Radiale Handgelenksschmerzen nach Trauma

Ein Sturz auf das Handgelenk kann auch bei geringer Energieeinwirkung zu Verletzungen führen. Einige Pathologien sind radiologisch nicht oder erst im Verlaufe sichtbar. Zu den häufigsten posttraumatischen radialen Handgelenksschmerzen gehören Fraktur, Non-Union, aktivierte Arthrose, ligamentäre und tendinöse Ursachen.

A fall on the wrist can lead to injury even with low energy. In addition to anamnesis and clinical examination, the standard X-ray image of the wrist in 2 levels is part of the basic diagnosis. Some pathologies are not visible radiologically or only gradually; For this reason, immobilization of the wrist and a re-evaluation after 2 weeks is recommended even with blandem X-rays.

Distal radius fracture

With ¼ of all fractures, it is one of the most common adult human fractures with two frequency peaks: young men (high-energy trauma) and women over 50 (low-energy trauma). Clinically, swelling, hematoma and possibly local deformation can be found. Peripheral circulation, sensitivity and motor skills should be checked. The diagnosis is confirmed radiologically.
An undisplaced fracture can be treated by immobilization in the forearm plaster for 6 weeks. Secondary dislocation or crushing of the fracture should be excluded by means of a follow-up x-ray after 1, 2 and 4 weeks. For secondary
dislocation or initial 3 or more existing instability criteria (according to Lafontaine), an operative procedure must be discussed: • Dorsiflexion> 10 °
• Dorsal decay zone
• Intra-articular fracture
• Ulnar fracture
• Age> 60 years

For complex fractures, a CT scan is useful preoperatively.
In patients over 50, the question of bone mineralization arises. In 2011, one study (1) found osteoporosis in 18% of patients with a radius fracture between 50-59 years of age, and 25% between 60-69 years of age (control groups without fracture: 5% and 7%, respectively). Male patients also showed an increased rate of osteoporosis. In addition, patients after radius fracture have a 2 to 3-fold increased risk of suffering a vertebral or hip-joint-like fracture. For secondary prevention, it therefore makes sense to initiate early further diagnosis and therapy regarding osteoporosis.

Scaphoidverletzungen

Scaphoidfraktur

Sie ist mit 60% die häufigste Fraktur der Handwurzelknochen. Aufgrund der komplexen Anatomie und der empfindlichen Vaskularisation ist die Therapie oft schwierig. 80% der Durchblutung erfolgt durch einen dorsalen Seitenast der A. radialis retrograd von distal her. Aufgrund dieser Vaskularisation ist eine Fraktur umso komplikationsreicher (Delayed union, Pseudoarthrose, avaskuläre Nekrose), je proximaler sie liegt.
Initiale Röntgenbilder können auch beim Vorliegen einer Scaphoidfraktur unauffällig sein. Bei klinischem Verdacht auf Fraktur (Schmerzen in der Tabatière anatomique und Tuberculum scaphoideum, Schwellung, schmerzhafte Ulnardeviation) soll das Handgelenk für 2 Wochen immobilisiert, und danach die Bildgebung wiederholt werden. Bleiben die Röntgenbilder weiter nicht konklusiv, muss eine weiterführende Bildgebung (CT oder MRI) durchgeführt werden, wobei (2) das MRI zur Aufdeckung okkulter Frakturen besser geeignet ist.
Raucher weisen im Vergleich zu Nichtrauchern eine deutlich erhöhte Konsolidationszeit sowie Non-Unionrate auf; es ist daher wichtig, die Raucher zum Sistieren / Pausieren des Nikotinkonsums zu motivierten.
Nicht-dislozierte Frakturen im distalen Drittel können durch 4-8 wöchige Immobilisation im Vorderarmgips behandelt werden. Bei Frakturen im mittleren Drittel dauert die Immobilisation in der Regel 8-12 Wochen, im proximalen Drittel auch bis zu 6 Monate. Keine Studie konnte belegen, dass der Daumeneinschluss in die Ruhigstellung die Konsolidationsrate erhöht(3). Durch eine axiale Kompressionsschraube kann die Konsolidationszeit verkürzt und die Konsolidationsrate erhöht werden. Kriterien zur Operationsindikation sind neben der Lokalisation auch instabile Frakturen:
• Lateraltranslation > = 1 mm
• Seitlicher intra-scaphoidaler Winkel > 35° (sog. Humpback-Deformität)
• Scapho-lunärer Winkel > 60°
• Knochenverlust / Trümmerfraktur
Zur Evaluation der ossären Durchbauungsrate eignet sich die CT-Untersuchung.

Pseudoarthrose

Die Hauptursachen für die Entstehung einer Scaphoid-Pseudoarthrose sind:
• Nicht / verspätet diagnostizierte Fraktur
• Proximale Fraktur
• Dislokation > 1 mm
Bleibt sie unerkannt, kann sie mit der Zeit aufgrund von Instabilität zum karpalen Kollaps, zu einer progressiven Arthrose bis hin zur Panarthrose des Handgelenkes (SNAC (Scaphoid Non Union Advanced Collapse)-Wrist Grad IV) führen. Schmerzen können nach Re-Traumatisierung des Handgelenks akut auftreten oder schleichend zunehmen.
Ebenso kann eine vorbestehende Arthrose (Rhizarthrose, STT-Arthrose, Radiocarpalarthrose) durch einen Sturz aktiviert und schmerzhaft werden. Die gezielte Röntgenaufnahme hilft bei der Diagnostik. Meist reicht da eine Ruhigstellung mittels Schiene sowie mehrtägige NSAR-Therapie.

Scapho-lunäre Bandverletzung

Der typische Unfallmechanismus ist ein Sturz auf das hyperextendierte Handgelenk in Ulnardeviation; sie reicht von Distorsion über Partial- bis kompletter Ruptur.
Eine SL-Ruptur kann ähnlich der Scaphoidpseudoarthrose zu karpaler Instabilität bis hin zum Kollaps und konsekutiver progressiver Handgelenksarthrose (SLAC (Scaphlounate Advanced Collapse)-Wrist) führen.
Klinisch findet sich eine dorsoradiale Schwellung, Bewegungseinschränkung und Kraftlosigkeit. Es besteht ein Instabilitätsgefühl sowie ein dumpfes Knacken; dieses kann durch den Watson-Test (Fixierung des distalen Scaphoidpoles und simultane Radialdeviation) provoziert werden. Neben Standard-Röntgenbild (SL-Abstand, SL-Winkel, O-ring Sign) sind bei Verdacht auch dynamische seitenvergleichende Bilder hilfreich: pa in Ulnardeviation, oder pa geballte Faustaufnahme zur Visualisierung
eines erhöhten SL-Spaltes. Die MRI-Untersuchung weist eine Sensitivität von 65-90% auf. Gold-Standard in der Diagnosesicherung ist die Handgelenksarthroskopie.
Die Therapie richtet sich nach dem Verletzungsgrad und Alter der Verletzung und berücksichtigt eine veränderte Kinematik des Carpus, das Vorhandensein einer Fehlstellung (reponierbar oder fixiert) und ob bereits Arthrosezeichen im Handgelenk vorhanden sind.

Reizung des ersten Strecksehnenfaches

Ein direkter Schlag über dem Radius-Styloid oder Hyperabduktion des Daumens können zu Irritation, respektive Einblutung ins erste Strecksehnenfach und der darin verlaufenden Sehnen der M. abductor pollicis longus und M. extensor pollicis brevis führen. Klinisch imponieren die Beschwerden einer Tendovaginits de Quervain (schmerzhafte Schwellung des ersten Strecksehnenfachs, schmerzhafte MP-Extension und Radialabduktion des Daumens, positiver Finkelsteintest). Ist der hier verlaufende Ramus superficialis nervi radialis auch kontusioniert, können in seinem Versogungsgebiet Dysästhesien hinzukommen. Therapeutisch wird primär ein konservatives Vorgehen empfohlen mit strikter Ruhigstellung von Handgelenk inklusive Daumen sowie NSAR. Therapierefraktäre Fälle können mit einer perifokalen Steroidinfiltration ins erste Strecksehnenfach behandelt werden (Erfolgsrate ca. 70%). Als ultima Ratio kommt die chirurgische Spaltung des ersten Strecksehnenfaches in Frage. Die Konvaleszenz dauert etwa 3-4 Wochen.

Handgelenksganglion

Das Ganglion ist eine sackartige Ausstülpung ohne epitheliale Auskleidung, welche über einen Stiel mit dem Gelenk oder einer Sehnenscheide in Verbindung steht und mit einer gallertigen Masse aus Glucosamin, Albumin, Globulin und Hyaluronsäure gefüllt ist. Die eigentliche Pathogenese bleibt unklar. Neben synovialer Hernierung und Mukoid-Degeneration postulieren neue Theorien Belastungen (z.B. Dehnung) an der synovio-kapsulären Verbindung, welche die Produktion von Mucin anregen sollen, welches sich dann als Hauptbestandteil des Ganglions durch die Kapsel ausstülpt (4). Je nach Aktivitätsgrad sind Gangliongrösse und Symptome fluktuierend (Schmerzen, Reduktion der Greifkraft). Bei Verdacht auf okkultes symptomatisches Ganglion kann ein MRI Klarheit schaffen. Falls der Schmerz durch Ruhigstellung und NSAR nicht abklingt, ist die chirurgische Exzision in Erwägung zu ziehen (Rezidiv-Rate 10-15%). Die Punktion eines Ganglions hat eine Rezidivrate von 50%.
Die meisten Ganglien treten jedoch ohne vorangehendes Trauma auf; daher ist ein Kausalzusammenhang zum Unfall in den meisten Fällen nicht nachweisbar.

