In dieser Rubrik werden wichtige Studien und Themen von den Herausgebern dieser Zeitschrift kurz zusammengefasst und kommentiert. Wir hoffen, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, diese Information schätzen.
Good News für sportbegeisterte HOCM-Patienten
Die Frage nach der zumutbaren Trainingsintensität gehört zu den brennendsten Fragen sportbegeisterter Patienten mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie (HOCM). Aus Angst ein zu intensives körperliches Training könnte ventrikuläre Tachykardien oder gar einen plötzlichen Herztod provozieren, werden die Betroffenen meist angemahnt möglichst hohe Trainingsintensitäten zu meiden. Ob dies gerechtfertigt ist, ist unklar.
Im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie wurden nun 1600 HOCM-Patienten gemäss ihren Trainingsgewohnheiten als nicht-intensiv Sporttreibende oder intensiv Sporttreibende klassifiziert. In der Gruppe der intensiv Sporttreibenden beteiligten sich 37% in kompetitiven Sportarten. Während der Beobachtungszeit erreichten 4.6% der nicht-intensiv Sporttreibenden und 4.7% der intensiv Sporttreibenden den präspezifizierten kombinierten Endpunkt bestehend aus Tod, Reanimation, rhythmogener Synkope oder adäquatem Defibrillator-Schock. Dies entspricht einer Ereignisrate von 15.3, respektive 15.9 pro 1000 Personen-Jahren und unterschied sich nicht signifikant zwischen den Gruppen.
Fazit für die Praxis: Obwohl das Arrhythmie-Risiko bei HOCM-Patienten bekanntermassen erhöht ist, scheinen intensive sportliche Aktivitäten dieses Risiko nicht weiter zu erhöhen. Diese Erkenntnisse helfen in der differenzierten Beratung von sportbegeisterten HOCM-Patienten.
Prof. Otmar Pfister
Lampert R et al. JAMA Cardiology, May 17, 2023
Heilung der ATTR Amyloidose durch Antikörper
Für die progressive kardiale Transthyretin Amyloidose (ATTR) steht bis jetzt ausser den supportiven Massnahmen (Herzinsuffizienztherapie und Schittmachertherapie) Tafamidis als Stabilisator der falsch gefalteten Transthyretinproteine als einziges Medikament, das den Krankheitsverlauf verlangsamt und die Mortalität mittelfristig verbessert, zur Verfügung. Die Suche nach neuen Therapien ist jedoch intensiv und verschiedene Therapieansätze werden verfolgt (siehe Tabelle). Wünschenswert wäre neben dem Unterdrücken der Produktion von TTR Amyloid und dem Verhindern des Einlagerns der Amyloidfibrillen eine Therapie, welche die Amyloidose im Myokard und anderen Geweben rückgängig macht.
Kürzlich wurde die überraschende Spontanheilung von drei Patienten mit dokumentierten ATTR Kardiomyopathie beobachtet (Perugini Grad II in der DPD Szintigrafie und typische Befunde im kardialen MRI) (1). Obwohl die Patienten keine spezifische Therapie, insbesondere kein Tafamidis erhielten, verbesserte sich ihr Zustand. In den bildgebenden Verfahren konnte ein Rückgang der Amyloideinlagerung und eine beinahe Normalisierung der
Dimension und Funktion des Myokards dokumentiert werden. Als Ursache wurde eine Immunantwort gegen das Amyloid gefunden, welches die drei Patienten spontan entwickelt hatten. Es fanden sich hohe Titer von polyklonalen IgG Antikörper gegen das TTR Amyloid.
Bereits vor einigen Jahren wurde festgestellt, dass Antikörper gegen humanes Amyloid P Protein Amyloidfibrillen abbauen können (2). Des Weiteren hat eine Forschergruppe bei gesunden älteren Patienten das Immunrepertoire gegen Amyloid untersucht und Antikörper identifiziert, welche gegen das TTR Amyloid gerichtet sind (3). Inzwischen haben sich zwei voll humane Antikörper als wirksam erwiesen: der Antikörper NN6019-001 (früher PRX004 genannt) und der Antikörper NI006. Die Antikörper binden an die ATTR Amyloidfibrillen. Der Antikörperkomplex induziert eine Phagozytose und dadurch kommt es zu einem Abbau der Amyloidfibrillen. Nun sind die Resultate der Dosisfindungsstudie des NI006 Antikörpers veröffentlich worden (4). Dabei wurden 40 Patienten randomisiert zu Placebo oder steigenden Dosen von NI006 mit monatlicher Infusion des Antikörpers über ein Jahr. Es kam bei keinem Patienten zu ernsthaften Nebenwirkungen, was die erhoffte Sicherheit dieser Therapie bestätigte. Insbesondere entwickelte kein Patient Antikörper gegen den Antikörper NI006. Bei einer Dosis von mehr als 10mg des NI006 pro kg Körpergewicht kam es zu einer Abnahme der Traceraufnahme in der DPD Szintigrafie und einer Abnahme des extrazellulären Volumens im MRI, beides indirekte Zeichen für den Rückgang der Masse an Amyloid im Myokard. Diese morphologische Verbesserung ging einher mit einer Abnahme des nt-proBNP und des Troponins.
Wenn sich diese ausgezeichneten Resultate in kommenden Studien bestätigen, wäre mit Hilfe der Antikörpertherapie mit NI006 eine Reversion der Amyloideinlagerung bei der kardialen ATTR Kardiomyopathie möglich. Eine weitgehende Heilung der ATTR Kardiomyopathie könnte man sich dann mit der Kombinationstherapie Antikörpertherapie plus genbasierte Unterdrückung der TTR Produktion (TAB. 1) vorstellen.
Prof. Franz Eberli
1. Fontana M. et al. New Engl J Med 2023;388(23):2199-2201 2. Bodin K. et al. Nature 2010;468:93-7 3. Michalon A. et al. Nature Commun 2021;12:3142 4. Garcia-Pavia P. et al. New Engl J Med 2023; DOI:10.1056/NEJMoa2303765
Keine erhöhte nicht-kardiale Mortalität nach Revaskularisation beim chronischen Koronarsyndrom
Eine Meta-analyse der Studien und die grosse ISCHEMIA EXTEND Studie, welche die elektive Revaskularisation plus optimale medikamentöse Therapie (OMT) gegen medikamentöse allein untersucht haben, fanden eine verminderte kardiovaskuläre Mortalität nach Revaskularisation gegenüber der Patienten welche mit OMT allein behandelt wurden (1, 2). In der ISCHEMIA EXTEND Studie stand diesem Vorteil der Revaskularisation auf die kardiale Mortalität eine erhöhte (unerklärte) Mortalität nicht kardialer Ursachen gegenüber (2). Sollte diese Beobachtung der ISCHEMIA EXTEND Studie sich als allgemeingültig erweisen, wäre der Wert einer koronaren Revaskularisation durch PCI oder Bypassoperation in Frage gestellt. Eine Meta-analyse von 18 Studien der Revaskularisation plus OMT oder OMT allein bei insgesamt >16‘000 Patienten, ist nun der Frage nachgegangen, ob die Revaskularisation in der Tat mit einer erhöhten nicht-kardialen Mortalität einhergeht, oder ob die Ergebnisse des ISCHEMIA-EXTEND zufällig waren (3). In den 18 Studien betrug die Rate an nicht-kardialer Mortalität bei den revaskularisierten Patienten 4.68% und bei den initial medikamentös behandelten Patienten 4.17% (RR 1.09; p=0.26). Der nicht signifikante Unterschied war allein durch die ISCHEMIA EXTEND Studie getrieben. Ohne die ISCHEMIAS EXTEND Studie war die nicht-kardiale in den anderen 17 Studien identisch (RR 1.0). Multiple Sensitivitätsanalysen zeigten die Robustheit dieses Resultates. So war die nicht-kardiale Mortalität auch bei langer Nachbeobachtungszeit nicht erhöht.
