Reisemedizinische Beratung

Die häufigsten Impfungen am Zentrum für Reisemedizin der Universität Zürich (ohne Corona) sind 970 Tollwutimpfungen, 675 Hepatitis A-Impfungen, 634 Polio-Impfungen, 562 FSME-Impfungen, 498 Gelbfieber-Impfungen, 439 Tetanus-Impfungen, 321 Hepatitis B-Impfungen, 244 Typhus-Impfungen, 216 MMR-Impfungen, 113 Japanische Enzephalitis-Impfungen. Gesamtzahl an Impfungen im Jahre 2022: 35’401. Die Gesamtheit der Coronaimpfungen betrug ca. 200’000, alle Affenpocken-Impfungen ca. 6000, und der Masern-Ausbruch vom Januar bis März 2023 ca. 355, berichtete Dr. med. Julian Maier vom Zentrum für Reisemedizin am Institut für Epidemiologie, Biostatik und Prävention der Universität Zürich.

Wichtige Themen der medizinischen Reiseberatung

Die Themen können in 4 Bereiche eingeteilt werden:
Kontakte (Personen: Hep B, HPV, STI/HIV, MMR, Varizellen, Grippe, Sars-Cov-2, Pneumokokken, Meningo­kokken Pertussis. Tiere: Tollwut), Nahrung (Essen, Trinken verunreinigt: Hepatitis A, Polio, Cholera, Abdominal-Ty­phus), Umwelt (Unfälle: Teta­nus, Sonne, Höhe, Tauchen: Grund­krankhei­ten (Immun­suppression, Diabe­tes, Asplenie, Schwan­ger­schaft, …), Stiche (Mücken: Malaria, Dengue, Zika, Gelbfieber, JE…), Zecken FSME, Rickettsien. Wanzen: Chagas, Tse Tsefliegen: Schlafkrankheit).

Die Maxime der Nahrungsmittelhygiene lautet: «Cook it, boil it, peel it or leave it». Vermeiden von Hahnenwasser (auch nicht zum Zähneputzen), Eiswürfeln, Rohkost-Salaten, Fruchtsalaten, offenen Fruchtsäften und rohen Milchprodukten. Je nach geplanter Reise Wasserfilter, Mikropur Forte mitnehmen.

Eine der häufigsten Krankheiten bei Reisenden ist der Durchfall, verursacht durch Viren, Bakterien, seltener durch Darmparasiten. Wichtig ist der Flüssigkeitsersatz, allenfalls mit oraler Elektrolyt­lösung (z.B. Elotrans®), allenfalls Loperamid (Imodium®).
Über Wasser/Nahrungsmittel übertragene Erkrankungen: Hepatitis A, (Impfung) Hepatitis E, Abdominal-Typhus (orale Lebendimpfung (Vivotif®), Poliomyelitis (Impfung), Cholera (orale Totimpfung (Duoral®), Amöben.
Der Referent erwähnte das Beispiel einer Familie, die nach Kenia reisen will, der Vater ist depressiv, die Mutter ist schwanger und sie reisen mit einem Kind.

Einflüsse auf die medizinische Reiseberatung

Reiszweck (z.B. Tourismus, VFR), Reiseziel inkl. epidemiologische Lage, Jahreszeit, Reisedauer, Kosten/Nutzen, aktuelle Medikation, z.B. Immunsuppression, vorbestehende Erkrankungen, Schwangerschaft, Stillen, frühere Impfungen, Reisestil, Alter, Zeit bis zur Abreise, Einreisebestimmungen.

Impfungen in der Reisemedizin

Indikatonsimpfungen:
Abdominal-Typhus, FSME, Gelbfieber, Hepatitis A / Hepatitis B, Herpes Zoster, Influenza / Sars CoV-2, Japanische Enzephalitis, Meningokokken (ACWY, B), Pertussis, Pneumokokken, Polio, Tollwut, Varizellen.
Basis- und ergänzende Impfungen gemäss Schweizerischem Impfplan:
Tetanus / Diphtherie / Pertussis / Polio / HiB / Hepatitis B.
Masern / Mumps /Röteln / Varizellen. Herpes Zoster. HPV. Influenza / Sars CoV-2. Meningokokken (ACWY)
Mögliche obligatorische Impfungen
Gelbfieber, Masern, Meningokokken (ACWY), Polio, (Cholera), Sars-CoV-2

Grundlagen zur Impfung

Lebendimpfstoffe: 4 Wochen Abstand untereinander oder am gleichen Tag. Nicht in der Schwangerschaft.
Abstandsregeln: Es gibt keine maximalen Abstände. Jede Impfung zählt, Spielraum von 4 Wochen bei Impfungen (Nicht bei Abstand zwischen verschiedenen Lebendimpfungen und Schnellschemen).
Nach Erhalt von Antikörper-enthaltenden Produkten gilt für Lebend­impfstoffe ein Mindestabstand von 3 bis 12 Monaten (je nach Produkt).
Abstand FSME / Japanische Enzephalitis / Gelbfieber nicht mehr nötig.
Kontraindikationen: Akute Erkrankung mit Fieber, Überempfind­lichkeit gegen bestimmte Bestandteile (Hühnereiweiss bei Gelb­­fie­ber, Influenza, FSME). Neomycin, Streptomycin (sofern anaphy­lak­tische Reaktion) Schwangerschaft und Stillen (Impfstoffabhängig), Immunschwäche (Lebendimpfstoffe KI), Überimpfung Tetanus (Antitoxin-Antikörper bestimmen).

Kenia als Beispiel

Familie Müller (Helga 32J, Fatou 37J, Fabian 13J) plant 2-wöchige Reise nach Nairobi und Mombasa, Safari (Masai, Mara), Badeferien, Helga ist schwanger (2. Trimenon), Fatou leidet an Depressionen. Auf welche Gefahren muss man sie aufmerksam machen, an welche Impfungen sollte man denken?
Es gelten die oben gemachten Empfehlungen bezüglich Kontakten, Nahrung, Umwelt und Stichen.

Kenia: Hepatitis A

Abdominaltyphus, Cholera (indiziert nur bei humanitären Einsätzen), Poliomyelitis, Mücken/Insektenschutz (übertragene Krankheiten: Malaria, Gelbfieber, Dengue, Chikunguya, Zika, Japanische Enzephalitis, Chagas, FSME, West Nil-Fieber, afrikanische Schlafkrankheit, afrikanisches Zeckenbiss-Fieber. Wirkstoffe auf Haut: Repellentien (mehrmals täglich auf helle Kleidung), Insektizide (Sprays Räucherspiralen, Insektizidverdampfer), imprägniertes Moskitonetz oder Klima-Anlage. Medikamentöse Malaria-Prophylaxe in Hochrisikogeiet empfohlen. Notfallselbstbehandlung: Fieber >37,5°C über 24h, Aufsuchen eines Arztes / Spitals, wenn möglich innerhalb 24h, Paracetamol und Atovaquon/Proguanil (Malarone®Atovaquon Plus Spirig HC®), 12 Tabletten in 3 Dosen über 3 Tage. Sofort 4 Tabletten auf einmal, 2. und 3. Tag je 4 Tabletten auf einmal.

