Der diesjährige ESMO-Kongress in Berlin war ein Feuerwerk an Daten – und ein eindrückliches Zeugnis dafür, wie schnell sich die Onkologie weiterentwickelt. Die neuen Resultate zu zielgerichteten Therapien, Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (ADC), bispezifischen Antikörpern und innovativen Immuntherapie-Kombinationen zeigten eindrucksvoll, dass Präzisionsmedizin längst klinische Realität ist. Die Schlagworte lauten nicht mehr «Ob», sondern «Wie schnell» und «für wen».
Akademisches Umfeld und Industrie: Auffällig war die enge Verzahnung akademischer Gruppen mit der Pharmaindustrie. Viele der wichtigsten Studien stammen aus kooperativen Netzwerken, die translationale Forschung, Real-World-Daten und industrielle Entwicklungsprogramme miteinander verbinden. Biomarkerbasierte Therapieentscheidungen, molekulares Staging und adaptive Studiendesigns werden zunehmend zum Standard – der akademische Beitrag bleibt dabei zentral, um klinische Relevanz und Nachhaltigkeit sicherzustellen.
Berlin als Austragungsort: Die Stadt bot Kreativität, Energie und eine forschungsstarke Bühne – aber auch Chaos, Verspätungen und eine Portion typisch deutsche Improvisation. Zwischen ausfallenden Zügen und dichtem Kongressbetrieb blieb Berlin lebendig, laut und widersprüchlich – genau wie die moderne Onkologie selbst. Fortschritt entsteht eben selten im perfekten System, sondern dort, wo Reibung und Innovation aufeinandertreffen.
Fazit: ESMO 2025 war ein Kongress der Bewegung – wissenschaftlich brillant, organisatorisch herausfordernd, inhaltlich inspirierend. Wer dabei war, spürte, dass Europa die Richtung in der Krebsmedizin zunehmend selbst vorgibt – mit Tempo, Teamgeist und der nötigen Portion Unruhe.
Herzliche Grüsse
Prof. Dr. med. Roger von Moos, Chefredaktion
Eleonore E. Droux, Verlegerin und Publizistische Leitung
During the ESMO 2025 Congress we have realized the incredible ongoing developments for patients with small-cell lung cancer (SCLC).
This remains a lethal malignancy despite modest gains with chemo-immunotherapy. Data showcased at the ESMO 2025 signal a true therapeutic inflection point, driven by DLL3-targeted bispecific T-cell engagers and next-generation antibody–drug conjugates (ADCs). In first-line ES-SCLC, the phase Ib DeLLphi-303 trial of tarlatamab plus platinum–etoposide and PD-L1 blockade yielded an ORR of 71%, median PFS 10.3 months and 12-month OS 81%, with predominantly low-grade CRS/ICANS, supporting early DLL3 engagement rather than reserving it for relapse. Complementing this, the phase I DAREON-8 study of the DLL3×CD3 bispecific obrixtamig combined with carboplatin/etoposide–atezolizumab reported a 68% ORR and 89% disease control, with an acceptable safety profile, underscoring the feasibility of chemo-IO plus T-cell redirection in the frontline setting. Concerning ADCs, SEZ6-directed ABBV-706 demonstrated clinically meaningful activity in heavily pretreated SCLC in posters 2777P and 2778P, including rapid ctDNA/CTC clearance, raising the prospect of platinum-sparing, biomarker-integrated strategies. With phase III DeLLphi-304 results confirming an OS benefit for second-line tarlatamab versus chemotherapy, we have previously seen the impressive data as well by targeting B7-H3 with I-Dxd from the Ideate-Lung01 trial (ORR 55%) and new targets are emerging for not only ADCs but also for radioligands for the treatment of SCLC. These data collectively represent a shift from empiric cytotoxic drugs to precisely targeted, immune-integrative treatment paradigms in SCLC.
Prof. Dr. med. Alessandra Curioni-Fontecedro
– Clinic of Oncology, Cantonal Hospital Fribourg,
Fribourg, Switzerland
– Faculty of Science and Medicine University of Fribourg,
Fribourg, Switzerland
Der Vorstand der Oncosuisse hat sich in diesem Jahr ein neues Leitbild gegeben. Es formuliert die gemeinsame Vision, die zentralen Werte und die strategischen Ziele des nationalen Dachverbands für Onkologie in der Schweiz. Das Leitbild soll Orientierung geben – nach innen für die Mitgliedsorganisationen, nach aussen für Partner, Politik und Öffentlichkeit.
Die Fortbildungszeitschrift «info@ONCO-SUISSE», das offizielle Kommunikationsorgan der Oncosuisse und allen verbundenen Mitherausgebern, stellt das neue Leitbild hier erstmals vor.
Vision
Niemand in der Schweiz soll Krebs allein durchstehen müssen. Jede Person soll Zugang zu bestmöglicher Prävention, Früherkennung, Behandlung und Unterstützung haben – unabhängig von Alter, Herkunft oder sozialer Lage. Dies auch nach abgeschlossener Behandlung.
Mission
Oncosuisse bündelt die Kräfte der schweizweit tätigen Non-Profit-Organisationen im Bereich der Krebsbekämpfung. Der Verein verfolgt drei Ziele:
• Strategische Koordination der nationalen Krebsbekämpfung
• Vernetzung aller relevanten Stakeholder
• Politische Interessenvertretung gegenüber Politik, Behörden und Medien
Darüber hinaus setzt sich Oncosuisse für Rahmenbedingungen ein, die einen chancengerechten Zugang zu wirksamen Therapien ermöglichen.