Diese Resultate sind vorerst beruhigend. Es scheint, dass die Beobachtung in der ISCHEMIA EXTEND Studie ein Ausreisser ist. Die Revaskularisation beim chronischen Koronarsyndrom führt zu einer Abnahme der kardialen Mortalität und zu keiner Zunahme der nicht-kardialen Mortalität, z.B. durch Krebserkrankungen. Auf der anderen Seite machen die ISCHEMIA EXTEND Studie und die nun vorliegende Meta-analyse klar, dass in kardialen Interventionsstudien die Todesursache bei allen Todesfällen sorgfältig dokumentiert und adjudiziert werden muss. Nur so können unerwartete Langzeitfolgen einer Intervention erkannt und bei deren Auftreten erklärt und gezielt angegangen werden.
Prof. Franz Eberli
1. Navarese EP, Lansky AJ, Kereiakes DJ, et al. Cardiac mortality in patients randomised to elective coronary revascularisation plus medical therapy or medical therapy alone: a systematic review and meta-analysis. Eur Heart J. 2021;42(45):4638-51. 2. Hochman JS, Anthopolos R, Reynolds HR et al. Survival After Invasive or Conservative Management of Stable Coronary Disease. Circulation. 2023;147(1):8-19. 3. Navarese EP, Lansky AJ, Farkouh ME et al. Effects of Elective Coronary Revascularization vs Medical Therapy Alone on Noncardiac Mortality. JACC Cardiovascular Intervention 2023;16(10):1144-1156.
Prof. Dr. med. Otmar Pfister
Otmar.pfister@usb.ch
Prof. Dr. med. Franz R. Eberli
Stadtspital Zürich Triemli
Klinik für Kardiologie
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich
Von der Pubertät bis zum mittleren Alter folgen die Veränderungen des brachialen Blutdrucks (BD) einem nichtlinearen Anstieg. Sie weisen unterschiedliche Verläufe zwischen systolischem und diastolischem BD auf: Während diastolischer BD (DBD) einen kubischen Verlauf mit plateauartigem Verhalten zeigt, sind altersbedingte Veränderungen des systolischen BD (SBD) durch einen steilen Anstieg während der Kindheit und Jugend, eine Plateauphase zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr (1,2) und einen anschliessenden Anstieg gekennzeichnet. (Abb. 1)
From puberty to middle age, changes in brachial blood pressure (BP) follow a nonlinear slope. They show different courses between systolic and diastolic BP: Whereas diastolic BP (DBD) shows a cubic course with plateau-like behavior, age-related changes in systolic BP (SBD) are characterized by a steep rise during childhood and adolescence, a plateau phase between 20 and 40 years of age (1,2), and a subsequent rise. Key Words: ISH, ISHY, arterial stiffness, pulse pressure, sympathetic drive
Isolierter systolischer Blutdruck
Isolierte systolische Hypertonie (ISH) ist definiert durch systolische Blutdruckwerte >140 mmHg und einen diastolischen Blutdruck <90 mmHg. Die Prävalenz der ISH in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung folgt einem typischen J-förmigen Muster mit einem Nadir im fünften Lebensjahrzehnt, einem starken Anstieg nach dem 70. Lebensjahr und einem früheren, wenn auch geringeren Spitzenwert im Alter von unter 30 Jahren (3, 4). Sie ist daher die häufigste Form des Bluthochdrucks im Alter. Bei älteren Menschen ist die ISH häufiger bei Frauen als bei Männern anzutreffen, während bei Personen unter 35 Jahren die Prävalenz bei Männern höher ist, insbesondere in den jüngeren Altersgruppen.
Isolierter systolischer Blutdruck bei jungen Menschen (ISHY)
Epidemiologische Aspekte: Prävalenz
Die 2007 in der Schweiz an 5207 Kindern mit einem Durchschnittsalter von 12,3 Jahren durchgeführte Studie ergab, dass 2,2 % der untersuchten Personen an Bluthochdruck litten (die Diagnose wurde durch drei Messungen bei drei verschiedenen Besuchen bestätigt): 8 % dieser Personen hatten ISHY (5).
Die in Frankreich durchgeführte Studie (4) an einem Kollektiv von 27’783 Arbeitnehmern (Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren) ergab eine ISHY-Rate von 5,8 % bei den Männern, während sie bei den Frauen weniger als 1,0 % betrug.
Eine amerikanische Studie (6) über ein Bevölkerungsscreening (21’062 Personen, Durchschnittsalter 13,8 Jahre) ergab ebenfalls, dass 2,7 % der untersuchten Personen an Bluthochdruck litten: 92 % von ihnen hatten eine ISHY.
Pathophysiologische Aspekte (Abb. 2)
Bei den untersuchten jungen Probanden kann eine isolierte Erhöhung des SBD nicht nur mit einem, sondern in quantitativ unterschiedlichem Ausmass mit mehreren Faktoren in Verbindung stehen und durch diese verursacht werden. Sie können bei der Bestimmung dieses Bluthochdruck-Phänotyps isoliert oder zusammen wirken. Zum Beispiel: ein hyperkinetisches Herz, (d.h. ein Zustand mit erhöhter Herzauswurfleistung, Tachykardie und erhöhtem Blutdruck) eine selektive Erhöhung der Herzfrequenz oder des Schlagvolumens, eine Erhöhung der arteriellen Steifigkeit über Werte hinaus, die für jüngere Altersgruppen (7-9) als normal gelten. Darüber hinaus wird ISHY häufig mit einer Aktivierung des Sympathikus in Verbindung gebracht, der aufgrund seiner Eigenschaft, die arterielle Steifigkeit durch Erhöhung der Herzfrequenz (10-13), aber auch durch direkte Einwirkung auf das Elastizitätsmodul der Arterienwand (14-17), sowie durch die Erzeugung und Aufrechterhaltung einer hyperkinetischen Aktivität des Herzens zu erhöhen, eine mechanistische Rolle spielen könnte. Querschnittsstudien haben gezeigt, dass bei ISHY-Patienten gleichzeitig bestehende metabolische Risikofaktoren (Insulinresistenz, metabolisches Syndrom, Übergewicht, Diabetes usw.) häufiger vorkommen als in der Kontrollbevölkerung.
Klinische Aspekte: Untersuchungen
Der erste klinisch-diagnostische Aspekt, der bei der Untersuchung eines Patienten mit ISHY in Betracht gezogen werden muss, ist das mögliche Vorhandensein einer signifikanten Weisskittel-Hypertonie, einer der wichtigsten Ursachen einer erhöhten Druckamplitude (PP) (18, 19, 9). Eine wichtige Alarmreaktion auf die ärztliche Untersuchung ist ein starker Faktor für einen erhöhten Blutdruck bei ISHY-Patienten. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Blutdruckmessung bei diesen Personen ausserhalb der Arztpraxis erfolgt (Selbstmessung; 24Std-BD-Messung). Wenn diese Messungen ISHY bestätigen, kann die Bewertung der zentralen Hämodynamik und der arteriellen Steifigkeit nützliche zusätzliche Informationen liefern.
Der zentrale (aortale) Blutdruck stellt die direkte Überlastung dar, die zu einer Schädigung der Zielorgane führt (20, 21). Tatsächlich hat eine Metaanalyse klinischer Studien gezeigt, dass der zentrale Blutdruck unabhängig vom peripheren Blutdruck mit linksventrikulärer Hypertrophie, erhöhter Intima-Media-Dicke der Karotis und Albuminurie korreliert (22).
Ein wichtiger einschränkender Faktor für die Verwendung der zentralen Blutdruckmessung bei ISHY ist das Fehlen offizieller Schwellenwerte zur Unterscheidung zwischen normalem und erhöhtem zentralen Blutdruck (23, 24). Analysen von Querschnittsdaten gesunder Männer (3603) und Frauen (3176) aus dem Anglo-Cardiff Collaborative Trial schlagen als Schwellenwert für den zentralen Blutdruck etwa 125/90 mmHg vor (25).