Kenia: Gelbfieber

Gelbfieber-Virus, Übertragung durch Aedes-Mücken (tag- und dämmerungsaktiv), Impfschema 0, ≥10 Jahre, mit 2 Impfungen lebenslanger Schutz (kontroverse zu WHO). Cave: Impfung macht häufig Fieber, KI Immunsuppression, Schwangerschaft, Stillen, Hühnereiweiss-Allergie, rel. KI ≥60jährige.

Kenia: Dengue

Übertragung durch Aedes-Mücke (tag- und dämmerungsaktiv), im Risikogebiet Mückenschutz empfohlen. CAVE: kein Aspirin (Ausnahme Aspirin Cardio 100mg). Impfung (Qdenga in der Schweiz noch nicht zugelassen. Für Gesunde und Kurzreisen bisher nicht empfohlen.

Kenia: Zika

Übertragung durch Aedes-Mücke (tag- und dämmerungsaktiv) im Risikogebiet ist Mückenschutz empfohlen. CAVE: bis 2 Monate nach Reise mit Schwangerschaft zuwarten Antikörpertests nachakuter Erkrankung unzuverlässig, Ausbruchsmeldungen z. T. verzögert.

Kenia: Poliomyelitis

Übertragung durch Poliovirus (Typ I-III). Kontaminiertes Wasser und Lebensmittel. CAVE: Impfung obligatorisch für bestimmte Länder, Booster nicht älter als 1 oder 10 Jahre , je nach Reisedestination.

Kenia: Tollwut

Übertragung durch Speichel und andere Körperflüssigkeiten von infizierten Tieren (Hauptsächlich Hunde und Fledermäuse). 100 tödlich verlaufende Krankheit. Impfung dringend empfohlen für Langzeitaufenthalte in betroffenen Gebieten, kurze Reisen mit hohem individuellem Risiko (z.B. Fahrrad- oder Motorradreisen, Wanderungen), Reisen in abgelegene Gebiete, Kinder, Arbeit mit Säugetieren, Höhlenforscher (Fledermäuse).
Präexpositionelle Impfung (2 Impfdosen vor Abreise an den Tagen 0 und 7-28, einmalige Auffrischung ≥1 Jahr.
Massnahmen nach Biss- oder Kratzwunde, Ablecken von verletzten Hautstellen, sofort Wunde mit Wasser und alkalischer Seife (Kernseife) säubern für 15 Min., Wunddesinfektion (z.B. Betadine® oder Merfen®), zeitnah Arzt aufsuchen. Beim Arzt: Aktivimpfung für ALLE! Passive Immunisierung mit humanen Tollwut-Immunglobulinen in und um die Wunde bei bisher ungeimpften Personen, Antikörper-Titer-Kontrolle.

Kenia: Meningokokken

Tröpfchenübertragung von Neisseria meningitidis. Impfung 5-Jahres-Schutz, empfohlen bei längerer Reise oder viel /naher Kontakt mit lokaler Bevölkerung. CAVE. Obligatorisch bei HAJJ/Umra.

Kenia: Bilharziose

Übertragung durch Parasiten-Larven in stehendem oder langsam fliessendem Süsswasser, juckender Hautausschlag nach Infektion, erste Symptome erst 1-2 Monate später. CAVE: keine medikamentöse Prophylaxe vorhanden. Screening/Therapie Praziquantel) erst 2-3 Monate nach Infektion möglich. Sollte bei Tropenarzt erfolgen.

Physikalische Faktoren

Höhenkrankheit: ab 2500m möglich, unabhängig von Fitnesszustand. Frühzeichen sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Leistungsabfall und Schlafstörungen. Warnsymptome sind Gleichgewichtsstörung, Erbrechen, Lichtempfindlichkeit.
Massnahmen: Langsamer Aufstieg (max. 500m/Tag, Ruhetag alle 3-4 Tage. Ruhetag bei ersten Symptomen (Analgetika, Antiemetika), Abstieg bei Persistenz, Verzicht auf Alkohol, Nikotin, genügend Flüssigkeit, allenfalls Diamox® (vorher ausprobieren).

Unfälle: jede Minute stirbt weltweit ein Mensch bei einem Verkehrsunfall. Auf Auslandreisen ist das Risiko eines Unfalls 100mal höher als zu Hause.
Sonne, Tauchen, Flug (Thrombose), Luftverschmutzung.

Speziell in Südostasien: Japanische Enzephalitis

Übertragung durch Culex-Mücken (dämmerungs- und nachtaktiv), vor allem bei Teisfeldern <8generell Feuchtgebiete) und Schweinefarmen. Impfschema 0d, 28d, 1 Jahr. Off-Label Use bei Kindern unter 1 Jahr und bei Schnellschema =,7, sehr selten bei Touristen.
Der Referent präsentierte abschliessend die Impfausweise der Familie Müller und wies auf die Besonderheiten der einzelnen Mitglieder in Bezug auf Impfungen hin: Frau Müller schwanger, Herr Müller depressiv und das Kind im Alter von 13 Jahren.

Wichtige Nachschlagwerke

sind Healthy Travel (www.healthytravel.ch), Schweizerischer Impfplan 2023 (BAG). Für Impfstoffe: Swissmedicinfo.ch, compendium.chviavac-services.ch

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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Vitamin K – das multifunktionelle Vitamin

Vitamin K ist bekanntlich ein wesentlicher Faktor der Blutgerinnung. Daher auch der Name Vitamin K, der sich von dem deutschen Begriff für Gerinnung (Koagulation) ableitet. Nährstoffe und Vitamine, darunter Vitamin D, Vitamin C und seit kurzem auch Vitamin K spielen aber auch eine wichtige Rolle bei der Erhaltung einer optimalen Knochengesundheit, insbesondere bei älteren Erwachsenen (1). In jüngster Zeit ist das Interesse an Vitamin K gestiegen. Epidemiologische Studien deuten nämlich darauf hin, dass ein Vitamin-K-Mangel mit mehreren Krankheiten in Verbindung gebracht wird, darunter Osteoporose und Atherosklerose (2).

Vitamin K ist keine einzelne Verbindung, sondern ein Begriff für viele ähnliche Verbindungen, die die physiologische Funktion dieses Vitamins haben. Sie haben eine gemeinsame Struktur, den 2-Methyl-1,4-Naphthochinon-Kern, der auch als Menadion bekannt ist. Die einfachste Form, die nur diesen Kern enthält, wird als Vitamin K3 bezeichnet. Im Gegensatz zu den natürlichen Formen ist K3 hydrophil und wird nicht über die Nahrung aufgenommen. Es fungiert jedoch als Zwischenprodukt im menschlichen Stoffwechsel (3).

Mit der Nahrung aufgenommenes Vitamin K stammt entweder aus pflanzlichen Quellen (in Form von Vitamin K1, bekannt als Phyllochinon [Phytomenadion, Phytonadion]) oder häufiger aus tierischen Quellen in Form von Vitamin K2 (Menachinon, allgemein abgekürzt als MK). Vitamin K4 wird mit anderen synthetischen Formen von Vitamin K in Verbindung gebracht. Dabei kann es sich um eine reduzierte Form von Vitamin K3 (Menadiol) oder seine Esterformen (z. B. Diacetat-Vitamin K3) handeln.