Hauptaufgaben
Dachverband: Oncosuisse vertritt die Gemeinschaft seiner Mitglieder nach aussen und fördert deren Zusammenarbeit. Krebspolitik: Oncosuisse ist erste Ansprechperson für Politik, Behörden und Medien in allen Fragen rund um Krebs. Nationaler Krebsplan: Oncosuisse trägt die Verantwortung für das BAG-Mandat «Nationaler Krebsplan» – von der Redaktion bis zur Koordination der Umsetzung. Projekte: In Einzelfällen übernimmt Oncosuisse Projektleitungen (z.B. AGZOS – Arbeitsgruppe Zertifizierungslandschaft Onkologie Schweiz).
Werte & Prinzipien
Engagiert: Wir arbeiten für bessere Lebensbedingungen von Patientinnen, Patienten und Angehörigen. Zuverlässig: Seit 1999 ein verlässlicher Partner für Politik, Behörden, Medien und Bevölkerung. Proaktiv: Wir entwickeln Lösungen für heutige und künftige Herausforderungen. Non-Profit: Alle Mittel fliessen in den Vereinszweck. Unabhängig: Als Dachverband handeln wir frei von Eigeninteressen. Transparent: Wir verpflichten uns zu Offenheit und Klarheit.
Zusammenarbeit mit den Mitgliedern
Der Vorstand legt Aussenauftritt, Strategie, Nationalen Krebsplan und Projektentscheide fest – in regelmässiger Konsultation mit den Mitgliedern. Die Generalversammlung genehmigt jährlich das Budget und die Stossrichtung.
Jedes Mitglied kann Anliegen einbringen; der Vorstand prüft und unterstützt diese nach Bedarf. Oncosuisse dient für solche Anliegen als «Amplifier».
Gemäss dem Subsidiaritätsprinzip erfüllt Oncosuisse die Funktion des Dachverbandes, fungiert als bündelnde Kraft und als Verstärkerin gemeinsamer Botschaften. Mitglieder führen losgelöst davon ihre eigenen (auch politischen) Kampagnen und Auftritte.
Auslandserfahrung eröffnen neue Horizonte – sowohl fachlich als auch persönlich. In dieser Ausgabe berichten zwei junge Kolleg/-innen über ihre Erfahrungen an renommierten Institutionen: Dr. med. Reinhardt Krcek absolvierte ein Fellowship im Bereich der Radioonkologie am Princess Margaret Cancer Centre in Toronto; Dr. med. Astrid Beerlage vertiefte ihre hämatologische Expertise an der University of Pennsylvania in Philadelphia.
Fellowship in der Radio-Onkologie am Princess Margaret Cancer Centre in Toronto
Der Abschluss der Facharztweiterbildung in Radio-Onkologie eröffnet vielfältige Chancen für die weitere berufliche Orientierung. Wer eine akademische Laufbahn anstrebt und zudem seinen Horizont erweitern möchte, sollte deshalb ein Auslandsjahr in Betracht ziehen.
Insbesondere für Ärztinnen und Ärzte, die sowohl klinisch als auch wissenschaftlich tätig sein möchten, stellt das Clinical Research Fellowship am Princess Margaret Cancer Centre eine hervorragende Option dar. Formale Voraussetzungen hierfür sind der Facharzttitel in Radio-Onkologie, solide Englischkenntnisse sowie ein nachgewiesenes Interesse an Forschung.
Dieses Fellowship bietet nicht nur Zugang zu modernster Onkologie an einem der weltweit bedeutendsten onkologischen Zentren, sondern auch Integration in eine lebendige, internationale Gemeinschaft renommierter Spezialisten. Viele von ihnen haben zudem praxisverändernde Studien publiziert, wie z. B. CURB, PROFIT oder SU2C-SARC032. Das Radiation Medicine Programm verfügt über 18 Radiotherapie-Einheiten, darunter den MRI-Linac, Ethos HyperSight, Gamma Knife und eine Orthovolt Unit, ergänzt durch Brachytherapieeinheiten. Es bietet ein etabliertes Fellowship-Programm mit über 20 Plätzen pro Jahr. Die Fellows kommen aus aller Welt, wobei Kollegen und Kolleginnen aus englischsprachigen Ländern deutlich überrepräsentiert sind. Die Bewerbung ist zweimal jährlich möglich, mit regulärem Start jeweils im Januar oder Juli – die meisten Fellows beginnen im Juli. Im Bewerbungsprozess können Präferenzen für bestimmte Organteams angegeben werden (z. B. ZNS, HNO) und die angestrebte Dauer (ein oder zwei Jahre). Anschliessend erfolgt die Einladung zu virtuellen Bewerbungsgesprächen und schliesslich die Entscheidung.
Ich habe mich für ein einjähriges Clinical Research Fellowship (das sich letztlich auf vierzehn Monate verlängerte) im Bereich Sarkome und okulare Onkologie entschieden und mir zusätzlich die Mitarbeit in der Hirnstereotaxie/Hirnmetastasenklinik gewünscht. Als Fellow wird man in der Regel einem Radio-Onkologen («Staff») zugeteilt, mit dem man die klinischen Aufgaben übernimmt. Diese Person fungiert gleichzeitig als persönlicher Mentor und zentrale Ansprechperson für Forschungsprojekte, welche vom Fellow auch erwartet werden.
Meine typische Woche umfasste dienstags einen ganzen Tag Klinik, am Vormittag in der Sarkomklinik, am Nachmittag in der onkologischen Augenklinik. Am Donnerstagmorgen fand die Review Clinic statt. Der Freitagvormittag war der Hirnmetastasenklinik, zusammen mit dem Hirnmetastasen-Tumorboard, gewidmet.
Die übrige Zeit ist für Radiotherapieplanung, Tumorboards und Forschung vorgesehen. In der Forschung hatte ich die Möglichkeit, neben mehreren retrospektiven Projekten mit sehr grossen Fallzahlen, an der Entwicklung der adaptiven Radiotherapie für Sarkome mit dem Ethos Hypersight mitzuwirken und darüber hinaus ein Konzept für eine Phase-I-Studie mit einer neuen Kombinationstherapie zu entwerfen.
