Vitamin-D-Serumkonzentration und Knochengesundheit

Vor 111 Jahren prägte der polnische Biochemiker Kazimierz Funk den Begriff «Vital-Amine» oder kurz «Vitamine» für Nahrungsmittelbestandteile, die für das Leben wichtig sind (1). Diese erhielten Buchstaben in der Reihenfolge ihrer Entdeckung; als viertes Vitamin wurde 1922 von Elmer McCollum das Vitamin D beschrieben, eine Substanz, welche die Rachitis bekämpfen konnte (2). Seit dieser ersten Publikation wird über Vitamin D geforscht und publiziert, es werden Thesen zu Wirkungen erhoben und wieder verworfen, Richtlinien aufgestellt und wieder geändert. Die Zahl der Artikel zu Vitamin D, die in PubMed gelistet sind, ist in den letzten 100 Jahren von einer einzigen Publikation im Jahr 1922 auf über 5500 im Jahr 2022 gestiegen. Im nachfolgenden Artikel wird versucht, aus der Fülle der Informationen einige in der Praxis relevante Punkte herauszugreifen.

111 years ago, the Polish biochemist Kazimierz Funk coined the term «vital amines» or «vitamins» for food components that are important for life (1). These were given letters in the order of their discovery; the fourth vitamin to be described was vitamin D, a substance that could combat rickets, by Elmer McCollum in 1922 (2). Since this first publication, vitamin D has been researched and published, theses on effects have been raised and rejected, guidelines have been established and changed again. The number of articles on vitamin D listed in PubMed has increased over the past 100 years from a single publication in 1922 to over 5500 in 2022. The following article attempts to pick out some points relevant in practice from the wealth of information.
Key Words: Vitamine D, bone health, serum concentration

Wofür brauchen wir Vitamin D?

Unbestritten ist die Rolle des Vitamin D für die Knochengesundheit. Vereinfacht gesagt, fördert Vitamin D, bzw. seine aktive Form, das 1,25-Dihydroxy-Vitamin D (1,25 (OH)2 D) die Kalziumresorption im Darm und erhöht damit den Kalzium-Serumspiegel. Zur Verhinderung einer Hyperkalzämie kommt es zu einer verminderten Ausschüttung von Parathormon (PTH), was die Verschiebung von Kalzium in den Knochen und damit seine Mineralisierung bewirkt. Umgekehrt führt ein zu tiefer 1,25 (OH)2 D-Spiegel über eine verminderte Kalziumresorption zu einem erniedrigten Kalzium-Serumspiegel, dadurch zu einer vermehrten Sekretion von Parathormon und in der Folge zur Mobilisierung von Kalzium aus dem Knochen ins Serum. Die damit erreichte lebenswichtige Stabilität des Kalziumblutspiegels wird über eine Schwächung des Knochens erreicht.

Da die meisten Gewebe Vitamin-D-Rezeptoren aufweisen und damit Vitamin D potentiell auf diese Gewebe wirken kann, wird seit Jahren spekuliert, welche Einflüsse Vitamin D auf andere Erkrankungen haben könnte: Das Spektrum umfasst u.a. Haut- und Muskelerkrankungen, Malignome, Autoimmunerkrankungen, Allergien und Infektionen bis hin zu neuropsychiatrischen Erkrankungen. Obwohl es bei vielen dieser Erkrankungen eine Assoziation zu niedrigen Vitamin-D-Spiegeln gibt, konnte bisher nicht bewiesen werden, dass Vitamin D tatsächlich präventiv wirken kann (3,4).

Wieviel Vitamin D brauchen wir für einen gesunden Knochen?

Da die Kalziumverschiebung aus dem Knochen vorwiegend von PTH gesteuert wird, kann der PTH-Spiegel theoretisch indirekt als Mass für die Knochenmineralisierung dienen. Demnach würde der Knochen umso weniger Kalzium verlieren, je tiefer der PTH-Spiegel ist. Diese maximale Unterdrückung des PTH-Spiegels wird bei einem 25-OH-Vitamin-D-Spiegel von ca. 30ug/L (75nmol/L) erreicht (5). Ist es deshalb sinnvoll, allen Personen soviel Vitamin D zu geben, dass ein Vitamin-D-Spiegel von 30ug/L erreicht wird? Und wenn dies der Fall ist, welche Dosis ist notwendig, um dieses Ziel zu erreichen und welches ist das optimale Dosierungsintervall?

Zu diesen Themen wurden viele Studien durchgeführt und diese wiederum in Metaanalysen untersucht. Bis heute bleiben aber die meisten Punkte unklar und werden weiterhin kontrovers diskutiert: Höchstwahrscheinlich führt eine Vitamin-D-Supplementation bei gesunden Personen nicht zur Frakturrisikoreduktion oder Verbesserung der Knochendichte. Gemäss einer Cochrane Review 2023 konnte bei prämenopausalen gesunden Frauen weder ein Effekt auf die Knochendichte noch auf das Frakturrisiko gezeigt werden (6). Ebenso fand sich kein Effekt bei gesunden Personen über 70 Jahren (7). Andererseits wurde in einer Metaanalyse von 2012 gezeigt, dass eine Supplementation mit 800IU pro Tag das Hüftfrakturrisiko bei Personen über 65 Jahren senken konnte (8).

Trotz dieser Unklarheiten sind sich alle Osteologie-Gesellschaften einig, dass eine Vitamin-D-Supplementation bei gewissen Personengruppen (ältere oder gebrechliche Personen, Personen mit erhöhtem Sturz- und Frakturrisiko, Personen mit einem Risiko für einen Vitamin-D-Mangel) sinnvoll ist. Ein Vitamin-D-Spiegel von >20ug/L (>50nmol/L) gilt als genügend, zur Frakturprävention sollte ein Spiegel von 30ug/L (75nmol/L) angestrebt werden (Tab. 1).

Die International Osteoporosis Foundation empfiehlt eine Supplementation mit 800 - 1000 IU täglich, bzw. einen Serumspiegel von 20ug/L (50nmol/L) (9). Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen empfiehlt für gesunde Erwachsene zwischen 18-65 Jahren eine Zufuhr von 600 IU täglich und für Personen ab 66 Jahren 800IU. Ab dem 60. Lebensjahr sollte die Zufuhr zudem ganzjährig mittels Supplementen erfolgen, während jüngere Personen im Sommer den Bedarf durch regelmässigen Aufenthalt im Freien decken können. Für Schwangere wird eine Zufuhr von mindestens 600 IU täglich empfohlen (10).

Muss der Vitamin-D-Spiegel gemessen werden?

Zur Messung der Serumkonzentration von 25-OH-Vitamin D können verschiedene Assays verwendet werden, deren Ergebnisse aber um 10 bis 15% variieren. Dies erschwert die Diagnose einer Hypo­vitaminose D, bzw. die Angabe des effektiven Serumspiegels. Zudem sind Verlaufskontrollen nicht aussagekräftig, wenn die Analysen in unterschiedlichen Labors mit verschiedenen Assays durchgeführt werden. Seit 2010 koordiniert deshalb das Vitamin D Standardization Program (VDSP) Aktivitäten zur Standardisierung der Vitamin-D-Messungen (11). Nichtsdestotrotz dürften auch in der Schweiz unterschiedliche Messmethoden angewendet werden, welche unterschiedliche Resultate ergeben. Falls Vitamin-D-Spiegel gemessen werden – und insbesondere für Verlaufsbeurteilungen – ist es deshalb wichtig, jeweils immer dasselbe Labor mit der Analyse zu beauftragen.

Die Kosten einer 25-OH-Vitamin-D-Bestimmung betragen aktuell (März 2023) gemäss Analysenliste CHF 47.70 (12). Dazu kommen Kosten für die Blutentnahme sowie die Auftragstaxe für das Labor. Die Gesamtkosten einer einzigen Vitamin-D-Bestimmung dürften deshalb bei CHF 60.00 - 70.00 liegen. Eine Supplementation mit 800 IU Vitamin D/Tag kostet zwischen CHF 30.00 und 40.00 pro Jahr. In Anbetracht dessen, dass eine Dosierung von 800 - 1000 IU Vitamin D täglich als sicher gilt, ist es kostengünstiger und medizinisch vertretbar, bei gesunden Personen eine Supplementation durchzuführen ohne den Vitamin-D-Spiegel zu bestimmen. Bei Patienten mit einem Risiko für einen Vitamin-D-Mangel oder mit einer Osteoporose ist es jedoch sinnvoll, vor Beginn einer Supplementation den Vitamin-D-Spiegel zu bestimmen und auf dieser Basis eine individuelle Vitamin-D-Supplementation zu verschreiben.

