19 Brustzentren tragen das Gütesiegel «Q-Label». Die Vorteile des Labels sind der Allgemeinbevölkerung aber auch Fachpersonen noch wenig bekannt. Die Brustkrebsspezialistin Prof. Dr. med. Monica Castiglione erklärt, was sich dank dem Label verbessert hat und mit was sie noch nicht zufrieden ist.
Frau Castiglione, wie zufrieden sind Sie mit der Brustkrebsbehandlung in der Schweiz?
Zum Teil sehr zufrieden. Die Brustzentren sind gut eingerichtet, haben sehr gut ausgebildete Leute und es gibt gute Maschinen, etwa für Mammographien. Radiologische und andere Untersuchungen und Sprechstunden können sehr schnell durchgeführt werden im Vergleich zu anderen Ländern, wo man für eine Untersuchung wochen- oder monatelang warten muss. Ich denke, man kann wirklich zufrieden sein.
Wo sind Sie noch nicht zufrieden?
Früher war der Gynäkologe der einzige, der den Brustkrebs behandelt hat. Er hat seine Patientinnen in die Strahlentherapie geschickt, vielleicht ein paar Hormone verabreicht. Er war verantwortlich für alles. Im Grunde genommen, war es einfach eine One-Man-Show, ohne umfassende Betreuung rundherum. Es gibt leider heute immer noch Ärzte, die Patientinnen im Alleingang behandeln. Nicht viele, aber doch ein paar. Mit dem Q-Label versuchen wir dem entgegenzuwirken.
In Brustzentren mit Q-Label sind also mehrere Ärzte für eine Patientin zuständig?
Jeder Schritt der Behandlung wird von einem anderen Spezialisten durchgeführt. Wir besprechen die einzelnen Fälle an einem Tumorboard, da sind 15, 20 Experten dabei und alle bestimmen gemeinsam über Behandlung und Betreuung. Das gibt für alle Beteiligten eine grosse Sicherheit.
Was sind weitere wichtige Vorteile eines zertifizierten Brustzentrums?
Wichtig ist, dass die Patientin im Mittelpunkt der Behandlung steht. Ganz wesentlich ist, dass pro Jahr eine Mindestanzahl von Patientinnen behandelt werden muss. Durch die Erfahrung entsteht Routine. Und es ist auch wichtig, dass ein Zentrum bestimmte Guidelines hat und Prozesse definiert.
Das Q-Label garantiert ein breites Betreuungsangebot. Wie wichtig ist beispielsweise die Psychoonkologie?
Früher hat es geheissen, ein Brustkrebs ist schlimm. Fertig. Bei psychischen Schwierigkeiten hat man die Patientin zum Psychiater geschickt. Aber die meisten Patientinnen wollten nicht zum Psychiater, auch heute nicht. Aber da ist diese Angst, mit der Frauen leben müssen, denn wir sprechen von einer Krankheit, die potentiell tödlich sein kann. Nicht viele Frauen sterben daran, aber trotzdem ein paar. Und es gibt mit Sicherheit auch schwerwiegende Veränderungen durch die Behandlung, etwa im Körperbild und im Sexualleben. Für viele Frauen sind das schwerwiegende Nebenwirkungen. Da kann ein Psychoonkologe helfen. Und wenn eine Patientin einen erleichterten Zugang zu diesen Angeboten hat, dann ist das nur positiv.
Als Ärztin wünschen Sie sich, dass Patientinnen mitdenken und fordern.
Ich bin immer für einen Austausch. Ein Arzt soll der Patientin nicht sagen: Sie brauchen eine Chemotherapie. Nein, er soll aufzeigen, warum. Das Fachpersonal ist immer mehr unter Druck, die Zeit der Konsultationen ist immer kürzer. Da muss man sich manchmal auf das Wesentliche beschränken. Da kann ich mir gut vorstellen, dass man nicht immer alle Fragen stellen kann. Aber eine Patientin kann sagen, heute haben Sie mir die Hälfte meiner Fragen beantwortet, wann kann ich mit den restlichen Fragen kommen? Eine Erstkonsultation dauert meist eine Stunde, das kann sehr wenig sein.
Das «Q» vom «Q-Label» steht für Qualität. Was bedeutet Qualität?
Qualität besteht aus vielen Kriterien. Für die Patientin bedeutet Qualität, dass sie das Beste kriegt, was sie kriegen kann. Und auch in der besten Art und Weise. Unabhängig von Bildungsstand und von Sprachkenntnissen. Das gilt auch für Personen, die fremd sind, die unser Land und unser System nicht kennen. Die Behandlung ist dieselbe für jede einzelne Patientin. Und dadurch, dass bei einem zertifizierten Brustzentrum alles an einem Ort eingebettet ist, erhalten Patientinnen das Beste konzentriert an einem einzigen Ort.
ZUR PERSON
Die Onkologin Prof. Dr. med. Monica Castiglione war Direktorin des Brustzentrums am Universitätsspital in Genf und CEO der International Breast Cancer Study Group (IBCSG). Seit der Gründung des Q-Labels überprüft sie als Auditorin die Qualität von Brustzentren.
Gerade sind wir in der frühen exponentiellen Phase mit bereits >3000 Corona-infizierten Bewohnern der Schweiz (16.3.)*. Die frappante Parallelität der hiesigen Kurve der Neuerkrankten zum Inzidenzverlauf in Italien lässt keine Zweifel aufkommen, dass die nächsten Wochen eine harte Nagelprobe für unser föderales Gesundheitssystem sein werden. Dass Krebspatienten zur Risikogruppe mit einer deutlich erhöhten Morbidität und Mortalität bei einem Covid-19 Infekt gehören ist zwar klar, aber das ist schon ziemlich alles, was wir momentan darüber wissen. Gerade erscheinen die ersten Publikationen zu diesem Thema aus China (Lancet 2020) und geben einen ersten Eindruck, was uns erwarten könnte (Fig. Lancet).
Was kann dies für den hiesigen onkologischen Alltag bedeuten? Sollen unsere Patienten in Selbst-Quarantäne in bestimmten Situationen und welchen? Wie können und müssen wir sie dabei unterstützen? Sollen sie öffentliche Verkehrsmittel noch benützen? Sollen wir aktuell nicht lebensnotwendige Therapien wie z.B. adjuvante immunsuppressive Therapien verschieben oder unterlassen, ebenso wie nicht dringende Operationen und Radiotherapien? Was hat dies später für Konsequenzen für den Gesamtverlauf?
