiten Schritt der komplette Rauchstopp erarbeitet.

Patienten werden informiert, dass die medikamentöse Unterstützung lediglich ein Hilfsmittel darstellt, welches den Rauchstopp-Prozess erleichtert und die Entzugssymptome u.a. teilweise vermindert. Wenn es Patienten schaffen, mit dem Rauchen ganz aufzuhören und diesen Zustand über längere Zeit halten können (ohne Rückfall), dann ist das ihre Eigenleistung und nicht primär das Resultat einer medikamentösen Strategie. Es gibt kein Rauchstoppmedikament, welches dazu führt, dass «es plötzlich nicht mehr raucht». Bei einem adäquat gewählten Schmerzmittel darf man erwarten, dass die Schmerzen für die Dauer der Medikamentenwirkung vollständig verschwinden. Diese «einfache» Art der Problembehandlung gibt es für Rauchende nicht. Es braucht immer eigenes Zutun, Eigeninitiative, Anwendung von (erlernten) Strategien und Verhaltensänderung, damit eine langjährige Gewohnheit und Sucht definitiv überwunden werden kann.

Je nach Begleitdiagnosen, Eignung und Einstellung der Patienten werden Wirkungsweisen und die Einnahme der oben genannten Medikamente erklärt sowie mögliche Nebenwirkungen erläutert und mögliche Kontraindikationen geprüft. Nicht selten erscheinen mögliche Nebenwirkungen den Patienten plötzlich inakzeptabel. Manchmal hilft es dann, auf die «Nebenwirkungen» oder Folgen der Tabakzigarette hinzuweisen, welche ohne langen Beipackzettel verkauft wird, obwohl die Liste der schädlichen Effekte lang ist.
Gegen Ende der ersten Beratung sollen die Patienten drei Skalen-Fragen beantworten. Er/sie soll sich festlegen, wo er/sie sich auf einer Skala von 0–10 bezüglich Wichtigkeit, Zuversicht und Bereitschaft (für den Rauchstopp) zum aktuellen Zeitpunkt einstuft. Wir besprechen die momentane Einstellung/Einstufung anhand der Antworten. Auch hier können Fragen aus dem MI-Katalog helfen, Patienten dahingehend zu motivieren, dass sie sich ihrer Stärken und Fähigkeiten bewusst werden, indem sie diese herleiten und aussprechen. Patienten erhalten zusätzlich ein doppelseitiges Handout mit Rauchstopptipps für COPD-Patienten, damit sie wichtige Informationen (3) selbst nachlesen können.

Die Beratung endet mit aktuellen Fragen. Wir wollen von den Patienten wissen, ob das weitere Vorgehen nachvollziehbar und erste Schritte umsetzbar erscheinen und/oder zu welchem ersten Schritt sie sich aktuell imstande fühlen. Damit soll vermieden werden, dass Patienten einen zu grossen «Berg» vor sich sehen, sondern erkennen, dass der Prozess aus mehreren Etappen besteht, durch die sie begleitet werden, selbst Verantwortung übernehmen und das Tempo der einzelnen Schritte mitbestimmen dürfen.

Schwerpunkte in der 1. Beratung (abhängig von der Ausgangslage des Patienten)
– Vorstellen des Rauchstopp-Programms
– Fokussierte Anamnese, inkl. Fagerström-Test
– Wo steht die rauchende Person im Prozess? (Zuordnung im Transtheoretischen Modell nach Prochaska/Di Clemente, 1982), Haltung/Erwartungen/Erfahrungen
– Erfahrungen mit NRT?
– Informationsvermittlung/Patientenedukation: Komponenten der Tabakabhängigkeit, Grundsätze der Verhaltensänderung, erfolgreiche und bewährte Strategien (Beratung, verschiedene Medikamente, Komplikationen und Rückschläge möglich, erste Zieldefinition, regelmässige Beratungen wahrnehmen)
– Individualisierte Strategie – inkl. Empfehlung bezüglich Medikament mit erwarteten Vorteilen
– Hauptmotivation/«Guter Grund» für Rauchstopp
– Motivationswaage (Pros und Cons Rauchen/Nichtrauchen)
– Rauchprotokoll
– Thematik Alternativhandlungen
– Zuversicht/Wichtigkeit/Bereitschaft
– Ziele
– CO-Messung
– Festlegung eines Folgeberatungsdatums und ggf. Rauchstopptages

Die Zweitberatung/Folgeberatung (Zeitaufwand 30–45 Min.)

