Der aktuelle Fall

Welche Optionen bestehen zur Senkung von HbA1c?

1. Ersatz von Metformin/DPP4-Hemmer durch Metformin + SGLT2-Hemmer, z.B. Empagliflozin. Für den Patienten kann es einfacher sein, ein Kombinationspräparat einzunehmen, Jardiance Met®.
Mögliche NW: Balanitis, ev. Pollakisurie (Urinvolumen nimmt zu, Cave obstruktives Prostatasyndrom).
Positive Effekte kardiovaskulär und renal sowie Gewichtsabnahme (Abb. 1.).

2. GLP-1-RA zusätzlich zu Metformin.
Positive Effekte kardiovaskulär und renal sowie Gewichtsabnahme (Abb. 2, 3).
Semaglutid (Ozempic®) einfach, nur einmal pro Woche. Ideal für die Geschäftsreisen.

3. Basalinsulin zusätzlich zu Metformin.
Nachteil: Notwendige BZ-Messungen, was der Patient nicht will. Gewichtszunahme, keine positiven kardiovaskulären Effekte, geringe Hypoglykämiegefahr.
Täglich applizieren (Abb. 2).
Eine tabellarische Zusammenstellung der Leitlinien der SGED zu antidiabetischen
Therapeutika findet sich in (Abb. 1).

Leitlinien der SGED zu antidiabetischen Therapeutika

Medikamente in Rot haben bessere Evidenz zur Reduktion der Mortalität und von mikro- und makrovaskulären Komplikationen. Sie sollten deshalb bevorzugt werden. Zu Substanzen in Blau gibt es kardiovaskuläre Endpunktstudien

Prof. Dr. med.Roger Lehmann

UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zurich

Roger.Lehmann@usz.ch

Dr. med. Matthias Ernst

USZ Zürich

matthias.ernst@usz.ch

RL: Teilnahme an Advisory Boards und Referentenhonorare von Novo Nordisk, Sanofi, MSD, Boehringer Ingelheim, Servier und Astra Zeneca.
ME: Reise- und Kongressspesen von Eli Lilly und Ipsen.

  • Lifestyle ist primäre Therapie
  • Ohne Herzinsuffizienz ist GLP1 bei Adipositas und Prostatasyndrom erste Wahl
  • Primärer Einsatz von GLP1-RA und SGLT-2 Blocker vor allfälliger Insulin-Therapie
  • An alle Medikamentenklassen denken und die Substanz oder das Kombinationspräparat mit der besten Evidenz anhand der Prioritäten des Patienten wählen.

Symposium der Vereinigung Zürcher Internisten 2019

Das VZI-Symposium 2019 ist seinem Ruf als hervorragende Fortbildungsveranstaltung für Internisten aller Couleur einmal mehr gerecht geworden. Unter der wissenschaftlichen (und praktischen) Organisation von Dr. med. Barbara Himmelmann und Prof. Stefan Vavricka wurde ein breit gefächertes hochstehendes Programm präsentiert, das stets in einem engen Bezug zur täglichen Praxis stand, Neues vermittelte und Bewährtes vertiefte.

Die Nachmittagssitzung wird durch klinische Updates eingeleitet, wovon im Folgenden das Referat zur Infektiologie resümiert wird. Frau Prof. Dr. med. Annelies Zinkernagel fokussiert ihre Ausführungen ausgehend von der kürzlich publizierten Liste der Top 10 Ursachen des Sterbens der WHO auf die Themen Impfungen (Neuer Impfplan 2019) und Antibiotika (warum und wie verschreiben und v.a. wie lang). Immerhin sind 6 der 10 Themen infektiologischer Natur; die erwartete globale Influenza Pandemie, Antibiotika Resistenz, Ebola und andere hoch gefährliche Pathogene, Skepsis gegenüber Impfungen, Dengue und HIV. Sowohl Impfungen wie auch Antibiotikabehandlungen erwiesen sich im vergangenen Jahrhundert als hocheffiziente Massnahmen zur Senkung der Sterblichkeit an Infektionskrankheiten.

