Wie behandle ich Patienten mit einem kardiovaskulären Hochrisikoprofil?

Bei einem 71-jährigen Patienten ist seit 20 Jahren ein Typ 2 Diabetes mellitus bekannt. Zudem leidet der Patient unter einer koronaren 2-Gefässerkrankung mit leicht eingeschränkter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF 49 %). Als weitere Diagnose hat der Patient eine chronische Nierenerkrankung (GFR 48 ml/min), DD im Rahmen einer diabetischen Nephropathie. Der BMI des Patienten beträgt 31.8 kg/m2. Seine antidiabetische Therapie besteht aus Metformin, dem DDP4 Inhibitor Sitagliptin (Januvia), dem GLP1 Analogon Semaglutid (Ozempic) sowie Insulin degludec (Tresiba). Damit erreicht der Patient ein HbA1c von 6.9%.

Wichtiges aus der persönlichen Anamnese

Diagnose Diabetes mellitus vor 20 Jahren mit aktuell guter Blutzucker-Einstellung (HbA1c 6.9%) unter einer Therapie mit Janumet, Ozempic und Tresiba. Der Patient hat jedoch ein hohes kardiovaskuläres Risikoprofil mit den Risikofaktoren Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2, Hypercholesterinämie und arterieller Hypertonie. Er hat in der persönlichen Anamnese eine koronare 2-Gefäss­erkrankung, leicht eingeschränkte Herzfunktion und eine chronische Niereninsuffizienz.

Fragestellungen

  • Kann die antidiabetische Therapie optimiert werden?
  • Braucht es hierfür eine spezielle Kostengutsprache?

Schlussfolgerungen

Der Patient weist ein hohes kardiovaskuläres Risiko auf. Der Patient könnte in Bezug auf renale und kardiovaskuläre Endpunkte von einer zusätzlichen Therapie mit einem SGLT2- Hemmer profitieren (insbesondere in Hinblick auf die Nieren- und Herzinsuffizienz). Eine Kombinationstherapie GLP1 Analogon/ SGLT2 Hemmer setzt eine Kostengutsprache von der Krankenkasse voraus.

Vorgeschlagene Massnahmen und Therapie

Beantragung einer Kostengutsprache für eine Kombinationstherapie GLP1 Analogon/ SGLT2 Hemmer
Wenn diese vorliegt, würde die antidiabetische Therapie des Patienten wie folgt angepasst:

  • Stoppen von Janumet
  • Anstelle davon Kombinationspräparat Metformin/ SGLT2 Hemmer (z.B. Xigduo 10/1000 1-0-0) (CAVE bei GFR 48 ml/min maximale Tagesdosis von Metformin von 1000mg)
  • Semaglutid kann bei guter Verträglichkeit auf 1mg wöchentlich erhöht werden
  • Tresiba 14 E vorerst weiter, je nach Therapieansprechen evtl. Reduktion der Dosis im Verlauf

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

PD Dr. med. Claudia Cavelti-Weder

Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

Die Autorin hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Onychomykose – Diagnostik und Therapie in Kürze

Die Onychomykose ist eine global häufig vorkommende Erkrankung mit einer altersabhängigen Prävalenz von 10% der Allgemein­bevölkerung bis hin zu 50% der > 70-Jährigen und stellt die Hälfte aller Nagelpathologien dar (1). Auslöser sind in den meisten Fällen anthropophile Dermatophyten, hiervon der Grossteil (ca. 80 % der Fälle) durch Trichophyton rubrum (2). Die Onychomykose ist in ihrem klinischen Erscheinungsbild häufig durch gelb-braune flammenförmige Nagelinvasion (yellow streaks, Abb. 1) charakterisiert. Die Unterscheidung in distolaterale-subunguale (DSO), weisse superfizielle (WSO), proximal-subunguale (PSO) sowie total-dystrophische Onychomykose (TDO) ist bezüglich Abklärung und Therapie relevant (Tab. 1, Abb. 2). Die Behandlung der Onychomykose stellt häufig eine Herausforderung dar.

Onychomycosis is a globally common disease with an age-dependent prevalence ranging from 10% of the general population to 50% of >70-year-olds and represents half of all nail pathologies (1). Triggers are in most cases anthropophilic dermatophytes, of which the majority (about 80% of cases) are caused by Trichophyton rubrum (2). The clinical appearance of onychomycosis is often characterized by yellow-brown flame-like nail invasion (yellow streaks, Abb. 1). The differentiation into distolateral-subungual (DSO), white superficial (WSO), proximal-subungual (PSO) and total dystrophic onychomycosis (TDO) is relevant with regard to diagnostics and therapy (Tab. 1, Abb. 2). The treatment of onychomycosis is often challenging.
Key Words: Onychomycosis, anthropophilic dermatophytes, yellow streaks

Einleitung

Die Nagelbeteiligung bei nicht infektiösen Erkrankungen wie Psoriasis, Lichen ruber planus oder Alopezia areata können eine Onychomykose imitieren. Der wichtigste Schritt zur adäquaten Behandlung der Onychomykose ist deshalb der Erregernachweis, um dem Patienten im (eventuell wiederholt) negativen Fall unnötige, langwierige und kostenintensive Behandlungen zu ersparen. Trichophyton rubrum und Trichophyton mentagrophytes sind in Europa derzeit die häufigsten Erreger der Onychomykose (4). Aber auch seltenere Dermatophyten wie z.B. Epidermophyton floccosum können eine dermatophytäre Onychomykose auslösen. Weniger häufig wird eine Onychomykose auch durch Hefepilze oder Schimmelpilze ausgelöst. Hierbei handelt es sich vorwiegend um Candida parapsilosis, Candida albicans, respektive Fusarium spp., Acremonium, oder Scopulariopsis brevicaulis. Letzterer kann zu einer bräunlichen zimtfarbenen Verfärbung durch die Pigmentierung der Pilzsporen im Nagelkeratin führen. All diesen seltenen Erregern ist gemein, dass sie äussert therapieresistent sind und eine hohe Rezidivrate aufweisen. Bei Candida-Onychomykose sollte (wie auch bei einer proximalen subungualen Onychomykose) nach einer Immunsuppression (HIV, hämatologische Neoplasien etc.) gesucht werden.

Diagnostik

Zur Diagnostik der Onychomykose stehen verschiedene Labortechniken zur Verfügung. Eventuell schon begonnene Vortherapien mit topischen Antimykotika sollten über einen Zeitraum von 2 Monaten, systemische Antimykotika über 3 Monate vor der Probenentnahme abgesetzt werden, um einen Erregernachweis zu ermöglichen.

Die Mikroskopie des Direktpräparats (z.B. mit KOH) und die Kultur (z.B. 4% Sabouraud-Glucose-Agar) haben nach wie vor eine hohe Relevanz, letztere gilt weiterhin als Goldstandard. Sie benötigen aber Erfahrung, Zeit und eine geübte Abnahmetechnik. Der erkrankte Nagel sollte vor der Probenentnahme zunächst mit 70-100%igem Alkohol desinfiziert werden, damit eine bakterielle Kontamination der Kultur vermieden wird. Es sollte reichlich betroffenes Nagelmaterial in feinen Spänen gewonnen werden. Neben der subungualen Probengewinnung bei der sehr häufigen disto-lateralen subungualen Onychomykose ist auch die Fräsung des betroffenen Nagelanteils (mit Gewinnung von feinem Nagelspänen) eine sinnvolle diagnostische und auch adjuvante therapeutische Option. Bei weisser superfizieller Onychomykose sollte das oberflächlich betroffene Nagelmaterial mit z.B. einer Kürette gewonnen werden, bei der seltenen proximalen subungualen Onychomykose ist eine Punchbiopsie zur Materialgewinnung zu erwägen. Das Kulturergebnis ist nach ca. 2 – 4 Wochen zu erwarten und kann im Gegensatz zur Direktmikroskopie, Histopathologie (PAS-Färbung) oder modernen Nachweismethoden (PCR oder MALDI-TOF) einen vitalen Erregernachweis erbringen. Die Sensitivität beträgt bei nicht vorbehandelter Onychomykose bei der Histopathologie 82%, bei der Kultur 53% und bei der Direktmikros­kopie 48%, bei vorbehandelten Patienten respektive 88%, 33% und 50% (5), weshalb bei negativer Kultur, jedoch persistierendem klinischen Verdacht eine Punchbiopsie zur Nagelentnahme sinnvoll sein kann vor monatelanger antimykotischer Therapie.

Seit einiger Zeit steht auch ein molekularbiologischer DNA-Nachweis mittels PCR zur Verfügung, die das Ergebnis deutlich schneller, im Idealfall bereits innert eines Tages, liefern kann. Hierbei gilt es jedoch zu bedenken, dass die PCR bisher meist nur ein limitiertes, vordefiniertes Erregerspektrum untersucht (das konkrete Spektrum kann von Labor zu Labor variieren und sollte vorab dem Untersucher bekannt sein) und der DNA-Nachweis keine Aussage über die biologische Aktivität und Vitalität der Erreger erlaubt. Die MALDI-TOF-Technik (Matrix-assisted laser desorption time-of-flight-Massenspektrometrie) bleiben spezialisierten Laboratorien vorbehalten und erlauben ebenfalls keine Aussage über die Vitalität des nachgewiesenen Erregers.