Die Arbeitsbelastung ist hoch – speziell, wenn man diverse Forschungsprojekte entwickelt, durchführt und betreut. Selbstdisziplin und gutes Zeitmanagement sind dabei unverzichtbare Begleiter. Das Gehalt liegt unter dem Niveau der Facharztweiterbildung in der Schweiz, reicht jedoch aus, um die Lebenshaltungskosten in Toronto zu decken (2024: etwa CAD 2.600 nach Steuern/Abgaben alle zwei Wochen).
Von der Klinik abgesehen: Toronto ist einfach eine grossartige Stadt! International, weltoffen, mit einem enormen Kultur- und Kulinarikangebot.
Doch was ist der Preis all dieser Vorteile? Er zeigt sich bereits kurz nach der Zusage zum Fellowship: Die Vorbereitungen sind sehr aufwändig. Im Vorfeld sind sowohl eine «Work Permit» als auch die Zulassung durch das College of Physicians and Surgeons of Ontario erforderlich, beides sind finanziell wie zeitlich sehr aufwändige Prozesse. Für die «Work Permit» benötigt man unter anderem Fingerabdrücke von speziellen Agenturen (z. B. in Lyon oder Düsseldorf), eine Untersuchung durch einen Panelarzt (in Zürich oder Genf), Arbeitszeugnisse auf Englisch, inklusive Gehaltsangaben sowie Abschlusszeugnisse mit zertifizierten Übersetzungen. Das College verlangt zusätzlich «Certificates of Good Standing» von allen bisherigen Arbeitsorten, eine englischsprachige Zusammenfassung des Medizinstudiums (inklusive sämtlicher Kurse), einen speziellen «Police Check», der im Ausland mit erheblichem Aufwand zu organisieren ist (inklusive Fingerabdrücken bei der Kantonspolizei). Auch inhaltliche Rückfragen mit Anforderung von schriftlichen Stellungnahmen sind möglich, beispielsweise, weshalb man ein für den Facharzt obligatorisches Fremdjahr absolviert hat, da dies in Nordamerika nicht üblich ist.
Meine klare Empfehlung lautet daher: Nach der Zusage für das Fellowship muss man sofort mit der Organisation beginnen. Auch die University of Toronto fordert bestimmte Unterlagen. Für Bewerber aus der Schweiz aufwändig ist der zweifach im Abstand von einigen Wochen durchzuführende Tuberkulose-Hauttest, da ein solcher in der Schweiz nicht wirklich angeboten wird. Ein Gamma-Interferon-Test wurde bei mir leider nicht akzeptiert. Weiterhin sind z.B. Schweizer Banken nicht besonders hilfreich, wenn man seinen Wohnsitz temporär ins Ausland verlegt und sein Konto behalten möchte. Die dafür verlangten Gebühren und der administrative Aufwand sind – wohlwollend formuliert – sehr unverhältnismässig.
Hat sich das alles gelohnt?
Ja! Dieses Jahr war für mich in jeder Hinsicht horizonterweiternd – fachlich ebenso wie menschlich. Ich konnte zudem meine Englischkenntnisse verbessern und habe die Arbeit in diesem grossartigen Team sehr geschätzt. Darüber hinaus bot sich mir die Möglichkeit, mehrere Forschungsprojekte zu entwickeln und umzusetzen, die andernorts kaum realisierbar gewesen wären. Für akademisch orientierte Radio-Onkologinnen und Radio-Onkologen ist dieses Fellowship definitiv zu empfehlen.
Dr. med. Reinhardt Krcek
Post-Doc im Center for Cellular Immunotherapies an der University of Pennsylvania
Bis heute ist mir die Onkologievorlesung im Studium, in der ich zum ersten Mal lernte, wie Tyrosinkinaseinhibitoren die Behandlung der CML revolutionierten, im Gedächtnis. Den Mechanismus einer Krankheit zu verstehen und darauf aufbauend eine zielgerichtete Therapie zu entwickeln, fasziniert mich bis heute. Die enge Verzahnung von Forschung und Klinik in der Hämatologie war ein wichtiger Faktor für meine Entscheidung, meine experimentelle medizinische Doktorarbeit aber auch meine Facharztausbildung in der Hämatologie zu absolvieren.
Nach Abschluss meiner Facharztausbildung am Universitätsspital Basel entschied ich mich, Vollzeit in der experimentellen Forschung zu arbeiten, um meine Kenntnisse im Labor zu vertiefen und langfristig an der Schnittstelle zwischen Klinik und Forschung tätig sein zu können. Im Rahmen des Innovationsschwerpunktes für zelluläre Therapien nutzte ich die Chance, im Labor von Prof. Lukas Jeker am Departement für Biomedizin in Basel als Post-Doc zu arbeiten. Gemeinsam diskutierten wir in dieser Zeit auch Optionen für einen Forschungsaufenthalt im Ausland.
Durch mein Projekt im Bereich der Geneditierung von hämatopoietischen Stammzellen zur Verbesserung der allogenen Stammzelltransplantation konnte ich bereits erste Kenntnisse in meinem angestrebten Forschungsbereich nachweisen. Nach einem ersten persönlichen Gespräch, vermittelt durch meinen Arbeitsgruppenleiter in Basel, im Rahmen des ASH 2023 und einem Besuch in Philadelphia im Anschluss entschied ich mich, meinen Auslandsaufenthalt im Labor von Prof. Saar Gill zu verbringen.
Die Vorbereitung auf einen solchen Aufenthalt sollte idealerweise mindestens ein Jahr im Voraus beginnen, um genug Zeit zu haben für die Beantragung des Visums, das Planen des Umzugs und das Schreiben von Grantanträgen. Ein Forschungsaufenthalt in den USA kann entweder über ein Stipendium, beispielsweise des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), oder über eine direkte Anstellung in der Forschungsgruppe finanziert werden.