Wird eine Verlaufskontrolle durchgeführt, sollte diese frühestens 12 Wochen nach Dosisänderung erfolgen, da erst dann wieder ein steady state erreicht ist (13, 14). Seit Juli 2023 vergüten die Krankenkassen Vitamin-D-Bestimmungen zudem nur für bestimmte Erkrankungen und nur alle 3 Monate (Tab. 2) (12).

Welche Dosis soll gegeben werden?

Die Dosis, die notwendig ist, um einen bestimmten Vitamin-D-Spiegel zu erreichen, ist von verschiedenen Faktoren abhängig: Ausgangswert des Vitamin-D-Spiegels, Body-Mass-Index, begleitende Kalziumsupplementation und Art des zugeführten Vitamin D (Vitamin D2 oder D3). In Studien wurde ein Anstieg des Vitamin-D-Spiegels um 0.5 - 3.5ug/L pro zusätzlich eingenommene 100 IU Vitamin D beobachtet (13, 14). Als Faustregel kann deshalb angenommen werden, dass pro 100 IU zusätzliches Vitamin D pro Tag der Serumspiegel um 1ug/L (2.5nmol/L) ansteigt. So würde beispielsweise eine Patientin, die unter einer bestehenden Vitamin D-Supplementation von 800 IU täglich einen Vitamin-D-Spiegel von 18 ug/L aufweist, zusätzlich 1200IU Vitamin D täglich benötigen, um einen steady state von 30ug/L zu erreichen. Die totale tägliche Dosis müsste in diesem Fall 2000 IU pro Tag betragen und dauerhaft eingenommen werden, um den erwünschten Blutspiegel zu erhalten.

Um einen sehr tiefen Vitamin-D-Spiegel rasch anzuheben (z.B. bei Patienten mit einem schweren Vitamin-D-Mangel, bzw. einer symptomatischen Osteomalazie) kann eine initiale Ladedosis Vitamin D verabreicht werden. Danach muss mit einer Erhaltungsdosis weiter behandelt werden. Verschiedene Empfehlungen existieren bezüglich der geeigneten Lade­dosis: so empfiehlt das NIH eine individuelle Ladedosis gemäss Körpergewicht und angestrebter Erhöhung des Vitamin-D-Spiegels, während andere Gesellschaften eine mehr oder weniger fixe Ladedosis verabreichen. Ob eine Ladedosis einen therapeutischen Effekt hat, ist allerdings umstritten (Tab. 3) (15, 16, 17).

Viel hilft nicht immer viel

Um die Vitamin-D-Versorgung zu vereinfachen, wurden bereits vor Jahren verschiedene Dosierungsschemata evaluiert – tägliche, wöchentliche, monatliche oder sogar jährliche Verabreichungen von kleinen bis sehr hohen Dosen. Dabei zeigte es sich, dass jährliche hohe Dosen das Sturz- und Frakturrisiko sogar erhöhen (18). Auch monatliche hohe Dosen scheinen einen eher negativen Effekt zu haben. Ein Dosisregime einer täglichen oder maximal wöchentlichen Einnahme einer geringen Dosis scheint den höheren Dosen in längeren Abständen überlegen zu sein (19). Eine Ladedosis bei sehr tiefen Vitamin-D-Spiegeln sollte deshalb immer von einer täglichen oder wöchentlichen Erhaltungsdosis gefolgt sein.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

KD Dr. med. Diana P. Frey

Leiterin OsteoporoseZentrum
Klinik für Rheumatologie
UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

diana.frey@usz.ch

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Vitamin D ist für die Knochengesundheit essentiell.
◆ Es ist umstritten, ob Vitamin D andere Erkrankungen vermindern kann
◆ Eine tägliche Dosis von 800 IU Vitamin D ist für Personen ohne wesentliche Erkrankungen ausreichend
◆ Der Vitamin D – Spiegel sollte bei Personen ohne Risikofaktoren für einen Vitamin D – Mangel nicht routinemässig gemessen werden
◆ Vitamin D – Spiegel-Bestimmungen werden von den Krankenkassen nur bei bestimmten Risikosituationen und maximal alle 3 Monate
vergütet
◆ Eine tägliche oder wöchentliche niedrig dosierte Supplementation ist einer hochdosierten Supplementation in grösseren Abständen
(monatlich oder jährlich) überlegen
◆ Bei schwerem und/oder symptomatischem Vitamin D-Mangel kann eine Ladedosis gegeben werden, gefolgt von einer täglichen oder wöchentlichen Erhaltungstherapie