Lokaltherapie (topische Therapie)

Zu Beginn der Therapie nach Vorliegen des positiven Kulturergebnisses sollte zunächst der klinisch betroffene Nagelanteil zur Verringerung der Sporen- und Myzellast soweit wie möglich entfernt werden. Hierfür kann bei rein distaler (DSO) Nagelinfektion der Nagel einfach abgeschnitten werden. Sobald der Befall sich weiter nach proximal fortsetzt und die Nagelplatte zudem verdickt ist, ist eine Fräsung zur Abflachung des Nagels und zur Verbesserung der Wirkstoffaufnahme z.B. im Rahmen einer podologischen Behandlung vor Beginn einer Lokaltherapie mit einem antimykotischen Nagellack vorteilhaft. Auch eine Nagelentfernung durch Aufweichung des Nagels mit 40 – 50%iger Harnstoffsalbe ist in Absprache mit dem Patienten zu erwägen (kommerziell erhältlich ± Antimykotikum, in der Schweiz z.B. Onyster® Nagelsalbe oder Canesten® extra Nagelset, in der Regel nicht via Krankenkasse getragen). Es ist darauf zu achten, dass die keratolytische Harnstoffsalbe lediglich auf den Nagel appliziert wird, damit Mazerierung/Entzündungen der umliegenden Haut vermieden werden. Zum Schutz sollte ein Pflaster oder Klebefolie über die Salbe angebracht werden, so dass die Salbe auf dem Nagel verbleibt und die Haut geschützt wird. Die Salbe muss, je nach Nageldicke, ca. 2 Wochen für dünne Nägel und bis zu 4 Wochen für dicke Nägel, kontinuierlich, d.h. ganztägig, angewandt werden, da es bei Absetzen bereits nach wenigen Stunden zu einem erneuten Aushärten des Nagels kommt (ein kurzes Entfernen der Salbe zum Duschen ist unproblematisch). Nach adäquatem Anwendungszeitraum kann der weich gewordene Nagelanteil mit einem mitgelieferten Spatel oder mittels Schere weitgehend entfernt und die Therapie mit einem topischen Antimykotikum (s.u.) fortgesetzt werden.

Eine früher in Lokalanästhesie oft durchgeführte chirurgische Entfernung (Avulsion) des infizierten Nagels mit speziellem extrahierendem Nagelwerkzeug gilt heute als weitgehend obsolet und sollte nur noch in wenigen individuellen Ausnahmefällen eingesetzt werden. Zum einen sind postoperative bakterielle Infektionen der Nagelmatrix und Nagelbetts nicht selten, darüber hinaus bleibt die Nagelmatrix bei Matrixbefall auch nach Nagelextraktion mit Myzel infiziert. Oft werden die Nagelmatrix und das Nagelbett im Rahmen einer Extraktion irreparabel geschädigt und es resultiert ein dauerhaft verformtes Nagelwachstum (permanente Onychodystrophie).

Nach Entfernung der infizierten Nagelanteile sollte die antimykotische Therapie initiiert werden. Als Faustregel gilt, dass bei einem distalen Befall bis zu 50% der sichtbaren Nagelplatte eine alleinige topische Therapie häufig ausreicht. Bei Therapieresistenz oder bei einem Befall von mehr als 50% der Nagelplatte ist die Kombination von topischer mit systemischer Therapie empfohlen (6).

Die Lokaltherapie sollte sowohl den noch bestehenden Nagel, als auch das ggf. durch die Nagelablösung freiliegende Nagelbett sowie die Nagelfalze behandeln. Hierfür stehen für den verbliebenen Nagelanteil Nagellacke und für das freiliegende Nagelbett Cremes mit unterschiedlichen Wirkstoffen zur Verfügung. Die in Europa verbreiteten topischen antimykotischen Breitspektrum-Wirkstoffe (mit Wirksamkeit auf Dermatophyten, Hefen und Schimmelpilze) umfassen vorwiegend Amorolfin, welches als Acryllack eins bis zweimal pro Woche auf den Nagel (nicht jedoch auf die Haut) aufgetragen wird und bei dem vor erneutem Auftragen die vorherige Schicht wieder abgelöst werden muss, sowie Ciclopirox, welches mindestens einmal täglich nach dem Duschen (bei Wasserkontakt häufiger) als meist wasserlöslicher Nagellack (Hydrolack) sowohl auf den Nagel als auch auf die Haut aufgetragen wird, ohne dass die vorherigen Lackschichten entfernt werden müssen. Zur Behandlung des Nagelbetts (nicht jedoch des Nagels) stehen diverse Wirkstoffe in Form von Cremes zur Verfügung (Terbinafin, Miconazol, Ciclopirox, Bifonazol u.a.). Neuere topische Antimykotika wie Efinaconazol (welches sowohl auf dem Nagel als auch auf der Haut angewendet werden kann und eine verbesserte Permeation aufweist), Tavaborol (auch hier mit verbesserter Permeation) oder Tioconazol sind in der Schweiz nicht zugelassen. Andere Medikamente, wie z.B. Luliconazol, ME1111 oder K101 Nail Solution, sind aktuell erst in Entwicklung.

In zwei Studien mit 490 Teilnehmern ergab sich eine qualitativ moderate Evidenz, dass Ciclopirox 8% Hydrolack wirksamer ist als Ciclopirox 8% Acryllack oder Amorolfin 5% Acryllack bezüglich Heilungsrate (7). In einer weiteren Studie, bei der Ciclopirox 8% Hydrolack mit 5% Amorolfin Acryllack bei milder bis moderater Onychomykose verglichen wurden, zeigt sich ebenfalls eine Überlegenheit von Ciclopirox 8% Hydrolack (Komplette Heilungsrate 35% vs. 11.7%) (8).

Systemische Therapie

Systemisch wird aufgrund der guten Wirksamkeit und der guten Verträglichkeit meist das fungizide und fungistatische Terbinafin favorisiert. Hierbei gilt es zu beachten, dass Terbinafin nur für Onychomykosen durch Fadenpilze (nicht jedoch Onychomykosen durch Hefen oder Schimmelpilze) empfohlen ist, so dass ein Erregernachweis vor Therapiebeginn vorliegen sollte. Falls es sich um eine Dermatophytose handelt, ist das Allylamin Terbinafin anderen klassendifferenten Wirkstoffen, wie Itraconazol und Fluconazol, bezüglich Wirksamkeit überlegen (9). Die Anwendung einer kontinuierlichen täglichen Einnahme zeigte zumindest keine konsistenten Vorteile gegenüber einer günstigeren und besser verträglichen Intervalltherapie (9) (Tabelle 2). Man geht davon aus, dass dies durch die lange Verweildauer und Akkumulation von Terbinafin in der Nagelmatrix zu erklären ist.

Häufig eingesetzte systemische Breitspektrum-Antimykotika (mit Wirksamkeit auch gegenüber Hefen und einigen Schimmelpilzen) sind die Azole Itraconazol sowie Fluconazol. Bei beiden Wirkstoffen ist allerdings häufiger mit Nebenwirkungen und Interaktionen zu rechnen als bei Terbinafin.

Das fungistatische Itraconazol penetriert ebenfalls schnell in die Nagelplatte und bleibt auch noch über einen Zeitraum bis zu 6 – 9 Monaten nach Einnahme nachweisbar. Die Wirksamkeit auf Dermatophyten ist geringer als bei Terbinafin (10). Es benötigt jedoch zur intestinalen Aufnahme ein saures gastrales Milieu, so dass es bei gleichzeitiger Einnahme von Protonenpumpenhemmern oder bei anderweitiger Achlorhydrie schlecht absorbiert werden kann. Die Aufnahme kann durch Getränke mit einem sauren pH-Wert wie z.B. Orangensaft (nicht Grapefruitsaft aufgrund der einige Tage andauernden irreversiblen CYP3A4 Hemmung) gefördert werden. Itraconazol darf zudem nicht zusammen mit Statinen aufgrund des Risikos einer Rhabdomyolyse gegeben werden. Auch die zeitgleiche Einnahme von Chinidin sollte aufgrund des erhöhten Risikos für ventrikuläre Tachykardien vermieden werden. Aufgrund der Eigenschaften von Itraconazol als Substrat und Inhibitor des hepatischen Enzyms CYP3A4 und von Arzneistoff-Transporter-Glykoproteinen zeigt der Wirkstoff ein grosses Interaktionspotential. Eine individuelle Evaluation in Zusammenschau mit der Medikamentenliste des zu behandelnden Patienten ist in jedem Fall notwendig. Bei Herz­insuffizienz und/oder Lebererkrankungen ist es kontraindiziert.

Das fungistatische Fluconazol penetriert die Nagelplatte langsamer (innerhalb von 2 Wochen) und persistiert bis 3-6 Monate nach Therapieende im Nagel. Studiendaten zeigen jedoch, dass Fluconazol sowohl Itraconazol als auch Terbinafin bzgl. Wirksamkeit bei Dermatophyteninfektionen unterlegen ist (10). Das Interaktionspotential ist kleiner als bei Itraconazol, muss jedoch auch individuell evaluiert werden.

Andere Antimykotika wie VT-1161 werden aktuell in klinischen Studien untersucht.

Für alle systemischen Antimykotika werden Laborkontrollen, insbesondere Leberwertkontrollen vor Therapiestart und nach 4-6 Wochen Therapie empfohlen. Zudem müssen zwingend Interaktionschecks mit der Begleitmedikation durchgeführt werden.