Am Center for Cellular Immunotherapies (CCI) arbeite ich seit Herbst 2024 an der Optimierung zellulärer Therapien bei AML. Das CCI unter der Leitung von Prof. Carl June zählt zu den international führenden Zentren der translationalen Immuntherapie und bietet ein Umfeld, das Grundlagenforschung und klinische Anwendung eng verknüpft. Die Möglichkeit, ein präklinisches Forschungsprojekt durchzuführen und gleichzeitig Einblicke in laufende klinische Studien zu erhalten, war für mich besonders reizvoll.
Der Forschungsalltag am CCI ist von grosser Eigenverantwortung geprägt. In einer Arbeitsgruppe mit über 25 Forschenden eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten zur Zusammenarbeit; gleichzeitig erfordert die Gestaltung des eigenen Projekts viel Selbstorganisation. Diese Freiheit bietet jedoch die Chance, eigene Ideen umzusetzen und wissenschaftliche Schwerpunkte aktiv weiterzuentwickeln.
Der Forschungsaufenthalt an der University of Pennsylvania ist für mich eine fachlich und persönlich bereichernde, aber auch herausfordernde Erfahrung. Er erlaubt mir, klinische und experimentelle Perspektiven zu verbinden und in einem internationalen Spitzenzentrum weiterzuentwickeln. Für Hämatolog/-innen mit Interesse an translationaler Forschung und akademischer Laufbahn kann ein solcher Aufenthalt eine hervorragende Möglichkeit sein, neue Impulse zu gewinnen und die eigene wissenschaftliche Kompetenz zu vertiefen.
Dr. med. Astrid Beerlage
Dr. med. Tämer El Saadany
Kantonsspital Graubünden
Onkologie / Hämatologie
Loestrasse 170
7000 Chur
Dr. med. Eveline Daetwyler
HOCH Health Ostschweiz
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen
Keimzelltumoren des Hodens sind die häufigsten malignen Tumoren junger Männer. Klassische Tumormarker wie AFP, β-HCG und LDH sind nur bei etwa 50 % der Patienten erhöht. Zirkulierende MicroRNAs, insbesondere miR-371a-3p, haben sich in den letzten Jahren als vielversprechende neue Biomarker etabliert. Sie eignen sich für Primärdiagnostik, Therapiemonitoring, Beurteilung postchemotherapeutischer Residualtumoren und die frühzeitige Rezidiverkennung. Erste prospektive Studien bestätigen einen klinischen Nutzen von miR-371a-3p. Die Integration in Leitlinien erfordert jedoch weitere Standardisierung und Validierung.
Testicular germ cell tumors are the most common malignancies in young men. Conventional tumor markers such as AFP, β-HCG, and LDH are elevated in only about 50% of patients. Circulating microRNAs, particularly miR-371a-3p, have recently emerged as promising new biomarkers. They show strong potential in primary diagnosis, therapy monitoring, evaluation of post-chemotherapy residual tumors, and early relapse detection. First prospective studies confirm the clinical utility of miR-371a-3p. Broader guideline integration, however, requires further standardization and validation. Keywords: MicroRNA-371a-3p, Testicular germ cell tumor, Biomarker, RPLND, Active surveillance
Einleitung
Keimzelltumoren des Hodens sind die häufigsten malignen Tumoren junger Männer. Die bisherigen Standard-Tumormarker (α-Fetoprotein (AFP), humanes Choriongonadotropin (β-HCG), Laktatdehydrogenase (LDH)) sind bei Diagnosestellung nur bei etwa 50 % der Patienten erhöht (1). Zirkulierende Mikro-RNAs, insbesondere miR-371a-3p, haben sich in den letzten Jahren als vielversprechende neue Biomarker etabliert, da sie mit Ausnahme von reinen Teratomen eine hohe Sensitivität und Spezifität bei der Detektion makroskopischer Keimzelltumoren aufweisen (2).
Was sind microRNAs?
Die Entdeckung der embryonalen MicroRNAs des 371–373-Clusters stellt einen bedeutenden Fortschritt in der Entwicklung neuer Biomarker für Keimzelltumoren dar. Seit der ersten Beschreibung im Jahr 2006 konnte in zahlreichen klinischen Studien gezeigt werden, dass insbesondere miR-371a-3p derzeit der vielversprechendste Biomarker für Hodentumoren ist, sowohl in Gewebeproben als auch in Blutproben (3) (Abb. 1).
MicroRNAs sind kurze, nicht-kodierende RNA-Moleküle, welche die Genexpression auf epigenetischer Ebene regulieren, ohne die DNA-Sequenz zu verändern. Gerade bei Keimzelltumoren, die nur wenige genetische Veränderungen aufweisen und bei denen epigenetische Mechanismen in der Keimzellentwicklung und Embryogenese eine zentrale Rolle spielen, gewinnen epigenetische Biomarker zunehmend an Bedeutung (4).
Besonders attraktiv sind MicroRNAs als Tumormarker aufgrund ihrer hohen Stabilität im Blut, ihrer kurzen Halbwertszeit (31/2 bis 7 Stunden) und der Möglichkeit, sie mit weit verbreiteten, kostengünstigen und schnellen Methoden wie PCR-basierten Techniken nachzuweisen. Dies erlaubt eine zeitnahe Diagnostik und Verlaufskontrolle, ohne dass aufwendige oder teure Spezialanalysen erforderlich werden (5).
