Praktische Empfehlungen zur Nachbetreuung nach Myokarditis

Die Myokarditis ist eine heterogene inflammatorische Erkrankung des Myokards, welche ätiologisch, pathophysiologisch und nicht zuletzt in der klinischen Präsentation stark variiert. Diese drei Aspekte beeinflussen den Verlauf und die Prognose der Erkrankung. Am häufigsten ist die viral bedingte akute Myokarditis, die meist einen unkomplizierten Verlauf und eine gute Prognose aufweist. Therapieoptionen sind limitiert und spezifische Behandlungen beschränkt auf spezielle Formen der Erkrankung. Diese Zusammenfassung soll mit Blick auf klinisch relevante Hintergrundinformationen zum Krankheitsbild eine praktische Anleitung für das Management in der Nachsorge geben.

Practical recommendations for follow-up care after myocarditis
Myocarditis is a heterogeneous inflammatory disease of the myocardium that varies greatly in terms of aetiology, pathophysiology and clinical presentation. These three aspects influence the course and prognosis of the disease. The most common is acute viral myocarditis, which usually has an uncomplicated course and a good prognosis. Therapeutic options are limited and specific treatments are restricted to specific forms of the disease. This summary is intended to provide practical guidance for the management of follow-up care with regard to clinically relevant background information on the clinical picture.
Key words: Acute myocarditis, heart failure, arrhythmia, sudden cardiac death, return to play

Akute Myokarditis: eine Übersicht

Allgemein

Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Definition von 1995 (1) ist Myokarditis eine inflammatorische Erkrankung des Herzmuskels, die basierend auf etablierten histologischen, immunologischen (2,3) und immunhistochemischen (3) Kriterien diagnostiziert wird. Die europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) hat diese Definition übernommen (2).

Perimyokarditis oder Myoperikarditis:  Ausräumen von Gerüchten

Perikarditis beschreibt die Entzündung des Herzbeutels und Myokarditis die des Herzmuskels. Diese Begriffe sind nur theoretisch trennbar, denn die Inflammation kennt keine anatomischen Grenzen und eine exakte Differenzierung der betroffenen Gewebestrukturen ist kaum möglich. Über die Bezeichnung der Mischformen bestehen oft Unsicherheiten. Im Gegensatz zu Patient/-innen mit Myoperikarditis haben die mit Perimyokarditis eine Einschränkung der linksventrikuären Ejektionsfraktion (LVEF) von <50 % (2) und die Behandlung erfolgt gleich wie bei einer isolierten Myokarditis.

Diagnostik

Seit Einführung der Dallas-Kriterien für den histopathologischen Nachweis der Myokarditis (3) gilt die Endomyokardbiopsie als Goldstandard in der Diagnosestellung (Abb. 1a). Jedoch hat es in den letzten zwei Dekaden seit Einführung und Entwicklung neuer Mittel – allem voran das Herz-Magnestresonanztomogramm (MRI) (Abb. 1b) und kardiale hochsensitive Troponin T (hs-Trop-T) – eine Anpassung der diagnostischen Aufarbeitung gegeben. Die Kombination von Symptomen, Untersuchungsbefunden, Laborresultaten und kardialer Bildgebung mit trans­thorakaler Echokardiographie (TTE) und Herz-MRI, selten Positronen-Emissions-Tomographie (PET)-CT, ist in der klinischen Routine meist ausreichend, um die Diagnose zu stellen. Wir sprechen je nach Konstellation der Befunde von einer möglichen, wahrscheinlichen oder definitiven Myokarditis (4). Die Endomyokardbiopsie (EMB) bleibt schwerwiegenden Fällen vorbehalten, bei denen nach der Untersuchung eine therapeutische Konsequenz zu erwarten ist. Das Risiko für Komplikationen ist generell – wenn in Zentren mit Erfahrung für den Eingriff durchgeführt – gering (<1 %), aber prinzipiell höher bei inflammatorischen Kardiopathien und bei linksventrikulärer Biopsie. Die EMB aus dem linken Ventrikel (LV) ist häufig bei allein linksseitigem Befall der Myokarditis nötig. Aufgrund der häufig fleckigen Verteilung der Entzündung ist der Stichprobenfehler meist hoch.

Herz-MRI: Diagnose und Prognose

Das Herz-MRI ist das zentrale nicht-invasive Tool für die Diagnosestellung und mithilfe der aktualisierten «Lake Louis Kriterien» (5) erreicht es eine Sensitivität von 88 % und Spezifität von 96 %. Dabei ist eine klare Differenzierung der Inflammation nicht möglich, doch können durch die regionale Verteilung mögliche Schlüsse auf die Aetiologie in Korrelation mit der Klinik gezogen werden, zum Beispiel die Beteiligung des basalen Ventrikelseptums bei kardialer Sarkoidose. Nicht zuletzt hilft das kardiale MRI bei der Prognoseeinschätzung für Patient/-innen mit vermuteter Myokarditis (Abb. 2). So zeigt das Fehlen von late gadolinium enhancement (LGE) eine gute Prognose (6), während das Vorliegen von LGE in einer neueren Studie mit einer Verdoppelung der kardiovaskulären Ereignisse einherging (7).

Epidemologie

Vor der Covid-10 Pandemie betrug die globale Inzidenz der Myokarditis 1 bis 10 Fälle pro 100 000 Personen pro Jahr (8) mit dem grössten Erkrankungsrisiko für junge Männer im Alter von 20 bis 40 Jahre. Eine Zunahme dieser Zahlen ist – mit Verbesserung der «nichtinvasiven» diagnostischen Möglichkeiten und vermehrten Durchführung des Herz-MRIs für unkomplizierte Fälle – zu erwarten.

Pathophysiologie: das Drei-Phasen-Modell

Nach Kontakt mit einem auslösenden Pathogen, infektiös oder nicht-infektiös, kommt es zur Destruktion von Myozyten, entweder direkt durch einen toxischen Effekt oder indirekt durch das Auslösen autoreaktiver immunologischer Prozesse (Phase 1). In den meisten Fällen führt die Elimination der auslösenden Substanzen zur Heilung der Myokarditis, in anderen Fällen jedoch zur Autoantikörper-vermittelten Persistenz der Inflammation, was mit und ohne viraler Perisistenz vonstattengehen kann (Phase 2). Auch in diesem Stadium ist noch ein Übergang zur Heilung möglich. Selten kommt es in der Folge zur chronisch-inflammatorischen Kardiomyopathie mit anhaltender Destruktion und Remodelling des Myokards (Phase 3) und im späten Stadium kann eine dilatierende Kardiomyopathie ohne Nachweis von Mikroorganismen vorliegen. Ein genetischer Hintergrund, der die Neigung des Einzelnen zur Erkrankung an einer Myokarditis und/oder zur Entwicklung der genannten Spätstadien definiert, wird vielfach diskutiert wie auch die überlappenden Kriterien mit bestimmten genetischen Kardiopathien (9). Die Kenntnis der möglichen Verläufe der akuten Myokarditis sind wichtig für die Planung der Nachsorge dieser Personen.

Präsentation und Behandlung

Das klinische Bild der akuten Myokarditis kann sehr variabel sein. Die Hauptmanifestationen sind «infarktähnlich» mit Thoraxschmerzen (97 %) und ST-Streckenhebungen (62 %) im Elektrokardiogramm (EKG) mit meist unkompliziertem Verlauf, das heisst anhaltend normaler LVEF, ohne Arrhythmien und mit transplantatfreiem Überleben (10). In einer geringeren Anzahl Fälle kommt es zu zunehmender Herzinsuffizienz, kardiogenem Schock bei fulminanter Myokarditis, lebensbedrohlichen Arrhythmien wie atrioventrikulärer (AV) Block oder anhaltende ventrikuläre Arrhythmien bis hin zum plötzlichen Herztod (sudden cardiac death, SCD).

Die kardialen Nekrosebiomarker high sensitive-Troponin-T (hs-Troponin-T), Creatinkinase (CK)-MB sowie N-Terminal Natriuretic Peptide pro-Brain (NT-pro-BNP) sind sehr häufig erhöht. Trotzdem schliessen tiefe Enzyme oder das Fehlen eine Myokarditis nicht aus. Die Höhe der Werte korreliert zumeist nicht mit dem Schweregrad der Erkrankung.

Zusammengefasst erfolgt die Behandlung der Myokarditis vor allem symptomatisch für die auftretenden Symptome oder supportiv entsprechend den jeweiligen Leitlinien für z.B. Herzinsuffizienz, Arrhythmien, Verhinderung von plötzlichem Herztod mit internem Defibrillator/ Kardioverter (ICD), falls nötig. In der Regel wird mit einer ICD Implantation oder auch Radiofrequenzkatheterablation von Kammertachykardien bis zur Ausheilung der Inflammation gewartet, allenfalls kann diese Zeit mit einer Life Vest überbrückt werden. Ausnahmen für eine frühe ICD Implantation bilden die kardiale Sarkoidose und die Riesenzellmyokarditis. Auch eine immunsuppressive Therapie ist diesen spezifischen Formen der Myokarditis sowie der eosinophilen und der Immuncheckpointinhibitor (ICI)-Myokarditis vorbehalten, nachdem behandelbare Ursachen wie parasitäre Erkrankungen bei der Eosinophilie ausgeschlossen bzw. die auslösenden Noxen entfernt wurden. Nur wenige Studien haben eine günstige Wirkung auf die Entwicklung der LVEF bei chronischer Myokarditis gezeigt und die Behandlung kann wegen fehlender Evidenz nicht empfohlen werden (11-13). In einem aktuellen Expertenkonsensusdokument der American Heart Association (AHA) wird zu der Gabe von 1g Solumedrol bei fulminanter Myokarditis mit hohem Verdacht auf eine immunmediierte Form noch vor weiterführender Diagnostik wie EMB zum Virenausschluss aufgerufen (20).

Im Klinikalltag wird häufig bereits ab einer LVEF < 50 % oder auch normaler Pumpfunktion eine RASS Blockade in protektiver Absicht eingeleitet und ein Betablocker für alle Patient/-innen eingesetzt. Der Nutzen der Therapie für die Betroffenen hinsichtlich Remodelling, Fibrosebildung respektive Arrhythmien ist unklar. Eine Therapieempfehlung kann daher nicht ausgesprochen werden. Die Indikation für eine medikamentöse Herzinsuffizienztherapie sollte gemäss den Leitlinien der ESC gestellt und weitergeführt werden (14).

Jede Myokarditis sollte für mindestens 48 Stunden hospitalisiert werden, um die Dynamik der Erkrankung zu beobachten.

Nachsorge

Die Nachbetreuung der Patient/-innen mit Myokarditis umfasst die Beobachtung des Rückgangs der Beschwerden und des Verlaufs der Inflammation, um sekundär auftretende Komplikationen zu erfassen, die eine Aenderung der Behandlungsstrategie erfordern würden. Die Einschätzung des Risikos für Arrhythmien und der Entscheid bezüglich Rückkehr zu sportlicher Aktivität ist eine andere wichtige Aufgabe der Nachsorge dieser Patient/-innen. Die Nachsorgeplanung beginnt bereits im Spital mit der Risikoklassifizierung.

Risikoklassifizierung

Für das primäre Management und die Nachsorgeplanung hat sich eine Risikoeinteilung als hilfreich erwiesen, welche insbesondere die initiale Präsentation der Erkrankung berücksichtigt (4, 8). Bei fulminantem Verlauf oder Auftreten von Komplikationen müssen die Nachsorgetermine engmaschiger geplant werden. Limitierend sind vor allem relevante Herzrhythmusstörungen wie AV-Block, anhaltende Kammertachykardien, Kammerflimmern und Herzkreislaufstillstand im Spital oder auswärts.

Gerade bei Sportler/-innen ist der plötzliche Herztod eine gefürchtete Manifestation der akuten Myokarditis und kann in jeder Phase der akuten Erkrankung auftreten (7).

Als Hochrisikofaktoren gelten Symptome der akuten Herzinsuffizienz inklusive kardiogener Schock, die Einschränkung der LVEF auf weniger als 40 % und das Auftreten relevanter Arrhythmien wie ventrikuläre Tachykardien, Kammerflimmern oder AV-Block. Diese Menschen sollten an einem spezialisierten Zentrum behandelt werden, weil das Risiko für eine akute Verschlechterung der kardiorespiratorischen Situation des Patient/-innen hoch ist und allenfalls eine provisorische Schrittmacherstimulation oder eine mechanische Kreislaufunterstützung (MCS) erfordert. Bei der mechanischen Kreislaufunterstützung kommen Geräte wie der «extracorporale life support» (ECLS/ECMO) und/ oder eine temporäre linksventrikuläre axiale Kreislaufpumpe zum Einsatz. Gerade bei Sportler/-innen ist der plötzliche Herztod eine gefürchtete Manifestation der akuten Myokarditis und kann in jeder Phase der akuten Erkrankung auftreten (7).