Die Zweitkonsultation steht unter dem Motto: erste Schritte zur Verhaltensänderung (changing your habits). Nach der Begrüssung ist die Einstiegsfrage in der Regel «Wie ist es gegangen?» oder offener formuliert «Berichten Sie mir, was seit unserer ersten Sitzung passiert ist». Die Art und Weise der Berichterstattung sowie der Inhalt der Antworten können aufschlussreich sein. Den Patienten ist unbedingt genügend Redezeit zu geben, damit sie ihre Situation mit eigenen Worten beschreiben können. Allenfalls sind kurze Ergänzungsfragen oder konkrete Nachfragen notwendig, um die Beschreibung der ersten Erfahrungen zu komplettieren und richtig zu verstehen. Was hat sich verändert? Ist der Rauchstopp schon erfolgt, oder sind Sie noch in der Vorbereitungsphase? Wie reagiert Ihre Umgebung auf die Verhaltensänderung? Wie transparent wird der Prozess gegenüber dem Arbeitsumfeld kommuniziert? In welchen Situationen konnten Zigaretten vereinzelt oder gänzlich weggelassen werden? Werden Entzugserscheinungen wahrgenommen?

Welche Situationen wurden als schwierig empfunden? Welche Situationen konnten gut gemeistert werden? Insbesondere erfolgreich bewältigte Situationen sollen vom Patienten detailliert und repetitiv über die gesamte Beratungsdauer hinweg beschrieben werden. Es lohnt sich, den dafür notwendigen zeitlichen Raum zu geben. Mit jeder erfolgreichen Bewältigungsreaktion wird die Selbstwirksamkeit der Patienten erhöht. Sie bildet eine neue Grundlage für weitere erfolgreich zu bewältigende Situationen. Damit lässt sich das Rückfallrisiko senken (vgl. Rückfallmodell Marlatt & Gordon, 1985).

Nach einem ersten Erfahrungsbericht der Patienten wird das Rauchprotokoll (Selbstbeobachtung) gemeinsam besprochen und analysiert, und damit werden Tendenzen und Muster erkannt und isoliert betrachtet. Die Ergebnisse bilden eine wichtige Basis für den weiteren Beratungsprozess.

Die Besprechung der bearbeiteten Motivationswaage gibt ebenfalls Aufschluss über mögliche Ambivalenzen, den Motivationsstand, über Zuversicht und Bedenken und ist wegleitend für den weiteren Verlauf der Beratung.

Eine Besprechung der Alternativhandlungen (Ablenkungen) sowie «Wenn-Dann-Pläne» für konkrete Handlungen, Orte, Zeiten oder Emotionen, welche bislang mit einer Zigarette verbunden sind, zeigen ebenfalls auf, wie- weit sich Patienten bereits mit dem Prozess auseinandergesetzt haben. Bei Patienten mit eher niedriger Motivation oder gar Absichtslosigkeit finden sich in der Regel noch keine Ergebnisse, bei höherem Engagement und höherer Motivationsstufe ist die Auseinandersetzung aufgrund der bereits ausgefüllten Alternativhandlungen oder Ideen dazu erkennbar. Themen können aufgenommen und ggf. gemeinsam weiterentwickelt und konkretisiert werden. Bei vereinzelten Patienten muss zu diesem Zeitpunkt nochmals erläutert werden, was der eigentliche Sinn dieses «Werkzeugs» ist, dass es letztlich um Entkoppelung alter Verbindungen und das Erlernen und Etablieren neuer Verbindungen geht.

Die Übersicht über Tipps für Hand, Mund, Kopf und Körper kann Inspiration und Ideen liefern zu praktischen Ablenkungsmassnahmen.
Tun sich Patienten schwer damit, sich auf Veränderungen festzulegen, können als erster Schritt ein- bis zwei Situationen definiert werden, in denen die Patienten den Einsatz von Alternativhandlungen ausprobieren könnten. Darauf aufbauend, können im Verlauf weitere Schritte dazukommen.

Erfahrungsgemäss bringen nicht alle Patienten den Handlungsplan zu Folgeberatungen mit. Dies kann ein Hinweis sein auf mangelndes Interesse oder darauf, dass dieses In­strument in der Form nicht zusagt. Ggf. können alternativ andere Vorgehensweisen, jedoch im Prinzip mit gleichem Inhalt, gewählt werden.

