Eizellspende in der Schweiz

Es ist Zeit, dass die Eizellspenden-Behandlung auch in der Schweiz zugelassen wird und für Schweizer Paare in der Schweiz zugänglich ist. Die medizinischen, rechtlichen und ethischen Risiken sind aufgrund langjähriger internationaler Erfahrungen bei Einhaltung internationaler Guidelines und einer umsichtigen gesetzlichen Regelung gering.

It is time that egg donation treatment is also legally permitted in Switzerland and is accessible to Swiss couples in Switzerland. The medical, legal and ethical risks are low based on many years of international experience, provided international guidelines are adhered to and prudent legal regulations are in place.
Key words: egg donation treatment, risks, international guidelines, prudent legal regulations

Einleitung

Aktuell wird die Revision des Schweizer Fortpflanzungsmedizingesetzes vorbereitet, die das Ziel hat, die Eizellspenden-Behandlung auch in der Schweiz zuzulassen.

Die Eizellspenden-Behandlung ist eine Methode der Fortpflanzungsmedizin, um Frauen zu einem Kind zu verhelfen, die keine oder keine befruchtungsfähigen Oozyten mehr haben. Das Anti-Müller-Hormon (AMH) als Surrogatparameter für die Follikelreserve ist meist nicht oder nur noch in geringsten Konzentrationen im Serum nachweisbar. Es handelt sich somit um eine primäre hypergonadotrope Ovarialinsuffizienz, die bei Frauen unter 40 als prämature Ovarialinsuffizienz (POI) bezeichnet wird und vor einer Therapie einer Abklärung bedarf (1).

Die häufigste Ursache für eine POI sind die erfreulicherweise immer erfolgreicheren Chemotherapien, die bei jungen Frauen mit einer malignen Tumorerkrankung angewendet werden müssen. Diese aggressiven Behandlungen zerstören nicht nur die Tumorzellen, sondern unwiederbringlich meist auch den gesamten hochempfindlichen Oozytenpool. Auch mit zunehmendem Fertilitätsalter nimmt die Zahl befruchtungsfähiger Oozyten ab, und die Eizellreserve versiegt mit der Menopause, der letzten spontanen Menstruationsblutung.

Nicht selten wird die Eizellspenden-Behandlung mit der Leihmutterschaft verwechselt. Im Unterschied zur Eizellspenden-Behandlung wird die Leihmutterschaft als medizinische Indikation dann angewendet, wenn Frauen mit Kinderwunsch keinen oder keinen funktionsfähigen Uterus haben.

Rechtliche und politische Situation

Es ist allgemein bekannt, dass die Eizellspenden-Behandlung in der Schweiz (noch) nicht zugelassen ist. Immerhin ist die Eizellspenden-Behandlung nicht auf Verfassungs-, sondern nur auf Gesetzesstufe verboten (eidgenössisches Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG Art. 4). Im Unterschied zu Verfassungsänderungen, die dem obligatorischen Referendum unterstehen, ist die Gesetzesrevision zur Zulassung der Eizellspende-Behandlung nur von einem fakultativen Referendum betroffen. Zudem würde bei einer allfälligen Volksabstimmung ein Volksmehr genügen. Bei einer Verfassungsänderung wäre auch die Zustimmung einer Mehrheit der Kantone nötig.

Eine repräsentative Umfrage des Instituts GfK aus dem Jahre 2017 zeigt die breite Akzeptanz der Eizellspenden-Behandlung. So befürworten 61 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer die Zulassung der Eizellspenden-Behandlung, nur 18 Prozent sind dagegen und 21 Prozent unschlüssig (2). Die Zulassung der Eizellspende wird auch von der Nationalen Ethikkommission NEK unterstützt, die die aktuelle Ungleichbehandlung von Spermien-spende und Eizellspende als diskriminierend empfindet.

Die Eizellspende ist in den USA und in über zwanzig Staaten der Europäischen Union zugelassen. Unter anderem in Frankreich, Grossbritannien, Spanien, Holland, Belgien und in Österreich – in all diesen Ländern können Paare von einer Technik profitieren, die teilweise schon seit über 30 Jahren durchgeführt wird.

Dafür, dass die Eizellspenden-Behandlung in der Schweiz verboten ist, gibt es juristische und medizinische Gründe. Die Schweizer Gesetzgebung basiert auf dem römischen Recht, das den Grundsatz kennt «Mater semper certa est». Es gehört also zur Eigenheit der Menschheitsgeschichte, dass die Mutter ihrem Kind immer auch ihre Gene mitgibt, was beim sozialen Vater traditionell nicht unbedingt der Fall ist. Auf diesen «natürlichen» Gegebenheiten beruht das Schweizer FMedG. Deswegen blieb auch im revidierten FMedG von 2017 die Eizellspenden-Behandlung verboten. Allerdings könnte man sich schon überlegen, nach 2000 Jahren von diesem Grundsatz abzurücken und so die Einführung der Eizellspenden-Behandlung auch in der Schweiz zu ermöglichen.

Aus politischer Sicht ergibt ein Verbot der Eizellspende wenig Sinn, denn simple Verbote haben in der Schweiz selten zum Ziel geführt. Die Schweiz hat stattdessen gute Erfahrungen damit gemacht, solche medizinischen Methoden den Schweizer Patientinnen und Patienten unter strikten Rahmenbedingungen, die Missbräuche verhindern, zugänglich zu machen.

Die Schweizer Politik hat sich bereits mehrfach mit dem Thema der Eizellspenden-Behandlung beschäftigt. Eine im Jahre 2014 eingereichte parlamentarische Initiative zur Zulassung der Eizellspende (Jacques Neyrinck, VD, Mitte) wurde zunächst von der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur WBK des Nationalrats angenommen, dann jedoch abgeschrieben. Dies allerdings nicht wegen inhaltlicher Vorbehalte, sondern aus Verfahrensgründen. Damals wurde vermerkt, dass das Abschreiben keineswegs ein Nein zur Eizellspende bedeute. 2016 forderte zudem die Jugendsession eine Legalisierung der Eizellspende. Eine erneute parlamentarische Initiative lancierte Katja Christ (BS, GLP), welche 2022 erfreulicherweise sowohl von National- und Ständerat angenommen wurde. Der Bundesrat hat damit den Auftrag, eine Revision des FMedG zur Zulassung der Eizellspenden-Behandlung in der Schweiz auszuarbeiten.

Auch die medizinischen Fachgesellschaften sind überzeugt, dass die Zeit gekommen ist, die Eizellspende in der Schweiz zuzulassen. Sowohl die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) als auch die Schweizerische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (SGRM) unterstützen klar die Zulassung der Eizellspenden-Behandlung in der Schweiz.

Vorgehen

Technisch läuft die Eizellspenden-Behandlung analog der breit bekannten In-Vitro-Fertilisations-Behandlung ab. Dabei werden die Ovarien einer Spenderin mit natürlichem FSH stimuliert, um die gleichzeitige Reifung mehrerer Oozyten zu erreichen. Nach rund zwei Wochen werden die Eizellen transvaginal unter Ultraschallkontrolle meist in einer kurzen Propofolnarkose entnommen. Während früher eine genaue Synchronisierung der Zyklen von Spenderin und Empfängerin nötig war, können die unbefruchteten Oozyten heute problemlos kryokonserviert werden (Abb. 1). Wenn eine geeignete Empfängerin eruiert werden kann, werden die Eizellen aufgetaut, mit den Spermien – üblicherweise des Part-ners – inseminiert und nach Fertilisierung und Teilung meistens als Blastozyste ins Cavum uteri der Empfängerin transferiert. Beim Matchen von Spenderin und Empfängerin werden in der Regel Augen- und Hautfarbe sowie die Blutgruppe berücksichtigt.

Es gibt verschiedene Spendemöglichkeiten. Bisher im Vordergrund stand die altruistische Eizellspende. Dabei unterzieht sich eine Frau ausschliesslich zum Zweck der Eizellspende einer hormonellen Stimulation und Eizellentnahme. Optimalerweise haben diese Frauen schon selbst Kinder und sind in einem hochfertilen Alter, d.h. we-niger als 35 Jahre alt. Die Häufigkeit dieser Spendeart variiert in verschiedenen Kulturen markant. Nicht zuletzt deswegen ist Spanien – bekannt für seine grosse Organspendebereitschaft – ein Mekka der Eizellspenden-Behandlungen. Da die Belastung der Eizellspenderin unvergleichlich grösser ist als diejenige eines Samenspenders muss die finanzielle Kompensation klar höher ausfallen als nur die Entschädigung der Spesen wie beim Samenspender.

Beim «Egg Sharing» führt eine Frau dieselbe Behandlung durch, allerdings mit dem primären Ziel ihren eigenen Kinderwunsch zu erfüllen. Fallen in diesem Zusammenhang mehr als die dafür benötigten Oozyten an, kann die Patientin diese Eizellen an eine Empfängerin abgeben. Finanziell entschädigt wird die Spenderin in der Regel in der Form, dass ihr die Kosten für die eigene Kinder- wunschbehandlung (teilweise) erlassen werden.
Neuerdings interessieren auch die Oozyten des Social Egg Freezings. Denn es scheint so, dass viele Frauen, die ein Social Freezing durchgeführt haben, ihre kryokonservierten Eizellen aus verschiedensten Gründen dann doch nicht benötigen. Alternativ zur Vernichtung können diese überzähligen Eizellen Eizellspenden-Behandlungen zur Verfügung gestellt werden.

Ethische Aspekte

Das Verbot der Eizellspende stellt nicht nur aus juristischer, sondern auch aus ethischer Sicht eine Diskriminierung dar, wie die Nationale Ethikkommission in ihrer Stellungnahme aus dem Jahre 2013 betont. Denn die Spermienspende ist seit längerer Zeit in der Schweiz zugelassen.
Eine Eizellspende ist aus medizinischer Sicht nicht mit einer Spermienspende vergleichbar. Während die Spermienspende für den Spender völlig risikolos ist – sie ist mit einer einfachen Samenabgabe verbunden –, muss sich bei einer Eizellspende die Spenderin während rund zwei Wochen einer Hormonbehandlung unterziehen und die Eizellen müssen anschliessend mit einem operativen Eingriff gewonnen werden. Beides ist mit zwar seltenen, aber doch vorhandenen Komplikationsrisiken verbunden (ovarielles Hyper-stimulationsyndrom, Blutungen und Infektionen). Entsprechend höher ist der Schutzbedarf der Spenderin, der im Ausland nicht immer gewähreistet ist und dem bei einer Zulassung in der Schweiz Rechnung getragen werden muss. Auch wenn die finanzielle Kompensation wegen der grösseren Behandlungsbelastung bei der Eizellspende klar höher sein muss als bei der Spermienspende, muss sichergestellt werden, dass sich eine Frau nicht aus ökonomischer Motivation einer Eizellspende unterzieht. Dies kann mit der gesetzlichen Fixierung einer maximalen Zahl von Spendezyklen gewährleistet werden.
Bei der Empfängerin ist zu berücksichtigen, dass das zunehmende mütterliche Alter mit einer Zunahme von Schwangerschaftskomplikationen wie Präeklampsien verbunden ist. Dieses Präeklampsie-risiko ist zusätzlich erhöht bei einer Eizellspenden-Schwangerschaft (3). Deswegen macht es Sinn, die Eizellspenden-Behandlung bei der Empfängerin altersmässig zu begrenzen, beispielweise beim natürlichen Menopausenalter von 50 Jahren, und über 40 nur durchzuführen, wenn keine erhöhten kardiovaskulären Probleme vorliegen, die das Präeklampsierisiko noch weiter ansteigen lassen.

Da die Eizellspende in der Schweiz verboten ist, reisen jedes Jahr Hunderte von Schweizer Paaren ins Ausland, typischerweise nach Spanien und zunehmend aus Kostengründen auch nach Tschechien. Die Behandlung ist teuer und muss von den Paaren selbst bezahlt werden, was dazu führt, dass sich nur wohlhabende Paare eine Behandlung leisten können. Ausländische Zentren locken die Paare mit eindrücklichem Marketing an. Dabei gibt es seriöse, aber auch weniger seriöse Kinderwunschzentren, die für Laien kaum voneinander unterschieden werden können. Immer wieder kehren schwangere Frauen aus dem Ausland zurück, die unter den Folgen einer fehlerhaften Behandlung leiden. Meist ist in den Schweizer Spitälern nicht erkennbar, wo und unter welchen Umständen eine Schwangerschaft entstanden ist. Am ehesten wahrnehmbar ist das bei über 45-jährigen Müttern mit mehrlingsbedingten Hochrisikoschwangerschaften. Solche Schwangerschaften sind nicht nur von grosser Tragik, da sie bleibende Schäden bei Mutter und Kind hinterlassen können. Sie verursachen auch hohe Kosten für die benötigte medizinische Versorgung in der Schweiz, die nicht nur die Betroffenen belasten, sondern auch die Schweizer Bevölkerung über die Krankenkassenprämien und als Steuerzahler mitzutragen haben.

Zusammenfassend darf gesagt werden, dass die medizinischen, rechtlichen und ethischen Risiken einer Eizellspenden-Behandlung gering sind. Die Eizellspenden-Behandlung sollte deshalb auch in der Schweiz zugelassen werden.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Prof. em. Dr. med. Bruno Imthurn

Senior Consultant Kinderwunschzentrum
360° Zürich

bruno.imthurn@uzh.ch

Der Autor hat deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.

◆ Die Eizellspenden-Behandlung muss auch in der Schweiz zugelassen werden und für Schweizer Paare auf Schweizer Boden zugänglich sein.
◆ Eine klare Mehrheit der Schweizer Einwohnerinnen und Einwohner befürwortet die Zulassung der Eizellspenden-Behandlung in der Schweiz.
◆ Die Eizellspenden-Behandlung wird in den USA und in über zwanzig Staaten der Europäischen Union teilweise schon seit Jahrzehnten praktiziert.
◆ Die medizinischen, rechtlichen und ethischen Risiken sind bei Einhaltung internationaler Guidelines und einer umsichtigen gesetzlichen Regelung gering.