Als Hochrisikofaktoren gelten Symptome der akuten Herzinsuffizienz inklusive kardiogener Schock, die Einschränkung der LVEF auf weniger als 40 % und das Auftreten relevanter Arrhythmien wie ventrikuläre Tachykardien, Kammerflimmern oder AV-Block. Diese Menschen sollten an einem spezialisierten Zentrum behandelt werden, weil das Risiko für eine akute Verschlechterung der kardiorespiratorischen Situation des Patient/-innen hoch ist und allenfalls eine provisorische Schrittmacherstimulation oder eine mechanische Kreislaufunterstützung (MCS) erfordert. Bei der mechanischen Kreislaufunterstützung kommen Geräte wie der «extracorporale life support» (ECLS/ECMO) und/ oder eine temporäre linksventrikuläre axiale Kreislaufpumpe zum Einsatz.

Plötzlicher Herztod

Das Risiko für einen plötzlichen Herztod bei akuter Myokarditis korreliert nicht immer mit dem Schweregrad der myokardialen Inflammation und/ oder der Troponinkonzentration im Serum. Zwar wird die linksventrikuläre Dysfunktion als wichtigster Prognosemarker für «adverse events» gesehen, doch kann ein plötzlicher Herztod auch bei normaler LVEF auftreten und ist am häufigsten mit Tachyarrhythmien assoziiert. Die pathophysiologische Entstehung der Arrhythmien bei akuter Myokarditis ist vielfältig. Ein möglicher Erklärungsansatz ist die adrenerge Stimulation des inflammatorischen Myokards mit verändertem Milieu und Membranpotenial (19). Die Rückkehr zu sportli­cher Aktivität bzw. körperlich­er Anstrengung sollte erst nach voll­ständigem Ab­klingen der Ent­zündung erfolgen. In der kli­nischen Praxis gilt es, diesbezüglich auch die täglichen beruflichen Herausforderungen der Patient/-innen zu berücksichtigen; eine Büroangstellte Person darf beispielsweise früher mit vollem Pensum zurück zur Ar­beit als ein Logistikmitarbeiter, der schwere Lasten heben muss.

Sportkarenz

Patient/-innen mit akuter Myokarditis wird die Empfehlung zur Sportkarenz für mindestens 3 bis 6 Monate in Anlehnung an die Vorgaben der europäischen Gesellschaft für Kardiologie (2) und Empfehlung der amerikanischen Gesellschaft für Kardiologie (4) ausgesprochen. Diese Empfehlung ist vor allem für Sportler/-innen, die an kompetitiven Wettkämpfen teilnehmen, gültig, unabhängig von Alter, Geschlecht und LVEF. Wegen fehlender Leitlinien für andere Patientengruppen – ausser Athleten – werden dieselben Richtlinien auch auf die Allgemeinbevölkerung angewandt.

Ein Modell (Abb. 3)

Eine erste Kontrolle nach 1–4 Wochen dient in erster Linie der klinischen Verlaufsbeobachtung der Inflammation, denn häufig würde sich eine sekundäre Verschlechterung nach der Erstbeurteilung in diesem Zeitraum zeigen und ein Richtungswechsel des Managements könnte jetzt eingeleitet werden. Neben der anamnestischen Erhebung des Beschwerdeverlaufs erfolgt die Bestimmung der kardialen Biomarker und die Durchführung eines 12-Kanal-EKGs. Das in der Zwischenzeit durchgeführte Herz-MRI kann mit dem/der Patient/-in besprochen und eine bessere Einschätzung der Prognose als nach der ersten Risikobeurteilung erhoben werden. Nicht zuletzt ist diese Konsultation für die Patient/-innen wichtig, die bis anhin zumeist (herz)gesund waren, manche noch nie im Spital und nicht selten durch das Ereignis verunsichert sind. Es gilt, ihnen Sicherheit zu vermitteln und – insbesondere bei den am häufigsten unkomplizierten Verläufen – zu bestätigen, dass sie nach Abklingen der akuten Phase nicht beeinträchtigt sein werden. Der psychologische Aspekt und eine gute Aufklärung sind nicht unerheblich, insbesondere wenn die Patient/-innen Rezidive entwickeln.

Die Zweite Kontrolle erfolgt in der Regel nach 3 Monaten mit einem sogenannten «Triade Test», der 3 Untersuchungsmodalitäten umfasst: 12-Kanal-EKG, TTE, Troponinbestimmung. Die Rückkehr zur sportlichen Aktivität gilt als sicher, wenn zusätzlich keine relevanten Arrhythmien (anhaltende Kammertachykardien, AV-Block) in der 24 Stunden Rhythmusüberwachung und im kardialen Belastungstest vorkommen (15–17). Sofern ein Kriterium des Triade Tests pathologisch ausfällt oder Arrhythmien in einer Untersuchung nachgewiesen werden, gilt die Myokarditis als persistierend und weitere Verlaufskontrollen müssen folgen, z.B. nach weiteren 3 Monaten. Eine Erweiterung der diagnostischen und Aenderung der therapeutischen Strategie ist dann notwendig. In der Regel ist ein erneutes kardiales MRI und die Evaluation einer EMB zu empfehlen. Ein Sonderfall stellt die isolierte Erhöhung des Troponin-T dar. Differentialdiagnostisch muss an das Vorliegen heterophiler Antikörper, die mit dem Labor-Essay interferieren gedacht werden und die Bestimmung des ausschliesslich kardial exprimierten Troponin-I kann klären, ob es sich um einen laboranalytischen Fehler oder eine persistierende Inflammation handelt. Auch chronische Pathologien der Skelettmuskulatur führen zu einer Erhöhung des Troponin-T und müssen insbesondere in Hinblick auf systemische inflammatorische Erkrankungen mit myokardialer Beteiligung an dieser Stelle differenziert werden.

Nach Heilung der Myokarditis und Rückkehr des/der Patient/-in zu normaler körperlicher Aktivität muss die Entscheidung für die weiteren Nachkontrollen individuell, abhängig von der initialen Präsentation, dem klinischen Verlauf und zusätzlichen Befunden der kardialen Bildgebung wie Ausmass des Late Gadolinium Enhancements (LGE) und des Extrazellulärvolumens (ECV) im Herz-MRI getroffen werden. Bei unkompliziertem Verlauf sind zunächst jährliche Kontrollen mit Echokardiographie sinnvoll, später können die Abstände erweitert werden.

Fortsetzung der medikamentösen Therapie

Die Indikation für eine medikamentöse Herzinsuffizienztherapie sollte gemäss den Leitlinien der europäischen Gesellschaft für ­Kardiologie (ESC) 2023 (14) erfolgen und – insbesondere wenn anfangs nicht erfüllt – im Laufe der Nachsorgebehandlung in regelmässigen Abständen evaluiert werden. Nach Normalisierung der LVEF kann die Therapie formal sistiert werden. Eine partielle Fortsetzung, die sich nach den Komorbiditäten richtet, wie ACE-Hemmer bei Bluthochdruck oder Betablocker bei Vorhofflimmern, ist von dieser Empfehlung natürlich ausgenommen. Die häufig gestellte Frage nach der Dauer einer «empirisch» begonnenen medikamentösen Herzinsuffizienztherapie bei einer LVEF >40 % bleibt an dieser Stelle unbeantwortet.

Rehabilitation

In der akuten Phase der Myokarditis ist ein kardiales Rehabilitationsprogramm selbstverständlich obsolet, da den Patient/-innen schon moderate körperliche Aktivität untersagt ist. Doch kann es während der Phase der Sportkarenz rasch zu einer Dekonditionierung kommen und die Symptome der Herzinsuffizienz bei kardialer Inflammation gehen in Leistungsminderung über.

Das Wiedererlangen, der Erhalt und der Aufbau der muskulären Kondition sind unerlässlich für die Rekonvaleszenz. Bleibt dies aus, können im Verlauf Symptome der Dekonditionierung häufig nicht von kardialen unterschieden werden. Ein multimodales Trainingsmodell zur kardialen Rehabilitation hilft, dass die Patient/-innen das Selbstvertrauen in ihr Körpergefühl, die körperliche Fitness zurückerhalten. Die Integration einer kardiopsychologischen Unterstützung in diese Programme fördert die Rückkehr zur Aktivität dieser Personen.

Schlussfolgerung

Daten zum Thema Nachsorge für Patienten und Patientinnen mit akuter Myokarditis sind begrenzt. Wir halten uns generell an die Richtlinien der ESC von 2013 (2) und der amerikanischen Gesellschaft für Kardiologie (ACC) (4), die wir mit Hilfe von aktuellen Studien für unsere klinische Praxis adaptieren können. Mit der Weiterentwicklung der kardialen Bildgebung, insbesondere dem Herz-MRI, sind mehr vielversprechende Untersuchungen zu erwarten, so dass eine weitere evidenzbasierte Verbesserung der Nachsorge von Patient/-innen mit Myokarditis wird folgen können.

Abkürzungen
AHA American Heart Association
AV-Block atrioventrikulärer Block
CT Computertomographie
ECLS/ECMO extracorporale life support
ECV extrazelluläres Volumen
EKG Elektrokardiogramm
EMB Endomyokardbiopsie
ESC europäische Gesellschaft für Kardiologie
hs-Troponin-T high-sensitive Troponin T
LGE Late Gadolinium Enhancement
LV linker Ventrikel
LVEF linksventrikuläre Ejektionsfraktion
MCS mechanische Kreislaufunterstützung
MRI Magnetresonanztomographie
NT-pro-BNP N-Terminal pro-Brain Natriuretic Peptide
PET Positronen Emissions Tomographie
SCD Sudden Cardiac Death

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Zweitabdruck aus info@herz+gefäss 05/2024

Dr. med. Maryam Pavlicek-Bahlo

Inselspital, Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Kardiologie
Herz Gefäss Zentrum
Freiburgstrasse 20
3010 Bern

Die Autorin hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die akute Myokarditis ist ein heterogenes Krankheitsbild; die häufigste Manifestation ist der akute Thoraxschmerz mit normaler LVEF und ohne Arrythmien mit meist folgenloser Ausheilung
◆ Die Behandlung erfolgt primär supportiv, eine Herzinsuffizienztherapie sowie Betablockerbehandlung, akut oder im späteren Verlauf, hat erst ab einer LVEF <40 % nachweislichen Nutzen.
◆ Eine Risikoeinteilung für das Management initial und in der Nachsorge ist schon früh sinnvoll
◆ Hauptpfeiler der Nachsorgebehandlung sind regelmässige Verlaufskontrollen für die Beobachtung der Inflammation und die Bestimmung der Sportkarenzdauer
◆ Nach einem unauffälligen Triade Test mit EKG, Troponin-T, TTE sowie Belastungstest ohne auslösbare Herzrrhythmusstörungen ist eine Rückkehr zu sportlicher Aktivität nach frühestens 3 Monaten erlaubt.
◆ Bei Erkennen einer sekundären Verschlechterung (z.B. Abnahme der LVEF, Auftreten von Rhythmusstörungen, persistierend erhöhte oder steigende kardiale Biomarker) ist eine erweiterte Diagnostik mit erneutem Herz MRI, EMB und Abklärung von Erkrankungen aus dem rheumatologischen Formenkreis indiziert.

1. Report of the 1995 World Health Organization/ International Society and Federation of Cardiology Task Force on the Definition and Classification of Cardiomyopathies. Circulation 1996;93:841-842.
2. Caforio A. et al. Current state of knowledge on aetiology, diagnosis, management, and therapy of myocarditis: a position statement of the European Society of Cardiology Working Group on Myocardial and Pericardial Diseases. Eur Heart J 2013 Sep;34(33):2636-48, 2648a-2648d.
3. Aretz HT. Myocarditis: the Dallas criteria. Hum Pathol 1987;18:619-624.
4. Ammirati et al. Management of acute and chronic inflammatory cardiomyopathy: an expert consensus document. Circ Heart Fail 2020;13(11).
5. Luetkens JA et al. Comparison of original and 2018 Lake Louise criteria for diagnosis of acute myocarditis: results of a validation cohort. Radiol Cardiothorac Imaging 2019;1(3): e190010.
6. Gräni et al. Prognostic Value of Cardiac Magnetic Resonance Tissue Charakterization in Risk Stratifying Patients With Suspected Myocarditis. J Am Coll Cardiol 2017.70(16):1964-1976.
7. Eichorn et al. Myocarditis in Athletes Is a Challenge: Diagnosis, Risk Stratification, and Uncertainties. JACC 2020.13(2):497-507.
8. Basso C. Myocarditis. N Engl J Med 2022; 387:1488-1500.
9. Lota AS et al. Genetic Architecture of Acute Myocardits and the Overlap With Inherited Cardiomyopathy. Circulation 2022.146(15):1123-1134.
10. Ammirati E et al. Clinical presentation and outcome in a contemporary cohort of patients with acute myocarditis: multicenter Lombardy registry. Circulation 2018;138:1088-1099.