Impfplan 2019

In Bezug auf den neuen Impfplan 2019 erläuterte die Referentin Punkte, welche in der Praxis im Umgang mit adulten Patienten von Bedeutung sind: Hepatitis B, Meningokokken, HPV, MMR und FSME. Seit der Einführung der Hepatitis-B-Impfung der Jugendlichen 1998 haben die Hepatitis-B-Fälle abgenommen, aber nicht bis Null. Wegen der nicht optimalen Impfakzeptanz der Jugendlichen wird im neuen Impfplan die Impfung der Säuglinge empfohlen zum Zeitpunkt 2, 4 und 12 Monate. Zusätzlich im Alter 11-15 Jahr und auch bei Erwachsenen > 16 Jahre bei bisher nicht geimpften.
Auch die Inzidenz von invasiven Meningokokken ist in der Schweiz in den letzten 10 Jahren zurückgegangen, insbesondere Infektionen der Gruppen B und C. Heute werden 82% der Infektionen verursacht durch Stämme der Gruppen C, W und Y. Dementsprechend wird seit Herbst 2018 empfohlen, den Impfstoff der Gruppe C zu ersetzen durch den quadrivalenten Impfstoff ACWY und damit immunsupprimierte Patienten, bei St. n. Splenektomie und Rekruten zu impfen mit Boost alle 5 Jahre, falls die Immunsuppression anhält.

HPV-Impfung: schlechte Akzeptanz trotz Krebsvorbeugung

Obwohl HPV Infektionen zu genitalen Warzen und Krebserkrankungen führen können, ist die Impfakzeptanz gering. Patienten entsprechend aufzuklären und zu motivieren hilft, Krebs zu verhindern, heute sollen alle Mädchen und Knaben zwischen 11 und 14 Jahre mit 2 Dosen geimpft werden, Intervall 6 Monate, ab 15 bis 25 Jahre 3 Dosen, Schema 0, 1 – 2, 6 Monate. Der 4-valente Impfstoff Gardasil® wird 2019 ersetzt durch die 9-valente Variante (Nachholimpfung nicht empfohlen). Der Grund, Personen bis zu 26 Jahre zu impfen, ist dadurch begründet, dass durchgemachte Infektionen nicht zuverlässig zu Serokonversionen führen und ungenügenden Schutz vor Neuinfektionen vermitteln. Im Gegensatz dazu führt die Impfung zu einer fast 100%-igen schützenden Serokonversion bei Mann und Frau, da natürliche Infektionen kaum Zugang zu Lymphknoten haben im Gegensatz zum intramuskulär verabreichten Impfstoff. Die Impfung im Alter von 11 bis 26 Jahren soll im Rahmen der kantonalen Impfprogramme erfolgen, die Kosten der Impfung werden dann übernommen.
Die Masernimpfung ist eine der grossen Erfolgsgeschichten der Medizin, seit der Einführung 1963 sind über 20 Millionen Todesfälle verhindert worden und die Inzidenz von Erkrankungen konnte seit Einführung der 2. Impfdosis in der Schweiz 1996 nochmals markant reduziert werden. Masern sind hoch kontagiös und wegen der heute weit verbreiteten Impfaversion muss weltweit eine Wiederzunahme von Erkrankungsfällen um 30% beobachtet werden. Es gilt, Impflücken zu schliessen bei allen ungenügend geimpften (weniger als 2 dokumentierte MMR Impfungen) Personen jünger als 1963. Die persönliche Empfehlung durch den Arzt spielt eine Schlüsselrolle bei der Motivation zu einer Nachholimpfung! Da heute de facto fast 50% der bis 3-jährigen, die sich bereits oft in Krippen, dem Tummelplatz der Masernviren, aufhalten, nicht geschützt sind, wurde der Impfplan angepasst und die neue Empfehlung lautet auf Impfung zum Zeitpunkt 9 und 12 Monate.

Zeckenencephalitis auf dem Vormarsch trotz wirk-samer und verträglicher Impfung

Arztbesuche wegen Zeckenstichen und Zecken-assoziierten Erkrankungen nehmen Jahr für Jahr zu. Insbesondere steigt die Zahl von an Zeckenenzephalitis FSME-Erkrankten ständig an und auch der Anteil an FSME IgM-Positivität steigt auf aktuelle 36% 2018. Auch hier existiert eine wirksame Impfung. Um Impflücken zu bekämpfen wurde die Impfempfehlung vom bisherigen Rat, Personen in FSME-Gebieten zu impfen neu auf alle Personen in der Schweiz mit Ausnahme von Genf und dem Tessin ausgeweitet (Abb. 1). Impfschema: 3 Dosen zu den Zeitpunkten 0, 1 und 6 Monate für FSME-Immun CC®; 0, 1 und 10 Monate für Encepur®. Auffrischimpfungen alle 10 Jahre empfohlen, die Notwendigkeit von häufigeren Auffrischimpfungen ist nicht belegt.