Müssen wir die Ambulatorien anders organisieren und intensive Corona-Testungen von Patienten und Personal einführen? Wie können wir sicherstellen, dass alle spitalinternen und externen Partner wie Medizinische Onkologie, Radiologie, Nuklearmedizin, Radiotherapie etc. unsere Patienten adäquat schützen?
Sind die nun laufenden klinischen Studien mit antiviralen Substanzen wie z.B. mit Remdesivir eine zukünftige Therapieoption? Wie können wir Patienten unterstützen, welche nebst ihrer Erkrankung noch durch grossen wirtschaftlichen Schaden belastet und bedroht sind?
Die SAKK ist gerade dabei gesamtschweizerisch eine Studie zu etablieren, welche uns in dieser unerwarteten Situation auf solche Fragen Antworten bringen könnte und wir ersuchen alle Kolleginnen und Kollegen sich daran zu beteiligen. Es bietet sich hier ein kurzes Opportunitäts-Fenster in dieser für alle unerwarteten, bedrohlichen Situation rasch zu lernen und die richtigen Schlüsse für unsere jetzigen und zukünftigen Patienten zu ziehen.
* Stand 14.4.: 25’688 Fälle und 1 142 Tote
Prof. em. Dr. med. Thomas Cerny
Thomas.Cerny@kssg.ch
Prof. Dr. med. Roger von Moos
Roger.vonMoos@ksgr.ch
Nachkontrollen bei erfolgreich behandelten Patienten mit Lungenkrebs
Schneider BJ et al: Lung cancer surveillance after definitive curative-intent therapy: ASCO Guideline. J Clin Oncol 2019 (Dec 12); https://doi. org/10.1200/JCO.19. 02748
Zusammenfassung: PURPOSE: To provide evidence-based recommendations on surveillance strategies after definitive curative-intent therapy in patients with stage I-III non–small-cell lung cancer (NSCLC) and SCLC. RECOMMENDATIONS: Patients should undergo chest computed tomography imaging for surveillance for recurrence every 6 months for 2 years and then annually for detection of new primary lung cancers. FDG-PET and circulating biomarkers should not be used. Age should not preclude surveillance imaging. Brain magnetic resonance imaging may be used every 3 months for the first year and every 6 months for the second year in patients with stage I-III small-cell lung cancer who have undergone curativeintent treatment.
Inhibition von Neurotrophen Tropomyosin-Receptor Kinase-Genen – eine Therapie, deren Indikation und Nutzen unabhängig vom Tumortyp auf der molekularen Pathologie beruht
Doebele RC et al: Entrectinib in patients with advanced or metastatic NTRK fusion-positive solid tumours: integrated analysis of three phase 1–2 trials. Lancet Oncol 2019 (Dec 11); https://doi.org/10.1016/ S1470-2045(19)30691-6
Zusammenfassung: diverse maligne Tumoren weisen somatische Mutationen in der Gruppe der sog. Neurotrophen Tropomyosin-Receptor Kinase-Genen (NTRK genes) auf. Es handelt sich meist um Fusionsgene, bei denen die Juxtaposition eines NTRK-Gens zu einem Partnergen (zB ETV-6) zu NTRK-Überexpression und damit zu onkogenem «drive» in der Tumorzelle führt. Der Entdecker der NTRK-Gene war Mariano Barbacid, der 1988 den Josef-Steiner-Krebspreis erhielt; eine bedeutende Auszeichnung für international anerkannte Krebsforscher, die in der Regel in Bern verliehen wird. TK-Inhibitoren sind wirksam gegen NTRK-POS Tumoren, unabhängig vom histologischen Typ, so auch Entrectinib. Die Substanz ist auch im ZNS wirksam.
Automatisierte Detektion von Prostatakarzinom in Biopsien
Ström P et al: Artificial intelligence for diagnosis and grading of prostate cancer in biopsies: a population-based, diagnostic study Lancet Oncol 2020 (Jan 8); https://doi.org/10.1016/S1470-2045(19)30738-7.doi:10.1001/jamaoncol.2019.3616
Bulten W et al: Automated deep-learning system for Gleason grading of prostate cancer using biop-sies: a diagnostic study. Lancet Oncol 2020 (Jan 8); https://doi.org/10.1016/S1470-2045(19)30739-9.
Zusammenfassung: automatisierte Systeme zur Detektion von Prostatakarzinomen in Biopsien und zum «grading» ihres Gleason scores schneiden mehr oder weniger gleich gut ab wie erfahrene Uropathologen mit ihrer mikroskopischen Diagnostik.
Olanzapin und antiemetische Therapie
Hashimoto H et al: Olanzapine 5 mg plus standard antiemetic therapy for the prevention of chemo-therapy-induced nausea and vomiting (J-FORCE): a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial Lancet Oncol 2019 (Dec 11); https://doi.org/10.1016/ S1470-2045(19)30678-3
Zusammenfassung: die Prävention von Nausea und Erbrechen unter oder nach Cisplatinhaltigen Chemotherapien kann immer noch unbefriedigend sein. Bei hoch emetogenen Therapien kann zuzüglich zu 5-Hydroxytryptamin-3 Rezeptor-Antagonisten (z.B. Ondansetron), Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten (z.B. Aprepitant), und Dexamethason die Substanz Olanzapin nützlich sein (she. Empfehlungen der ASCO Guidelines 2017). Olanzapin, ein atypisches Neuroleptikum, ist in der Schweiz z.B. als ZyprexaR in Dosen von 10-20 mg täglich für die Behandlung von psychiatrischen Leiden zugelassen. Die vorliegende Studie kam zum Schluss, dass in einem Antiemetika-Schema eine Tagesdosis Olanzapin von 5 mg genügt und weniger oft Nebenwirkungen (Schläfrigkeit) mit sich bringt.