Dr. med. Salomé Bruneau

DS Praxis
Buchenstrasse 4
6210 Sursee

s.bruneau@ds-praxis.ch

Die Autorin hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Auch hinter einfachen Stürzen mit blanden Röntgenbildern können schwerwiegende Handgelenksverletzungen stecken, eine Reevalua-tion ist daher unabdingbar.
  • Durch gezielte Osteoporose-Abklärung und Therapie bei älteren Patienten mit distaler Radiusfraktur kann die Anzahl folgender grosser Frakturen mit entsprechenden sozialen und sozio-ökonomischen Folgen reduziert werden.
  • Nicht-behandelte Scaphoidfrakturen und scapho-lunäre Bandrup-turen können zu einer Panarthrose des Handgelenks fortschreiten.
  • Ein nach Sturz symptomatisch gewordenes Handgelenksganglion wird von den Unfallversicherungen meist nicht als Unfallfolge angesehen, da es wahrscheinlich bereits vor dem Unfall vorhanden war und sein Entstehen durch das Trauma nicht bewiesen werden kann.

1. Oyen J, Brudvik C, Gjesdal CG, et al. Osteoporosis as a risk factor for distal radius fractures: a case-control study. J Bone Joint Surg On 2011; 93: 348-56
2. Kukla C, Gaebler C, Breitenseher MJ, et al. Occult fractures of the scaphoid. The diagnostic usefulness and indirect economic repercussions of radiography versus magnetic resonance scanning. J Hand Surg Br 1997; 22 (6): 810-813.
3. Buijze GA, et al. Cast immobilization with and without immobilization of the thumf for nondisplaced and minimally displaced scaphoid waist fractures: a multicenter randomized controlled trial. J Hand Surg Am 2014, 39: 621-7
4. Angelides et al. Ganglions of the hand and wrist. In: Hunt T., Wiesel S. eds Operative Techniques in Hand, Wrist, and Elbow Surgery, ed 2 2016; 1311-1314

Physikalische Therapiemassnahmen bei rheumatischen Erkrankungen

Ungefähr ein Fünftel der in der allgemein-internistischen Sprechstunde geäusserten Beschwerden betreffen den Bewegungsapparat. Neben medikamentösen haben auch physikalische Therapiemassnahmen einen wichtigen Stellenwert in der Behandlung muskulo-skelettaler Beschwerden. In diesem Artikel wird der Stellenwert von passiven und aktiven physikalischen Therapiemassnahmen für in der Grundversorgung häufig gesehene akute und chronische rheumatische Erkrankungen vorgestellt.

Written testimonies on medical and thus also physical therapy measures in the broadest sense go back to ancient times, as ancient Egyptian (1), ancient Greek (2) and Roman (3) texts attest. At the latest in the Roman Empire developed a significant bathing and spa culture, many of which bear witness to archaeological remains. In addition, Galen (3) may have been the first to write down an early form of electrotherapy: the application of electric shock to the head for the treatment of headaches. In the Middle Ages, important medical findings from the Middle East and Islamic cultural areas (4, 5) were added. At the beginning of modern times with the outbreak of several epidemics disappeared the bathing culture. Among other things, public baths were suspected to be complicit in the epidemics – but more likely to have spread to the spread of syphilis (5). It was not until the end of the 19th century that bathing and spa services experienced a renaissance that was temporarily interrupted by the two world wars. The emerging electrification of everyday life led to further electrical therapy devices (6). From the middle of the last century onwards, interesting, traditional therapeutic concepts such as Tai Chi, Qi Gong or massage techniques such as Tuina and Shiatsu (7) were increasingly adopted from Asia. Many therapeutic measures are based on traditional knowledge and were therefore not evidence-based for a long time. Only in the last few decades has the effort been made to find a thorough workup with an increasing number of scientific studies on physical therapies.

Physikalische Therapiemassnahmen

Physikalische Therapiemassnahmen (8) können in aktive und passive Massnahmen unterteilt werden. Seit der Antike wurden fast ausschliesslich passive Massnahmen durchgeführt: Der Kranke liess sich behandeln. Erst in den letzten Jahrzehnten kamen vermehrt aktive Therapiemodalitäten dazu: Nun ist das aktive Mitmachen des Patienten gefordert, auch wenn es nicht immer leicht fällt, dieses einzufordern.
Bei Problemen des Bewegungsapparates empfiehlt es sich weiter, zwischen akuter und chronischer/stabiler Phase zu unterscheiden, da sich die optimalen Therapiemassnahmen in den einzelnen Phasen teils deutlich unterscheiden.
Zu den wichtigsten, im ambulanten Setting gebräuchlichen passiven Therapiemassnahmen gehören:
• Impulsstrom (transkutane elektrische Nervenstimulation/TENS). Bei der TENS werden rechteckförmige Stromimpulse verwendet, welche innerhalb des Stromfeldes eine analgetische Wirkung entfalten.
Ultraschall führt über thermische Effekte zu einer Tiefenerwärmung mit nachfolgender Durchblutungsförderung und Regenerationsbeschleunigung in Weichteilen und Knochen, aber auch über nicht-thermische Effekte zu einer Elastizitätssteigerung von Kollagenfasern und einer Änderung der Zellmembranpermeabilität. Weiter ist ein direkt schmerzstillender Effekt über eine Veränderung der Reizschwelle sensibler Nervenfasern nachweisbar. Mit der Ultraschallsonde können auch NSAR-Gel einmassiert werden (Sonophorese), was das Eindringen des Medikamentes in tiefere Gewebeschichten erleichtert.
Stretching, Massagen, Dry Needling. Diese Therapiemassnahmen eigenen sich vor allem zur Muskeldetonisierung und zur Durchblutungsförderung in den Weichteilen.
Taping kann je nach Festigkeit und Aufkleberichtung des Tapes ein Gelenk stabilisieren, Muskeln und Sehnen entlasten oder über den taktilen Input über die Haut die Propriozeption verbessern.
Kälteapplikationen (Kryotherapie) führen über eine Vasokonstriktion zu einem reduzierten Einstrom inflammatorischer Zellen in das betroffene Gewebe und damit zu einer Entzündungshemmung und Schmerzlinderung durch eine verminderte Ausschüttung von Entzündungsmediatoren (vor allem Prostaglandine und Histamin). Ein zusätzlich schmerzlindernder Effekt entsteht durch die Erhöhung der Reizschwelle sensibler Nerven.
Wärmeapplikationen dienen zur Muskeldetonisierung, Durchblutungsförderung und Regenerationsbeschleunigung.
Manuell-medizinische Techniken werden zur Weichteil-, Gelenk- und Wirbelsäulenmobilisation verwendet.

Bei aktiven Therapiemassnahmen steht der Muskelaufbau im Vordergrund zur Verbesserung der Gelenk- und Wirbelsäulenstabilisation sowie zur Schulung der Propriozeption, Koordination und des Gleichgewichts. Neben Übungen unter Zuhilfenahme des eigenen Körpergewichtes (z.B. Liegestützen, Thera-Band®) kann ein Kräftigungsprogramm auch im Wasser (z.B. AquaJogging) und an Geräten durchgeführt werden. Die Rheumaliga (9) bietet ein breites Kursprogramm an Gymnastik und Wassertherapien an, zu welchen die Patienten − teils auf ärztliche Verordnung hin − angemeldet werden können.

Ausgewählte Krankheitsbilder

Arthrose

Muskulär gut stabilisierte Gelenke altern langsamer, ein gutes Muskelkorsett entlastet die Gelenke. Hauptpfeiler der Arthrosetherapie ist das Stärken der jeweiligen muskulären Stabilisatoren zur Entlastung des Gelenkes sowie zur Verbesserung der Koordination und Propriozeption. In der akut schmerzhaften Phase empfehlen sich passive Massnahmen wie Sonophorese, TENS und Kälteapplikationen, weiter manuell-medizinische Techniken wie Mobilisation und Traktion.

Unspezifischer Rückenschmerz

Früher eine Domäne der passiven Therapiemassnahmen. Heute ist durch viele Studien belegt, dass nur aktive Therapien zu einer relevanten Besserung führen. Neben der reinen Kräftigung der Rumpf- und Beckenstabilisatoren muss auch die Koordination und Propriozeption verbessert werden.

Gicht, Rheumatoide Arthritis, Psoriasis-Arthritis

Bei den genannten entzündlichen Erkrankungen bieten sich im Schub vor allem passive Therapiemassnahmen zur Entzündungs- und Schmerzlinderung an. Im schmerzfreien Intervall sollen die Gelenkstabilisatoren auftrainiert werden.