Es gilt generell, dass die Kombination von Lokal- und Systemtherapie effektiver ist, als die Monotherapie (11). Wir empfehlen dennoch die Erwartungshaltung der Patienten nicht zu hoch zu halten, da die in Studien erhobenen Heilungsraten von Terbinafin, Itraconazol und Fluconazol klinisch bei 81.3%, 77.8% und 37.5% bzw. mykologisch bei 75%, 61.1% und 31.2% lagen (10).

Zusammenfassend ist die systemische Therapie nur zu vertreten, wenn ein klarer Erregernachweis, idealerweise mittels Kultur, erfolgt ist und eine kombinierte Therapie aus Erregerlast-Entfernung sowie adäquater kombiniert topisch-systemischer Therapie durchgeführt wird und der Therapieerfolg genau (foto-)dokumentiert wird. Ein Therapieabbruch sollte nach adäquater Frist, z.B. nach 6 Monaten, erwogen werden, wenn kein Ansprechen erkennbar ist. In diesem Fall sollte die Prüfung von Differenzialdiagnosen, insbesondere in Hinblick auf Malignome des Nagelapparats mit allfälliger sekundärer Onychomykose, erfolgen.

Nicht-medikamentöse Behandlungsoptionen wie Laser, photodynamische Therapie PDT oder Iontophorese sind zwar beschrieben, jedoch fehlen hierzu verlässliche Studiendaten um einen breiten Einsatz zu rechtfertigen. Zudem sind diese keine Pflichtleistungen der Krankenkassen. Die Therapien können in Einzelfällen erwogen werden, in denen eine antimykotische Pharmakotherapie aus bestimmten Gründen kontraindiziert ist, oder bei jenen Patienten, bei denen die bisherigen Therapien nicht erfolgreich waren.

Voraussichtlich Mitte 2022 wird es eine Überarbeitung der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinische Gesellschaften) Leitlinie zur Onychomykose geben (4, 19), bei welcher einer der Autoren (JM) aktiv als Vertreter der Schweiz involviert ist.

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Dr. med. Christin Pelzer

Universitätsspital Zürich
Dermatologische Klinik
Rämistrasse 100
8091 Zürich

Dr. med. Johannes Mayer

Polipraxis Herisau
Dermatologie
Gossauerstrasse 24
9100 Herisau

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Antonio Cozzio

Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
Haus 20
9007 St. Gallen

antonio.cozzio@kssg.ch

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert

◆ Zunächst den Erreger sichern, bei wiederholt negativem Ergebnis unbedingt andere Differentialdiagnosen in Betracht ziehen und
ausschliessen (Biopsie anstreben).
◆ In einem ersten Schritt die Pilzlast maximal reduzieren (d.h. betroffenes Nagelmaterial so vollständig wie möglich entfernen).
◆ Die Kombination von Therapiemodalitäten (mechanische Nagelmate­rialentfernung, topische und systemische Therapie, ggf. physikalisch) bringt mehr Erfolg als Monotherapien.

 

1. Thomas J. Toenail onychomycosis: an important global disease burden. J Clin Pharm Ther. oct 2010;35(5):497-519.
2. Sigurgeirsson B, Baran R. The prevalence of onychomycosis in the global population – A literature study. J Eur Acad Dermatol Venereol JEADV. 28 nov 2013
3. Baran R, Hay RJ. Nouvelle classification clinique des onychomycoses [New clinical classification for onychomycoses]. J Mycol Med. 2014 Dec;24(4):247-60.
4. https://dmykg.ementals.de/wp-content/uploads/2015/08/Onychomykose.pdf, accessed on 26/03/2022
5. Wilsmann-Theis D, Sareika F, Bieber T, Schmid-Wendtner MH, Wenzel J. New reasons for histopathological nail-clipping examination in the diagnosis of onychomycosis. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2011 Feb;25(2):235-7
6. Lecha M, Effendy I, Feuilhade de Chauvin M, Di Chiacchio N, Baran R; Taskforce on Onychomycosis Education. Treatment options–development of consensus guidelines. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2005 Sep;19 Suppl 1:25-33
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8. Iorizzo M, Hartmane I, Derveniece A, Mikazans I. Ciclopirox 8% HPCH Nail Lacquer in the Treatment of Mild-to-Moderate Onychomycosis: A Randomized, Double-Blind Amorolfine Controlled Study Using a Blinded Evaluator. Skin Appendage Disord. 2016 Feb;1(3):134-40.
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10. Arca E, Taştan HB, Akar A, Kurumlu Z, Gür AR. An open, randomized, comparative study of oral fluconazole, itraconazole and terbinafine therapy in onychomycosis. J Dermatolog Treat. 2002 Mar;13(1):3-9.
11. Effendy I, Mayer J, Nenoff P, et al. Kombinationstherapie von schweren Onychomykosen – Empfehlungen eines Expertengremiums. Akt Dermatol 2020; 46(07): 311-318
12. Drake LA, Shear NH, Arlette JP, Cloutier R, Danby FW, Elewski BE, Garnis-Jones S, Giroux JM, Gratton D, Gulliver W, Hull P, Jones HE, Journet M, Krol AL, Leyden JJ, Maddin SC, Ross JB, Savin RC, Scher RK, Sibbald GR, Tawfik NH, Zaias N, Tolpin M, Evans S, Birnbaum JE, et al. Oral terbinafine in the treatment of toenail onychomycosis: North American multicenter trial. J Am Acad Dermatol. 1997 Nov;37(5 Pt 1):740-5
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15. Darkes MJ, Scott LJ, Goa KL. Terbinafine: a review of its use in onychomycosis in adults. Am J Clin Dermatol. 2003;4(1):39-65.
16. Scher RK, Breneman D, Rich P, Savin RC, Feingold DS, Konnikov N, Shupack JL, Pinnell S, Levine N, Lowe NJ, Aly R, Odom RB, Greer DL, Morman MR, Bucko AD, Tschen EH, Elewski BE, Smith EB. Once-weekly fluconazole (150, 300, or 450 mg) in the treatment of distal subungual onychomycosis of the toenail. J Am Acad Dermatol. 1998 Jun;38(6 Pt 2):S77-86.
17. Rigopoulos D. Onychomycosis: Diagnosis and effective Management, First Edition. Edited by Dimitris Rigopoulos, Boni Elewski and Bertrand Richert. Hoboken, NJ: Wiley; 2018.
18. Baran R. Baran & Dawber`s Diseases of the Nails and their Management. Fifth edition. Hoboken, NJ: Wiley-Blackwell 2019.
19. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/013-003.html, accessed on 26/03/2022

Wert der «Wearables» zur Diagnose von Rhythmusstörungen

Smartwatches verdrängen seit einigen Jahren die traditionellen Armbanduhren beim Verkauf. Die Akzeptanz und Nutzung von tragbaren Geräten nimmt in unserer Bevölkerung zu. In diesem Überblick möchten wir die Technologie, die wissenschaftlichen Daten, die klinischen Implikationen und die Herausforderungen bei der Rhythmusdiagnose mit «Wearables» beschreiben und kommentieren. Wir befassen uns mit den Fortschritten der Technologie in den letzten Jahren, den verschiedenen verfügbaren Geräten, ihrer Verwendbarkeit und ihren Grenzen sowie mit der Erkennbarkeit verschiedener Arrhythmien anhand von mit Wearables aufgezeichneten 1-Kanal-EKGs.

During the past few years, smartwatches have seen a constant increase in sales worldwide as well as in Switzerland. Acceptance and usage of wearable devices in our population is on the rise. In this overview we want to describe and comment on technology, scientific data, clinical implication and challenges in rhythm diagnosis with wearables. We look at the progress of technology in the past years, different available devices, their usability and limitations as well as the detectability of different arrhythmias via single-lead ECGs recorded with wearables.
Key Words: Wearables, Smartwatch, ECG, atrial fibrillation, electrophysiology, new technology, screening, prevention

Historischer Hintergrund

1961 publizierte Holter mit «New method for heart studies» seine Arbeit über den gleichnamigen portablen EKG-Recorder, welcher ausserhalb eines Spitals verwendet werden konnte und legte somit den Grundstein der tragbaren Rhythmusdiagnostik (1). Somit existiert bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert die Grundlage für moderne Wearables zur Erfassung und Übertragung von EKG-Daten, wie wir sie heute in verschiedensten Formen kennen. Gegenüber den in der Klinik herkömmlich verwendeten Monitorstrategien, wie Holter oder implantierbaren Loop-Recordern, sind massentaugliche Wearables für Endnutzer günstiger, angenehmer zu tragen und bieten auch einen persönlichen Anreiz durch den (vermeintlichen) Nutzen sowie die Auswertung von erhobenen Daten über den eigenen Körper- oder Trainingszustand. Es ist wahrscheinlich, dass in Zukunft Wearables wie heutzutage Mobiltelefone in der Bevölkerung verbreitet sein werden. Algorithmen können bereits zuverlässig Vorhofflimmern (VHF) detektieren und Wearables sind nun fest in den 2020 Vorhofflimmer ESC-Guidelines verankert (2). Besonders Uhren erfreuen sich enormer Beliebtheit, da diese unauffällig, bequem und in den meisten Alltagssituationen ohne Einschränkungen oder Stigmatisierung getragen und benutzt werden können.