Luspatercept bei Patienten mit myelodysplastischen Syndromen von geringem Risiko
Quelle: Fenaux P et al. Luspatercept in patients with lower-risk myelodysplastic syndromes. N Engl J Med 2020;382:140-51
Hintergrund
Patienten mit Anämie und myelodysplastischen Syndromen (MDS) von geringerem Risiko, bei denen die Therapie mit Erythropoiese-stimulierenden Mitteln nicht wirksam ist, werden im Allgemeinen von Erythrozyten-Transfusionen abhängig. Luspatercept, ein rekombinantes Fusionsprotein, das transforming growth facotr β superfamily Liganden zur Reduzierung der SMAD2- und SMAD3-Signalübertragung bindet, zeigte vielversprechende Ergebnisse in einer Phase 2-Studie.
Methoden
In einer doppelblinden, plazebokontrollierten Phase 3-Studie (MEDALLIST) wurden Patienten mit MDS mit sehr niedrigem, niedrigem oder mittlerem Risiko (definiert nach dem Revised International Prognostic Scoring System) mit Ringersideroblasten, die regelmässig Erythrozyten-Transfusionen erhalten hatten, zu Luspatercept (in einer Dosis von 1,0 bis 1,75 mg pro Kilogramm Körpergewicht) oder Placebo alle 3 Wochen subkutan randomisiert. Der primäre Endpunkt war Transfusionsunabhängigkeit während 8 Wochen oder länger während der Wochen 1 bis 24, und der wichtigste sekundäre Endpunkt war die Unabhängigkeit von Transfusion während 12 Wochen oder länger, untersucht während der Wochen 1 bis 24 und während der Wochen 1 bis 48.
Resultate
Von den 229 eingeschlossenen Patienten wurden 153 in die Luspaterzept- und 76 in die Placebo-Gruppe zugeteilt; die Ausgangscharakteristika der Patienten waren ausgeglichen. Die Transfusionsunabhängigkeit während 8 Wochen oder länger wurde bei 38% der Patienten in der Luspatercept-Gruppe, verglichen mit 13% in der Placebo-Gruppe (P < 0,001) erreicht. Ein höherer Prozentsatz von Patienten in der Luspatercept-Gruppe als in der Placebo-Gruppe erfüllte den wichtigsten sekundären Endpunkt (28 % gegenüber 8% für die Wochen 1 bis 24 und 33% gegenüber 12% für Wochen 1 bis 48; p <v0,001 für beide Analysen). Zu den häufigsten Luspaterzept-assoziierten Nebenwirkungen (egal welchen Grades) gehörten Müdigkeit, Durchfall, Asthenie, Übelkeit, und Schwindelgefühl. Die Inzidenz von unerwünschten Ereignissen nahm mit der Zeit ab.
Schlussfolgerungen
Luspatercept reduzierte den Schweregrad der Anämie bei Patienten mit MDS von geringerem Risiko mit Ringersideroblasten, die regelmässig Erythrozyten-Transfusionen erhalten hatten und die an einer Krankheit litten, die auf Erythropoiese-stimulierende Substanzen nicht mehr ansprachen oder diese wegen eines unerwünschten Ereignisses abgesetzt hatten.
Limitierte Konkordanz für klonale Hämatopoese bei älteren Zwillingen
Quelle: Fabre MA et al. Concordance for clonal hematopoiesis is limited in elderly twins. Blood. 2020;135(4):269-273
Hintergrund
Obwohl der Erwerb von Leukämie-assoziierten somatischen Mutationen durch eine oder mehrere hämatopoetische Stammzellen mit zunehmendem Alter unvermeidlich ist, sind ihre Folgen sehr variabel und reichen von der klinisch stummen klonalen Hämato-poese (CH) bis zur leukämischen Progression. Zur Untersuchung des Einflusses vererbbarer Faktoren auf die CH, wurde eine gezielte Tiefensequenzierung der Blut-DNA von 52 monozygoten (MZ) und 27 dizygoten (DZ) Zwillingspaaren (im Alter von 70-99 Jahren) durchgeführt.
Mit diesem hochsensiblen Ansatz wurde CH (Häufigkeit der Allel-Variante ≥0.5%) bei 62% der Einzelpersonen identifiziert. Es wurde keine höhere Konkordanz für CH innerhalb von MZ-Zwillingspaaren im Vergleich zu DZ-Zwillingspaaren oder zu dem, was zufällig erwartet wird, festgestellt. Es wurden jedoch 2 MZ-Paare identifiziert, bei denen beide Zwillinge die identischen seltenen somatischen Mutationen trugen, was auf eine gemeinsame Ursprungszelle hindeutet. Bei 3 MZ-Zwillingspaaren schliesslich, die Mutationen in den gleichen Treibergenen aufwiesen, zeigten serielle Blutproben, die im Abstand von 4 bis 5 Jahren entnommen wurden, erhebliche Zwillings-zu-Zwillings-Variabilität der klonalen Evolution. Diese Ergebnisse legen nahe, dass das vererbte Genom nicht einen dominierenden Einfluss auf das Verhalten von Erwachsenen-CH ausübt und erbringen den Nachweis, dass CH Mutationen im Uterus erworben werden könnten.
Klonale Hämatopoiese bei älteren Zwillingen: Konkordanz, Diskordanz und Mortalität
Quelle: Hansen JW et al Clonal hematopoiesis in elderly twins: concordance, discordance, and mortality. Blood. 2020;135:261-268.
Hintergrund
Die klonale Hämatopoese (CH) unbestimmten Potentials (CHIP) wird definiert durch Mutationen in myeloischen Neoplasie-assoziierten Genen mit einer Allelfrequenz von mindestens 2%. Neue Studien haben eine mögliche genetische Veranlagung für CH postuliert. Um dieses Phänomen weiter zu untersuchen, wurde eine bevölkerungsbezogene Studie mit 594 Zwillingen von 299 Paaren im Alter von 73 bis 94 Jahre durchgeführt, alle mit > 20 Jahren Follow-up. Es wurde DNA aus peripherem Blut mit einem 21-Gen-Panel bei einer mittleren Abdeckung von 6179X sequenziert. Die fall-basierten Konkordanzraten für Mutationen wurden berechnet, um die genetische Veranlagung zu beurteilen. Mutationen wurden bei 214 (36%) der Zwillinge identifiziert. Während 20 Zwillingspaare Mutationen innerhalb der gleichen Gene aufwiesen, wurde die exakt gleiche Mutation nur bei 2 Zwillingspaaren beobachtet. Es konnte kein signifikanter Unterschied für spezifische Gen-, Untergruppen- oder CHIP-Mutationen insgesamt in der fall-basierten Konkordanz-Analyse zwischen eineiigen und zweieiigen Zwillingen gefunden werden.