Eine nachfolgende Studie, die speziell auf die Bestimmung und Validierung von Schwellenwerten für den zentralen Blutdruck auf der Basis von Outcome-Daten abzielte, ermittelte für eine bestimmte Kohorte (1272 Probanden mit einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 15 Jahren) die Werte 110/80 mmHg für den optimalen zentralen Blutdruck und 130/90 mmHg für Hypertonie (26). In jedem Fall scheint der zentrale Blutdruck ein vielversprechendes Instrument zu sein, um das kardiovaskuläre Gesamtrisiko von Personen mit ISHY zu beurteilen und zu entscheiden, ob sie möglicherweise eine antihypertensive Behandlung benötigen. Aus diesem Grund plädieren die Autoren des von der ESH unterstützten Konsensus Papiers zu ISHY (27) dafür, dass die Messung des zentralen Blutdrucks immer Teil der Bewertung von ISHY sein sollte, wie in Abbildung 3 zusammengefasst.
Klinische Aspekte: Merkmale
In einer kürzlich veröffentlichten Übersichtsarbeit (28) wurden hämodynamische und körperliche Merkmale untersucht, die auf ein kardiovaskuläres Risiko bei jungen Männern (im Alter von 18-30 Jahren) mit isolierter systolischer Hypertonie hinweisen. Sechs Datenbanken wurden systematisch nach allen relevanten, von Experten begutachteten Publikationen durchsucht, die sich mit isolierter systolischer Hypertonie bei jungen Männern (ISHY) befassten. Insgesamt wurden 20 Artikel eingeschlossen. Nach der Auswahl der Literatur anhand von Schlüsselfaktoren, die auf ein kardiovaskuläres Risiko hinweisen (hämodynamische Parameter und körperliche Merkmale), wurden zwei unterschiedliche Kohorten (gesunde und ungesunde) von Probanden mit ISHY herausgefiltert.
Die erste, als «ungesund» definierte Kohorte ist diejenige, in der ISHY charakteristisch ist für Raucher, einen niedrigen sozioökonomischen Hintergrund, geringe körperliche Aktivität und einen erhöhten BMI. Die zweite, als «gesund» definierte Kohorte ist diejenige, in der ISHY charakteristisch ist für Personen mit grösserer Statur, höherer körperlicher Aktivität, die Jüngsten in der Altersgruppe, mit niedrigeren Cholesterinwerten, Nichtraucher und daher als besonders gesund definiert.
Prognostische Aspekte
Obwohl die nicht-invasive Messung der zentralen Hämodynamik neue Erkenntnisse über ISHY geliefert hat, ist unklar, ob dieser Zustand mit einem schlechteren Outcome verbunden ist und eine antihypertensive Behandlung erfordert. Obwohl mehrere Studien viele Aspekte der ISH in jüngeren männlichen Populationen untersucht haben, bleibt die klinische Bedeutung der ISHY unklar.
In einigen Studien wurde die Auffassung vertreten, dass es sich um eine Scheinerscheinung handelt, die keine Intervention erfordert, während andere der Meinung sind, dass sie mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden ist. Die Ergebnisse scheinen durch das Alter der untersuchten Teilnehmer und die Grösse der Kohorte beeinflusst zu werden. Bei Kohorten, die männliche Probanden im Alter von bis zu 49 Jahren umfassten, ist es wahrscheinlicher, dass ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Zusammenhang mit ISH festgestellt wird als bei Studien mit jüngeren Kohorten. Die gleichzeitige Messung des peripheren und zentralen Blutdrucks führte zur Identifizierung der so genannten pseudo (oder unechten) isolierten systolischen Hypertonie (PISH), die erstmals von O’Rourke et al. (29) beschrieben wurde und als harmloser Zustand angesehen wurde.
Andererseits wurde eine erhöhte arterielle Steifigkeit, die durch die Pulse Wave Velocity (PWV) verifiziert wurde, von anderen Autoren bei Personen mit ISHY dokumentiert (30).
Die Literaturanalyse ergab zwei Hauptlinien der Forschung und Konzeptualisierung für ISHY.
Der Standpunkt des «gutartigen Zustands»
Einige Autoren vertreten die Auffassung, dass die ISHY in den ersten Lebensjahrzehnten eine gutartige Kondition ist, die hauptsächlich auf die starke Verstärkung der SBD von der Aorta zu den peripheren Arterien zurückzuführen ist (4, 31). Bei diesen Patienten wurde von Yano et al. (32) und Saladini (18) eine gute Prognose über einen Zeitraum von 31 bzw. 12 Jahren nachgewiesen.
Nach diesem Konzept ist ein erhöhter brachialer SBD im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter nicht zwangsläufig eine Anomalie, solange dieser Anstieg des SBDs auf die Arterien der oberen Extremitäten beschränkt bleibt. Er kann durch physiologische Mechanismen erklärt werden und kehrt im Erwachsenenalter in den Normalbereich zurück (32,33,18,34).
Dies wird durch Studien gestützt, die zeigen, dass ISH bei jungen männlichen Personen kein grösseres Risiko darstellt als bei Personen ohne ISH (32,33,18), und dass die meisten Betroffenen mit zunehmendem Alter wieder in den normalen SBP-Grenzbereich zurückkehren («Young Finns»-Studie) (34), und dass ihre aortale PWV mit zunehmendem Alter im normalen Bereich bleibt.
Die Sichtweise der «echten Hypertonie»
Andere Autoren sind der Ansicht, dass ISHY stattdessen das Ergebnis einer erhöhten arteriellen Steifigkeit selbst bei jungen Menschen sein kann und daher ein erhöhtes Risiko für nachteilige Konsequenzen birgt (35,36). Sie sind der Ansicht, dass ISHY als echter Bluthochdruck betrachtet werden sollte, der mit einem erhöhten künftigen kardiovaskulären Risiko verbunden ist (30): Daten aus vier separaten Studien mit jungen gesunden Probanden (29, 31, 37, 38) stellen die Ansicht in Frage, dass es sich um einen Scheinzustand handelt.
Mahmud und Feely (31) beobachteten in der Tat eine grössere Differenz zwischen zentralem und brachialem BD bei Probanden mit Schein-ISHY als bei Probanden mit normalem Blutdruck (die Differenz zwischen Arm- und zentralem Druck betrug 30 bzw. 20 mmHg).
Unter dem Gesichtspunkt der «echten Hypertonie» deutet vieles darauf hin, dass ISHY mit einem erhöhten brachialen und zentralen Blutdruck verbunden ist, was darauf schliessen lässt, dass die meisten Personen mit ISHY in Zukunft ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben werden.
Yano et al. (32) haben das kardiovaskuläre Sterblichkeitsrisiko bei verschiedenen Subtypen der Hypertonie verglichen. Junge Erwachsene und Erwachsene mittleren Alters (Durchschnittsalter 34 Jahre) mit ISH hatten über einen Nachbeobachtungszeitraum von 31 Jahren ein höheres relatives Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und KHK-Mortalität als diejenigen mit optimal normalem Blutdruck (Abb. 4).
Patienten mit ISHY hatten ein ähnliches Risiko für einen ungünstigen Verlauf wie Patienten mit normal hohem Blutdruck, aber ein geringeres als bei Patienten mit diastolischer oder systolisch-diastolischer Hypertonie.
Bei Frauen wurde ein anderer Trend beobachtet. Bei Frauen war ISHY mit einem erhöhten kardiovaskulären Mortalitätsrisiko verbunden, das zwar niedriger war als bei systolisch-diastolischer Hypertonie, aber höher als das von Frauen mit diastolischer Hypertonie.Es ist klar, dass weitere langfristige Beobachtungsstudien erforderlich sind, um das Schicksal von Personen mit ISHY genau zu bestimmen.
ISHY und Leitlinien
Die ISHY ist somit die häufigste Form des Bluthochdrucks bei jungen Männern, doch ihre klinische Bedeutung ist nach wie vor umstritten. Sie wird in den Leitlinien für die Diagnose und Behandlung von Bluthochdruck nur selten erwähnt, deren Schwerpunkt fast ausnahmslos auf der Behandlung von Patienten mit Bluthochdruck im mittleren oder höheren Lebensalter liegt. Die einzige Ausnahme bilden die 2016 von der European Society of Hypertension veröffentlichten Leitlinien für Bluthochdruck bei Kindern und Jugendlichen (39), in denen ISHY in einer Tabelle aufgeführt ist, in der die verschiedenen Phänotypen des Bluthochdrucks in diesen Altersgruppen klassifiziert werden.