Welche Rhythmusstörungen können wir mit Hilfe dieser Technologie bereits diagnostizieren und worauf dürfen wir in Zukunft durch diese Wearables hoffen?

Verfügbare Wearables

Unterschieden wird bei den Wearables zwischen aktiven und passiven Sensoren: Die meisten verfügbaren Uhren und Fitness-Tracker verwenden Photoplethysmografie (PPG) zur Detektion der Schlag-zu-Schlag Variabilität (Abb. 1). Dies ermöglicht eine kontinuierliche Messung, welche ohne aktives Eingreifen durch den Tragenden erfolgen kann (passive Überwachung). Uhren, welche zusätzlich über die Möglichkeit verfügen, ein EKG aufzuzeichnen, können den Endnutzer, z.B. bei durch PPG festgestellte Variabilität des Pulsrhythmus, auffordern, ein EKG aufzuzeichnen (3). Durch diese aktive Diagnostik kann der Wert zur VHF-Detektion dieser Uhren erhöht werden (4). Für VHF ist eine Kombination von aktiven- und passiven Sensoren geeignet und kombiniert effizient die neusten technologischen Möglichkeiten der Wearables. Wie verhält es sich nun für andere Rhythmusstörungen, bei welchen die Schlag-zu-Schlag Variabilität weniger auffällig ist?

Grundsätzlich müssen auch hier wieder zwei Arten von EKG-fähigen Wearables unterschieden werden: Diejenigen, welche im Stande sind, ein 1-Kanal EKG (Single-lead EKG) aufzuzeichnen und diejenigen, welche ein Mehrkanal EKG (Multilead EKG) aufzeichnen können. Eine Übersicht gängiger, verfügbarer Devices bietet Tabelle 1.

Stellung der Wearables beim Vorhofflimmern

Die meisten Wearables, welche sich um eine Food and Drug Administration (FDA) und/oder Conformité Européenne (CE)-Zulassung bemühen oder dies bereits erhalten haben, zielen darauf ab, Vorhofflimmern zu detektieren. Der Markt dafür ist gegeben: Die häufigste Komplikation dieser Herzrhythmusstörung, der Hirnschlag, lässt sich durch orale Antikoagulation effizient reduzieren (5, 6). Das VHF bleibt bis zum folgeschweren Hirnschlag jedoch in etwa einem Fünftel aller Fälle aufgrund des subklinischen oder gar asymptomatischen Verlaufs unentdeckt (7).
Die Apple Heart Study (8), Fitbit Heart Study (9) und Huawei Studie (10) zielten auf eine breite Bevölkerung ab, um Vorhofflimern mit Hilfe der Photoplethysmografie (PPG) zu detektieren. Die drei Studien ähneln sich: Die Schlag-zu-Schlag Variabilität wurde analysiert, bei einem auffälligen Muster wurde zusätzlich ein Langzeit-EKG z.B. in Form eines Holters oder Patch-EKG verwendet, um eine Diagnose zu stellen. Bewegungsartefakte, kurze Batteriedauer und ein Bias durch junge, gesunde Personen aus der sozialen Mittelschicht lassen an der Aussagekraft dieser grossen Studien zumindest in manchen Bereichen gewisse Zweifel.

Seit der Herausgabe der ESC-Guidelines 2020 ist es möglich die Diagnose Vorhofflimmern neben dem herkömmlichen 12-Kanal EKG auch neuerdings durch ein 1-Kanal EKG über mindestens 30 Sekunden zu bestätigen (2). Die ESC-Guidelines empfehlen zudem ein opportunistisches VHF Screening mit einer Klasse I Empfehlung bei Hypertonikern. Weiter erwägen die Guidelines mit einer Klasse IIa Empfehlung das VHF Screening bei Patienten, welche an einem Schlafapnoe-Syndrom leiden (2).

Obschon die Technologie sowohl im Soft- wie auch im Hardwarebereich rasante Fortschritte macht, ist diese in der VHF Detektion noch nicht in einem solchen Masse ausgereift, sodass sich Endnutzer alleinig auf Algorithmen verlassen könnten. Beispielsweise sind die Algorithmen aktuell meist nur in der Lage Rhythmen mit einer Kammerfrequenz zwischen 50-150 Schlägen pro Minute zu klassifizieren. Ebenso bieten Extrasystolen, Bewegungsartefakte oder das Vorhofflattern oft Anlass für den Algorithmus nach 30 Sekunden Aufzeichnung kein schlüssiges Resultat an den Endnutzenden liefern zu können. Endnutzer, welche ihre Smartwatch regelmässig nutzen, möchten in der Regel bei unklarer Interpretation durch den Computeralgorithmus und/oder Symptomen die Möglichkeit einer Befundung durch eine fachkundige Person nutzen. Ob die Ressourcen im Spital oder in Praxis hierfür gegeben sind, ist zweifelhaft.

Vorhofflattern

Die Detektion von Vorhofflattern (VHFlat) stellt für Wearables im Bereich der Aufzeichnungsmöglichkeiten keine Schwierigkeit dar, wohl aber im Bereich der Interpretation durch den Algorithmus. Smartwatches zeichnen bei herkömmlicher Nutzung ein 1-Kanal-EKG auf, welches der Ableitung I des konventionellen EKGs entspricht. (Abb. 2). Ein Lösungsansatz bietet eine einfache Anpassung der Tragweise der Uhr: Durch eine Platzierung dieser am linken Knöchel kann ein Derivat der Ableitung II aufgezeichnet werden, welche von der Morphologie derjenigen einer herkömmlichen Einthoven II Ableitung näher kommt (11).

Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie

Paroxysmalen supraventrikulären Tachykardien (PSVT) liegen in ca. 60% der Fälle AV-Knoten Reentry Tachykardien (AVNRT), in 30% AV-Reentry Tachykardien (AVRT) und in 10% atriale Tachykardien zugrunde(12). Die Patienten klagen in der Regel über ein plötzlich einsetzendes Herzrasen, welches Minuten bis mehrere Stunden anhalten kann. Obschon die medizinische Versorgung heutzutage sehr gut und zügig funktioniert, kann die Diagnosestellung via EKG sich trotzdem oft schwierig gestalten. Wearables bieten hier eine interessante und vielversprechende Möglichkeit, die «diagnostische Lücke» zu schliessen(13). Vor allem bei jungen Patienten, welche als «digital natives» mit Wearables vertraut sind und diese auch aus intrinsischem Interesse nutzen, bieten diese einen Mehrwert für ärztliches Personal und zu Behandelnde. (Abb. 3).

QTc- Verlängerung

Long QT Syndrome (LQTS) können entweder kongenital oder erworben sein. Die Funktionsstörung der ventrikulären Repolarisation birgt das Risiko für ventrikuläre Arrhythmien (Torsade de pointes) oder des plötzlichen Herztodes (SCD) (14). Erworbene LQTS können auf Elektrolytstörungen (Hypokaliämie u/o Hypomagnesiämie) (15) oder der Einnahme QT-verlängernder Medikamente (16) basieren. Die Einnahme von QT-verlängernder Medikation sollte überwacht werden und diese bei Überschreiten eines gewissen QTc-Intervalls abgesetzt werden(17)(18). Wearables bieten hier eine Möglichkeit, Patienten durch Remote Monitoring zu überwachen. Wearables wurden diesbezüglich bereits erprobt, die Korrelation zwischen den durch 1-Kanal-EKGs erhobenen Zeiten im Vergleich mit denjenigen eines 12-Kanal EKG ist gut (19) (20).
Die QT-Zeiten müssen für alle Wearables bis auf die Withings Scanwatch allerdings manuell ausgemessen werden. (Abb. 4) Die manuelle Erfassung bietet ein hohes Fehlerpotential und kann je nach erfassender Person und deren Erfahrung substantiell variieren (22). Zudem ist zu beachten, dass ein 1-Kanal-EKG nicht die QT-Dispersion eines 12-Kanal EKG erfassen kann, möglicherweise also die QTc Zeit über- oder unterschätzt. Aktuell besitzt das Kardia 6L als Multilead-Device als einziges Handheld Device eine FDA-Zulassung zur Messung des QT-intervals. Die Autoren stehen dem Einsatz der Wearables für diese Indikation aufgrund der aktuellen Datenlage allerdings noch zurückhaltend gegenüber.

Myokardischämie

Das 1-Kanal EKG einer herkömmlichen Smartwatch kann nicht zur Diagnose eines Myokardinfarkts verwendet werden und wird so von den Herstellern auch ausgewiesen. Was für Mediziner:innen selbstverständlich erscheint, ist für ungeschulte Laien ein wichtiger und für die Hersteller ein rechtlich unabdingbarer Hinweis. Theoretisch sollte es möglich sein, aus zahlreichen 1-Kanal-EKGs auch ein Multi- oder gar 12-Kanal-EKG zu erzeugen (23, 24) (25), praktisch

Weitere Krankheitsspezifische EKG-Veränderungen

Die Entwicklung schreitet rasant voran. Neuste Studien zeigten, dass mittels Smartwatch EKG weitere Abnormitäten entdeckt werden können, wie z.B eine Präexzitation im Sinne einer Deltawelle, eine hypertrophe Kardiomyopathie oder ein Brugada-Pattern (26). Aufgrund der geringen Sensititivät und Spezifität eines Einkanal-EKG, müssen diese Beobachtungen aber immer zwingend ein 12-Kanal EKG zur Diagnosesicherung nach sich ziehen. Neben den bereits erwähnten EKG-Veränderungen konnten auch schon Rechts- und Linksschenkelblöcke sowie AV-Blöcke in isolierten 1-Kanal EKGs anhand charakteristischer Veränderungen aufgezeigt werden (27).