Es konnte kein signifikantes Vererbungsmuster nachgewiesen werden. Bei für CHIP-Mutationen diskordanten Paaren wurde untersucht, ob ein von CHIP betroffener Zwilling vor dem nicht betroffenen Zwilling verstarb. Ein Total von 127 Zwillingspaaren waren für eine Mutation diskordant und in 61 (48%) Fällen starb der betroffene Zwilling zuerst (P = 0. 72). Insgesamt wurde somit in dieser Zwillingsstudie keine genetische Veranlagung für CHIP-Mutationen gefunden. Die zuvor beschriebene Assoziation zwischen CHIP-Mutationen und erhöhter Mortalität konnte in einem direkten Vergleich zwischen Zwillingen, die für CHIP-Mutationen diskordant waren, nicht bestätigt werden.
Prof. Dr. med.Markus G. Manz
Zentrum für Hämatologie und Onkologie
UniversitätsSpital Zürich
PD Dr. med. Alexandre Theocharides
Zentrum für Hämatologie und Onkologie
UniversitätsSpital Zürich
Gastrointestinale Stromatumore (GIST) sind seltene Tumore des Abdomens, an denen in der Schweiz ungefähr 80 Patienten jährlich erkranken. Seit 20 Jahren besteht grosses Interesse an GIST bei Onkologen und multidisziplinären Teams weltweit, weil mit der Aufklärung der pathogenetischen Mechnismen und der Verfügbarkeit zielgerichteter Therapien wirksame Behandlungen auch bei fortgeschrittener Erkrankung möglich sind, neben der kurativen Chirurgie lokalisierter GIST. Der sequentielle Einsatz der Tyrosinkinase-Inhibitoren Imatinib, Sunitinib und Regorafenib hat bei metastasierten Patienten das Gesamtüberleben von 18 auf mehr als 60 Monate verlängert. Neue Substanzen wie Ripretinib und Avapritinib werden diese Zahlen weiter erhöhen. Avapritinib erlaubt neu die Behandlung von GIST mit PDGFRA Exon 18 D842V Mutation, die bisher als resistent galt.
Les tumeurs stromales gastro-intestinales (GIST) sont des tumeurs rares de l’abdomen qui touchent environ 80 patients en Suisse chaque année. Depuis 20 ans, les GIST suscitent un grand intérêt parmi les oncologues et les équipes multidisciplinaires du monde entier, car l’élucidation des mécanismes pathogéniques et la disponibilité de thérapies ciblées ont rendu possible un traitement efficace même dans les maladies avancées, en plus de la chirurgie curative des GIST localisées. L’utilisation séquentielle des inhibiteurs de la tyrosine kinase imatinib, sunitinib et regorafenib a permis de prolonger la survie globale de 18 à plus de 60 mois chez les patients atteints de métastases. De nouveaux composés tels que le ripretinib et l’avapritinib vont encore augmenter ces chiffres. L’avapritinib permet désormais de traiter les GIST avec la mutation D842V de l’exon 18 du PDGFRA, qui était auparavant considérée comme résistante.
Klinik
Zwei Drittel der Patienten mit GIST werden erstmals wegen Symptomen wie Schluckstörungen, Völlegefühl, gastrointestinalen Blutungen oder Unterleibsschmerzen etc. diagnostiziert. Zunehmend werden GIST bei Routine-Kontrollen (z.B. Anämie) bzw. endoskopischen, radiologischen oder chirurgischen Untersuchungen und Behandlungen gefunden. Immer häufiger werden asymptomatische GIST < 2cm entdeckt, die molekular identisch mit grösseren GIST sind. Diese kleinen GIST müssen (endosonographisch) verfolgt, aber nur bei Grössenprogredienz zwingend reseziert werden (1, 2)
Pathologie und molekulare Biologie
Die pathologische Diagnose erfolgt anhand typischer morphologischer Merkmale und der Immunhistochemie. GIST werden als Spindelzelltyp (70%), Epitheloidzelltyp (20%) oder gemischtzelliger Typ (10%) klassifiziert und sind in 95% der Fälle positiv für CD117 («KIT»).Pathogenetisch sind für 85% aller GIST Mutationen in den Rezeptoren KIT und PDGFRA verantwortlich. Diese « gain-of-function » Mutationen (3) führen zu einer dauerhaften, onkogenen Aktivierung der defekten Rezeptoren KIT oder PDGFRA.(4) Die Mutationsanalyse sollte regelmässig erfolgen, da sie von prognostischer und prädiktiver Bedeutung ist. 10-15% sind sogenannte wild-type GIST und weisen keine dieser Mutationen auf, sondern u.a. BRAF-Mutationen, Mutationen der Gene für den Succinat Dehydrogenase Enzym Komplex (5, 6) auf oder andere (7). Die meisten GIST treten sporadisch auf, selten im Rahmen von Syndromen oder als Rarität familiär-vererbbar (6).
Wichtig für die Risikoabschätzung ist neben der Tumorgrösse und Lokalisation die Mitoserate (8), die als Mitosezahl/5mm2 der aktivsten Region angegeben wird (1).
Ausbreitungsdiagnostik und Erfolgsbeurteilung
Die Computertomographie (CT) gilt als Standard der Ausbreitungsdiagnostik, kann aber durch die Kernspintomographie und die Positronen-Emissionstomographie ersetzt beziehungsweise ergänzt werden. Das radiologische Stadium entscheidet wesentlich die initiale Therapiemodalität.
Bei fehlenden extraabdominalen Metastasen in der Erstdiagnostik und ausbleibender Progression können die Nachsorgeuntersuchungen oder Therapiekontrollen auf das Abdomen beschränkt werden. Die Erfolgsbeurteilung unter Therapie erfolgt sowohl anhand RECIST als auch der CHOI-Kriterien, die Änderungen der Tumorgrösse und der Dichte berücksichtigt. Unter Therapie mit TKI erfolgen Verlaufskontrollen im Abstand von 3 Monaten, bei Tumorblutung, oder -ruptur und Tumoren in ungünstiger Lokalisation, insbesondere zu Beginn auch engmaschiger.