Die Autoren berichten über junge Personen, bei denen ein isolierter Anstieg des brachialen BDs mit einem normalen zentralen systolischen Druck assoziiert ist. Obwohl sie die Besonderheit dieses Zustands anerkennen, nehmen sie keine eindeutige Stellung zu seiner klinischen Bedeutung, weil es an ausreichenden prognostischen Daten mangelt und auch, weil es generell an eindeutigen Beweisen für eine prognostische Überlegenheit des zentralen Drucks gegenüber dem brachialen Druck fehlt, insbesondere in den jüngeren Altersgruppen der Bevölkerung.
Die neuesten ESH-Leitlinien (2018) berichten, dass es unklar ist, ob ISHY im Zusammenhang mit einem normalen Aortendruck ein gutartiger Zustand ist. Sie zitieren das Ergebnis einer Überprüfung prospektiver Daten aus dem Chicago Heart Association Detection Project, das zeigt, dass junge Männer mit ISHY ein ähnliches kardiovaskuläres Risiko haben wie Personen mit hochnormalen systolischen Blutdruckwerten (130 – 139 mmHg) (32). Sie argumentieren daher, dass diese jungen Menschen nach den derzeitigen Erkenntnissen nur adäquate Empfehlungen zur Lebensführung erhalten sollten. Darüber hinaus ist zwar unklar, ob sie medikamentös behandelt werden sollten oder nicht, sicher ist jedoch, dass sie angemessen überwacht werden sollten, da viele von ihnen einen ausgewachsenen Bluthochdruck entwickeln werden (40).
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Dr. med. Franco Muggli
Società Svizzera di Ipertensione – membro di comitato
FMH medicina interna generale
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Prof. Dr. med. Giacomo Simonetti
Società Svizzera di Ipertensione – membro di comitato
Direttore medico e scientifico – Istituto Pediatrico della Svizzera Italiana
Ente Ospedaliero Cantonale, EOC
Professore di Ruolo – Pediatria – Università della Svizzera Italiana
Ospedale Regionale di Bellinzona e Valli
Via A. Gallino 12
6500 Bellinzona
www.eoc.ch
Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Die epidemiologische, pathophysiologische und klinische Forschung hat dazu geführt, dass ISHY nicht mehr als «Cinderella« in der Welt des Bluthochdrucks gilt. Die epidemiologische Forschung hat gezeigt, dass im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter ein Anstieg des SBD ohne gleichzeitigen Anstieg des DBD keineswegs ungewöhnlich ist und dass dies insbesondere bei übergewichtigen oder fettleibigen männlichen Personen der Fall ist. Daher scheint die angemessenste Schlussfolgerung zu sein, dass das Thema offen bleibt für weitere zukünftige Forschung und zusätzliche mechanistische und epidemiologische Beiträge, die Licht in die klinische Natur der ISHY mit hohem brachialem systolischem Druck, aber normalem zentralem systolischem Druck, d.h. einer unechten systolischen Hypertonie,
bringen könnten
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Die Bariatrische Chirurgie hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren weltweit sowie auch in der Schweiz als Standardtherapie der ausgeprägten Adipositas etabliert. Bei gegebener Indikation ist sie als Pflichtleistung in der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KVL) verankert. Voraussetzung für eine Kostenübernahme ist, dass die Operation in einem durch die «Swiss Society for the Study of morbid obesity and metabolic disorders» (SMOB) anerkannten bariatrischen Zentrum durchgeführt wird. Zudem müssen die SMOB «Richtlinien zur operativen Behandlung von Übergewicht», welche mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) vereinbart wurden, eingehalten werden. In den Richtlinien werden unter anderem Kriterien zur Patientenauswahl und Indikationsstellung sowie zur Vorbereitung auf die Operation und Nachsorge von Patient:innen, welche sich einer bariatrischen Operation unterziehen möchten, definiert. Im vorliegenden Artikel geben wir einen Überblick über die regulatorischen Rahmenbedingungen der bariatrischen Chirurgie in der Schweiz. In den nachfolgenden Teilen der Artikelserie werden wir auf die einzelnen bariatrischen Operationsverfahren sowie auf Ergebnisse und Nebenwirkungen der Operationen vertieft eingehen.
In the last 20 to 30 years, bariatric surgery has established itself worldwide and also in Switzerland as the standard therapy for pronounced obesity. If indicated, it is anchored as a compulsory service in the Health Care Services Ordinance (KVL). A prerequisite for cost coverage is that the operation is performed in a bariatric center recognized by the «Swiss Society for the Study of morbid obesity and metabolic disorders» (SMOB). In addition, the SMOB «Guidelines for the Surgical Treatment of Obesity», which were agreed with the Federal Office of Public Health (FOPH), must be adhered to. The guidelines define, among other things, criteria for patient selection and indication as well as preparation for surgery and follow-up of patients who wish to undergo bariatric surgery. In our article, we provide an overview of the regulatory framework for bariatric surgery in Switzerland. In the following parts of the article series, we will discuss the individual bariatric surgical procedures as well as the results and side effects of the operations in more detail. Key Words: obesity, bariatric surgery, SMOB, guidelines
Bariatrische Chirurgie als bislang effektivste Therapie der Adipositas
Obwohl das Wissen über die komplexen pathophysiologischen Grundlagen der Krankheit Adipositas in den letzten Jahren massiv gewachsen ist, sind konservative, d.h. nicht-chirurgische Behandlungsstrategien, bislang meist nur begrenzt wirksam. Zwar lässt sich eine Gewichtsreduktion von 5 bis 10% oft erreichen, jedoch kann das Körpergewicht in den seltensten Fällen langfristig auf dem reduzierten Niveau gehalten werden. Neue pharmakologische Therapieansätze wie insbesondere der Einsatz von GLP-1 Rezeptoragonisten sind sehr vielversprechend, jedoch muss ihr Nutzen/Risikoprofil noch in längerfristigen Studien genauer untersucht werden und sich ihr Einsatz in der Praxis bewähren. Zudem stellt die Finanzierung einer entsprechenden pharmakologischen Langzeittherapie ein bislang ungelöstes Problem dar (1).
Im Gegensatz hierzu sind bariatrisch-metabolische Operationen mittlerweile aufgrund wissenschaftlich gut abgesicherter, positiver Langzeitergebnisse (2) als effiziente und nachhaltige Therapie nicht nur der ausgeprägten Adipositas, sondern auch der Adipositas-assoziierten Begleiterkrankungen wie beispielsweise des Typ 2 Diabetes mellitus (T2DM) weltweit anerkannt. Bei gegebener Indikation werden die Kosten für entsprechende Operationen daher mittlerweile auch in der Schweiz regelhaft übernommen. Dabei gilt es jedoch die Richtlinien in der SMOB zu beachten.
Was ist die SMOB?
Da es sich bei der bariatrisch-metabolischen Chirurgie nicht allein um ein chirurgisches Fachgebiet handelt, sondern um ein multidisziplinäres respektive multiprofessionelles Behandlungskonzept der chronischen Krankheit Adipositas, war die SMOB bereits bei ihrer Gründung interdisziplinär ausgerichtet. Sie wurde im Jahr 1996 gemeinsam von Internisten und Chirurgen, damals noch unter dem Namen «Swiss Study Group of Morbid Obesity», gegründet und wurde im weiteren Verlauf zur «Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders» umbenannt. Gemäss ihrer bereits damals etablierten Statuten (3) bezweckt die SMOB «die umfassende Information der Bevölkerung und der Ärzteschaft über Wesen und Bedeutung der Krankheit ‹Adipositas› , die Etablierung ganzheitlicher Therapieverfahren und Qualitätskontrollen aller Stufen der Adipositas-Therapien; Wahrung und Förderung der Interessen und der Lebensqualität der von Übergewicht Betroffenen und ihrer Angehörigen.» Durch die kontinuierliche und beharrliche Arbeit ihrer Mitglieder gelang es der SMOB über die Jahre hinweg in der Schweiz ein international viel beachtetes System der Qualitätssicherung im Bereich der bariatrischen Chirurgie zu etablieren. Auch heute noch ist die Qualitätssicherung sowie die Weiterentwicklung der zugrundeliegenden Richtlinien eine wesentliche Aufgabe der SMOB.