Migräne – eine komplexe neurobiologische Erkrankung

Bei Migräne reagiert das zentrale Nervensystem überempfindlich auf Reize, und der Botenstoff CGRP (Calcitonin-Gene-Related Peptide) spielt eine zentrale Rolle bei der Schmerzentstehung. Migräne tritt häufig familiär auf, eine exakte Gen-Lokalisierung gibt es indessen nicht. Bei Migränikerinnen und Migränikern werden Sinnesreize wie Licht, Lärm oder Gerüche verstärkt verarbeitet. Deshalb ziehen sich die Befallenen in dunkle, ruhige Orte zurück. Die Auslöser für Migräne sind multifaktoriell, dabei spielen Lebensstil, Umwelt, Genetik und neurobiologische Empfindlichkeit eine Rolle. Trigger-Faktoren sind Stress und Schlafmangel, Dehydrierung und unregelmässige Mahlzeiten, Wetterveränderungen und Reizüberflutung, d.h. Licht, Geräusche, Gerüche.

Migräne – eine ernstzunehmende neurologische Erkrankung mit besonderer Relevanz für Frauen

Prof. Dr. med. Andreas Gantenbein, Facharzt für Neurologie FMH bei ZURZACH Care betont, dass es sich bei Migräne, obwohl sie gelegentlich als psychische Störung abgetan wird, nicht um eine solche handelt, sondern um eine der weltweit häufigsten und belastendsten neurologischen Erkrankungen. In der Schweiz sind rund eine Million Menschen betroffen, etwa 70-80 % davon sind Frauen.

Typische Symptome sind einseitiger oder beidseitiger Kopfschmerz, Übelkeit, Licht- und Geräuschempfindlichkeit sowie Rückzugsverhalten. Prof. Gantenbein unterscheidet verschiedene Migräneformen – episodisch, chronisch sowie mit und ohne Aura. Er betont, dass hormonelle Schwankungen bei Frauen einen wesentlichen Einfluss auf die Häufigkeit und Schwere der Attacken haben. Obschon Migräne meist auch genetisch veranlagt ist, kann sie sich im Verlaufe des Lebens verändern – etwa durch Schwangerschaft, hormonelle Umstellungen oder Alter. Für die Diagnostik ist ein detailliertes Kopfschmerztagebuch essentiell, insbesondere in der Abgrenzung zu anderen Kopfschmerzformen. Dieses Kopfschmerztagebuch spielt auch in der Therapie eine wichtige Rolle zur Erfolgskontrolle.

Prof. Gantenbein betont, dass trotz moderner Behandlungsoptionen immer noch viele Patientinnen nicht optimal versorgt sind – sei durch mangelnde ärztliche Abklärung, unzureichende Therapien oder fehlende Wahrnehmung der Erkrankung als schwere chronische Belastung. Die Herausforderung besteht darin, individuelle Trigger für Migräne zu erkennen, neue Therapien besser zugänglich zu machen und die Versorgung geschlechtersensible weiterzuentwickeln.

Hormone und Migräne: Zyklisch, komplex und oft unterschätzt

Dr. med. Lea Köchli, Fachärztin für Gynäkologie FMH beim Frauengesundheitszentrum, Rämistrasse 35, Zürich, sieht in ihrer Praxis täglich, wie stark Migräne mit dem Menstruationszyklus, hormoneller Verhütung, Schwangerschaft oder der Menopause verbunden sein kann. Häufig tritt Migräne zum ersten Mal in der Pubertät auf und bleibt für viele Frauen über Jahre ein wiederkehrendes, hormonell getriggertes Leiden. Besonders häufig sind die menstruelle Migräne und die zyklusassoziierte Migräne. Hormonelle Verhütungsmittel können Migräne auslösen oder verstärken. Individuell angepasst, können Langzyklen, östrogenfreie Pillen oder lokale Optionen wie Hormonspiralen eine sinnvolle Alternative sein. In der Schwangerschaft kommt es meist zu einer Besserung, während die Stillzeit durch hormonelle Ruhe für viele Frauen ebenfalls entlastend wirkt. In der Perimenopause führen instabile Östrogenspiegel dagegen oft zu einem Wiederaufflammen oder auch einer Erstmanifestation der Migräne.

Für die Diagnose ist ein Migränetagebuch in Kombination mit Zyklus-Tracking zentrale Werkzeuge. So lassen sich hormonelle Trigger erkennen, Therapieverläufe dokumentieren und Muster sichtbar machen. In der Therapie gilt es, die hormonelle Dynamik zu verstehen und individuelle Strategien zu entwickeln – z.B. gezielte Hormonmodulation, Pille im Langzyklus oder Ergänzung durch Gestagene in der Menopause.
Dr. Köchli betont, dass hormonell bedingte Migräne noch immer zu wenig Beachtung findet – weder in der Hausarztpraxis noch in der Gynäkologie. Dabei wäre eine gezielte Anamnese genau der Schlüssel. Wer die Patientin fragt, kann die Erkrankung erkennen und gezielt behandeln. Dr. Köchlis Appell: Hormonelle Migräne sollte ein integraler Bestandteil jeder medizinischen Anamnese bei Frauen im reproduktiven Alter sein – für eine personalisierte und effektive Therapie.

Nach einem Pressebricht von HERHEALTH.ch c/o Iaculis GmbH, Zürich

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

20. DGK CARDIO UPDATE 2025 – Teil 2

Auch dieses Jahr berichten wir über einige Highlights des alljährlichen, zweitägigen, ausgezeichneten Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Berlin. In diversen Vorträgen wurden am 14./15. Februar die neuesten relevanten Fachpublikationen aus dem Jahre 2024 von Experten besprochen und gewertet. Wir geben einige praktische Schlaglichter für die Hausärzte aus einigen relevanten Vorträgen in zwei Teilen wieder.

Hypertonie

Die Prävalenz der Hypertonie nimmt seit 1990 weltweit zu; insbesondere der nicht diagnostizierte Anteil, aber auch die fehlende Kontrolle bei den behandelten Individuen (40-50 %) – d.h. die unkontrollierte Hypertonie (>140/90 mmHg). Die Hypertonie ist der wichtigste Risikofaktor für Erkrankung und Tod. 22 % aller Todesfälle (alle Alter) in Deutschland sind auf die Hypertonie zurückzuführen. 30 % der Patientinnen und Patienten mit Hypertonie werden gar nicht erkannt und ca. 35 % nicht behandelt. Blutdruck (BD) und Mortalität stehen in einer linearen Beziehung. Ein systolischer BD-Abfall von 1mmHg reduziert die MACE-Rate um 2 %. Frauen haben ein etwas höheres Risiko als Männer bei gleichem BD. Die Hypertonie ist oft mit einer CKD, einer HI oder einer KHK kombiniert. Bei guter BD-Einstellung signifikant weniger VHFLi.

Folgende sehr ambitionierte praxisrelevante Neuerungen wurden 2024 in den ESC-Guidelines «Erhöhter BD und Hypertonie» (1) publiziert: Neue Blutdruckklassifikation, vgl. (Tab. 1).

Der Begriff «erhöhter BD» ist definiert: 120-139/70-89 mmHg. Je nach individuellem Risiko besteht hier bereits eine Assoziation zu kardiovaskulären (cv) Erkrankungen. Eine Hypertonie und somit eine klare Indikation für eine Therapie besteht bei einem BD ≥140/90 mmHg.
Je niedriger der BD desto besser. Der Ziel-BD liegt bei <130/80 mmHg bei signifikanten Komorbiditäten respektive hohem cv-Risiko und einem BD >130/80mmHg (IA). So ist der Ziel-BD bei guter Verträglichkeit für die meisten Patienten bei 120–129/70–79 mmHg – inkl. nicht gebrechliche ältere Individuen, <85 Jahre. Wird dieses Ziel nicht toleriert, dann so tief, wie individuell möglich. Diese BD-Klassifikation zeigt die überzeugende Bedeutung des BD für das cv-Risiko, auch in niedrigerem BD-Level.

Diagnose

Der Heim-BD wird gegenüber der Praxismessung bevorzugt. Der BD sollte unter standardisierten Bedingungen (automatisches Gerät, in ruhiger Umgebung im Sitzen, auf Herzhöhe, 2-3 Messungen nach 3-5 Minuten Ruhe, vorher kein Nikotin, Kaffee, Exercise) zu Hause gemessen werden. Messperioden: 3-7 Tage/Monat: 2 x tgl. Errechnen des Durchschnittswerts:
BD-Ziel <135/85 mmHg, optimal <130/80 mmHg. Alternativ ist auch eine 24-h-BD-Messung möglich. In der Praxis sollte der BD ebenfalls wiederholt unter standardisierten Bedingungen gemessen werden.

Risikobewertung

Bei vorhandenen Komorbiditäten wie kardiovaskulären Erkrankungen, einer CKD, Organschäden durch die Hypertonie, einem T2DM oder einer familiären Hypercholesterinämie oder einem erhöhten 10-Jahres-cv-Risiko ≥10 % (Score2/Score2-OP >70 Jahre – vgl. www.agla.ch/rechner-und-tools/agla-risikorechner) bedarf es bei einem BD ≥130/80mmHg einer medikamentösen Therapie – A-C-D, Nutzung des Single-Pill-Konzepts – vgl. (Abb. 1).

Erhöhter BD mit niedrigem cv-Risiko und fehlenden Komorbiditäten: Lifestyle Interventionen sollten ohne Medikation als erste Massnahme über 3 Monate versucht werden.

Lifestyle/Selbstkompetenz des Patienten ist sehr wichtig. Dazu zählen: Kein Nikotin, genügend körperliche Bewegung (Aerobic und Widerstandstraining) 150 Min./Woche – -4 bis 8 mmHg. Sport ist so effektiv wie eine BD-Tablette, dies zeigte eine grosse Metaanalyse aus 270 Studien mit fast 16 000 Teilnehmern (2). Aufrechterhaltung eines normalen BMI: Gewichtsreduktion – pro 1 kg/-1 mmHg. Entspannung. Gesunde Ernährung: Wenig Kochsalz <5g/die – -5–6 mmHg. Alkohol ≤ 1 Getränk/die resp. ≤ 3/Woche (<100g/Wo) – –4 mmHg. DASH-Diät – -11mmHg: genügend Kalium – 3.5g/die (Früchte, Gemüse: Bananen, Kartoffeln, Spinat, Avocado u.a.), evtl. kaliumhaltiges Mischsalz. Reduktion der Zuckerzufuhr auf max. 10 % der täglichen Energieeinnahme. Zuckerhaltige Getränke verursachen weltweit Millionen von T2DM und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Screening auf primären Hyperaldosteronismus (PHA) -Prävalenz: 6-22 %, bei einem BD > 180/110 mmHg ist diese bei 12 %. Bestimmung Aldosteron/Renin Quotienten (ARQ) bei (allen) mit manifester Hypertonie (ESC IIaB). ARQ >30 = PHA. Ideal mindestens 2x bestimmen. Cave: Interaktionen mit Antihypertensiva. CCB geringer Effekt auf ARQ. Diese PHA-Patienten haben ein erhöhtes cv-Risiko verglichen mit einer essentiellen Hypertonie. Eine frühe Diagnose eines PHA ist wichtig für eine erfolgreiche Therapie. Im Routine-Labor sollte neben einer eGFR immer auch eine UACR im Spontanurin bestimmt werden, diese ist das «HbA1c der Hypertonie» und ein Hinweis auf einen Endorganschaden an der Niere. Unter 40 Jahren sollte der BD in der Bevölkerung alle 3 Jahre, über 40 Jahre sollte der BD jährlich kontrolliert werden. Mit dem Alter nimmt die Hypertonie zu: < 45 Jahre: 20–25 %, ab 60 Jahren: 50 %, ab 75 Jahren: 75 % (Abnahme der Gefässelastizität). Im Alter ist die isolierte systol. Hypertonie der häufigste Grund für eine resistente Hypertonie. Die Leitlinien empfehlen eine Behandlung, auch wenn der diastol. BD < 70 mmHg beträgt.