Vitamin K2 und Knochengesundheit

Vitamin K2, die aktivierte Form von Vitamin K, soll die Heilung von Knochenbrüchen fördern, eine therapeutische Wirkung auf Osteoporose haben und die Knochenresorption hemmen (4,5). Jüngste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Vitamin K die Osteoblastogenese und Osteoklastogenese über den Nuklearfaktor κB (NF-κB) reguliert. Die NF-κB-Signalübertragung übt zwei Funktionen aus: Einerseits stimuliert sie die Entwicklung und Resorption von Osteoklasten, andererseits hemmt sie die Differenzierung und Aktivität von Osteoblasten. Vitamin K2 verhindert die NF-κB-Aktivierung auf eine γ-Carboxylierung-unabhängige Weise, was zur Knochenbildung führt, und die Knochenresorption verringert (6). Ein hoher Nutzen der K-Vitamine in der Primärprävention und Therapie scheint nicht nur bei Knochen- sondern auch bei Gefässkrankheiten vorzuliegen (7).

Vitamin K2 und Atherosklerose

Trotz der jüngsten medizinischen Fortschritte sind Atherosklerose und damit Gefässerkrankungen nach wie vor die häufigste Todesursache weltweit. Atherosklerose ist ein aktiver Prozess und resultiert aus dem Ungleichgewicht zwischen kalkfördernden und -hemmenden Faktoren (8). In den letzten zwei Jahrzehnten wurde eine Reihe von Proteinen entdeckt, die Kalzium-Ionen binden können, und die meisten von ihnen haben ein gemeinsames Merkmal, nämlich die gamma-Carboxyglutaminsäure-reiche Domäne (Gla). Da die Gla-Reste durch ein Enzym, das Vitamin K als Kofaktor verwendet, biologisch aus proteingebundenen Glutaminsäureresten umgewandelt werden, werden alle diese Proteine als Vitamin-K-abhängige Proteine bezeichnet. Das Matrix Gla Protein MGP ist ein Vitamin-K-abhängiges Protein, das nachweislich eine Rolle beim Schutz vor ektopischer Verkalkung spielt (9). Die Carboxylierung des zirkulierenden MGP spiegelt dessen Fähigkeit wider, die Verkalkung in Gefäßen zu hemmen und das Risiko für koronare Herzkrankheit und Sterblichkeit zu mindern (10,11). Eine neuere Metaanalyse kommt zur Schlussfolgerung, dass die Vitamin K-Einnahme mit einem geringeren Risiko für koronare Herzkrankheit und Gesamtmortalität assoziiert ist (12). Dagegen konnten große randomisierte klinische Studien keine positive Wirkung der Vitamin-D3-Supplementierung bei der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigen (13,14). Vitamin K Supplementierung kann diese unerwünschte Wirkung von überschüssigem Vitamin D auf die Verkalkung ausgleichen, wie durch einen geringeren Kalzium- und Phosphorgehalt in Aorta und Niere gezeigt wurde (15). Der Promotor des MGP-Gens enthält ein Vitamin-D-Response-Element, das die Expression von MGP nach der Einnahme von Vitamin D um das Zwei- bis Dreifache erhöht (16,17). Die Hochregulierung von MGP durch Vitamin D benötigt Vitamin K, zur vollständigen Aktivierung von MGP für optimales Funktionieren. Dies bedeutet, dass die Kombination von Vitamin K und Vitamin D Schutz vor fortschreitender Gefäßverkalkung, kardiovaskulären Erkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gesamtmortalität bieten könnte (17).

INTRICATE (konzentrierte Zunahme von Vitamin K2 und D3

Die INTRICATE (18) ist eine Proof-Of-Concept Studie, die den Einfluss einer kombinierten Vitamin K2 und Vitamin D3-Supplementierung auf die Mikroverkalkung bei Karotis-Atherosklerose mittels hybrider Natrium-[18F] Fluorid (Na[18F] Positronenemissions-Tomographie (PET)/Magnetresonanztomographie (MRI) untersuchen soll. Probanden mit asymptomatischer Erkrankung der Halsschlagader auf mindestens einer Seite des Halses werden in die Studie aufgenommen. Der primäre Endpunkt ist die Veränderung des Na[18F] F-PET/MRI (Ausgangswert vs. nach 3 Monaten) in der Behandlungsgruppe im Vergleich zur Placebogruppe. Sekundäre Endpunkte sind Veränderungen der Plaque-Zusammensetzung und der Blut-Biomarker. Die Ziele der INTRICATE-Studie sind: Untersuchung der therapeutischen Wirkung der kombinierten Einnahme von Vitamin K2 und D3 auf die vertebrale Knochenmineraldichte bei postmenopausalen Frauen mit Osteopenie und Osteoporose.

Es gibt Hinweise darauf, dass Kalzium nicht nur für die Entwicklung einer maximalen Knochenmasse wichtig ist, sondern auch zur Verringerung des Knochenschwunds bei Frauen nach der Menopause. Man geht davon aus, dass Vitamin D und Kalzium (und möglicherweise Vitamin K) für die Vorbeugung von Knochenschwund und Knochenbrüchen von entscheidender Bedeutung sind. Entsprechend fanden Matsunaga und Mitarbeiter eine synergistische Wirkung von Vitamin D und K bei der Verringerung des Knochenverlusts bei ovarektomierten Ratten (18).

Fazit

Vitamin K ist bekannt als wesentlicher Faktor in der Blutgerinnung.

Vitamin K zeigt aber auch einen hohen Nutzen in der Primärprävention von Knochen. Es soll die Heilung von Knochenbrüchen fördern, eine therapeutische Wirkung auf Osteoporose haben und die Knochenresorption hemmen. Vitamin K scheint aber auch einen Nutzen in der Primärprävention von Gefässkrankheiten zu haben.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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1. Booth SL. Vitamin K status in the elderly. Curr Opin Clin Nutr Metab Care 2007;10:20-23
2. Fusaro M et al.. Vitamin K effects in human health: New insights beyond bone and cardiovascular health.. Journal of Nephrology 2020; 33:239–249
3. Shearer M, Newman P.. Recent trends in the metabolism and cell biology of vitamin K with special reference to vitamin K cycling and MK-4 biosynthesis. J Lipid Res .2014;55:345–362
4. Orishige H. Clinical evaluation of menaquinone versus alfacalcidol in the treatment of osteoporosis: a doubleblind, controlled Phase III clinical trial. Clin Eval 1992;20: 45–100.
5. Akiyama Y. Research on the mechanism of inhibitory action of vitamin K2 on bone resorption in cultured organ culture. J Jpn Soc Bone Min Metab 1991;9: 239.
6. Yamaguchi M., Weitzmann M.N. Vitamin K2 stimulates osteoblastogenesis and suppresses osteoclastogenesis by suppressing NF-κB activation. Int. J. Mol. Med. 2011;27: 3–14.
7. Vermeer C et al. Beyond deficiency : potential benefits of increased intakes of vitamin K for bone and vascular health. Eur J Nutr 2004; 43: 1-11
8. Johnson RC, Leopold JA and Loscalzo J. Vascular calcification: pathological mechanisms and clinical implications. Circ. Res. 2006;99: 1044-1059.
9. Price PA et al. Matrix GLa protein, a new gamma-carboxyglutamic acid-containing protein which is associated with the organ matrix of bone. Biochem Biphys Res Commun 1983;117: 765-771.
10. Luo, Get al. Spontaneous clacification of arteries and cartilage in mice lacking matrix GLA protein. Nature 1997, 386, 78-81
11. Schurgers, L et al. Matrix Gla-protein: the calcification inhibitor in need of vitamin K. Thromb Haemost 2008;100:593-603
12. Chen HG et ak, Association of vitamin K with cardiovascular events and all-cause mortality. A systematic review and meta-analysis. Eur J Nutr 2019; 38: 2191-2205
13. Scragg, R.; et al. Effect of Monthly High-Dose Vitamin D Supplementation on Cardiovascular Disease in the Vitamin D Assessment Study. JAMA Cardiol.2017, 2, 608.
14. Manson, J.E et al. Vitamin D Supplements and Prevention of Cancer and Cardiovascular Disease. N. Engl. J. Med. 2019; 380: 33–44.
15. Seyama, Yet al. Effect of vitamin K2 on experimental calcinosis induced by vitamin D2 in rat soft tissue. Int. J. Vitam. Nutr. Res. 1996; 66: 36–38.
16. Fraser JD, Price PA. Induction of matrix gla protein synthesis during prolonged 1,25-Dihydroxyvitamin D3 treatment of osteosarcoma cells. Calcif. Tissue Int. 1990, 46, 270–279
17. Arbou, NC et al. Transcriptional control of the osteocalcin gene by 1,25-dihydroxyvitamin D-2 and ist 24-epimer in rat osteosarcoma cells. Biochim. Biophys. Acta Gene Struct. Expr. 1995, 1263, 147–153
18. Matsunaga S et al. The effect of vitamin K and D supplementation on ovariectomy-induced bone loss. Calcif Tissue Int 1999;65:285–9.