Resezierte GIST werden risiko-adaptiert nachgesorgt. Tumore sehr geringen Risikos bedürfen keiner Nachsorge, Hochrisiko-GIST sollten in den ersten drei Jahren 2-4x pro Jahr ein abdominales CT oder MRT erhalten (1).
Resezierbare Erkrankung
Die komplette chirurgische Entfernung aller sichtbaren Tumoranteile gilt als kurative Standardbehandlung lokalisierter, resezierbarer GIST (1, 2).
Adjuvante Therapie
Das Risiko eines Rückfalls hängt von der Grösse und Lokalisation des Primärtumors und wesentlich von der Mitoserate ab (8). Die sogenannten «Contourmaps» (9) erlauben eine kontinuierlichere Risikoabschätzung, besonders hilfreich bei grenzwertigen und intermediären Risikogruppen. Wichtig ist die Identifizierung der Hoch-Risikogruppe (9, 10), für die eine adjuvante Behandlung mit Imatinib einen signifikanten Überlebensvorteil gezeigt hat (11). (Tabelle 1) Die Dauer der adjuvanten Therapie sollte mindestens drei Jahre, wenn nicht lebenslang betragen (1, 2, 12).
Metastasierte Erkrankung
Bei metastasierter Erkrankung erfolgt eine systemische Therapie mit den zugelassenen Tyrosinkinase-Inhibitoren Imatinib, Sunitinib und Regorafenib, die das mediane Gesamtüberleben dieser Patienten von vormals 18 auf mehr als 60 Monate erhöht haben (4).
In der Erstlinie wird Imatinib verabreicht, 400mg/Tag bei allen sensitiven Mutationen und 2x400mg/Tag im Falle einer Mutation KIT Exon 9. Die objektiven Ansprechraten betragen zwischen 35-75% je nach Mutation. Molekulare Techniken zeigen, dass bereits bei Initialdiagnose eine oder mehrere Sekundärmutationen vorliegen können, die im Verlauf bei den meisten Patienten das Therapieversagen verursachen (Abb. 1).
In der zweiten Therapielinie wird Sunitinib eingesetzt. Die Standarddosierung ist 50 mg/Tag über vier Wochen, mit anschliessender zweiwöchiger Therapiepause. Viele Patienten wechseln auf die alternative Dosierung von 37,5 mg/Tag wegen der besseren Verträglichkeit.
Bei einer erneuten Progression kommt Regorafenib zum Einsatz. Die wenigsten Patienten werden dauerhaft mit der zugelassenen Standard-Dosierung von 160 mg/Tag über 3 Wochen behandelt, gefolgt von einer Woche Pause, sondern mit reduzierten Dosen (13). Der sequentielle Einsatz von Imatinib, Sunitinib und Regorafenib führt zu medianen Überlebenszeiten von mindestens 5 Jahren (1, 2).
Pharmakokinetik
Allen Tyrosinkinaseinhibitoren ist gemeinsam, dass Unterschiede in der Pharmakokinetik eine individuelle Anpassung der Dosierung erfordern. Für Imatinib gibt es Hinweise, dass niedrige Plasmaspiegel mit schlechteren Ergebnissen einher gehen (14). Die Compliance spielt bei den GIST eine wesentliche Rolle beim Therapieerfolg.
Präoperative Therapie
GIST können aufgrund ihrer Grösse oder Tumorlokalisation, nicht immer einfach reseziert werden, weswegen ausgewählte Patienten mit Imatinib präoperativ behandelt werden, obwohl evidenz-basierte Daten hierzu fehlen. Die Entscheidung sollte immer in einem multidisziplinären Team getroffen werden. Bei hepatischen Metastasen und Therapieansprechen kann eine präoperative Therapie eine kurative Resektion ermöglichen (1, 2, 15).
Blutung und Tumorruptur
Gastrointestinale Stromatumore neigen sowohl zu intraabdominalen, als auch intraluminalen Blutungen, die eine multidisziplinäre Therapieentscheidung verlangen. Liegt eine auf Imatinib-sensitive Mutation vor, kann unter engmaschiger Überwachung eine präoperative Therapie mit Imatinib erfolgen, worunter es häufig zu einer raschen Tumorkontrolle kommt. Lebensbedrohliche Blutungen erfordern ein rasches chirurgisches oder interventionelles Handeln.
Die spontane oder intraoperative Tumorruptur in den Bauchraum oder intraperitoneal verschlechtert die Prognose und ist mit einer metastasierten Erkrankung gleichzusetzen, weswegen selbst bei ansonsten erfolgreicher Resektion eine dauerhafte adjuvante Therapie erforderlich ist (1, 2, 15).
Neue Substanzen
Vor wenigen Tagen hat Avapritinib die Zulassung der amerikanischen FDA für die Behandlung aller PDGFRA Mutationen erhalten, inklusive der bisher primär resistenten PDGFRA Exon 18 D842V Mutation. Tumore mit Sekundärmutationen in KIT Exon 13 V654A und KIT Exon 14 T670I sprechen nicht auf Avapritinib an, aber auf Sunitinib. Bei allen anderen Mutationen hat Avapritinib (Blu-285) in der vierten Linie zu einer objektiven Tumorreduktion bei 22% der Patienten geführt (16).
Ripretinib (DCC-2618) ist eine weitere Substanz, die in einer kleineren Studie bei vorbehandelten Patienten, hohe Wirksamkeit gezeigt hat (17). Beide Substanzen sind in der Schweiz noch nicht zugelassen, werden aber aktuell in Studien eingesetzt und untersucht.
Immuntherapie und Liquid Biopsy
Die Immuntherapie mittels Checkpoint-Inhibitoren (18) in der Monotherapie spielt zur Zeit keine Rolle, was sich aber sicher ändern wird (19, 20).
GIST können mittels «Liquid Biopsy» diagnostiert bzw. nachverfolgt werden, aktuell aber nur im Rahmen von Studien oder Forschungsfragen (21).
Fazit
Gastrointestinale Stromatumore sollten in einem multidisziplinären Team stadiengerecht behandelt werden. Das Zusammenspiel aller Disziplinen sichert den langfristigen Behandlungserfolg. Das Stadium und der molekulare Mutationsstatus bestimmen das Vorgehen und die Prognose. Die Tyrosinkinase-Inhibitoren Imatinib, Sunitinib, Regorafenib und die neueren Substanzen haben die Prognose der erkrankten Patienten erheblich verbessert und ermöglichen heute auch die erfolgreiche Behandlung der bisher als primär resistent geltenden PDGFRA Exon 18 D842V Mutation. Patienten finden Information bei der GIST-Gruppe Schweiz (www.gist.ch).