Wie lang sollen Antibiotika eingesetzt werden

Eine zentrale Frage beim Einsatz von Antibiotika betrifft die Dauer der Therapie. Neuere Arbeiten zeigen, dass deren Einsatz generell zu lange ist, was in der Angst vor Rückfällen begründet ist. Bei aktiven Infekten mit rascher Zellteilung der Erreger kann ein Antibiotikum Schlüsselmechanismen der Teilung hemmen und die Bakterien innert 3 bis 10 Tagen abtöten. Im Gegensatz dazu können sich schlafende Bakterien, Paradebeispiel Tuberkulose, der antibiotischen Wirkung entziehen. Neben der Lokalisation von Infekten in privilegierten Orten wie Abszess, intrazellulär oder Biofilm-assoziiert, wo die Antibiotika die Bakterien nicht erreichen und zur Behandlung oft operative Eingriffe notwendig werden, spielen bei chronischen Infekten sog. «Persisters», metabolisch inaktive Bakterien, eine wesentliche Rolle – sie benötigen eine langedauernde Therapie. Bei der Untersuchung von Bakterien aus sauren Milieus wie Abszesse oder von Biofilm finden sich oft schlecht wachsende Kolonien (Abbildung 2), die erst nach Wiederausstreichen zu wachsen beginnen und auch im Experiment kann gezeigt werden, dass gestresste Bakterien erst später zu wachsen beginnen und in dieser Phase Antibiotika z.T. extrem gut tolerieren. Der mikrobiologische Nachweis solcher Persisters kann folglich ein Indiz für die Notwendigkeit einer langen Therapiedauer sein kann. Bemerkenswerter Weise sind in der Schweiz genetische Resistenzen bei S.aureus selten, der Anteil an MRSA liegt bei unter 10%.

Quelle: VZI-Symposium, Zürich, 31. Januar 2019, Sitzung Update Infektiologie

Dr. med. Hans-Kaspar Schulthess

Facharzt FMF Innere Medizin und Gastroenterologie
Neuhausstrasse 18
8044 Zürich

Schulthess_hk@swissonline.ch

Ein Pflanzenpräparat feiert Geburtstag

Die symptomatische Behandlung von Menopausebeschwerden ist auch heute noch kontrovers. Während auf der einen Seite ein grosszügigerer kurzfristiger Einsatz von Östrogenen wieder befürwortet wird, mahnen viele Experten weiterhin vor potentiellen Nebenwirkungen. Insbesondere bei Frauen mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und/oder mässigem bis hohem Risiko für Brustkrebs (5-Jahresrisiko über 1.67%) wird zu einer nicht-hormonbasierten Therapie geraten.

Extrakte aus dem Wurzelstock von Cimicifuga racemosa (CR, Traubensilberkerze) haben zur Therapie von Menopausebeschwerden weltweit an Bedeutung gewonnen. Aus Anlass des 60. Geburtstags des ersten kommerziellen Präparates mit CR wurde in einer Übersicht die Geschichte dieser ursprünglich aus der Volksmedizin Nordamerikas stammenden Arznei aufgearbeitet.
1956 kam in Deutschland das erste Präparat Remifemin® auf den Markt, die Wirksamkeit wurde anhand von Dokumentationen zur klinischen Erfahrung beurteilt. Nachdem das Arzneimittelgesetz 1976 die Pflicht zum Nachweis der Wirksamkeit auferlegte, folgten in den 1980er Jahr die ersten kontrollierten klinischen Studien. Die erste Good Clinical Practice (GCP)-konforme klinische Studie zu CR widmete sich 1995 der Fragestellung zur Dosis-Wirksamkeits-Beziehung. Ab 2003 folgte eine Reihe von Plazebo-kontrollierten Studien, die sich neben dem Nachweis der Wirksamkeit auch zunehmend Sicherheitsfragen annahmen, so 2007 eine klinische Studie zur Sicherheit in Brustgewebe und 2011 eine Meta-Analyse zur Sicherheit in Bezug auf Leber. 2013 Publikation eines systematischen Reviews mit Nachweis der Wirksamkeit von lizenzierten Qualitätsprodukten in 18 Studien und der Sicherheit in 35 Studien. In der letzten Plazebo-kontrollierten Studie 2015 konnte auch eine Verbesserung der Schlafqualität dokumentiert werden. Anlässlich des „Geburtstags“ konnten 11 073 Patientinnen, die seit dem Jahr 2000 in kontrollierten Studien behandelt wurden, überblickt werden.
Der Autor kommt zum Schluss, dass die Wirksamkeit bei Wechseljahresbeschwerden, sofern zugelassene Qualitätspräparate zum Einsatz kommen, nachgewiesen werden konnte. Dass diese Präparate bereits bei symptomatischen prämenopausalen Erkrankungen nützlich und anwendbar sind, keinen negativen Effekt auf östrogenempfindlichen Geweben wie Brust, Gebärmutter oder Tumore ausüben und in der Langzeitanwendung sicher sind, Tamoxifen oder Aromatase-Inhibitoren nicht beeinträchtigen, in klinischen Studien keine Hepatotoxizität aufweisen und schlussendlich auch einen Einfluss haben auf ZNS-Areale, die für die Thermoregulation, die Stimmung und den Schlaf verantwortlich sind.