Herpes Zoster: Der bleibende Schmerz ist die gefürchtete Komplikation

Einen Herpes Zoster erkennt man oft auf den ersten Blick. Deutlich schwieriger gestaltet sich hingegen das Schmerzmanagement, besonders bei älteren und komorbiden Erkrankten. Der Allgemeinmediziner Prof. Dr. Jörg Schelling, München, äusserte sich über die therapeutischen Herausforderungen bei Herpes Zoster und erklärte, warum rechtzeitiges Impfen von Risikogruppen –vor allem über, aber auch unter 60 Jahren – so wichtig ist.

Herpes Zoster ist grundsätzlich eine Erkrankung, die in die Allgemeinmedizin gehört. Sie wird beim Hausarzt diagnostiziert und auch primär behandelt. Sie kann aber auch die Fachdisziplinen Dermatologie (wenn Hautprobleme persistieren) oder Neurologie (bei neurologischen Komplikationen) oder den Schmerztherapeuten involvieren. Die Übertragung findet über die Windpocken statt, die fast jedermann im Kindesalter durchgemacht hat oder man hat einen Lebendimpfstoff erhalten, der zwar das Risiko für die Gürtelrose senkt, sie aber nicht ausschliesst. Dann vergehen oft Jahrzehnte bis das Virus, das in den Ganglien persistiert, zurückkehrt. Das kann mit 40-45 Jahren, wenn man entsprechende Vorerkrankungen hat, passieren. Ab 60 Jahren steigt das Risiko von Jahr zu Jahr stark an. Bei den Hochbetagten ist das Risiko sehr hoch, dass das Virus wieder zum Vorschein kommt, und eine erneute Erkrankung auslöst, dann nicht mehr als Windpocken mit dem Ganzkörperbefall, sondern mit dem Befall eines entsprechenden Nervensegments, irgendwo zwischen Hüfte und leider auch Kopfhaut.

Wenn man sich als Kind nicht angesteckt hat und in höherem Alter mit dem Erreger in Kontakt kommt, wird man die Windpocken durchmachen, denn der Erreger ist hoch kontagiös. Dies ist aber eher theoretisch der Fall, da die Durchseuchung im Kindesalter beinahe 100% ausmacht.

Auslöser von Herpes Zoster

Die Auslöser sind belastende Lebenssituationen, Stress, lebensverändernde Dinge, Prüfungen aber auch sehr freudige Sachen. Herpes Zoster ist nicht nur mit negativen Erlebnissen verbunden, sondern generell mit Veränderungen im Körper. Er tritt vor allem durch die Verschlechterung des Immunsystems im Alter auf, wenn die Abwehrzellen nicht mehr in der Lage sind, das in den Ganglien schlummernde Virus aufzuhalten. Es muss kein Auslöser sein, sondern es kann aus heiterem Himmel wiederkommen.

Herpes Zoster ist eine typische Blickdiagnose mit den typischen Bläschen an einzelnen Körperstellen, oft am Gürtel (Gürtelrose). Die Haut kann dabei bereits vor dem Ausbruch empfindlich sein. Meistens kehrt die Infektion bei Wiedereintritt an dieselbe Stelle zurück. Es können aber auch mehrere Segmente betroffen sein. Seltenere Manifestationen sind der Befall der Hirnnerven mit Augenbefall oder der Bereich des Hörorgans.
In der Praxis sind andere Diagnosen ausser der Blickdiagnose nicht üblich, da man sofort behandeln sollte, was bei serologischen Diagnosen nicht möglich ist.

Therapieoptionen bei Herpes Zoster

Einerseits gibt es die klassische anti-virale Therapie mit Aciclovir, Valaciclovir, Famciclovir, Brivudin und andere, die auf die Replikation des Virus selber wirken. Die Hauptbehandlung besteht aber meistens in der Behandlung der Komplikationen. Hier gibt es Salben und lokale Antibiotika und vor allem die Schmerztherapie mit all ihren Facetten. Der Schmerz muss behandelt werden im Hinblick auf die postherpetische Neuralgie. Nicht der Zoster selber, sondern die postherpetische Neuralgie ist die Hauptsorge und der Grund, weshalb eine Prävention sehr wichtig ist. Dabei steht die Impfung im Vordergrund.

Impfung gegen Herpes Zoster

Die Impfung (mit Shingrix®) ist heute Standard bei allen über 60jährigen. Wichtig ist, dass die Impfung zweimal im Abstand von 2 – 6 Monaten erfolgen sollte. Sie hält sehr lange über viele Jahre; acht Jahre weiss man sicher, wahrscheinlich sind es über 10 Jahre. Ab 50 Jahren kann mit entsprechenden Vorerkrankungen ebenfalls geimpft werden. Dazu gehören alle Erkrankungen, die das Immunsystem betreffen, d.h. Immunsuppression, rheumatoide Erkrankungen, Asthma, COPD, M. Crohn, kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus, die die Impfung bereits ab 50 Jahren ermöglichen. Der Impfstoff ist generell ab 18 Jahren zugelassen, aber nicht zu Lasten der Krankenversicherung.

Der durchgemachte Zoster schützt für einige Zeit. Prof. Schelling empfiehlt eine Impfung im Abstand von 6 Monaten besser 12 Monaten. Aber sicher ist, dass eine durchgemachte Herpes Zoster Infektion nicht für immer gegen einen erneuten Ausbruch der Infektion schützt. Die Impfung hat eine gute Schutzwirkung auch bei über 80jährigen. Es gibt wenig Nebenwirkungen, wie Schmerzen in der Schulter, dies aber selten und bei der zweiten Impfung sind diese Nebenwirkungen meistens nicht mehr vorhanden.