Dr. med. Michael Montemurro
Oncologie médicale
CHUV Centre Hospitalier Universitaire Vaudois
Rue du Bugnon 46
1011 Lausanne
Michael.montemurro@chuv.ch
Aufwandsentschädigungen und Kongresszuschüsse von Bayer, Lilly, PharmaMar, Pfizer, Roche, Servier.
GIST werden multidisziplinär behandelt
Lokalisierte GIST werden kurativ chirurgisch reseziert.
Hochrisiko-GIST* werden adjuvant nachbehandelt (*Grösse, Lokalisation, Mitoserate)
Die Mutationsanalyse hat hohe therapeutische Relevanz
Bei metastasierten Patienten haben die TKIs das Überleben deutlich verlängert.
Messages à retenir
Les GIST sont traitées de manière multidisciplinaire
Les GIST localisées sont réséquées chirurgicalement de manière curative.
Les GIST* à haut risque sont traités de manière adjuvante (*taille, localisation, taux de mitose)
L’analyse des mutations a une grande pertinence thérapeutique
Chez les patients métastatiques, les inhibiteurs de la tyrosinkinase ont prolongé de manière significative la survie.
1 Casali PG, Abecassis N, Aro HT, Bauer S, Biagini R, Bielack S, et al. Gastrointestinal stromal tumours: ESMO-EURACAN Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Annals of oncology : official journal of the European Society for Medical Oncology. 2018;29(Suppl 4):iv267.
2. Etherington MS, DeMatteo RP. Tailored management of primary gastrointestinal stromal tumors. Cancer. 2019.
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Die heutige Personalisierte Medizin verschiebt den Fokus weg von der Krankheit hin zum Individuum: Der Patient wird in seiner privaten molekulargenetischen Signatur, deren Auswirkungen und seinem individuellen Verhalten und Lebensumständen erfasst und danach möglichst präzise behandelt. Die Chancen und Risiken dieser Entwicklung sind offen und zunehmend in der öffentlichen Diskussion.
La médecine personnalisée d’ aujourd’ hui déplace l’ attention de la maladie vers l’ individu : Le patient est saisi dans sa signature génétique moléculaire privée, ses effets et son comportement individuel et ses conditions de vie, puis traité de la manière la plus précise possible. Les opportunités et les risques de cette évolution sont ouverts et de plus en plus présents dans le débat public.
Einleitung
Von jeher versucht die Medizin, eine auf den individuellen Patienten ausgerichtete «personalisierte Medizin» mit dem zu der jeweiligen Zeit verfügbaren Wissen und Können anzuwenden. Dabei ist das aktuell vorherrschende Medizin-Modell abhängig vom Einfluss der zeitgleich dominierenden Ergebnisse der Wissenschaften. War in der 1. Hälfte des letzten Jahrhunderts die Psychoanalyse gross en vogue, so verhalf dies der psychosomatisch orientierten Medizin zu einem beachtlichen Aufschwung und in Erweiterung durch die soziologischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zum Model der bio-psycho-sozialen Medizin. Die Entdeckung und Entwicklung der Narkose, das erfolgreiche Konzept der Sterilität und antiinfektiösen Therapien, die Entdeckung der Blutgruppen und damit Etablierung der Transfusionsmedizin, sowie die apparative Bildgebung wiederum, haben der modernen operativ, pharmakologisch und technisch dominierten Medizin in der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts zu eindrücklichen Höhenflügen verholfen.
Nun befinden wir uns seit der Entschlüsselung des genetischen Codes in den Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts in der Zeit der biochemisch, molekulargenetisch und immunologisch dominierten Medizin – neuerdings ergänzt mit den grossen Versprechungen der intelligenten «Big Data» Analysen und künstlichen Intelligenz. Da ist nun potentiell jeder Mensch permanent Objekt und Subjekt in seiner Totalität, mit seiner ganz individuellen, vollständigen, molekulargenetischen Signatur und seinem Verhalten in Gesundheit und Krankheit. Wir sind erst gerade daran, die weitreichenden Chancen und Risiken dieser Entwicklung zu erfassen und verstehen. Eine breite öffentliche Diskussion ist nun notwendig, damit die einerseits – wohl zu Recht – grossen Chancen und andererseits die nicht zu unterschätzenden Risiken für den verletzlichen gläsernen Patienten verstanden werden. Das Bundesamt für Gesundheit hat ein eigenes Merkblatt zur Begrifflichkeit der Personalisierten Medizin verfasst, was die Bedeutung dieser Entwicklung für die hiesige Öffentlichkeit klar unterstreicht. In den USA hat sich in letzter Zeit der Begriff «Precision Medicine» vermehrt etabliert gegenüber von «Personalized Medicine», da hier mehr zum Ausdruck kommt, dass es sich um eine genau auf eine für den Patienten passende Zielstruktur gerichtete Medizin handelt. Es soll nicht übersehen werden, dass dieser Begriff auch bewusst manipulativ medial eingesetzt wird, um die teilweise exorbitant hohen Preise und Kosten neuer Therapien zu rechtfertigen.
Definitionen zu personalisierter Medizin und Gesundheit
1. Bundesamt für Gesundheit (BAG)
«Die personalisierte Medizin (auch Präzisionsmedizin oder individualisierte Medizin genannt) umfasst im Allgemeinen diagnostische, präventive und therapeutische Massnahmen, die auf ein Individuum optimal zugeschnitten sind. Die Person wird untersucht, insbesondere um genetische Merkmale zu bestimmen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen fliessen anschliessend in den Entscheidungsprozess für Therapie- und Präventionsmassnahmen zur Behandlung jener Person ein. Von solch massgeschneiderten Behandlungen erhofft man sich wirksamere Therapien und weniger Nebenwirkungen. Langfristig sollen sie somit auch positiv auf die Kostenentwicklung wirken.