Quelle: 60 years of Cimicifuga racemosa medicinal products. Clinical research milestones, current study findings and current development. Henneicke-von
Zepelin HH. Wien Med Wochenschr 2017;167:147–159

Dr. med. Hans-Kaspar Schulthess

Facharzt FMF Innere Medizin und Gastroenterologie
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Embolisation bei benigner Prostatahyperplasie

Die transurethrale Resektion (TURP) gilt als Standardbehandlung der benignen Prostatahyperplasie (BPH). Obwohl weit­gehend perfektioniert, bleibt der Eingriff nicht ohne Neben­wirkungspotential, so dass die Suche nach alternativen, bessern Methoden weitergeht.

Wie auch bei der Behandlung von Uterusmyomen ist seit einiger Zeit die arterielle Embolisation (PAE) eine Methode unter studienmässiger Beobachtung. Die Departemente Urologie und Radiologie am Kantonsspital St. Gallen haben nun die Resultate ihrer randomisierten, offenen Vergleichsstudie präsentiert, welche zum Ziel hatte, zu zeigen, dass die PAE nicht schlechter sei als die TURP.
103 Patienten über 40 Jahre mit Symptomen des unteren Harntraktes (LUTS) bei BPH wurden randomisiert, 48 und 51 Patienten erreichten den primären Endpunkt, die Veränderung des internationalen Prostatasymptom Score (IPSS) 12 Wochen nach PAE (250-400 um Mikrosphären unter Lokalanästhesie) oder TURP (Monopolar unter Spinal- oder Allgemeinanästhesie). Eine Differenz von weniger als 3 Punkten wurde als Limite für Nichtinferiorität gesetzt. Sekundäre Endpunkte waren weitere Symptomfragebogen, funktionelle Messungen, Bildgebung und Nebenwirkungen.
Die mittlere Reduktion im IPSS betrug -9.23 vs. -10.77, was nur 1.54 Punkte zugunsten der TURP ergab, trotzdem konnte Nichtinferiorität nicht gezeigt werden. Die Verbesserung des maximalen Urinfluss betrug 5.19 vs. 15.34 ml/s (p < .001), die Änderung des Restharns betrug −86.36 vs. −199.98 ml (p = 0.003) und des Prostatavolumens −12.17 vs. −30.27 ml (p < 0.001). Hingegen traten nach PAE signifikant weniger Nebenwirkungen auf (36 vs. 70, p = 0.003).
Die Autoren schliessen, dass die Verbesserung der LUTS 12 Wochen nach PAE ähnlich sei wie nach TURP und nach PAE weniger Nebenwirkungen auftreten. Jedoch führt die PAE zu schlechteren funktionellen Resultaten. Diese Beobachtungen müssen bei der Beratung des individuellen Patienten in Betracht gezogen werden. Insgesamt ist die Methode noch nicht reif für einen breiten Einsatz als Routinemethode, aber wird nach weiteren Studien mit grosser Wahrscheinlichkeit einen Stellenwert in der Behandlung der BPH bekommen.

Dr. med. Hans-Kaspar Schulthess

Facharzt FMF Innere Medizin und Gastroenterologie
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Behandlung und Betreuung von Patienten mit fortgeschrittener Demenz

Die Behandlung und Betreuung von demenzerkrankten Menschen ist eher ein Stiefkind der klinischen Medizin. Dies trotz der Tatsache, dass in der Schweiz rund 150 000 Menschen mit Demenz leben, und dass diese Zahl aufgrund der demografischen Entwicklung mit Sicherheit in den nächsten Jahrzehnten noch deutlich zunehmen wird. Ein Grund für das geringe klinische Interesse mag sein, dass immer noch manche Ärzte denken, bei einer Demenz könne man «ohnehin nichts machen». Diese Haltung ist aber aus zweierlei Gründen nicht angebracht. Zum einen stehen uns mit den Antidementiva Acetylcholinesterasehemmer und Memantin bereits heute Medikamente zur Verfügung, welche bei einzelnen Demenzformen oder in spezifischen Situationen sehr hilfreich sein können. Zum anderen kann eine professionelle Demenzbetreuung einen sehr grossen Unterschied in der Lebensqualität der betroffenen Patienten und ihrer Angehörigen machen. Mit diesem letzteren Thema beschäftigt sich dieser Artikel, wobei im vorliegenden Teil v.a. klinische Aspekte, in einem späteren zweiten Teil dann primär ethische Aspekte beleuchtet werden.