Potenzielle Einsatzgebiete
Die potenziellen Einsatzgebiete von zirkulierendem miR-371a-3p bei Keimzelltumoren sind vielfältig und umfassen sowohl diagnostische als auch therapeutische Entscheidungssituationen. In der Primärdiagnostik könnte der Marker einen entscheidenden Vorteil bringen. In Situationen, in denen sonographisch ein kleiner intratestikulärer Tumor entdeckt wird und die klassischen Tumormarker negativ sind, ist es oft unklar, ob es sich um eine maligne oder benigne Veränderung handelt. MiR-371a-3p kann hier mit einer hohen Sensitivität und Spezifität von > 90 % zur Differenzierung beitragen und so die Indikationsstellung zur Orchiektomie präzisieren (6, 7).
Ein weiteres wichtiges Einsatzfeld ist das Therapiemonitoring. Während der systemischen Chemotherapie spiegeln die miR-371a-3p-Konzentrationen die Tumorlast oft genauer und schneller wider als klassische Marker. Rasche Veränderungen im Spiegel können ein Ansprechen oder ein Ausbleiben des Therapieerfolgs anzeigen und somit eine frühzeitige Anpassung der Behandlung ermöglichen (6).
Auch bei der Beurteilung postchemotherapeutischer Residualtumoren bietet miR-371a-3p relevante Informationen. Nach abgeschlossener Chemotherapie bleibt häufig ein Resttumor im Retroperitoneum oder in anderen Lokalisationen zurück. Die Differenzierung zwischen vitalem Tumor, Teratom und Nekrose ist für das weitere Vorgehen entscheidend. Da miR-371a-3p vor allem vitale Keimzelltumorkomponenten anzeigt, könnte der Marker helfen, unnötige Resektionen zu vermeiden oder Operationen gezielter zu planen (8). Der Nachweis von Teratomen bleibt jedoch eine Limitation, da dieser Subtyp miR-371a-3p-negativ ist.
In der Nachsorgephase schliesslich eröffnet miR-371a-3p die Möglichkeit, Rezidive früher als mit herkömmlichen Verfahren zu erkennen. Aktuelle Daten deuten darauf hin, dass der Marker oft Wochen bis Monate vor bildgebenden Befunden oder klinischen Symptomen ansteigt (9). Dies könnte zu einer deutlichen Reduktion der Strahlenbelastung durch CT-Untersuchungen führen, da Intervalle der Bildgebung verlängert oder Untersuchungen gezielter eingesetzt werden können. Gleichzeitig besteht das Potenzial, die psychologische Belastung der Patienten zu reduzieren, indem unnötige diagnostische Massnahmen vermieden werden.
Wo stehen wir in der Schweiz?
In der Schweiz wird der Einsatz von microRNA-371 während der Nachsorge im Rahmen einer prospektiven, multizentrischen Studie (NCT02229916 (microRNA-TARGET)) untersucht. Beteiligt sind aktuell 11 Schweizer Zentren, die gemeinsam Patienten mit lokalisiertem Hodenkrebs im Stadium I nach Orchiektomie unter aktiver Überwachung rekrutieren. Neben den etablierten Tumormarkern AFP, β-HCG und LDH wird bei jedem Nachsorgetermin ein CE-zertifizierter qRT-PCR-Test auf microRNA-371 durchgeführt. Bei zwei konsekutiv erhöhten und steigenden Werten erfolgt eine gezielte bildgebende Abklärung. Erste Zwischenergebnisse bestätigen eine frühere Rezidiverkennung und eine höhere Sensitivität, Spezifität sowie positiven und negativen Vorhersagewert gegenüber den klassischen Markern. Anfang 2026 ist die Publikation der ersten Studienergebnisse geplant. Zudem kann microRNA-371 auch für die anderen oben genannten Einsatzgebiete verwendet werden. Ausserhalb von Studien müssen die Kosten aktuell jedoch vom Patienten getragen werden, da die Krankenkassen diesen Test bisher noch nicht übernehmen.
Was verspricht die Zukunft
Die Entwicklung und klinische Validierung von miR-371a-3p stehen aktuell an einem entscheidenden Punkt. Mehrere grosse, prospektive Multicenter-Studien (NCT02229916, NCT04435756, NCT04914026) untersuchen derzeit die optimale Einbindung des Markers in bestehende diagnostische und therapeutische Abläufe. Ziel ist es, robuste Daten zu generieren, die den Weg in die internationalen Leitlinien ebnen und eine flächendeckende Implementierung ermöglichen. Eine zentrale Herausforderung bleibt die Standardisierung der Testmethoden. Unterschiedliche Präanalytik- und Analyseschritte können die Vergleichbarkeit der Ergebnisse einschränken, weshalb harmonisierte Protokolle unabdingbar sind.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Definition klinisch relevanter Cut-offs und Testintervalle. Um den Marker zuverlässig einsetzen zu können, muss klar definiert sein, bei welchen Werten Handlungsbedarf besteht und in welchem zeitlichen Abstand Messungen sinnvoll sind. Dies betrifft nicht nur die Nachsorge, sondern auch die Primärdiagnostik und das Therapiemonitoring.
Langfristig könnte miR-371a-3p zu einem Schlüsselelement einer stärker personalisierten Medizin werden. Denkbar ist beispielsweise eine risikoadaptierte Nachsorge, bei der Patienten mit persistierend negativen miR-371a-3p-Werten seltener bildgebend untersucht werden, während bei positiven Befunden eine intensivere Diagnostik und Therapieeinleitung erfolgen. Im Falle der Chemotherapie nach Orchiektomie wäre ebenfalls ein personalisierter Ansatz möglich, bei welchem die Anzahl der Chemotherapie-Zyklen bei gutem Ansprechen mit raschem Abfall der miR-371a-3p-Werte reduziert werden könnte.