Ausblick

Die Möglichkeiten zur Detektion von Herz­rhythmusstörungen durch Wearables haben in den letzten Jahren enorm zugenommen. Smartwatches sind längst nicht mehr ein Nischenprodukt oder experimentelles Zubehör für technisch versierte Menschen, sondern in der Gesellschaft breit etabliert. Die attraktivste Eigenschaft der Wearables im Bereich der Rhythmusdiagnostik scheint die Möglichkeit zu sein, Vorhofflimmern zu entdecken. Zwei wichtige Punkte gilt es in diesem Zusammenhang zu beachten:

1. Die automatischen Detektionsalgorithmen der Wearables sind noch nicht ausgereift.
2. Der Nutzen durch Beginn einer oralen Antikoagulation von Smartwatch detektiertem Vorhofflimmern, also eine Senkung von Schlaganfällen, wurde bisher nicht ausreichend untersucht.

Nichtsdestotrotz stehen wir als Mediziner:innen in der Verantwortung Lösungen zu finden, um Wearables sinnvoll in unseren Klinik­alltag zu integrieren. Gerade in Zeiten der Pandemie, in welcher die Gesundheitsversorgung der breiten Bevölkerung immer wieder auf zwingend Notwendiges reduziert werden muss(te), bietet diese Technologie enormes Potential.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

dipl. Arzt Diego Mannhart

Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel

Prof. Dr. med. Christian Sticherling

Kardiologie
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel

Dr. med. Patrick Badertscher 

Kardiologische Klinik
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel

Alle Autoren bestätigen, dass kein Interessens­konflikt besteht.

◆ Wearables umfassen neben Smartwatches mit Photoplethysmografie oder EKG-Funktion auch weitere tragbare Geräte oder Sensoren, welche Daten über Nutzende und deren Umgebung aufzeichnen.
◆ Bei paroxysmal auftretenden Rhythmusstörungen kann durch Wearables die Zeit zwischen Auftreten der Arrhythmie und erster EKG Dokumentation auf ein Minimum reduziert werden.
◆ Wearables bieten in Zeiten von Einschränkungen bei Patientenvisiten oder Ressourcen-knappheiten eine Möglichkeit der vereinfachten Rhythmusüberwachung im Zusammenhang mit Vorhofflimmer-Abklärungen oder postoperativer Erfolgskontrolle.
◆ Geringe Batterielaufzeit, komplexe Gerätebedienung und mangelndes Vertrauen in die Technologie sind Hürden, die die Technologie in gewissen Patientengruppen noch überwinden muss.
◆ Automatisierte Algorithmen und Cloudbasierte künstliche Intelligenz sind eine wertvolle Ergänzung zur Kanalisierung und Minderung der Datenflut, sollten jedoch stets kritisch hinterfragt werden. Die Diagnose muss zwingend durch geschultes und fachkundiges Personal erfolgen, welches über die nötige Expertise verfügt.

 

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Immuntherapie beim Mammakarzinom

Das Mammakarzinom ist die häufigste Krebserkrankung der Frau in der westlichen Welt und jede 10. Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens daran. Dabei hat sich die Prognose in den letzten Dekaden deutlich verbessert und liegt heute bei einem 5-Jahres-Über­leben von rund 85%. In der Schweiz erkranken pro Jahr rund 6000 Patientinnen am Mammakarzinom, dabei kommt es bei 900 Frauen zu einem Rückfall. Zu den prognostisch schlechten Subgruppen gehört immer noch das Tripel-negative Mammakarzinom (TNBC) mit einem Anteil von rund 15% an der Gesamtpopulation. Hier hat sich die Immuntherapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) in den letzten Jahren als eine Standardtherapie etabliert.

Breast cancer is the most common cancer in women in the western world and one in 10 women will develop the disease in the course of her life. The prognosis has improved significantly in the last decades and is now at a 5-year survival rate of about 85%. In Switzerland, approximately 6000 patients are diagnosed with breast carcinoma each year, with 900 women having a relapse. Among the prognostically poor subgroups is still the triple-negative breast carcinoma (TNBC) with a share of about 15% of the total population. Here, immunotherapy with immune checkpoint inhibitors (ICI) has established itself as a standard therapy in recent years.
Key Words: breast cancer, immunotherapy, checkpoint inhibitors (ICI)

Einführung

ICI sind monoklonale Antikörper gegen stimulierende oder inhibierende Checkpoints auf verschiedenen Immunzellen wie z.B. T-Zellen. Die beiden wichtigsten «Pathways», die in der Klinik bereits seit einigen Jahren «getargeted» werden sind CTLA4 und PDL1/PD-1. Beide Checkpoints wirken inhibitorisch auf die T-Zelle und können durch Antikörper wie Ipilimumab, Nivolumab, Pembrolizumab, Durvalumab, Atezolizumab und Avelumab gehemmt werden. Dadurch kommt es zu einer Aktivierung der T-Zelle und zum Angriff auf Tumorzellen.

Die Anzahl an Mutationen im Tumorgenom korrelieren direkt mit dem Ansprechen auf eine moderne Immuntherapie. Parade­beispiel für sogenannte immunogene Tumore sind beispielsweise das Melanom, des Bronchuskarzinom oder das Nierenzellkarzinom. Bis vor wenigen Jahren ging man davon aus, dass die für eine Immun­therapie wichtige Immunogenität beim Mammakarzinom nicht ausreichend gegeben sei. Der Subtyp des TNBC weist im Vergleich zu den anderen Subtypen aber die höchste Rate an Tumor-infiltrierenden Lymphozyten (TILs), die höchste PD-L1 Expression sowie den höchsten Tumor mutational burden (TMB) auf (1). Seit einigen Jahren kommen deshalb bei dem Subtyp des TNBC ICI immer mehr zum Einsatz. Zuerst im metastasierten Setting, nun auch in der Neoadjuvanz. Mittlerweile sind zahlreiche Untersuchungen im Gange, welche Tumoreigenschaften zu einem deutlichen Ansprechen des Mammakarzinoms unter ICI führt und wie Resistenzmechanismen entstehen. Im Tonic trial wurde erstmalig untersucht welche Kombination von Therapie, einen «kalten» Tumor wie das Mammakarzinom in einen immunogenen «heissen» Tumor überführen kann (2). In diese Phase 2 Studie wurden 67 Patientinnen mit TNBC eingeschlossen. Alle Patientinnen erhielten eine Induktion mit Nivolumab, und anschliessend entweder: Radiotherapie (3x8Gy), Cyclophosphamid, Cisplatin oder Doxorubicin. Alle Patientinnen erhielten anschliessend eine Maintenance Therapie mit Nivolumab. Die Gesamtansprechrate lag bei 20% für alle Patientinnen. Ein erhöhtes Ansprechen fand sich bei Doxorubicin in Kombination mit Nivolumab mit 35%. Im translationalen Teil der Studie konnten die Autoren zeigen, dass Gene der Inflammation und für das JAK-STAT und TNF-α Signaling herauf reguliert wurden unter/nach Doxorubicin-Therapie.

Einsatz beim lokal fortgeschrittenen oder metastasierten TNBC

Beim metastasierten TNBC zeigten initiale Studien mit einer alleinigen Immuntherapie tiefe Ansprechraten, wobei einzelne Patient­innen einen länger anhaltenden Nutzen zeigten (3-5). Erstmals zeigte 2018 die IMpassion 130 Studie die Wirkung der Immun­therapie Atezolizumab in Kombination mit NabPaclitaxel (6). In der randomisierten Phase-III-Studie wurden 902 Patientinnen untersucht mit nicht behandeltem lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem TNBC. Die Kombination mit Atezolizumab verbesserte das mediane PFS im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie signifikant mit 7,2 Monaten versus 5,5 Monate in der ITT-Population (Hazard Ratio [HR] = 0,62; p < 0,001) und 7,5 Monaten versus 5,0 Monate in der PD-L1-positiven Gruppe (HR = 0,62; p < 0,001), während die PDL1-negative Gruppe nicht von der zusätzlichen Checkpoint-Blockade profitierte (5,6 Monate vs. 5,6 Monate, HR = 0,94; p = 0,52). In der PD-L1-positiven Gruppe zeigte sich zudem in der ersten OS-Interimsanalyse eine klinisch relevante Verlängerung um 9,5 Monate (25,0 vs. 15,5 Monate; HR = 0,62; noch nicht formal getestet), während auch hier die PD-L1-negative Gruppe nicht profitierte (18,9 vs. 18,4 Monate; HR = 1,02). In den verschiedenen Biomarkeranalysen war das Vorhandensein von ≥ 1% PD-L1-positiver Immunzellen im Tumor der beste prädiktive Marker für die Wirksamkeit von Atezolizumab. Eine PD-L1-Expression auf den Tumorzellen hatte keinen zusätzlichen prädiktiven Wert. Die stromale TIL-Infiltration (sTIL) und der BRCA1-Status hatten keine unabhängige prädiktive Aussagekraft.