Je nachdem müssen Patienten aber auch daran erinnert werden, die Themen zu erarbeiten und den Handlungsplan mitzubringen. Andererseits gibt es aber auch Patienten, die den Handlungsplan detailliert erarbeiten und mit vorbereiteten Fragen in die Folgeberatung kommen.

Überprüfung Medikation

Je nachdem haben Patienten zum Zeitpunkt der Folgeberatung schon mit der Einnahme begonnen und erste Erfahrungen gemacht. Wir fragen nach Verträglichkeit, Wirkung und möglichen Nebenwirkungen und überprüfen die korrekte Anwendung (insbesondere bei NRT). Ggf. muss bei NRT die Dosierung angepasst oder bei Anwendungsschwierigkeiten erneut instruiert oder auf ein anderes, gleichwertiges Produkt gewechselt werden (z. B. Inhaler statt Kaugummi).

Wenn es um den Einsatz von Medikamenten geht, muss wiederholt erwähnt werden, dass diese lediglich eine Unterstützung im Rauchstopp-Prozess bedeuten: Die Hauptarbeit liegt bei den Patienten.

Planung des Rauchstopptages

«Quit Day» mittels Notizen zum Tagesablauf (Abb. 5, Mein Rauchstopptag). Patienten bestimmen wann der Rauchstopptag stattfindet. Je nach Situation kann ein konkreter Vorschlag vereinbart werden. Es empfiehlt sich, den Rauchstopptag und die ersten Tage danach konkret und detailliert zu planen, um unerwartete und damit unvorbereitete (Hochrisiko-)Situationen möglichst zu vermeiden. Unterstützend kann das Merkblatt «Checkliste Vorbereitung für den Rauchstopp» hinzugezogen werden.

Inhaltliche Vorschläge sind: Einkaufsliste schreiben mit Produkten, die den Rauchstopp unterstützen sollen (Getränke, Obst, Gemüse, Kaugummis, Bonbons, Süssholz, evtl. Nikotinersatzprodukte, neue Laufschuhe u.v.m.).

Planung von bewussten Ablenkungsaktivitäten: Verabredung mit Familie/Freunden (gemeinsame Aktivitäten, Wellness, Kino, Theater …), Massagetermine vereinbaren u.v.m.

Spuren des Rauchens entfernen: Sämtliche Zigarettenvorräte, Feuerzeuge, Aschenbecher entfernen. Haustextilien waschen (ggf. Abgabe des Merkblatts zu Third Hand Smoke), Auto grundreinigen lassen, Termin für professionelle Zahnreinigung vereinbaren etc. Diese minutiöse Planung dient einer Risikominimierung und Vorbeugung von schwer «handelbaren» Craving-Situationen oder zur Überbrückung von Zeitfenstern, in denen man nicht weiss, was ohne Zigarette zu tun ist. Falls Patienten noch nicht so weit sind mit der Festlegung des Rauchstopptages, kann man ankündigen, das Thema bei der nächsten Beratung wiederaufzunehmen.

Erfahrungsgemäss gibt es ein ca. zweiwöchiges Zeitfenster von erhöhter Motivation für einen Rauchstopp. Anschliessend beginnt die Motivation etwas abzuflauen. Der Quit Day sollte also nicht zu weit hinausgeschoben werden. Verhandeln Patienten das Rauchstoppdatum wiederholt, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass die Bereitschaft, den Rauchstopp konkret umzusetzen, tief ist. Ggf. müssen in solchen Fällen neue Zwischenziele definiert werden. Der Beratende sollte konkret nachfragen, wo aktuell noch Hürden oder Bedenken bestehen. Darauf folgt die Frage, welche Massnahmen oder Umstände die Motivation und Zuversicht zu steigern vermögen.

Möglicherweise zu erwartende Entzugssymptome werden besprochen. Dabei kann das Merkblatt «Entzugserscheinungen nach einem Rauchstopp» abgegeben werden. Es gibt eine Übersicht über mögliche Symptome, deren ungefähre Dauer und Bewältigungstipps.

Die Sitzung endet mit der Frage nach der aktuellen Zuversicht und nach konkreten nächsten Schritten, die realistisch umsetzbar sind.