Medikamentöse Therapie

Mit einer BD-Substanz sind ca. 30 % der Patienten im BD-Zielbereich, mit 2 Substanzen 60-80 %. Pro Substanz ca. 5mmHg BD-Senkung. Kombinationstherapien sind effektiver als Dosissteigerungen von Einzelmedikamenten. Auch hat man so deutlich weniger Nebenwirkungen. Bei Fixkombinationen kommt es zu einer schnelleren BD-Kontrolle und einer Senkung der cv-Mortalität. Wann die Fixkombination eingenommen wird, ist aufgrund verschiedener Studien und Metaanalysen unerheblich. Ein ACE-H./ARB sollte bei einem Wunsch nach SS gestoppt werden, spätestens in der 14. Woche.

Eine gute Fixkombination* aus 3 Wirkstoffen, bei einer deutlichen Hypertonie, ist Perindopril + Amlodipin (5 mg) + Indapamid (1,5mg SR). Die beiden letztgenannten Medikamente haben zwei komplementäre Wirkmechanismen als Kalzium- und Natrium-Antagonist (Diuretischer Effekt). Dies führt zu einer Vasorelaxation und einer antihypertensiven Aktivität mit einer signifikanten BD-Senkung und einer sehr guten 24-h-Wirkung. Diese Fixkombination ist sehr gut verträglich, auch bei älteren Patienten. Der ACE-H. Perindopril ist vor allem auch bei einer Hypertonie mit T2DM (71 %) wirksam. Kann doch das stark erhöhte cv-Risiko und die Mortalität signifikant gesenkt werden. Auch eine LV-Hypertrophie wird durch diese Single-Pill deutlich reduziert. Mit einer 3-er-Kombination sind 90 % der Hypertoniker im BD-Zielbereich. Niedrig dosierte 3 in 1-Kombination gegenüber hochdosierter 2 in 1-Kombination ist nach den ESC-Leitlinien zu bevorzugen – Hinzunahme einer 3. Substanz viel effektiver als eine Dosiserhöhung (Generische Fixkombinationen wie Valsartan/Amlodipin/HCT).

Bei der Frage einer resistenten Hypertonie (unzureichende BD-Senkung trotz 3-er Kombi inkl. Diuretikum) muss die Adhärenz überprüft werden. Diese ist assoziiert mit einem verbesserten Überleben. Eine solche fehlt in bis zu 50–80 % (Urinanalyse). Nach einem Jahr nehmen 44 % die Medikation unregelmässig, 17 % nehmen keine BD-Medikation mehr. Um diese zu verbessern, ist eine gemeinsame Entscheidungsfindung, Haltung zwischen Arzt/Praxisteam und Patient sehr wichtig. Der Therapieerfolg liegt in der gemeinsamen Verantwortung und Zielsetzung. Dafür ist die Heim-BD-Messung sehr wichtig. Differentialdiagnostisch muss ein Non-Responder ausgeschlossen werden.

Dazu gehört auch der Ausschluss einer sekundären Hypertonie, u.a. PHA, OSAS. In diesem Setting wird auch eine 24-h-BD-Messung empfohlen. Diese ist auch sehr informativ bez. nächtlichem BD und erhöhtem Risiko. Auch kann eine maskierte Hypertonie nachgewiesen werden. Diese hat ebenfalls ein erhöhtes cv-Risiko.

Bei der resistenten Hypertonie Dreierkombination und zusätzlich Spironolacton oder Eplerenon (IIa) bei einer eGFR >30ml/min/1.73m2. Cave Hyperkaliämie. Eine Gynäkomastie unter Spironolacton kann auch erst nach Monaten auftreten. Die Aldosteronblockade ist erfolgreich, unabhängig, ob ein Hyperaldosteronismus vorliegt oder nicht. Wichtig bleibt aber die vorgängige Bestimmung des ARQ zum Ausschluss eines PHA.
Alternativ ist neu auch ein B1 selektiver Betablocker (Bisoprolol) als 4. Medikament möglich, insbesondere ein BB mit vasodilatierender Wirkung wie Nebivolol oder Carvedilol. Ggf. auch Clonidin oder ein Alphablocker. Erfolgreich ist auch eine «Quadruple Kombitherapie» aus A+B+C+D: obige Fixkombination* mit 5mg Bisoprolol. Mit dieser konnte in 8 Wochen bei 183 Patienten der BD in 66 % bei einer resistenten Hypertonie erfolgreich um weitere 8 mmHg gesenkt werden. Die Herzfrequenz sank um 9 Schläge/min. Die Fixkombination* mit 3 Substanzen war nur in 42 % erfolgreich. Anstelle eines Thiazid kann bei einer resistenten Hypertonie auch Chlorthalidon eingesetzt werden.
Cave: BD erhöhende Medikamente wie: NSAR, Hormone (Pille), Immunsuppressiva, Antidepressiva, Kortikosteroide, Süssholzwurzel (Lakritze). Sport macht auch bei einer resistenten Hypertonie Sinn.

Eine Therapieoption ist die renale Denervation (RDN) an einem Zentrum, sofern die eGFR > 40ml/min/1.73m2 beträgt und eine resistente und unkontrollierte Hypertonie besteht (IIA ESC 2024). Diese Therapie ist sicher, mit einer anhaltenden Wirkung über bisher 3 Jahre. Es gibt noch keine Mortalitätsdaten. Systolische BD-Senkung im 24-h-BD von 5-9 mmHg. Die RDN sollte nach einer umfassenden Nutzen-Risiko-Abwägung und in gemeinsamer Entscheidung mit dem Patienten sowie unter multidisziplinärer Bewertung durchgeführt werden. Dazu zählen einerseits Menschen mit optimal therapierter, weiterhin therapieresistenter Hypertonie, aber auch solche, die leitliniengerechte Massnahmen nicht tolerieren. Es gibt aktuell 9 Studien und eine grosse Metaanalyse.

In Zukunft gibt es u.a. auch ein siRNA basiertes Medikament, Zilebesiran. Dieses wird s.c. alle 3–6 Monate verabreicht, mit einer anhaltenden BD-Senkung. Es fehlen aber noch Sicherheitsdaten. Eine Kombination mit klassischen Antihypertensiva war erfolgreich. Durch den Mechanismus der RNA-Interferenz hemmt Zilebesiran die Angiotensinogen Synthese in der Leber. Durch die Interferenz von Zilebesiran mit der mRNA von Angiotensinogen wird die entsprechende RNA abgebaut und die Proteinexpression verringert. Infolgedessen sinkt die Serumkonzentration von Angiotensinogen und dadurch der BD. Der Zusatznutzen von Zilebesiran ist aber aktuell noch unklar.

Drei grosse Studien aus China (STEP, ESPRIT, BROAD) bestätigten die Vorteile einer intensiven BD-Senkung, auch bei älteren Patienten. Bei Patienten >50 J. mit T2DM und hohem cv-Risiko, war auf Grund der BROAD Studie, die Inzidenz schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse (Apoplexie, MI, HI-Hosp, cv-Tod) bei einer Intensivbehandlung mit einem systolischen Blutdruck von weniger als 120 (121,6 nach 1 Jahr) mmHg signifikant geringer als bei einer Standardbehandlung, die auf einen systolischen Blutdruck von weniger als 140 (133,2 nach 1 Jahr) mmHg abzielte (HR 0,79) nach rund 4 Jahren, dies galt für alle Untergruppen (3). Die Patientinnen und Patienten sollten jedoch bei einer intensiveren Blutdrucksenkung auf Hypotonie und Hyperkaliämie hin überwacht werden, insbesondere zu Beginn der Behandlung. Zusammenfassend liefert die BROAD-Studie weitere wichtige Ergebnisse für die Zielblutdruckeinstellung von Patientinnen und Patienten mit T2DM und hohem cv-Risiko – 21 % RR -Reduktion durch 11 mmHg BD-Senkung, auch im Bereich von 120-140 mmHg. Diese Studie bestätigt nochmals die aktuellen Empfehlungen der ESC von 2024 – einen Zielblutdruck von 120–129/70–80 mmHg, ausser für Hochbetagte (> 80–85 J.) und die isolierte systolische Hypertonie mit 130–150 mmHg nach ESH 2023. Bei > 85 Jahren und Frailty ist die Therapieschwelle nach ESC mit 140/90 mmHg etwas höher.

Bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko ist auf Grund einer soeben publizierten Metaanalyse von 5 grossen Studien mit mehr als 39 000 Hypertoniker eine intensive Blutdruckeinstellung unter 120 mm Hg im Vergleich zu einer Standard-Blutdruckeinstellung unter 140 mm Hg mit einer Reduktion der Gesamtmortalität, der kardiovaskulären Mortalität und der Inzidenz von MACE, MI, Schlaganfall und Herzinsuffizienz assoziiert. Die Inzidenz von Hypotonie, Synkopen, akuter Nierenschädigung und Elektrolytanomalien war in der intensiven Kontrollgruppe signifikant erhöht Die Studienautoren empfehlen für jeden Patienten den niedrigsten tolerierbaren BD-Wert anzustreben (6). Ob diese Ergebnisse auf nicht Hochrisikopatienten übertragbar sind, bleibt offen.

Diese neuen ESC-Empfehlungen werden in der Praxis nicht einfach umzusetzen sein. Es bedarf einer noch konsequenteren Behandlung von uns Ärzten, einschliesslich einer guten Motivation der Patientinnen und Patienten. Multidisziplinäre Ansätze werden empfohlen, um die BD-Kontrolle zu verbessern, einschliesslich der Verlagerung von Aufgaben weg von Ärzten.

Herz-Niere

Über dieses wichtige Thema: Verwendung von SGLT2-H., GLP-1 RA und dem nicht steroidalen MRA Finerenon bei kardio-renalen-metabolischen Patienten, haben wir bereits in den vier Ausgaben 1, 4, 5, 6/2024 und 1/2025 «informierter@rzt» berichtet (4). Dieses Thema wurde auch am Cardio-Update 2025 von Prof. Dr. F. Mahfoud aus Basel eingehend besprochen: «Das kardio-renale-metabolische Syndrom (CKM) beschreibt das Zusammenspiel zwischen metabolischen Risikofaktoren, chronischer Nierenerkrankung und kardiovaskulären Erkrankungen. Die CKM-Multimorbidität ist ein entscheidender Faktor für die Prognose von HFmrEF/HFpEF-Patienten. Semaglutid reduziert das Risiko für renalen und kardiovaskulären Tod sowie die Gesamtmortalität bei T2DM und CKD. Die positiven Effekte von Semaglutid sind konsistent über die CKD-Stadien hinweg. Kombinationstherapien mit SGLT2-H., GLP-1 RA und Finerenon verlängert das Überleben (plus 3–5 Jahre) und die Lebensqualität».

Bei einer diabetischen Nephropathie (eGFR >60ml/min/1.73m2 und ≥ 300 mg/g Albuminurie resp. eGFR 25–60 ml/min/1.73m2 und ≥ 30 mg/g) haben folgende Medikamente eine Klasse I Indikation:
ACE-H., Statine, SGLT2-H., Finerenon. Dabei sollte der BD im Zielbereich von 120-129/70-80 mmHg liegen.

Semaglutid (1,0mg/Wo s.c.) reduziert in der FLOW-Studie (5) das Risiko für klinisch bedeutsame renale Endpunkte sowie den kardiovaskulären Tod und die Gesamtmortalität in der Hochrisiko-Population von Patientinnen und Patienten mit T2DM und CKD – NNT in 3 Jahren von 20. GLP-1 RA wirken an der Niere antientzündlich, antioxidativ und hemmen die Fibrose.

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

1. 2024 ESC Guidelines for the management of elevated blood pressure and hypertension European Heart Journal (2024) 00, 1–107 https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehae178
2. Edwards JJ. et al., Exercise training and resting blood pressure: a large-scale pairwise and network meta-analysis of randomised controlled trials, Br J Sports Med. 2023 57(20) :1317-1326, doi: 10.1136/bjsports-2022-106503.
3. Bi Y. et al., Intensive Blood-Pressure Control in Patients with Type 2 Diabetes, BROAD Study, N Engl J M 2024 Nov.16. DOI: 10.1056/NEJMoa2412006, 16.11.2024
4. Dürst U., Das kardiovaskuläre-renale-metabolische Syndrom (CKM), Der informierte @rzt 2025, 15, 01: 13-16
5. Perkovic V et al. Effects of Semaglutide on Chronic Kidney Disease in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2024. DOI: 10.1056/NEJMoa2403347
6. Bergmann F. et al., Systolic blood pressure targets below 120 mm Hg are associated with reduced mortality: A meta-analysis, Journal of Internal Medicine, 05. March 2025, https://doi.org/10.1111/joim.20078

Aktuelle Psychopharmakotherapie bei Depressionen

Zusammenfassung

Die Behandlung der depressiven Störung hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte erheblich weiterentwickelt. Psychopharmaka stellen nach wie vor eine zentrale Säule der Therapie dar, obwohl auch nicht pharmakologische Ansätze wie Psychotherapie und interventionelle Verfahren zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die aktuellen psychopharmakologischen Therapieansätze bei Depressionen und diskutiert die neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse, jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Eine detaillierte Darstellung dieser Ansätze, einschliesslich der Augmentationstherapien, ist in den entsprechenden S3-Leitlinien zu finden. Besondere Aufmerksamkeit wird hier den verschiedenen Medikamentengruppen, deren Wirksamkeit und Nebenwirkungen sowie den neuesten Forschungsergebnissen gewidmet.