Nach abgeschlossener Chemotherapie könnte miR-371a-3p ebenfalls helfen, optimale Kandidaten für eine retroperitoneale Lymphadenektomie (RPLND) zu definieren. Da miR-371a-3p vor allem vitale Keimzelltumorkomponenten anzeigt und das Rezidivrisiko bei vitalem Tumor (> 10%) signifikant erhöht ist, könnten Patienten mit positivem miR-371a-3p gezielt für eine radikale RPLND mit bilateralem Full-Template ohne Nerven- und Lumbalgefässschonung selektioniert werden, um die häufigen Rezidive zu minimieren. miR-371a-3p-negativen Patienten könnte hingegen eine nervenschonende Resektion mit oder ohne unilaterale Resektion angeboten werden (10).
Auch die primäre RPLND etabliert sich zunehmend als Alternative bei Keimzelltumoren im Stadium II. Ein wesentlicher Vorteil liegt im Verzicht auf die potenziellen Langzeitnebenwirkungen einer Chemotherapie oder Strahlentherapie. Mit Hilfe von miR-371a-3p eröffnet sich zudem die Möglichkeit, selbst kleinvolumige retroperitoneale Tumormanifestationen zuverlässig zu identifizieren, was die Indikationsstellung stützt, um die pN0-Rate und somit eine Übertherapie zu minimieren (11, 12).
Dadurch liessen sich nicht nur Chemotherapien, Strahlenexposition und Kosten reduzieren, sondern auch die Patientenselektion für chirurgische Eingriffe präziser gestalten.
Insgesamt verspricht die Zukunft der microRNA-basierten Diagnostik beim Hodenkrebs eine deutliche Verbesserung der Patientenversorgung. Die Schweiz nimmt hierbei durch die eigene microRNA-TARGET-Studie eine zentrale Rolle ein. Wenn es gelingt, die verbleibenden methodischen und klinischen Fragen zu beantworten, könnte miR-371a-3p in naher Zukunft vom Forschungsinstrument zu einem festen Bestandteil der Routineversorgung werden und damit die Diagnostik und Nachsorge von Keimzelltumoren nachhaltig verändern.
Copyright
Aerzteverlag medinfo AG
Dr. med. Ernest Kaufmann
Klinik für Urologie
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern 16
Prof. Dr. med. Richard Cathomas
Klinik für Onkologie/Hämatologie
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170
7000 Chur
richard.cathomas@ksgr.ch
Prof. Dr. med. Christian Fankhauser
Kantonsspital Luzern
Klinik für Urologie
Spitalstrasse
6000 Luzern
Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
1. Fischer S, Rothermundt C, Stalder O, Terbuch A, Hermanns T, Zihler D, et al. (2023) The Value of Tumour Markers in the Detection of Relapse-Lessons Learned from the Swiss Austrian German Testicular Cancer Cohort Study. Eur Urol Open Sci; 50:57-60.
2. Piao J, Lafin JT, Scarpini CG, Nuño MM, Syring I, Dieckmann KP, et al. (2021) A Multi-institutional Pooled Analysis Demonstrates That Circulating miR-371a-3p Alone is Sufficient for Testicular Malignant Germ Cell Tumor Diagnosis. Clinical genitourinary cancer; 19:469-79.
3. Leão R, Albersen M, Looijenga LHJ, Tandstad T, Kollmannsberger C, Murray MJ, et al. (2021) Circulating MicroRNAs, the Next-Generation Serum Biomarkers in Testicular Germ Cell Tumours: A Systematic Review. European urology; 80:456-66.
4. Costa AL, Lobo J, Jerónimo C, Henrique R (2017) The epigenetics of testicular germ cell tumors: looking for novel disease biomarkers. Epigenomics; 9:155-69.
5. Almstrup K, Lobo J, Mørup N, Belge G, Rajpert-De Meyts E, Looijenga LHJ, et al. (2020) Application of miRNAs in the diagnosis and monitoring of testicular germ cell tumours. Nat Rev Urol; 17:201-13.
6. Dieckmann KP, Radtke A, Geczi L, Matthies C, Anheuser P, Eckardt U, et al. (2019) Serum Levels of MicroRNA-371a-3p (M371 Test) as a New Biomarker of Testicular Germ Cell Tumors: Results of a Prospective Multicentric Study. Journal of clinical oncology : official journal of the American Society of Clinical Oncology; 37:1412-23.
7. Nazzani S, Busico A, Bernasconi V, Bruniera M, Gianninò M, Rusconi D, et al. (2025) Clinical evaluation of the role of miRNA 371 in small testicular masses. Results of the „S1STeM 371“ Trial. European journal of cancer (Oxford, England : 1990); 223:115494.
8. Leão R, van Agthoven T, Figueiredo A, Jewett MAS, Fadaak K, Sweet J, et al. (2018) Serum miRNA Predicts Viable Disease after Chemotherapy in Patients with Testicular Nonseminoma Germ Cell Tumor. The Journal of urology; 200:126-35.
9. Fankhauser CD, Christiansen AJ, Rothermundt C, Cathomas R, Wettstein MS, Grossmann NC, et al. (2021) Detection of recurrences using serum miR-371a-3p during active surveillance in men with stage I testicular germ cell tumours. British journal of cancer;
10. Antonelli L, Ardizzone D, Tachibana I, Adra N, Cary C, Hugar L, et al. (2023) Risk Factors for Relapse in Nonseminomatous Testicular Cancer After Postchemotherapy Retroperitoneal Lymph Node Dissection With Viable Residual Cancer. Journal of clinical oncology : official journal of the American Society of Clinical Oncology; 41:5296-305.
11. Antonelli L, Heidenreich A, Bagrodia A, Amini A, Baky F, Branger N, et al. (2025) Primary retroperitoneal lymph node dissection in clinical stage 2a/b non-seminomatous germ cell tumour. BJU international; 135:621-8.
12. Sigg S, Rothermundt C, Fankhauser CD (2025) Surgical management of testicular cancer with limited retroperitoneal disease. Current opinion in urology; 35:178-88.