Schwerpunkte in der 2. Beratung (zusammenfassend)
– Feedback
– Auswertung Protokoll, Motivationswaage, Alternativhandlungen
– Schwierige/gut gemeisterte Situationen/Feedback aus Umfeld
– Erste neue Gewohnheiten
– Tipps für Hände, Mund, Kopf und Körper
– Vorbereitung des Rauchstopptages, die ersten 24–48 Stunden
– CO-Messung
– Festlegung eines Folgeberatungsdatums, Notfallmassnahmen besprechen, Notfallkarte mitgeben

3. Beratung (Zeitaufwand ca. 30 Min.)

Erneut erfolgt ein Rückblick auf die Zeit seit der letzten Beratung. Fragen der Patienten werden geklärt und Erfahrungen besprochen. Falls noch nicht geschehen, wird die Festlegung des Rauchstopptages erneut besprochen und wenn möglich definiert. Falls der Rauchstopptag schon vorbei ist, fragen wir nach dem Abstinenzerfolg.Welche Situationen konnten gut gemeistert werden? Wo greifen die Ressourcen? Wo sind Hindernisse vorhanden? Wo sind Verhaltensanpassungen erforderlich? Welche Situationen bedürfen besonderer Aufmerksamkeit? Welche möglichen Entzugssymptome sind aufgetreten? Wie wurden sie wahrgenommen? Was konnte dagegen unternommen werden? Welche Situationen haben sich als weniger schlimm erwiesen als befürchtet? Gab es unerwünschte Wirkungen der Medikamente?

Besprechung des Craving-Ampelmodells: Gedanken ans Rauchen können in 3 Stufen eingeteilt werden: Grün, Gelb und Rot. Gedanken ans Rauchen sind normal. Die Frage ist, wie stark sie eine Situation dominieren. Bei «Grün» wird der Gedanke wahrgenommen, er ist aber nicht quälend und vergeht rasch wieder. Bei der Farbe «Gelb» bleibt der Gedanke ans Rauchen hartnäckig, und es muss aktiv auf Bewältigungsstrategien zurückgegriffen werden. Dies in Form von Ablenkungen oder gezielten Beschäftigungen, wie beispielsweise Atemübungen. Quälende Gedanken, die sich kaum verdrängen lassen und unüberwindbar erscheinen, werden dem «roten» Bereich zugeordnet. In solchen Situationen kommen die Notfallmassnahmen (Abb. 6) zum Tragen. Wir geben eine Notfallkarte ab. Sie enthält Kontaktdetails der beratenden Personen (Pflegefachperson und Arzt) und auf der Rückseite die Notfallmassnahmen.

Welche körperlichen Veränderungen werden wahrgenommen? Was hat sich bisher verändert? Welche sozialen Reaktionen wurden erfahren? Wie ist der Umgang mit Hochs und Tiefs? Auf welche Unterstützung kann gezählt werden? Welche sind konkrete nächste Schritte?

Schwerpunkte in der 3. Beratung (zusammenfassend)
– Feedback Abstinenzerfolge
– Positive Veränderungen
– Entzugssymptome/Gegenmassnahmen
– Ampelmodell des Suchtdrucks
– Zuversicht
– CO-Messung
– Folgeberatungsdatum fixieren

4. Beratung (Zeitaufwand 20–30 Min.)

Erneut erfolgt ein Rückblick auf die Zeit seit der letzten Beratung. Fragen werden geklärt und Erfahrungen besprochen. Die Patienten werden aufgefordert, Situationen zu beschreiben, die sie gut gemeistert haben. Rauchfreiheit wird gewürdigt und zum Abstinenzerfolg gratuliert. Die Beratenden fragen nach Veränderungen, welche seit dem Rauchstopp spürbar und wahrnehmbar sind. Ggf. führen sie den Patienten die Anzahl rauchfreier Tage vor Augen und honorieren diese. Wie viel Geld konnten sie so einsparen? Mögliche Stolpersteine werden thematisiert. Es wird zwischen einem Vorfall, einem einmaligen Ausrutscher («slip»: ohne ins alte Muster zurückzufallen) und einem Rückfall («relapse»: gleiches Verhaltensmuster wie vor dem Rauchstopp) unterschieden. Gemeinsam wird besprochen, wie sich Rückfälle vermeiden lassen, wie sie im Falle eines Eintretens zu bewältigen sind und welche Konsequenzen daraus für zukünftige Situationen abzuleiten sind. Patienten sollen eigene Strategien erarbeiten und formulieren.