Ankylosierende Spondylitis

Trotz ausgebauter medikamentöser Therapie mit NSAR und Biologika kann es auch heute noch zu Ankylosierungen vorwiegend des Achsenskelettes, seltener der peripheren Gelenke kommen. Viele Studien haben einen positiven Einfluss mobilisierender Gymnastik (Automobilisation) auf die Progredienz der Ankylosierung zeigen können. Wichtig ist das regelmässige, schlussendlich lebenslange Durchführen derselben. Hier bietet sich zudem eine regelmässige Wassergymnastik an, mit welcher auch gerade die Kraft- und Ausdauer verbessert werden können.

Fibromyalgie

Unabhängig davon, welche Pathologie schlussendlich zur Fibromyalgie führt, gibt es heute evidenzbasierte Therapieempfehlungen. In ein Therapieprogramm gehört unbedingt das Verbessern der aeroben Leistungsfähigkeit mittels dosiertem Ausdauer- und Krafttraining, auch wenn deren schmerzlindernder Effekt erst nach Monaten eintritt. In den letzten Jahren gut untersucht wurde der positive Einfluss von Tai Chi auf das Schmerzerleben. Weiter scheint der regelmässige Besuch von Kältekammern (Kryosauna) bei vielen Patienten die Schmerzschwelle zu erhöhen.

Adipositas

Auch aus rheumatologischer Sicht muss die Adipositas bekämpft werden. Bei Adipösen finden sich erhöhte Spiegel proinflammatorischer Substanzen wie TNFα und IL-6. Eine Gewichtsreduktion bei Adipositas vermindert nicht nur entzündliche Prozesse bei Arthrose, sondern führt auch zu einer geringeren Entzündungsaktivität unter anderem bei Psoriasisarthritis und ankylosierender Spondylitis. Was bietet sich hier mehr an als ein dosiertes Ausdauer- und Krafttraining.
Wer sich eine ironische Abrechnung mit Auswüchsen des Kurbetriebs zu Gemüte führen möchte, dem sei der Film von Regisseur Alan Parker «The Road to Wellville» nach einem Roman von T. C. Boyle empfohlen.

Dr. med. Urs Grossenbacher

Physikalische Medizin und Rehabilitation SGPMR
Manuelle Medizin SAMM
Interventionelle Schmerztherapie SSIPM
Limmattalstrasse 167
8049 Zürich

dr.urs.grossenbacher@hin.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Turne bis zur Urne
  • Physikalische, zunehmend evidenzbasierte Therapiemassnahmen haben nach wie vor einen grossen Stellenwert in der Behandlung rheumatischer und damit häufig chronischer Erkrankungen des Bewegungsapparates
  • As doctors are hardly
    familiar with the entire spectrum of physical therapy options, it is advisable to have regular discussions with physiotherapists and occupational therapists.

1. Among others Edwin Smith Papyrus, Ebers Papyrus, Ramesseum Papyrus.
2. Especially the corpus hippocraticum of Hippocrates.
3. Among other things, de materia medica of Dioscorides, various writings of Galen and Asclepiades of Bithynia.
4. Predominantly from the Qanun at-Tibb of Ibn Sina (also called Avicenna).
5. Reddig WF. Bader, Medicus and Wise Woman. Battenberg, 2000.
6. https://www.medmuseum.siemens.com/museumsgeschichten/elektromedizin
7. Wikipedia.
8. Long A, physical medicine. Springer, 2003.
9. www.rheumaliga.ch/offers

Stuhlinkontinenz

Stuhlinkontinenz ist definiert als unwillkürlicher Verlust von festem oder flüssigem Stuhl. Bei der Urge-Inkontinenz kommt es zu unkontrolliertem Verlust bei wahrgenommenem Stuhldrang. Demgegenüber steht die passive Inkontinenz, bei welcher es unbemerkt zu Stuhlverlust kommt. Der Artikel fasst die aktuellen Abklärungsschritte und Therapieoptionen zusammen.

Die genaue Prävalenz von Stuhlinkontinenz ist unbekannt. Eine Review aus 2015 zeigt eine mittlere Prävalenz von 7.7%, wobei je nach Definition von Inkontinenz und untersuchter Studienpopulation ein grosser Unterschied von 2.0 – 20.7% besteht (1). Ein Geschlechterunterschied scheint nicht zu bestehen.
Als Hauptrisikofaktoren für Stuhlinkontinenz gelten Diarrhoe, zunehmendes Alter, Diabetes mellitus und gleichzeitige Urininkontinenz. Tabelle 1 zeigt in der detaillierteren Übersicht mögliche Ursachen für Stuhlinkontinenz (2).
Zur Graduierung der Stuhlinkontinenz wird heutzutage am häufigsten der Wexner-Vaizey-Score verwendet (Tabelle 2). Maximal können 24 Punkte erreicht werden, was einer kompletten Stuhlinkontinenz entspricht.

Abklärungen

Nebst der genaueren Anamnese werden als weiter führende Abklärungen eine Endoskopie, eine anorektale Manometrie und ein endoanaler Ultraschall empfohlen.
In der Endoskopie sollten entzündliche oder neoplastische Veränderungen des Anorektums ausgeschlossen werden.
Bei der anorektalen Manometrie könnten die Druckwerte des M. sphincter ani internus (Ruhedruck) und des M. sphincter ani externus (Klemmdruck) gemessen werden.
Der M. sphincter ani internus ist ein zirkulärer Muskel von glatten Muskelzellen und wird über das autonome Nervensystem innerviert. Er kann daher nicht aktiv beeinflusst werden. Häufig wird bei passiver Inkontinenz ein isoliert zu tiefer Ruhedruck gemessen.
Der M. sphincter ani externus ist ein zirkulärer Muskel von quergestreifter Muskelzelle und wird über den N. pudendus (S3-S4) innerviert. Er kann somit aktiv kontrahiert und entspannt werden. Dabei sind weniger die Maximalkraft als die Mitteldruckwerte über 10 Sekunden für die Kontinenz entscheidend. Eine Insuffizienz des M. sphincter ani externus geht häufig mit einer Urge-Inkontinenz einher.
Nebst der Druckmessung kann bei der anorektalen Manometrie gleichzeitig noch die rektale Compliance (Rektumkapazität) und Perzeption (Wahrnehmungsschwelle) mitgemessen werden. Hierzu wird ein dehnbarer Ballon ins Rektum eingeführt und dann mit Luft- oder Flüssigkeit langsam gefüllt. Beispielsweise zeigen stuhlinkontinente Patienten mit Diabetes mellitus häufig eine herabgesetzte Wahrnehmung (erhöhte Schwelle) für Dehnungsreize im Rektum. Patientinnen und Patienten mit entzündlichen Veränderungen (Proktitis ulzerosa oder Strahlenproktitis) hingegen eine erhöhte Wahrnehmung (reduzierte Schwelle).
Der endoanale Ultraschall kann bei nachgewiesener Sphinkterinsuffizienz allfällig zugrunde liegende Sphinkterdefekte nachweisen. Abbildung 1 zeigt einen Normalbefund mit zirkulärem echoarmem Internusring. In der Abbildung 2 kann auf der anterioren Hemizirkumferenz (9-3 Uhr) der Internus nach obstetrischen Verletzungen nicht mehr abgegrenzt werden.
In ausgewählten Fällen, insbesondere bei vermutetem Beckenbodendeszensus oder präoperativ gewünschter Darstellung der Beckenorgane kann ergänzend eine Magnetresonanz-Defäkographie durchgeführt werden. Dabei können beim simulierten Anspannen/Pressen die intraabdominalen Bewegungen real-time dargestellt werden.

Therapiemöglichkeiten

Mit Quellmitteln kann versucht werden die Stuhlkonsistenz zu beeinflussen. Dies kann vor allem bei Inkontinenz wegen weicher, lockerer Stuhlkonsistenz helfen.
Loperamid hat nachgewiesen einen positiven Effekt bei Inkontinenz wegen zu wässriger Stuhlkonsistenz (3).
Die Biofeedbacktherapie ist eine gute und effektive Therapieoption bei Urge-Inkontinenz infolge Insuffizienz des M. sphincter ani externus. Hingegen kann eine isolierte Insuffizienz des Internus nicht mit Training beeinflusst werden. Hier hilft eine vorgängig durchgeführte anorektale Manometrie zur Unterscheidung.
Direkt injizierte Substanzen (beispielsweise Silikon) können bei isolierter Insuffizienz des Internus versucht werden, allerdings ist die Datenlage spärlich.
Eine chirurgische Reparatur des Analsphinkters kann bei nachgewiesenem Sphinkterdefekt und vorgängig erfolgloser Biofeedbacktherapie und/oder medikamentöser Beeinflussung durchgeführt werden.
Die sakrale Neuromodulation ist die nächste Option falls Medikamente/Biofeedback und Sphincterrepair keine Besserung der Inkontinenz erbracht haben (4). Bei dieser Methode werden die für die Kontinenz wichtigen Beckenbodennerven mittels Strom stimuliert. Ein Vorteil gegenüber anderen chirurgischen Verfahren ist sicher die Möglichkeit einer 14-tägigen Teststimulationsphase. Kommt es darunter zu einer Verbesserung der Kontinenz und verträgt der Patient die Elektrode kann in einem 2. Schritt der definitive Schrittmacher implantiert werden.
Weitere «high-end» chirurgische Möglichkeiten sind die Kolostomie, die dynamische Grazilisplastik oder der künstliche Sphinkterapparat. Diese Therapieformen sollten aber nur in spezialisierten Zentren evaluiert und durchgeführt werden.