Anforderungen an ein «demenzfreundliches» Gesundheitswesen

Unser Gesundheitswesen ist nach wie vor stark auf die Betreuung von medizinischen Akutsituationen ausgerichtet und es wird davon ausgegangen, dass Patienten grundsätzlich urteilsfähig sind und selber entscheiden können. Es liegt auf der Hand, dass solche Strukturen für Demenzpatienten oftmals alles andere als ideal sind.
In ein Akutspital werden Menschen mit Demenz allerdings nur selten explizit wegen dieser Diagnose eingeliefert. Vielmehr erfolgen entsprechende Hospitalisationen beispielsweise wegen Stoffwechselentgleisungen (infolge falscher Medikamenteneinnahme), wegen Infektionen (aufgrund mangelnder Selbstpflege), wegen Dehydratation, Mangelernährung oder wegen Frakturen nach Stürzen. Während aber für die vordergründigen somatischen Probleme im Spital in der Regel rasch die nötigen Therapiemassnahmen eingeleitet werden, fehlt häufig ein adäquater Umgang mit der dahinter stehenden Demenzerkrankung. Oft wird diese gar nicht oder zu spät als solche erkannt. Notwendige Anpassungen in der Kommunikation und der Betreuung werden nicht vorgenommen, so dass sich nicht selten zur Demenz noch ein Delir entwickelt. In dieser Situation ist die Durchführung der geplanten Therapiemassnahmen erschwert, es kommt zu verlängerten Hospitalisationen, ungünstigen Verläufen oder raschen Rehospitalisationen.
Gefordert ist aber auch der ambulante Bereich. Besonders bedeutsam für die Behandlung und Betreuung von Menschen mit fortgeschrittener Demenz sind dabei die Pflegeheime, welche als eigentliche Palliativstationen von Menschen mit Demenz funktionieren. Um diese Aufgabe wahrnehmen zu können, benötigen Pflegeheime aber neben gut ausgebildetem Pflegepersonal auch die Einbindung eines geriatrisch erfahrenen Hausarztes oder eines eigenen Heimarztes (1). Sind diese strukturellen Voraussetzungen gegeben, dann sollte die rechtzeitige Diagnostik und Therapie verschiedener alltäglicher akuter internistischer Erkrankungen (z.B. Lungenentzündung, Harnwegsinfekte, Dehydratation, Erysipel) im Pflegeheim selber möglich sein, ebenso die Behandlung z.B. einer bestehenden chronischen Herz- oder Lungenkrankheit inklusive deren Exazerbationen. Dabei ist auch zu bedenken, dass Hospitalisierungen für Menschen mit fortgeschrittener Demenz oftmals noch belastender sind als für kognitiv Gesunde. Leider sieht die Realität oft anders aus – internationale Studien zeigen, dass zwischen 25% und 40% aller Hospitalisationen aus Pflegeheimen medizinisch unnötig, d.h. primär durch Unzulänglichkeiten des Versorgungssystems bedingt sind (2).

Anamnese und Befunderhebung bei Menschen
mit Demenz

Bei der Kontaktaufnahme mit bzw. der Anamnese und Befunderhebung von Menschen mit Demenz sollte das bei kognitiv intakten Patienten übliche Vorgehen angepasst werden. Von besonderer Bedeutung ist es, Menschen mit Demenz ohne Hektik und in einer ruhigen Atmosphäre begegnen zu können. Da die Betroffenen aufgrund ihrer kognitiven Defizite Situationen nicht richtig einschätzen können, besteht die Gefahr, sie zu erschrecken. So sollte beispielsweise ein Herantreten von hinten an die Patienten vermieden werden. Der Arzt soll sich zudem jedes Mal in seiner Funktion vorstellen.
Bei Patienten mit Demenz ist aufgrund der kognitiven Einschränkungen, zusätzlich aber auch wegen einer oft fehlenden Krankheitseinsicht (Anosognosie), die Anamnese nicht zielführend. Die Betroffenen können z.B. Schmerzen oder Atemnot nicht mehr auf sich selber beziehen, dadurch werden solche Symptome verneint, obwohl die Patienten darunter leiden (falsch negative Anamnese). Deshalb sollte vor dem Besuch beim Patienten eine Fremdanamnese bei einer Betreuungsperson, idealerweise einer erfahrenen Pflegefachperson eingeholt werden. Der Arzt lässt sich mit Vorteil von dieser Betreuungsperson zum Patienten begleiten. So kann auch das für die Durchführung einer körperlichen Untersuchung nötige Vertrauen geschaffen werden.
Ein allgemeines Bild über den Zustand des Patienten verschafft man sich am besten, indem man die Visite auf Schlüsselmomente wie die Mobilisation oder die Essenseinnahme terminiert. Gerade letztere bietet eine Fülle von Informationen über die posturale Kontrolle, die Kognition, die Schluckfähigkeit, manchmal sogar über den allgemeinen Lebenswillen, der bei fortgeschrittener Demenz oft eng mit dem Appetit vergesellschaftet ist.