Das Konzept der Personalisierten Gesundheit geht über dasjenige der Personalisierten Medizin hinaus und spielt insbesondere für die Prävention eine wichtige Rolle. Für die Personalisierte Gesundheit stehen nicht nur die Patientinnen und Patienten im Fokus, sondern auch gesunde Personen. Es werden neben Informationen zur «Biologie» der Person weitere gesundheitsbezogene Daten aus unterschiedlichen Quellen berücksichtigt.»
2. USA National Cancer Institut (NCI-Dictionnary)
«Personalized Medicine: A form of medicine that uses information about a person’ s genes, proteins, and environment to prevent, diagnose, and treat disease. In cancer, personalized medicine uses specific information about a person’ s tumor to help diagnose, plan treatment, find out how well treatment is working, or make a prognosis. Examples of personalized medicine include using targeted therapies to treat specific types of cancer cells, such as HER2-positive breast cancer cells, or using tumor marker testing to help diagnose cancer. Also called precision medicine.»
Die personalisierte Medizin und die moderne Onkologie
Die onkologische Hämatologie und Onkologie haben sich als klare medizinische Frontdisziplin dieser rasanten Entwicklung in den letzten 3 Jahrzehnten etabliert und sind somit mit vielen neuen offenen Fragen jeweils als Erste konfrontiert. Schon alleine durch die heute immer rascher verfügbare und auch zunehmend bezahlbare Entschlüsselung der molekulargenetischen Signatur der individuellen Tumorerkrankung unterscheiden wir von Monat zu Monat neue Untergruppen von bisher als einheitlich verstandenen Tumorentitäten. So haben wir es bereits heute mit über 1000 Untergruppen von Malignomen zu tun; letztlich ist jeder Tumor eines individuellen Patienten sogar einzigartig in seinem Muster von Mutationen und weiteren genetischen und epigenetischen Veränderungen. Diese genetischen Signaturen verändern sich dann noch weiter im Verlauf der Erkrankung mit den vielen Generationen an weiteren fehlerhaften Zellteilungen und sind vom Primärtumor zu der verschiedenen Metastase dazu noch weiter variabel. Auch die Therapien verändern die genetischen Informationen zusätzlich und können die malignen Zellen mit insbesondere die Resistenz unterstützenden Mutationen selektionieren. Für die therapeutische Nutzung dieser Daten ist es entscheidend, für den jeweiligen Patienten herauszufinden, welche der vielen genetischen Veränderungen den Krankheitsprozess bestimmen («driver mutations») und welche nicht («passenger mutations»), um die dafür wirksame, hochpräzise Therapie für das aktuelle Krankheitsstadium des jeweiligen Patienten zu entwickeln und einzusetzen.
Hohe Erwartungen an Big Data
Das heutige Konzept der «Personalisierten Medizin» ist also im «Management» der einzelnen Patienten mit sehr grossen komplexen Datenmengen konfrontiert, die weit über die Erfahrung des einzelnen Arztes oder eines lokalen Spezialisten Teams hinausgehen. Der unmittelbare Austausch dieser Daten unter den Experten in grossen nationalen und internationalen Netzwerken erlaubt es grundsätzlich, die Ergebnisse bisheriger und neuer diagnostischer und therapeutischer Verfahrenszeit zu erfassen, zu vergleichen und auszuwerten. Damit wird der Nutzen der neuen Erkenntnisse enorm gesteigert und die jeweils beste diagnostische und therapeutische Vorgehensweise für den aktuellen und den nächsten individuellen Patienten wird damit viel schneller verfügbar. Der Weg dahin ist aber lang und teuer und hat noch viele ethische sowie politische Hürden zu nehmen (wie z.B. Datenschutz, Versicherungsrecht und grenzüberschreitende Nutzung).
Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat mit dem Swiss Personalized Health Network (SPHN) die Infrastrukturen geschaffen, um die vielen Gesundheitsdaten in der Schweiz für die Forschung und letztlich die Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen. Das vom Forum Genforschung betriebene Themenportal «Personalisierte Gesundheit» und das Dialogprojekt «Mensch nach Mass» der Stiftung Science et Cit. sind weitere Aktivitäten, die von der SAMW mitgetragen werden. In einem eigenen Positionspapier überprüft die SAMW zudem den Nutzen und die Risiken des medizinischen Fortschritts für die nachhaltige Entwicklung des Gesundheitssystems insgesamt. Bei allen Erwartungen, welche die Personalisierte Medizin weckt, ist es auch eine Aufgabe der SAMW und anderer nationaler und internationaler unabhängiger Organisationen, diese im Kontext eines nachhaltigen Gesundheitssystems kritisch zu hinterfragen.
Beispiele der «Personalisierten Onkologie»
Das wohl berühmteste und auch erste Beispiel zielgerichteter Therapie stammt aus der Onkologie, nämlich die Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie (CML). Es konnte gezeigt werden, dass sie durch eine einzigartige pathognomonische Translokation zwischen den Chromosomen 9 und 22 verursacht wird, welche zytogenetisch und molekularbiologisch nachgewiesen werden kann. Aus dieser Translokation entsteht ein neues Protein mit einer veränderten Funktion, das BCR-ABL-Eiweiss, welches ein ungebremstes Wachstum und damit die Leukämie auslöst. Diese Funktion kann durch neue Krebsmedikamente, sogenannte Kinase-Inhibitoren wie Imatinib, geblockt werden – mit dramatischer Verbesserung des Überlebens von CML-Patienten. BCR-ABL ist in der CML somit ein diagnostischer Biomarker, wie auch ein prädiktiver Test – er sagt die Wirkung von Kinase-Inhibitoren voraus.
Eine weitere onkologische Erkrankung, bei der zielgerichtete Therapien das Überleben deutlich verlängern konnten, ist das maligne Melanom. Es konnte gezeigt werden, dass rund 60% der metastasierten Melanome der Haut eine Punktmutation im BRAF-Gen aufweisen. BRAF-Kinase- Inhibitoren (wie Vemurafenib, Dabrafenib oder Encorafenib) sind in dieser Situation sehr gut wirksam; allerdings entwickelt sich meist rasch eine Resistenz, was die Gabe weiterer Medikamente bedingt.
Als Beispiel wie heute die personalisierte Onkologie praktiziert wird, sei hier das Nichtkleinzellige Lungenkarzinom NSCLC angeführt.