Orale Tumortherapien sind nicht neu. Bereits Ende der 1940er- und Anfang der 1950er- Jahre kamen Antifolate, Thiopurine, sowie alkylierende Substanzen in oraler Form zum Einsatz und Tamoxifen seit den 1960er-Jahren (1). Jedoch steigt weltweit die Zahl der zugelassenen oralen Tumortherapien erheblich. In der Schweiz sind derzeit weit über 100 solcher Medikamente, einschliesslich Generika, zugelassen. Diese Entwicklung hat zu einem Wandel der Behandlungsparadigmen geführt: von der meist parenteralen Verabreichung der Medikamente in Spitälern und Ambulatorien hin zur Selbstverabreichung der Tumortherapien durch die Patientinnen und Patienten zu Hause oder im Pflegezentrum. Die Wirksamkeit, Sicherheit und Adhärenz oraler Tumortherapien hängen wesentlich davon ab, wie gut Patienten ihre Therapie verstehen und wie gut sie z. B. mit unerwünschten Wirkungen umgehen können, sowie von ihrer Fähigkeit, die Therapie selbst zu verabreichen.
Oral tumor therapies are not new. Antifolates, thiopurines, and alkylating agents in oral form were already in use in the late 1940s and early 1950s, and tamoxifen has been in use since the 1960s (1). However, the number of approved oral tumor therapies is increasing significantly worldwide. In Switzerland, well over 100 such drugs, including generics, are currently approved. This development has led to a shift in the treatment paradigm, from the mostly parenteral administration of drugs in hospitals and outpatient clinics to self-administration of tumor therapies by patients at home or in care centers. The efficacy, safety and adherence of oral tumor therapy can be significantly influenced by patients’ understanding of the therapy, how well they can manage e.g. side effects, and their ability to administer it themselves. Keywords: orale Tumortherapie, Adhärenz, Sicherheit, Selfmanagement, Verein Orale Tumortherapie
Einleitung
Peroral eingenommene Medikamente mit zytotoxischen, antihormonellen, immunmodulierenden und zielgerichteten Wirkmechanismen sind heute wichtige Bestandteile in der Therapie diverser Tumorkrankheiten.
Seit Jahren wird mangelnde Adhärenz von Patientinnen und Patienten in wissenschaftlichen Arbeiten als wesentliches Sicherheitsproblem bei oralen Tumortherapeutika erkannt.
Für eine optimale Adhärenz zum Behandlungsplan benötigen die Patientinnen und Patienten ausreichend Informationen zu den Präparaten u.a. bezüglich Galenik, Einnahmemodus sowie erwünschten und unerwünschten Wirkungen. Oftmals sind auch Angehörige und ambulante Pflegefachpersonen in die Betreuung involviert. Sie benötigen ebenfalls sehr gute, verständliche Informationen und Kenntnisse rund um die Anwendung der oralen Tumortherapeutika (2).
Folgendes ist bekannt
Faktoren, welche die Therapie-Adhärenz beeinflussen können:
• Falsche Vorstellungen der Patientinnen und Patienten über die orale Tumortherapie.
• Motivation der Patientin/des Patienten zur Durchführung der Therapie.
• Ängste und Befürchtungen im Zusammenhang mit der Behandlung.
• Komplexe Dosierungsschemata, insbesondere in Bezug auf den Zeitpunkt der Dosis und zur Nahrungsaufnahme.
• «Polypharmazie» und Komorbiditäten (mögliche Inkompatibilitäten).
• Auftreten von unerwünschten Wirkungen.
• Sozioökonomische Faktoren inkl. einer zunehmenden älteren Bevölkerung.
• Gesundheitskompetenz (z.B. Schwierigkeiten beim Lesen und Verstehen von Packungsbeilagen).
• Erhöhte Eigenverantwortung bei häuslicher Pflege oder in
Pflegeeinrichtungen.
• Hohe Preise der Medikamente (z.B. weggeworfene Medikamente, keine Kostenübernahme durch die Krankenversicherung).
Mögliche Folgen einer unzureichenden Adhärenz
• Geringere Wirksamkeit der Therapie.
• Verkürzte Überlebenszeit; Fortschreiten der Krankheit.
• Verstärkte und/oder zunehmende unerwünschte Wirkungen und Toxizitäten.
• Häufigere Besuche in der Notaufnahme und Spitaleinweisungen.
• Beeinträchtigte Kommunikation mit dem Behandlungsteam
• Reduzierte Lebensqualität.
PROJEKT: Verein Orale Tumortherapie
Zielsetzung des Vereins Orale Tumortherapie
Bereits 2010 wurde die Projektgruppe «Adhärenz und Sicherheit bei Oraler Tumortherapie» lanciert. Im Jahr 2022 wurde ein unabhängiger, multidisziplinärer Verein gegründet, für den die Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO) und die Onkologiepflege Schweiz (OPS) das Patronat übernommen haben.
Die Hauptziele des Vereins sind:
• Förderung und Verbesserung der Adhärenz bei der Einnahme oraler Tumormedikamente.
• Förderung gemeinsamer Entscheidungsfindung.
• Erhöhung der Sicherheit und Verträglichkeit bei der Einnahme von oralen Tumormedikamenten (Management der unerwünschten Wirkungen).
• Verbesserung der individuellen Information und Beratung der Patientinnen und Patienten.
• Entwicklung der Selbstmanagementfähigkeiten der Patientinnen und Patienten.
Der Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Erstellung von Patienten-Informationsblättern. Angesichts der oft begrenzten Zeit, die Behandlungsteams für Gespräche mit den Patientinnen und Patienten zur Verfügung steht, sind leicht/klar verständliche Informationen zu den verordneten Medikamenten ein wichtiges Instrument/Hilfsmittel, um das Verständnis zu fördern.
Es ist bekannt, dass viele Patientinnen und Patienten und deren Betreuende die Beipackzettel nicht oder nur unzureichend lesen. Die häufigsten Schwierigkeiten liegen im Nichtverstehen des medizinischen Fachjargons, der Liste möglicher unerwünschter Wirkungen sowie der kleinen Schriftgrösse der Packungsbeilagen.