Entscheidungsfindung

Medizinische Entscheidungen bei Menschen mit Demenz sind hoch individuell. Medizinische Guidelines sind meist wenig hilfreich, vielmehr müssen die zu wählenden Massnahmen der Diagnostik und Therapie an die jeweilige spezifische Situation angepasst werden. Meist steht bei der leichten und mittelschweren Demenz die möglichst lange Erhaltung der Funktionalität im Vordergrund. Mit weiter fortschreitendem Krankheitsverlauf wird neben dem Erhalt der Lebensqualität die Symptomlinderung immer wichtiger (3). Vor weitreichenden medizinischen Entscheidungen sollte bei fehlender Urteilsfähigkeit des Betroffenen niederschwellig mit der gesetzlichen Vertretungsperson Rücksprache genommen werden.
Bei Menschen in höherem Alter tritt eine Demenz oft zusammen mit anderen chronischen Krankheiten auf (sog. Multimorbidität). In dieser Situation ist der Einsatz der einzelnen Therapiemassnahmen und Medikamente sorgfältig abzuwägen, um eine Übermedikation mit sich potenzierenden Medikamenteninteraktionen und Nebenwirkungen (sog. Polypharmazie) zu vermeiden. Sehr oft sind Symptome wie z.B. Schläfrigkeit, Agitiertheit, Sturzneigung, Nausea, Obstipation oder Mundtrockenheit Nebenwirkungen von Medikamenten, welche sich durch Reduktion der Polypharmazie lindern lassen. Unbedingt vermieden werde sollten sog. Verordnungskaskaden (z.B.: Agitiertheit wegen SSRI → Therapie mit niedrigpotenten. Neuroleptikum → EPNW → Verschreibung von L-Dopa).
Generell gilt, dass unmittelbar symptomlindernde Medikamente (Psyche / Verhaltensstörungen, Schmerz, Atemnot) in der Palliativsituation einen höheren Stellenwert haben als Medikamente, deren Indikation primär in einer allgemeinen statistischen Prognoseverbesserung z.B. bezüglich Mortalität besteht, ohne aber unmittelbar funktionsverbessernd oder symptomlindernd zu wirken. So stellt zwar eine möglichst frühzeitige medikamentöse Einstellung der kardiovaskulären Risikofaktoren (arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Dyslipidämie) eine hoch wirksame primäre Demenzprävention dar, deren Nutzen bei Gebrechlichkeit und fortgeschrittener Demenz aber sehr fraglich ist.

Klinischer Verlauf der fortgeschrittenen Demenz

Die Demenz ist eine neurodegenerative Krankheit, deren Verlauf ähnlich wie z.B. bei einer Parkinsonkrankheit oder einer Amyotrophen Lateralsklerose letztlich nicht aufzuhalten ist. Im Stadium einer fortgeschrittenen Demenz haben fast alle Betroffenen in irgendeiner Form Probleme mit der Ernährung und es kommt mit zunehmender Häufigkeit zu Infektionen (Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen). Die Komplikationen führen in absehbarer Zeit zum Tod. Deshalb sollte z.B. bei rezidivierenden Lungenentzündungen im Endstadium einer Demenz die Durchführung einer Antibiotikatherapie nicht die Regel sein (4). Die Antibiotikagabe ist für eine effektive Symptomlinderung (z.B. Therapie einer allfälligen Dyspnoe) unnötig und verlängert zudem nur bei einer Minderheit dieser Patienten das Leben.
Studien zeigen, dass ab dem Stadium, in dem nur noch eine minimale verbale Kommunikation möglich ist, und gleichzeitig eine vollständige Pflegebedürftigkeit besteht, ein Viertel der Patienten in den folgenden sechs Monaten und fast die Hälfte im folgenden Jahr versterben werden (Tab. 1) (5).