Dr. med. Marcel Halama

FMH Gastroenterologie
Aerztehaus Fluntern
Zürichbergstrasse 70
8044 Zürich

marcel.halama@hin.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Eine Stuhlinkontinenz kann Folge von strukturellen (postoperativ, neoplastisch, entzündlich, neuronal) und auch funktionellen Abnormitäten sein und wird auch durch allgemeine Erkrankungen und Stuhlabnormitäten beeinflusst
  • Der Schweregrad einer Stuhlinkontinenz kann mit dem Wexner-Vaizey-Score abgeschätzt werden
  • Die Diagnostik umfasst eine Endoskopie, eine anorektale Manometrie und ein endoanaler Ultraschall
  • Die Basistherapie umfasst Quellstoffe, Loperamid und bei Urge-Inkontinenz infolge Insuffizienz des M. sphincter ani externus eine Biofeedbacktherapie.

1. Ng KS et al; Dis Colon Rectum 2015 ; 58 (12) : 1194
2. Lazarescu et al; Can J Gastroenterol; 2009; 23: 301
3. Markland et al; Dis Colon Rectum 2015 ; 58 (10) : 983-993
4. Matzel et al ; Lancet 2004 ; 363 (9417) : 1270

Zur aktuellen Kontroverse über Testosteronersatzbehandlung bei älteren Männern

Der Late-onset Hypogonadismus (LOH), auch als Alters-assoziiertes Testosterondefizit bekannt, ist ein klinisches und biochemisches Syndrom, charakterisiert durch Alter, Libidoverlust, erektile Dysfunktion, abnehmende Muskelkraft, vermehrtes Viszeralfett, Anämie und Stimmungsschwankungen. In diesem Artikel werden die aktuellen Kontroversen um Diagnose und Behandlung dieses Krankheitsbildes diskutiert.

Zahlreiche Studien belegen sowohl enge Zusammenhänge mit der Entwicklung eines Metabolischen Syndroms als auch Hinweise darauf, dass ein Testosterondefizit (TD) durch Störung des Lipidprofils und der glykämischen Kontrolle sowie Obesitas und vermehrte Freisetzung von Entzündungsmediatoren zu erhöhter Mortalität führt (1, 2, 3).
Die zunehmende Beachtung dieses Krankheitsbildes hat die Testosteronverschreibungen in den letzten Jahrzehnten um das Siebenfache hochschnellen lassen (4, 5). Studien schätzen, dass in den USA aktuell 2.4 Mio. Männer im Alter zwischen 40-60 Jahren einen LOH aufweisen und für 2025 werden 6.5 Mio. geschätzt (6, 7, 8). Zu tiefe Testosteronwerte sollen direkt oder indirekt für jährlich 1.3 Mio. neue Fälle kardiovaskulärer Erkrankungen, 1.1. Mio. neue Diabeteskranke und rund 600 000 Osteoporosefälle pro Jahr mitverantwortlich sein (das − oft schicksalhafte − Frakturrisiko dagegen scheint verminderten Serum-Estradiolwerten anzulasten zu sein (12)). Für die nächsten zwei Dekaden werden Kosten für das amerikanische Gesundheitswesen durch Testosteronmangel von bis zu 500 Milliarden USD entstehen (9).
Positive Effekte einer korrekten Testosteron-Ersatztherapie (TET) auf Insulinresistenz, Diabetes mellitus 2 (Dm2), Dyslipidämie, Zytokinbildung, Viszeralfettmasse, Hypertonie, subdepressive Verstimmungen, Knochenmineralisation und Muskelkraft sind in zahlreichen Studien längst und bestens belegt (10, 11). Eine Reihe beachtenswerter Untersuchungen belegen die engen Assoziationen zwischen tiefen Testosteronwerten und erhöhter Mortalität (13-20), respektive in nicht randomisierten Studien sogar eine reduzierte Mortalität unter TET bei Männern mit tiefen Testosteron-Spiegeln (21, 22). Leider aber wird Testosteron nach wie vor oft inadäquat verschrieben – oft sogar ohne vorgängige Hormonbestimmung (23).
Trotz all dieser positiven Erkenntnisse hat in den vergangenen Jahren eine heftige Kontroverse stattgefunden, die sich um die Frage der Sicherheit einer TET und ein möglicherweise erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse drehte. Die schwache Datenlage führte dazu, dass noch 2015 die FDA die TET nur bei kongenitalem Hypogonadismus und nicht beim LOH unterstützte. Damit fällt aber nur eine kleine Zahl von Patienten in diese Kategorie, während die erdrückende Mehrheit der Hormonmangelpatienten eben Komorbiditäten wie Dm2, Adipositas, metabolisches Syndrom aufweisen (8). Die Position der FDA, insbesondere ihre Forderung nach obligatem Warnhinweis auf ein CV Risiko einer TET, wurde allerdings rasch in Frage gestellt.
Basis für diese drastischen, staatlich verordneten Einschränkungen bei der Therapieempfehlung waren zwei Übersichtsartikel, die eine Gefährdung für CVE bzw. Schlaganfälle unter TET glaubten nachweisen zu können (24, 25). Sie lösten heftige Kontroversen und nachgeordnete Massnahmen aus und hallten – erwartungsgemäss – in der Laienpresse lange nach (26). Bereits 2014 fand die European Medicines Agency EMA in einem Review aber keine Hinweise auf eine erhöhte kardiovaskuläre Gefährdung unter Testosterontherapie und teilte ausdrücklich die Einschätzung der FDA nicht (27).
Obschon bei genauer Betrachtung beide Studien erhebliche fachliche und statistische Fehler aufwiesen (so wiesen beispielsweise behandelte Männer deutlich tiefere Testosteron-Basiswerte auf als die Kontrollen und die Kontrollgruppe in der einen Studie erhielt PD5-Hemmer mit bekannt positiver kardiovaskulärer Wirkung) und obschon gemeinhin Entwarnung gegeben wurde, sitzt in der Ärzteschaft die Verunsicherung immer noch tief und muss Anlass zu einer kritischen aktuellen Lagebeurteilung sein:

Kurzer geschichtlicher Abriss

  • Testosteron ist ein «junges» Hormon – nach seiner 1937 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten, chemischen Identifizierung (vor allen anderen durch Butenandt und Ruzicka in Zürich) wurde es sehr rasch therapeutisch eingesetzt. So berichten erste Studien bereits nach 1940 (28-31) über günstige Effekte von Testosteron auf periphere Gefässkrankheiten und Angina pectoris.
  • In der Folge erschienen zahllose Publikationen, die einerseits einem möglichen Risiko eines Testosteronmangels nachgingen und andererseits bereits früh die positiven Effekte eines entsprechenden Ersatzes belegten (32-34).
  • Erste ernsthafte Einwände gegen den therapeutischen Einsatz von T finden sich 2010 in einer Studie zur Auswirkung einer TET auf Muskelkraft und Mobilität älterer Männer: die Untersuchung wurde wegen vermehrten CVE im Vergleich mit der Plazebo-Gruppe frühzeitig abgebrochen (35).
  • 2013 verursachte die retrospektive National Cohort Study (24) enormen Publizitätswirbel durch Hinweise auf vermehrte Herzinfarkte, Schlaganfälle und Todesfälle unter TET. Obschon diese Studie wegen grober Fehler und paradoxer Einschätzung der Resultate heftig kritisiert wurde (36) und in der Folge einige Fachgesellschaften ihren Rückzug verlangten, wird sie vor allem in der Laienpresse immer noch unkritisch zitiert.
  • 2014 beobachteten Finkle und Mitarbeiter (25) in einer retrospektiven Kohortenstudie an 55 593 Patienten ein relativ erhöhtes Risiko für Herzinfarkte nach einer TET von 1.36 im Vergleich mit 167 270 Kontrollen. Allerdings basieren die Meldungen nicht auf ärztlicher Diagnose, sondern auf Versicherungsmeldungen, was allein bekanntlich mit einer Irrtumsrate von 12% behaftet ist (1). Komorbiditäten wurden schlichtweg nicht berücksichtigt und als Kontrollgruppe funktionierten Männer unter Medikation mit Phosphodiesterase-Hemmern Typ 5, also einer völlig abweichenden Indikation. Die FDA folgerte aus dem meist nur 30-90 Tage dauernden kurzen Therapieregime die Möglichkeit, dass Patienten nach diesen wenigen Wochen immer noch hypogonadal sein und das erhöhte CVE Risiko eben gerade durch zu tiefe Testosteronwerte bedingt sein könnte (37).
  • Seit 2005 kommen über 100, auch interventionelle klinische Studien zur Frage möglicher negativer Korrelationen von TET und CVE (exzellent zusammengestellt in der Übersicht von Clavell-Hernandez und Wang (34)) zum Schluss, dass keine Korrelation besteht zwischen TET und der Entwicklung von CVE. Bemerkenswert sind neben diesen Meta-Analysen auch Studien, die auf eine antiarrhythmische Wirkung bei Vorhofflimmern einer TET zur Normalisierung einer Hypoandrogenämie hinweisen (38, 39) – auch wenn die genauen Mechanismen bis heute noch nicht aufgeklärt sind.
  • Einen interessanten Denkansatz vertritt Yeap (40): Er vermutet eine U-förmige Kurve der Konzentration zirkulierender Androgene mit theoretisch erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie auch die Entwicklung von Begleitkrankheiten bei zu tiefen wie auch zu hohen Werten – einzig mittlere Konzentrationen würden schützende Wirkung entfalten. Diese sogenannte U-These harrt noch aber ihrer Bestätigung.