Einleitung

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit und sind eine führende Ursache für reduzierte Lebensqualität. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden rund 300 Millionen Menschen weltweit an einer Depression (1). Die Behandlung umfasst eine Kombination aus pharmakologischen, psychotherapeutischen und interventionellen Verfahren. In diesem Artikel werden vor allem die psychopharmakologischen Behandlungsansätze beleuchtet, die einen zentralen Bestandteil der Therapie bei mittelschweren bis schweren Depressionen darstellen.

Antidepressiva: Klassifikation und Wirkmechanismen

Die Psychopharmakotherapie bei Depressionen basiert vor allem auf der Verwendung von Antidepressiva, die in verschiedene Klassen unterteilt werden:

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
SSRI wie Fluoxetin, Sertralin und Paroxetin sind die am häufigsten eingesetzten Antidepressiva. Sie wirken, indem sie die Wiederaufnahme von Serotonin im synaptischen Spalt hemmen, was zu einer Erhöhung der Serotoninkonzentration im Gehirn führt. SSRI haben in der Regel ein günstiges Nebenwirkungsprofil und werden daher bevorzugt bei der Behandlung der Major Depression eingesetzt (2).

Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)
Medikamente wie Venlafaxin und Duloxetin gehören zu dieser Gruppe. Sie hemmen sowohl die Wiederaufnahme von Serotonin als auch von Noradrenalin und können bei Patienten, die auf SSRI nicht ansprechen, eine wirksame Alternative darstellen. Die therapeutische Wirkung von SNRI ist auf die verstärkte Neurotransmission sowohl von Serotonin als auch Noradrenalin im Gehirn zurückzuführen (3).

Trizyklische Antidepressiva (TCA)

Trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin und Imipramin sind eine ältere Medikamentengruppe, die jedoch aufgrund ihrer umfangreichen Nebenwirkungen und der Gefahr von Überdosierungen heute seltener eingesetzt werden. Sie wirken durch die Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin, haben aber auch eine anticholinerge Wirkung, was zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann (4).

Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer)

MAO-Hemmer wie Tranylcypromin hemmen das Enzym Monoaminoxidase, das für den Abbau von Neurotransmittern wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin verantwortlich ist. Diese Medikamente werden in der Regel bei therapieresistenten Depressionen eingesetzt, da sie bei falscher Anwendung zu schweren Nebenwirkungen führen können (5).

Neueste Entwicklungen in der Psychopharmakotherapie

Neben den etablierten Antidepressiva gibt es zunehmend neue Ansätze, die in den letzten Jahren in der Forschung und klinischen Praxis an Bedeutung gewonnen haben.

Ketamin und Esketamin

Ketamin, ursprünglich als Narkosemittel entwickelt, hat sich in den letzten Jahren als potenzielles Therapeutikum bei therapieresistenten Depressionen etabliert. Esketamin, ein Nasenspray, das eine Form von Ketamin darstellt, wurde 2019 von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA für die Behandlung von therapieresistenten Depressionen zugelassen. Esketamin wirkt schnell, was es zu einer vielversprechenden Option für Patienten macht, die auf herkömmliche Antidepressiva nicht ansprechen (6).

Neueste Entwicklungen aus der Forschung ­Brexanolon

Brexanolon ist ein Beispiel für ein weiteres neuartiges Antidepressivum, das speziell zur Behandlung der postpartalen Depression entwickelt wurde. Brexanolon (Handelsname Zulresso®) wurde 2019 von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zur Behandlung der postpartalen Depression zugelassen. In der Schweiz ist Brexanolon derzeit nicht zugelassen. Es wirkt als modulierender GABA-Rezeptor-Agonist und hat sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen. Brexanolon bietet eine neue Behandlungsoption für eine oft unbeachtete Untergruppe von Depressionspatientinnen, nämlich Frauen mit postpartalen Depressionen (7).

Nebenwirkungen und Sicherheitsaspekte

Obwohl Antidepressiva eine wesentliche Rolle in der Behandlung von Depressionen spielen, ist es wichtig, die potenziellen Nebenwirkungen zu berücksichtigen. SSRI und SNRI sind in der Regel gut verträglich, können jedoch in einigen Fällen gastrointestinale Beschwerden, sexuelle Funktionsstörungen oder Schlafstörungen verursachen. Trizyklische Antidepressiva sind aufgrund ihrer anticholinergen Wirkung mit signifikanten Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Verstopfung und Gewichtszunahme verbunden. Ketamin und Esketamin sind neuere Optionen, deren Anwendung noch nicht frei von Risiken ist. Insbesondere Ketamin kann Halluzinationen, Bluthochdruck und in seltenen Fällen auch Missbrauchspotenziale aufweisen. Esketamin kann ebenfalls zu Nebenwirkungen wie Sedierung und Schwindel führen (8).

Fazit und Ausblick

Die Psychopharmakotherapie bei Depressionen hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht. SSRI und SNRI bleiben die bevorzugten Medikamente, aber neue Substanzen wie Ketamin und Esketamin bieten vielversprechende neue Optionen für Patienten mit therapieresistenten Depressionen. Dennoch bleibt die Herausforderung, die richtige Medikation für jeden einzelnen Patienten zu finden und den Einsatz von Psychopharmaka mit anderen Therapien, insbesondere Psychotherapie, zu kombinieren. Weitere Forschung ist erforderlich, um das volle Potenzial neuer Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und die Sicherheit und Wirksamkeit langfristig zu bestätigen.
In diesem Themenheft werden unterschiedliche Aspekte der Depressionsbehandlung eingehend vorgestellt und erörtert. Neben der medikamentösen Therapie liegt der Fokus insbesondere auf Psychotherapieverfahren und auf innovativen, nicht invasiven Verfahren, die neue Perspektiven in der Behandlung eröffnen.

Prof. Dr. med. Kristina Adorjan

Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Bern
Murtenstrasse 21
3008 Bern

kristina.adorjan@upd.ch

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. WHO: Depression and Other Common Mental Disorders, 2017
2. Cipriani, A., Furukawa, T. A., Salanti, G., et al. (2018). „Selective serotonin reuptake inhibitors versus other pharmacological treatments for depression.“ The Lancet, 391(10128), 1835-1844.
3. Kennedy, S. H., Lam, R. W., Parikh, S. V., et al. (2019). „The Canadian Network for Mood and Anxiety Treatments (CANMAT) guidelines for the management of major depressive disorder in adults.“ The Canadian Journal of Psychiatry, 64(9), 597-605.
4. Fournier, J. C., DeRubeis, R. J., Hollon, S. D., et al. (2017). „Antidepressant medications and depression severity: a meta-analysis.“ Journal of Clinical Psychiatry, 78(6), 1232-1240.
5. Boulenger, J. P., Dufresne, M. (2019). „Monoamine oxidase inhibitors in the treatment of depression.“ European Psychiatry, 32, 72-78.
6. Fava, M., Rush, A. J., Trivedi, M. H., et al. (2020). „Ketamine in treatment-resistant depression: a review.“ Psychopharmacology, 237(2), 345-362.
7. Cohen, L. S., Altshuler, L. L., Harlow, B. L., et al. (2019). „Brexanolone in the treatment of postpartum depression.“ The New England Journal of Medicine, 380(5), 419-429.
8. Berman, R. M., Cappiello, A., Anand, A., et al. (2017). „Antidepressant effects of ketamine in depressed patients.“ Biological Psychiatry, 61(5), 653-659.

Die personalisierte Behandlungsplanung bei Patienten und Patientinnen mit Depressionen

Einleitung

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen und sind führende Ursachen für Krankheit und dauerhaft individuelle Einschränkungen weltweit (1). Hinter der Diagnose unipolare Depression verbirgt sich jedoch eine Vielzahl heterogener Krankheitsbilder, die sich in Psychopathologie, Ätiopathogenese, Verlaufsformen und Komorbiditäten stark unterscheiden. Auch die Bandbreite der Therapiemöglichkeiten ist gross: Neben etablierten Verfahren wie Psychotherapie und Psychopharmakologie gibt es ergänzende Ansätze, wie z. B. Sport- und Bewegungstherapie, transkranielle Magnetstimulation oder Elektrokrampftherapie. Gemäss der S3-Leitlinie zur Behandlung von Depressionen erfolgt die Therapieplanung in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung (2). Während bei leichter Depression meist psychotherapeutische Ansätze im Vordergrund stehen (3), ist bei mittel- bis schwergradigen Episoden eine Kombination aus Psycho- und Pharmakotherapie die Regel (2, 4). Studien zeigen, dass Psychotherapie längerfristig nachhaltige Effekte bietet (5), während Pharmakotherapie Lern- und Veränderungsprozesse unterstützen kann (6). Entscheidend ist dabei stets das Zusammenspiel biologischer und psychosozialer Elemente (7, 8). Psycho- und Pharmakotherapie sollte in der Behandlungsplanung daher nie isoliert betrachtet werden. Dennoch sprechen viele Patienten nur unzureichend auf die bestehende Behandlung an und entwickeln einen chronischen Verlauf oder erleben wiederkehrende Episoden (4). Auch sind für den Genesungsprozess nicht nur die Bewältigung von Defiziten und Vulnerabilitäten entscheidend, sondern auch das Vorhandensein und die Förderung individueller Stärken und Ressourcen (9, 10). Eine standardisierte «one-fits-all»-Behandlung ist daher weder sinnvoll noch möglich (4). Die Vielfalt an Entstehungsprozessen, Einflussfaktoren und Behandlungsoptionen erfordert einen differenzierten und individualisierten Behandlungsansatz, da keine standardisierte Therapie auf die individuellen Bedürfnisse aller Betroffener gleichermassen zugeschnitten sein kann (2, 4, 9). Ein zentraler Ansatz, dies zu gewährleisten, stellt die personalisierte Therapieplanung dar, die biologische, psychologische und soziale Faktoren inte­griert. Im nachfolgend vorgestellten Behandlungskonzept für unipolare Depressionen wird daher eine differenzierte Diagnostik sowie genaue Analysen von Problemfeldern, Inkongruenzen und Ressourcen miteinander kombiniert. Ein Kernelement stellt die sorgfältige Fallkonzeption dar, auf deren Basis evidenzbasierte Therapieverfahren flexibel und passgenau integriert werden, um die Therapieerfolge zu verbessern. Insbesondere bei komplexen Fällen, die häufig mit Komorbiditäten wie Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankungen oder Angststörungen einhergehen, ist eine individualisierte Behandlungsplanung unverzichtbar (11, 12). Grundlagen dafür sind eine differenzierte Erhebung der Psychopathologie, wesentlicher biografischer Entwicklungen, biologischer und sozialer Faktoren sowie eine individuelle Problem-, Inkongruenz- und Ressourcenanalyse. Hinsichtlich der Analyse der psychologischen Dimension orientiert sich die Behandlungsplanung an den Konzepten von Klaus Grawe (10, 13). Dieser betont in seinen Arbeiten die Bedeutung allgemeiner Wirkfaktoren von Psychotherapie (Therapiebeziehung, Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, Klärung, Bewältigung), die unabhängig von spezifischen Therapieansätzen für den Therapieerfolg entscheidend sind. Metaanalysen konnten inzwischen zeigen, dass solch ein transdiagnostischer Zugang zur Behandlung von Depressionen wirksam ist (14, 15). Eine transdiagnostische Therapie orientiert sich an den zugrunde liegenden Mechanismen, anstatt sich auf die Reduktion spezifischer Symptome zu fokussieren. Die psychische Dimension bildet zwar den Schwerpunkt im vorgestellten Behandlungskonzept, aber auch die biologische und soziale Dimension wird erfasst. Häufig umfassen Publikationen entweder die psychologische oder biologische Ebene; selten werden soziale Faktoren explizit einbezogen, obgleich Kombinationsbehandlungen die reale Versorgungssituation abbilden und auch wissenschaftlich überlegen sind (4). Die erhobenen Informationen bilden die Grundlage, um ein der individuellen depressiven Symptomatik zugrunde liegendes biopsychosoziales Erklärungsmodell zu erarbeiten, eine gut begründete diagnostische Entscheidung vorzunehmen, individuelle Therapieziele abzuleiten und ein massgeschneidertes Therapieprogramm zusammenzustellen. Ergänzend bietet das Behandlungskonzept strukturierte Hilfsmittel wie die Checklisten «Diagnostik, Anamnese und Psychopathologie» (Tab. 1a und Tab. 1b) sowie «Wirkfaktorengestützte Behandlungsplanung» (Tab. 2a bis Tab. 2d). Diese Checklisten wurden speziell für den klinischen Alltag entwickelt und richten sich insbesondere an jüngere, weniger erfahrene Behandlerinnen und Behandler. Oft sind sie in den Kliniken fallführend tätig. Daher ist es sinnvoll, ihre Kompetenzen durch sorgfältig ausgewählte Instrumente der Behandlungsplanung zu erhöhen, da die Kompetenz von Behandelnden einen grossen Einfluss auf den Therapieerfolg hat (16).

