Die neuen ESC-Guidelines zur Behandlung von akuten Koronarsyndromen

Die neuen Leitlinien der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) haben die Empfehlungen für Patienten mit ST-Hebungsinfarkten und Nicht-ST-Hebungsinfarkten vereinheitlicht, um den gemeinsamen pathophysiologischen, diagnostischen und therapeutischen Aspekten Rechnung zu tragen. In diesem Review werden ausgewählte praxisrelevante Neuerungen beleuchtet, insbesondere im Hinblick auf antithrombotische Therapien und logistische Gesichtspunkte in der akuten Infarktbehandlung.

The updated guidelines of the European Society of Cardiology (ESC) now combine their recommendations for patients with and without ST-segment elevation myocardial infarction, reflecting the common pathophysiological, diagnostic and therapeutic aspects for the management of acute coronary syndromes. This review seeks to highlight selected updates relevant to everyday clinical practice, particularly with respect to antithrombotic therapies and logistical considerations in the treatment of acute myocardial infarction.
Key words: acute coronary syndromes, acute myocardial infarction, guidelines

Einleitung

Nach der letzten Auflage der Leitlinien der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) für Patienten mit ST-Hebungsinfarkten (STEMI) im Jahr 2017 und Nicht-ST-Hebungsinfarkten (NSTEMI) im Jahr 2020 entstand nun ein vereinheitlichtes Dokument für Patienten mit akuten Koronarsyndromen (ACS), welches auf der ESC Jahrestagung im August 2023 präsentiert wurde (1-3). Dadurch wurde der gemeinsamen Pathophysiologie und den ähnlichen diagnostischen sowie therapeutischen Behandlungspfaden Rechnung getragen. Naturgemäss fand eine rigorose Evaluation der bisherigen und neu generierten Evidenz statt, insbesondere in Bezug auf antithrombotische Therapien sowie logistische Gesichtspunkte bei Patienten mit NSTEMI (Zeitpunkt der invasiven Abklärung), STEMI (Zeitpunkt der vollständigen Revaskularisierung bei Mehrgefässerkrankung) oder nach Herzkreislaufstillstand («out of hospital cardiac arrest»). Nachfolgend werden ausgewählte, praxisrelevante Neuerungen beleuchtet.

Zeitpunkt für die invasive Abklärung von vermuteten Nicht-ST-Hebungsinfarkten

Der Zeitpunkt für invasive Abklärung von Patienten mit vermutetem Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebungen richtet sich weiterhin nach Risikomerkmalen (Abbildung 1). Unverändert zu den Leitlinien aus dem Jahr 2020 sollten «very high risk» Patienten mit Vorliegen von zumindest einem der folgenden Kriterien unverzüglich einer Koronarangiographie zugeführt werden. Die Klasse-I-Empfehlung für eine invasive Abklärung von Hochrisikopatienten («high risk») binnen 24 Stunden wurde auf eine Klasse-IIa-A-Empfehlung zurückgestuft. Weiterhin besteht jedoch eine Klasse-I-Indikation für eine invasive Abklärung dieser Patienten während demselben Krankenhausaufenthalt. Diese Empfehlungen basieren unter anderem auf einer Meta-Analyse mit zwei neuen randomisierten Studien seit 2020 und somit in Summe 17 randomisierten Trials mit 10`209 Patienten. Die gepoolte mediane Zeit bis zur Angiographie waren 3,4 vs. 41,3 Stunden in den jeweiligen Studiengruppen. Eine frühe invasive Strategie war nicht mit einem Unterschied in harten Endpunkten wie Mortalität, Myokardinfarkt (meist definiert anhand von Enzymanstiegen, neuen Q-Zacken oder der universellen Myokardinfarktdefinition), Herzinsuffizienz-Hospitalisation oder schweren Blutungsereignissen assoziiert. Wiederkehrende Ischämien (meist definiert anhand von wiederkehrenden Symptomen von min. 5-10 Minuten Dauer, mit oder ohne begleitende EKG-Veränderungen) traten in der frühen invasiven Gruppe seltener auf (RR: 0.57, 95% CI: 0.40–0.81), die Hospitalisierungsdauer war im Mittel um 22 Stunden kürzer.(4) Für Patienten, welche keine der Hochrisikokriterien erfüllen, ist weiterhin ein selektiver invasiver Approach gemäss Leitlinien für chronische Koronarsyndrome empfohlen, sofern die klinische Einschätzung eine elektive Abklärung erlaubt (1).

Zeitpunkt der invasiven Abklärung nach Out-of-hospital Cardiac Arrest

Während nur ein geringer Prozentsatz von ACS-Patienten mit einem Out-of-hospital Cardiac Arrest (OHCA) präsentiert, ist ein ACS die häufigste Ursache eines OHCA.