1. European Society for Human Reproduction and Embryology (ESHRE) Guideline Group on POI. ESHRE Guideline: management of women with premature ovarian insufficiency. Hum Reprod. 2016 May;31(5):926-37.
2. IBSA Foundation for Scientific Research. Elternschaft in der Schweiz – Studie zur Fruchtbarkeit/Unfruchtbarkeit. Herausgeber: Carocci editori, Rom, Italien. 2017;43-71.
3. Blázquez A, García D, Rodríguez A, Vassena R, Figueras F, Vernaeve V. Is oocyte donation a risk factor for preeclampsia? A systematic review and meta-analysis. J Assist Reprod Genet. 2016;33:855-63

Update zum Screening auf Präeklampsie

Die Präeklampsie ist eine gefürchtete Schwangerschaftskomplikation ohne Therapieoption ausser der Entbindung. Entsprechend sind Screening und präventive Massnahmen von grosser Bedeutung. Bekannt sind das Screening nach anamnestischen Risikofaktoren sowie das kombinierte Screening der FMF London. Zunehmend wird das Screening im ersten Trimenon und die Verordnung von Aspirin bei Risikoschwangerschaften in die Schwangerenvorsorge integriert, jedoch bleibt die Präeklampsie am Termin ein ungelöstes Problem. Neue Studien zeigen, dass ein Screening in der 35-36. SSW mit gezielter Einleitung ab 37. SSW das Risiko der Termin-Präeklampsie signifikant reduzieren könnte.

Pre-eclampsia is a dreaded pregnancy complication with no treatment options other than delivery. Accordingly, screening and preventive measures are of great importance. Screening for anamnestic risk factors and combined screening of the FMF London are well known. Increasingly, screening in the first trimester and the prescription of aspirin for high-risk pregnancies are being integrated into antenatal care, but pre-eclampsia at term remains an unresolved problem. New studies show that screening at 35-36 weeks’ gestation with targeted induction from 37 weeks’ gestation could significantly reduce the risk of pre-eclampsia at term.
Key Words: Pre-eclampsia screening, prevention, therapy

Einleitung

Weltweit liegt die Inzidenz der Präeklampsie (PE) bei 2-8% aller Schwangerschaften. Ca. 1% aller Schwangerschaften werden wegen einer frühgeburtlichen PE (preterm PE, pPE) vor der 37 Schwangerschaftswoche (SSW) entbunden (1). Nebst der unmittelbaren Gefährdung von Mutter und Kind, haben Frauen nach einer PE ein zwei- bis fünffach erhöhtes Risiko kardiovaskuläre Langzeitfolgen zu entwickeln. Fetal ist das Risiko von intrauterinen Wachstumsretardierung, Frühgeburt und intrauterinen Fruchttodes erhöht; Im späteren Leben hat das Kind ein höheres Risiko kardiovaskuläre Langzeitfolgen oder ein metabolisches Syndrom zu entwickeln (2). PE definiert sich als Hypertonie (systolischer Blutdruck ≥140mmHg und/oder diastolischer Blutdruck ≥90mmHg nach 20 SSW) kombiniert mit mindestens einem der folgenden Kriterien: Proteinurie, maternale Organdysfunktion (Niere, Leber, Lunge, hämatologische oder neurologische Beteiligung) und/oder fetale Wachstumsrestriktion (1). Da es keine Therapie für die PE gibt und nur die Entbindung die akute Problematik für Mutter und Kind löst, sind präventive Strategien essenziell. Die Prävention mit niedrig dosiertem Aspirin (low dose aspirin, LDA), begonnen vor der 16 SSW ist die einzig effektive Massnahme zur Verhinderung der pPE (3). Wichtig ist das Screening auf pPE im ersten Trimenon mittels kombiniertem Ersttrimesterscreening. Während die schwerste Morbidität mit der pPE assoziiert ist, sind deutlich mehr Schwangerschaften von einer Termin-PE (tPE) betroffen. Präventive Massnahmen mit LDA oder auch mit Statinen sind gemäss heutiger Studienlage ineffektiv, so dass mittels rechtzeitiger Entbindung die tPE zu verhindern ist (3, 4).

Ersttrimester-Screeningmethoden im Vergleich

Beim Screening nach NICE (National Institute of clinical excellence) und ACOG (American College of Obstetrics and Gynaecology) wird eine Risikoschwangerschaft definiert, wenn mindestens ein schwerer oder mindestens zwei moderate Risikofaktoren (RF) vorliegen (5). Als schwere RF zählen chronischer Bluthochdruck, chronische Nierenerkrankung, systemischer Lupus erythematodes, Antiphospholipid-Syndrom, vorbestehender Diabetes mellitus sowie eine hypertensive Schwangerschaftserkrankung in der Vorgeschichte; Primigravidität, Alter der Mutter >40 Jahren, ein BMI bei der Erstkonsultation >35 kg/m2, Mehrlingsschwangerschaften, eine positive Familienanamnese für PE und ein Schwangerschaftsintervall von >10 Jahren gelten als moderate RF (5;6). Beim kombinierten Screening werden anamnestische Risikofaktoren mit dem mittleren arteriellen Druck (MAP), dem mittleren Pulsatilitätsindex (PI) der Arteria uterinae sowie dem Biomarker placental growth factor (PlGF) zwischen 11+0 und 14+0 SSW kombiniert (7). Tabelle 1 zeigt die Screeningmethoden im Vergleich. Die ASPRE-Studie bewies, dass LDA bei guter Compliance das pPE-Risiko um 62-75% reduziert, wenn LDA vor 16 SSW und in einer Dosierung von 150mg eingenommen wird (9). Eine letzte Metaanalyse bestätigt, dass nur diese Art der LDA-Verschreibung, 150mg begonnen vor 16 SSW, das pPE-Risiko senkt (10). Während ACOG und NICE an einem Screening mit anamnestischen RF festhalten, empfehlen die FIGO (International Federation of Gynecology and Obstetrics) und die ISSHP (International Societey for Study of Hypertension in Pregnancy) das kombinierte Ersttrimesterscreening, mit der Option, bei limitierten Ressourcen ein zweizeitiges Screening anzubieten (1;2;8;11). Der Expertenbrief der SGGG empfiehlt weiterhin beide Screeningmethoden (2).

Zur Frage vom Cut-Off

Die ASPRE-Studie benutzte einen Cut-Off von >1:100 um eine Risikoschwangerschaft zu definieren. An diesen halten sich Guidelines und der SGGG-Expertenbrief (2;9). Allgemein akzeptiert ist, dass ein Screeningtest eine Falsch-positiv-Rate (FPR) von 10% nicht überschreiten sollte. Die Detektionsrate (DR) hängt direkt von der FPR ab. In den meisten Studien der FMF London findet sich eine FPR aber eher bei einem Cut-Off von >1:70 (12;13;14). Auch die Daten aus der Schweiz zeigen bisher, dass der Cut-off >1:100 zu einer zu hohen FPR führt. Zudem konnte in einer Berner Studie gezeigt werden, dass nicht mehr pPEs auftreten, wenn man den Cut-off auf 1:70 senkt (16;17). Nach Abschluss der aktuellen IPSISS-Studie, ist anzunehmen, dass der Expertenbrief bezüglich des geltenden Cut-Offs für die Schweiz angepasst wird.

Neuere Screeningmarker

Die A. ophthalmica (Abbildung 1) wird am besten mit einer 7.5 MHz-Linearsonde gedopplert. Das Flussmuster weist zwei systolische Peaks auf. Im zweiten und dritten Trimenon zeigte sich, dass die Ratio dieser beiden PSV (peak systolic velocity, Maximalge­schwindigkeit) ein nützlicher PE-Marker ist (18;19). Kleinere Studien zeigten auch einen prädiktiven Wert in der alleinigen Messung der PSV des zweiten Peaks, dies konnte aber im grösseren Kollektiv nicht bestätigt werden (20). Der Doppler der A. ophthalmica wurde auch im ersten Trimenon untersucht und es wurde fest-gestellt, dass die PSV-Ratio beim Screening auf pPE ein guter prädiktiver Wert ist (21). Die Resultate sind noch von einem grösseren Kollektiv zu bestätigen (19). Während der direkte Zusammenhang zwischen einer gestörten Plazentaimplantation und einem erhöhten Widerstand in den A. uterinae einleuchtet, weist ein verändertes Flussmuster in der A. ophthalmica eher auf eine kardiovaskuläre Grundproblematik hin (22). Das glykosylierte Fibronectin (GlyFn) ist ein anderer vielversprechender Marker, der bei präeklamptischen Patientinnen erhöht ist (23;24). Eine Studie zeigte, dass die Vorhersagekraft für eine PE innerhalb von 2 Wochen nach der GlyFn-Untersuchung ähnlich hoch war wie die von PlGF und dem sFLT-1 / PlGF-Ratio, mit einer Entdeckungsrate von etwa 75 %, bei einer FPR von 42 % (25). Allerdings dürften weder GlyFn noch angiogene Faktoren die Behandlung von Frauen mit chronischem Bluthochdruck verbessern, da ihre Vorhersagekraft für eine überlagernde PE gering sind (25;26).

Risikobewertung bei Zwillingsschwangerschaft

Die Gesamtinzidenz von PE bei Zwillingsschwangerschaften ist mit 9% etwa dreimal so hoch wie bei Einlingsschwangerschaften (27;28). Unklar ist, ob LDA bei Gemini-Schwangerschaften denselben Nutzen in der Prävention der pPE aufweist wie bei Einlingsschwangerschaften. Es gibt Hinweise, dass auch hier der Nutzen Dosis-abhängig ist (28; 29; 30). Wie auch bei Einlingsschwangerschaften erzielt man im Screening bei Zwillingsschwangerschaften die besten Resultate mit der Kombination aus anamnestischen Risikofaktoren, MAP, UtA-PI und PlGF, ohne zusätzlichen Benefit durch die Bestimmung von PAPP-A (pregnancy-associated plasma protein A) (27;28). Die Performance des Screenings ist aber deutlich schlechter: um eine DR von 75% zu erzielen muss die FPR von 40% anstatt 10% akzeptiert werden (28;29). Das PE-Screening von Zwillingsschwangerschaften und der Nutzen von LDA ist individuell mit der Patientin zu diskutieren.

Prävention der PE am Termin

Die DR der PE am Termin (tPE) im kombinierten Ersttrimesterscreening liegt bei nur ca. 50% und die Einnahme von LDA reduziert das Risiko der tPE nicht (31;32;33). Ebenso wie im ersten besteht auch im zweiten und dritten Trimenon die Möglichkeit des kombinierten Screenings auf PE (34;35;36). Die einzige Prävention der tPE bleibt die zeitgerechte Entbindung und wird bei anamnestischen Risiken, mit 38 SSW empfohlen (38;39). Entsprechend besteht heute die Überlegung, dass ein generelles Screening in der Spätschwangerschaft Risiken für eine tPE besser erfasst als ein Screening nach anamnestischen RF und dass mit einer Einleitung ab 37 SSW das Risiko der tPE reduziert werden kann (40,41). Während noch keine randomisierten Studien vorliegen, weisen Ergebnisse aus Sekundäranalysen darauf hin, dass sich mit dieser Strategie bis zu 60% anstatt knapp 40% der tPEs verhindern lassen (40).

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Valeria Filippi

Assistenzärztin Gynäkologie und Geburtshilfe
Universitätsspital Basel
Spitalstrasse 21
4031 Basel

valeria.filippi@usb.ch

Dr. med. Thabea Musik

Oberärztin Gynäkologie und Geburtshilfe
Universitätsspital Basel
Spitalstrasse 21
4031 Basel

Prof. Dr. Beatrice Mosimann

Chefärztin für Geburtshilfe und Pränatalmedizin
Universitätsspital Basel
Spitalstrasse 21
4031 Basel

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die effizienteste Methode für das PE-Screening ist das kombinierte Ersttrimester-Screening der FMF London.
◆ Neuere erfolgversprechende Marker sind der Doppler der A. ophtalmica und das GlyFn .
◆ Das Screening von Zwillingsschwangerschaften und der Nutzen von LDA müssen individuell besprochen werden.
◆ Statine zeigten keine präventive Wirkung für eine tPE.
◆ Die zeitgerechte Entbindung bleibt die einzige Präventionsmassnahme der tPE. Neuere Daten zeigen, dass ein PE-Screening in der Spätschwangerschaft und eine gezielte Einleitung ab 37 SSW das Risiko der tPE signifikant reduzieren können.

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2. Expert Letter No 80 SGGG First trimester screening for preeclampsia
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Anatomisches Verständnis des Beckenbodens (Teil 2)

Man muss die Anatomie profund kennen und interpretieren, wenn man die Pathologien des Beckenbodens verstehen und denselben chirurgisch rekonstruieren will. Wir wollen hier die Anatomie des Beckenbodens aus urogynäkologischer Sicht in 2 Teilen in insgesamt 10 Tableaus besprechen. Dies ist der zweite Teil mit Tableaus 6 bis 10.

You need to know and interpret the anatomy in depth if you want to understand the pathologies of the pelvic floor and reconstruct it surgically. Here we will discuss the anatomy of the pelvic floor from an urogynecological perspective in 10 pictures.
Key Words: Pathologies of the pelvic floor, anatomy of the pelvic floor, urogynecological perspective

Sechstes Tableau: hinteres Kompartiment, Konzept mesorektale Faszie

Die Anatomie des hinteren Kompartiments lässt sich auch anders interpretieren: Das hier im sechsten Tableau besprochene Konzept der mesorektalen Faszie ist eine Art Gegenkonzept zu dem eben besprochenen anatomischen Konzept der rektovaginalen Faszie.
Es ist die Sichtweise der Viszeralchirug*in. Hier steht das Rektum im Zentrum. Es lohnt, sich diese Sicht anzueignen. Sie hilft, die anatomischen Grundlagen einiger urogynäkologischer Operationen besser zu verstehen.