Einen Zusammenhang mit der Impfung gegen COVID-19 sieht Prof. Schelling nicht, er glaubt aber, dass der Pandemiestress Auslöser für eine Herpes Zoster Infektion sein könnte.

Die Impfung mit Shingrix® gegen Herpes Zoster wird von den Patienten sehr gut aufgenommen. Die meisten wünschen geimpft zu werden, so der Arzt.

Fazit

Herpes Zoster ist eine Folge der Windpocken-Erkrankung in der Jugend. Das Virus verbleibt in den Ganglien und tritt bei Veränderungen des Immunsystems, bei Stress und vor allem mit zunehmendem Alter ab 60 Jahren als Herpes Zoster wieder auf.

Die Infektion ist als Blickdiagnose in der Allgemeinpraxis leicht erkennbar. Sie sollte wegen der möglichen Komplikationen sofort mit Virostatika behandelt werden, da die Gefahr postherpetischer Komplikationen, vor allem einer postherpetischen Neuropathie besteht.

Prävention durch Impfung ist die vordringlichste Massnahme.

Therapieoptionen bei Ausbruch umfassen virostatische Behandlungen, Salben und falls notwendig lokale Antibiotika und Schmerztherapien.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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Neue Verfahren in der interventionellen Kardiologie: Gibt es einen Mehrwert?

In dieser Ausgabe berichten Peter Dietrich und Gregor Fahrni über die perkutane Revaskularisation von chronischen Koronarverschlüssen (CTO) und Roberto Galea, Georgios Siontis und Lorenz Räber über die neuesten Erkenntnisse zum Vorhofohrverschluss.

CTO manifestieren sich klinisch meist als stabile Angina pectoris. Der Mehrwert der perkutanen Revaskularisation (PCI) von CTO wurde anfänglich wegen der relativ hohen Komplikationsrate und der hohen Restenoserate in Frage gestellt. Neuerdings ist um die Revaskularisation der chronischen koronaren Herzkrankheit im allgemeinen eine Diskussion entstanden. Bei Vergleich einer initial medikamentösen vs. einer initial invasiven Strategie ergab sich im Verlauf von 2-3 Jahren zwar eine bessere Symptombefreiung, aber kein prognostischer Mehrwert durch die Revaskularisation. Wahrscheinlich aufgrund der gegenwärtigen Kontroverse sind die Autoren bei der Beschreibung der Indikationsstellung für eine PCI bei CTO eher defensiv. Diese vorsichtige Haltung ist lobenswert, da der Nutzen einer PCI deren Risiken weit übersteigen muss. Der Mehrwert der CTO PCI muss aber auch im Rahmen der Alternativen gewertet werden. Die Bypassoperation ist mit noch höheren Komplikationsraten behaftet als die PCI. Die Einlage eines Koronarsinusreducers, welcher durch eine Umverteilung des myokardialen Blutflusses die Ischämie vermindert, geht ebenfalls einher mit Risiken und hat zu oft einen geringen Effekt auf die Symptome. Es bleibt die medikamentöse Therapie, welche leider in vielen Fällen keine Symptomfreiheit bringt. Die erwähnten Vergleichsstudien untersuchten die prognostischen, harten Endpunkte Tod, Myokardinfarkt und Notwendigkeit für eine Revaskularisation, dh. die so genannten clinical outcome measures (CROM). Der fehlende prognostische Unterschied ist für die Patient*innen oft nicht relevant. Sie erhoffen sich von der Intervention Symptomfreiheit und eine verbesserte Lebensqualität. In allen Vergleichsstudien hat dies die PCI besser erreicht als die medikamentöse Therapie. Diese patient reported outcome measures (PROM) (=Symptomfreiheit) und patient reported experience measures (PREM) (= Lebensqualität) sind ebenso wichtig in der Beurteilung des Mehrwertes einer Behandlung. Aus dem Gesagten geht aber auch hervor, dass bei Beschwerdefreiheit des Patienten eine CTO PCI einen beschränkten Mehrwert aufweist.

Der Mehrwert der PCI von CTOs ist noch weiter zu sehen. Erstens ging mit der Erarbeitung der Technik ein enormer Wissenszuwachs bezüglich der Physiologie der Kollateralen einher. Zweitens sind im Laufe der Zeit immer bessere Drähte, Mikrokatheter und Ballonkatheter entwickelt worden, die inzwischen breit eingesetzt werden. Weiter mussten für die PCI neue Interventionstechniken gefunden werden, welche nun bei schwierigen PCI allgemein angewendet werden. Beides hat die PCI insgesamt erfolgreicher und sicherer gemacht.

Der Mehrwert des Vorhofohrverschlusses liegt auf der Hand. Er ermöglicht den Patient*innen mit Vorhofflimmern, welche eine Kontraindikation für eine OAK haben, einen Schutz vor thromboembolischen Komplikationen. Auch Patient*innen mit einer fehlenden oder schlechten Compliance für eine OAK profitieren von einem Vorhofohrverschluss. Hinweise auf das Ausmass der Problematik gaben die Vergleichsstudien NOAC vs. Vitamin-K abhängige OAK. In allen Studien stoppten in der Nachbeobachtungsphase jedes Jahr 7-9% die OAK. In der Rocket AF hatten nach 2 Jahren 23,9% das Rivaroxaban und 22,4% die OAK gestoppt! Der Vorhofohrverschluss wirkt unabhängig von der Compliance des Patienten lebenslang.

Warum ist die Skepsis dem Mehrwert des Vorhofohrverschlusses gegenüber trotzdem gross? Der perkutane Vorhofohrverschluss ist eine aufwändige Intervention, welche mit einer relativ hohen Rate auch schwerwiegender Komplikationen einhergeht. Das Interventionsrisiko wird auch in erfahrenen Händen nie null sein. Deshalb wird immer ein Abwägen zwischen dem initialen Interventionsrisiko und der Verminderung des Langzeitrisikos nötig sein. Die gegenwärtig laufenden Vergleichsstudien NOAC vs. Vorhofohrverschluss werden nicht nur Auskunft geben über die Gleichwertigkeit der beiden Behandlungen, sondern auch das gegenwärtige Risiko des Vorhofohrverschlusses dem Nutzen im Langzeitverlauf gegenüberstellen. Diese genauere Kenntnis der Langzeitrisiken wird es ermöglichen, die Indikation für den Vorhofohrverschluss bei verschiedenen Zuständen besser gegen den Nutzen abzuwägen.

Der Prävention von thrombo-embolischen Ereignissen bei Vorliegen eines hohen Blutungsrisikos sind Grenzen gesetzt. Die Erarbeitung von neuen Techniken, z.B. den Vorhofohrverschluss, um diese Grenzen zu sprengen, bringt per se einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert.

Prof. Dr. med. Franz Eberli

Prof. Dr. med. Franz R. Eberli

Stadtspital Zürich Triemli
Klinik für Kardiologie
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

franz.eberli@triemli.zuerich.ch

CARDIO FLASH

In dieser Rubrik werden wichtige Studien und Themen von den Herausgebern dieser Zeitschrift kurz zusammengefasst und kommentiert. Wir hoffen, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, diese Information schätzen.