1. Funk Casmir. The journal of State Medicine. Volume XX: 341-368, 1912. The etiology of the deficiency diseases, Beri-beri, polyneuritis in birds, epidemic dropsy, scurvy, experimental scurvy in animals, infantile scurvy, ship beri-beri, pellagra. Nutr Rev. 1975 Jun;33(6):176-7. doi: 10.1111/j.1753-4887.1975.tb05095.x. PMID: 1095967.
2. McCollum EV, Pitz W, Simmonds N, Becker JE, Shipley PG, Bunting RW. The effect of additions of fluorine to the diet of the rat on the quality of the teeth. 1925. Studies on experimental rickets. XXI. An experimental demonstration of the existence of a vitamin which promotes calcium deposition. 1922. The effect of additions of fluorine to the diet of the rat on the quality of the teeth. 1925. J Biol Chem. 2002 May 10;277(19):E8. PMID: 11991957.
3. Manson JE, Cook NR, Lee IM, Christen W, Bassuk SS, Mora S, Gibson H, Gordon D, Copeland T, D’Agostino D, Friedenberg G, Ridge C, Bubes V, Giovannucci EL, Willett WC, Buring JE; VITAL Research Group. Vitamin D Supplements and Prevention of Cancer and Cardiovascular Disease. N Engl J Med. 2019 Jan 3;380(1):33-44. doi: 10.1056/NEJMoa1809944. Epub 2018 Nov 10. PMID: 30415629; PMCID: PMC6425757.
4. Institute of Medicine (US) Committee to Review Dietary Reference Intakes for Vitamin D and Calcium. Dietary Reference Intakes for Calcium and Vitamin D. Ross AC, Taylor CL, Yaktine AL, Del Valle HB, editors. Washington (DC): National Academies Press (US); 2011. PMID: 21796828.
5. Durazo-Arvizu RA, Dawson-Hughes B, Sempos CT, Yetley EA, Looker AC, Cao G, Harris SS, Burt VL, Carriquiry AL, Picciano MF. Three-phase model harmonizes estimates of the maximal suppression of parathyroid hormone by 25-hydroxyvitamin D in persons 65 years of age and older. J Nutr. 2010 Mar;140(3):595-9. doi: 10.3945/jn.109.116681. Epub 2010 Jan 20. PMID: 20089790; PMCID: PMC2821888.
6. Méndez-Sánchez L, Clark P, Winzenberg TM, Tugwell P, Correa-Burrows P, Costello R. Calcium and vitamin D for increasing bone mineral density in premenopausal women. Cochrane Database Syst Rev. 2023 Jan 27;1(1):CD012664. doi: 10.1002/14651858.CD012664.pub2. PMID: 36705288; PMCID: PMC9881395.
7. Bischoff-Ferrari HA, Vellas B, Rizzoli R, Kressig RW, da Silva JAP, Blauth M, Felson DT, McCloskey EV, Watzl B, Hofbauer LC, Felsenberg D, Willett WC, Dawson-Hughes B, Manson JE, Siebert U, Theiler R, Staehelin HB, de Godoi Rezende Costa Molino C, Chocano-Bedoya PO, Abderhalden LA, Egli A, Kanis JA, Orav EJ; DO-HEALTH Research Group. Effect of Vitamin D Supplementation, Omega-3 Fatty Acid Supplementation, or a Strength-Training Exercise Program on Clinical Outcomes in Older Adults: The DO-HEALTH Randomized Clinical Trial. JAMA. 2020 Nov 10;324(18):1855-1868. doi: 10.1001/jama.2020.16909. PMID: 33170239; PMCID: PMC7656284.
8. Bischoff-Ferrari HA, Willett WC, Orav EJ, Lips P, Meunier PJ, Lyons RA, Flicker L, Wark J, Jackson RD, Cauley JA, Meyer HE, Pfeifer M, Sanders KM, Stähelin HB, Theiler R, Dawson-Hughes B. A pooled analysis of vitamin D dose requirements for fracture prevention. N Engl J Med. 2012 Jul 5;367(1):40-9. doi: 10.1056/NEJMoa1109617. Erratum in: N Engl J Med. 2012 Aug 2;367(5):481. Oray, Endel J [corrected to Orav, Endel J]. PMID: 22762317.
9. https://www.osteoporosis.foundation/vitamin-d-recommendations – aufgerufen 12.3.2023
10. https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/ernaehrung/empfehlungen-informationen/naehrstoffe.html – aufgerufen 12.3.2023
11. Wise SA, Camara JE, Sempos CT, Lukas P, Le Goff C, Peeters S, Burdette CQ, Nalin F, Hahm G, Durazo-Arvizu RA, Kuszak AJ, Merkel J, Cavalier É. Vitamin D Standardization Program (VDSP) intralaboratory study for the assessment of 25-hydroxyvitamin D assay variability and bias. J Steroid Biochem Mol Biol. 2021 Sep;212:105917. doi: 10.1016/j.jsbmb.2021.105917. Epub 2021 May 16. PMID: 34010687; PMCID: PMC8403635.
12. www.bag.admin.ch/bag/de/home/versicherungen/krankenversicherung/krankenversicherung-leistungen-tarife/Analysenliste.html – aufgerufen 12.3.2023
13. Ramasamy I. Vitamin D Metabolism and Guidelines for Vitamin D Supplementation. Clin Biochem Rev. 2020 Dec;41(3):103-126. doi: 10.33176/AACB-20-00006. PMID: 33343045; PMCID: PMC7731935.
14. Pilz S, Zittermann A, Trummer C, Theiler-Schwetz V, Lerchbaum E, Keppel MH, Grübler MR, März W, Pandis M. Vitamin D testing and treatment: a narrative review of current evidence. Endocr Connect. 2019 Feb 1;8(2):R27-R43. doi: 10.1530/EC-18-0432. PMID: 30650061; PMCID: PMC6365669.
15. van Groningen L, Opdenoordt S, van Sorge A, Telting D, Giesen A, de Boer H. Cholecalciferol loading dose guideline for vitamin D-deficient adults. Eur J Endocrinol. 2010 Apr;162(4):805-11. doi: 10.1530/EJE-09-0932. Epub 2010 Feb 5. PMID: 20139241.
16. Bertoldo F, Cianferotti L, Di Monaco M, Falchetti A, Fassio A, Gatti D, Gennari L, Giannini S, Girasole G, Gonnelli S, Malavolta N, Minisola S, Pedrazzoni M, Rendina D, Rossini M, Chiodini I. Definition, Assessment, and Management of Vitamin D Inadequacy: Suggestions, Recommendations, and Warnings from the Italian Society for Osteoporosis, Mineral Metabolism and Bone Diseases (SIOMMMS). Nutrients. 2022 Oct 6;14(19):4148. doi: 10.3390/nu14194148. PMID: 36235800; PMCID: PMC9573415.
17. Berger MM, Shenkin A, Schweinlin A, Amrein K, Augsburger M, Biesalski HK, Bischoff SC, Casaer MP, Gundogan K, Lepp HL, de Man AME, Muscogiuri G, Pietka M, Pironi L, Rezzi S, Cuerda C. ESPEN micronutrient guideline. Clin Nutr. 2022 Jun;41(6):1357-1424. doi: 10.1016/j.clnu.2022.02.015. Epub 2022 Feb 26. PMID: 35365361.
18. Sanders KM, Stuart AL, Williamson EJ, Simpson JA, Kotowicz MA, Young D, Nicholson GC. Annual high-dose oral vitamin D and falls and fractures in older women: a randomized controlled trial. JAMA. 2010 May 12;303(18):1815-22. doi: 10.1001/jama.2010.594. Erratum in: JAMA. 2010 Jun 16;303(23):2357. PMID: 20460620.
19. Bischoff-Ferrari HA, Dawson-Hughes B, Orav EJ, Staehelin HB, Meyer OW, Theiler R, Dick W, Willett WC, Egli A. Monthly High-Dose Vitamin D Treatment for the Prevention of Functional Decline: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2016 Feb;176(2):175-83. doi: 10.1001/jamainternmed.2015.7148. PMID: 26747333. Amrein, K., Scherkl, M., Hoffmann, M. et al. Vitamin D deficiency 2.0: an update on the current status worldwide. Eur J Clin Nutr 74, 1498–1513 (2020). https://doi.org/10.1038/s41430-020-0558-y

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Werte und Präferenzen für die Empfängnisverhütung: eine globale systematische Übersicht

Das Verständnis der Werte und Präferenzen von Verhütungsmittelkonsumenten ist ein wichtiger Bestandteil guter Gesundheitspraxis auf klinischer, kommunaler und Gesundheitssystemebene und kann letztendlich die Anwender dabei unterstützen, eine Methode zu identifizieren und anzuwenden, die ihren Bedürfnissen entspricht und es ihnen ermöglicht, ihre Familienplanungsziele zu erreichen.

Wahlmöglichkeiten – oder vielmehr die Optimierung der Wahlmöglichkeiten – sind ein grundlegendes Prinzip, das die Bemühungen zur Stärkung der Qualität von Familien­planungs- und Verhütungsmethoden leitet (1). Auf klinischer Ebene wird das Gesundheitspersonal besser in der Lage sein, mit den Klienten zusammenzuarbeiten, um die Bedürfnisse jedes Einzelnen im Bereich der reproduktiven Gesundheit zu erfüllen, wenn sie die Werte und Präferenzen der Benutzer verstehen. Eine im letzten Jahr veröffentlichte Arbeit hatte die Identifizierung und Synthese von Originalforschung zu Verhütungsmitteln, Benutzerwerten, Präferenzen, Ansichten und Bedenken über bestimmte Familienplanungsmethoden zum Ziel sowie die Perspektiven des Gesundheitspersonals (2).

Studiendesign

Die Autoren führten eine systematische Überprüfung der globalen Verhütungswerte und -präferenzen durch. Sie durchsuchten 10 elektronische Datenbanken nach qualitativen und quantitativen Studien, die zwischen 2005 und 2020 veröffentlicht wurden, und extrahierten Daten in doppelter Ausfertigung mit Standard­formularen.

Resultate

Insgesamt erfüllten 423 Originalforschungsartikel aus 93 Ländern unter verschiedenen Gruppen von Endnutzern und Gesundheitspersonal in allen 6 Regionen der Weltgesundheitsorganisation und allen 4 Einkommensklassifizierungskategorien der Weltbank die Einschlusskriterien. Davon stammten 250 (59%) Artikel aus Ländern mit hohem Einkommen, hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten von Amerika (n = 139), dem Vereinigten Königreich (n = 29) und Australien (n = 23). Quantitative Methoden wurden in 269 Artikeln verwendet, meist Querschnittserhebungen (n = 190). Qualitative Interviews wurden in 116 Artikeln und Fokusgruppendiskussionen in 69 Artikeln verwendet. Zu den am häufigsten berichteten Themen gehörten Nebenwirkungen, Wirksamkeit und Leichtigkeit/Häufigkeit/Dauer der Anwendung. Interferenz in Sex und Partnerbeziehungen, Menstruationseffekte, Reversibilität, Beratung/Interaktion mit Gesundheitspersonal, Kosten/Verfügbarkeit, Autonomie und diskrete Nutzung waren ebenfalls wichtig. Die Benutzer berichteten im Allgemeinen von Zufriedenheit mit (und genauerem Wissen über) den von ihnen verwendeten Methoden.

Konklusionen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Anwender von Verhütungsmittel die Verfügbarkeit einer Reihe von Verhütungsmethoden schätzen, aus denen sie Methoden auswählen und bevorzugen können, die wirksam, einfach anzuwenden und nebenwirkungsarm sind. Die Benutzer wünschen sich die Kontrolle über die endgültige Wahl der zu verwendenden Verhütungsmethode unter Anleitung von Gesundheitsfachleuten, die ihre Werte und Vorlieben berücksichtigen. Sie wollen umfassende Informationen über verfügbare Methoden und Nebenwirkungen. Dieser Review deckte große Unterschiede in Werten und Präferenzen innerhalb und zwischen Studien auf, was die Notwendigkeit für qualitative hochstehende Beratung unterstützt.

red.