Welches sind die vaskulären Mechanismen von Testosteron?

Die entscheidende vasodilatatorische Wirkung von Testosteron wird in erster Linie dem aktivierenden Einfluss auf die K-Kanäle bzw. dem inaktivierenden Effekt auf die Ca-Kanäle zugeschrieben. Interessanterweise scheint es sich bei der raschen Vasodilatation durch Testosteron um eine Androgen-Rezeptor (AR) unabhängige, nicht-genomische Funktion zu handeln (39).
Der AR ist dagegen bei den Langzeitwirkungen auf den Tonus in Schlüsselfunktion: AR finden sich ubiquitär in den Gefässstrukturen und Testosteron wie auch sein aktiver Metabolit DHT erhöhen die endothelialen NO (eNO) Konzentrationen (41). Bemerkenswerterweise konnte aber gezeigt werden, dass DHT selber – und zwar unabhängig vom AR-vermittelten Prozess (33) – die Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie COX2 durch die Muskulatur der Koronararterien hemmt.
Wieweit bei den raschen, nicht-AR-abhängigen Prozessen auch die Estradiol-Rezeptoren ins Spiel kommen, wird noch zu klären sein, denn Aromatase wird in den Gefässstrukturen exprimiert und hat identische Einflüsse auf die eNO Bildung (42).
Neben den zahlreichen Untersuchungen mit Frage nach erhöhtem CV Risiko, Häufigkeit von CV Ereignissen, Arrhythmien und Meta-Analysen ist es nach wie vor die zentrale Frage, wie die antientzündlichen, durch T ausgelösten Prozesse in Gang kommen:
Proinflammatorische Zytokine wie IL-1-beta, IL-6, TNF-alpha und CRP standen im Fokus des Interesses: Zwar scheinen die Ergebnisse durchaus widersprüchlich, doch in der Mehrheit konnten positive Effekte auf die genannten Zytokine und CRP nachgewiesen werden (43). Damit bedarf auch die 2017 publizierte Beobachtung noch der Erklärung, weshalb unter TET mehr nichtkalzifizierte Koronarplaques auftreten sollen (44). Ob damit ein echtes kardiovaskuläres Risiko entsteht oder aber ob eventuell auch andere potentiell schädigende Mechanismen wie Flüssigkeitsretention unter Testosteronbehandlung in Gange kommen, wird derzeit diskutiert (40, 45, 46).

Aktuelle Datenlage zum Risiko eines CVE unter TET

T ist ein Gefässhormon mit direkter vasoreaktiver Wirkung und günstigen Einflüssen auf Atheroprotektion und Freisetzung von Entzündungsmarkern und damit direkten antientzündlichen Effekten auf die Blutgefässe. Obschon fast alle einschlägigen Untersuchungen zum positiven Effekt einer TET beim LOH durch Komorbiditäten kompliziert sind, zeigt doch eine überwiegende Mehrzahl, dass Testosteron über endothelabhängige Faktoren sowohl in physiologischen wie auch supraphysiologischen Konzentrationen kurz- wie langzeitige vasodilatatorische Effekte hat. Dabei überwiegen die Kalzium-antagonistischen Wirkungen über die Aktivierung der Endothelzellen durch Kalium-Kanalinaktivierung (47).
Nach Auswertung von Studiendaten von über 210 000 mit Testosteron behandelten Männern zeigen sich keine Zusammenhänge mit erhöhtem Risiko für Myokardinfarkte, Mortalität, Schlaganfälle oder thromboembolischen Ereignissen (48, 49, 50, 51, 52, 53). Einzig bei Männern über 65 Jahren, transkutaner Ersatzbehandlung und nur in den ersten Therapiemonaten wurde in einer Untersuchung auf ein mögliches kardiovaskuläres Risiko verwiesen (54). Kelly und Jones (43) folgern deshalb in ihrer Meta-Analyse 2013 aus der eindrücklichen Summe der günstigen Effekte, dass TET mögliche therapeutische Benefits bei der CVD haben wird.
Mehrere führende Fachgesellschaften haben in vergangenen Jahren Reviews veröffentlicht und darin im Sinne von Richtlinien ausführlich zur Problematik allfälliger CV Risiken unter TET Stellung genommen. Dabei sticht das Statement der EMA (27) hervor, die keine erhöhte Gefährdung erkennen kann – dies im Gegensatz zu den Erkenntnissen der FDA (37). Andere Fachgesellschaften konzentrieren sich auf den Ausschluss möglicherweise gefährdeter Männer mit schweren, nicht bekannten Herzleiden oder Zustand nach Myokardinfarkten (Endocrine Society; 55). Die European Association of Urology reiht schwere chronische Herzleiden NYHA Klasse IV ebenfalls unter den Kontraindikationen zur TET ein, definiert aber keine weiteren Gefahrensituationen (56). Zu einem anderen Schluss gelangt die Canadian Men’s Health Foundation in ihren Empfehlungen: «…Testosterone treatment is appropiate for men with low testosterone and cardiovascular disease» (57).
Unabhängig von diesen Disputen und unwidersprochen gelten nach wie vor erhöhte Hämatokritwerte sowie Fälle von Mammakarzinom beim Mann als Kontraindikationen für eine TET (56) , wogegen die Vorbehalte gegen eine solche Behandlung wegen potentieller Auslösung eines Prostatakarzinoms endgültig als ausgeräumt gelten.
Zwar fehlt nach wie vor die grosse, prospektive, randomisierte, doppelblinde und Placebo-kontrollierte Studie zur Sicherheit der TET. Bei offensichtlich überwiegenden Benefits des Männerhormons auf das kardiovaskuläre System sind aber alle Anstrengungen zu unterstützen, die zur endgültigen Aufklärung der zugrundeliegenden Gefässreaktionen führen (39). Leider tun sich viele Fachgesellschaften bis heute noch schwer, sich auf einheitliche Indikationslisten zur TET zu einigen. So variieren bei den entscheidenden Richtlinien beispielsweise die einer TET zugrunde liegenden Hormonuntergrenzen zwischen 8 – 14 nmol/l (siehe Tabelle 1) (55-57).
Leider haben es die andrologischen Fachgesellschaften bis heute nicht geschafft, sich auf einheitliche Indikationslisten und Richtlinien zur TET zu einigen. Damit wird möglicherweise Generationen von Männern ein in praktisch jeder Hinsicht günstig wirkendes Hormon als Ersatz bei altersbedingtem Verlust vorenthalten – ein Versäumnis, das die Nachwelt wohl kritisch beleuchten wird.

Dr. med. Christian Sigg

Forsterstrasse 61
8044 Zürich

dr.sigg@hispeed.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Die günstigen Effekte einer TET bei LOH auf Psyche, Teilaspekte des Metabolischen Syndroms, Sexualität und Muskelkraft liessen die Verschreibungen in letzten Jahrzehnten ums Siebenfache steigen
  • Bis heute liegen keine Hinweise auf ein erhöhtes CVE-Risiko unter TET vor – im Gegenteil: Hinweise auf entsprechende Benefits verdichten sich
  • Vasodilatatorische Effekte und eine verminderte Freisetzung von
    Entzündungsmediatoren wurden als protektive Mechanismen unter TET identifiziert
  • Bei nach wie vor inkonsistenten Richtlinien zur klaren Indikationsstellung könnte möglicherweise durch allzu grosse Zurückhaltung eine erwiesenermassen wirkungsvolle Behandlung des LOH der aktuellen «Hormonmangel-Generation» vorenthalten werden.