Aspirin in der Primärprävention des Schlaganfalls bei älteren Patienten

In der Primärprävention wird der protektive Effekt von Aspirin durch vermehrte Blutungen aufgehoben. Trotzdem ist die primär präventive Einnahme von Aspirin weit verbreitet. Bei älteren Menschen ist die Prävention eines Schlaganfalls ein berechtigtes Anliegen. Die ASPREE Studie hat deshalb den Nutzen von Aspirin in der Prävention von Schlaganfällen bei älteren Patienten (n=19‘114; 56% Frauen, mittleres Alter 74 Jahre) untersucht (1) . Bei diesen vergleichsweise gesunden älteren Patienten resultierte Aspirin 100 mg/Tag in keiner statistisch signifikanten Reduktion der ischämischen Schlaganfällen. Aspirin führte aber zu einem signifikanten Anstieg der intrazerebralen Blutungen. 29 zusätzliche intrazerebralen Blutungen standen 20 verhinderten ischämischen Schlaganfällen gegenüber. Die intrazerebralen Blutungen führten zu mehr Todesfällen als die ischämischen Schlaganfälle. Auch die extrakranialen Blutungen waren unter Aspirin erhöht.

Diese Studie erinnert uns daran, dass das Blutungsrisiko durch Aspirin nicht vernachlässigbar ist und gerade bei älteren Patienten den Nutzen in der Primärprävention übersteigt. Bei Patienten älter als 60 Jahre sollte entsprechend den europäischen (2) und amerikanischen (3) Guidelines das Aspirin als primärpräventive Massnahme nicht gestartet werden. Bei (älteren) Patienten, welche bereits Aspirin primär präventiv einnehmen, soll es gestoppt werden.

 Prof. Franz Eberli

1 Cloud GC et al. Low-Dose Aspirin and the Risk of Stroke and Intracerebral Bleeding in healthy older People. Secondary Analysis of a Randomized Clinical Trial. JAMA netw open 2023;6(7):32325803
2 ESC Prevention Guidelines 2021. European Heart Journal (2021) 42, 3227 3337
3 Davidson KW et al. Aspirin use to prevent cardiovascular disease. US Preventive Series Task Force recommendation statement. JAMA 2022;327(16):1577-84

Atorvastatin als Schutz vor Anthracylin-assozierter kardialer Dysfunktion (The STOP-CA Trial)

Anthrazykline wie Doxorubicin kommen in Chemotherapie-Regimen zur Behandlung von Brustkrebs, Leukämie, Lymphomen und Sarkomen zum Einsatz. Bei mehr als 20% der Lymphom-Patienten zeigt sich innerhalb von nur einem Jahr nach der Behandlung eine LVEF-Abnahme von >10% und bis zu 20% der Patienten entwickeln innerhalb von fünf Jahren eine Herzinsuffizienz. In einer doppelblinden, randomisierten, multizentrischen Studie wurde nun untersucht, ob eine tägliche Einnahme von 40 mg Atorvastatin durch seine kardioprotektive Wirkung das Auftreten und Ausmass einer LVEF-Reduktion bei Lymphom­patienten nach Anthrazyklin-Behandlung verringern kann. Als primärer Endpunkt wurde eine absolute LVEF-Abnahme von ≥ 10% (auf eine LVEF <55%) innerhalb von zwölf Monaten nach der Therapie, gemessen mittels Kardio-MR, definiert. In der Gruppe, die Atorvastatin erhielt, erreichten lediglich 9% (13/150) diesen primären Endpunkt, im Vergleich zu 22% (33/150) in der Placebo-Gruppe (p = 0,002). Die Wahrscheinlichkeit einer LVEF-Abnahme von 10% oder mehr auf einen endgültigen Wert von unter 55% nach einer Anthrazyklin-Behandlung war für die Placebo-Gruppe fast dreimal höher im Vergleich zu denjenigen, die Atorvastatin einnahmen. Diese Ergebnisse unterstützen die Verwendung von Atorvastatin bei Lymphom-Patienten, um das durch Anthrazyklin verursachte Risiko einer linksventrikulären Dysfunktion zu minimieren. Ob eine vorbeugende Atorvastatin-Therapie in diesem Kontext letztendlich die Inzidenz von Herzinsuffizienz in dieser Patientengruppe reduzieren kann, bleibt noch zu klären.

Prof. Otmar Pfister

Neilan TG et al. JAMA 2023

Weg mit Aspirin, neu P2Y12 Inhibitoren in der Sekundärprävention: Halt nicht so schnell!

Bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit empfehlen die Guidelines als antithrombotische Sekundärprävention eine Aspirin Monotherapie. Ob die Sekundärprävention durch die potenteren P2Y12 Inhibitoren (Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor) verbessert werden kann, ist nicht klar. Eine neue Meta-analyse von sieben Studie (n=24‘325, mittleres Alter 64 Jahre, 22% Frauen), welche bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit die Sekundärprävention von Aspirin mit Clopidogrel (62%) oder Ticagrelor (38%) verglichen haben, empfiehlt nun einen Wechsel. Die P2Y12 Inhibitoren senkten über eine mediane Nachbeobachtungszeit von 1,3 Jahren das relative Risiko für ein kardio-vaskuläres Ereignis um 12% (3,6% vs 4,1%, P=0.012), vorwiegend durch eine Reduktion der Myokardinfarktrate. Die Gesamtmortalität und die kardiovaskuläre Mortalität wurden nicht reduziert. Grosse Blutungen traten unter Aspirin und den P2Y12 Inhibitoren gleich häufig auf.

Soll nun also Clopidogrel oder Ticagrelor das Aspirin in der Langzeittherapie bei der koronaren Herzkrankheit ablösen? Dazu ist auch aufgrund dieser neuen Meta-analyse die Evidenz zu schwach. Erstens war der Nutzen relativ klein. Zweitens waren die untersuchten Studien sehr heterogen (Studien verteilt über einen Zeitraum von 30 Jahren; vier Studien waren nicht verblindet; der positive Effekt fand sich vorwiegend in asiatischen Studien und nach einer PCI). Es gibt gute Gründe beim Aspirin cardio (100 mg) in der Sekundärprävention zu bleiben. Patienten und Fachpersonen sind mit Aspirin und seinen Nebenwirkungen vertraut. Ticagrelor muss zweimal täglich eingenommen werden und verursacht häufig Nebenwirkungen. Beides ist ursächlich für das Stoppen des Medikaments bei vielen Patienten. Der Langzeiteffekt der bekannten Clopidogrelresistenz, welche bei einigen Patienten vorliegt, ist nicht bekannt. Ob Aspirin oder P2Y12 Inhibitoren in der Sekundärprävention den besten Nutzen bringen, müsste in einer doppelblind randomisierten Langzeitstudie untersucht werden. Vorläufig gibt es wenig Gründe das Aspirin aus der Sekundärprävention zu kippen.

Prof. Franz Eberli

1 Grangnano F, Cao D, Pirondini L et al. JACC 2023;82:89-105

Prof. Dr. med. Franz R. Eberli

Stadtspital Zürich Triemli
Klinik für Kardiologie
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

franz.eberli@triemli.zuerich.ch

Prof. Dr. med. Otmar Pfister

Otmar.pfister@usb.ch

Der chronische Koronarverschluss – Wann und wie behandeln?