Quelle: Yeh PT et al. Values and preferences for contraception : a global systematic review. Contraception 2022 ;111 :3-21

1. Altshuler AI et al. The WHO’s medical eligibility for contraceptive use : 20 years of global guidance. Curr. Opin Obstet Gynecol 2015 ; 27 : 451.4592
2. Yeh PT et al. Values and preferences for contraception : a global systematic review. Contraception 2022 ;111 :3-21

Die SOLO1/GOG 3004-Studie

Das oberste Ziel der Behandlung von Frauen mit neu diagnostiziertem Eierstockkrebs ist die Heilung. Allerdings ist die Krankheit zum Zeitpunkt der Diagnose häufig bereits fortgeschritten, und etwa 70 % der Patientinnen, die eine zytoreduktive Operation gefolgt von einer platinbasierten Erstlinien-Chemotherapie erhalten, erleiden innerhalb von drei Jahren einen Rückfall (1), wobei die 10-Jahres-Überlebensrate bei Patientinnen mit fortgeschrittenem epithelialem Ovarialkarzinom bei 17 % liegt (2). Ein rezidivierter fortgeschrittener Eierstockkrebs ist in der Regel unheilbar, was den Bedarf an wirksamen Erstlinientherapien verdeutlicht, die einen Rückfall verzögern, die Überlebenszeit verlängern und die Heilungschancen erhöhen.

Der Poly(ADP-Ribose)-Polymerase (PARP)-Inhibitor Olaparib stellt den neuen Therapiestandard für die Behandlung von Patientinnen mit neu diagnostiziertem fortgeschrittenem Eierstockkrebs und einer BRCA1- und/oder BRCA2-Mutation (BRCA) dar. In der zulassungsrelevanten Studie SOLO1/GOG 3004 zeigte sich, dass die Erhaltungstherapie mit Olaparib bei Patientinnen mit neu diagnostiziertem fortgeschrittenem Ovarialkarzinom und einer BRCA-Mutation einen anhaltenden Vorteil hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens (PFS) über das Ende der Behandlung hinaus bietet, das auf 2 Jahre begrenzt war (3,4). In der primären Analyse (Daten-Cutoff [DCO]: 17. Mai 2018) bot die Erhaltungstherapie mit Olaparib einen signifikanten PFS-Vorteil im Vergleich zu Placebo (Hazard Ratio [HR], 0,30; 95 % CI, 0,23 bis 0,41; P < .001) (1). In einer aktualisierten PFS-Analyse, die nach einem 5-Jahres-Follow-up durchgeführt wurde (DCO: 5. März 2020), betrug das mediane PFS 56. 0 Monate in der Olaparib-Gruppe im Vergleich zu 13,8 Monaten in der Placebo-Gruppe (HR, 0,33; 95% CI, 0,25 bis 0,43) (4). Auf der Grundlage von Kaplan-Meier-Schätzungen waren 48,3 % bzw. 20,5 % der Patienten nach 5 Jahren progressionsfrei; die Daten zum Gesamtüberleben (OS) waren unvollständig (4).

In einer kürzlich publizierten, deskriptive Analyse wurde das OS nach einer 7-jährigen Nachbeobachtungszeit in SOLO1 berichtet (5). Dies ist die längste Nachbeobachtungszeit für einen PARP-Inhibitor bei neu diagnostiziertem fortgeschrittenem Eierstockkrebs und der erste Bericht über Langzeitdaten zum Gesamtüberleben für einen PARP-Inhibitor in dieser Situation. Sieben Jahre gelten als klinisch relevanter Zeitpunkt für das Überleben, da Modellrechnungen zeigen, dass die meisten Todesfälle im Zusammenhang mit Eierstockkrebs innerhalb von sieben Jahren nach der Diagnose auftreten, wobei sich die Sterblichkeit nach einer Nachbeobachtungszeit von neun Jahren derjenigen von Frauen in der Allgemeinbevölkerung annähert.

In dieser doppelblinden Phase-III-Studie wurden Patientinnen mit neu diagnostiziertem fortgeschrittenem Ovarialkarzinom und einer BRCA-Mutation, die klinisch auf eine platinbasierte Chemotherapie ansprachen, nach dem Zufallsprinzip bis zu 2 Jahre lang einer Olaparib-Erhaltungstherapie (n = 260) oder Placebo (n = 131) zugewiesen. Nach einer Nachbeobachtungszeit von 7 Jahren wurde eine vorab festgelegte deskriptive Analyse des sekundären Endpunkts, des Überlebens, durchgeführt.

Ergebnisse

Die mediane Behandlungsdauer betrug 24,6 Monate bei Olaparib und 13,9 Monate bei Placebo, und die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 88,9 bzw. 87,4 Monate. Die Hazard Ratio für das OS betrug 0,55 (95 % CI, 0,40 bis 0,76; P = .0004 [P < .0001 erforderlich, um statistische Signifikanz festzustellen]). Nach 7 Jahren waren 67,0 % der Olaparib-Patienten gegenüber 46,5 % der Placebo-Patienten noch am Leben, und 45,3 % gegenüber 20,6 % waren noch am Leben und hatten keine erste Folgebehandlung erhalten (Kaplan-Meier-Schätzungen). Die Inzidenz des myelodysplastischen Syndroms und der akuten myeloischen Leukämie blieb niedrig, und die Zahl der neuen primären Malignome war zwischen den Behandlungsgruppen ausgeglichen.

Schlussfolgerung

Die Ergebnisse deuten auf eine klinisch bedeutsame, wenn auch nach den vorgegebenen Kriterien statistisch nicht signifikante Verbesserung des Überlebens bei Patientinnen mit neu diagnostiziertem fortgeschrittenem Ovarialkarzinom und einer BRCA-Mutation hin und unterstützen den Einsatz von Olaparib zur Erzielung einer langfristigen Remission in dieser Situation; auch das Heilungspotenzial könnte erhöht werden. Während der Langzeitbeobachtung wurden keine neuen Sicherheitssignale beobachtet.

Quelle: DiSilvestro P et al. Overall Survival With Maintenance Olaparib at a 7-Year Follow-Up in Patients With Newly Diagnosed Advanced Ovarian Cancer and a BRCA Mutation: The SOLO1/GOG 3004 Trial. J Clin Oncol. 2023; 41: 609–617

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Ledermann JA et al.: Newly diagnosed and relapsed epithelial ovarian carcinoma: ESMO clinical practice guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2013 ; 24:vi24-vi32, (suppl 6)
2. Cress RD, Chen YS, Morris CR, et al. Characteristics of long-term survivors of
epithelial ovarian cancer. Obstet Gynecol 2015 ; 126:491-497, 2015
3. Moore K et al. Maintenance olaparib in patients with newly diagnosed advanced ovarian cancer. N Engl J Med 2018 ; 379:2495-2505
4. Banerjee S et al. Maintenance olaparib for patients with newly diagnosed advanced ovarian cancer and a BRCA mutation (SOLO1/GOG 3004): 5-year follow-up of a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet Oncol 2021 ; 22:1721-1731
5. DiSilvestro P et al. Overall Survival With Maintenance Olaparib at a 7-Year
Follow-Up in Patients With Newly Diagnosed Advanced Ovarian Cancer and a BRCA Mutation: The SOLO1/GOG 3004 Trial. J Clin Oncol. 2023; 41: 609–617

Neue Empfehlungen zur Pulmonalen Hypertonie in den ESC/ERS Guidelines 2022

Die pulmonale Hypertonie (PH) ist eine pathophysiologische Entität, welche bei vielen Krankheiten auftritt und zu schwerwiegenden pulmonalen und kardiovaskulären Symptomen führen kann. Durch gute Achtsamkeit kann eine PH rechtzeitig vermutet, die entsprechenden Abklärungen durchgeführt und eine, für die verschiedenen Ätiologien gezielte Therapie eingeleitet werden. Diesem Umstand tragen die neuen Richtlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie und der europäischen Respiratory Society Rechnung, indem sie einen Hauptschwerpunkt auf die Erkennung und den Algorithmus zur Diagnose legen (1). Weitere wichtige Neuerungen hat es in den hämodynamischen Definitionen, der Klassifikation und der Risikostratifizierung der Patienten mit PH gegeben. Eine Aktualisierung der gegenwärtigen verfügbaren Therapien und auch deren empfohlener Einsatz sind in den Richtlinien dargestellt. Insgesamt bringen die neuen Richtlinien viele Neuheiten. Auf die wichtigsten davon will dieser Artikel hinweisen.