Da die Verfügbarkeit von NabPaclitaxel nicht überall gegeben war, wurde dieselbe Immuntherapie ein Jahr später in Kombination mit Paclitaxel in der IMpassion 131 Studie untersucht (7). Diese Studie hat zu aller Erstaunen keine Verbesserung des PFS durch die Hinzunahme von Atezolizumab in der ITT-Population (5.7 Monte versus 5.6 Monate; HR = 0.86; p = 0.86) ebenso wenig wie in der PD-L1 positiven Kohorte (6.0 Monate versus 5.6 Monate; HR = 0.86; p = 0.20) gezeigt.

Die Wirksamkeit des ICIs Pembrolizumab beim TNBC konnte in der KEYNOTE 355 Studie bestätigt werden (8). Diese randomisierte Phase III Studie untersuchte bei Patientinnen mit einem inoperablen oder metastasierten TNBC die Kombination Pembrolizumab und Chemotherapie (Gemcitabine mit Carboplatin oder Taxan mono). Die finalen OS-Daten nach 44.1 Monaten wurden am letztjährigen ESMO-Kongress präsentiert. Dabei zeigte sich bei der Subgruppe mit einem CPS ≥ 10 eine signifikante Verlängerung des OS von 16.1 Monate auf 23.0 Monate (HR = 0.73, p = 0.0093), ein PFS-Benefit von 5.6 Monate auf 9.7 Monate (HR 0.66) und eine um 12% höhere Ansprechrate.

Einsatz in der neo-adjuvanten Behandlung des TNBC

Zwischenzeitlich kommen die ICI auch zunehmend zum Einsatz in der neoadjuvanten Therapie des TNBC und stehen auch in der Schweiz kurz vor der Zulassung, wobei die Resultate der Studien z.T. unterschiedlich sind.

In der KEYNOTE 522 Studie wurden Patientinnen mit einem TNBC im Stadium II und III (T1c, N1-2 oder T2-4, N0-2) randomisiert und neo-adjuvant mit 4 Zyklen Carboplatin AUC 5 in Kombination mit wöchentlich Taxol gefolgt von 4 Zyklen Doxorubicin/Epirubicin in Kombination mit Cyclophosphamid behandelt +/- der Immuntherapie Pembrolizumab (9). Postoperativ wurde Pembrolizumab/Placebo für weitere 9 Zyklen fortgeführt. Dabei zeigte sich nach 39.1 Monaten Follow-up ein signifikant besseres Event-free-survival (EFS) von 84.5% gegenüber 76.8% mit der zusätzlichen Immun-Checkpoint-Blockade sowie eine Reduktion des Risikos für Tod um 37% (HR = 0.63). Die OS-Daten sind aktuell noch nicht reif. Bezüglich der pathologischen Komplettremission (pCR) zeigte sich ein Nutzen von 13.6% (51.2% versus 64.8%) unabhängig vom PD-L1 Status. Dass die pCR sich in das Gesamtüberleben übertragen lässt, wissen wir bereits aus früheren Studien. (10). In der KEYNOTE 522 Studie ist nun auch sehr schön zu sehen, dass die pathologische Komplettremission sowohl in der Patientengruppe mit ICI als auch in der Placebo-Gruppe, mit einem deutlich besseren EFS nach 3 Jahren assoziiert ist (Abb. 1).

Die Analyse des Gesamtüberlebens ist noch nicht final, allerdings ist Pembrolizumab in einigen Ländern bereits in dieser Indikation zugelassen, z.B. USA (FDA).
Die pCR bei der PD-L1 positiven Subgruppe war mit der zusätzlichen ICI mit 68.9% höher als mit Placebo 54.9%. Aber auch in der PD-L1 negativen Gruppe war ein Anstieg der pCR-Rate von 30.3% auf 45.3% zu sehen. Somit ist der Nutzen der ICI unabhängig vom PD-L1 Status. Es zeigt sich hier zudem, dass der PD-L1 Status prognostisch ist für den Outcome beim TNBC (Abb. 2).

Auch die IMpassion 031 Studie konnte 2020 ähnliche Resultate zeigen (11). Hier wurde Atezolizumab zur neoadjuvanten Chemotherapie dazugegeben, wobei im Vergleich zur vorgängigen Studie wöchentliches NabPaclitaxel anstelle von Carboplatin und Paclitaxel verwendet wurde. Auch hier wurden Patientinnen mit TNBC im Stadium II und III eingeschlossen. Nach einem Follow-Up von 20.6 Monaten zeigte sich ebenfalls ein Anstieg der pCR-Rate um 17%, von 41% mit Placebo auf 58 % mit Atezolizumab (p = 0.0044).
Die GeparNuevo Studie bestätigt 2019 den Nutzen der neoadjuvanten ICI beim TNBC (12). In dieser Phase II Studie wurden ebenfalls Patientinnen mit einem TNBC im Stadium II und III (cT1b-cT4a-d) eingeschlossen. Hier wurde die Immuntherapie Duvalumab kombiniert mit wöchentlichem NabPaclitaxel gefolgt von Epirubicin/Doxorubicin und Cyclophosphamid. Durvalumab wurde 2 Wochen vor Start der Chemotherapie begonnen. Die pCR-Rate mit Durvalumab war 53.4% im Vergleich zu 44.2% unter Placebo (p = 0.048). Vor Therapiestart wurden die sTILs, der PD-L1-Status sowie Ki67 bestimmt. sTILs und das Grading waren unabhängige Prädiktoren für das Erreichen einer pCR. Bei PD-L1 negativen Tumoren zeigte sich ein Anstieg der pCR Rate von 30.0% auf 54.3% (p = 0.061) und bei den PD-L1 positiven Tumoren von 44.4% auf 58.0% (p = 0.445). Es gab einen Trend für eine erhöhte Response-Rate bei der PD-L1 positiven Gruppe.

Im Februar 2022 wurde zudem die NeoTRIP Studie veröffentlich (13). Eine Phase III Studie, welche 3-wöchentliches Atezolizumab in Kombination mit Carboplatin AUC 2 und NabPaclitaxel (Tag 1 und 8) für 8 Zyklen neoadjuvant gefolgt von der Operation sowie adjuvant 4 Zyklen einer Anthrazyklin-haltigen Chemotherapie untersucht hat. Erstaunlicherweise zeigte sich hier zwar eine numerisch höhere Rate an pCR (44.4% versus 48.6%) mit der zusätzlichen ICI in allen Subgruppen, wobei dies aber keine statistische Signifikanz erreichte. Die Ursache für dieses nicht signifikante Resultat ist nicht abschliessend geklärt. Eine mögliche Erklärung sind die unterschiedlichen Chemotherapieregime und Chemotherapiesequenzen. Zudem wird auch der unterschiedliche Steroidbedarf unter der Chemotherapie diskutiert. Auch ist ein eventueller Wirksamkeitsunterschied zwischen dem PD1-Inhibitoren Pembrolizumab und den PD-L1-Inhibitoren Atezolizumab und Durvalumab eine mögliche Erklärung. Was die unterschiedlichen Resultate beim metastasierten TNBC sowie in der Neoadjuvanz sicherlich aussagen, ist die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen, um die Patientengruppe, die von einer zusätzlichen Checkpoint-Blockade profitiert, besser bestimmen zu können.

Zusammenfassung und Diskussion

Im Bereich des TNBC ist die Immuntherapie mittlerweile vor allem im metastasierten Setting eine Standardtherapie, welche die Prognose deutlich verbessert hat. In der neo-adjuvanten Therapielinie ist die pCR Rate durch Atezolizumab und Pembrolizumab deutlich erhöht. Die Gesamtüberlebensrate war in der GeparNuevo Studie (Phase II) signifikant verbessert. Ob nach einem Erreichen einer pCR eine weitere Therapie mit ICI erforderlich ist, bleibt momentan Gegenstand der Forschung. Inwieweit die Wahl des Chemotherapie-Backbones, z.B. Nab-Paclitaxel, Paclitaxel, Carboplatin oder Gemcitabine, eine Rolle spielt bleibt noch zu beurteilen. Bezüglich der anderen Subtypen (Luminal und HER2-angereichert) bleiben grössere Studien abzuwarten. Single-Agent Studien mit Pembrolizumab oder Atezolizumab waren vom Ansprechverhalten eher enttäuschend. Auch hier wäre das Ziel das «Tumormikroenvironment» entsprechend zu einem inflammatorischen Zustand umzuwandeln, um ein Ansprechen auf ICI zu bewirken.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Angela Kohler

Brustzentrum Kantonsspital Baselland
Netzwerkpartner, Universitäres Brustzentrum Basel
Rheinstrasse 26
4410 Liestal

angela.kohler@ksbl.ch

PD Dr. med. Marcus Vetter

Zentrum Onkologie und Hämatologie
Tumorzentrum Baselland
Kantonsspital Baselland
Rheinstrasse 26
4410 Liestal
Schweiz

marcus.vetter@ksbl.ch

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

◆ Beim TNBC spielt die Immuntherapie im frühen wie auch im fortgeschrittenen Stadium eine wichtige Rolle.
◆ Beim frühen TNBC wird die pCR Rate deutlich verbessert, es findet sich auch eine signifikant günstigere «Event-free-Survival» Rate.
◆ Beim fortgeschrittenen PDL-1 /CPS>10 TNBC findet sich ein
signifikant verbessertes Überleben.
◆ Bei einem immunologisch «kalten» Tumoren, wie dem luminalen Mammakarzinom, braucht es weitere Forschung. Hier könnte eine Kombinationstherapie z.B. mit CDK4/6 Inhibitor den Tumor in einen immunogenen «heissen» Tumor transformieren.
◆ Die Immun-Check-Point-Inhibitoren verbesserten die Prognose haben aber neue immunvermittelte Nebenwirkungen.
◆ Wichtige Beispiele für die Immunvermittelten Nebenwirkungen sind Dermatitits, Colitis, Thyreoiditis, Pneumonits, Hepatits und andere.
◆ Eine interdisziplinäres Management von solchen Nebenwirkungen ist wichtig, ebenso die kontinuierliche Schulung von Patienten und Gesundheitspersonal.