Hatten wir noch vor 20 Jahren im Wesentlichen die Nichtkleinzelligen Lungenkarzinome unterschieden in die Plattenepithel- und Adeno-Karzinome, so unterschieden wir heute circa 20 molekulargenetisch verschiedene Typen und diese Zahl nimmt laufend zu. So wurde kürzlich Dacomitinib (Vizimpro) als Monotherapie zur Erstlinienbehandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC mit aktivierenden Exon 19 Deletionen oder Exon 21 (L858R) Substitutionsmutationen des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGFR) zugelassen. Das mediane Überleben zeigte für Dacomitinib einen signifikanten Vorteil gegenüber dem Vergleichsarm (Gefitinib) mit 34.1 Monaten gegenüber 26.8 Monaten. Ein aktueller Behandlungsalgorithmus für Patienten mit NSCLC und nachweisbaren bekannten Driver-Mutationen ist in Abbildung 1 angeführt.
Trotz den rasanten und sehr kostspieligen Fortschritten in der Onkologie und onkologischen Hämatologie muss festgehalten werden, dass die bisherige konventionelle Chemotherapie und Radiotherapie keineswegs ausgedient haben. In vielen Situationen ergänzen sich die verschiedenen bewährten und neuen Therapieformen und bei noch vielen Patienten haben wir noch keine zielgerichteten Therapien verfügbar oder sie sind noch nicht ausreichend oder nur kurzfristig wirksam.
Es ist aber auch legitim, die bereits absehbaren enormen Erfolge insbesondere auch der Immuntherapien z.B. in der jetzt möglichen kurativen Behandlung der Patienten mit metastasierendem malignen Melanom oder mit bisher therapie-refraktären akuten Leukämien oder Lymphomen und anderen mehr zu erwähnen. Wir stehen hier wirklich erst am Anfang eines weiten Weges.
In einer breit angelegten Studie in den USA wurde kürzlich untersucht, wie viele der 94 157 zielgerichteten behandelten Patienten im Zeitraum 2006-2018 profitiert haben (Abb. 2) und wie das Ansprechen («response rate») und die Dauer des Ansprechens («Duration of Response») aussieht (Abb. 3; Marquart 2018).
Ausblick
Es wird entscheidend sein, dass der Nutzen der personalisierten Medizin als Resultat der weitgehend von der Öffentlichkeit getragenen Billionen schweren Grundlagen- und Klinischen Forschung der breiten Bevölkerung auch umfassend und zu fairen Bedingungen zu Gute kommt. Die bisherige zu einseitige Kommerzialisierung des medizinischen Fortschritts – insbesondere durch die zu grosszügige Monopolisierung durch privatisierte Patente aus der öffentlichen Forschung – muss den heutigen Realitäten wieder gerecht werden und die Preise der innovativen Medikamente in ein nachvollziehbares, transparentes und faires Verhältnis von Aufwand und Ertrag gesetzt werden. Eine freie Preissetzung neuer Medikamente, wie es die USA zulässt, ist nicht mehr haltbar in solidarisch getragenen Gesundheitssystemen wie in Europa.
Wir als Experten der Medizin sind nun mitten im Aufbruch dieser medizinischen Revolution, welche in sehr raschem Tempo voranschreitet, enorm gefordert. Die therapeutischen, diagnostischen und präventiven Optionen der nahen Zukunft sind noch kaum absehbar gross und haben enorme Konsequenzen für die ganze Gesellschaft. Die Inzidenz und Prävalenz der Erkrankungen sind in raschem Wandel mit grossen wirtschaftlichen und demographischen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Die Möglichkeiten ins Genom des Menschen, insbesondere auch in die Keimbahn einzugreifen, wie z.B. durch die CRISPR-Cas9 Methoden, sind gerade erst in der Initialphase der öffentlichen Diskussion – ebenso wie die Optionen der Verschmelzung von Mensch und Technik im «Transhumanismus», wo der einzelne Mensch durch technische Implantate «verbessert» werden soll.
Prof. Daniel Scheidegger, bis Ende 2019 Präsident der SAMW schreibt:
«Alle Gesundheitsfachleute müssen sich heute mit diesen neuen Trends auseinandersetzen. Da die Medizin sich in Zukunft nur noch multi- und interprofessionell weiterentwickeln kann, sind die Inhalte nicht nur auf alle Berufsgruppen ausgerichtet, sondern auch interprofessionell entstanden. Die Personalisierte Medizin wird in den nächsten Jahren rasant an Bedeutung gewinnen. Ob sich die grossen Hoffnungen bewahrheiten, wird die Zukunft zeigen».
Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny
Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen
thomas.cerny@kssg.ch
Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.
Der Begriff «Personalisierte Medizin» wird heute in der Onkologie/Hämatologie gleichbedeutend mit molekulargenetisch basierter
Präzisionsmedizin («Precision Medicine») gebraucht.
Im weiteren Sinn werden auch das individuelle Verhalten und die aktuellen Lebensumstände als Teil der Personalisierten Medizin einbezogen.
Die Personalisierte Gesundheit fokussiert auf Prävention und damit ebenso auf die gesunde Bevölkerung und Risikogruppen.
Fortlaufende Analysen von Big Data werden als Schlüssel für den erhofften Erfolg der personalisierten Medizin und Gesundheit gesehen.
Messages à retenir
Le terme « médecine personnalisée » est utilisé aujourd’ hui en oncologie/hématologie comme synonyme de médecine de haute précision
à base de génétique moléculaire (« Precision Medicine »).
Dans un sens plus large, les comportements individuels et les conditions de vie actuelles sont également inclus dans le cadre de la médecine personnalisée
La santé personnalisée se concentre sur la prévention et donc aussi sur la population en bonne santé et les groupes à risque
Les analyses en cours du Big Data sont considérées comme la clé du succès espéré de la médecine et de la santé personnalisées
1. «Personalisierte Medizin» der SAMW: www.samw.ch unter Publikationen
2. Faktenblatt Personalisierte Medizin des BAG: unter www.bag.admin.ch eingeben: Faktenblatt Personalisierte Medizin
3. Swiss Personalized Health Network (SPHN) Initiative: www.sphn.ch
4. Onkopedia Leitlinien: www.onkopedia.com
5. Marquart J, Chen EY, Prasad V. Estimation of the percentage of US patients with cancer who benefit from genome-driven oncology JAMA Oncol. 2018;4:1093-1098