Pulmonary hypertension (PH) is a pathophysiological entity that occurs in many diseases and can lead to serious pulmonary and cardiovascular symptoms. With good awareness, PH can be suspected and in due time the necessary workup performed and the appropriate therapy initiated for the various etiologies. The new guidelines of the European Society of Cardiology and the European Respiratory Society take this into account by placing a major emphasis on detection and the algorithm for diagnosis (1). There have been other important innovations in hemodynamic definitions, classification, and risk stratification of patients with PH. An update of currently available therapies and also their recommended use are presented in the guidelines. Overall, the new guidelines bring many novelties. This article aims to point out the most important of them.
Key Words: pulmonary hypertension, ESC guidelines

Neue hämodynamische Definition der pulmonalen Hypertonie

Eine der wichtigsten Neuerungen ist die neue hämodynamische Definition der PH. Die Schwelle von 25 mmHg für den mittleren pulmonalen Druck (mPAP) wurde auf 20 mmHg gesenkt (Tab. 1). Diese Definition wurde am sechsten Weltsymposium für PH erarbeitet und jetzt von den Fachgesellschaften in ihre Richtlinien übernommen (2). Diese tiefere Grenze des (mPAP) von <20 mmHg wird damit begründet, dass ein normaler pulmonaler Druck noch tiefer liegt und dass eine Erhöhung des mittleren PA-Druckes >20 mmHg zu einer schlechten Prognose im Langzeitverlauf bei der idiopathischen und der chronisch thrombo-embolischen pulmonalen Hypertonie führt. Die prä-kapilläre und die post-kapilläre PH werden unterschieden aufgrund des mittleren pulmonalarteriellen Wedge Druckes (PAWP) und des pulmonalvaskulären Widerstands (PVR) gemessen mittels Wood Units (PVR in WU= mittlerer pulmonaler Druck – PAWP geteilt durch das Herzzeitminutenvolumen). Beträgt der PAWP ≤15 mmHg und der PVR >2 Woods Units handelt es sich um eine präkapilläre PH. Beträgt der PAWP >15 mmHg und der PVR ≤2 Wood Units, so liegt eine post-kapilläre PH vor. Gegenüber 2015 wird also der PVR wieder zur Klassifikation der PH verwendet. Hingegen ist die noch in den 2015 verwendete Identifizierung der reinen präkapillären PH mittels des diastolischen Druckgradienten (diastolischer pulmonal-arterieller Druck – mittlerer PAWP) von 7 mmHg fallen gelassen worden. Die kombinierte prä- und post-kapilläre pulmonale Hypertonie wird neu mit einem PVR von >2 WU definiert (Tab. 1). Wichtig ist zu bemerken, dass die neue Schwelle für die Definition einer PH die Empfehlungen für den Therapiebeginn nicht beeinflusst haben. Es gibt nämlich keine Evidenz für die Wirksamkeit einer spezifischen Therapie bei mPAP-Werten <25 mmHg.

Neu sind erstmals auch diagnostische Kriterien für die belastungsabhängige PH definiert worden. Es muss der mittlere PA-Druck (mPAP) und das Herzzeitminutenvolumen (HZV) in Ruhe und unter Belastung gemessen werden. Wenn der Anstieg des Quotienten mPAP/HZV von Ruhe zu Belastung >3 mmHg beträgt, spricht man von einer belastungsabhängigen pulmonalen Hypertonie. Praktisch bedeutet dies, dass bei vermuteter belastungsabhängiger PH ein Rechtsherzkatheter in Ruhe und unter Belastung durchgeführt werden muss. Das ist ein grosser Aufwand, aber dürfte insbesondere bei PatientInnen mit Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion hilfreich sein bei der Evaluation der Ursachen der Dyspnoe.

Klassifikation der pulmonalen Hypertonie

Die Grundstruktur der klinischen Klassifikation der PH in fünf Gruppen wurde beibehalten (Tab. 2). Mit Abstand am häufigsten wird die PH durch eine Linksherzinsuffizienz verursacht, gefolgt von der PH assoziiert mit Lungenkrankheiten. Alle anderen Ätiologien sind selten. Bei der Gruppe 1, dh. der pulmonal-arteriellen Hypertonie wird bei der Untergruppe idiopathische pulmonal-arterielle Hypertonie neu unterschieden zwischen «Responders» und der «Non-responders» aufgrund der Testung der Vasoreaktivität. «Responders» können initial mit Kalziumanatagonisten behandelt werden und haben eine etwas bessere Prognose. Des Weiteren wurde die veno-okklusive Ätiologie neu der pulmonal-arteriellen Hypertonie (Gruppe 1) als Untergruppe zugeteilt.

Diagnostische Abklärung

a. Verdachtsdiagnose und allgemeines Vorgehen

Die Empfehlungen für die Abklärung bei Verdacht auf eine PH sind vollkommen neu strukturiert worden und folgen dem in der klinischen Praxis gängigen Patientenpfad. Die Empfehlungen stellen die Echokardiografie ganz in den Vordergrund der Abklärung. Bei Patienten mit Dyspnoe sollte der erstuntersuchende Arzt an eine PH als seltene Ursache der Dyspnoe denken (Abb. 1). Bei Verdacht auf eine PH soll, wie bei Verdacht auf eine kardial bedingte Dyspnoe, der Patient dem Kardiologen für eine Echokardiografie zugewiesen werden. Ergibt die Echokardiografie die mögliche oder wahrscheinliche Diagnose einer PH soll eine umfassende Abklärung, die alle Spezialuntersuchungen, welche zur Evaluation der Ätiologie nötig sind, erfolgen. In den allermeisten Fällen gehört zur Sicherung der Diagnose auch eine invasive Messung der Hämodynamik im Rechtsherzkatheter. Ebenfalls soll bei Patienten, bei den eine pulmonale Krankheit als Ursache der Dyspnoe vermutet wurde und bei denen anlässlich der pulmonalen Abklärung eine PH vermutet wird, einer Echokardiografie durchgeführt werden. Umgekehrt sollen Patienten, bei denen aufgrund der Echokardiografie die Wahrscheinlichkeit für eine PH tief ist, den Pneumologen zur weiteren Abklärung überwiesen werden (Abb. 1, Tab. 4). Die chronische thromboembolische pulmonale Hypertonie (CTEPH) soll frühzeitig gesucht werden, mit einem Perfusionsbild, z.B. V/Q Szintigraphie, SPECT-CT oder CT-Thorax mit i.v. Kontrastmittel und Dual-Energy Protokoll. Risikofaktoren für eine CTEPH sind Lungenembolie oder Thrombose in der Vorgeschichte, Tumorerkrankung, Splenektomie und hämatologische Erkrankungen.

b. Abklärung mittels Echokardiografie

Es gibt aufgrund der multiplen Ätiologien für eine PH keinen einzelnen echokardiografischen Parameter, aufgrund dessen die Diagnose einer PH zweifelsfrei gestellt werden kann. Vielmehr erlaubt die Echokardiografie mittels Messen der Flussgeschwindigkeit des trikuspidalen Regurgitationsjets (TVR) und einer sorgfältigen Suche der indirekten Zeichen einer PH die Wahrscheinlichkeit der Diagnose PH anzugeben (Tab. 4 und 5). Geschwindigkeiten <2,8 m/s sprechen gegen und Geschwindigkeiten >3,4 m/s für das Vorliegen einer PH (Tab. 4). Aus der TVR lässt sich der systolische pulmonale Druck abschätzen (TVR2x4). Dazu müsste aber der rechts-atriale Füllungsdruck bekannt sein, respektive abgeschätzt werden. Da die Abschätzung des Füllungsdrucks sehr variable Werte ergibt, empfehlen die Guidelines, dass nicht der geschätzte systolische Pulmonaldruck, sondern alleine die Geschwindigkeit des TVR zur Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer PH verwendet wird.