Das Rektum nimmt sein Meso retroperitoneal mit. Das Rektum ist retroperitoneal von mesorektalem Fett (I) umhüllt, Millimeter dünn gegen ventral, Zentimeter dick gegen lateral und dorsal. Das mesorektale Fett wiederum wird von einer feinen zirkulären faszialen Struktur ummantelt: der mesorektalen Faszie (II). Obwohl eine einheitliche zirkuläre Struktur wird sie gegen ventral teilweise als Denonvillier’sche Faszie (III), gegen dorsal als Waldeyer’sche Faszie (IV) bezeichnet. Diese mesorektale Faszie oder vielleicht auch die Zwischenschicht zwischen mesorektaler und parietaler Faszie (V) ist avaskulär und eine wunderbare präparatorische Ebene, die auch als «self opening plane» oder «holy plane» bezeichnet wird. Wenn wir offen oder von vaginal präparieren, bilden sich «angel hairs», wenn laparoskopisch öffnen «CO2 bubbles» die lockeren Bindegewebesfasern. Wenn man zu nahe an der Vagina präpariert, blutet der vaginale venöse Plexus (VI), wenn wir das Fett sehen, sind wir zu nahe am Rektum: «fat belongs to the rectum». Wenn die Schicht wie von selber unblutig aufgeht, sind wir in der richtigen Ebene.

Wird das spatium rectovaginale präpariert oder das Rektum mobilisiert hilft dieses anatomische Konzept, also beispielsweise bei der Sakrozervikopexie, bei der Präparation für den hinteren Mesh Arm oder bei der sacrospinalen Fixation (Richter), wenn das Spatium eröffnet und das vom Mesorektum umhüllte Rektum vom Ligament weggedrängt wird.

Dieses Konzept beantwortet die Frage nicht, was man denn eigentlich rafft, wenn man eine hintere Kolporraphie durchführt. Die schwache mesorektale Faszie? Die fibromuskuläre Schicht des Rektums? Die der Vagina? Wahrscheinlich kommt es auf die Präparationstiefe an. Oder wir bedienen uns, um diese Frage zu beant-worten, am Konzept der rektovaginalen Faszie, die im Übrigen gelegentlich auch als Denonvillier’sche Faszie bezeichnet wird – grundsätzlich ein Begriff aus der Anatomie des Mannes (s. 5. Tableau in info@gynäkologie 01-24).

Siebtes Tableau:
ligamentum sacrospinale, plexus lumbosacralis, nervus pudendus (somatische Innervation)

Die Anatomie um das sacrospinale Ligament (I) sollten wir kennen, da die meisten von vaginalen durchgeführten Apexfixationen am Ligament fixieren, mit Fäden oder Ankersyste­men, netzbasiert oder als «native tissue repair». Die uterosakrale Suspension nach McCall sei davon ausgenommen; die sacrospinale Fixation nach Richter ist der Prototyp.

Das sakrospinale Ligament (I) wird nach innen vom m. coccygeus (II) bedeckt. Muskel und Ligament gehören zusammen und werden auch als «coccygeus-sacrospinous ligament complex» bezeichnet. Das Ligament ist eine regressive Evolution eines Schwanzmuskels, sowohl das Ligament wie auch der Muskel können unterschiedlich kräftig ausgebildet sein.
Der n. pudendus (S2, S3, S4) (III) läuft dorsal kaudal vom plexus lumbosacralis (IV) um den Ansatz des ligamentum sacrospinale (I) an der spina ischiadica (V) herum Richtung tuber ischiadicum (VI), wird dann vom Drill des processus falciformis (VII) des ligamentum sacrotuberale (VIII) in den Alcock’schen Kanal (IX) geleitet – eine Doppelung der Faszie des m. obturatorius internus, und gibt vor oder nach Eintritt in den Kanal seine motorischen und sensiblen Endäste ab: n. rectalis inferior (X), n. perinei superficialis (XI) und profundus (XII), n. dorsalis clitoridis (XIII).
Begleitet wird der Nerv durch gleichnamige Gefässe: a. und v. pudenda interna (XIIII). Mittig verläuft die a. glutea inferior (XV) hinter dem Band aus dem Becken heraus.

Die Anatomie definiert für Fixationsoperationen am Ligament eine «safe zone» und umgekehrt eine Zone, die man meiden muss (bis 2 Querfinger medial der spina).

Achtes Tableau: Promotorium, hinteres Becken, autonome Innervation

Sakrozervikopexie und ventrale Rektopexie sind heute laparoskopische Goldstandards für die Apexfixation beziehungsweise Korrektur der Intususszepiton oder des Rektumprolaps.

Die Region des Promontorium:
Das Ligamentum longitudinale anterius (I) ist ein kräftiges Band, welches die Vorderfläche der Wirbel miteinander verbindet und vom Schädel bis zum os coccygis zieht und sich vorzüglich zur Fixation eignet. Die Anatomie der Arterien ist zuverlässig stabil, während der venöse Gefässbaum in circa 30% Variationen aufweist (s. Kästchen Mitte oben). Wegen der Kopftieflage und dem erhöhten intraabdominalen Druck sind die Venen bei der Laparoskopie kollabiert und schlecht sichtbar. Bevor man etwas in das Ligament einnäht odertackert, muss der Verlauf der grossen Venen gesichert sein. Am meisten gefährdet ist die v. iliaca communis links (II).

Über der Bifurkation der Aorta liegt der plexus hypogastricus superior (III), welcher sich in 2 autonome Nervenstränge aufteilt, in die nn. hypogastrici sinister (IV) und dexter (V), welche oberflächlich nahe am Peritoneum links und rechts seitlich von Rektum nach kaudal ziehen und die sympathischen autonomen Fasern (rot) ins kleine Becken zum gemischt sympathisch-parasympathischen plexus hypogastricus inferior (VI) bringt, welcher die Organe des kleinen Beckens dann ummantelt. Eine sorgfältige nervenschonende Präparation ist notwendig, um die sympathische Innervation nicht zu schädigen, der n. hypogastricus dexter (V) ist bei der Sakrozervikopexie exponiert.

Die nn. splanchinici pelvici (o. erigentes) (VI) aus den vorderen sakralen Spinalnerven S2, S3 und S4 alimentieren den tiefen hypogastrischen Plexus mit parasympathischen Fasern (blau), welche in der Tiefe der uterosakralen Ligamente verlaufen. Eine ausgedehnte Resektion ebendieser kann zu einer bleibenden Blasenatonie führen.

Die autonome Innervation steuert Speicherung und Entleerung der Blase und des Rektums und triggert sexuelle Funktionen wie Lubrifikation, Erektion und Ejakulation (Skizze rechts: autonome Innervation im Bezug zur Blasenfunktion: rot sympathisch, blau parasympathisch, grün somatisch). Die Kenntnis der autonomen Innervation der Beckenorgane benötigt man auch, um Krankheitsmodelle und medikamentöse Therapien zu verstehen.

Der rechte Ureter (VII) verläuft circa 3 cm neben dem Promontorium nach kaudal. Bei der Peritonealisierung kann er akzidentell mitgefasst werden.

Neuntes Tableau: (virtuelle) Spatien, operative Zugänge

Viele uro-gynäkologische und noch mehr gynäkologisch-onkologische Operationen erschliessen sich einem erst, wenn man sich vergegenwärtigt, dass man im kleinen Becken künstliche Räume – Spatien – erschafft, die es ohne Präparation nicht gibt. Für die Urogynäkologie genügt ein Sagittalschnitt.

Das retropubisch gelegen Spatium wird als cavum Retzii (I) bezeichnet und enthält ausser einem venösen Plexus (plexus venosus Santorini) (II) keine relevanten Strukturen, die man verletzen könnte, darum unter anderem für die blinde Passage von TVT-Nadeln geeignet. Dies im Gegensatz zu transobturatorischen Systemen, bei welchen man das suburethrale Band durch das foramen obturatum und die Adduktorenmuskeln legt. Nota bene eine anatomische Region, die heikel und schwierig zugänglich ist und Gynäkolog*innen nicht kennen und nicht beherrschen, wenn dann mal Komplikationen auftreten sollten und eine Revision der Region der Oberschenkelinnenseite notwendig würde.

Spatium vesicovaginale (III): Das Spatium entwickelt man von vaginal bei einer vorderen Kolporrhaphie und von kranial bei laparoskopischen Apexfixationen, bei welchen zusätzlich ein vorderer Mesh Arm zwischen Blase und Vaginalvorderwand gelegt wird.

Spatium rectovaginale (IV): Das Spatium wird von vaginal entwickelt, wenn man eine hintere Raffung oder eine sacrospinale Fixation durchführt, von kranial für die Einlage des hinteren Mesh Armes bei der Sakrozervikopexie oder für die Mesheinlage bei der vorderen Rektopexie (OP nach D`Hoore).

(Skizze rechts oben) Von vaginal kommend braucht es zuerst eine scharfe Präparation, da das Bindegewebe gegen kaudal sehr dicht wird. Hat man einmal den Perinealkeil überwunden öffnet sich das Spatium stumpf wie von alleine, man sieht die «angel hairs». Für eine sakrospinale Fixation darf man erst seitlich auf die Spina zu präparieren, wenn man supralevatoriell ist.

Präsakraler Raum (V): präpariert man, wenn man bei der Richter`schen Operation das vom Mesorektum umhüllte Rektum nach medial wegschiebt oder von laparoskopisch das Rektum präpariert.

Bei vaginalen Operationen wird der Apex durch Zug nach kaudal zum tiefsten Punkt. Die Anatomie muss dann umgekehrt gedacht werden (kleines Bild Mitte unten).

Zehntes Tableau: Rektum, m. levator ani mit m. puboviszeralis und mit m. puborectalis

Obwohl nicht so ganz unser Organ, ist die Kenntnis über den analen Verschlussapparat wichtig und bei einem OASI (obstetric anal injury) muss die Rekonstruktion des Sphinkters schichtgerecht erfolgen.

Der m. sphincter ani internus (I) ist eine Fortsetzung des stratum circulare (II) der tunica muscularis und besteht aus glatter Muskulatur (makroskopisch weisslich, «chicken or fish»). Der m. sphincter ani externus (III) besteht aus willkürlich (squeeze pressure) innervierter quergestreifter Muskulatur (makroskopisch «red meat») mit einem Grundtonus, lässt sich wie ein Gummiring zwischen Daumen und Zeigefinger tasten, überlappt den inneren Sphinkter gegen kaudal und hat ein kraniales Ende. Nach jeder Geburt muss der Sphinkter digital kontrolliert werden. Die anatomische Dreiteilung des äusseren Sphinkters in einen pars subcutanea, superficialis und profunda spielt klinisch keine Rolle. Die enge Verbindung zu den mm. bulbospongiosi und den mm. transversi perinei superficiales wurde im zweiten Tableau besprochen.
Die Einteilung in DR IIIa, IIIb, IIIc und IV ist in der Skizze links dargestellt. Wenn unklar soll man sich für eine höhergradige Einteilung entscheiden. Das verschlechtert zwar die geburtshilfliche Statistik (Rate höhergradiger Dammrisse) aber verbessert tendenziell die chirurgische Versorgung. Zwischen den inneren und äusseren Sphinkter schiebt sich das stratum longitudinale (IV) zusammen mit Fasern des m. puboanalis (V) des m. pubovisceralis des m. levator ani und bildet ein «longitudinal sheet».

Der m. pubrectalis (VI) legt sich schlingenförmig kranial um den Analkanal und bildet den anorektalen Winkel, der zur analen Kontinenz beiträgt und sich bei der Defäkation öffnet. Die Puborektalisschlinge wird heute dem m. levator ani zugeordnet.

Ein intakter arteriovenöser innerer Plexus (innerer Hämorrhoidalplexus) (VII) garantiert erst das komplette Abdichten des Analkanals. Dessen Füllungszustand wird durch die zirkuläre Sphinktermuskulatur beeinflusst.

Proctodealdrüsen – zum Teil als Überreste vormaliger Duftdrüsen verstanden – (VIII) liegen zwischen innerem und äusserem Sphinkter und können, wenn sie entzünden, zu Perinealabszessen führen.

Zeichnungen: Daniel Passweg

Bildrechte © bleiben bei den Autoren und werden nicht abgegeben.
Die Bilder dürfen verwendet werden, dies ist mit dem Elsevier Verlag vertraglich geklärt.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Daniel Passweg

Frauenklinik Stadtspital Weid und Triemli
Birmensdorferstrasse 501
8063 Zürich

daniel.passweg@triemli.zuerich.ch

PD Dr. med. Cornelia Betschart Meier

Stellvertretende Klinikdirektorin
Klinik für Gynäkologie, USZ
Frauenklinikstrasse 10
8006 Zürich

cornelia.betschart@usz.ch

Eine ausführliche textbasierte Darstellung der urogynäkologischen Anatomie durch die gleichen Autoren ist im Elsevier Verlag geplant:
G. Naumann, Urogynäkologie, Kapitel: urogynäkologische Anatomie

GSK Jemperli® Medienorientierung

Am 14. Februar fand in Basel eine Medienorientierung zu Jemperli® statt. Referenten waren Frau Prof. Dr. med. Viola Heinzelmann, Co-Leiterin der Frauenklinik, Chefärztin Gynäkologie/Gynäkologische Onkologie am Universitätsspital Basel und Dr. pharm Urs Kientsch, Director Corporate Affairs, GSK. Die Moderation hatte Geri Staudenmann inne. Eine betroffene Patientin, die am Universitätsspital Basel mit Jemperli® behandelt worden war, schilderte ihre Erfahrungen.

Jemperli® (Dostarlimab) ist die erste und einzige immunonkologische Erstlinientherapie bei fortgeschrittenem oder rezidivierendem Endometriumkarzinom (Gebärmutterkrebs).

Kompetenz GSK, Onkologie, Commitment für fortgeschrittenen Gebärmutterkrebs

Dr. pharm. Urs Kientsch

GlaxoSmithKline hat sich das Ziel gesetzt, das Leben von Patientinnen und Patienten mit innovativen Therapien zu verlängern. Wir verfolgen dabei bahnbrechende Therapieansätze im Bereich der Immun-Onkologie und der Krebszellbehandlung. Wir setzen unsere Schwerpunkte auf Indikationen im Bereich von malignen Melanomen, gynäkologischen Krebserkrankungen und soliden Tumoren, so Dr. pharm. Urs Kientsch, Corporate Affairs Director GSK.