 

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Digitalisierung in der Onkologie, wo stehen wir?

In der Corona Krise trat das Problem der fehlenden Digitalisierung im Gesundheitswesen gnadenlos zu Tage. Fehleranfällige Faxübermittlungen führten zu absurden Schlussfolgerungen. Jahrelang hat es das BAG aber auch die übrigen Player im Gesundheitswesen verschlafen die Vorteile der Verfügbarkeit von Daten voranzutreiben. Und wenn es dann doch einen Versuch gab, wie das elektronische Patientendossier, wurde es zu einem Rohrkrepierer. Anders kann man im Jahr 2022 eine unstrukturierte PDF-Sammlung ohne auswertbare Daten nicht nennen. Wer aber übernimmt die Verantwortung für ein solches Projekt? Natürlich niemand.

Es wird höchste Zeit, dass Daten in allen Gesundheitseinrichtungen universell austauschbar und semantisch eindeutig erfasst werden. Das BAG ist gefordert endlich zu handeln und verbindliche Vorgaben zu machen. Natürlich entstehen so initial hohe Kosten, die in den heutigen Tarifen nicht abgebildet sind und allen Gesundheitseinrichtungen zu vergüten sind. Investitionen in solche auswertbaren Daten werden in Zukunft Kosten sparen und die Versorgung der Patienten verbessern. Ärzte stellen schnell fest, ob Untersuchungen bereits gemacht wurden und haben diese Daten rasch zur Verfügung. Damit fallen Kosten für Doppelspurigkeiten und unnötige Belastungen für die Patienten weg.

Im Off label use sehen wir rasch, ob Therapien in neuen Indikationen auch unter realen Bedingungen funktionieren. Therapien, die nichts nützen, aber Kosten verursachen, können eliminiert werden. Und durch komplexe Auswertungen mit künstlicher Intelligenz können noch nicht identifizierte Zusammenhänge entdeckt und genutzt werden. Es ist höchste Zeit zu handeln.

Prof. Dr. med. Roger von Moos
roger.vonmoos@ksgr.ch

Prof. Dr. med. Roger von Moos

Direktor Tumor- und Forschungszentrum
Kantonsspital Graubünden
7000 Chur

tumorzentrum@ksgr.ch

Thrombose- Prophylaxe in der onkologischen Chirurgie in Frage gestellt

Ist «A shot a day keeps the CAT away» noch korrekt? – Dies ist ein Kommentar zu dem Paper «How strong is the evidence supporting thromboprophylaxis in surgical oncology?» (1), das unlängst im Journal of Clinical Oncology publiziert wurde. Die Autoren des Papers stellen die Empfehlung der Thrombosenprophylaxe beim chirurgischen Tumor-Patienten in Frage.

Is «A shot a day keeps the CAT away» still correct? – This is a commentary on the paper «How strong is the evidence supporting thromboprophylaxis in surgical oncology?” (1), which was recently published in the Journal of Clinical Oncology. The authors of the paper question the recommendation of thromboprophylaxis in surgical tumor patients.
Key Words: thromboprophylaxis, surgical oncology

5-20% aller Tumor-Patienten erleiden eine venöse Thromboembolie (VTE); 20% aller VTE Patienten leiden an einem Tumor. Es herrscht sicher ein Konsens, dass ein zusätzlicher, chirurgischer Eingriff das VTE Risiko weiter erhöht (2, 3).

Unter der Rubrik «Comments and Controversies», kürzlich publiziert im renommierten Journal of Clinical Oncology (1), melden sich zwei Chirurgen (aus Bethesda und Boston) und ein Sozialwissenschafter aus Abu Dhabi zu Wort und wagen sich denn auch gleich frontal an ein gefühlt in Stein gemeisseltes Paradigma, nämlich sie stellen die starke Empfehlung der Thromboseprophylaxe beim chirurgischen Tumor-Patienten, wie sie in den ASCO guidelines publiziert sind, in Frage. Sie stossen sich an folgender Empfehlung der ASCO, so im Abstract: «Patients undergoing major cancer surgery should receive prophylaxis starting before surgery (and continuing for at least 7 to 10 days)», und konkret im Text: «Clinical Question 3: All patients with malignant disease undergoing major surgical intervention should be offered pharmacologic thromboprophylaxis with either unfractionated heparin (UFH) or LMWH unless contraindicated because of active bleeding, or high bleeding risk, or other contraindications (Type: Evidence quality: high; Strength of recommendation: strong).»

Ihre drei Hauptargumente dagegen sind:

a) Die Endpunkte VTE seien heterogen: So sei der Outcome von venographisch oder dopplersonographisch nachgewiesenen, asymptomatischen VTs sowie derjenige von asymptomatischen segmentären und subsegmentären, LEs unklar. Asymptomatische TVT/LEs könnten allenfalls lediglich Marker und nicht Ursache der Mortalität sein und man könnte die Therapie evtl. ebensogut weglassen (?). Nur ein kleiner Bruchteil der asymptomatischen VTE würde sich in symptomatisch-manifeste, zu behandelnde VTE entwickeln, währenddem die Therapie-Prophylaxe zu gesichert vermehrten Blutungskomplikationen führe.

b) Die Effekte der prophylaktischen Massnahmen auf die Mortalität seien unklar, RCT sind selten genügend gepowered für den Mortalitätsendpunkt, und Meta-Analysen konnten dies nicht sicher genug zeigen.

c) Es fehlten oft die Endpunkte der unterstützenden, symptomatischen Verbesserungen («lack of supportive care outcomes»), wie Schmerzen, Atemnot, postthrombotisches Syndrom, physische und mentale Fitness. Dies wäre zwar wichtig und möglich, aber die harte Evidenz hierfür fehle.

Entsprechend fordern Sie verbesserte Analysen und neue, grosse RCTs zu diesen Themen mit den entsprechenden Endpunkten Tod, symptomatische VTE und Symptome der VTE, ohne vs mit Antikoagulation.

Den Autoren ist zunächst zu ihrer Exposition, resp zu den «harten» und «mutigen» Argumenten scheinbar völlig gegen den Strom der Guidelines der Fachgesellschaft (ASCO) Respekt zu zollen und zu gratulieren, denn sie stossen eine wertvolle und äusserst konsequente Diskussion an.

Ihre Gedanken werden zur kritischen Würdigung und evtl. zu einer gewissen Abschwächung der Empfehlungs-Stärken/Evidenz in den Guidelines führen; wohl aber kaum zu einer tatsächlichen Revision resp. zu einer grundsätzlichen Praxisänderung.
Eine (vermehrte) Individualisierung der Prophylaxe und Therapie unter der Berücksichtigung der individualisierten Risiko-Abwägung des aggregierten Endpunktes VTE/Bleeding im Einzelfall ist hingegen wahrscheinlich und wünschenswert.

Die Gründe für unsere «Lagebeurteilung» werden an einem (extremen) Beispiel vor Augen geführt:
Der Patient, den Sie in eine saubere, riesige (RCT)-Studie, wie von den Autoren vorgeschlagen, einschliessen möchten, leidet an einer (für VTE anerkannt high risk) Tumorerkrankung (Pankreaskopf-Karzinom), ist hospitalisiert, hat eine tumorreduktive Chemotherapie hinter sich und soll sich nun einem klassischen chirurgischen Eingriff (evtl. Whippple) unterziehen; er weist präoperativ im Duplex eine asymptomatische TVT, resp im staging-CT eine asymptomatische (sub)segmentäre LE auf. Der Pat wird sich nicht in einen potentiellen Placebo-Arm randomisieren lassen (Antikoagulation vs. keine Antikoagulation). Er, sein Hausarzt, der Internist im Spital, «Dr Google» und der Onkologe, der Chirurge, das Ethik-Komitee und letztlich der Jurist werden dagegen sein (differenzierte Dastellung der evtuellen Meinungen dieser Exponenten in (3)). Der erfahrene Kliniker wird Ihnen die Pathographie von Armand Trousseau erzählen, über seine Beobachtungen von postoperativen, tödlichen, zentralen LEs berichten, der Hämatologe im Speziellen die Mechanismen der Thrombophilie beim chirurgisch hospitalisierten Tumorpatienten aufzeichnen (Abb. 1, Mechanismen des Tumorprokoagulans, Tissue factor, Immobilisation, Komorbiditäten, Chemotherapie), und der Onkologe die aktuellen, besagten (ASCO) Guidelines vorstellen. Und der Chirurge würde den Eingriff verschieben, mit den entsprechenden Konsequenzen für den Patienten. Auch im Falle eines negative Duplex/CT-Befundes würde analog der ASCO Guidelines betreffend Thromboprophylaxe argumentiert. Im aktuellen (Khorana)-Score qualifiziert der Pat natürlich klar auch ohne stille VTE als Hochrisiko-Patient (Tab. 1, 2, (Ref 7-9)), inklusive natürlich sehr hoher Mortalität mit recht engen Konfidenzintervallen (gemäss Klemen et al aber eben möglicherweise lediglich Assoziation, nicht Kausalität (1)).