Regulatorische Grundlagen
Im Rahmen des Bewilligungsverfahrens für die definitive Aufnahme der bariatrischen Chirurgie als Pflichtleistung zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen wurde die SMOB vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) beauftragt, verbindliche Richtlinien zur operativen Behandlung der morbiden Adipositas in der Schweiz zu formulieren. Der Originaltext aus dem Anhang 1 der KVL ist im Tab. 1 wiedergegeben. Seit dem 1. Januar 2011 bilden die vom BAG redigierten und vom Eidgenössischen Departement des Innern anerkannten SMOB-Richtlinien (4) das Referenzdokument für die Leistungspflicht der obligatorischen Krankenversicherung (OKP).
Auf der Grundlage ihrer Richtlinien erkennt die SMOB auf Antragstellung hin Spitäler als bariatrische Zentren an. Personelle Voraussetzung für die Anerkennung als Zentrum ist das Vorhandensein eines interdisziplinären Teams bestehend aus bariatrisch kompetenter Chirurg:in, bariatrisch kompetenter Internist:in/Endokrinolog:in, Psychiater:in, Psychosomatiker:in oder Psycholog:in mit bariatrischer Erfahrung sowie Ernährungsberater:in HF mit bariatrischer Erfahrung. Dabei kann das pluridisziplinäre Team sowohl aus klinikinternen Spezialist:innen sowie aus externen, niedergelassenen Spezialist:innen zusammengesetzt sein. Als infrastrukturelle Voraussetzung wird gefordert, dass das bariatrische Zentrum über geeignete Räume und Einrichtungen zur Behandlung von Menschen mit Adipositas (z.B. angepasste Operationstische, Betten, Stühle, Toiletten sowie geeignete apparative Ausrüstung der bildgebenden Diagnostik) verfügt. Bezüglich Prozesse wird unter anderem gefordert, dass ein 24-stündiger bariatrischer Notfalldienst mit Erreichbarkeit einer bariatrischen Chirurg:in (mind. 50 selbstständig durchgeführte Eingriffe), inklusive permanenter Zugänglichkeit eines Operationssaales etabliert ist. Der Notfalldienst kann dabei auch zentrumsübergreifend organisiert werden. Letztlich sind alle anerkannten Zentren dazu verpflichtet, ihre bariatrischen Eingriffe in anonymisierter Form in ein zentrales Register zu erfassen.
Aktuell sind seitens SMOB insgesamt 53 bariatrische Zentren in der Schweiz gelistet. Dabei wird zwischen Primärzentren (18) und Referenzzentren (35) unterschieden (Stand 01.05.23). Neben einigen anderen Kriterien ist insbesondere die Anzahl der pro Jahr durchgeführten bariatrischen Operationen das entscheidende Differenzierungskriterium. So wird für ein Primärzentrum ein Operationsvolumen von mindestens 25 Eingriffen pro Jahr gefordert, für ein Referenzzentrum mindestens 50 Eingriffe. Diese Zahlen sind im internationalen Vergleich als sehr niedrig zu bewerten. Eine Liste sämtlicher Primär- und Referenzzentren in der Schweiz ist auf der SMOB-Homepage publiziert (5).
Indikationskriterien, Vorbereitung und Nachsorge
Die wesentlichen Indikationskriterien zur Durchführung einer bariatrischen Operation sind in Tab. 2 zusammengefasst. Besonders herausgestellt werden sollte, dass seit dem 1.1.2021 bariatrisch-metabolische Operationen auch für Patient:innen mit schwer kontrollierbarem Typ 2 Diabetes mellitus sowie einem BMI zwischen 30 und 35 kg/m2 unter dem Begriff «Metabolische Chirurgie» als Pflichtleistung in die Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) aufgenommen wurden (6).
Prinzipiell soll bei allen Patient:innen die Indikation zur operativen Therapie nach einem standardisierten, multidisziplinären Assessment im Rahmen einer interdisziplinären Absprache gestellt werden. Zudem wird die Einhaltung einer mindestens 3-monatigen strukturierten Vorbereitungszeit vom ersten Kontakt zum Zentrum bzw. Zentrumsmitglied bis zum Eingriff gefordert. Diese Zeit soll genutzt werden, um einerseits die notwendigen Vorabklärung durchzuführen sowie andererseits die Patient:innen strukturiert auf die Operation sowie die danach notwendige Ernährungsumstellung und Einnahme von Supplementen vorzubereiten.
Alle Patient:innen verpflichten sich zu einer lebenslang qualifizierten Nachsorge. Die Nachsorge wird in der Regel durch das bariatrische Zentrum sowie gegebenenfalls von Kooperationspartnern organisiert. Es wird gefordert, dass die Nachsorge im ersten Jahr nach der Operation mindestens viermal, im zweiten Jahr halbjährlich und danach mindestens einmal jährlich stattfindet. Dabei ist eine qualifizierte Ernährungsberatung wesentlicher Bestandteil der Nachsorge. Eine ausführliche Labordiagnostik zur frühzeitigen Detektion von Mikronährstoffmängeln gehört ebenfalls standardmässig zur Nachsorge. Als Qualitätskriterium wird von jedem Zentrum gefordert, dass die follow-up Rate über 5 Jahre mindestens 75% beträgt.
Wie viele und welche Operationen werden in der Schweiz durchgeführt?
Gemäss SMOB-Datenregister wurden in der Schweiz über die letzten Jahre hinweg relativ konstant knapp 5000 bariatrische Eingriffe pro Jahr an mehr als 50 bariatrischen Zentren durchgeführt (Abb. 1). Dabei stellt der proximale Standard Roux-en-Y Gastric Bypass (Magenbypass, RYGB) mit etwa 75% das am häufigsten durchgeführte bariatrische Verfahren dar, während die Sleeve-Gastrektomie (Schlauchmagen, SG) in etwa 23% der Fälle vorgenommen wird. Die restlichen 2% setzen sich aus sehr selten eingesetzten Verfahren wie die biliopankreatische Diversion (BPD) oder die Implantation eines adjustierbaren Magenbandes (Laparoscopic Adjustable Gastric Banding, LAGB) zusammen. Damit stellt die Schweiz im internationalen Vergleich einen Sonderfall dar, da der Schlauchmagen mittlerweile die weltweit am häufigsten durchgeführte bariatrisch-metabolische Operation darstellt.
Grundsätzlich ist eine eindeutige, evidenzbasierte Allokation eines individuellen Patienten zu einem bestimmten Operationsverfahren vor dem Hintergrund der zurzeit bestehenden wissenschaftlichen Evidenz kaum möglich. Bislang liegt die Wahl des Operationsverfahrens daher letztlich in Absprache mit einer gut informierten Patient:in bei der ausführenden Chirurg:in, wobei die Ergebnisse der präoperativen Evaluation und die daraus resultierenden Empfehlungen des multidisziplinären Behandlungsteams berücksichtigt werden sollten. Faktoren, die bei der Wahl für oder gegen ein bestimmtes Operationsverfahren berücksichtigt werden müssen, sind z.B. Body-Mass-Index (BMI), Alter, Geschlecht, Körperfettverteilungsmuster, Vorliegen eines T2DM oder einer Fettstoffwechselstörung, Essstörungen (wie z.B. Binge Eating Disorder), Zwerchfellhernie, gastroösophageale Refluxkrankheit, Intelligenzminderung beziehungsweise Imbezillität, Erwartungen/Präferenzen des Patienten sowie abdominelle Voroperationen.
Welche Operationen, wo und unter welchen Voraussetzungen?