Im Bereich der gynäkologischen Krebserkrankungen hat GSK zwei Medikamente: Zejula® (Niraparib) im Bereich des Ovarialkarzinoms und Jemperli® (Dostarlimab) zur Therapie des Endometriumkarzinoms. Jemperli® ist ein anti-PD-1 Checkpoint Inhibitor. Jemperli® fördert die körpereigene Immunabwehr, indem es den PD-1 Rezeptor auf der Immunzelle inhibiert. Dies führt zu einer erneuten Aktivierung des körpereigenen Immunsystems gegen den Tumor. Jemperli® ist neu zugelassen in Kombination mit Carboplatin und Paclitaxel zur Behandlung von Patientinnen mit primär rezidivierendem oder fortgeschrittenem Endometriumkarzinom mit fehlerhafter DNA—Mismatchreparatur (dMMR) und hoher Microsatelliteninstabilität (MSI-H). Jemperli® ist bereits heute als Monotherapie in der Zweitlinientherapie für Patientinnen mit rezidivierendem oder fortgeschrittenem Endometriumkarzinom mit fehlerhafter DNA-Mismatchreparatur und hoher Microsatelliteninstabilität zugelassen, die nach einer primären Platinhaltigen Chemotherapie rezidivierend sind. Jemperli® wird heute bereits in der Zweitlinientherapie vergütet, es wird jedoch noch nicht in der Erstlinientherapie vergütet. GSK ist zurzeit in Verhandlung mit dem BAG, so der Referent.

Endometriumkarzinom: Hintergrund und bisherige Therapielandschaft

Prof. Viola Heinzelmann

Das Endometriumkarzinom ist die häufigste gynäkologische Krebserkrankung in der Schweiz, stellte Frau Prof. Dr. med. Viola Heinzelmann, Co-Leiterin Frauenklinik, Chefärztin Gynäkologie/Gynäkologische Onkologie, Universitätsspital Basel einleitend fest. Wir haben um die Tausend neu diagnostizierte Fälle jedes Jahr in der Schweiz, aber das fortgeschrittene Endometriumkarzinom ist eher selten. Dass jemand in einem fortgeschrittenen FIGO III-IV Stadium zu uns kommt, ist selten. Diese Patientinnen haben die Erkrankung dann oft nicht nur in der Gebärmutter, haben dadurch keine Symptome oder erst Spätsymptome und haben eine Erkrankung, die im ganzen Bauch vorhanden ist. Dadurch, dass es eine fortgeschrittene Erkrankung ist, haben sie eine schlechte 5-Jahres-Überlebensdauer von etwa 5%. Meistens entdecken wir die Erkrankung früh und die Patientinnen werden im Stadium I geheilt, so die Referentin.

Die RUBY-Studie (1) ist die erste Studie, die einen sogenannten prädiktiven Marker benutzt hat, um eine Therapie zu testen. Diese Therapie, die in der Studie einen Benefit gezeigt hat, ist eine Behandlung mit einem sogenannten Checkpoint-Inhibitor. Bisher hat man bei dieser Art der Erkrankung nur die Operation durchgeführt, allenfalls eine Bestrahlung und eine Chemotherapie mit Standard-Chemotherapeutika, d.h. Carboplatin und Taxol. In der RUBY-Studie wurde zusätzlich ein Checkpoint-Inhibitor dazugegeben, wobei RUBY die erste Studie ist, bei der dies gemacht wurde. Diese zusätzliche Gabe eines Checkpoint-Inhibitors ermöglicht es dem körpereigenen Immunsystem den Tumor zu erkennen. Normalerweise erkennt der Körper den Tumor nicht. Hier setzt diese Therapie während der Chemotherapie ein, und wird nach der Chemotherapie in der sogenannten Erhaltungsphase fortgeführt. Die Studie hat gezeigt, dass nun ein Marker für Patientinnen, die besonders gut ansprechen, vorhanden ist. Das sind Patientinnen, bei denen ein gewisser Reparaturprozess nicht funktioniert, genannt dMMR oder die eine hohe Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) aufweisen. Diese Patientinnen haben eine bessere Prognose, sowohl was die erste Rezidivrate als auch was die Überlebensrate insgesamt anbelangt, d.h. 70% Besserung beim progressionsfreien Überleben und auch beim Gesamtüberleben und dies bei Patientinnen, die ungefähr nach einem Jahr ihr erstes Rezidiv haben. In dieser Patientengruppe, die eine sehr schlechte Prognose haben, wurden durch die Daten der RUBY-Studie derart starke Prognose-verbessernde Daten gewonnen, dass das erneute Auftreten des Tumors und das Gesamtüberleben gleich sind wie in der Kontrollgruppe. Dies ist ein enormer Benefit. Der zweite Vorteil, den wir durch die Resultate der Studie haben, ist, dass wir genau wissen, welche Patientengruppen von der Therapie sehr gut profitieren wird. Diese Patientinnen wurden klar definiert. Es sind die Patientinnen mit defektem Reparaturmechanismus oder hoher Mikrosatelliteninstabilität. Das Endometriumkarzinom ist mit einer MSI High Rate von 31% die Krebsart mit der höchsten Rate von MSI-H. Eine von 3 Patientinnen mit Endometriumkarzinom hat einen Tumor mit dMMR/MSI-H. dMMR ist das Resultat fehlerhafter DNA- Reparaturmechanismen. Diese werden mit Immunhistochemie nachgewiesen. Die Mikrosatelliteninstabilität wird über Genomanalysen also Next Generation Sequencing bestimmt, MSI-H mit PCR-Tests. Diese Analysen werden heute standardmässig in den meisten Spitälern durchgeführt. Aufgrund der Datenlage der Ruby-Studie ist diese Therapie ganz klar der neue Standard, wie die Referentin festhielt. Was ihr an der RUBY-Studie besonders gut gefallen hat, ist, dass besonders Wert auf die molekularen Analysen gelegt wurde und dass auch weitere Subanalysen durchgeführt wurden. Es kann durchaus sein, dass noch weitere Indikationen folgen werden. Für dMMR und MSI-H ist Ruby klar der neue Standard. Die RUBY-Studie hat auch gezeigt, dass die Patientinnen, die Jemperli® erhielten, im Vergleich zur Kontrollgruppe unwesentliche oder fast gar keine Nebenwirkungen hatten. Die Verträglichkeit ist in der Erfahrung der Referentin hervorragend. Patientinnen nehmen sehr gerne an Studien wie die RUBY-Studie teil, weil dies bedeutet, dass man frühzeitig an ein neues Medikament kommt, welches potenziell das Überleben verbessern kann. Aber auch die Referentin nimmt als akademische Institution gerne an solchen Studien teil. Die Sicherheit dieser Studien ist gewährleistet, da sie erst durchgeführt werden, wenn die Sicherheit der Medikamente nachgewiesen ist. Zudem werden die Patientinnen eng mit CT und anderen Methoden überwacht, stellte die Referentin abschiessend fest.

Erfahrungen einer Patientin mit Endometriumkarzinom

Zum Abschluss der Medienkonferenz schilderte eine betroffene Patientin ihre Erfahrungen mit Jemperli® als Therapie für das Endometriumkarzinom. Sie wurde trotz Wohnort im benachbarten Ausland wunschgemäss in der Abteilung für Gynäkologie und Klinik für Gynäkologie/gynäkologische Onkologie des Basler Universitätsspital behandelt. Sie schilderte sehr eindrücklich ihre Heilung und erklärte, dass sie wieder ihren Hobbys nachgeht und Sport treiben kann, wie vor der Erkrankung.

Fazit

Jemperli® in der dMMR/MSI-H. Endometriumkarzinom-Population (RUBY-Studie) (1)
► Signifikante Verbesserung des PFS mit einer Verringerung des Progressionsrisikos um 72%
► Deutlicher Gesamtüberlebenstrend mit einer Verringerung des Sterberisikos um 70 %
► Mediane Ansprechdauer nach 2 Jahren und mehr nicht erreicht.
► Erhalt der Lebensqualität im Jemperli® + Carboplatin-Arm.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Mirza MR et al Dostarlimab for primary advanced or recurrent endometrial
cancer. New Engl J Med 2023; 388:2145-2158, incl Supplements

Hausärztliche Betreuung bei altersabhängiger Makuladegeneration

Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) ist eine der häufigsten Ursachen für einen schweren Sehverlust im Alter. Da viele Patient/-innen erst spät Symptome wahrnehmen, kommt der Früherkennung durch ophthalmologische Untersuchungen eine besondere Bedeutung zu. Hausärzt/-innen können hier einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie Screening-Termine anregen, modifizierbare Risikofaktoren wie Rauchen oder Bluthochdruck behandeln und Betroffene im Verlauf psychosozial begleiten. Auch das Home Monitoring – etwa durch das Amsler-Gitter oder digitale Tools wie Alleye (Oculocare medical Inc) – kann helfen, eine Form der AMD, welche zum Erhalt der Sehkraft regelmässige Injektionen erfordert, frühzeitig zu erkennen. Die AMD ist eine chronische Erkrankung, die nicht nur augenärztliche Therapie, sondern auch Motivation, Edukation und interdisziplinäre Koordination erfordert. Die enge Zusammenarbeit zwischen Hausarztpraxis und Ophthalmologie ist daher zentral, um Patient/-innen langfristig zu unterstützen und die Lebensqualität zu erhalten. Ein strukturierter Call to Action soll darüber hinaus die Rolle der Hausärzt/-innen durch gezielte Fortbildung, Delegation von Versorgungsaufgaben und Integration digitaler Gesundheitslösungen weiter stärken. Innovative Modelle wie das Schweizer Telemedizin-Projekt Augenmobil zeigen exemplarisch, wie eine verbesserte augenärztliche Versorgung hochaltriger und mobilitätseingeschränkter Patient/-innen umgesetzt werden kann.

Age-related macular degeneration (AMD) is one of the most prevalent causes of severe vision loss in the elderly. Due to its often asymptomatic onset and gradual progression, early detection through regular ophthalmological examinations is of particular importance. General practitioners are well positioned to contribute significantly by promoting screening, addressing modifiable risk factors such as smoking and cardiovascular disease, and offering psychosocial support over the course of the disease. Home monitoring strategies—such as the use of Amsler grids or validated digital tools like Alleye (Oculocare medical Inc) —can facilitate the early identification of neovascular AMD, for which timely initiation of intravitreal anti-angiogenic therapy is critical to preserving visual function. As a chronic and multifactorial condition, AMD requires not only ophthalmological treatment but also sustained patient engagement, education, and interdisciplinary coordination. Effective collaboration between primary care and ophthalmology is essential to ensure comprehensive, long-term support and to help maintain patients’ quality of life. A structured Call to Action aims to further strengthen the role of general practitioners through targeted education, delegation of care tasks, and integration of digital health solutions. Innovative initiatives such as the Swiss telemedical program Augenmobil exemplify how improved ophthalmic care can be delivered to elderly and mobility-impaired patients.
Keywords: Age-related macular degeneration (AMD), general practice, home monitoring, vision loss, interdisciplinary care

Sehen bedeutet Teilhabe: Warum AMD auch ein Thema für die Hausarztpraxis ist

Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) ist eine der häufigsten Ursachen für einen schweren Sehverlust im höheren Lebensalter (1). In der Schweiz ist sie für rund ein Drittel aller Erblindungen im Alter verantwortlich (2). Epidemiologische Studien zeigen, dass etwa 15–20 % der über 70-Jährigen und über 30 % der über 80-Jährigen von einer AMD betroffen sind (3, 4).

Die Erkrankung betrifft die zentrale Netzhaut (Makula) und beeinträchtigt zahlreiche alltagsrelevante Fähigkeiten: Lesen, das Erkennen von Gesichtern und Farben, das Zuordnen von Gegenständen (z.B. Speisen auf dem ­Teller) sowie feinmotorische Tätigkeiten wie Nähen oder Bastelarbeiten. Viele Patient/-innen berichten zudem über ­verlängerte Adaptionszeiten bei wechselnden Lichtverhältnissen, insbesondere beim Übergang in dunkle Umgebungen. In fortgeschrittenen Stadien ist auch das sichere Führen eines Fahrzeugs häufig nicht mehr möglich. Diese funktionellen Einschränkungen sind nicht selten für einen wesentlichen Verlust der Lebensqualität und Selbstständigkeit verantwortlich. Da die visuelle Autonomie gerade im höheren Lebensalter eine entscheidende Voraussetzung für soziale Teilhabe und psychisches Wohlbefinden darstellt, rückt die AMD zunehmend auch als psychosoziales Thema in den Fokus. Studien belegen eine erhöhte Prävalenz depressiver Symptome bei AMD-Betroffenen, insbesondere im Zusammenhang mit drohendem Autonomieverlust (5).

In der hausärztlichen Versorgung begegnet man täglich älteren Patient/-innen mit schleichender Sehverschlechterung. Symptome wie verzerrtes Sehen (Metamorph­opsien) oder subjektive Leseschwierigkeiten sollten Anlass für eine zeitnahe ophthalmologische Abklärung sein. Hausärzt/-innen übernehmen hier eine wichtige Lotsenfunktion in der Früherkennung – niedrigschwellig, alltagsnah und im Vertrauen der Patient/-innen verankert.

Früherkennung beginnt in der Hausarztpraxis

Viele chronische Augenerkrankungen verlaufen initial asymptomatisch, weshalb sie häufig erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert werden. Auch die AMD wird von Betroffenen oftmals erst dann bemerkt, wenn bereits irreversible Schädigungen des zentralen Sehens eingetreten sind (6). Daher empfiehlt sich eine erste augenärztliche Untersuchung ab dem 50. Lebensjahr, gefolgt von regelmässigen Kontrollen in individuell festzulegenden Intervallen. Hausärzt/-innen können hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie Patient/-innen proaktiv auf augenärztliche Vorsorgeuntersuchungen hinweisen. Dies gilt nicht nur für die AMD, sondern auch für andere chronisch-progrediente Augenerkrankungen wie das Glaukom oder die diabetische Retinopathie (7).