Grundlagen Diagnostik, Anamnese und Psychopathologie

Für eine zielgerichtete Behandlung der Depression ist eine differenzierte Diagnostik unabdingbar. Neben der Feststellung der Diagnose unipolare Depression sollten Schweregrad, frühere Episoden, das Alter bei Erstmanifestation sowie die aktuelle psychopathologische Leitsymptomatik differenziert erfasst werden. Zur Quantifizierung des Schweregrades und zur Verlaufskontrolle empfiehlt sich der Einsatz standardisierter Instrumente wie das Beck-Depressions-Inventar-2 (17), das als Selbstbeurteilungsskala validierte und praxisnahe Ergebnisse liefert. Besonders wichtig ist die wiederholte Diagnostik und Überwachung von Suizidalität, da diese einen entscheidenden Faktor für die Behandlungsplanung darstellen (18). Bei der Entscheidung für eine Pharmakotherapie ist es essenziell, die bisherigen Erfahrungen und Präferenzen der Patienten systematisch einzubeziehen. Dieses Vorgehen fördert nicht nur die Therapieadhärenz, sondern trägt auch zur individualisierten Behandlungsplanung bei.

Allgemeine Empfehlungen zur Auswahl von Antidepressiva (19) orientieren sich an mehreren Faktoren, darunter:
• Vorherrschende Psychopathologie: Berücksichtigung von Schlafstörungen, Ängsten, innerer Unruhe, Erschöpfungssymptomen, atypischer Symptomatik oder Suizidalität
• Patientenpräferenzen: die Einbindung von Patientinnen und Patienten in den Entscheidungsprozess
• Frühere Erfahrungen: Evaluation der Wirksamkeit und Verträglichkeit von zuvor eingesetzten Medikamenten
• Somatische Komorbiditäten: Abgleich mit potenziellen Kontraindikationen spezifischer Substanzen
Um die Erhebung dieser zentralen Informationen zu strukturieren, wurde Checkliste A entwickelt (Tab. 1a und Tab. 1b). Diese bietet ein praxisorientiertes Instrument, um relevante klinische Daten systematisch zu erfassen und in die Therapieplanung zu integrieren.

Biopsychosoziales Modell

Die Weiterentwicklung des biopsychosozialen Modells nach Engel (7, 8) bildet die theoretische Grundlage dieses Behandlungskonzepts (siehe Abb. 1). Dieses Modell inte­griert biologische, psychologische und soziale Einflussfaktoren und ermöglicht eine individuelle Gewichtung von Belastungs- und Resilienzfaktoren. Auf dieser Basis können multimodale Behandlungspläne personalisiert gestaltet werden. Im biopsychosozialen Modell wird Gesundheit als ausreichende Kompetenz des Systems Mensch verstanden, um auf unterschiedlichen Systemebenen autoregulativ Störungen zu bewältigen (Resilienz). Depressiogene Faktoren treten im Alltag bei allen Menschen tagtäglich auf. Entscheidend für die Entwicklung einer Depression ist die reduzierte Fähigkeit zur Kontrolle und Bewältigung dieser Faktoren. Ist die autoregulative Kompetenz des Systems Mensch gestört, nicht ausreichend verfügbar oder zu wenig entwickelt (Vulnerabilität), können Alltagsbelastungen nicht hinreichend bewältigt und/oder kontrolliert werden, was eine depressive Entwicklung begünstigen kann.

Das Modell unterscheidet drei interagierende Dimensionen:
1. Biologische Dimension: Faktoren, die überwiegend biologisch determiniert sind, wie genetische Dispositionen, Neurotransmitterfunktionen oder hormonelle Imbalancen
2. Psychische Dimension: Prozesse und Eigenschaften, die der Psyche zugerechnet werden, z. B. dysfunktionale Denkmuster, emotionale Dysregulation, motivationale Konflikte oder unbewältigte Traumata
3. Soziale Dimension: Einflussfaktoren, die die Sozialisation und die aktuelle soziale Umgebung betreffen, wie familiäre Prägungen, soziale Unterstützung, interaktionelle oder berufliche Belastungen

Es ist im Ergebnis nicht entscheidend, auf welcher Dimension eine depressiogene Störung auftritt, da alle miteinander verschaltet sind. Von zentraler Bedeutung ist der systemische Schaden, der durch die Störung entsteht, und nicht allein der Ort des Auftretens. Eine umfassende bio-psychosoziale Diagnostik ist essenziell, um ein individuelles Störungsmodell zu entwickeln. Die gewonnenen Daten werden in wissensbasierte Arbeitshypothesen überführt, die das Fundament für die therapeutische Planung bilden. Ziel der biopsychosozialen Therapie ist es, die Resilienz des betroffenen Menschen zu stärken, indem Stressoren und Defizite reduziert sowie Ressourcen gezielt gefördert oder reaktiviert werden. Dies geschieht auf allen drei Dimensionen und wird in enger Absprache mit den Betroffenen geplant und umgesetzt.

Die in Checkliste B (Tab. 2a bis Tab. 2c) systematisch erfassten Faktoren decken explizit alle drei Dimensionen ab, was eine umfassende Basis für die Therapieplanung (Tab. 2d) schafft.

Belastende Kindheitserfahrungen

Belastende Kindheitserfahrungen (englisch: Adverse Childhood Experiences, ACE) gelten als entscheidender Risikofaktor für die Entwicklung und Aufrechterhaltung depressiver Erkrankungen. ACE umfassen heterogene negative Erfahrungen in den ersten 18 Lebensjahren, die langfristig das Risiko für psychische Störungen, insbesondere Depressionen, erhöhen.
Zu den regelmässig untersuchten ACE zählen:
1. Emotionaler Missbrauch: verbale Angriffe, beleidigendes oder erniedrigendes Verhalten
2. Physischer Missbrauch: körperliche Angriffe oder Gewalt
3. Sexueller Missbrauch: jegliche Form sexueller Übergriffe
4. Emotionale Vernachlässigung: Nichtbefriedigung grundlegender emotionaler und psychischer Bedürfnisse
5. Körperliche Vernachlässigung: Nichtbefriedigung grundlegender körperlicher Bedürfnisse wie Ernährung, Hygiene oder medizinische Versorgung
6. Familiäre Belastungen: Verlust eines Elternteils, Scheidung, psychische Erkrankungen eines Elternteils, längere Krankenhausaufenthalte, chronische Krankheiten oder Behinderung eines Familienmitglieds
7. Schlechte soziale und ökonomische Bedingungen: z. B. Armut, gesellschaftliche Diskriminierung oder Verlustereignisse

ACE als Risikofaktor für Depressionen
Die Studienlage zeigt, dass ACE komplexe, multikausale Risikofaktoren darstellen, deren Einfluss durch Zeitpunkt, Schweregrad, Dauer sowie individuelle Resilienz- und Vulnerabilitätsfaktoren moduliert wird.
Folgende Ergebnisse gelten als wissenschaftlich gut belegt:
Erhöhtes Depressionsrisiko: Das Vorliegen von ACE erhöht die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Major Depression signifikant (20).
Dosisabhängige Effekte: Mit der Anzahl erlebter ACE steigt das Risiko für lebenslange Depressionen, Suizidversuche, Rückfälle und die Chronifizierung einer Depression (18, 20). Menschen mit mehreren ACE haben ein deutlich erhöhtes Risiko, bereits im jungen Erwachsenenalter an einer Depression zu erkranken oder einen Suizidversuch zu begehen.
Therapeutische Relevanz: Studien zeigen, dass chronische Depressionen mit ACE-Hintergrund (ELS+) besser auf spezifische psychotherapeutische Ansätze wie die Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) ansprechen als auf medikamentöse Monotherapie. Eine Kombinationstherapie aus CBASP und antidepressiver Medikation führt zu den besten Ergebnissen (21, 22).

Zusatzkodierung und therapeutische Implikationen
Angesichts der starken Zusammenhänge zwischen ACE und Depressionen wird diskutiert, depressive Störungen durch Zusatzkodierungen wie «mit/ohne Kindheit mit Misshandlungen» oder «mit/ohne frühen Stress» (ELS− vs. ELS+) zu klassifizieren (23). Diese Subtypisierung könnte eine gezieltere Therapieplanung ermöglichen, indem spezifische Behandlungsansätze für ELS+-Patienten entwickelt werden.

Messinstrumente
Zur Erfassung und Quantifizierung belastender Kindheitserfahrungen sind standardisierte Instrumente wie der Childhood Trauma Questionnaire (CTQ 24) oder die Skala belastender Kindheitserfahrungen (KERF 25) geeignet. Diese Instrumente bieten eine valide Grundlage für die Identifikation und Berücksichtigung von ACE in der Therapieplanung.

Inkongruenzanalyse

Die Konsistenztheorie von Grawe (10, 13) bietet eine wertvolle Grundlage, um die drei Dimensionen des biopsychosozialen Modells, insbesondere die psychischen Mechanismen, im Rahmen einer individuellen Fallkonzeption zu analysieren. Sie hebt hervor, dass die Unfähigkeit, zentrale psychische Grundbedürfnisse zu befriedigen, zu Inkongruenz führt, die Depressionen begünstigt (Abb. 2). Dabei muss zwischen Annäherungs- und Vermeidungsschemata differenziert werden. Während Annäherungsschemata auf aktive Bedürfnisbefriedigung abzielen, wirken Vermeidungsschemata als Schutzstrategien, die Verletzungen vorbeugen, jedoch langfristig hinderlich sein können. Ausgeprägte Vermeidungsschemata fördern motivationalen Stress, da Ressourcen ineffizient genutzt werden, was die psychische Belastung erhöht.
Zu den psychischen Grundbedürfnissen zählt Grawe:
1. Selbstwert (Anerkennung, Selbstakzeptanz)
2. Bindung (zwischenmenschliche Nähe, Zugehörigkeit)
3. Kontrolle/Orientierung (Erleben von Autonomie und Handlungsspielraum)
4. Lustgewinn/Unlustvermeidung (positive Erfahrungen, Freude)

Mechanismen der Inkongruenz und ihre Folgen
Ungünstige Lebenserfahrungen, die aus belastenden Ereignissen resultieren, führen oft zu einem starken Vermeidungsverhalten. Vermeidung wird primär eingesetzt, um die Angst vor der Nichtbefriedigung der Grundbedürfnisse zu mindern, birgt jedoch hohe Kosten: Sie erfordert erheblichen Ressourcenaufwand und kann langfristig nur begrenzt erfolgreich sein. Innere Konflikte entstehen, da durch Vermeidung nicht nur negative, sondern auch positive Ziele gefährdet werden. Ein Beispiel hierfür ist eine Person, die Ablehnung vermeiden möchte und sich deshalb zunehmend an den Erwartungen anderer orientiert. Dies kann zu einem Verlust der eigenen Zielorientierung führen und die Stressbelastung deutlich erhöhen. Studien weisen darauf hin, dass die unzureichende Befriedigung psychischer Grundbedürfnisse mit reduzierter psychischer Gesundheit, insbesondere depressiven Symptomen, einhergeht (26–28).

Konsequenzen für die Therapie
Die Therapie sollte darauf abzielen, die Erfüllung aller vier Grundbedürfnisse zu verbessern, indem sie psychische und soziale Hindernisse identifiziert und bearbeitet.
Zu den relevanten therapeutischen Schritten gehören:
Identifikation psychischer Hindernisse: biografisch bedingte Schemata, insbesondere Vermeidungsziele und Konfliktschemata
Klärung und Bearbeitung ungünstiger motivationaler, kognitiver und emotionaler Prozesse: Dies ermöglicht neue Verhaltensweisen und fördert eine angemessene Bedürfnisbefriedigung.
Einbezug relevanter sozialer Faktoren: Partner und Partnerinnen, Familie oder das Arbeitsumfeld sollten in die Therapie einbezogen werden, um soziale Ressourcen zu stärken.