Thematisierung Trigger
Dabei geht es um die Vergegenwärtigung potenzieller Situationen, die mit Rauchen in Verbindung gebracht werden könnten und die somit ein erhöhtes Risiko für Vor- oder Rückfälle darstellen. Mögliche Trigger können bestimmte Tageszeiten, bestimmte Orte, verschiedene Tätigkeiten oder bestimmte Emotionen sein (Abb. 7, Triggersituationen). Wir erklären, wie wichtig es ist, eigene, individuelle Auslöser zu kennen. So kann man sich im Vorfeld auf riskante Situationen vorbereiten und unangenehme Überraschungen vermeiden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch das Wissen um und das Vertrauen auf persönliche Bewältigungsstrategien und die Vergegenwärtigung bereits positiv bewältigter Situationen.

Patienten werden zudem auf das Risiko einer gewissen Gewichtszunahme angesprochen (nach dem Rauchstopp durchschnittlich zwischen 3 und 5 kg). Wir erklären, warum der Körper im Durchschnitt ca. 200 kcal pro Tag weniger verbraucht. Falls erwünscht, machen wir zur Ernährung Vorschläge, z. B. bevorzugt Obst und Gemüse statt Schokolade essen, viel Wasser oder ungesüssten Tee trinken, die Wahl der Kohlenhydrate beachten (eher dunkles Mehl bzw. Vollkorn bevorzugen als Weissmehlprodukte) und Bewegungseinheiten im Alltag steigern. Auf Wunsch der Patienten oder nach Ermessen des Behandlungsteams kann auch die Ernährungsberatung einbezogen werden.

Inzwischen konnte seit dem Rauchstopp ein gewisser Betrag an Geld eingespart werden. Dieses Thema kann zu Motivationszwecken individuell vertieft werden. CO-Messung und Frage nach der Zuversicht, ggf. wird auf frühere Angaben hingewiesen. Es werden nächste Schritte und Schwerpunkte definiert.

5. Beratung (Zeitaufwand 20–30 Min.)

Erneut erfolgt ein Rückblick auf die Zeit seit der letzten Beratung. Fragen werden geklärt und Erfahrungen besprochen. An diesem Punkt werden die Themen Aufrechterhaltung der Nikotinabstinenz und erneut Vermeidung von Vor- und Rückfällen besprochen. Körperliche Veränderung über den Verlauf der Beratungen werden thematisiert. Der Abstinenzerfolg wird gewürdigt. Auf den Prozess der erfolgten Rauchentwöhnung zurückzublicken kann hilfreich sein, um einzelne wichtige Themen nochmals zu erörtern sowie positive Erfahrungen zu benennen und zu verinnerlichen. Patienten erkennen ihre Leistung, die sie in diesem Prozess erbracht haben, und fühlen sich befähigt, in eine rauchfreie Zukunft zu gehen. Im Weiteren geht es um die Thematisierung der neuen Identität als nicht rauchende Person. Auf Wunsch wird erneut eine CO-Messung gemacht, insbesondere dann, wenn seit dem Quit Day schon drei Monate vergangen sind.
Das Thema finanzielle Einsparungen kann noch einmal aufgenommen werden. Man kann beispielsweise empfehlen, das eingesparte Geld bewusst zu sparen und für etwas ganz Besonderes auszugeben, das man sich sonst nicht leisten würde. Den Patienten soll die Summe des eingesparten Geldes bewusst gemacht werden.

Ziel ist es, dass Patienten zuversichtlich, mit hoher Selbstwirksamkeit und dem Wissen um die Umsetzung von Bewältigungsstrategien in diversen Lebenslagen die Rauchstoppberatung abschliessen können.

Weitere Beratungstermine

Manchmal werden weitere Beratungstermine benötigt, insbesondere wenn der effektive Rauchstopp erst verzögert umgesetzt wurde. Ziel ist es immer, die Patienten über die ersten drei Monate nach einem Rauchstopp hinaus zu begleiten, wenn sich Bewältigungsstrategien, neue AlltagsAbläufe und Rituale festigen. Für Patienten kann diese zeitlich ausgedehnte «externe Verbindlichkeit» hilfreich sein, um in Hochrisikosituationen weiterhin abstinent zu bleiben.