Ein besonderes Augenmerk sollte auf modifizierbare Risikofaktoren gelegt werden, die mit dem Fortschreiten der AMD assoziiert sind. Evidenz besteht insbesondere für das Rauchen, die arterielle Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Schlafapnoe sowie eine unausgewogene Ernährung (8, 9). Durch gezielte Beratung können Hausärzt/-innen einen signifikanten präventiven Einfluss ausüben. Besonders effektiv sind Interventionen zum Rauchstopp sowie die Förderung einer mediterranen Ernährung – beides Massnahmen, die in Studien mit einer verzögerten Progression der Erkrankung assoziiert wurden (10).

Auch im frühen Stadium der Erkrankung – in dem aktuell keine kausale Therapie zur Verfügung steht – ist die Verlaufskontrolle wichtig. Neben der Anpassung von Lebensstilfaktoren und der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln auf Basis der AREDS-2-Formel kann insbesondere das frühzeitige Erkennen einer exsudativen Neovaskularisation (ehemals «feuchte» AMD) entscheidend für den Erhalt der Sehkraft sein. (11) Da das Auftreten einer exsudativ neovaskulären AMD mitunter asymptomatisch erfolgt und der Seheindruck vom gesunden Partnerauge manchmal kompensiert wird, kommt dem sogenannten «Home Monitoring» eine hohe Bedeutung zu. Mithilfe einfacher Instrumente wie
dem Amsler-Gitter oder validierter digitaler Lösungen wie der App Alleye (Oculocare medical Inc) können Patient/-innen ihre Sehleistung regelmässig selbst überprüfen – idealerweise wöchentlich und jedes Auge einzeln (Abb. 1) (12). Hausärzt/-innen können diesen Aspekt aktiv ansprechen und zur kontinuierlichen Selbstbeobachtung motivieren.

Chronische Erkrankung mit komplexem Verlauf

Die AMD ist eine chronisch-progrediente, derzeit nicht heilbare Erkrankung der zentralen Netzhaut. Sie beginnt mit zunehmenden Ablagerungen von Lipoproteinen zwischen der Netzhaut und ihrem versorgenden Kapillarbett der Aderhaut im frühen Erwachsenenalter. Im höheren Alter können sich bei einem Teil der Patient/-innen exsudativ neovaskuläre Veränderungen ausbilden (ehemals «feuchte» AMD genannt). Dabei kommt es infolge lokaler Hypoxie aufgrund der Lipidbarriere und inflammatorischen Reaktionen zur pathologischen Angiogenese mit Einwachsen fragiler Gefässe aus der Aderhaut in die Retina. Diese neovaskulären Gefässe neigen zu Leckagen und Blutungen und verursachen irreversible Schäden an der Makula. Die zugrundeliegenden pathophysiologischen Prozesse – Lipidablagerungen, chronische Entzündung und angiogene Signalwege – weisen Parallelen zu arteriosklerotischen Prozessen auf (13, 14).

Die exsudativ neovaskuläre (feuchte) AMD ist heute medikamentös behandelbar, jedoch ausschliesslich durch wiederholte Injektionen von VEGF-Inhibitoren in den Glaskörper. Diese intravitrealen Injektionen müssen in individuell angepassten Intervallen – oft alle vier bis acht Wochen – verabreicht werden, um eine Stabilisierung der Sehleistung zu erreichen. Trotz nachgewiesener Wirksamkeit kommt es in der Praxis jedoch häufig zu Therapieabbrüchen. Versorgungsforschungsdaten aus der Schweiz zeigen, dass bis zu 40 % der Patient/-innen die Behandlung innerhalb der ersten zwei Jahre abbrechen. Häufige Ursachen sind Therapiefrustration, logistischer Aufwand, Mobilitätsprobleme und mangelndes Verständnis für die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Langzeitbehandlung. Ein zusätzlicher Faktor für Frustration kann darin liegen, dass bei vielen Patient/-innen mit exsudativ neovaskulärer (feuchter) AMD gleichzeitig Zeichen einer trockenen AMD fortbestehen, die trotz erfolgreicher Behandlung der feuchten Komponente im weiteren Verlauf zu einem progredienten Sehverlust führen können. Früher wurde die trockene Form als prognostisch günstiger angesehen; heute weiss man, dass auch diese Form unabhängig vom Ansprechen auf die VEGF-Therapie weiter fortschreiten kann. Hier können Hausärzt/-innen als erste Ansprechpersonen durch gezielte Edukation einen entscheidenden Beitrag leisten: Sie erklären den Krankheitsverlauf, verdeutlichen den Nutzen der Therapie und motivieren Patient/-innen zum konsequenten Wahrnehmen augenärztlicher Kontrollen und zur Nutzung von Home Monitoring. Ein frühzeitiges, empathisches Gespräch kann Therapieängste abbauen und die Therapietreue verbessern.

Ein typisches Fallbeispiel: Eine 82-jährige Patientin lebt allein, ist in ihrer Mobilität eingeschränkt und soll alle vier Wochen eine Injektionstherapie erhalten. Nach mehreren Terminen bricht sie die Therapie ab. Erst durch das gezielte Nachfragen ihres Hausarztes – der ihre Ängste und ihr begrenztes Verständnis für die Erkrankung erkennt – wird eine erneute augenärztliche Konsultation organisiert. In der Folge kann ein Transportdienst vermittelt und die Behandlung wieder aufgenommen werden.

­Integrierte Versorgung für chronische Augenerkrankungen

Am Kantonsspital Winterthur (KSW) arbeiten wir an neuen Versorgungsansätzen, um AMD-Patient/-innen umfassender zu unterstützen. Neben der rein augenärztlichen Betreuung sind Dienstleistungen wie eine Low Vision Beratung, Alltagstraining bei Seheinschränkungen und spezielle Sprechstunden für Nebenwirkungen wie das trockene Auge integriert. Wichtig ist auch die Einbindung des sozialen Umfelds der meist hochbetagten Patient/-innen. Gerade in der medizinischen Betreuung älterer Menschen durch Hausärzt/-innen oder geriatrisch tätige Ärzt/-innen kommt der kontinuierlichen Begleitung und Koordination zwischen den Disziplinen eine besondere Bedeutung zu. Ein innovatives Beispiel für die Verbesserung der augenärztlichen Versorgung älterer, oft immobiler Patient/-innen ist das Schweizer Projekt Augenmobil. (Abb. 2) (16) Durch eine telemedizinisch unterstützte mobile Augenuntersuchung in Pflegeheimen ermöglicht das interprofessionelle Team eine frühzeitige Diagnostik und Therapieempfehlung direkt vor Ort und trägt so zur Schliessung bestehender Versorgungslücken bei.

Gerade die Schulung von Angehörigen – etwa zum Umgang mit Sehverlust im Alltag oder zu Hilfsmitteln – kann durch koordinierte Zusammenarbeit mit der Hausarztpraxis erleichtert werden. Eine interdisziplinäre Kommunikation auf Augenhöhe hilft, Brücken zu schlagen und Versorgungslücken zu schliessen.

Psychische Belastung erkennen und ­ansprechen

Die psychische Belastung bei fortgeschrittenen Formen der AMD ist erheblich: Studien zufolge entwickeln über 20 % der Betroffenen depressive Symptome, etwa 15 % erfüllen die Kriterien für eine Angststörung (17). Besonders gefährdet sind Patient/-innen mit signifikanter Einschränkung der Alltagskompetenz und dem drohenden Verlust ihrer Autonomie – etwa durch Wegfall des Lesens, Mobilitätsverlust oder soziale Isolation. Die psychischen Begleiterscheinungen stehen in engem Zusammenhang mit der wahrgenommenen Kontrolle über die Erkrankung und beeinflussen wiederum die Adhärenz zur Therapie sowie das subjektive Krankheitsverständnis (18).

Ein besonderes klinisches Phänomen ist das Charles-Bonnet-Syndrom: Es handelt sich um visuelle Halluzinationen, die im Zusammenhang mit stark eingeschränkter Sehleistung auftreten, bei gleichzeitig erhaltener Realitätsprüfung. Die Halluzinationen sind meist nicht angstbesetzt, reichen jedoch von einfachen geometrischen Mustern bis zu komplexen Szenen. Viele Patient/-innen sprechen das Phänomen aus Scham oder Angst vor einer psychiatrischen Fehldiagnose nicht von sich aus an (19). Eine proaktive ärztliche Ansprache kann hier entlastend wirken und zur Normalisierung beitragen.

Am KSW führen wir systematische Screenings mithilfe validierter Kurzfragebögen durch, um affektive Symptome frühzeitig zu erkennen und gezielt weiterzuleiten. Eine vergleichbare Sensibilität kann auch in der hausärztlichen Praxis etabliert werden – häufig genügt bereits ein kurzes, empathisches Nachfragen im Gespräch, um einen Dialog über psychisches Befinden anzuregen und weitere Hilfen in die Wege zu leiten.

Was Hausärzt/-innen konkret tun können

Neben der frühzeitigen Identifikation typischer Symptome wie Sehverlust, Verzerrungen (Metamorphopsien) oder Leseschwierigkeiten durch gezielte Anamnese können Hausärzt/-innen wesentlich zur Prävention und Verlangsamung des Fortschreitens der AMD beitragen. Im Mittelpunkt stehen dabei modifizierbare Risikofaktoren:
• Rauchstoppberatung
• Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren (z. B. Blutdruck, Dyslipidämie, obstruktive Schlafapnoe)
• Ernährungsberatung: Förderung einer mediterranen Diät und ggf. Information zu Nahrungsergänzungsmitteln mit AREDS-2-Basis (z. B. Vitalux®, ICaps®, Ocuvite®, MacuShield®)

Darüber hinaus sollten Hausärzt/-innen das Thema Home Monitoring aktiv adressieren. Bereits ein kurzes Nachfragen – etwa: «Testen Sie Ihre Augen regelmässig zu Hause?» – kann Patient/-innen motivieren, einfache Selbsttests wie das Amsler-Gitter oder digitale Anwendungen wie Alleye wöchentlich durchzuführen. Diese Massnahmen ermöglichen eine frühzeitige Erkennung der Umwandlung in eine feuchte AMD, oft noch vor dem Auftreten subjektiver Symptome (20).

Ein erhöhtes Risiko für psychische Komorbiditäten bei AMD-Patient/-innen ist gut dokumentiert. Beeinträchtigungen des Sehens gehen häufig mit Ängsten, Depressionen und einem Verlust an Selbstwirksamkeit einher. Umgekehrt können depressive Symptome die Therapietreue und damit auch den Behandlungserfolg negativ beeinflussen. Hausärzt/-innen sind durch ihre kontinuierliche Betreuung in einer idealen Position, um psychische Belastungen frühzeitig zu erkennen und geeignete Unterstützungsangebote zu vermitteln (21).

Auch die Adhärenz zur intravitrealen Injektionstherapie profitiert von der hausärztlichen Begleitung. Eine niederschwellige Ansprache möglicher Hürden – sei es Angst, Erschöpfung, Unverständnis oder logistische Belastung – kann helfen, Therapieabbrüche zu vermeiden.

Call to Action: Handlungsempfehlungen für die Hausärztliche Praxis

Hausärzt/-innen spielen eine Schlüsselrolle in der Betreuung von Patient/-innen mit AMD. Um diese Rolle noch besser auszufüllen, sind gezielte Massnahmen erforderlich. Ein zentraler Ansatzpunkt liegt in der Verankerung geriatrisch-ophthalmologischer Inhalte in Fortbildungsangeboten für Hausärzt/-innen. So könnten praxisnahe, interdisziplinäre Weiterbildungsreihen entwickelt werden, die Aspekte wie Früherkennung, Home Monitoring, Motivation zur Injektionstherapie und psychosoziale Begleitung vermitteln (22).

Darüber hinaus kann die Integration neuer Rollen in der Primärversorgung die Versorgungssituation verbessern. Speziell geschultes Praxispersonal, etwa medizinische Praxisassistent/-innen mit Zusatzausbildung in der Augenvorsorge oder im geriatrischen Fallmanagement, könnte Ärzt/-innen gezielt entlasten und eine kontinuierliche Patientenbegleitung sicherstellen (23). Studien zeigen, dass dies gerade in der Betreuung multimorbider älterer Menschen einen wichtigen Beitrag leisten kann.

Schliesslich bietet auch die gezielte Nutzung digitaler Anwendungen grosse Chancen. Durch Einbettung in hausärztliche Prozesse, klare Verantwortlichkeiten und die Anbindung an bestehende Praxissoftware kann das AMD-Monitoring effektiv unterstützt werden (24). Langfristig sollte zudem die Entwicklung entsprechender Kompetenzen in die medizinische Ausbildung integriert werden (22). Die aktive Einbindung von Patient/-innen selbst als Partner/-innen in der Versorgung gilt dabei als zentraler Erfolgsfaktor für eine nachhaltige, patientenzentrierte Versorgung (25).

Fazit

Die altersabhängige Makuladegeneration ist eine chronische, multifaktorielle Erkrankung mit hoher Prävalenz und tiefgreifenden Auswirkungen auf das Leben älterer Menschen. Die Rolle der Hausarztpraxis geht über die reine Früherkennung hinaus: Sie kann Brücken schlagen zwischen medizinischer Therapie, psychosozialer Begleitung und alltagspraktischer Unterstützung. Durch gezielte Ansprache von Risikofaktoren, Förderung von Selbstmanagement (z. B. Home Monitoring) und psychosoziale Aufmerksamkeit können Hausärzt/-innen wesentlich zur Stabilisierung der Sehleistung und zur Lebensqualität beitragen. Eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Ophthalmologie ist dabei zentral. Wer sieht, bleibt selbstbestimmt – und wer begleitet, stärkt diesen Erhalt an Autonomie.

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Livia Faes

Augenklinik – Kantonsspital Winterthur KSW
Brauerstrasse 15
8400 Winterthur

PD Dr. med. Philipp Bänninger

Chefarzt und Klinikleiter
Augenklinik Kantonsspital Winterthur
Brauerstrasse 15
8400 Winterthur

Prof. Dr. med. Dr. phil. Lucas M. Bachmann

Augenmobil AG
Engelstrasse 6
8004 Zürich

Lucas M. Bachmann ist CEO und Verwaltungsratspräsident von Oculocare und Verwaltungsrat bei Augenmobil.