Diagnostische Hilfsmittel
Zur Analyse motivationaler Schemata und Inkongruenzen bieten sich zwei validierte Instrumente an: der Fragebogen zur Analyse motivationaler Schemata (FAMOS 29) und der Inkongruenzfragebogen (INK 30). Beide Fragebögen sind aufeinander bezogen. Während FAMOS die persönliche Wichtigkeit für 14 Annäherungs- und 9 Vermeidungsziele misst, erfasst INK den Grad der Diskrepanz zwischen motivationalen Zielen und deren Erreichung.

Ressourcenanalyse

Ressourcen umfassen alle individuellen Möglichkeiten, die zur Befriedigung von Grundbedürfnissen beitragen können, etwa persönliche Ziele, Wünsche, Interessen, emotionale, kognitive und soziale Kompetenzen, positive körperliche Eigenschaften, hilfreiche Verhaltensroutinen oder unterstützende soziale Beziehungen. Sie sind essenziell für die Bewältigung von Problemen und die Förderung der Resilienz. Dabei wird deutlich: Je besser vorhandene Ressourcen aktiviert und genutzt werden, desto einfacher gestaltet sich die Lösung von Problemen. Umgekehrt erschweren inaktive oder ungenutzte Ressourcen die Problembewältigung erheblich. Für eine erfolgreiche Therapie ist es deshalb entscheidend, nicht nur Problembereiche einer betroffenen Person zu erfassen, sondern gezielt individuelle Ressourcen zu identifizieren und zu fördern. Dies umfasst die Stärkung bestehender Ressourcen, das Wiederaufgreifen brachliegender Kompetenzen sowie den gezielten Aufbau neuer Ressourcen. Dennoch wird die Ressourcenaktivierung in der Praxis häufig vernachlässigt, und die Erfassung beschränkt sich oft auf oberflächliche Bereiche wie Hobbys und Freizeitaktivitäten.

Ein systematisches Vorgehen zur Erfassung von Ressourcen bietet der Ressourcenfragebogen (RES 31, 32). Er misst das subjektive Kongruenzerleben und die Ressourcenrealisierung der Patientinnen und Patienten anhand von acht Perspektiven:
– Wohlbefinden
– Selbstwertgefühl
– Positives Selbstbild
– Sinnfindung
– Soziale Unterstützung
– Krisenbewältigung
– Aktuelle Stressbewältigung
– Gegenwärtige Beziehungen
Die differenzierte Analyse hilft, gezielt Interventionsansätze zu entwickeln, die das Aktivieren von Ressourcen mit der Problembearbeitung verknüpfen (siehe auch Tab. 2a bis Tab. 2d). Ressourcenorientierte Therapieansätze fördern so nicht nur die Symptombewältigung, sondern stärken auch langfristig die Resilienz und die Selbstwirksamkeit der Betroffenen.

Zusammenfassende wirkfaktoren­gestützte Behandlungsplanung

Die wirkfaktorengestützte Behandlungsplanung verbindet das biopsychosoziale Modell, die Ressourcenanalyse und die Inkongruenzanalyse nach Grawe zu einer individuellen Fallkonzeption (Tab. 2c). Diese dient der gezielten Entwicklung patientenspezifischer Therapieangebote und optimiert dadurch die psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung. Das biopsychosoziale Modell bietet einen verständlichen Überblick aus der Perspektive der Betroffenen und eignet sich besonders für die Psychoedukation. Die ergänzende Inkongruenzanalyse ermöglicht dagegen ein vertiefteres Verstehen motivationaler Hindernisse und psychischer Konflikte und orientiert sich stärker an der Perspektive der Therapeutinnen und Therapeuten. Beide Ansätze ergänzen sich und sind ineinander überführbar. Die Forschung zur wirkfaktorengestützten Behandlungsplanung für psychische Störungen, insbesondere zur Behandlung von unipolaren Depressionen, zeigt, dass diese Ansätze viele Vorteile für die klinische Praxis und den Alltag von Betroffenen bieten. In Metaanalysen und Studien wird deutlich, dass transdiagnostische Methoden helfen, die Behandlungseffizienz und Therapiemotivation der Patientinnen und Patienten zu steigern (15, 33).

Bedeutung und Vorteile für den Alltag
Die wirkfaktorengestützte Behandlungsplanung ermöglicht es, therapeutische Ansätze zu entwickeln, die flexibel auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten sind. Es können nicht nur spezifische Symptome, sondern auch die zugrunde liegenden psychologischen Mechanismen behandelt werden, was zu einem nachhaltigeren Therapieeffekt beiträgt. Ein grosser Vorteil ist die Effizienz, da ein integrativer Fokus auf zentrale psychologische Prozesse viele Problembereiche gleichzeitig anspricht und somit durch Interventionen auf dieser Ebene ein breites Verhaltensspektrum erreicht werden kann. Obwohl die wirkfaktorengestützte Behandlungsplanung aufgrund der Vielzahl an Faktoren und der Komplexität ihrer Instrumente eine grössere Anfangsinvestition an Zeit und Ressourcen erfordert, zeigt die Forschung, dass sich dieser Aufwand langfristig auszahlt (34, 35).

Prof. Dr. med. Katja Cattapan

Chefärztin Privat-/Spezialstationen und Ambulatorien
Sanatorium Kilchberg AG
Alte Landstrasse 70
CH-8802 Kilchberg

k.cattapan@sanatorium-kilchberg.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Phosphatidylethanol in der Diagnostik und Therapie von alkoholbezogenen Störungen

Einleitung

Unter ungesundem Alkoholkonsum versteht man in der Regel die Menge, welche körperliche oder psychosoziale Schäden verursacht. Dieser reicht von übermässigem Trinken, gelegentlichem starken Trinken bis hin zu einem schädlichen Gebrauch und einer Abhängigkeit von Alkohol (1). Letztere werden gemäss dem Klassifikationssystem der ICD-11 den «Störungen durch Alkohol» im Kapitel «Störungen durch Substanzgebrauch oder Verhaltenssüchte» zugeordnet (2). In den letzten Jahren gibt es zudem eine neue Evidenz für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen konsumierter Alkoholmenge, schädlicher Wirkung und Mortalität (3). Im Gegensatz zu vielen anderen psychi­atrischen Störungsbildern ist der Einsatz von Biomarkern bei Substanzkonsumstörungen (z. B. Urintest auf Drogen) und insbesondere bei den Alkoholkonsumstörungen in Diagnostik und Behandlung im klinischen Alltag bereits etabliert (4). Bei den Alkoholkonsumstörungen werden Biomarker in der klinischen Routine häufig zu diagnostischen Zwecken zu Beginn der Behandlung eingesetzt, jedoch seltener systematisch zur Verbesserung einer Therapie genutzt (5). Alkoholbezogene Biomarker können nach unterschiedlichen Kriterien eingeteilt werden: Einerseits können sie über die Ausprägung einzelner Konsumereignisse Informationen geben und vereinfachen eine Abschätzung der konsumierten Alkoholmenge (z. B. Ethylglukuronid [EtG] im Urin). Andererseits erlaubt der Einsatz von alkoholbezogenen Biomarkern auch eine Einschätzung des Alkohol(über-)konsums im längeren Verlauf (z. B. Carbohydrat-defizientes Transferrin [CDT] im Blutserum). Eine wichtige Unterscheidung ist diejenige, ob es sich um einen direkten oder indirekten alkoholbezogenen Biomarker handelt (6). Bei Letzterem werden biologische Messwerte erhoben, die auf eine unmittelbare Gewebsschädigung (z. B. erhöhte Nachweisbarkeit von Gamma-Glutamyltransferase [GGT] im Serum) oder sekundäre Abbauprodukte von Ethanol (z. B. CDT) durch den Alkoholkonsum schliessen lassen. Bei den direkten Biomarkern hingegen werden ethanolspezifische Abbauprodukte, die nach dem Konsum von Alkohol bei der Metabolisierung im Körper entstehen, nachgewiesen (z. B. EtG im Urin, Phosphatidylethanol [PEth] im Blut). Direkte alkoholbezogene Biomarker weisen auch eine deutlich höhere Spezifität für den Nachweis von Alkoholkonsum auf und werden daher häufig bei forensischen Fragestellungen eingesetzt (z. B. Überprüfung der Fahreignung) (7, 8). Ein Überblick über die am weitesten in der Diagnostik der Alkoholkonsumstörung verbreiteten Biomarker findet sich in der Tab. 1.

Im folgenden Artikel geben wir zunächst einen kurzen Überblick über klinisch relevante direkte Alkohol-Biomarker in Diagnostik und Therapie von alkoholbezogenen Störungen. Im Anschluss möchten wir vertieft auf die Anwendung von PEth in Diagnostik und Therapie von Alkoholkonsumstörungen eingehen. Aufgrund der hohen Spezifität und Sensitivität von PEth sowie der einfachen Handhabung erscheint dieser Biomarker besonders geeignet für den klinischen Einsatz.

Direkte Biomarker im Vergleich

Ethylglucuronid (EtG)

EtG entsteht beim Abbau von Ethanol durch Glucuronidierung durch das katalysierende Enzym UDP-Glucuronosyl-Transferase. Es ist ein Nebenprodukt des Ethanolabbaus, von dem der höhere Anteil zu Acetaldehyd oxidiert wird. EtG wird bereits nach geringen Konsummengen von Alkohol erzeugt und verteilt sich im gesamten Organismus. Klinisch kann es im Urin, Serum oder in den Haaren nachgewiesen werden (9–11).

Phosphatidylethanol (PEth)

PEth ist ein Lipidmetabolit, der beim Abbau von Ethanol entsteht. Es wird bereits bei geringen Konzentrationen von Ethanol im Blut durch das Enzym Phospholipase D gebildet und in den Zellmembranen der Erythrozyten akkumuliert. Insgesamt gibt es mehr als 50 PEth-Varianten, von denen sich die PEth-Analoga 16:0/18:1 und 16:0/18:2 als Standardmarker durchgesetzt haben. PEth kann heutzutage durch kapillare Blutentnahme als Dried Blood Spot (DBS) (Trockenblutprobe) abgenommen und gelagert werden, was die klinische Handhabung sehr vereinfacht (12, 13). Weiterhin können neu entwickelte volumetrische DBS-Abnahmesysteme (DBS-V) vom Patienten selbst oder z. B. in einer Apotheke oder Arztpraxis zur Probengewinnung von Kapillarblut verwendet werden (14). Ein Überblick über Vor- und Nachteile von PEth und EtG findet sich in der Tab. 2.

Klinische Befunde zum Einsatz von PEth

Wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, kann die Entstehung und Lagerung von PEth im menschlichen Körper wissenschaftlich inzwischen gut erklärt werden. Weniger Klarheit herrscht dagegen bezüglich der Elimination und Interpretation von PEth-Konzentrationen im Blut (15). So ergaben Trinkversuche bei freiwilligen Probanden mit einem PEth-Wert unterhalb der klinischen Nachweisgrenze (< 20 ng/ml), dass ein durchschnittlicher Alkoholkonsum von etwa 78 Gramm Alkohol pro Tag über 5 Tage (entspricht etwa 6 Stangen [à 0.3 l] Bier) zu PEth-Werten im Blut von 74 bis 237 ng/ml führten (16). Die Eliminationszeit, bis PEth im Blut unter die Nachweisgrenze abgebaut wurde, variierte hingegen zwischen den einzelnen Probanden des Versuchs erheblich (zwischen drei und sechs Tagen). PEth-Werte im Blut von Patienten mit regelmässig exzessivem Alkoholkonsum variieren ebenfalls erheblich und lassen nur eingeschränkt Rückschlüsse auf vorangegangene kumulative Trinkmengen zu (17). So fanden sich in einer Kohorte von Patienten, die zu Beginn eines stationären Alkoholentzugs untersucht wurden, grosse Unterschiede bei den PEth-Werten mit einer Bandbreite von 20 bis zu mehr als 2500 ng/ml ohne signifikante Korrelation mit den angegebenen Trinkmengen. Auch die Zeit, bis definierte PEth-Cut-off-Werte erreicht wurden, variierten zwischen einer und mehr als sechs Wochen, abhängig von der PEth-Konzentration zu Beginn einer Abstinenz (18). In einer anderen Studie wurde bei alkoholabhängigen Patienten die tägliche Konsummenge Alkohol über einen Zeitraum von 14 Tagen erhoben. In der anschliessenden Messung der Biomarker wies PEth im Vergleich zu CDT und GGT die höchste Sensitivität (99 %) sowie die höchste Korrelation zur Trinkmenge auf (19).

Um nach längerer Abstinenz und negativen PEth-Konzentrationen erneut eine PEth-Konzentration im Blut über dem Grenzwert von 20 ng/ml zu erreichen, muss einmalig eine Mindesttrinkmenge aufgenommen werden, die zu einer Blutalkoholkonzentration von ca. 0.6 bis 0.75 g/kg (Promille) führt. Dies konnte in Trinkversuchen mit kleinen Trinkmengen gezeigt werden, wobei dann die Nachweisbarkeit bei ca. 1–2 Tagen lag (14, 20).