1. Tremlett H, Yinshan Z, Devonshire V. Natural history of secondary-progressive multiple sclerosis. Mult Scler 2008; 14: 314–24.
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4. Giovannoni G, Soelberg Sorensen P, Cook S, Rammohan K, Rieckmann P, Comi G, Dangond F, Adeniji AK, Vermersch P. Safety and efficacy of cladribine tablets in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: Results from the randomized extension trial of the CLARITY study. Mult Scler. 2018 Oct;24(12):1594-1604. doi: 10.1177/1352458517727603
5. Montalban X, Hauser SL, Kappos L et al.: Ocrelizumab versus Placebo in Primary Progressive Multiple Sclerosis. N Engl J Med 2017; 376: 209–220
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Ursachen und klinische Relevanz von Blutdruckvariabilität

Die arterielle Hypertonie stellt den wichtigsten Risikofaktor für kardio- und zerebrovaskuläre Morbidität und Mortalität dar. Neben der eigentlichen Höhe der Blutdruckwerte besteht mitunter auch eine Blutdruckvariabilität mit teils deutlichen Blutdruckschwankungen. Obwohl Blutdruckschwankungen von einem Moment zum nächsten ein physiologisches Phänomen sind, ist doch relativ wenig bekannt hinsichtlich ihrer klinischen Bedeutung. Im Folgenden sollen deren Ursachen und Bedeutung sowie therapeutische Überlegungen im Zusammenhang mit diesem Befund besprochen werden.

Die arterielle Hypertonie stellt den wichtigsten Risikofaktor für kardio- und zerebrovaskuläre Morbidität und Mortalität dar (1, 2). Dieses umfasst Erkrankungen wie die koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, peripher-arterielle Verschlusskrankheit sowie den ischämischen und hämorrhagischen Hirnschlag. Auch eine beschleunigte dementielle Entwicklung wird bei Patienten mit arterieller Hypertonie häufiger beobachtet.
Die European Society of Hypertension (ESH) sowie die Schweizerische Hypertoniegesellschaft (SHG) empfehlen einen oberen Blutdruckgrenzwert von 140/90 mmHg, während die neue US-amerikanische Empfehlung – basierend auf neueren Studienergebnissen (3) – einen Grenzwert von 130/80 mmHg nennt. Die Therapie umfasst neben lebensstilmodifizierenden Faktoren insbesondere die medikamentöse Therapie. Diese erfolgt in Abhängigkeit von Ursachen und Höhe des Blutdrucks sowie bestehenden vaskulären Begleiterkrankungen bzw. Risikofaktoren in verschiedenen Kombinationen (siehe auch aktuelle Leitlinienempfehlungen) (1).
Neben erhöhten absoluten systolischen oder diastolischen Blutdruckwerten, ist bei Patienten mit einer arteriellen Hypertonie nicht selten eine Blutdruckvariabilität mit teils deutlichen Blutdruckschwankungen zu beobachten. Die Ursachen, klinische Relevanz und therapeutische Implikationen sollen im Folgenden beleuchtet werden.

Ursachen und Diagnosestellung

Der Blutdruck unterliegt einer zirkadianen Schwankung und zeigt zudem physiologische Schwankungen, abhängig von körperlicher oder auch psychischer Belastung. Auf der anderen Seite finden sich auch pathologische Blutdruckschwankungen, welche teils nicht einfach zu erfassen sind. So können auch bei wiederholten Messungen im Rahmen ambulanter Konsultationen teils ausgeprägte Schwankungen verpasst werden. Zudem kommt hierbei noch der Weiss-kittel-Effekt potentiell hinzu. Eine ambulante 24-Stunden-Messung bietet eine Möglichkeit, kurzfristige Schwankungen unabhängig der Tageszeit zu erfassen. Jedoch entziehen sich hierbei möglicherweise Schwankungen von Tag zu Tag, so dass in diesem Fall regelmässige häusliche Selbstmessungen hilfreicher sein können. Insgesamt sollten Schwankungen aufgrund der mit ihnen einhergehenden potentiell negativen prognostischen Implikationen erkannt werden (4-6).
Blutdruckschwankungen können verschiedene Ursachen aufweisen. Bei einigen Patienten mit einer arteriellen Hypertonie finden sich nicht nur erhöhte, sondern auch stark schwankende Blutdruckwerte. Aufgrund der Hypertonie-bedingten Gefässschädigung kommt es zu einer Störung der Blutdruckregulation, sodass bereits geringfügige Stimuli (wie z.B. körperliche Aktivität, Stress, etc.) zu deutlichen Blutdruckschwankungen führen können. Teils finden sich auch nächtliche Blutdruckschwankungen, ohne klar erkennbare Auslöser. Hier gilt es, die medikamentöse Therapie – bzgl. Präparat, Dosis und Einnahmezeitpunkt – zu reevaluieren.
Blutdruckschwankungen können auch sekundärer Genese sein und z.B. im Rahmen von begleitenden Schilddrüsenfunktionsstörungen oder bei Frauen im Rahmen menopausaler hormoneller Veränderungen auftreten. Es gilt, eine individuelle Evaluation bzgl. möglicher sekundärer Ursachen durchzuführen.
Eine weitere – wenn auch insgesamt relativ seltene – Ursache eines labilen Blutdrucks stellt das Phäochromozytom dar. Hier finden sich nicht selten episodisch auftretende Symptome, die mit einem paroxysmal erhöhten Blutdruck sowie Kopfschmerzen, Palpitationen, Schwitzen und Hautblässe einhergehen. Bei Verdacht sollten Katecholamine bzw. Metanephrine bestimmt werden und eine Lokalisationsdiagnostik erfolgen. Zudem können Störungen des vegetativen Nervensystems, wie z.B. im Rahmen einer diabetischen Polyneuropathie zu instabilen Blutdruckwerten führen.
Labile Blutdruckwerte finden sich auch teilweise bei Patienten mit neurovaskulären Erkrankungen, i.e. mit einem ischämischen Hirnschlag oder einer zerebralen Blutung. Dieses ist insbesondere in der Akutphase der Fall, so dass eine vorbestehende antihypertensive Therapie ggf. angepasst werden muss. Insbesondere finden sich nicht selten erhöhte Blutdruckwerte. Dieses kann beim ischämischen Infarkt eine Reaktion auf die Minderperfusion sein. Hier sollte eine Blutdrucksenkung vorsichtig erfolgen und sich auf erhöhte Blutdruckspitzen beschränken. Bei der zerebralen Blutung – welche oftmals Folge einer arteriellen Hypertonie ist – wiederum finden sich oftmals erhöhte und labile Blutdruckwerte (Abb. 1). Blutdruckspitzen sollten vermieden werden, um einer Hämatomexpansion vorzubeugen, als Zielblutdruck wird hier ein systolischer Wert von 140 mmHg angestrebt. Langfristig kommt der Blutdruckeinstellung eine wichtige Rolle in der Sekundärprävention zu (7).
Neben der arteriellen Hypertonie kann ein labiler Blutdruck auch in die «andere Richtung» beobachtet werden: dies umfasst z.B. vago-vasale Reaktionen oder orthostatische Hypotonien. Letztere treten auch bei älteren Patienten auf und können zu Schwindel bis hin zu synkopalen Ereignissen, mit einer potentiellen Sturz- und Verletzungsgefahr führen. Gerade bei älteren Patienten muss daher auch in Einzelfällen eine bestehende antihypertensive Therapie aus diesem Grund reevaluiert und ggf. angepasst werden
Eine scheinbare Blutdruckvariabilität kann mitunter auch vorgetäuscht werden, sollten die Blutdruckmessungen wechselnd rechts oder links und nicht einheitlich bzw. beidseits erfolgen: im Falle einer bestehenden Arteriosklerose mit bestehenden proximalen Gefässstenosen, insbesondere einer Stenose der Arteria subclavia, können erniedrigte Blutdruckwerte an der stenosierten Seite auftreten, welche ggf. zu einer Missinterpretation führen können.

Klinische Relevanz und Implikationen

Transiente Blutdruckanstiege im Rahmen von emotionalem Stress normalisieren sich in der Regel spontan und stellen per se noch keinen therapiebedürftigen Befund dar. Nichtsdestotrotz gibt es Situationen, in denen solche Blutdruckanstiege ein klinisches Dilemma bedeuten. Dies ist beispielsweise bei der sogenannten White Coat Hypertonie oder Weisskittel-Hypertonie der Fall, die in ca. 30-40% (bis > 50% bei sehr betagten) Patienten mit erhöhten Praxisblutdruckwerten gefunden wird, häufiger bei Frauen und Nicht-Rauchern und als sogenannter zusätzlicher Weisskittel-Effekt bei Patienten mit arterieller Hypertonie Grad 1.
Dieses Phänomen ist zwar mit einem insgesamt niedrigeren kardiovaskulären Risiko vergesellschaftet als eine dauerhaft bestehende Hypertonie und auch hypertensive Endorganschäden werden seltener gefunden (8-10). Verglichen mit normotensiven Individuen haben Patienten mit White Coat Hypertonie allerdings eine erhöhte adrenerge Aktivität, eine höhere Zahl metabolischer Risikofaktoren, häufiger asymptomatische kardiale und/oder vaskuläre Organschäden und ein höheres Risiko für Diabetes mellitus und für eine Progression zu einem dauerhaft erhöhten Blutdruck (9-13). Trotzdem die White Coat Hypertonie also bei weitem kein «unschuldiges» Phänomen ist, ist die Frage, ob diese antihypertensiv behandelt werden muss, nach wie vor nicht geklärt. Während wiederholt gezeigt werden konnte, dass eine antihypertensive Therapie den Praxisblutdruck senken kann, ohne dass der 24h-Blutdruck beeinflusst wird, ist bisher nicht untersucht, ob diese Blutdrucksenkung einen prognostisch relevanten Effekt hat (14-16).
Darüber hinaus stellen aber auch «normale» Blutdruckschwankungen bei gewissen Patientengruppen ein behandlungsbedürftiges Problem dar. Dies gilt zum Beispiel für Patienten mit einer chronischen Aortendissektion, einem Marfan-Syndrom, einer Angina pectoris, zerebralen Aneurysmen oder rezidivierenden nicht-hypertensiven zerebralen Hämorrhagien im Rahmen von Amyloid-Angiopathien.