Zusätzlich zur Flussgeschwindkigkeit des TVR Jets geben die indirekten Zeichen für eine PH Hinweise für die Wahrscheinlichkeit einer PH. Neu wird die Bewegung des Trikuspidalanuöus als Mass für die Kontraktion des rechten Ventrikels, als indirektes Zeichen in die Empfehlungen aufgenommen. Dabei wird die tricuspidal anulus plane systolic excursion (TAPSE) gemessen und dem systolischen Pulmonaldruck gegenübergestellt. Wenn das Verhältnis TAPSE/sPAP <0.55mm/mm beträgt, spricht das für das Vorliegen einer PH (Tab. 5).

Zu beachten ist, dass, im Gegensatz zur hämodynamischen Neudefinition der PH aufgrund der invasiven Messung (mPAP >20 mmHg), der Wert von >2.8 m/s der TVR als Schwelle für die Verdachtsdiagnose für eine PH nicht verändert wurde. Es hat sich nämlich gezeigt, dass eine TVR >2.8 m/s bei 25%-35% der Allgemeinpopulation und bei >45% der aus klinischen Indikationen durchgeführten Echokardiografien vorliegt (3). Die leicht erhöhten pulmonal-arteriellen Drücke werden durch erhöhte links-atriale Füllungsdrück, Steifigkeit der Pulmonalarterien, und Remodeling der Pulmonalgefässe, wie sie insbedondere im Alter, bei Frauen und bei metabolischen Krankheiten vorkommen, verursacht (3). Der systolische Pulmonaldruck steigt mit dem Alter an und Werte bis 36 mmHg (dh. eine TVR bis 3 m/s) sind bei Personen >60 Jahre normal (4).

c. Bestätigung mittels Rechtsherzkatheter

Die Rechtsherzkatheteruntersuchung bleibt der Goldstandard für die Diagnose und Klassifikation der PH (Tab. 1). Wenn mittels Echokardiografie die Verdachtsdiganose einer PH gestellt ist, sollte eine Rechtsherzkatheruntersuchung an einem Zentrum durchgeführt werden. Die invasive Untersuchung muss eine sorgfältige Messung der Hämodynamik und der Sättigungen im pulmonalen und systemischen Kreislauf beinhalten. Eine Prüfung der Vasoreaktivität ist nur bei Patienten mit pulmonal-arterieller Hypertonie (Gruppe 1) angezeigt, um diejenigen Patienten zu finden, welche mittels Kalziumantagonisten behandelt werden können. Bei den anderen Ätiologien ist eine Vasoreaktivität nicht zu erwarten und hätte keine therapeutischen Konsequenzen. Bei Patienten mit Dyspnoe und Verdacht auf eine PH aber normaler Hämodynamik in Ruhe empfehlen die Guidelines neu eine Rechtsherzuntersuchung unter Belastung durchzuführen. Dies wird am ehesten bei Patienten mit einer Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion hilfreich sein. Eine Rechtsherzuntersuchung unter Belastung kann auch prognostische und funktionelle Informationen bei Patienten mit Verdacht auf eine pulmonal-arterielle Hypertonie (Gruppe 1) oder bei der CTEPH liefern.

Risikostratifikation

Einhergehend mit der Diagnosestellung in der Spezialsprechstunde für PH muss die Ätiologie durch verschiedene Spezialuntersuchungen eruiert werden. Im Anschluss daran soll eine Risikostratifizierung erfolgen (Tab. 3). Die Risikostratifizierung ist in den neuen Guidelines verfeinert und ausgedehnt worden. Diese Risikostratifizierung ist gut validiert für Patienten mit pulmonal-arterieller Hypertonie (Gruppe 1). Für die anderen Ätiologie besteht keine vergleichbare zuverlässige Risikoabschätzung. Es wird zwischen einem tiefen (Mortalitätsrisiko innerhalb eines Jahres <5%), einem mittleren (Mortalitätsrisiko 5-20%) und einem hohen Risiko (Mortalität >20% innert einem Jahr) unterschieden. Neben den klinischen Symptomen und Zeichen wird das Risiko mittels der funktionellen Tests (6-Minuten-Gehtest, Spiroergometrie), dem natriuretischen Peptid, der invasiv gemessenen Hämodynamik und neu auch mittels der Befunde im MRI festgelegt. Von den echokardiografischen Parameter (5) werden neu auch die Werte der systolischen Auslenkung des Trikuspidalanulus (TAPSE) einbezogen. Das Risiko an der PH zu versterben, bestimmt die Intensität der initialen Behandlung.

Behandlung

Die Behandlung der PH richtet sich nach deren Ätiologie (Tab. 2). Für die Patienten mit pulmonal-arterieller Hypertonie der Gruppe 1 (idiopathische PH, vererbte PH, PH assoziiert mit Medikamenten, Drogen, anderen Krankheiten) stehen die spezifischen vasodilatierenden Medikamente, welche über die Endothelin, die NO oder die Prostazyklin vermittelte Vasodilatation wirken, zur Verfügung. Neu wird die Therapie aufgrund des Vorliegens von anderen kardiopulmonalen Komorbiditäten modifiziert. Wenn andere kardiopulmonale Erkrankungen vorliegen, wird primär eine Monotherapie eingesetzt, wenn nicht, wird empfohlen die PH-Medikamente von Anfang an in einer Zweierkombination zu verabreichen. Beim Vorliegen eines hohen Risikos soll rasch eine Dreiertherapie begonnen werden (mit zusätzlich i.v. oder subkutan Prostazyklin Analogen). Nach 3-6 Monaten soll die Therapie überprüft und angepasst werden aufgrund einer neuen Risikoevaluation, welche die Veränderung der Dyspnoe, des 6-Minuten-Gehtests und des natriuretischen Peptids beinhaltet.

Eine orale Antikoagulation wird nicht mehr generell empfohlen. Die diuretische Therapie spielt eine wichtige Rolle in der Rechtsherzinsuffizienz, welche mit einer Hypervolämie, reduzierter renaler Durchblutung und der Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron Systems assoziiert ist. Dabei können die Schleifendiuretika gut mit anderen Diuretika, insbesondere Spironolactone kombiniert werden. Die chronische Hypoxämie verschlechtert die PH durch die zusätzliche hypoxische Vasokonstriktion. Deshalb wird eine Dauersauerstoffstherapie bereits bei einem PaO2 von <8 kPa empfohlen.

Die Empfehlungen bei Patienten mit CTEPH folgen den Entwicklungen der interventionellen und medikamentösen Therapien. Bei diesen Patienten ist eine lebenslange Antikoagulation nötig. Eine Beurteilung der Operabilität und Empfehlung für die Therapie soll im Rahmen einer interdisziplinären Besprechung stattfinden, in der Schweiz wurde vor mehreren Jahren ein nationales CTEPH Board eingeführt, welches online monatlich die Fälle diskutiert.

Wenn der Patient operabel ist, dann soll er im Hinblick auf eine pulmonale Endarteriektomie evaluiert werden. Eine solche ist möglich, wenn proximale fibrotische Obstruktionen vorliegen. Bei distalen fibrotischen Obstruktionen soll eine Ballonangioplastie der befallenen Pulmonalarterien evaluiert werden. Die Operation wird in Zürich (USZ) durchgeführt, die Ballon­angioplastie in Genf (HUG), Bern (Inselspital) und Zürich (USZ).

Für Veränderungen im mikrovaskulären Bereich stehen die spezifischen vasodilatierenden Medikamente zur Verfügung. Die beste Evidenz hat Riociguat, das via Stimulation der löslichen Guanylatzyklase die NO vermittelte Vasodilatation fördert. Schwächere Evidenz hat der Endothelinantagonist Macitentan und wird deshalb erst konditionell als Erstmedikament empfohlen. Die medikamentöse Therapie wird multimodal eingesetzt mit der chirurgischen oder interventionellen Behandlung der CTEPH.