Der chronische Koronarversschluss wird bei bis zu 20 % der Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit diagnostiziert und hat einen negativen Einfluss auf die Lebensqualität und Langzeitprognose. Die rasche Entwicklung der technischen Mittel in Kombination mit neuen Revaskularisationsstrategien in der perkutanen Behandlung von chronisch verschlossenen Herzkranzgefässen hat in erfahrenen Zentren zu einer Wiedereröffnungsrate von über 85 % geführt. Daher sollte sich die Patientenauswahl für eine solche Koronarintervention auf den zu erwartenden Patientennutzen und nicht auf die koronar-anatomische Komplexität konzentrieren.

Chronic coronary occlusion is diagnosed in up to 20 % of patients with coronary artery disease and has a negative impact on quality of life and long-term prognosis. The rapid development of technical means in combination with new revascularization strategies in the percutaneous treatment of chronically occluded coronary arteries has led to a reopening rate of more than 85 % in experienced centers. Therefore, patient selection for such coronary intervention should focus on expected patient benefit rather than coronary anatomic complexity.
Key Words: chronic total occlusion (CTO), revascularization

Der chronische totale Koronarverschluss (Chronic Total Occlusion oder CTO) ist definiert als ein vollständiger Verschluss einer Herzkranzarterie von mehr als drei Monaten. Bei der Mehrzahl der Patienten mit einer CTO ist der Verschluss das Ergebnis einer allmählichen Lumeneinengung, die eine Rekrutierung von Kollateralen distal an das verschlossene Gefäss ermöglicht und somit die Viabilität gewährleistet. Nicht-invasive und invasive Studien haben jedoch gezeigt, dass bei der überwiegenden Mehrheit auch angiographisch gut ausgebildete Kollateralen nicht ausreichen, um eine Ischämie zu verhindern (1, 2) (Abb. 1).

Klinische Präsentation des chronischen Koronarverschlusses

Bei symptomatischen CTO-Patienten stehen häufig Dyspnoe oder atypische Symptome wie Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit im Vordergrund (3). Angina pectoris ist ein spätes Symptom in der ischämischen Kaskade und kann auch bei ausgedehnter Myokardischämie fehlen. Einer von vier Patienten mit einer CTO ist asymptomatisch. Das Fehlen von Symptomen kann gelegentlich durch eine autonome Neuropathie bei Diabetikern oder durch eine allmähliche Gewöhnung an Beschwerden und Meidung bestimmter Angina pectoris auslösender Tätigkeiten erklärt werden.

Wem nützt die CTO-Revaskularisation?

Mehrere Beobachtungsstudien haben eine signifikante Symptomlinderung sowie eine verbesserte Lebensqualität und Leistungs­fähigkeit nach erfolgreicher CTO-Revaskularisation gezeigt (4).

Kürzlich wurden die Ergebnisse der DECISION-CTO-Studie und der EURO-CTO-Studie veröffentlicht, welche als erste randomisierte Studien den klinischen Nutzen einer CTO-Revaskularisation gegenüber der alleinigen medikamentösen Behandlung untersucht haben (5, 6). In der DECISION-CTO-Studie war die 3-Jahres-Rate des kombinierten Endpunkts (Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall und jegliche Revaskularisation) zwischen der interventionell und der konservativ behandelten Gruppe gleich. Aufgrund der langsamen und unvollständigen Rekrutierung, der zusätzlichen Revaskularisation von nicht CTO-Koronarstenosen nach der Randomisierung in beiden Gruppen und der hohen Crossover-Rate in die Interventions-Gruppe (20 %) ist es schwierig, eindeutige Schlussfolgerungen aus dieser Studie zu ziehen. Im Gegensatz dazu zeigte die EURO-CTO-Studie einen signifikant verbesserten Gesundheitsstatus nach einem Jahr in der Interventions-Gruppe, während die Rate an schweren kardiovaskulären Ereignissen vergleichbar war. Gemäss den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie ist eine CTO-Revaskularisation auch bei asymptomatischen Patienten indiziert, sofern die Myokardischämie mehr als 10 % des linken Ventrikels umfasst (7). Letzteres basiert auf Beobachtungsstudien, welche auf einen prognostischen Vorteil der Revaskularisation bei Vorliegen einer allgemeinen Koronaren Herzkrankheit (nicht CTO-spezifisch) und einer grossen Ischämie hinweisen (8). Allerdings fehlen solide, randomisierte Studien, um diese Hypothese zu stützen.

Individuelle Nutzen-Risiko-Analyse der Revaskularisation

Nachdem angiographisch die Diagnose einer CTO gestellt wurde, stellt sich die Frage nach dem Nutzen-Risiko-Verhältnis einer Revaskularisation.

Untersuchungen belegen eine höhere Komplikationsrate durch CTO-Interventionen verglichen mit Nicht-CTO-Interventionen. Schwerwiegende, unerwünschte Ereignisse treten mit einer durchschnittlichen Rate von 3 % auf (9). Die Komplikationsrate nimmt mit dem Grad der anatomischen Komplexität zu und ist auch von der Art der erforderlichen Revaskularisationstechnik abhängig, sodass eine individuelle und kontinuierliche Nutzen-Risiko-Analyse unerlässlich ist. Eine «gute Indikation» zur Revaskularisation einer CTO ist eine therapierefraktäre Angina pectoris, welche den Alltag relevant beeinträchtigt. Bei asymptomatischen Patienten mit einer sogenannten stummen Ischämie, kann sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer Revaskularisation abhängig von der anatomischen Komplexität in Richtung einer konservativen Behandlung verschieben.

Der Entscheid für eine perkutane oder chirurgische Revaskularisation basiert auf mehreren klinischen und anatomischen Merkmalen. Patienten mit Mehrgefässerkrankung, insbesondere in Kombination mit einem Diabetes mellitus, eingeschränkter Pumpfunktion und vertretbarem Operationsrisiko, sollten sich einer Bypass-Operation unterziehen, was die Langzeitprognose verglichen mit der perkutanen Koronarintervention verbessert (10, 11). Basierend auf den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie und Herzchirurgie empfehlen wir bei Patienten mit einem chronischen Koronarverschluss, speziell bei Vorliegen einer Mehrgefässerkrankung, eine individualisierte Nutzen-Risiko-Analyse durch ein interdisziplinäres Herz-Team durchzuführen. Diese Analyse umfasst klinische und angiographische Überlegungen, auf deren Grundlage schlussendlich die Entscheidung zur Art der Behandlung gefällt wird. Eine anschliessende, umfassende Aufklärung des Patienten in Bezug auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer CTO-Revaskularisation ist unerlässlich, und somit sollte auch von ad-hoc CTO-Interventionen abgeraten werden.

Perkutane CTO-Intervention: Vorbereitung ist der Schlüssel

Sobald die Indikation zur CTO-Intervention gestellt wurde, sind die Planung und Vorbereitung des Eingriffs wesentliche Faktoren für den Erfolg der Revaskularisation. Ein doppelter arterieller Zugang wird empfohlen, da er eine duale Kontrastmittelinjektion und einen allfälligen retrograden Zugang ermöglicht (Abb. 2). Die duale Injektion erfolgt durch eine Kontrastmittelgabe in das Spendergefäss, gefolgt von einer zeitlich verzögerten Kontrastmittelinjektion in das CTO-Gefäss. Eine sorgfältige Beurteilung der CTO-Läsion und anderer anatomischer Merkmale ist für eine adäquate Planung des Eingriffs unerlässlich. Im Hybrid-Algorithmus bestimmen die vier folgenden angiographischen Merkmale die anfängliche Strategie: die proximale Kappe, die Länge der CTO-Läsion, die distale Landezone und die interventionelle Eignung der Kollateralen.