Behandlung bei hoher Blutdruckvariabilität

Die bisherigen Strategien zur Behandlung eines erhöhten Blutdruckes zielen auf den Blutdruck in Ruhe. Wenig Beachtung hat bisher die «labile» Komponente gefunden. Zudem existieren keine allgemeingültigen Kriterien für eine übermässige Blutdruckschwankung. Interessanterweise konnte gezeigt werden, dass Calcium-Antagonisten die von Visite zu Visite beobachtete Blutdruckvariabilität, welche einen wichtigen prognostischen Faktor darstellen, senken konnten, während ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Blocker und Beta-Blocker diese eher steigerten (17-19). In anderen Studien liessen sich diese Unterschiede allerdings nicht nachweisen (20). In diesem Zusammenhang sollten die Sympathikus-vermittelten Effekte auf die Blutdruckerhöhung nicht vergessen werden. Ein Therapieansatz, welcher diese antagonisiert, könnte möglicherweise wirksamer sein als andere antihypertensive Wirkmechanismen. Tatsächlich sind aber weder Beta- noch Alpha-Blocker alleine in der Lage, die Blutdruckreaktion auf Stressoren zu vermindern (21, 22), wohingegen eine Kombination dieser Substanzklassen die Blutdruckreaktivität verringern kann (23).
Insgesamt muss jedoch festgehalten werden, dass bisher kein allgemein akzeptierter Ansatz für die Behandlung eines stark schwankenden Blutdruckes existiert. Zudem ist nicht bekannt, ob die Behandlung von Blutdruckschwankungen über die «klassische» Blutdruckkontrolle hinaus einen zusätzlichen günstigen Effekt hat. Gleichwohl ist vorstellbar, dass die zielgerichtete Behandlung von Blutdruckschwankungen den immer wieder beobachteten Teufelskreis aus erhöhtem Blutdruck und daraus resultierender Angst durchbrechen könnte. Anders ist die Situation bei der sogenannten White Coat Hypertonie, wo inzwischen zumindest bei kardiovaskulären Hochrisiko-Patienten Hinweise vorliegen, die eine antihypertensive Therapie rechtfertigen können.

PD Dr.Nils Peters

Neurologische Klinik und Stroke Center
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel
Neurologie und Neurorehabiliation, Universitäre Altersmedizin
Felix Platter-Spital
Burgfelderstrasse 101
4055 Basel

Nils.Peters@usb.ch

PD Dr.Thomas Dieterle

Medizinische Universitätsklinik
Kantonsspital Liestal
Rheinstrasse 26
4410 Liestal

Interessenskonflikte: Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Das primäre Ziel in der Blutdrucktherapie ist die Einstellung des Blutdrucks auf Zielwerte unter 140/90 mmHg, falls möglich in einen Normalbereich von 130/80 mmHg. Dieses gilt insbesondere im Falle des Vorliegens weiterer vaskulärer Vorerkrankungen und Risikofaktoren.
  • Die Therapie umfasst lebensstilmodifizierende Faktoren sowie die medikamentöse Behandlung. Hierbei sollte auch auf eine bestehende Therapietreue seitens des Patienten geachtet werden. Der Einsatz von medikamentösen Fixdosis-Kombinationen («single pill combinations») kann hierbei hilfreich sein.
  • Neben den eigentlichen Blutdruckwerten sollten auch Blutdruckschwankungen erfasst werden, da diese eine nicht suffiziente
    Therapie anzeigen und mit einer verschlechterten Prognose vergesellschaftet sein können. Häusliche Messungen können hierbei unter-stützend hilfreich sein. In Zukunft spielen hierbei möglicherweise digitale-elektronische Verfahren (telemedizinische Verfahren bzw. «Blutdruck-Apps») eine zunehmende Rolle.
  • Die Blutdruckvariabilität spielt klinisch im Rahmen der sogenannten White Coat Hypertonie derzeit wohl die wichtigste Rolle, da gezeigt werden konnte, dass diese Form der Hypertonie entgegen früheren Ansichten mit einer höheren Rate an Endorganschäden, kardiovas-kulären Ereignissen und einem höheren Risiko für die Entwicklung eines dauerhaft erhöhten Blutdruckes vergesellschaftet ist.
  • Trotz dieser neuen Erkenntnisse bleibt der Wert einer antihypertensiven Therapie bei diesen Patienten unklar und sollte derzeit nur bei Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko in Betracht gezogen werden.

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Aktuelle Therapien der Multiplen Sklerose

Eine neue, orale Therapie – Cladribin – zur Behandlung der schubförmigen multiplen Sklerose hat 2019 die Schweiz erreicht. Für Patienten mit primär progredienter MS besteht seit 2018 eine offizielle Behandlungsoption. Für Patienten mit sekundär progredienter MS steht möglicherweise bald eine Behandlung zur Verfügung.

Die Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste neurologische Erkrankung, die bei jungen Erwachsenen zu einer bleibenden Behinderung und zu einer vorzeitigen Berentung führt. Es handelt sich um eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems, von der drei bis vier Mal mehr Frauen als Männer betroffen sind. Bei den meisten Patienten manifestiert sich die Erkrankung mit Schüben, der schubförmig verlaufenden MS (RRMS) um das 30. Lebensjahr herum. Dabei findet ausserhalb von Schüben in der Regel keine kontinuierliche klinische Verschlechterung im Sinne einer Progression statt. Unbehandelt geht die Erkrankung in der Hälfte der Fälle innert 15 bis 20 Jahren nach Krankheitsbeginn in die sekundär progrediente Verlaufsform (SPMS) über, in welcher die neurologischen Defizite schleichend zunehmen, mit oder ohne zusätzlich überlagernde Schübe (1, 2). In etwa 10% der Fälle besteht eine von Beginn an progredient verlaufende, primär progrediente Verlaufsform (PPMS).
Die Ursache der MS ist nach wie vor unbekannt und die Krankheit ist nicht heilbar. Mit der Zulassung der Beta-Interferone vor etwas mehr als 20 Jahren war es zum ersten Mal möglich, Einfluss auf den Krankheitsverlauf der schubförmig verlaufenden MS zu nehmen, wenngleich nicht in jedem Fall. In den letzten Jahren haben sich die Therapiemöglichkeiten stetig erweitert und verbessert. Zahlreiche neue Wirkstoffe haben eine Zulassung erhalten. Diese neuen Therapien werden in Form von Injektionen, in Tabletten-/ Kapselform oder als Infusionen verabreicht und haben zum Teil ganz verschiedene Wirkmechanismen. Mittlerweile sind in der Schweiz 14 Medikamente zur Behandlung schubförmiger Formen der MS (RMS) zugelassen. Diese Vielfalt ermöglicht eine zunehmend individuelle und Krankheitsstadien gerechte Behandlung der Erkrankung, bringt aber auch eine zunehmend Komplexität in Bezug auf Wirkmechanismus, Wechselwirkungen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen mit sich. Durch die Verfügbarkeit hochwirksamer Arzneimittel haben sich auch die Therapieziele verändert. Angestrebt wird eine möglichst vollständige Krankheitskontrolle, definiert als «Freiheit von klinisch-neurologischer und in der MRT messbarer Krankheitsaktivität» (NEDA (no evidence of disease activity)).
Im Folgenden sollen eine neue Therapieoption für die RMS, die dieses Jahr zugelassen wurde, sowie Behandlungsoptionen bei den progredient verlaufenden Formen der Erkrankung vorgestellt werden.