Bei allen anderen Formen der PH wird die Behandlung der Grundkrankheit ohne Einsatz der vasodilatierenden Medikamente empfohlen. Einzig bei der schweren Form der PH aufgrund einer Lungenkrankheit empfehlen die Guidelines den vorsichtigen Einsatz spezifischer Medikamente, am besten im Rahmen von klinischen Studien. Es ist allerding anzumerken, dass in der klinischen Praxis sich zunehmend ältere Patienten (>70 Jahre) mit PH präsentieren. Bei ihnen ist oft eine genaue Unterscheidung in eine ätiologische Klasse nicht möglich, wie zum Beispiel bei Patienten mit Herzinsuffizienz mit gemischt prä- und postkapillärer Hypertonie. Evidenz für einen Nutzen der PH-Medikamente bei solchen Patienten fehlen und wir müssen entsprechende Studien abwarten. Dies gilt insbesondere für die grösste Patientengruppe mit PH assoziiert mit Linksherzinsuffizienz. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion hat sich Sildenafil jedenfalls als nicht hilfreich erwiesen (5). Bei Patienten mit Herzinsuffizienz bleibt die Guideline empfohlene Herzinsuffizientherapie die optimale Behandlung.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Charlotte Berlier

Stadtspital Zürich Waid
Pneumologie
Leiterin Sprechstunde für pulmonale Hypertonie
Tièchestrasse 99
8037 Zürich

Prof. Dr. med. Franz R. Eberli

Stadtspital Zürich Triemli
Klinik für Kardiologie
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

franz.eberli@triemli.zuerich.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die neue hämodynamische Definition setzt den mittleren pulmonalen Druck (mPAP) auf > 20mmHg als Definition der pulmonalen Hypertonie (PH).
◆ Die echokardiographische Messung der Flussgeschwindigkeit des trikuspidalen Regurgitationsjets (TVR) und die Suche der indirekten Zeichen einer PH ergibt die Wahrscheinlichkeit der Diagnose PH und die Notwendigkeit für weitere Abklärungen (insbesondere pneumologische) und die Durchführung einer Rechtsherzkatheteruntersuchung.
◆ Die Bestätigung der PH erfolgt mit der Rechtsherzkatheteruntersuchung, die spezifische PH-Therapie wird nur bei der PH Gruppe 1 und 4 eingesetzt und folgt einem komplexen Algorithmus mit regelmässigen Reevaluationen.

1. Humbert M, Kovacs G, Hoeper MM, Badagliacca R, Berger RMF, Brida M, et al. 2022 ESC/ERS Guidelines for the diagnosis and treatment of pulmonary hypertension. Eur Heart J. 2022;43(38):3618-731.
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Krebstherapie bei alten und hochbetagten Menschen

Aufgrund günstiger sozioökonomischer Bedingungen, verbessertem Gesundheitsverhalten und medizinischem Fortschritt werden in der Schweiz zunehmend mehr Menschen ein hohes und sehr hohes Alter bei relativer Gesundheit erreichen. Da im Alter die Krebsinzidenz steigt, stellt sich zwangsläufig bei immer mehr alten und sehr alten Menschen die Frage nach einer an das Alter angepassten Krebsbehandlung. Krebsbehandlungen alter und sehr alter Menschen stellen eine besondere Herausforderung dar, erfordern eine interdisziplinäre und interprofessionelle Kooperation ebenso wie eine enge Vernetzung zwischen stationären und ambulanten Diensten, betreuenden Bezugspersonen und Hausärzten. Solche strukturellen Angebote fehlen in der Schweiz derzeit jedoch noch weitgehend.

Due to favorable socioeconomic developments, healthier life-styles and improved medical care, more individuals will live to old or very old age in Switzerland while being relatively healthy. As the cancer incidence increases with advancing age, more patients will require decisions regarding cancer treatments. Cancer treatments of old or very old people are particularly challenging and require close interdisciplinary and interprofessional collaboration as well as a closely knit network of hospital and ambulatory services. These necessary structures are largely lacking in Switzerland.
Key Words: demographics, geriatric assessment, geriatric health services, oncology, review

Demographische Entwicklung und Onkologie

Die Lebenserwartung in der Schweiz liegt mit ca. 84 Jahren innerhalb der OECD-Länder im Spitzenbereich und ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen. Die mehr als 47’000 Krebsneuerkrankungen in der Schweiz im Jahr 2020 betrafen zu über 60% Menschen, die älter als 65 Jahre waren (Abb. 1). Besonders auffällig ist die Zunahme der Krebserkrankungen bei hochbetagten Patienten über 85 Jahren. Somit wird die Mehrheit onkologischer Behandlungen zwangsläufig im Gebiet der Geriatrischen Onkologie durchgeführt, mit den alterstypischen Herausforderungen dieses Patientenkollektivs. Vor allem Hochbetagte – nach den meisten Definitionen sind das sehr alte Menschen über 85 Jahre – sind dem Risiko sowohl einer Über- wie einer Untertherapie ausgesetzt. Daher erfordert die Betreuung dieser Patienten eine enge interdisziplinäre und interprofessionelle Kooperation.

Auch wenn die Erfolge neuer onkologischer Therapien sich in der Regel bei alten Menschen nur langsam in verbessertem Überleben niederschlagen (Abb. 2), muss in den kommenden Jahren ähnlich wie in den USA auch in der Schweiz mit einer zunehmenden Zahl an Überlebenden nach erfolgreicher Krebstherapie («Cancer Survivors») gerechnet werden (Abb. 3). Gerade bei alten und hochbetagten Cancer Survivors addieren sich altersassoziierte und therapiebedingte Einschränkungen. Dies muss sowohl bei der Therapieauswahl als auch bei der Nachsorge berücksichtigt werden.

Dennoch darf «Alter» nicht allein als chronologisches Phänomen betrachtet werden, vielmehr steht das «biologische Alter» eines Menschen im Mittelpunkt onkologischer Betreuung. So können onkologische Therapieentscheidungen bei chronologisch alten oder hochbetagten Menschen in gutem Allgemeinzustand und ohne Komorbiditäten denen einer sehr viel jüngeren Alterskohorte entsprechen.

Herausforderungen onkologischer Therapie im Alter

Klinische Studien zeigen, dass alte und hochbetagte Patienten bei Einsatz einer ggf. an das Alter angepassten Standardtherapie vergleichbare Erfolgschancen in Bezug auf Ansprechen und Überleben haben können wie Jüngere. Dem entspricht, dass alte und hochbetagte Patienten meist auch dieselben Hoffnungen und Erwartungen an eine Therapie haben wie Jüngere, auch wenn die Erfolge einer Therapie oft überschätzt werden (1). Dennoch sind vor allem Hochbetagte im Alltag in vielerlei Hinsicht gerade gegenüber unerwünschten Wirkungen einer Krebstherapie vulnerabler als klinische Studien dies vermuten lassen, in denen alte und hochbetagte Patienten aufgrund strikter Einschlusskriterien häufig unterrepräsentiert sind. Gebrechlichkeit («Frailty») als eine Konsequenz eines physiologischen Altersprozesses in Kombination mit durch Komorbiditäten verursachten Einschränkungen führt zwangsläufig zu einer verminderten Resilienz selbst gegenüber bei Jüngeren vergleichsweise gering ausgeprägten Nebenwirkungen onkologischer Therapien (Abb. 4) (2).

Komorbiditäten

Mit zunehmendem Alter limitieren häufige Komorbiditäten wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus, chronische Niereninsuffizienz u.a. die Möglichkeiten onkologischer Therapien. Zudem muss beurteilt werden, inwieweit Komorbiditäten oder die Krebserkrankung voraussichtlich das lebensbegrenzende Ereignis darstellen werden. Bei schwerwiegender Komorbidität und eingeschränkter Lebenserwartung muss der potentielle Nutzen einer onkologischen Behandlung gegenüber möglicher Toxizität und dem daraus resultierenden Verlust an Lebensqualität individuell abgewogen werden. Eine häufig anzutreffende Schwerhörigkeit limitiert die Kommunikation und erschwert die Betreuung zusätzlich. Kognitive Einschränkungen oder dementielle Erkrankungen sind mit zunehmendem Alter häufig und im klinischen Alltag nicht immer sofort zu erkennen. Beide Faktoren erschweren die Einbindung der Betroffenen in die Therapieentscheidung im Sinne eines «Shared Decision Making» erheblich.