Relevant zu wissen ist, dass gemäss SMOB-Richtlinien folgende Eingriffskategorien grundsätzlich voneinander unterschieden werden:
1. Basiseingriffe (etablierte Primäreingriffe)
2. komplexe Eingriffe
3. Eingriffe in Evaluation
Der klassische proximale Roux-en-Y Magenbypass, der Schlauchmagen sowie das Magenband werden aktuell der ersten Eingriffskategorie «Basiseingriffe» zugeordnet. Diese Eingriffe dürfen gemäss Richtlinien bei Patienten mit einem BMI von bis zu 50 kg/m2 an bariatrischen Primärzentren vorgenommen werden. Die biliopankreatische Diversion (BPD) hingegen gilt als komplexer Eingriff und ist somit der zweiten Kategorie «komplexe Eingriffe» zuzuordnen. Dieser Eingriff kann daher nur in bariatrischen Referenzzentren durchgeführt werden. Letzteres gilt ebenso für alle bariatrischen Re-Operationen, zum Beispiel im Rahmen eines Verfahrenswechsels (Magenband zu RYGB) oder bei einem im Vorfeld geplanten zweizeitigen Vorgehen (1. SG, 2. RYGB/BPD).
Weitere Verfahren wie z.B. der Omega-Loop oder One-Anastomosis Gastric Bypass (OAGB) oder der Single Anastomosis Duodeno-Ileale Bypass mit Sleeve (Sadi-S) werden der dritten Eingriffskategorie «Eingriffe in Evaluation» zugeordnet und dürfen ausschliesslich im Rahmen einer von der lokalen Ethikkommission genehmigten, prospektiven Studie an einem Referenzzentrum durchgeführt werden (gemäss Humanforschungsverordnung [HFV1] vom 20. September 2013). Konkret bedeutet dies, dass entsprechende Verfahren nur durchgeführt werden dürfen, wenn die zu operierende Person adäquat über den experimentellen Charakter des Verfahrens informiert wurde und eine entsprechende Einwilligungserklärung unterzeichnet hat. Es soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass auch sämtliche interventionellen endoskopischen Verfahren zur Gewichtsreduktion (z.B. Endobarrier oder Endosleeve) ebenfalls nur unter diesen Voraussetzungen im Einklang mit der HFV1 durchgeführt werden dürfen.
Zweitabdruck aus «der informierte arzt» 05-2023
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Prof. Dr. med. Bernd Schultes
Stoffwechselzentrum St. Gallen, friendlyDocs AG
Lerchentalstrasse 21
9016 St. Gallen
Dr. med. Guillaume Aeby: keinen Interessenkonflikt. Prof. Dr. med. Bernd Schultes ist Vize-Präsident der SMOB.
Prof. Dr. med. Marco Bueter ist Präsident der SMOB. Er gibt an Vortragstätigkeiten für die Firmen Johnson & Johnson und Medtronic durchzuführen.
◆ In der Schweiz gehören bariatrische Operationen zur
Leistungspflicht der Krankenkassen, wenn die Indikationskriterien (z.B. BMI > 35 kg/m2) erfüllt sind.
◆ Die präoperative Abklärung und Indikationsstellung erfolgt
interdisziplinär gemäss den SMOB-Richtlinien.
◆ Die SMOB führt eine Liste anerkannter Primär- und Referenzzentren, welche auf Ihrer Homepage (SMOB.ch) publiziert ist.
◆ Als etablierte Verfahren gelten insbesondere der Roux-en-Y Magenbypass oder der Schlauchmagen.
◆ «Eingriffe in Evaluation» (z.B. Omega-Loop Magenbypass) dürfen nur im Rahmen von Studien erfolgen.
◆ Patient:innen sind zu einer lebenslangen Nachsorge verpflichtet.
1. Bernd Schultes, Ernst B, Rudofsky G. Medikamentöse Adipositastherapie – endlich Licht, jedoch auch Schatten – Aerzteverlag medinfo AG. Der informierte Arzt 2023. 2023 Mar;13(3):10–5.
2. Syn NL, Cummings DE, Wang LZ, Lin DJ, Zhao JJ, Loh M, et al. Association of metabolic-bariatric surgery with long-term survival in adults with and without diabetes: a one-stage meta-analysis of matched cohort and prospective controlled studies with 174 772 participants. Lancet. 2021 May 15;397(10287):1830–41.
3. Statuten – Swiss Society for the Study of morbid Obesity [Internet]. [cited 2023 May 8]. Available from: https://www.smob.ch/de/component/jdownloads/?task=download.send&id=31&catid=3&m=0&Itemid=101
4. Richtlinien zu operativen Behandlung von Übergewicht – Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders [Internet]. [cited 2023 May 8]. Available from: https://www.smob.ch/de/component/jdownloads/?task=download.send&id=116&catid=2&m=0&Itemid=101
5. Liste der anerkannten bariatrischen Zentren in der Schweiz – Swiss Society for the Study of morbid Obesity [Internet]. [cited 2023 May 8]. Available from: https://www.smob.ch/de/component/jdownloads/?task=download.send&id=112&catid=2&m=0&Itemid=101
6. Peterli R, Bueter M, Schultes B, Donath MY, Laederach K, Laimer M, et al. Metabolische Chirurgie als Pflichtleistung in die KLV aufgenommen. SMF. 2021 Jul 21;21(2930):514–6.
Insbesondere bei älteren Patienten und stärker dilatiertem Vorhof könnte die anterior-laterale Position von Vorteil sein.
Der Erfolg einer Elektrokonversion (EKV) ist abhängig von der richtigen Auswahl des Patienten, der Energiemenge, der Anzahl biphasischer Schocks, der Elektrodengrösse, dem Druck auf die Paddles, wenn diese alternativ verwendet werden, und der Elektrodenposition.
In älteren Studien mit monophasischer Schockabgabe wurde die anterior-posteriore Elektrodenposition propagiert. Bei einer REA mit persistierendem KFLi wird eher die anterior-posteriore Position bevorzugt – vgl. info@herz+gefäss; 06.2022, Seite 18 Journal Watch.
Eine aktuelle Metaanalyse über 11 internationale Studien mit insgesamt 1845 Patienten mit VHFLi von K.R. Motawea et al. aus Alexandria, publiziert im Clinical Cardiology, gibt folgendes Fazit (1):
Die anterior-laterale Elektrodeposition bei der externen Kardioversion (EKV) von Vorhofflimmern (VHFLi) ist effektiver und besser (OR 1.4) als die anterior-posteriore Position, insbesondere bei Patienten, die weniger als fünf Schocks erhalten haben, 60 Jahre oder älter sind und einen LA-Durchmesser von mehr als 45 mm aufweisen. Eine mögliche Erklärung ist die Lage des Schockvektors mit Einbezug von mehr Herzzellen des Vorhofs.
Einschränkungen dieser Arbeit bestehen durch folgende Punkte: Es ist eine Metaanalyse, es gab verschiedene Grunderkrankungen des VHFli, paroxysmales und persistierendes VHFLi, es gab verschiedene EKV-Protokolle bei der Energieabgabe und begleitende Therapieunterschiede bei der bipolaren Schockabgabe.
Die Autoren halten es für «vernünftig, die anterior-laterale Position als Methode der ersten Wahl zu erwägen», und zwar insbesondere bei älteren Patienten und solchen mit vergrössertem linken Atrium. Diese Variante sei nicht zuletzt anatomisch naheliegender und ermögliche eine einfachere Handhabung auch bei kritisch kranken Patienten. Weitere multizentrische randomisierte klinische Studien sind notwendig, um diese Resultate zu bestätigen.
Quelle: Motawea K.R. et al. Anteriolateral versus anterior-posterior electrodes in external cardioversion of atrial fibrillation: A systematic review and meta-analysis of clinical trials. Clin Cardiol. 2023;46:359-375
Bei Zugabe von Morphium scheint die Rate schwerer kardiovaskulärer Ereignisse zu steigen, die Blutungsrate dagegen zu sinken.
Dieses Resultat zeigt eine neue Meta-Analyse von 14 Beobachtungsstudien bei insgesamt 73’033 Patienten u.a. aus DL, UK und USA (1). In den letzten Jahren wurde in verschiedenen Arbeiten auf die Medikamenten-Interaktion von Opioiden und P2Y-Inhibitoren (Clopidogrel, Ticagrelor) hingewiesen (2).