  • AMD ist häufig: Rund ein Drittel der über 80-Jährigen ist betroffen.
  • Frühes ophthalmologisches Screening ab dem 50. Lebensjahr sollte aktiv empfohlen werden.
  • Home Monitoring (Amsler-Gitter, Alleye) unterstützt die frühzeitige Erkennung therapiebedürftiger Veränderungen.
  • Die AMD ist eine chronische, progrediente Erkrankung, die eine kontinuierliche medizinische Betreuung sowie psychosoziale und edukative Begleitmassnahmen erfordert.
  • Hausärzt/-innen können durch Gespräche und Unterstützung die Therapietreue bei intravitrealer Injektionstherapie fördern.
  • Das Charles-Bonnet-Syndrom sowie psychische Begleiterkrankungen wie Depressionen und Angststörungen sollten frühzeitig und gezielt von medizinischem Fachpersonal thematisiert werden.
  • Ein strukturierter Call to Action empfiehlt, die Rolle der Hausärzt/-innen durch gezielte Fortbildungsangebote, delegierbare Versorgungsaufgaben und digitale Lösungen weiter zu stärken.

1. Wong WL, Su X, Li X, et al. Global prevalence of age-related macular degeneration and disease burden projection for 2020 and 2040: a systematic review and meta-analysis. Lancet Glob Health. 2014;2(2):e106–116.
2. Schweizerische Stiftung für blinde und sehbehinderte Menschen (SZBLIND). Jahresbericht 2023.
3. Rudnicka AR, Kapetanakis VV, Jarrar Z, et al. Incidence of late-stage age-related macular degeneration in European populations: the European Eye Epidemiology (E³) Consortium. Ophthalmology. 2015;122(7):1480–1488.
4. Holz FG, Strauss EC, Schmitz-Valckenberg S, van Lookeren Campagne M. Geographic atrophy: clinical features and potential therapeutic approaches. Ophthalmology. 2014;121(5):1079–1091.
5. Casten RJ, Rovner BW. Depression in age-related macular degeneration. J Vis Impair Blind. 2008;102(10):591–599.
6. García-Layana A, Cabrera-López F, García-Arumí J, Arias-Barquet L, Ruiz-Moreno JM. Early and intermediate age-related macular degeneration: update and clinical review. Clin Interv Aging. 2017;12:1579–1587.
7. Jonas JB, Aung T, Bourne RR, et al. Glaucoma. Lancet. 2017;390(10108):2183–2193.
8. Chakravarthy U, Wong TY, Fletcher A, et al. Clinical risk factors for age-related macular degeneration: a systematic review and meta-analysis. BMC Ophthalmol. 2010;10:31.
9. Alshaikhsalama AM, Alsoudi AF, Wai KM, et al. Association between Obstructive Sleep Apnea and Age-related Macular Degeneration Development and Progression. Ophthalmology Retina. 2024.
10. Merle BMJ, Silver RE, Rosner B, et al. Dietary patterns and risk of age-related macular degeneration: a review. JAMA Ophthalmol. 2019;137(3):275–281.
11. Chew EY, Clemons TE, Agrón E, et al. Long-term Outcomes of Adding Lutein/Zeaxanthin and w-3 Fatty Acids to the AREDS Supplements on Age-Related Macular Degeneration Progression: AREDS2 Report 28. JAMA Ophthalmol. 2022;140(7):692–698.
12. Faes L, Bachmann LM, Sim DA, et al. Mobile health application for self-monitoring of vision in age-related macular degeneration: a validation study. Clin Exp Ophthalmol. 2019;47(4):581–588.
13. Curcio CA, Johnson M, Huang JD, et al. Aging, age-related macular degeneration, and the response-to-retention of apolipoprotein B-containing lipoproteins. Prog Retin Eye Res. 2009;28(6):393–422.
14. Bhutto I, Lutty G. Understanding age-related macular degeneration (AMD): relationships between the photoreceptor/retinal pigment epithelium/Bruch’s membrane/choriocapillaris complex. Mol Aspects Med. 2012;33(4):295–317.
15. Finger RP, Wiedemann P, Blumhagen F, et al. Treatment patterns, visual acuity and quality of life outcomes of the WAVE study – a non-interventional study of ranibizumab treatment for neovascular age-related macular degeneration in Germany. Acta Ophthalmol. 2013;91(6):540–546.
16. Bachmann BC, Bachofner M, Mickan S, et al. Frequency of Eye Diseases in Residents of Nursing Homes – 1-Year Results of a Novel Telemedicine Service in Switzerland. Klin Monbl Augenheilkd. 2022;239(4):610–614. doi:10.1055/a-1778-4782.
17. Tran E, Maher A, Basilious A, Malvankar-Mehta M. Prevalence of anxiety and depression symptoms in age-related macular degeneration patients: A systematic review and meta-analysis. Arch Ment Health. 2025;10.4103/amh.amh_80_24.
18. Rovner BW, Casten RJ. Neuropsychiatric aspects of age-related macular degeneration. Int Rev Psychiatry. 2002;14(1):67–75.
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20. AREDS2-HOME Study Research Group. Randomized trial of a home monitoring system for early detection of choroidal neovascularization home monitoring of the Eye (HOME) study. Ophthalmology. 2014;121(2):535–544.
21. van der Aa HP, van Rens GH, Comijs HC, et al. Stepped-care to prevent depression and anxiety in visually impaired older adults: a randomized controlled trial. Psychol Med. 2015;45(1):143–155.
22. Masud T, et al. A scoping review of the changing landscape of geriatric medicine in undergraduate education. European Geriatric Medicine. 2021.
23. Phi NTT, et al. Cumulative burden of digital health technologies for patients with multimorbidity. JAMA Network Open. 2025;8(4):e257288.
24. Kowatsch T, et al. Success factors and measures for scaling patient-facing digital health technologies. BMC Health Serv Res. 2025;25:632.
25. Bourke S, et al. The power of public and patient involvement in healthcare innovation. Nat Rev Bioeng. 2025.

2023 ESC-Guidelines: «Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes» – ein Summary

Kardiovaskuläre (cv) Erkrankungen sind weltweit die Haupttodesursache. Unter den cv Risikofaktoren hat der Diabetes mellitus Typ II (T2DM) wegen einer steigenden Prävalenz einen besonderen Stellenwert. 20-30% aller koronaren Patienten haben einen T2DM. Bei einem systematischen Screening dieses Kollektivs sind es mehr als 50%. Auch die Herzinsuffizienz (HI) ist hier deutlich erhöht, ebenso die chronische Niereninsuffizienz (CKD). Aus diesen Überlegungen und neuen bahnbrechenden kardio- und nephroprotektiven antidiabetischen Medikamenten mit überzeugenden Studienresultaten wurde diese ESC-Guideline aus dem Jahre 2019 bereits nach vier Jahren neu aufgelegt (1). Von der 98-seitigen Leitlinie können wir hier nur einige wichtige Punkte wiedergeben; es lohnt, sich mit dieser genauer auseinander zu setzen.

Cardiovascular disease (CVD) is the leading cause of death worldwide. Among cv risk factors, type II diabetes mellitus (T2DM) has a special place because of its increasing prevalence. 20-30% of all coronary patients have T2DM. With a systematic screening of this population, it increases to more than 50%. Heart failure is also significantly increased, as is chronic renal failure (CKD). Based on these considerations and new breakthrough cardio- and nephroprotective antidiabetic drugs with convincing trial results, this 2019 ESC guideline has been reissued after only four years (1). Of the 98-page guideline, we can only reproduce a few important points here; it is worth studying them in more detail.
Key words: ESC-Guidelines 2023 CVD + Diabetes; SGLT2-Inhibitor; GLP-1 RA ; cardio- + nephroprotective; CKD; eGFR+UACR; Finerenon; heart failure; “fantastic-four”; exercise training

Neben der erhöhten Prävalenz manifestiert sich der T2DM mit einer signifikant hohen Morbidität und Mortalität gegenüber Patienten ohne T2DM. Das Risiko für kardiovaskuläre (cv) Erkrankungen (CVD), wie eine koronare Herzkrankheit (CHK), koronarer Tod, nicht fataler Myokardinfarkt, Stroke, ist 2-fach erhöht. Es kommt zu einer früheren und rascheren Atherosklerose und Atherothrombose. Oft bestehen zusätzliche cv Risikofaktoren wie eine Dyslipidämie und/oder eine Hypertonie, welche alleine das cv Risiko ebenfalls erhöhen. Die Lebenserwartung ist bei beiden Geschlechtern wegen den vaskulären Erkrankungen deutlich vermindert. Bei einem T2DM mit einer CHK findet man häufiger eine Hauptstammstenose, eine Mehrgefässerkrankung und einen diffusen Befall der kleinen Gefässe. Zusätzlich häufig weitere vaskuläre Komorbiditäten wie eine CKD, eine PAVK und eine cerebrale Atherosklerose mit Apoplexie (2).

Screening

Bei einem T2DM hat das cv und renale Screening eine Klasse I-Indikation. So stellt sich immer die Frage nach einer ASCVD (athero-sklerotischen cv Erkrankung: u.a. Pulse, ABI, Plaques z.B. Carotis?) und einer Herzinsuffizienz (HI). Durch eine gute Anamnese mit Einordnung von Symptomen ergeben sich klare Erkennungsmerkmale; ebenso zur Erfassung der stark gehäuften HI. Es bedarf auch eines routinemässigen Screenings auf eine CKD (1). Diese wird mit einer eGFR (EPI) und einem morgendlichen Spontanurin mit Frage nach Mikro-/Albuminurie (UACR) nachgewiesen. Je schlechter die eGFR (<60ml/min/1.73m2 u./oder ≥ 30mg/g = 3mg/mmol Albuminurie) desto ausgeprägter die CKD und desto höher das cv Risiko – vgl. KDIGO 2013/2022 und Abbildung 4 (3, 4). Umgekehrt sollte bei einer cv Erkrankung auch ein T2DM mit einem Nüchtern-Blutzucker und einem HbA1c ausgeschlossen werden. Es bedarf einer Identifizierung der cv Risikofaktoren und der Komorbiditäten (HI, CHK, VHFLI, PAVK u.a.). Diese müssen Leitlinien gerecht behandelt werden.

Bei Patienten mit einem T2DM und fehlender symptomatischer ASCVD oder schweren Endorganschäden (TOD), sollte der SCORE2-Diabetes, ein neuer ESC-Risikorechner, verwendet werden (IB). Berücksichtigt werden Alter, Geschlecht, Raucherstatus, systol. BD, Diabetes, HbA1c, wann Diagnose T2DM, Gesamtcholesterin, HDL und eGFR. Mit dieser mobilen ESC CVD Risk Calculation App (escardio.org) kann das cv 10-Jahres Krankheits-Risiko (fataler und nicht fataler CV events) bestimmt werden: <5% tief, 5%-<10% moderat, 10%-<20% hoch und ≥20% sehr hoch. Die Schweiz gehört zu den low risk Ländern wie z.B. Frankreich und Spanien. Bei einer ASCVD oder einem TOD wie einer CKD oder einer Retinopathie und Polyneuropathie kann der Score nicht verwendet werden; liegt hier doch bereits ein sehr hohes cv Risiko vor. Endorganschäden müssen bei T2DM gesucht resp. ausgeschlossen werden (IA). Die TOD sind definiert als: 1. eGFR <45ml/min/1.73m2 ± Albuminurie, 2. eGFR 45-59ml/min/1.73m2 u. Mikroalbuminurie (UACR: 30-300mg/g, Stad. A2), 3. Proteinurie (UACR: >300mg/g, Stad. A3) oder 4. mikrovaskuläre Schäden an drei Organen (Niere A2 u. Retino- u. Neuropathie). Bei CKD nach KDIGO Risikofaktoren Beurteilung alle 3-6 Monate.

Therapie

Bei einem T2DM bedarf es einer intensiven multimodalen Therapie, resp. einer konsequenten Sekundärprävention. Lifestyle-Massnahmen bleiben weiterhin sehr entscheidend. Sie beinhalten neben einer Gewichtsreduktion, eine gesunde mediterrane Ernährung reich an polyungesättigten und einfach gesättigten Fetten (Olivenöl, Nüsse) oder eine pflanzenbasierte Ernährung und weniger Zucker, Fleisch, Alkohol und Salz. Eine regelmässige körperliche Aktivität mit Ausdauer- und etwas Krafttraining und einen Verzicht auf Nikotin und andere Noxen (IA).

Bewegungstherapie: In einer ausgezeichneten Übersichtsarbeit aus Japan wird auf die entscheidende Bedeutung einer korrekten Bewegungstherapie bei T2DM hingewiesen. Durch eine regelmässige körperliche Aktivität kommt es zu einer signifikanten Verbesserung der glykämischen Kontrolle mit positiven Auswirkungen auf die Adipositas, den Fettstoffwechsel, den Blutdruck und auf eine Reduktion entzündlicher Zytokine. Die kardiorespiratorische Fitness wird gesteigert, ebenso die Muskelkraft. So kann auch einem T2DM vorgebeugt werden, die Gesamtmortalität und die cv Events werden vermindert, ebenso mikrovaskuläre diabetische Komplikationen (1,5). Die amerikanische Diabetes Association (ADA) empfiehlt: eine wöchentliche Aktivität von mindestens 150 min moderater (50-70% max. HF) aerober Intensität verteilt auf mind. 3 Tage/Woche mit nicht mehr als zwei aufeinanderfolgenden Tagen ohne Bewegung. 2-mal wöchentlich wird ein zusätzliches aufbauendes Krafttraining empfohlen. Diese Empfehlung gilt auch bei einer Adipositas.

Medikamentöse Therapie: Aufgrund verschiedener Metaanalysen inkl. grossen cv Outcomes Studien mit SGLT2-H. und GLP-1 RA geben die neuen Leitlinien separate Empfehlungen für Patienten mit und ohne ASCVD resp. TOD. Weitere cv medikamentöse Massnahmen werden beurteilt und gewichtet.

SGLT2-Hemmer

Über diese als orales Antidiabetikum entwickelte Medikamentenklasse mit kardio- und nephroprotektiven Eigenschaften und das praktische Vorgehen haben wir berichtet (6,7).