Bei Patienten mit ST-Streckenhebungen nach Wiedererlangen des Kreislaufes (ROSC) ist eine primäre PCI-Strategie empfohlen (Klasse I-B). Bei OHCA-Patienten ohne ST-Streckenhebungen sind seit 2019 zumindest fünf neue randomisierte Studien verfügbar, die eine frühe gegenüber einer verzögerten koronarangiographischen Abklärung untersucht haben. In keiner dieser Studien war eine umgehende Koronarangiographie mit einem Überlebensvorteil assoziiert (5-9). Dies war auch bei Patienten mit initial schockbarem Rhythmus der Fall (5, 8). Ursächlich dafür erscheint, dass die neurologische Prognose und intensivmedizinische Komplikationen überwiegend zu der etwa 50-prozentigen Mortalität beitragen und somit selbst durch die Behandlung einer koronarischämischen Ursache das Outcome nicht massgeblich beeinflusst werden kann. Dementsprechend ist eine routinemässige notfallmässige Koronarangiographie bei hämodynamisch stabilen Patienten nach OHCA ohne persistierende ST-Streckenhebungen (oder Äquivalent) nicht empfohlen (Klasse III-A) (1). In der initialen Evaluation dieser Patienten sollten nicht-koronare Ätiologien (z.B. zerebrovaskuläre Ereignisse, respiratorisches Versagen, nicht-kardiogener Schock, Lungenembolie, Intoxikation) untersucht werden, wobei die Echokardiographie einen wesentlichen Beitrag zur Differentialdiagnostik leisten kann. Trotz den neuen Richtlinien kann es in ausgewählten OHCA-Patienten ohne STEMI Sinn machen, ohne Verzug eine Angiographie durchzuführen, nämlich wenn ein Koronarverschluss wahrscheinlich ist und die Aussicht auf neurologische Erholung gut (e.g Patienten mit Thoraxschmerzen vor Herzkreislaufstillstand und kurzer Reanimationsdauer) (10).

Antithrombotische Therapien

«Loading» mit Plättchenaggregationshemmern

Aktuell empfohlene prä- und postinterventionelle antithrombotische Strategien sind in Abbildung 2 zusammengefasst.

Weiterhin ist bei Patienten mit NSTEMI ohne Kenntnis der Koronaranatomie und zeitnah geplanter Koronarangiographie (<24 Stunden) eine routinemässige Vorbehandlung mit P2Y12 Hemmern nicht empfohlen (Klasse III-A), da ein potenzieller Anstieg von Blutungskomplikationen keinem ischämischen Benefit gegenübersteht. (1, 11) Basierend auf einer verfügbaren randomisierten Studie mit Ticagrelor (ATLANTIC) und Registerstudien ist eine «pre-loading» Strategie bei Patienten mit STEMI weder mit Vorteilen auf der ischämischen Seite, noch mit Nachteilen hinsichtlich Blutungskomplikationen behaftet (12-14). In den aktuellen ESC-Leitlinien wurde die diesbezügliche Empfehlung neu formuliert. Bei Patienten die für eine primäre PCI-Strategie vorgesehen sind, kann eine Vorbehandlung mit P2Y12-Hemmern erwogen werden (Klasse IIb-B), ist aber keine Klasse-I-Indikation mehr.

Das Infarktnetzwerk des Inselspital hat bereits im Jahr 2018 aufgrund von Europäischen Empfehlungen für NSTEMI-Patienten die institutionellen Richtlinien vereinheitlicht und empfahl ab Oktober 2018 sowohl für NSTEMI- als auch STEMI-Patienten kein prä-interventionelles Loading mit P2Y12-Hemmern durchzuführen (15, 16). Dieses Vorgehen wurde kürzlich im Bern-PCI-Register validiert. Eine Strategie mit sofortigem Loading bei Diagnosestellung eines STEMI gegenüber einem verzögerten Loading nach Kenntnis der Koronaranatomie resultierte in einer vergleichbaren Inzidenz von schweren kardiovaskulären Ereignissen, Blutungen und prozedurellen Komplikationen, was die aktuelle Leitlinie mit lokalen Daten unterstützt (17).

Langfristige antithrombotische Therapiestrategien

Die optimale Intensität und Dauer der antithrombotischen Kombinationstherapie ist Gegenstand zahlreicher Studien (18-24). Da die modernen Stent-Plattformen ein Plateau hinsichtlich ihrer Effektivität erreicht haben (25), mittels intrakoronarer Bildgebung das kurz- und langfristige Resultat weiter verbessert werden kann (26-28) und auch basierend auf aggressiveren sekundärprophylaktischen Massnahmen (29) gab es ein Umdenken im Feld der antithrombotischen Therapie in Richtung Vermeidung von Blutungskomplikationen (30, 31).