Interventionelle Revaskularisationstechnik

Antegrade Drahteskalation

Trotz angiographisch totalem Gefässverschluss zeigen histologische Präpararate oft Mikrokanäle innerhalb des Verschlusses, welche das wahre Lumen proximal und distal von der CTO verbinden.

Diese Mikrokanäle finden sich häufig bei jüngeren und kürzeren Verschlüssen (<20mm) mit einer eindeutigen (vorzugsweise konischen) proximalen Kappe und einer guten distalen Landezone. Die Wahrscheinlichkeit, diese Läsion intraluminal passieren zu können, ist hoch und damit ein günstiger angiographischer Befund für eine sogenannte Antegrade Drahteskalations-Technik (Antegrade Wire-Escalation oder AWE, Abb. 3 Punkt 3). Bei der AWE ist die erste Drahtwahl in der Regel ein hydrophiler polymerbeschichteter Draht mit verjüngter Spitze und eher geringer Spitzenlast (<1 g) um die Mikrokanäle zu sondieren. Durch das Vorschieben eines Mikrokatheters bis kurz vor die Drahtspitze kann die Penetrationskraft und Steuerbarkeit des Drahtes entscheidend verbessert werden. Bei mangelndem Fortschritt sollte eine schrittweise Eskalation zu Drähten mit unterschiedlichen Eigenschaften erfolgen, bis eine erfolgreiche Drahtpassage erreicht oder die Strategie gewechselt wird. Bei unklarem, langem oder gewundenem Gefässverlauf wird ein hydrophiler Draht mit mässig hoher Spitzenlast bevorzugt, während im Falle einer kurzen verkalkten Strecke mit einem klaren Ziel ein steifer Draht mit hoher Spitzenlast (bis zu 40 g) für die direkte Penetration effizienter sein wird. Mit der retrograden Kontrastmittelinjektion in das Spendergefäss kann die korrekte intraluminale Drahtlage nach der Passage der CTO gesichert werden.

Rationale für einen retrograden Zugang

Retrograde Zugänge sind komplementäre Techniken zur AWE und haben zu einer deutlichen Steigerung der technischen Erfolgsraten geführt. Im Gegensatz zur distalen ist die proximale Kappe dem arteriellen Blutdruck ausgesetzt, was zu stärkerer Fibrosierung und Verkalkung führt. Somit ist die distale Kappe im Vergleich zur proximalen Kappe leichter zu durchbrechen. Die Okklusion kann mit der Retrograden Drahteskalation (Retrograde-Wire-Escalation oder RWE) Technik passiert werden (Abb. 3.6), ähnlich wie bei der AWE.

Retrograde Zugänge werden häufig bei CTO-Läsionen mit höherer anatomischer Komplexität eingesetzt und sind regelmässig der Schlüssel zur erfolgreichen Rekanalisation nach einem fehlgeschlagenen antegraden Eingriff. Im Allgemeinen führen jedoch retrograde Zugänge zu einer längeren Verfahrensdauer, einem höheren Strahlen- und Kontrastmittelbedarf sowie vermehrten periprozeduralen Komplikationen. Daher ist vor dem Wechsel zu einer retrograden Strategie eine erneute Risiko-Nutzen-Abwägung erforderlich. Septale Kollateralen sind häufig geeignete und sichere Wege, um das CTO-Gefäss von retrograd zu erreichen (Abb. 3). Ein grosser Vorteil der septalen Kollateralen ist, dass eine Perforation nicht zu einer Perikardtamponade führt, da das Blut in eine der Herzkammern auslaufen kann oder es ein meist selbstlimitierendes intraseptales Hämatom zur Folge hat. Die Verwendung einer epikardialen Kollaterale dagegen ist mit einer höheren Inzidenz von perinterventionellen Myokardinfarkten und Perikardtamponaden verbunden und stellt somit ein grösseres Interventionsrisiko dar.

Kontrollierte Gefässdissektion: der subintimale Raum

Mit einer kontrollierten Dissektion wird ein Kanal zwischen Intima und Media (subintimal) geschaffen und anschliessend die Gefässdurchgängigkeit mit einem Stent gewährleistet. Der Stent wird im Verlauf im «falschen Lumen» von Endothel überwachsen und zeigt im Allgemeinen ein gutes Langzeitergebnis. Diese Strategie basiert auf dem Prinzip des unterschiedlichen Widerstands zwischen den Gewebeebenen und nutzt die relative longitudinale Schwäche der subintimalen Ebene. Wenn der Führungsdraht in den subintimalen Raum eindringt, kann eine Dissektion-Reentry-Technik eingeleitet werden. Die hier am häufigsten verwendete Technik ist die reverse CART (kurz für Reverse Controlled-Antegrade-and-retrograde-subintimal-Tracking) Technik (Abb. 3.7). Bei dieser Technik werden sowohl mit einem antegraden als auch mit einem retrograden Führungsdraht benachbarte subintimale Dissektionsebenen um die CTO geschaffen und durch eine Ballondilatation über den antegraden Führungsdraht zu einem Raum verbunden. Anschliessend wird der retrograde Führungsdraht durch die von antegrad geschaffene Höhle geführt, bevor er wieder in das eigentliche Gefässlumen eintritt. Nach erfolgreicher retrograder Passage einer CTO folgt die Drahtexternalisierung, wobei ein geschlossenes System hergestellt wird, was anschliessend eine antegrade Koronarangioplastie ermöglicht.

Die Antegrade Dissektion-Reentry-Technik ist die subintimale Passage einer CTO in antegrader Weise mit Wiedereintritt des Drahtes in das distale wahre Gefässlumen (Abb. 3.1 und 3.4). Der kontrollierte Wiedereintritt wird mit dem Stingray-Ballonkatheter (Boston Scientific, Maple Grove, USA) erreicht, der für die Entfaltung im subintimalen Raum konzipiert ist.

Der Hybridalgorithmus

Der hybride perkutane Behandlungsalgorithmus bietet einen konsistenten und reproduzierbaren Ansatz, welcher einen flexiblen Wechsel von einer Technik zu einer anderen Technik ermöglicht (Abb. 2). Die Anwendung des hybriden Ansatzes in einem erfahrenen CTO-Interventions-Zentrum führt zu einer hohen Erfolgsrate mit vertretbarem Komplikationsrisiko.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Peter Dietrich

Oberarzt Kardiologie
Klinik für Kardiologie
Stadtspital Zürich Triemli

PD Dr. med. Gregor Fahrni

Leitender Arzt Kardiologie
Leiter Koronarinterventionen (spez. Komplexe Koronarinterventionen)
Klinik für Kardiologie
Stadtspital Zürich Triemli

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die Revaskularisation von chronischen Koronarveschlüssen (CTO) führt zu Symptomlinderung und verbessert die Lebensqualität.
◆ Die Indikation für eine CTO-Intervention sollte sich am zu erwarteten klinischen Nutzen und nicht an der koronar-anatomischen Komplexität orientieren.
◆ Die Anwendung des Hybrid-Algorithmus zur Revaskularisation einer CTO erzielt in erfahrenen Zentren eine hohe technische Erfolgsrate mit akzeptabler Komplikationsrate.

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