Nahrungsaufnahme bei fortgeschrittener Demenz

Bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz sollte mindestens einmal monatlich eine Gewichtsbestimmung durchgeführt werden. Zeigt sich ein Abfall der Gewichtskurve, sollte als erster Schritt nach behandelbaren resp. korrigierbaren Ursachen einer Mangelernährung geforscht werden.
Die Untersuchung des Mund-Rachenraumes erlaubt es, einen Soor oder einen Zahnabszess auszuschliessen. Zeigt sich ein stark sanierungsbedürftiges oder kariöses Eigengebiss oder auch eine schlecht sitzende Prothese, ist der Patient einem Zahnarzt zuzuführen. Auf jeden Fall soll sich der Arzt auch persönlich ein Bild vom Essensvorgang bei dem betroffenen Patienten machen. Gelegentlich können dabei kognitiv bedingte Probleme der Nahrungsaufnahme festgestellt werden, indem Menschen mit Demenz die Speisen nicht mehr als solche erkennen, stattdessen auf der Serviette herumkauen oder die Nahrung im Mund hin und herschieben. Speichelseen im Mundvorhof oder Rachen sind Hinweis auf eine Schluckstörung, Husten oder Räuspern nach erfolgtem Schluckakt sind Hinweise auf eine Aspiration.
In manchen Fällen sind aber eingeschränkte Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahmen durch ein allgemeines Erlöschen der Lebenskräfte und des Lebenswillens im Rahmen der weit fortgeschrittenen Demenz bedingt. Oft verhalten sich solche Patienten beim Nahrungsangebot zunehmend unwillig und drehen den Kopf weg. Keinesfalls darf in solchen Situationen Druck oder Zwang ausgeübt werden z.B. durch Einführen des Löffels in den Mund gegen den Widerstand des Patienten. Nahrung und Flüssigkeit sollen aber immer wieder in unterschiedlicher Form und zu verschiedenen Tageszeiten angeboten werden.
Die Anlage einer PEG-Sonde bei einer fortgeschrittenen Demenz ist kontraindiziert. Diese kann die Nahrungsaufnahme in diesem Stadium nicht verbessern und führt zu keiner Verlängerung der Überlebenszeit. Dagegen sind die Nebenwirkungen (z.B. Aufstossen der zugeführten Nahrung, Gestörtsein durch die Sonde) erheblich. Sie können die Lebensqualität der Patienten schwer beeinträchtigen und führen zu einer erhöhten Deliranfälligkeit (Tab. 2).

Prof. Dr. med. Reto W. Kressig

Ärztlicher Direktor & Klinischer Professor für Geriatrie
Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER & Universität Basel
Burgfelderstrasse 101
4002 Basel

RetoW.Kressig@felixplatter.ch

PD Dr. med.Georg Bosshard

Klinik für Geriatrie
Universitäts Spital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

georg.bosshard@usz.ch

Der Autor hat im Zusammenhang mit diesem Beitrag keine Interessenkonflikte deklariert.

  • Bei Menschen mit Demenz ist aufgrund der kognitiven Einschränkungen und wegen einer oft fehlenden Krankheitseinsicht die Anamnese nicht zielführend (falsch negative Anamnese). Deshalb sollte immer eine ergänzende Fremdanamnese bei einer Betreuungsperson, idealerweise einer erfahrenen Pflegefachperson, eingeholt werden.
  • Medizinische Entscheidungen bei Demenzpatienten sind hoch individuell. Meist steht bei der leichten und mittelschweren Demenz die möglichst lange Erhaltung der Funktionalität im Vordergrund. Mit weiter fortschreitendem Krankheitsverlauf wird die Symptomlinderung immer wichtiger.
  • Die fortgeschrittene Demenz führt fast immer zu Störungen der Ernährung und es kommt gehäuft zu rezidivierenden Infektionen, z.B. Pneumonien. Im letzteren Fall sollte eine Antibiotikatherapie nicht die Regel sein.
  • Eine PEG-Sonde bei Demenz im Endstadium ist kontraindiziert: Sie wirkt nicht lebensverlängernd, führt zu keinem Benefit betreffend Lebensqualität oder Infektvermeidung, geht aber einher mit vermehrter Dekubitusneigung und vermehrter Deliranfälligkeit.

Literatur:
1. Van den Block L et al. Comparing palliative care in care homes across EUROPE (PACE): protocol of a cross-sectional study of deceased residents in 6 European countries. JAMDA 2016;17,566.e1-566.e7.
2. Young Y et al. Factors Associated with Potentially Preventable Hospitalization in Nursing Home Residents in New York State: A Survey of Directors of Nursing. J Am Geriatr Soc 2010;58:901–907.
3. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW. Medizinethische Richtlinien zur Betreuung und Behandlung von Menschen mit Demenz (2017). https://www.samw.ch/de/Publikationen/Richtlinien.html
4. Van der Steen JT et al. White paper defining optimal palliative care in older people with dementia: a Delphi study and recommendations from the European Association for Palliative Care. Palliat Med. 2014; 28:197-209.
5. Mitchell SL et al. The clinical course of advanced dementia. N Engl J Med 2009; 361:1529-1538.
6. Finucance T.E., Christmas C., Travis K. Tube feeding in patients with advanced dementia: A review of the evidence. JAMA. 1999;282:1365–1370.
7. Sampson EL et al. Enteral tube feeding for older people with advanced dementia. Cochrane Database Syst Rev 2009;2:CD007209.