Aufnahme von Spuren von Alkohol (z. B. durch Einatmen bei der Händedesinfektion oder Ähnliches) sind deshalb eher unwahrscheinlich als Ursache für einen positiven PEth-Wert.

Um eine Abstinenz zu monitoren, kann eine Verlaufskontrolle der PEth-Konzentration im Blut im Abstand von ca. 3–4 Wochen mittels Kapillarblutanalyse genutzt werden.

In der Abbildung werden beispielhafte Verläufe von PEth- Konzentrationen im Blut bei Abstinenz und bei Trink­ereignissen gezeigt (Abb. 1).

Inzwischen ist auch eine App verfügbar, mit der gegebenenfalls eine Abstinenz bestätigt oder bei auffälligem PEth-Konzentrationsverlauf angezweifelt werden kann (https://peth.shinyapps.io/Kathleen/). Das zugrunde liegende Kinetikmodell wurde in einer Studie in Belgien anhand von ca. 800 Versuchspersonen entwickelt. Voraussetzung ist dabei, dass wiederholt quantitative Analysen mittels LC-MS/MS im Abstand von ca. 3–4 Wochen durchgeführt werden, da PEth eine terminale Eliminationshalbwertszeit von bis zu 14 Tagen aufweist (21).

Obwohl PEth eine hohe Spezifität und Sensitivität für Ethanol aufweist, kann die Bestimmung eines Biomarkers allein nicht die klinische Diagnose einer Abhängigkeit oder eines schädlichen Gebrauchs ersetzen. Das bekannteste Instrument hierfür ist der von der WHO empfohlene Alcohol Use Disorder Identification Test (AUDIT), der weltweit und nicht nur in Studien als Standard eingesetzt werden sollte. Die Ergebnisse mehrerer klinischer Studien, die den Zusammenhang von (indirekten) Biomarkern, PEth und AUDIT-Scores untersucht haben, kommen daher zu dem Schluss, dass der Goldstandard in der Diagnostik von Alkoholkonsumstörungen in der komplementären Information von PEth und einem klinischen Test liegen sollte, da sich subjektive Angaben zu Trinkmengen in der Regel als unzuverlässig erwiesen haben (22–24).

Da die Erforschung und der Einsatz von PEth in der klinischen Medizin stetig zugenommen haben, konnten in den letzten Jahren in einer internationalen wissenschaftlichen Konsensusgruppe gültige Referenzwerte für den Einsatz von PEth in Diagnostik und Therapie etabliert werden (Tab. 3) (25).

Diese erlauben es jetzt, valide klinische Einschätzungen des Alkoholkonsums im Langzeitverlauf abzugeben, vergleichbar etwa mit dem Einsatz von HbA1C in der Behandlung und Monitorisierung bei der Therapie eines Diabetes mellitus in der Inneren Medizin. In mehreren europäischen (z. B. Schweden) und nicht europäischen Ländern ist PEth inzwischen ein fester Bestandteil der klinisch eingesetzten Laborwerte für die diagnostische und therapeutische Anwendung im Praxisalltag (26).

PEth zur Verbesserung der Therapie von ­Alkoholkonsumstörungen

Die Therapie von Alkoholkonsumstörungen stellt die Behandler immer wieder vor komplexe Herausforderungen und Fragestellungen. Die spezifischen und evidenzbasierten Therapieempfehlungen hierzu findet man in der seit Jahren im deutschsprachigen Raum etablierten S3-Leitlinie Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen (27). Darin wird der Einsatz von PEth als direkter Zustandsmarker mit einem hohen Empfehlungsgrad A (Sollempfehlung) in verschiedenen Kontexten (Hausarztpraxis, stationäre Aufnahme, Notaufnahme, präoperatives Screening, Intensivstation) empfohlen. Dass der Einsatz von PEth mit einer Qualitätsverbesserung in der Behandlung einhergehen kann, zeigte eine klinische Studie bei Patienten mit Alkoholkonsumstörung. Darin wurde PEth zur Verlaufskontrolle während einer Therapie eingesetzt und die Werte den Teilnehmenden regelmässig zurückgemeldet. Im Verlauf der Behandlung konnte mittels Messung der PEth-Werte eine zunehmende Validität der Angabe subjektiver Trinkmengen erreicht werden (28). Die Behandlung alkoholbezogener Störungsbilder stellt die therapeutische Fachperson jedoch auch vor spezielle He­rausforderungen hinsichtlich der Kommunikation und des individuellen Umgangs mit den Betroffenen. Die weiterhin hohe gesellschaftliche Stigmatisierung von Menschen mit Alkoholproblemen und die damit verbundenen negativen Emotionen (Scham, Schuld) können die Gesprächsführung und den Zugang zum Patienten im medizinischen Kontext deutlich erschweren. Dies insbesondere auch im Vergleich zu anderen Krankheitsbildern, die in der allgemeinen internistischen Medizin sonst behandelt werden (z. B. Diabetes, arterielle Hypertonie). Dass der Einsatz von PEth nicht nur zu einer Optimierung der medizinischen Versorgung führen kann, sondern auch eine deutliche Verbesserung für die ärztliche Kommunikation im Umgang mit Patienten mit Alkoholkonsumstörungen bedeutet, zeigte eine im hausärztlichen Kontext in Schweden durchgeführte Studie: In einem qualitativen Studiendesign erhielten mehrere Hausärzte die Möglichkeit, PEth gezielt bei der Diagnostik und Behandlung der arteriellen Hypertonie in ihrer Praxis einzusetzen (29). Anschliessend nahmen sie gemeinsam an Fokusgruppeninterviews teil, in denen sie zu ihren Erfahrungen im Einsatz von PEth strukturiert befragt wurden. Unter anderem wurde erfragt, wie Hausärzte im Allgemeinen das Thema Alkohol ansprechen, wie der Einsatz von PEth den Dialog mit den Betroffenen ändert und wie die Patienten reagieren, wenn PEth in der Behandlung eingesetzt wird. Darüber hinaus wurden weitere fachspezifische Fragen zur Behandlung der arteriellen Hypertonie sowie zum Erfahrungshorizont der Hausärzte beim Thema Alkohol thematisiert. Als Ergebnis stellten die teilnehmenden Allgemeinmediziner fest, dass PEth die eigenen Routinen bei der Identifizierung von und im Umgang mit gefährlichem Alkoholkonsum geändert und verbessert hatte. Insbesondere erleichterte der Einsatz von PEth den Dialog mit den Patienten über das Thema Alkohol sowie die Beurteilung, ob Alkohol zum hohen Blutdruck beitrug. Die Schwelle, den Alkoholkonsum anzusprechen, wurde reduziert und normalisiert, die Patienten reagierten selten negativ auf den Einsatz von PEth in der Behandlung. Alle an der Studie beteiligten Hausärzte befürworteten eine routinemässige Anwendung von PEth in der Primärversorgung und bewerteten den Einsatz des Biomarkers als sehr hilfreich. Charakteristische Aussagen einiger teilnehmender Ärzte sind in der Tab. 4 zusammengefasst.

Wie der zielgerichtete Einsatz von PEth die Behandlung von alkoholbezogenen Störungsbildern sowohl in der Kommunikation mit dem Patienten als auch in der Diagnostik und im longitudinalen Verlauf der Behandlung verbessert, zeigt ein der klinischen Praxis entnommenes Fallbeispiel.

Fallbeispiel

Ein 48-jähriger verheirateter und selbständig als Malermeister und Betriebsinhaber arbeitender Familienvater kommt zum jährlichen Check-up in Ihre Hausarztpraxis. Der Patient ist Nichtraucher, nimmt keine Medikamente ein und ist körperlich gesund, Grösse 180 cm, Körpergewicht 85 kg. Spontan äussert der Patient keine Beschwerden. Die Routineparameter sind unauffällig (Blutbild, HbA1C, EKG), lediglich die Blutdruckwerte sind nach mehrmaliger Messung erhöht (RR 149/83 mmHg). In der weiteren Anamnese berichtet der Patient, dass er viel Stress habe, sich häufig erschöpft fühle und zwischenzeitlich an Ein- oder Durchschlafstörungen leide. Vor einigen Tagen habe er sich unwohl gefühlt und sich einmalig übergeben müssen. Sie entscheiden daraufhin, weitere Laborparameter abzunehmen (AST, ALT, GGT, CRP, Elektrolyte) und ihn in einer Woche wieder einzubestellen. Bis zum Termin soll er zweimal täglich den Blutdruck messen und ein Protokoll über die Werte führen.

Nach einer Woche erscheint der Patient im Gesundheitszustand unverändert bei Ihnen, die gastrointestinalen Beschwerden sind sistiert. Die protokollierten Blutdruckwerte sind weiterhin durchgehend erhöht. Im Labor zeigt sich eine leicht erhöhte Gamma-GT, sonst ist der Laborbefund blande. Sie befragen den Patienten nach regelmässigem Alkoholkonsum. Dieser gibt darauf zu Protokoll, dass er unregelmässig abends nach der Arbeit ein bis zwei Feierabendbiere trinke und hin und wieder mal auch einen Whisky. Im von Ihnen durchgeführten AUDIT-Test erreicht er einen Score von 8 (Hinweis auf schädlichen Gebrauch von Alkohol). Sie schlagen dem Patienten daraufhin vor, einen PEth-Wert im Blut bestimmen zu lassen, um den Alkoholkonsum zu objektivieren. In der nächsten Sitzung besprechen Sie mit ihm das Ergebnis des PEth-Tests (234 ng/ml). Sie erklären dem Patienten, dass der Wert Hinweise auf einen chronisch erhöhten Alkoholkonsum ergibt. Nach Mitteilung des Ergebnisses bleibt der Patient zunächst still, öffnet sich im weiteren Verlauf aber zunehmend und berichtet, dass er wohl in letzter Zeit zunehmend mehr Alkohol am Abend konsumiert habe, einfach weil er befürchtet habe, sonst nicht einschlafen zu können, und dass er bereits darüber nachgedacht habe, den Konsum zu reduzieren. Sie informieren den Patienten, dass die erhöhten Blutdruck- und Leberwerte möglicherweise auf den Alkoholkonsum zurückzuführen seien, und motivieren ihn, sich bezüglich des Alkoholkonsums Ziele zu setzen. Nach der Intervention entscheidet sich der Patient, in Zukunft kontrollierter Alkohol zu trinken und gegen eine komplette Abstinenz. Sie unterstützen den Patienten dabei, Strategien zur Erreichung seiner Ziele zu erarbeiten und vereinbaren einen Kontrolltermin in drei Wochen. Am Kontrolltermin nehmen Sie erneut eine Kapillarblutprobe (oder Venenblutprobe) zur PEth-Bestimmung ab, die schliesslich einen PEth-Wert von 98 ng/ml ergibt. Sie loben den Patienten, da er seine Ziele einer Konsumreduktion erreicht hat und zudem die durchschnittlichen Blutdruckwerte ebenfalls gesunken sind. Sie vereinbaren mit dem Patienten erneut Ziele bezüglich des Alkoholkonsums und stellen ihn für weitere Kontrolltermine ein, bei denen der PEth-Wert regelmässig kontrolliert wird.

Zusammenfassung

Zusammengefasst stellten wir in dem vorliegenden Übersichtsartikel am Beispiel von PEth die Verbesserungen dar, die in der Behandlung alkoholbezogener Störungen erzielt werden können, wenn direkte Biomarker in der klinischen Routine zielführend eingesetzt werden. Die Bestimmung von PEth wird dadurch vereinfacht, dass inzwischen kapilläre Blutentnahmen und einfache Lager- und Transportmöglichkeiten mittels Dried Blood Spots zur Verfügung stehen (14). In der Schweiz werden die Analysen von Blutproben (Venenblut oder Kapillarblut als DBS) inzwischen für klinische und forensische Anwendungen von einzelnen Laboren und flächendeckend von einschlägigen Labordienstleistern angeboten. Da die Kosten von den Patienten selbst getragen werden müssen und nicht von Tarmed abgegolten werden (bzw. nicht auf der Analysenliste des BAG aufgeführt sind), gibt es noch Hindernisse finanzieller Art. Eine am Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern angesiedelte Arbeitsgruppe bemüht sich momentan da­rum, die Anwendung von PEth in der allgemeinen Hausarztmedizin zu etablieren sowie einen Antrag für eine allgemeine Kostenerstattung im Rahmen von Tarmed beim Bundesamt für Gesundheit einzureichen.

PD Dr. med. Philippe Pfeifer

Universitäre Psychiatrische Dienste Bern (UPD)
Bolligenstrasse 111
3000 Bern 60

philippe.pfeifer@upd.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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