Die SGLT2-H. werden bei einer Herzinsuffizienz unabhängig von der LV-EF und auch bei einer chronischen Niereninsuffizienz (CKD) ± T2DM mit einer eGFR <60ml/min/1,73m2 mit oder ohne Albuminurie bis zu einer eGFR ≥20 ml/min/1,73m2 primär eingesetzt (IA). Es zeigt sich langfristig bei allen eine Stabilisierung der Nierenfunktion. Nach der DAPA-CKD- und der EMPA-Kidney-Studie kann eine Nierenersatztherapie um viele Jahre verzögert werden: dies in Relation zur basalen Nierenfunktion bei Beginn der Therapie. Bei einer CKD und bei einer HI, mit und ohne T2DM, sind sie erste Wahl (8-11). Sie reduzieren eine HI-Hospitalisation, den cv Tod und das Risiko einer MRA assoziierten Hyperkaliämie. Bei einer chronischen HI ist die Rate der cv Todesfälle mit beiden Medikamenten stärker reduziert als ohne MRAs.

In einer Metaanalyse von fünf cv Outcomes Studien (1) zeigen die SGLT2-H. eine überzeugende Wirkung einer Kardioprotektion mit Reduktion der cv Events bei einem T2DM und einer ASCVD. Die cv Events werden unabhängig vom HbA1c und weiteren Antidiabetika vermindert (IA). Es besteht ohne ASCVD resp. TOD eine IIb-Indikation (kann berücksichtigt werden) bei einem 10-Jahresrisko ≥10%. Als NW sind bei einem T2DM Genitalinfekte und selten eine euglykämische Ketoazidose zu beachten. Daher sollte bei schweren Erkrankungen, fieberhaften Infekten, perioperativ oder periinterventionell und bei Nahrungskarenz der SGLT2-H. pausiert werden.

GLP-1 RA

Bei GLP-1 Rezeptor-Agonisten handelt es sich um synthetisch hergestellte Polypeptide, die wie das natürliche Peptidhormon GLP-1 an den GLP-1 Rezeptor binden, aber eine verlängerte Halbwerts-zeit haben. Sie stimulieren die Sekretion von Insulin und hemmen die Ausschüttung von Glucagon. Darüber hinaus verlangsamen GLP-1 RA die Magenentleerung und erhöhen das Sättigungsgefühl. Sie haben wahrscheinlich einen zusätzlich antientzündlichen Effekt durch die Reduktion des Fettgewebes. Auch vermindern sie eine Makroalbuminurie. Die cv Schutzmechanismen durch eine Aktivierung von Rezeptoren am Herz, den Gefässen und am Hirn führt zu einer Reduktion der cv- und der Gesamtmortalität, einer Verminderung von tödlichen und nicht tödlichen Myokardinfarkten und Strokes und einer Reduktion der HI-Hospitalisationen. Dies zeigte eine grosse Metaanalyse. Bei einem T2DM und einer ASCVD wird das cv Risiko unabhängig von der Blutzuckerkontrolle und dem CKD-Stadium gesenkt (IA) (1). Die Abbildungen 1-3 ergeben klare Hinweise bez. Wirkung und Einsatz der GLP-1 RA (Lira-, Sema-, Dulaglutide) bei einem T2DM. Es besteht ohne ASCVD resp. TOD bei einem 10-Jahresrisko ≥10% eine IIb-Indikation. Bei einer CKD wird das cv Risiko und eine Makro-Albuminurie gesenkt; zusätzlich kann die diabetische Stoffwechsellage verbessert werden. Sie können auch bei einer eingeschränkten Nierenfunktion eingesetzt werden – eGFR >15ml/min/1.73m2. Nephroprotektiv bez. eGFR-Verlust sind Semaglutid/Liraglutid bei einem T2DM vor allem bei einer eGFR von 30-60ml/ min/1.73m2. Kaum Hypoglykämien. Keine Kombination mit einem DPP-4-Hemmer bei ähnlichem Wirkprinzip.

Ein sehr aktuelles Einsatzgebiet ist die Adipositas (IIa) bei einem BMI von 30 oder ≥27 kg/m2 mit gewichtsadaptierten Komorbiditäten. Sind doch von der Adipositas weltweit mehr als 50% der Menschen betroffen. Es kommt bei einem GLP-1 RA in hohen Dosen je nach Substanz zu einer signifikanten Gewichtsreduktion. Dieses Medikament soll wie der SGLT2-H. unabhängig vom HbA1c bei einem sehr hohen als auch bei einem hohen cv-Risiko eingesetzt werden: T2DM + ASCVD oder schwere TOD oder 10 Jahres Risiko ≥20% Score2-Diabetes; T2DM und ein 10 Jahres Risiko von 10-<20% (IA). Bei einem BMI ≥35 kann nach erfolglosen konservativen Massnahmen inkl. einem GLP-1 RA die bariatrische Chirurgie diskutiert werden.

Die gastrointestinalen Nebenwirkungen Übelkeit, Erbrechen, Völlegefühl, Obstipation und Durchfall sind zu beachten, daher muss die Dosierung langsam wöchentlich (Liraglutid 1x tgl. s.c.) oder monatlich (Semaglutid, Dulaglutide 1x wö s.c.) auftitriert werden. Seltene NW sind eine akute Pankreatitis, ein Darmverschluss und eine Gastroparese (cave Narkose: 7 Tage Pause) mit einer Wahrscheinlichkeit von <1-2%/pro Jahr Anwendung. Diese NW treten vor allem bei der Adipositastherapie auf, wo deutlich höhere Dosen verwendet werden, als bei der glykämischen Kontrolle. Auch werden mehr diabetische Retinopathie Komplikationen berichtet. Durch die Gewichtsreduktion mehr Gallensteine. Unklar ist heute noch eine evtl. erhöhte Depressionsrate resp. Suizidalität, welche in wenigen Fällen unter Semaglutid beobachtet wurde. Bei einer positiven Familienanamnese bezüglich medullärem Schilddrüsenkarzinom resp. MEN 2 ist eine Verordnung kontraindiziert.

In der STEP-HFpEF Studie konnte mit einem GLP-1 RA bei einer HI mit erhaltener EF (>50%) und einer Adipositas (BMI ≥30kg/m2) neben einer Gewichtsreduktion, eine Verbesserung der HI-Symptome und eine Verbesserung der körperlichen Einschränkung, der Lebensqualität und eine CRP-Senkung erzielt werden (12).

In der aktuellen SELECT-Studie, welche am diesjährigen AHA Kongress im November vorgestellt wurde, zeigte sich erstmals unter einer gewichtsreduzierenden Behandlung mit 2,4mg Semaglutid 1x wö s.c. bei 8803 kardiovaskulären übergewichtigen/adipösen (BMI ≥27) Risikopatienten (3/4 MI, 1/4 HI) ohne T2DM eine signifikante Reduktion des primären Endpunktes (cv Tod, nicht tödlicher Infarkt/Schlag­anfall) von -20%, Gesamtsterblichkeit -19%, NNT: 67. Die kardio-metabolischen Parameter (KG -9,4%, BD, Taille, HbA1c, Lipide) wurden verbessert: das hs-CRP sank um 39,1% (13). Die Studie identifiziert erstmals Adipositas als einen behandelbaren kardiovaskulären Risikofaktor. Die Reduktion von Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall durch Semaglutid wurde, zusätzlich zu einer guten leitliniengerechten Therapie, beobachtet. Interessant ist, dass diese MACE-Reduktion in der Sekundärprävention bereits vor der erheblichen Gewichtsreduktion einsetzte; dies könnte bedeuten, dass noch andere Mechanismen dafür verantwortlich sind. Dies zeigte sich auch bei tieferer Dosis in der SUSTAIN-6-Studie bei diabetischen Patienten mit hohem cv Risiko über 2 Jahre – cv Ereignisse -26%. Als NW traten gastro-intestinale Beschwerden in SELECT in 10% vs 2,0% auf. Die Follow-up-Dauer betrug im Mittel 40 Monate. Positive Wirkung in allen Subgruppen, auch auf den Nierenendpunkt.

GLP-1 RA + SGLT2-H. führen in der Kombination zu einer stärkeren Gewichts- und BD-Reduktion. Bezüglich renalem und cv Outcome gibt es keinen zusätzlichen Effekt. Ihr Einsatz ist unabhängig vom HbA1c und weiteren Antidiabetika.

Glukose senkende Medikamente mit cv Benefit

In den neuen Guidelines wird ein besonderes Augenmerk auf den As­pekt des nachgewiesenen cv Nutzens und/oder der Sicherheit von blutzuckersenkenden Medikamenten gelegt! Es wird empfohlen, die Therapie auf solche Medikamente umzustellen (IC). Vgl. Abbildung 3.

Metformin: sollte bei einem T2DM und einer ASCVD berücksichtigt werden (IIa). Die Nüchternglukose Produktion in der Leber wird gehemmt. Kaum Hypoglykämie-Risiko. Es kommt nach mehreren Studien zu einer nicht signifikanten Veränderung bez. cv Tod und Myokardinfarkt. Ohne ASCVD oder TOD hat das Medikament je nach cv Risiko eine IIa/IIb Indikation. Einschleichend dosieren wegen GI-NW. Kontraindiziert bei: einer CKD mit einer eGFR <30ml/min/1.73m2, perioperativ, periinterventionell bei i.v. Kontrastmittelgabe und bei ausgeprägter Gewebshypoxie. Neutraler Effekt bei HI.

Pioglitazon: kann als weiteres Antidiabetikum bei einem T2DM und einer ASCVD berücksichtigt werden (IIb). Es erhöht die Insulinsensitivität des Fett-, Muskel- und Lebergewebes. Cave Gewichts-anstieg, HI, Verminderung der Knochendichte.

Kardial sicher sind die Sulfonylharnstoffe Glimepirid und Gliclazid, die DPP-4-H. Sitagliptin und Linagliptin sowie die modernen langwirkenden Insuline (Glargine, Degludec). Bei einer HI kontraindiziert sind Pioglitazon, Rosiglitazon und der DDP-4-H. Saxagliptin. GLP-1 RA, haben einen neutralen Effekt bez. HI und dadurch eine IIa Indikation. HbA1c Ziel nach Komorbiditäten, Diabetes-Dauer, Lebenserwartung, prinzipiell <7%; Cave: Hypoglykämien.

Antithrombotische Therapie

Ein DM erhöht die Atherothrombose über folgende Mechanismen: Entzündung, oxidativer Stress, Eiweiss Glykation, Endotheldysfunktion und verminderte NO-Synthese, vermehrter Plättchenturnover und Aggregation und eine verstärkte Prokoagulation und verminderte Fibrinbildung. Das Blutungsrisiko ist bei einem T2DM unter Aspirin etwas tiefer, das Thromboserisiko dafür aber erhöht. Dies gilt auch bei Übergewicht und einem metabolischen Syndrom. Dieser Umstand muss in der Sekundärprävention berücksichtigt werden.

Primärprävention: Bei einem T2DM mit einer blanden Anamnese bez. ASCVD/ Revaskularisation besteht u.a. nach dem ASCEND-Trial (14) ohne KI für Aspirin (GI-Blutungen in Anamnese, Leberleiden, Allergie) ein leichter Vorteil in der Verhinderung eines vaskulären Events über 7,4 Jahre. Es zeigt sich aber in dieser Studie und in zwei Metaanalysen eine deutlich erhöhte Blutungsrate. Die absoluten Vorteile wurden durch die Blutungsgefahr weitgehend aufgewogen. Das erhöhte Blutungsrisiko (GI, intrazerebral) unter Aspirin muss gegen den kleinen Vorteil von etwas weniger Myokardinfarkte in der Abwägung berücksichtigt werden. Die Vorteile der Abgabe von Aspirin rechtfertigen aber meist nicht das Risiko einer Blutung. Daher in der Primärprävention eher kein Aspirin bei einem T2DM! Dies widerspiegelt sich auch in den neuen Guidelines mit einer IIb A Indikation – kann ohne eine KI erwogen werden (schwächster Empfehlungsgrad). Es sollte aber ein Statin nach individuellem Risikoprofil (z.B. Plaques) und entsprechendem LDL-Zielwert (≤1,8mmol/l) bei diesen Patienten eingesetzt werden.

Sekundärprävention: Hier hat Aspirin eine IA-, Clopidogrel eine IB-Indikation. Dies bei einem T2DM und Status nach Infarkt, CCS oder Revaskularisation, bei einer CKD mit ASCVD und bei einem T2DM und einer PAVK ohne Indikation für eine OAK.

In neueren Studien wird die Gabe eines P2Y12-Hemmers wie Clopido-grel oder Ticagrelor favorisiert. Clopidogrel hat auch ein kleineres spontanes Blutungsrisiko als Aspirin. In den Guidelines hat Clopidogrel bei einer Aspirin-Intoleranz eine IB-Indikation, bei einer etablierten ASCVD als Alternative noch eine IIbA-Indikation. Bei ca. 40% der Patienten besteht eine hohe Variabilität in der Medikamentenaktivierung (Prodrug) resp. in der Plättchenhemmung.

Nach einer Revaskularisation bei ACS od. CCS findet man in den Guidelines ein instruktives Slide betreffend Art und Länge der antithrombotischen dualen Therapie (12 resp. 6 Monate). Diese richtet sich nach der Art der Intervention, dem Ischämie- resp. Blutungsrisiko.
Eine Verkürzung oder Herabsetzung der DAPT auf Clopidogrel sollte bei Patienten mit Diabetes nach ACS vermieden werden, da diese ein hohes kardiovaskuläres Risiko aufweisen. Unter Clopidogrel bestehen zu wenig Wirksamkeitsdaten und eine schlechtere Bioverfügbarkeit.

Bei Patienten mit generalisierter Atherosklerose (polyvascular) und einem hohen Risiko für eine Ischämie oder einen Schlaganfall und niederem Blutungsrisiko sollte die zusätzliche Gabe von 2x tgl. 2,5mg Rivaroxaban auf Grund der COMPASS Studie berücksichtigt werden – HR für cv Tod, Apoplexie, MI =0,76 (IIaB) (15).