Aspirin ohne Nutzen, aber Schaden

Aspirin hat aufgrund seiner entzündungshemmenden und antithrombotischen Wirkung einen festen Platz in der Sekundärprävention von kardiovaskulären Ereignissen. Den heutigen Stellenwert in der Primärprävention zu klären, war Ziel mehrerer kürzlich veröffentlichter Studien.

Nachdem in grossen Studien zur Primärprävention, wie z.B. der Physicians’ Health Study und der Women’s Health Study, ein gewisser kardiovaskulärer Nutzen aufgewiesen werden konnte, avancierte Aspirin zu einer der weltweit meistgebrauchten Substanzen in dieser Indikation, wenn auch schon von allem Anfang an klar war, dass die Substanz mit einem erhöhten Blutungsrisiko einhergeht. Die ersten Studien erfolgten zu einer Zeit, als Rauchen noch häufiger war, die Blutdruckeinstellung oft suboptimal und eine aggressive Lipidkontrolle selten. Verschiedene Studien hatten jetzt zum Ziel, den Stellenwert von Aspirin in der Primärprävention in der aktuellen Zeit zu überprüfen. Die ASCEND Studie untersuchte 15480 Patienten mit Diabetes, die ARRIVE Studie 12546 Hoch-
risikopatienten ohne Diabetes und die ASPREE Studie 19114 Menschen ab 70 Jahre.
In der ASCEND Studie war eine Senkung von vaskulären Ereignissen um 12% durch eine Steigerung von relevanten Blutungen um 29% kontrastiert bei unbeeinflusster Gesamtmortalität.
In der ARRIVE Studie blieb der primäre kombinierte Endpunkt unbeeinflusst, jedoch war die Rate an gastrointestinalen Blutungen unter Aspirin signifikant doppelt so hoch, wie unter Plazebo bei unbeeinflusster Gesamtsterblichkeit.
In der ASPREE Studie blieben alle in separaten Artikeln publizierten Endpunkte wie Behinderungs-freies Überleben und kardiovaskuläre Ereignisse unbeeinflusst und die Gesamtmortalität fiel unter Aspirin sogar höher aus als unter Plazebo, hauptsächlich auf Kosten von häufigeren Karzinomen, ein Resultat, das zu allen anderen Interventionsstudien mit Aspirin im Widerspruch steht und laut Autoren entsprechend vorsichtig interpretiert werden soll. Auch in dieser Studie wurde ein erhöhtes Blutungsrisiko beobachtet, signifikant um 39%.
In seinem Editorial vergleicht der Autor Paul Ridker diese Studie mit aktuellen Statin-Studien. Bei Studien zur Primärprävention zeigten diese konsistent eine Reduktion des Risikos für grosse vaskuläre Ereignisse um 25% pro 1 mmol/l Senkung (38,7 mg/dl) von LDL-Cholesterin bei beachtlichem Sicherheitsprofil insbesondere ohne Blutungsrisiko. Er kommt zum Schluss, dass neben Einhaltung einer gesunden Kost, körperlicher Bewegung und Verzicht auf Rauchen in der heutigen Zeit die beste Strategie für den Einsatz von Aspirin in der Primärprävention dessen Ersatz durch ein Statin sei.

Quelle:
The ASCEND Study Collaborative Group. Effects of aspirin for primary prevention in persons with diabetes mellitus. N Engl J Med 2018;379:1529-1539.
Gaziano JM et al. Use of aspirin to reduce risk of initial vascular events in patients at moderate risk of cardiovascular disease (ARRIVE): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2018 August 24 (Epub ahead of print).
McNeil JJ et al. Effect of aspirin on disability-free survival in the healthy elderly. N Engl J Med 2018;379:1499-1508.
McNeil JJ et al. Effect of aspirin on cardiovascular events and bleeding in the healthy elderly. N Engl J Med 2018;379:1509-1518.
McNeil JJ et al. Effect of aspirin on all-cause mortality in the healthy elderly. N Engl J Med 2018;379:1519-1528.
Ridker PM. Should Aspirin Be Used for Primary Prevention in the Post-Statin Era? N Engl J Med 2018; 379:1572-1574

Dr. med. Hans-Kaspar Schulthess

Facharzt FMF Innere Medizin und Gastroenterologie
Neuhausstrasse 18
8044 Zürich

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