Cladribin (Mavenclad®)

In Europa ist Cladribin (Mavenclad®) seit Sommer 2017 für die Behandlung der hochaktiven, schubförmigen MS zugelassen. Hochaktive MS wurde seitens der EMA definiert als ein Krankheitsschub im vorangehenden Jahr und im MRI mindestens einer Kontrastmittel aufnehmenden Läsion, alternativ 9 oder mehr T2-Läsionen während der Behandlung mit anderen Immuntherapien oder mindestens zwei Krankheitsschübe mit oder ohne Behandlung während des letzten Jahres.
In der Schweiz erfolgte die Zulassung durch die Swissmedic Ende März 2019, die Kassenzulassung steht noch aus. Ebenfalls noch nicht bekannt ist, in wie fern die Indikation einer Limitatio unterliegen wird.
Cladribin ist ein Nukleosidanalogon, welches nach Aufnahme in die Zelle (bevorzugt in Lymphozyten) durch Phosphorylierung in die aktive Substanz Cladribin-Triphosphat überführt wird und zu einer vorübergehenden Depletion der T- und B-Lymphozyten führt. Dieser Ansatz der «selektiven Immunrekonstitutionstherapie (SIRT)» ohne dauerhafte Immunsuppression hat einen patientenfreudlichen Einnahmemodus. Cladribin wird als Tablette in 2 Behandlungswochen in einem Abstand von 12 Monaten an 4-5 Tagen (abhängig vom Körpergewicht) eingenommen – die kumulative Dosis beträgt 3,5 mg/kg Körpergewicht. Ein weiterer Zyklus ist danach nicht vorgesehen und empfohlen.
Die Wirkung von Cladribin auf die Schubrate und Behinderungsprogression wurde in der placebokontrollierten Zulassungsstudie (CLARITY) geprüft und 2010 veröffentlicht (3). Nach zwei Jahren ergab sich eine relative Reduktion der Schubrate von fast 58% im Vergleich zu Placebo. In der Extensionstudie wurden Patienten aus der CLARITY-Studie erneut randomisiert. Bei Patienten, die in der Hauptstudie Placebo erhalten hatten und nun das Verum erhielten, zeigte sich eine deutliche Reduktion der aktiven MS Läsionen im MRT um 90%. Bei 75% der Patienten, die nach zweijähriger Verum-Therapie jetzt Placebo erhielten, traten in der Extensionsphase keine neuen Läsionen auf (4). Insbesondere die MRT Daten bestätigen den nachhaltigen Effekt von Cladribin, der vermutlich sogar über die zweijährige Pause hinausgehen dürfte. Aufgrund von initialen Sicherheitsbedenken wurde die Substanz damals nicht zugelassen und jetzt nach Sammlung von Langzeitsicherheitsdaten erneut zur Zulassung vorgelegt, die letztlich auch erfolgt ist.

Behandlungsoptionen der progressiven MS Formen

Für Patienten mit primär-progredienter MS (PPMS) ist bislang erst ein Medikament zur Behandlung zugelassen. Es handelt sich hierbei um den gegen CD20 gerichteten monoklonalen Antikörper Ocrelizumab (Ocrevus®). Grundlage der Zulassung waren die Ergebnisse der ORATORIO-Studie (5). Der primäre Endpunkt der Studie war die Dauer bis zur über 12 Wochen anhaltenden Behinderungsprogression (= «confirmed disability progression», CDP) gemessen mit der Behinderungsskala Expanded Disability Status Scale (EDSS). In der Behandlungsgruppe konnte die CDP im Vergleich zu Placebo um 24% signifikant hinausgezögert werden. Die Progression wird in den meisten Fällen jedoch lediglich verzögert und nicht gestoppt. Diese erstmalige Möglichkeit der Beeinflussung des Krankheitsverlaufes ist jedoch ein erster wichtiger Schritt und gibt neue Hoffnung für die Patienten mit bisher unbehandelbarer Verlaufsform der Erkrankung. Die Indikation zur Behandlung enthält in der Schweiz, anders als in der EU, keine explizite Limitatio, also keine Einschränkungen in Bezug auf Alter, Krankheitsdauer, Behinderungsgrad und Nachweis einer etwaigen Krankheitsaktivität (klinisch oder kernspintomographisch). Der Nutzen der Therapie dürfte jedoch insbesondere bei jüngeren, erst wenig behinderten und klar progredienten/aktiven Patienten gegeben sein.
In Europa und der Schweiz ist für die sekundär progrediente Multiple Sklerose (SPMS) noch kein Medikament zugelassen, sofern der Krankeitsverlauf nicht noch durch überlagerte Schübe geprägt ist. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat aber Ende März 2019 dem Pharmaunternehmen Novartis die Zulassung für Siponimod (Mayzent®) erteilt, welches in der zweijährigen Phase III EXPAND Studie (6) für die SPMS getestet wurde. Primärer Endpunkt der Studie war die Zeit bis zum dreimonatigen Fortschreiten der Behinderung, gemessen wiederum am EDSS. Siponimod reduzierte gegenüber Placebo das Risiko einer nach drei Monaten bestätigten Behinderungsprogression um statistisch signifikante 21 Prozent. In der Subgruppe der Patienten mit nichtaktivem SPMS waren die Ergebnisse statistisch nicht signifikant. Demgegenüber erhielt das Medikament nun eine erstaunlich weitreichende Indikation, nämlich für die schubförmigen Verlaufsformen, die SPMS mit aktivem Verlauf, die schubförmig remittierende Multiple Sklerose (RRMS) und das klinisch isolierte Syndrom (CIS), die Frühform der MS. In Europa und in der Schweiz ist Siponimod noch im Zulassungsverfahren.
Der Wirkstoff Siponimod ist eine Weiterentwicklung von Fingolimod (Gilenya®, ebenfalls Novartis), ein sogenannter Sphingosin-Phosphat-Rezeptormodulator. Gilenya ist 2011 zur Therapie der RRMS in der Schweiz zugelassen worden. Siponimod ist ebenfalls ein oral einzunehmender, aber selektiver Sphingosin-1-Phosphat(S1P)-Rezeptormodulator, der sich unter anderem durch günstigere pharmakokinetische Eigenschaften und damit auch ein günstigeres Nebenwirkungsprofil auszeichnet. Durch die Wirkung am S1P1-Rezeptor auf Lymphozyten verhindert Siponimod den Egress der Lymphoyzten aus dem lymphatischen Gewebe, wodurch eine relative Lymphopenie erreicht wird. Da die Substanz die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann, werden auch durch den S1P5 Rezeptor Effekte direkt im ZNS vermutet.
Eine Herausforderung dürfte insbesondere bei den progredienten Patienten die Objektivierung der Krankheitsprogression unter der Therapie sein. Wir empfehlen, hierzu systematisch ein Assessment der Gehfähigkeit, der motorischen und koordinativen Funktion der oberen Extremität sowie Kongnitionstests unter der laufenden Behandlung einzusetzen.

Ausblick

Die MS lässt sich heute individueller und effektiver behandeln denn je. Dennoch gibt es noch unerfüllte Bedürfnisse, wie zum Beispiel Medikamente, welche die Regeneration geschädigter Nervenfasern fördern oder auch gut validierte, kommerzielle Biomarker, welche das individuelle Ansprechen auf die Therapie vorhersagen können oder prognostische Aussagen erlauben.

Dipl. Ärztin Stefanie Müller

Oberärztin mbF
Klinik für Neurologie
HOCH, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9000 St. Gallen

stefanie.mueller@kssg.ch

Dr. med.Jochen Vehoff

Klinik für Neurologie Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstrasse 95
9007 St. Gallen

SM erhielt Honorare für Vorträge und Beratungstätigkeit von Almirall, Bayer, Biogen, Celgene, Genzyme, Merck, Novartis, Roche, and Teva.
JV erhielt Honorare für Vorträge und Beratungstätigkeit von Almirall, Bayer, Biogen, Genzyme, Merck, Novartis, Roche, and Teva.

  • Von der Multiplen Sklerose als häufigster neurologischer Erkrankung mit bleibender Behinderung sind drei bis vier Mal mehr Frauen betroffen als Männer
  • Für die Behandlung hoch-aktiv verlaufender Formen von RRMS wurde neu auch in der Schweiz Cladribin (Mavenclad®) als Therapie zugelassen.
  • Für die 10% der Fälle, die primär an einer progredienten Verlaufs-form leiden (PPMS), ist der monoklonale Antikörper gegen CD20, Ocrelizumab in der Schweiz ohne Limitation zugelassen
  • Für die Behandlung der sekundär progredienten Multiplen Sklerose (SPMS) ohne Hinweise für Krankheitsaktivität in Form von Schüben oder im MRI sind in Europa und der Schweiz noch keine Wirkstoffe zugelassen. Die FDA hat soeben Siponimod, eine Weiterentwicklung von Fingolimod, das den Egress von Lymphozyten verhindert, für diese
    Indikation zugelassen.

1. Tremlett H, Yinshan Z, Devonshire V. Natural history of secondary-progressive multiple sclerosis. Mult Scler 2008; 14: 314–24.
2. Scalfari A, Neuhaus A, Daumer M, Muraro PA, Ebers GC. Onset of secondary progressive phase and long-term evolution of multiple sclerosis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2014; 85: 67–75.
3. Giovannoni G, Comi G, CookS, etal. A placebo-controlled trial of oral cladribine for relapsing multiple sclerosis. N. Engl. J. Med. 362(5), 416–426 (2010).
4. Giovannoni G, Soelberg Sorensen P, Cook S, Rammohan K, Rieckmann P, Comi G, Dangond F, Adeniji AK, Vermersch P. Safety and efficacy of cladribine tablets in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: Results from the randomized extension trial of the CLARITY study. Mult Scler. 2018 Oct;24(12):1594-1604. doi: 10.1177/1352458517727603
5. Montalban X, Hauser SL, Kappos L et al.: Ocrelizumab versus Placebo in Primary Progressive Multiple Sclerosis. N Engl J Med 2017; 376: 209–220
6. Kappos L, Bar-Or A, Cree BA, Fox RJ, Giovannoni G, Gold R, et al. Siponimod versus placebo in secondary progressive multiple sclerosis (EXPAND): A double-blind, randomised, phase 3 study. Lancet. 2018;391:1263–73