Patienten mit symptomatischer ASCVD und/oder Revaskularisierung mit einer Indikation für eine Langzeit-OAK profitieren ebenfalls von einem Plättchenhemmer. Dabei muss das Blutungsrisiko beachtet werden. Bezüglich Triple-Therapie (Hospitalisationszeit) resp. Dualer Pathway Inhibition (DPI) (Clopidogrel + NOAK) bei VHFLI und ASCVD mit PCI – vergleiche Guidelines.

Magenschutz: mit Pantoprazol. Bei einer antithrombotischen Kombinationstherapie IA, bei einem Medikament alleine IIaA. Bei Gabe von Clopidogrel cave: Interaktion mit Omeprazol und Esomeprazol mit verminderter Wirksamkeit an den Thrombocyten. Es besteht dafür eine Kontraindikation.

Lipidtherapie

LDL-Senkung je nach cv Risiko (T2DM + ASCVD, TOD, od. Score2-D) – vgl. (1). Sehr hoch <1,4/hoch <1,8/moderat <2,6mmol/l. Bei einem Wert >2,6mmol/l potentes Statin in Kombination mit Ezetrol, i.R. Bempedoinsäure, PCSK9-H. oder PCSK9-Synthese H. LDL-Senkung auch bei einer CKD. Bei einer eGFR <60ml/min/1.73m2: LDL-Ziel <1,8 mmol/l, bei einer eGFR ≤ 30ml/min/1.73m2 oder ≤30-44ml/min/1.73m2 und einer UACR ≥30mg/g: LDL-Ziel <1,4 mmol/l, wie bei einer CHK.

Herzinsuffizienz und T2DM

Bei einem T2DM besteht ein deutlich höheres Risiko für eine HI. Diese kann auch deutlich schneller auftreten. Daher ist eine regelmässige Suche mit Anamnese und Frage nach Symptomen sehr wichtig (IA). Hilfreich ist dabei der Biomaker NT-pro-BNP (≥ 125pg/ml im SR, ≥ 365pg/ml im VHFLI), ein Ruhe-EKG, allenfalls ein Thorax-Rö, ein Routinelabor inkl. TSH, Ferritin und Transferrin-Sättigung und ein transthorakales Echo. Dieses HI Screening hat eine IC-Indikation.

SGLT2-H., ARNI/ACE-H., Betablocker und MRA gehören nach den ESC-Guidelines 2021 zu den «fantastic four» der medikamentösen HI-Basis-Therapie bei einer LV-EF <40% (HFrEF) (10). Es zeigt sich auch ein deutlicher Benefit der SGLT2-H. bezüglich Mortalität und Hospitalisation wegen HI mit einer LV-EF >40% (HFmrEF) und einer LV-EF >50% (HFpEF) (11). Die SGLT2-H. Dapa- und Empagliflozin haben auf Grund der grossen cv Outcome Studien mit Senkung des cv Todes und der HI-Hospitalisationen eine IA-Indikation.

Koronare Herzkrankheit und T2DM

Eine Revaskularisation sollte bei Angina pectoris trotz medikamentöser Therapie und bei einer Ischämie >10% des LV durchgeführt werden. Auch bei einem STEMI und einer Mehrgefässerkrankung ist diese indiziert. Bei einer komplexen CHK ist eine ACBP zu bevorzugen. Bei allen ACS-Patienten muss ein T2DM ausgeschlossen werden. Eine Blutzuckertherapie soll mit Medikamenten mit einem cv Benefit durchgeführt werden – SGLT2-H. u./od. GLP-1 RA. Metformin sollte berücksichtigt werden (IIa).

Arrhythmien und T2DM

Gelegenheitsscreening bzgl. VHFLI ab 65 Jahren (IB). Ein Vorhofflimmern muss bei T2DM Patienten <65 Jahre bei weiteren cv Risikofaktoren gesucht werden, da dieses in dieser Population häufiger auftritt (IC). Ein systematisches Screening ist bei Personen ≥75 Jahre oder bei einem hohen cv Risiko und bei einem erhöhten Strokerisiko sinnvoll (IIaB).

Chronische Niereninsuffizienz (CKD) und T2DM

Die Niereninsuffizienz ist aufgrund der cv Mortalität ein «silent killer». Die 5-Jahres-Todeswahrscheinlichkeit liegt bei 33%, für eine Dialyse bei 12%. Bei einem T2DM mit CKD und einer Albuminurie (≥30mg/g, A2/A3) besteht eine stark erhöhte 10 Jahres Inzidenz von >40% bez. cv Mortalität. Leider wird diese Erkrankung von Ärzten und Patienten zu wenig und zu spät erkannt. Diabetiker müssen regelmässig auf eine CKD gescreent werden: eGFR EPI und UACR im morgendlichen Spontanurin (IA).

Auch hier ergeben sich einige Neuerungen: Auf Grund der bahnbrechenden Studien DAPA-CKD 2020 und EMPA-KIDNEY 2022 (8,9) sind SGLT2-H. bei einer CKD, unabhängig von kardiovaskulären Erkrankungen oder T2DM, mit einer eGFR <60ml/min/1.73m2 und oder einer Albuminurie klar indiziert. Cana-, Dapa- und Empagliflozin sind nephroprotektiv. Unter diesen Medikamenten kommt es zu einer deutlich verzögerten Abnahme der GFR und zu einer sign. Abnahme der Mikro-/Albuminurie. Die SGLT2-H. können ab einer eGFR ≥20ml/min/1.73m2 eingesetzt werden.

Auch kardiovaskulär kommt es bei Dapa- und Empagliflozin zu einer deutlich protektiven Wirkung: RRR bei Dapagliflozin -29 % für den kombinierten Endpunkt Klinikeinweisung wegen HI und kardiovaskulärer Tod. Bei Empagliflozin ein geringeres Fortschreiten der Niereninsuffizienz resp. des kardiovaskulären Todes von 28%. SGLT2-H. werden zur HI-Prävention bei Patienten mit CKD und/oder T2DM empfohlen. Auch ohne T2DM haben die beiden SGLT2-H. einen vollen Nutzen bei einer CKD (1). Man sollte möglichst früh mit diesem Medikament beginnen.

Finerenon bei DKD

Ein weiteres neues nephro- und kardioprotektives Medikament bei einer diabetischen Nephropathie (DKD), bei gleichzeitigem Einsatz eines ACE-H./ARB, ist Finerenon. Dieses verhindert eine pro-fibrotische und proinflammatorische Genexpression. Einsatz: vgl. Abbildung 1.

In der FIDELIO-DKD und FIGARO-DKD Studie wird der positive Nutzen von primär 10 dann 20mg Finerenon, einem neuen nicht steroidalen Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonist (ns MRA) mit deutlich selektiverer Rezeptor-Bindung, bei einer DKD bis zu einer eGFR ≥25ml/min und einer Urin-Albumin-Kreatinin-Ratio (UACR) ≥30mg/g (A2) unter RAAS-Hemmung, einem Statin und einem Serumkalium ≤4,8mmol/l, bei 13026 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 65 Jahren, klar bewiesen – verzögerte Progression der CKD oder renaler Tod und weniger cv Ereignisse (cv Tod, nicht fataler MI und Stroke und Hospitalisierung wegen HI) (16,17). Klinische Endpunktdaten zu Finerenon bestehen aktuell ausschliesslich für die DKD. Typische NW der älteren steroidalen MRA’s wie eine Gynäkomastie oder eine Hyperkaliämie können vermieden werden. Trotzdem sollte auch bei Finerenon eine Kaliumkontrolle erfolgen – eine Hyperkaliämie wurde in der FIDELITY Studie, welche obige beiden Studien zusammenfasste, in 1.7% nachgewiesen. Das Serumkalium darf bei Therapiebeginn nicht ≥4,8 mmol/l betragen; engmaschige Kontrollen sind wichtig. Stopp bei ≥5,5mmol/l.

Senkung des renalen Endpunkts um 23%, Dialyse um 20%; des cv Endpunkts um 14%, HI-Hospitalisationen um 22%. NNT über 3 Jahre von 60. Ein Albuminurie Screening lohnte sich um diese Risiken zu senken, hatten doch 40% dieser Patienten eine eGFR von ≥60ml/min/1.73m2 (18). Finerenon on top der Standardtherapie reduziert das Risiko von cv und renalen Endpunkten bei Patienten mit einem T2DM über ein sehr breites Spektrum der DKD. Die Substanz ist aktuell bei einem CKD-Stadium 3 oder 4 ohne T2DM noch nicht zugelassen – vgl. Abbildung 4.

Bei einer moderaten bis schweren CKD bedarf es einer Behandlung eines: Vit. D-Mangels, einer renalen Anämie, einer Azidose und einer Hyperphosphatämie durch den Nephrologen.

Summary

Gemäss der KDIGO-2022- (4), der ESC- und ESH-2023- (1,19) und den ADA-2023-Leitlinien (20) haben wir 2024 bei einer CKD ± einem T2DM eine kardiorenale organoprotektive Therapie. Diese besteht aus einem gesunden Lebensstil, einer mediterranen Ernährung (viel Obst, Gemüse, Kalium >3,5g/die, wenig rotes Fleisch), Eiweiss 0,6-0,8g/kg/die, wenig Kochsalz (<5g/die), einer Gewichtsreduktion, einer Blutzucker- (HbA1c <7%) und BD-Normalisierung (120-130/70-80mmHg) nach biol. Alter, einer Statin-/Ezetimib-Therapie mit einem LDL-Ziel <1,4mmol/l und aktuell 4 medikamentösen Säulen und einem regelmässigen körperlichen Fitnesstraining:

SGLT2-Hemmer: bei T2DM ± Atherosklerose; HI; CKD eGFR ≥20ml/min/1.73m2; Fortsetzung SGLT2-H. bis zur
Dialyse; evtl. mit Metformin sofern eGFR ≥30ml/min/1.73m2 (Dosisanpassung)
ACE-H./ARB: bei Diabetes; Hypertonie (>130/80mmHg); CKD mit Albuminurie >30mg/g (A2); BD-Selbstkontrolle, 24h-BD; cave: maskierte Hypertonie; wenn möglich max. zugelassene Dosis. Bei Hypertonie Fixkombinationen mit CCB/Diuretika, BD <130/80 mmHg bei Proteinurie; i.R. MRA
Finerenon, ns MRA: bei T2DM + CKD und einer persistierenden Albuminurie ≥300mg/g bei eGFR: >60 (A3) oder >30mg/g bei eGFR: 25-60 ml/min/1.73m2 (A2) trotz RAAS-H.
Serum Kalium ≤4,8mmol/l, eGFR ≥25ml/min/1.73m2
GLP-1 RA: bei T2DM ± Atherosklerose, CKD bei zu hohen Bz-Werten, trotz SGLT2-H./Metformin (eGFR ≥30ml/min/1.73m2); GLP-1 RA eGFR >15ml/min/1.73m2, evtl. weitere Bz senkende Medikamente. Gew. reduktion, zusätzliche Senkung des cv Risikos und Senkung einer Albuminurie durch GLP-1 RA.
Exercise Training: bei allen Patienten; Ausmass je nach Komorbiditäten. Wenn möglich mind. 150min./Woche bei mittlerer Intensität (50-70% max. HF), verteilt auf 3 Tage mit nicht mehr als 2 Tage Pause, zusätzlich 2x wöchentlich leichtes Krafttraining.

Wir können mit den RAAS-Hemmern in ausreichender Dosierung und den drei neuen Substanzen: SGLT2-H., GLP-1 RA und Finerenon das kardiovaskuläre und renale Risiko deutlich senken und so eine evidenzbasierte personenzentrierte Therapie nach den neuen internationalen Guidelines einleiten (1,4,18,19). Die Zukunft wird hier weitere Erkenntnisse (u.a. 6 medikamentöse Säulen) bringen.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Zweitabdruck aus «info@herz+gefäss» 02/03-2024

Dr. med. Jan Vontobel

Ärztlicher Direktor
Chefarzt Kardiologie
Hochgebirgsklinik Davos
Herman-Burchard-Strasse 1
7265 Davos Wolfgang

jan.vontobel@hgk.ch

Dr Urs Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

Die Autoren haben keine Interessens­konflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Hauptbotschaften ESC Guidelines: Screening/Diagnose eines T2DM besonders bei einer cv Erkrankung; Bestimmung des cv Risikos (Score2-D., TOD, ASCVD). Gesunder Lifestyle. Häufige Bz-Kontrollen, vor allem bei cv Erkrankungen. Einsatz von SGLT2-H. u./od. GLP-1 RA unabhängig vom HbA1c. Therapie des BD, des Lipidprofils und Einleitung einer antithrombotischen Therapie bei einer ASCVD. Korrektes Management von Begleiterkrankungen; ein personalisiertes Vorgehen und ein gutes Selfmanagement.
◆ Heute werden SGLT2-H. bei Patienten mit einem T2DM ± einer Atherosklerose, einer CKD und einer HI (unabhängig von der LV-EF) standardmässig eingesetzt (Kl.I). Sie sind kardio- und nephroprotektiv; unabhängig von einem T2DM.
◆ Der GLP-1 RA hat bei einem T2DM mit Atherosklerose und hohem cv Risiko eine IA-Indikation. Bei der Adipositas Einsatz zur Gewichtsreduktion, bei einer HFpEF mit Adipositas zur Verbesserung der HI-Symptome, der körperlichen Einschränkung und der Lebensqualität. Nach der SELECT-Studie gehört Semaglutid heute zur medikamentösen Standardtherapie in der Sekundärprävention von cv Ereignissen bei Patienten mit vorbestehenden Herzkreislauferkrankungen und Übergewicht (BMI ≥27) /Adipositas.
◆ Eine RAAS-Blockade mittels ACE-H./ARB ist notwendig bei einer Hypertonie (>130/80mmHg) sowie bei einer Normotonie begleitet von einer Albuminurie ≥300mg/g oder bei einer diabetischen Nephropathie mit einer Albuminurie ≥30mg/g.
◆ Finerenon on top reduziert das Risiko von cv und renalen Endpunkten bei Patienten mit einem T2DM u. einer diabetischen Nephropathie – Einsatz: eGFR ≥25ml/min/1.73m².
◆ Eine regelmässige körperliche Aktivität von mind. 150min/Woche und 2x wö ein moderates Krafttraining ist als 5. Therapiesäule bei einem T2DM klar zu empfehlen.

 

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