Abschluss

Wir bieten an, auf Wunsch weiterhin zur Verfügung zu stehen. Wir geben ggf. die Nummer der nationalen Rauchstopplinie an (https://stopsmoking.ch/) und motivieren Patienten, frühzeitig externe Hilfe in Anspruch zu nehmen, falls erneute Schwierigkeiten zur Aufrechterhaltung der Rauchfreiheit eintreten sollten. Hierzu können sich Patienten auch niederschwellig per E-Mail mit der Rauchstoppberaterin in Verbindung setzen. Wann immer möglich wird versucht, den Rauchstatus nach 3 Monaten zu objektiveren (CO-Messung). Manchmal gibt es alternative Überprüfungsmöglichkeiten im Spitalsetting, z. B. arterielle Blutgasanalysen ohne erhöhten CO-Nachweis. Dies sind Bestimmungen, die im Kontext anderer medizinischer Indiktionen vorgenommen werden und uns zur Objektivierung des Rauchstopperfolges dienlich sind.

12 Monate nach Datum des Rauchstopps erfolgt ein telefonisches Follow-up. Dabei wird der Rauchstatus erfragt und dokumentiert. Sollten Patienten noch immer oder wieder erneut rauchen, wird der Zeitpunkt genutzt, um niederschwellig eine Wiederaufnahme der Beratungen anzubieten. Sind Patienten über die 12 Monate hinweg rauchfrei geblieben, berichten sie erfahrungsgemäss gerne vom neuen Lebensgefühl als Nichtraucherin oder als Nichtraucher.

Jenseits der Standardsituation / Grenzen der Rauchstoppberatung

Schwangere

Schwangeren wird zu Recht geraten, mit dem Rauchen gänzlich aufzuhören. Fortgesetztes Rauchen ist mit erhöhten Risiken für die Schwangere und das ungeborene Kind assoziiert. Beachtlich viele Frauen hören mit dem Rauchen auf, wenn sie erfahren, dass sie schwanger sind. Frauen in der Frühschwangerschaft, die es auf Anhieb nicht schaffen, den Tabak- und Nikotinkonsum aus eigener Kraft einzustellen, sind meistens motiviert, professionelle Unterstützung anzunehmen. Die besten Resultate werden bei diesen Frauen erreicht, wenn ihnen ein finanzieller Anreiz gegeben wird. Es kann eine Prämie (Geld) ausgezahlt werden, wenn der Rauchstopp für eine längere Zeit eingehalten wird. In der Schwangerschaft ändert sich der Nikotinmetabolimus, sodass z.T. eine erhöhte Nikotinzufuhr die Folge ist. Dies gilt es zu bedenken, wenn Nikotinersatz eingesetzt wird. Nikotin aus registrierten Nikotinersatzprodukten ist gesundheitlich besser als fortgesetzter Tabakkonsum. Das Beste ist der komplette Rauch- und Nikotinstopp (5, 6, 7).

Psychische Erkrankungen

Bei instabilen psychischen Situationen, z. B. schwerer Depression oder Schizophrenie, führen wir eine orientierende Beratung durch. Wir empfehlen dann eine psychiatrische Betreuung, bevor die Rauchstoppberatung weitergeführt wird. Ggf. erfolgt die Wahl und Dosierung unterstützender Rauchstoppmedikamente in Absprache mit dem behandelnden Psychiater / der behandelnden Psychiaterin. Sozial, psychisch oder emotional sehr stark belastete Menschen bewegen sich oft in komplexen Problemkreisen, wobei das Rauchen gewissermassen symptomatisch als zentrale Bewältigungsstrategie empfunden werden kann und der Gesundheitskontext zweitrangig ist. Bei solchen Personen kann die Empfehlung zum Rauchstopp eine schier unüberwindbare Hürde darstellen.