Umgekehrt ist es richtig, dass bei Tumorpatienten die Blutungs­gefahr oft deutlich erhöht ist (Tumor-Lokalisation, Thrombopenie, Komorbiditäten mit reduzierter Nieren-und Leber-Funktion) und in die Gesamtbeurteilung einzubeziehen ist (korrekterweise heute als «combined adverse events» bereits meist berücksichtigt) und entsprechend ist die prophylaktische Massnahme, die Dauer und Dosis abzuwägen.

Venographische oder Duplex-sonographisch festgestellte Thrombosen gelten heute z.B. in Studien zur venösen Prophylaxe bei orthopädischer Chirurgie bei totalem Knie oder Hüftgelenksersatz oft als akzeptierter Endpunkt für klinische thrombotische Komplikationen resp. Prädiktion (insbesondere gerade in Phase II Studien), da die klinisch manifeste VTEs in zu geringer Zahl für die Grösse der Studien auftreten.

Interessanterweise sind aktuell aber doppelblinde, randomisierte Studien unterwegs, die exakt wie gefordert die Prognose subsegmentärer LEs (SSPE) mit und ohne AK analysieren. Hierbei werden Tumorpatienten aber klar ausgeschlossen («ein kleines Ferkel wird idR über die Zeit ein grosses Schwein» ist ein gelegentlich gehörtes Zitat, das schwer zu entkräften und natürlich ebenso schwer zu übertragen ist!), was die implizite Annahme bestätigt, dass diese Patienten heute behandelt werden sollten. Eine offene Studie zeigte in dieser Frage bereits ein schlechteres Outcome ohne Antikoagulation, Bias können nicht ausgeschlossen werden (10).

Das ist exakt der Hauptunterschied der Lagebeurteilung der «Challengers» (1) zum ASCO-Panel (2) in ihrer Empfehlung/Beurteilung in Punkt Nummer 4.7, (sie bestreiten eben, dass zufällig oder per screening- Ultraschall entdeckte VTE einen ähnlichen Outcome haben wie symptomatische VTE beim Tumorpatienten (2). ASCO deklariert dies klar in ihrem consensus, bei tiefer Evidenz, aber intermediärer Stärke der Empfehlung) im Kontrast zu den «Challenger Chirurgen» (1).
Das ASCO-Panel deklariert an sich korrekt und im Konsensus (1) die relative tiefe Evidenz. Der Unterschied ist die starke unterschiedliche Überzeugung, sinngemäss sagt das ASCO panel also «Absence of evidence» ist nicht «evidence of absence».

Wenn zwei (US-Amerikaner) sich streiten, lohnt sich der Blick auf z.T. noch rezentere Beurteilungen, Empfehlungen und Interpretationen der Literatur Dritter (Panels, Experten und Fachgesellschaften (3-5)), nämlich der ASH, der amerikanischen Hämatologengesellschaft (mit weltweiter Expertenabstützung (3), der ITAC, der International Initiative on Thrombosis and Cancer (ITAC,) und ihrem Advisory Panel 2019 (4) und der NCCN Guidelines des National Comprehensive Cancer Network (5).

Diese liegen wohl «etwas gemässigter», in einem guten, klinischen Kompromissbereich, mit dem sich unsere «3 Challengers» aus (mit obigem Beispiel illustriert) gut einfühlbaren, praktischen Gründen wohl abfinden werden.

So sind die ASH Empfehlungen 2021, die einen lesenswerten, differenzierten Mittelweg darstellen und zum Thema schon primär auf das VTE- und das Blutungs-Risiko ausgerichtet sind (3) moderater: Entsprechend «suggerieren» sie (bedingte Empfehlung, niedrige Sicherheit der Evidenz) differenziert bei tiefem Blutungsrisiko zwar klar die medikamentöse Prophylaxe, beginnend nach dem Eingriff (ASCO: vor dem Eingriff), bei hohem Thrombose-Risiko beides, mechanische und medikamentöse Prophylaxe, bei hohem Blutungsrisiko dagegen ausschliesslich die mechanische Prophylaxe. Interessanterweise differenzieren sie auch nach mutmasslichen Meinungen der Patienten, der Kliniker, klinischen Forscher und der politischen Entscheidungsträger (!).

Weitere Differenz: Die ASCO empfiehlt überdies bei high risk hospitalisierten Patienten eine Thromboprophylaxe über 7-10 Tage nach der Spitalentlassung, währenddem die ASH guidelines weiterhin den Stop bei Spitalaustritt empfehlen und die absoluten Risiken der VTE und der Blutung als NNT/NNH mit der entsprechenden Unschärfe ( recht grossen CIs) vorrechnen: Stopp bei Entlassung vs. protrahierte Prophylaxe: +1 Todesfall an VTE, +3 symptomatische VT und +1PE/1,000 Patienten mehr, vs Weiterführung der Prophylaxe: +19 grössere Blutungen/1,000 Pat., und +1 HIT/1,000 Pat., Dieses Beispiel illustriert gut, dass man selbst bei der heutigen Datenlage getrost verschiedener Meinung sein kann und in diesem Wissen individuell abgestützte Lösungen suchen wird.

Als praktische Konklusion für Kliniker beim Stand der heutigen Datenlage empfehlen wir die detaillierte, individualisierte Risiko-Analyse bzgl. VTE vs. Blutungs-Risiko unter speziellem Einbezug von:

  • Art und Ausdehnung des Tumors, resp. dessen VTE und Blutungsrisiko
  • Art und Grösse des Eingriffs
  • Art und Timing der Chemotherapie
  • Patientenfaktoren mit Blutungs- und VTE Anamnese, sowie Organdysfunktionen
  • (Hämatologische) Laborwerte
  • Neuere Scores nach Khorana (Tab 1&2)
  • Patienten-Präferenzen

Mit dieser Checkliste und den Empfehlungen wird man zu einem individuell optimalen Entscheid kommen, auch unter Einbezug der zunehmend beim Tumorpatienten erprobten und eingesetzten DOACs, die ein etwas einfacheres Handling erlauben.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med.Jürg Hans Beer

Leiter Gerinnungssprechstunde Kantonsspital Baden, 5404 Baden
Labor für Molekulare Kardiologie, Leiter Plättchenforschung,
Universität Zürich
Wagistrasse 12
8952 Schlieren

hansjuerg.beer@ksb.ch

Dr. med.Pratintip Lee

Labor für Molekulare Kardiologie
Universität Zürich
Wagistrasse 12
8952 Schlieren

JHB deklariert die Unterstützung durch den schweizerischen Nationalfonds (no. 324730_163339), die Schweiz. Herzstiftung, die Kardio- Stiftung Baden, Grants von Bayer und Vortrags-/Beratungs-Honorare von Sanofi-Aventis und Amgen an die Institution. PL deklariert keine potenziellen Interessenkonflikte.

1. ND Klemen, PL Feingold, PL Feingold, Hashimoto: How strong is the evidence supporting thromboprophylaxis in surgical oncology? J Clin Oncol 2021; 40: 320-3.
2. Key NS, Khorana AA, Kuderer NM, et al. Venous thromboembolism prophylaxis and treatment in patients with cancer: ASCO clinical practice guideline update.
J Clin Oncol 2020;38(5):496-520.
3. GH Lyman et al: American Society of Hematology 2021 guidelines for management of venous thromboembolism: prevention and treatment in patients with
cancer. Blood advances 5:927-974; 2021.
4. Farge D, Frere C, Connors JM, et al; International Initiative on Thrombosis and Cancer (ITAC) Advisory Panel. 2019 international clinical practice guidelines for the treatment and prophylaxis of venous thromboembolism in patients with
cancer. Lancet Oncol. 2019;20(10):e566-e581.
5. National Comprehensive Cancer Network. NCCN guidelines. Available at:https://www.nccn.org/professionals/physician_gls/default.aspx#supportive. Accessed 13 January 2021.
6. Cuker A, Arepally GM, Chong BH, et al. American Society of Hematology 2018 guidelines for management of venous thromboembolism: heparin-induced thrombocytopenia. Blood Adv. 2018;2(22):3360-3392.
7. Overvad, T. et al. Validation of the Khorana score for predicting venous thromboembolism in 40 218 cancer patients initiating chemotherapy. Blood Adv 6, 2967–2976 (2022).
8. Es, N. et al. The Khorana score for prediction of venous thromboembolism in
cancer patients: An individual patient data meta-analysis. J Thromb Haemost 18, 1940–1951 (2020).
9. Mulder, F. I. et al. The Khorana score for prediction of venous thromboembolism in cancer patients: a systematic review and meta-analysis. Haematologica 104, 1277–1287 (2019).
10. Le Gal G, Kovacs MJ, Bertoletti L et al: Risk for Recurrent Venous Thromboem­bolism in Patients With Subsegmental Pulmonary Embolism Managed Without Anticoagulation. A Multicenter Prospective Cohort Study. Ann Int Med 2022; 175: 29-35.
11. Khorana, A. A., Kuderer, N. M., Culakova, E., Lyman, G. H. & Francis, C. W.
Development and validation of a predictive model for chemotherapy-associated thrombosis. Blood 111, 4902–4907 (2008).