In dieser neuen Studie bei einem akuten Koronarsyndrom (ACS) ergaben sich folgende Resultate: Kein sign. Unterschied bezüglich Mortalität mit oder ohne Gabe von Morphin (Mo). Bei älteren Patienten und bei Frauen war mit der Gabe von Mo und einer dualen Plättchenhemmung das Sterberisiko erhöht. Ebenso kam es zu einer Zunahme der MACE (Tod, Myokard-Infarkt, Apoplexie oder einer Hospitalisation wegen PCI, ACBP oder Herzinsuffizienz). Hingegen wurde das schwere Blutungsrisiko in 5 Studien bei 3290 Patienten gesenkt. Ohne Mo war mit der dualen Plättchenhemmung die MACE-Rate deutlich tiefer.
Es kommt bei der Gabe von Opioiden u.a. zu einer verminderten Darmtätigkeit mit verzögerter Resorption von P2Y-Inhibitoren. So wird der Plasmaspiegel von Clopidogrel resp. Ticagrelor gesenkt und dadurch ist die antithrombotische Wirkung verzögert.
Es bestehten folgende Einschränkungen dieser Meta-Analyse: Es waren überwiegend Beobachtungsstudien; verschiedene Diagnosen wurden zusammengefasst; Opioide wurden in unterschiedlichen Dosierungen verabreicht; es wurde nicht zwischen verschiedenen P2Y-Inhibitoren differenziert; und es gab unterschiedlich lange Nachbeobachtungen.
Beim Einsatz von Morphium bei ischämischem Brustschmerz sind die möglichen Risiken und Vorteile gegeneinander abzuwägen. Vorsicht scheint insbesondere bei Älteren und Frauen geboten. Somit sollte Morphium bei einem ACS nur gezielt bei sehr starken Schmerzen gegeben werden. Prospektiv randomisierte kontrollierte Studien sind nötig.
Quelle: 1) Lee SW et al. Effects of morphine and P2Y inhibitor amongst patients with acute coronary syndrome: A meta-analysis of comparative studies. Am J Emerg Med 2023; https://doi.org/10.1016/j.ajem.2023.05.010 2) Der Arzneimittelbrief; Jg.54, Seite 12; Ausgabe 02/2020: Hinweise auf klinisch relevante Interaktion von Morphin und Clopidogrel
Der von Frau Prof. Attenhofer-Jost zusammen mit der Mayo Klinik organisierte 21. Kardiologie Review Kurs vermittelte auch dieses Jahr viel Neues, Neuigkeiten aus dem Schrittmacherbereich, aus dem Bereich der koronaren Herzkrankheit, Interventionen beim Vorhofflimmern, Blutgerinnungsprobleme und Probleme der Polypharmazie im Alter. Ein Novum und gleichzeitig ein Highlight waren die Beiträge zur Klimaerwärmung. Neues von der Lipidfront, Checkpoint-Inhibitoren und News aus der Infektiologie rundeten den ersten Tag ab. Der Zweite Tag begann mit Heart Valves, gefolgt von Kongenitalen Vitien/Aorta/Schwangerschaft/pulmonale Hypertonie. Heart Muscle und Cardiooncoloy and Sudden Death bildeten den Schluss des Symposiums, welches von ausgezeichneten Referenten bestritten wurde, die interessante Neuigkeiten präsentierten. Die Tagung wurde traditionsgemäss von der Content Marketing & Services GmbH hervorragend organisiert.
SCHRITTMACHER
News von den Schrittmachern – leadless for everybody?!
PD Dr. David Hürlimann
Gemäss den Guidelines sollten kabellose Schrittmacher als Alternative zu transvenösen Schrittmachern in Betracht gezogen werden, wenn kein Venenzugang zu den oberen Extremitäten existiert oder wenn das Risiko einer Infektion besonders hoch ist, wie beispielsweise bei einer vorherigen Infektion und bei Patienten unter Hämodialyse (IIa/B), so die einleitenden Bemerkungen von PD Dr. David Hürlimann, USZ.
Kabellose Schrittmacher können in Betracht gezogen werden als Alternative zur standardmässigen ventrikulären Stimulation mit einer Leitung unter Berücksichtigung der Lebenserwartung und unter Verwendung einer gemeinsamen Entscheidungsfindung (IIb/C).
Das leadless Pacing ist indiziert bei älteren Patienten, mit limitiertem venösem Zugang, permanentem Vorhofflimmern, höherem Infektionsrisiko, limitierter Lebenserwartung, signifikanten Komorbiditäten, sesshaftem Lebensstil und seltenem Schrittmacherbedarf.
Der transvenöse Zugang ist indiziert bei jungen Patienten, bei Notwendigkeit für CRT/ICD, Notwendigkeit einer ständigen Stimulation, Notwendigkeit einer atrioventrikulären Synchronie, implantierbaren Geräten, die mit dem kabellosen Schrittmacher Pacemaker interferieren.
Beide Verfahren kommen in Frage bei mechanischen Tricuspidal Klappenprothesen, morbider Adipositas, die eine LP telemetrische Kommunikation verhindern, bei implantiertem IVC Filter und bei abnormalem venösem System.
Das 2. Generations VDD Pacing – Micra AV. Beschleunigungsmesser basiertes atrioventrikuläres, synchrones Pacing mit einem ventrikulären kabellosen Pacemaker: der Micra atrioventrikuläre kabellose Schrittmacher verbessert die AVS bei Patienten mit AV-Block signifikant. Er hat sich sowohl bezüglich Sicherheit und Wirksamkeit kurz- und mittelfristig als Alternative zum konventionellen transvenösen Schrittmacher bewährt. Diese Technologie stellt eine neue Lösung besonders für Patienten ohne konventionellen venösen Zugang und für ältere Patienten mit Vorhofflimmern und symptomatischer Bradykardie dar.
Conduction System Pacing: alles wird immer besser?!
PD Dr. Alexander Breitenstein
Es gibt zwei Arten der Stimulation des Reizleitungssystems, das His-Bundle-Pacing und das Left Bundle Branch Area Pacing (LBBAP), stellte PD Dr. Alexander Breitenstein, Universitätsspital Zürich, fest. Indikationen für eine Stimulation des Reizleitungssystems sind:
Stimulation des Reizleitungssystems anstatt rechtsventrikulärer Stimulation:
LBBAP versus klassische rechtsventrikuläre Stimulation. Observationsstudie mit 703 Patienten (321 LBBAP und 382 RVP). Kein Unterschied im Outcome wenn RV-Pacing <20%. Benefit, wenn RV Pacing >20% (63% der Kohorte. Primäres Komposit-Outcome HR 0.318, p<0.001, Gesamtmortalität HR 0.350, p=0.002; Herzinsuffizienz-Hospitalisierung HR 0.389, p=0.018
Stimulation des Reizleitungssystems anstatt kardialer Resynchronisationstherapie (CRT)
Korrektion des Linksschenkelblocks über das Reizleitungssystem: Ein Leitungsblock proximal des linken Schenkelbündels innerhalb der linksseitigen His-Fasern ist am ehesten für eine korrigierende His-Bündel-Stimulation geeignet, bei der die Stimulation den Ort des Blocks umgeht und latente Purkinje-Fasern rekrutiert. Herkömmliche 12-Kanal-EKG-Kriterien für das Muster des Linksschenkelblocks sind möglicherweise unzureichend, um das Ansprechen auf die His-Bündel-Stimulation vorherzusagen, und intrakardiale Daten können helfen, die Patientenauswahl für die kardiale Resynchronisation zu verfeinern.
Elektrische Resynchronisation und klinische Endpunkte mittels CSP: Bei einem Vergleich der klinischen Ergebnisse zwischen CSP und BVP bei Patienten, die sich einer CRT unterzogen verbesserte die CSP die klinischen Ergebnisse im Vergleich zur BVP in einer großen Kohorte von Patienten mit Indikation zur CRT
Stimulation des Reizleitungssystems mit kardialer Resynchronisationstherapie (CRT) in Kombination mit HOT/LOT-CRT
Die LOT-CRT ist sicher und bietet im Vergleich zur BiV-CRT eine bessere elektrische Resynchronisation und könnte eine Alterna
tive sein, insbesondere wenn mit der BiV-CRT nur eine suboptimale elektrische Resynchronisation erreicht wird. Randomisierte kontrollierte Studien zum Vergleich von LOT-CRT und BiV-CRT sind erforderlich.