In solchen Fällen wird nicht auf einen Rauchstopp insistiert, sondern Verständnis gezeigt. Den Patienten wird das Angebot einer weiteren Beratung unterbreitet für die Zeit, wenn sich die Lebenskrise oder die momentane Situation gebessert hat. Allein das Gespräch übers Rauchen und über die aktuelle Belastungssituation kann unterstützend wirken. Es wird vereinbart, dass eine Folgeberatung oder eine telefonische Kontaktaufnahme durch uns geschieht, und ein Zeitpunkt dafür festgelegt, z. B. in sechs Monaten. Bei motivierten Patienten, die psychisch stabil eingestellt sind, kommen die klassischen Rauchstoppmedikamente ohne signifikante Erhöhung von Komplikationen zur Anwendung (8). Sind die Voraussetzungen weniger günstig, kann auch einmal eine Schadensminderungsstrategie, z. B. Benützung des Inhalers zur Reduktion der Anzahl gerauchter Zigaretten, ausnahmsweise zur Anwendung kommen.

Terminale Patienten / palliative Situationen

Es ist verständlich, dass Patienten mit beispielsweise Krebserkrankungen z. T. einen Rauchstoppwunsch haben. Bei gewissen Tumoren ist die Ansprechrate auf die Therapie deutlich besser nach einem Rauchstopp (verbesserte Durchblutung des Tumorgewebes bei Systemtherapien) (9). Wir beraten und behandeln auch diese Patienten bei einem Rauchstoppwunsch.

Danksagung
Wir möchten Eveline Rutz für die sprachliche Durchsicht und Korrekturen danken.

PD Dr. med. Macé M. Schuurmans

Klinik für Pneumologie
Leitung Rauchstoppsprechstunde
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

mace.schuurmans@usz.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Ärztliche Rauchstoppberatung. Die Dokumentation für die Praxis. Jacques Cornuz, Isabelle Jacot-Sadowski, Jean-Paul Humair. 3. Auflage. Frei von Tabak, 2016
2. Tabakkonsum und Tabakabhängigkeit. Christoph B. Kröger, Bettina Lohmann. 1. Auflage. Hogrefe Verlag, 2007
3. Macé M. Schuurmans, Marc Müller, Jürg Pfisterer, Carole Clair, Werner
Karrer. Rauchstopp für COPD Patienten. Schweiz Med Forum 2015;15(49):1155-1158
4. Macé M. Schuurmans, Anne-Katharina Burkhalter und Jean-Pierre Zellweger
Rauchstopp-Beratung für die Praxis Evidenz-basierte Informationen und erfahrungsmedizinische Tipps.
Psychiatrie 2•2009
5. Elisabeth Biewald, Denise Casanova, Macé Schuurmans. Individuelle Rauchstoppberatung Persönlicher Handlungsplan, Verein Lunge Zürich, The Circle 58, 8058 Zürich-Flughafen. Bildmaterial LUNGE ZÜRICH: Konzepte erarbeitet durch die Autoren dieses Aritkels.
6. Berlin I, Berlin N, Malecot M, Breton M, Jusot F, Goldzahl L. Financial incentives for smoking cessation in pregnancy: multicentre randomised controlled trial. BMJ. 2021 Dec 1;375:e065217. doi: 10.1136/bmj-2021-065217. Erratum in: BMJ. 2021 Dec 3;375:n3012. doi: 10.1136/bmj.n3012. Erratum in: BMJ. 2022 Feb 22;376:o448. doi: 10.1136/bmj.o448. PMID: 34853024; PMCID: PMC8634365.
7. Robijn AL, Tran DT, Cohen JM, Donald S, Cesta CE, Furu K, Parkin L, Pearson SA, Reutfors J, Zoega H, Zwar N, Havard A. Smoking Cessation Pharmacotherapy Use in Pregnancy. JAMA Netw Open. 2024 Jun 3;7(6):e2419245. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.19245. PMID: 38941092; PMCID: PMC11214111.
8. Correa JB, Lawrence D, McKenna BS, Gaznick N, Saccone PA, Dubrava S, Doran N, Anthenelli RM. Psychiatric Comorbidity and Multimorbidity in the EAGLES Trial: Descriptive Correlates and Associations With Neuropsychiatric Adverse Events, Treatment Adherence, and Smoking Cessation. Nicotine Tob Res. 2021 Aug 29;23(10):1646-1655. doi: 10.1093/ntr/ntab056. PMID: 33788933; PMCID: PMC8521682.
9. Chellappan S. Smoking Cessation after Cancer Diagnosis and Enhanced Therapy Response: Mechanisms and Significance. Curr Oncol. 2022 Dec 17;29(12):9956-9969. doi: 10.3390/curroncol29120782. PMID: 36547196; PMCID: PMC9776692.