Funktionelle Einschränkungen

Mit zunehmendem Alter sind Organfunktionen u.a. von Herz, Leber, Lunge und Niere zunehmend eingeschränkt, was klinisch inapparent sein kann. Häufig wird erst unter der Belastung einer onkologischen Therapie eine bereits eingeschränkte Nierenfunktion oder eine Herzinsuffizienz manifest. Ein «normales» Serumkreatinin kann bei Hochbetagten bereits eine erhebliche Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) darstellen. Ein Verlust an Muskelmasse («Sarkopenie») ist bei Hochbetagten häufig und geht nicht zwangsläufig mit einem Gewichtsverlust oder einem geringen «Body Mass Index» (BMI) einher. Eine Sarkopenie wird im klinischen Alltag häufig unterschätzt, limitiert jedoch die körperlichen Reserven und Widerstandsfähigkeit bzw. Resilienz hochbetagter Menschen und ist neben anderen Ursachen für eingeschränkte Mobilität ein wichtiger Risikofaktor für eine reduzierte Selbsthilfefähigkeit und Stürze. Zusammen mit zunehmend eingeschränkten Organfunktionen führt eine Verschiebung der Körpermasse zu Gunsten eines höheren Fettanteils bei Älteren und Hochbetagten zu einer veränderten Pharmakinetik. So kann die gleiche Dosis eines Zyto-statikums bezogen auf die Körperoberfläche bei Hochbetagten in einem Vielfachen der Medikamentenexposition («Area-under-the-Curve» (AUC)) im Vergleich zu Jüngeren resultieren.

Polypharmazie

Ältere Menschen mit Krebs sind in der Mehrzahl bereits aufgrund einer Polypharmazie (≥ fünf dauerhaft verordnete Medikamente) sowohl einem höheren Risiko an unerwünschten Arzneimittelwirkungen ausgesetzt als auch einem deutlich erhöhten Risiko von Arzneimittelinteraktionen (3). Die veränderte Pharmakokinetik älterer Menschen und eine häufig praktizierte nicht-verschreibungspflichtige und/oder komplementärmedizinische Eigenmedikation verstärken diesen Effekt. Komplexe Medikationsschemata und häufige Umstellungen von Medikamenten, z.B. beim Übergang von stationärer zu ambulanter Versorgung, überfordern zudem regelhaft die Fähigkeit zur Therapieadhärenz. Das Zusammentreffen dieser und weiterer Faktoren schränken die Möglichkeiten vor allem oraler Krebstherapien deutlich ein.

Soziales Umfeld

Die grösste Herausforderung bei der Betreuung Älterer und Hochbetagter stellt sich für Angehörige von Pflegeberufen und pflegenden Angehörigen. Da Krebspatienten zumeist ambulant betreut werden, werden die Belastungen pflegender Angehöriger oft nicht erkannt. Unterstützende Ehepartner sind in der Regel selbst betagt, Kinder wohnen häufig nicht vor Ort oder sind im Konflikt zwischen Berufstätigkeit und eigener Familie. Abhängigkeiten bei Körperpflege und Alltagsverrichtungen, eine erhöhte Inzidenz von Inkontinenz, Stürzen und deliranten Reaktionen als unerwünschte Wirkung medikamentöser Therapien sowie die Folgen von Schwerhörigkeit oder prä-existierenden kognitiven Einschränkungen, z.B. bei der Medikamenteneinnahme, weisen pflegenden Angehörigen und anderen ambulant Pflegenden eine zentrale Rolle bei der Betreuung dieser Patientengruppe zu. Dies erfordert bei den Pflegeberufen – wie auch bei den anderen Berufsgruppen – eine entsprechende Qualifikation sowohl im Bereich onkologischer als auch geriatrischer Pflege. Bei der Mitversorgung älterer Tumorpatienten durch pflegende Angehörige ist es essentiell, diese von Anbeginn an in das Therapiekonzept und in die Entscheidungsprozesse einzubinden. Eine Einbindung und enge Vernetzung mit ambulanten Pflegediensten und Hausärzten sollte ebenfalls frühzeitig erfolgen.

Ziele onkologischer Therapie im Alter

Die klassischen Studienendpunkte wie Ansprechraten, progres­sionsfreies Überleben und Gesamtüberleben sind selbstverständlich auch für alte und hochbetagte Patienten relevant, verlieren aber gerade bei Hochbetagten an Bedeutung. Mit zunehmendem Alter stehen Faktoren wie Symptomkontrolle, Lebensqualität und Erhalt der Alltagsselbstständigkeit noch stärker im Vordergrund als bei Jüngeren. Die Zufriedenheit älterer Patienten mit der Behandlung kann und sollte bei Studien in einem geriatrischen Patientenkollektiv als eigenständiger Endpunkt in die Beurteilung des Gesamtnutzens einer Behandlung (z.B. in Form von «Overall Treatment Utility») im Sinne von «Patient Reported Outcomes» (PRO) einbezogen werden (4).

Geriatrisches Assessment

Die Abschätzung spezifischer Einschränkungen bei hochbetagten Krebskranken mittels standardisierter Tests wurde der Geriatrie entlehnt und ist für die Onkologie modifiziert worden. Die Ziele eines «Comprehensive Geriatric Assessment» (CGA) sind in Tabelle 1 dargestellt. Ein CGA ist eine multidimensionale Beurteilung eines alten und/oder hochbetagten Menschen (Tab. 2) (5). Neben den zumeist in der Geriatrie zur Anwendung kommenden zeitaufwändigen Verfahren existieren verschiedene Kurzversionen («Geriatrisches Screening»), die im onkologischen Alltag gut und mit geringem Zeitaufwand einsetzbar sind (6-10). Dies setzt allerdings voraus, dass die Ergebnisse aus dem geriatrischen Screening bzw. dem CGA für die weitere Betreuung im klinischen Alltag auch umgesetzt werden.

Entwicklung in der Schweiz

Die speziellen Bedürfnisse älterer und hochbetagter Menschen finden im klinischen Alltag in der Schweiz noch ungenügend Berücksichtigung. Eine enge interprofessionelle Betreuung durch Onkologen, Geriater, Pflegende, Physiotherapeuten und Sozialarbeiter in speziellen Teams oder Sprechstunden mit Fokus auf die Betreuung alter und hochbetagter Menschen mit Krebs ist noch immer selten. Eine Gruppe bestehend aus interessierten Pflegenden, Geriatern und Onkologen hat sich als «Swiss Geriatric Oncology Group» jüngst zusammengeschlossen und verfolgt das Ziel, die Betreuung dieser vulnerablen Patientengruppe durch die Entwicklung zielgerichteter Strategien und die Zusammenarbeit mit Fachorganisationen wie der Schweizer Arbeitsgemeinschaft für Krebsforschung (SAKK) und der International Society of Geriatric Oncology (SIOG) zu verbessern.

Mitglieder der «Swiss Geriatric Oncology Group» in alphabetischer Reihenfolge:
Jörg Beyer (Bern), Diana Chiru (Baselland), Vérène Dougoud (Fribourg), Regina Fretz (Baden), Jan Gärtner (Basel), Michael Gagesch (Zürich), Friedmann Honecker (St. Gallen), Anita Margulies (Zürich), Wiebke Rösler (Zürich), Mathias Schlögl (Barmelweid), Sabine Valenta (Basel), Marcus Vetter (Baselland), Kathrin Vollmer (Thun).

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Prof. Dr. med. Jörg Beyer

Universitätsklinik für Medizinische Onkologie
Inselspital, Universitätsspital Bern, Universität Bern
Freiburgstrasse 41
3010 Bern

Dr. med. Mathias Schlögl, MPH, EMBA HSG

Department für Innere Medizin
Abteilung für Akutgeriatrie, Geriatrische Rehabilitation & Langzeitpflege
5017 Barmelweid

mathias.schloegl@waid.zuerich.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Aufgrund der demographischen Entwicklung nimmt die Zahl alter und sehr alter Menschen mit Krebs zu.
◆ Die Betreuung alter und sehr alter Menschen mit Krebs stellt besondere Herausforderungen an das Behandlungsteam und die betreuenden Bezugspersonen.
◆ In der Schweiz ist die Versorgung dieser Patientengruppe noch
unzureichend strukturiert. Die notwendige enge Verzahnung der an der Versorgung beteiligten Diensten und Einrichtungen fehlt.
◆ Weiterbildungen für alle Berufsgruppen sowie Studienaktivitäten in dieser
besonders vulnerablen Patientengruppe sind dringend erforderlich.

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5. Outlaw D, Abdallah M, Gil-Jr LA et al. The evolution of geriatric oncology and
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