Limitationen der Stimulation des Reizleitungssystems
Obwohl die His-Bundle-Stimulation (HBP) die durch die Stimulation induzierte Kardiomyopathie verhindern oder verbessern kann, sind die erhöhten Reizschwellen, der Verlust der His-Bundle-Erfassung und die Rate der Elektrodenrevisionen bei der Nachbeobachtung bedenklich. Das späte Auftreten einer Perforation des Interventrikelseptums ist eine seltene Komplikation der Linksbündelschrittmacher (LBBP), trotz geeigneter anfänglicher Implantationseigenschaften. Die Explantation der perforierten Elektrode und die Reimplantation können sicher durchgeführt werden.
Zusammenfassung
– Stimulation des Reizleitungssystems ist eine effektive und heutzutage erfolgreiche Art der Schrittmacher-Implantation
– Sowohl His-Bundle- als auch Left Bundle Branch Area Pacing
– Als Alternative zur reinen RV-Stimulation, als Möglichkeit bei nicht erfolgreicher biventrikulärer Stimulation oder in Kombination mit einem CRT
– Randomisierte Studien im Vergleich zu den klassischen Optionen fehlen (noch)
– Langzeit-Outcomes sind noch unklar
Schrittmacherprobleme in der Praxis – Beispiele oder wie smart sind Schrittmacher
Arrhythmie wegen ventrikulärer Unterbewertung, Überbewertung des Diaphragma-Myopotentials, elektromagnetische Interferenz, und überschätzte Langlebigkeit der Batterien sind Gründe für Probleme mit Schrittmachern, so Frau Dr. Anna Lam, Hirslanden Klinik, Zürich. Die Kontrolle vor der MRI-Untersuchung, ventrikuläre Leitungsimpedanz, Feststellung einer hohen ventrikulären Rate der Umkehrung des ventrikulären Rauschens . Unterscheidung von Artefakten Leitungsfehler: unregelmäßige Morphologie und hohe Amplitude (Kanalsättigung), nur auf einem einzigen EGM-Kanal, kann durch Manipulationen an der Tasche ausgelöst werden (extrathorakale Leitungsfraktur), plötzliche Änderung der Impedanzsensierung, Schwellenwert (oder stabil!). Elektromagnetische Interferenzen: in der Regel repetitiv und mit hoher Frequenz (50 oder 60 Hz), gleichzeitig auf allen Kanälen sichtbar. Myopotentiale: Crescendo/Decrescendo-Amplitude reproduziert durch provokative Manöver.
Leitungsbruch: Jedes Gerät kann betroffen sein, die klinische Präsentation variiert, die elektrischen Parameter können normal sein, Geräte-spezifische Merkmale verbessern die frühzeitige Erkennung von Elektrodenversagen und verringern unangemessene Schocks im Falle von ICD.
Die Elektrode des implantierbaren Kardioverter-Defibrillators (ICD) ist die anfälligste Komponente des ICD-Systems. Trotz fortschrittlicher Konstruktion, ausgefeilter Fertigungstechniken und umfangreicher Tests auf dem Prüfstand sowie in präklinischen und klinischen Studien bleibt das Versagen der Elektroden die Achillesferse des ICD-Systems. ICD-Leitungsfehler hat ein breites Spektrum an nachteiligen Folgen, die von intermittierenden unangemessenen Stimulationen bis hin zu Proarrhythmie reichen und zur Sterblichkeit des Patienten führen. Leitungsfehler bei ICDs werden oft im Zusammenhang mit Konstruktions- oder Konstruktionsfehlern betrachtet, sind aber eher im Kontext der begrenzten Lebensdauer einer mechanischen Komponente zu sehen, die in einer chemisch belastenden Umgebung platziert und kontinuierlichen mechanischen Belastungen ausgesetzt ist.
AV-Knotenablation – Pro’s und Con’s
Das Vorhofflimmern ist die häufigste kardiale Arrhythmie. Seine Inzidenz nimmt durch fortschreitendes Altern der Bevölkerung und Komorbiditäten zu. Es ist ein konplexes Krankheitsbild, welches verschiedene Optionen und ganzheitliches und multidisziplinares Management verlangt. Vorhofflimmern ist assoziiert mit all-cause-Mortalität, long-term stroke risk, Herzinsuffizienz und verminderter Lebensqualität. Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern sind eng miteinander verbunden. Beide können sowohl Ursache als auch Folgen des jeweils anderen sein. Sie teilen gemeinsame Risikofaktoren, stellte Frau Dr. Eva Bühlmann, Zürich, fest.
Die unkontrollierte Herzfrequenz bei Tachykardiomyopathie kann zu schwerer systolischer Dysfunktion und Herzinsuffizienz führen. Die Prävalenz der Tachykardiomyopathie beträgt 4%-8% bei Patienten mit Vorhofflimmern/- Flattern, 10%-59% bei Patienten mit atrialer Tachykardie und 5%-7% bei idiopathischer PVC/VT.
Die ESC Guidelines von 2020 empfehlen eine Antikoagulation zur Vermeidung von Stroke, eine bessere Symptomkontrolle und die Kontrolle von kardiovaskulären Risikofaktoren und begleitenden Krankheiten.
Indikation gemäss den 2020 ESC Guidelines: Die atrioventrikuläre Ablation sollte zur Kontrolle der Herzfrequenz bei Patienten in Betracht gezogen werden, die auf eine intensive Frequenz- und Rhythmuskontrolle nicht ansprechen oder diese nicht vertragen und für eine Rhythmuskontrolle durch Ablation nicht in Frage kommen, wobei in Kauf genommen wird, dass diese Patienten schrittmacherabhängig werden (IIb/B).
Die meisten Studien wurden mit älteren Patienten mit limitierter Lebenserwartung durchgeführt. In jüngeren Patienten sollte die AV-Knoten-Ablation nur dann durchgeführt werden, wenn alle pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Optionen sorgfältig evaluiert wurden.
PRO
Gute Frequenzkontrolle, hohe Rate an biventrikulärem Pacing bei Patienten mit CRT (Indikation).
Verbesserung der LVEF bei Patienten mit reversible Tachykardiopathie und bei Patienten mit CRT bei Erhöhung biv Pacing.
KONTRA
Intraventrikuläre Dyssynchronie, RV-pacing-induzierte Kardiopathie, ca. 20% wenn >20% RV-pacing nach 5 Jahren
Wahl der Pacingmodalität vor geplanter AV-Knotenablation:
PM mit RV-pacing
-bei Patienten mit HFpEF (IIa/B)
CRT
– bei Patienten mit HFrEF (I/B)
– bei Patienten mit HFrEF mit höhergradigen AV-Block (IA)
Unabhängig von der NYHA-Klasse, inkl. Patienten
mit Vorhofflimmern
3 randomisierte Studien: BLOCK HF, 691 Pat. MOST
– bei Patienten mit HFmrEF (IIa/C)
HBP/CSP
-bei Patienten mit HFrEF oder HFmrEF (IIb)
CRT-upgrade
– bei Patienten mit RV-Pacinganteil >20% und LVEF <35% trotz OMT (IIa/B)
Die APAF-CRT-Studie
Die Ablation in Kombination mit einer kardialen Resynchronisationstherapie ist der pharmakologischen Frequenzkontrolle überlegen, wenn es darum geht, die Sterblichkeit bei Patienten mit schwerem symptomatischem permanentem Vorhofflimmern und engem QRS zu verringern.
Take Home Message
AV-Knotenablation ist eine effektive Behandlung zur Frequenzkontrolle, zur Palliation bzw. wenn die Rhythmus- oder medikamentöse Frequenzkontrolle nicht (mehr) möglich ist.
Marker für schlechte Prognose nach Ablate-and pace sind nicht eindeutig.
Frühzeitig «physiologische Pacingmodalitätrn wie biventrikuläres Pacing (CRT) oder ConductionsSystemPacing (CSP) erwägen.
Patienten werden PM-abhängig und somit anfällig für RV-pacing-induzierte Dyssynchronie. Cave PM-Dysfunktion und Infektion.
Bei CRT-Implantierten mit biventrikulärem Pacinganteil <90%-95%.