Durch die Merkblätter können die Patientinnen und Patienten orale Tumortherapeutika gemäss Verordnung korrekt und sicher einnehmen und unterscheiden, welche unerwünschte Wirkungen sie selbst korrekt behandeln können und welche der Aufmerksamkeit des Behandlungsteams bedürfen.
Polypharmazie ist ein bekanntes Problem. Durch das Beifügen eines Fotos des Medikaments und der Packung kann der Patient die Tumortherapie erkennen und von seinen anderen Medikamenten unterscheiden. Die Merkblätter dienen als Ergänzung und nicht als Ersatz für die Patienteninformationen in den Packungsbeilagen.
Medikamenten-Merkblätter
Über 100 Merkblätter mit Informationen zu den in der Schweiz verfügbaren oralen Tumortherapeutika sind auf der Website (www.oraletumortherapie.ch; www.anticancereuxoraux.ch; www.terapieoraliinoncologia.ch) in deutscher, französischer und italienischer Sprache kostenlos verfügbar.
Die gedruckte Information besteht aus einer zweiseitigen A4-Seite mit einem Bild des verschriebenen Medikaments.
Diese Merkblätter zum Ausdrucken können im persönlichen Beratungsgespräch bei der Medikamentenabgabe, ob in der Klinik, Praxis oder Apotheke, an die Patientinnen oder den Patienten und betreuende Personen ausgehändigt werden, um die Adhärenz und Sicherheit bei der Einnahme der entsprechenden oralen Tumortherapie gezielt zu fördern. (Beispiel eines Merkblatts, siehe Abb. 1).
Gegenwärtiges Projekt – Durchführung einer Nutzerumfrage
Zu Beginn des Projekts im Jahr 2012 wurde eine Patientenbefragung durchgeführt, um die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten, die die Merkblätter nutzen, besser zu verstehen.
Um den Stellenwert der Merkblätter nach Ansicht der Patientinnen und Patienten nochmals zu untersuchen, wird dieses Jahr eine zweite Qualitätssicherungsstudie in Zusammenarbeit mit Prof. David Schwappach, Universität Bern, Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) durchgeführt. Patientinnen und Patienten mit einer oralen Tumortherapie werden befragt. Diese Umfrage soll helfen, die Medikamenten-Merkblätter inhaltlich, sprachlich und visuell zu optimieren.
Copyright
Aerzteverlag medinfo AG
Dr. med. Mark Haefner
Verein Orale Tumortherapie
Speerstrasse 22
8038 Zürich
info@oraletumortherapie.ch
Anita Margulies, BSN
Fachexpertin Onkologiepflege
Verein Orale Tumortherapie
Speerstrasse 22
8038 Zürich
Die Autorenschaft hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
Um eine optimale Adhärenz und Sicherheit der Therapien zu gewährleisten, ist es entscheidend, dass die Patientinnen und Patienten die Informationen über die Tumortherapie verstehen.
Ein erstes Informationsgespräch mit dem Onkologen/der Onkologin sowie der Pflegefachperson oder der Apothekerin/dem Apotheker unterstützt das Verständnis der Inhalte des Medikamenten-Merkblattes.
Die Merkblätter sind in leicht verständlicher Sprache verfasst und enthalten die wichtigsten Informationen für das Selbstmanagement.
Bei allfälliger Polypharmazie lässt sich das orale Tumortherapeutikum leicht anhand des Bildes auf dem Merkblatt identifizieren.
Für medizinisches Fachpersonal sind die Merkblätter kostenlos und unkompliziert abrufbar.
Um den Stellenwert der Merkblätter aus Sicht der Patientinnen und Patienten zu überprüfen, wird derzeit eine Nutzerumfrage durchgeführt.
1. DeVita VT et al. A History of Cancer Chemotherapy. Cancer Res 2008; 68: (21). November 1, 2008.
2. Stäuble C et al. Apothekerinnen und Apotheker können die Adhärenz und Sicherheit gezielt fördern. pharmaJournal 12.2024; 12-13.
Zum weiterlesen (Auswahl – 2022-2025)
– Di Nitto, M et al. Self-care behaviors in patients with cancer treated with oral anticancer agents: a systematic review. Supportive Care in Cancer 2022; Vol. 30, , 8465–8483
– Waseem H et al. Interventions to Support Adherence to Oral Anticancer Medications: Systematic Review and Meta-Analysis. Onocology Nursing Forum 2022; July Vol. 49, NO. 4
– McGrady M et al. Barriers to medication adherence among adolescents and young adults with cancer. Pediatr Blood Cancer 2023 March; 70(3): e30186.
– Masiero M et al. Adherence to oral anticancer treatments: network and sentiment analysis exploring perceived internal and external determinants in patients with metastatic breast cancer. Supportive Care in Cancer 2024; 32:458.
– Hester A et al. What are the needs in oral antitumor therapy? An analysis of patients’ and practitioners’ preferences. Front. Oncol. 2024; 14:1388087.
– Cuba L et al. Implications for medication safety and adherence in dermato-oncology: The AMBORA care program for oral antitumor therapeutics. J Dtsch Dermatol Ges 2025; Jul 17. doi: 10.1111/ddg.15809.
– Chen Y et al. „These Drugs Are Going to Save Our Lives“ A Mixed Methods Study on the Role of Medication Perceptions in Adherence to Oral Anticancer Agents Among Patients With Gastrointestinal Tract Cancer. Psychooncology 2025; Jul;34(7):e70213.
– Angus F et al. The effect of healthcare professional‑implemented interventionson adherence to oral targeted therapy in patients with cancer: a systematic review and meta‑analysis. Supportive Care in Cancer 2025; 33:110.