Es haben sich zwei prädominante Strategien herauskristallisiert, mit denen das Blutungsrisiko ohne apparente «Kosten» auf der ischämischen Seite gesenkt werden kann. Einerseits die Verkürzung der dualen Plättchenaggregationshemmung auf 1-6 Monate nach PCI gefolgt von einer Monotherapie mit einem potenten P2Y12-Hemmer (anstatt Aspirin) – andererseits die De-Eskalation von einem potenten P2Y12-Hemmer auf Clopidogrel frühestens 1 Monat nach PCI mit Aspirin als Hintergrundtherapie (1, 30, 31). Während das standardmässige Vorgehen mit 12 Monate dualer Plättchenaggregationshemmung (DAPT) erneut eine Klasse I-A-Empfehlung erhielt, wurden die oben erwähnten Optionen mit einer Klasse IIa-A (Verkürzung der DAPT auf 3-6 Monate, gefolgt von potenter P2Y12-Hemmer Monotherapie, auch bei niedrigem Blutungsrisiko) und einer Klasse IIb-A-Indikation beurteilt (Verkürzung der DAPT auf 1 Monat bei hohem Blutungsrisiko). Als neue Empfehlung hauptsächlich basierend auf einem Expertenkonsensus, sollte bei Patienten mit ACS und chirurgischer Revaskularisierung postoperativ eine DAPT für mindestens 12 Monate etabliert werden (Klasse 1-C) (1).

Revaskularisierung von Patienten mit akuten Koronarsyndromen und Mehrgefässerkrankung

Die Notwendigkeit einer Behandlung von angiographisch signifikanten nicht-culprit-Läsionen bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt ist seit den CULPRIT, DANAMI-3-PRIMULTI- und COMPLE­TE-Studien bestens etabliert (32-34). Entsprechend wurde der Empfehlungsgrad vorhergehender Leitlinien (eine routinemässige vollständige Revaskularisierung sollte vor Spitalaustritt erwogen werden, Klasse IIa-A) nun hochgestuft. Eine vollständige Revaskularisierung ist entweder während der Index Prozedur oder binnen 45 Tagen empfohlen (Klasse I-A) (1, 3, 15). Der optimale Zeitpunkt, d.h. während der Index-Prozedur, während des Spitalsaufenthaltes oder in einem Folgeaufenthalt, wurde erst in kürzlich publizierten Studien untersucht, die auf die aktuellen Richtlinien noch keinen Einfluss hatten.

Die rezente BIOVASC-Studie randomisierte 1525 Patienten mit STEMI oder NSTEMI zu einer zeitnahen Behandlung (während der Index Prozedur oder während des Index-Aufenthaltes) gegenüber einer «staged» Behandlung aller nicht-culprit-Läsionen binnen 6 Wochen. Der primäre Endpunkt, bestehend aus Gesamtmortalität, Myokardinfarkt, ungeplanter ischämiebedingter Revaskularisierung und zerebrovaskulären Ereignissen nach einem Jahr, war vergleichbar zwischen den Gruppen (HR 0.78, 95% CI 0.55–1.11, p für Überlegenheit 0.17). Myokardinfarkte traten seltener in der zeitnah revaskularisierten Gruppe auf (1.9% vs. 4.5%, HR 0.41, 95% CI 0.22-0.76, p<0.01), jedoch war der Endpunkte durch peri-prozedurale Ereignisse, welche in der zeitnah revaskularisierten Gruppe durch den Index Myokardinfarkt maskiert waren, verzerrt. Die Gesamtsterblichkeit und kardiovaskuläre Mortalität, sowohl nach 30 Tagen als auch nach 12 Monaten war vergleichbar zwischen den Gruppen (numerisch niedriger in der «staged PCI» Gruppe) (35).

Die MULTISTARS-AMI-Studie randomisierte 840 STEMI-Patienten zu einer umgehenden vollständigen Revaskularisierung gegenüber einer «staged PCI» Strategie binnen 19 bis 45 Tagen. Der primäre Endpunkt bestehend aus Gesamtmortalität, Myokardinfarkt, ungeplanter ischämiebedingter Revaskularisierung und Herzinsuffizienz-Hospitalisierung nach 1 Jahr trat seltener in der umgehend vollständig revaskularisierten Gruppe auf (8.5% vs. 16.3%, HR 0.52, 95% CI 0.38-0.72, p<0.01). Wie auch in der BIOVASC-Studie waren nur etwa ein Drittel der ausschlaggebenden Myokardinfarkt-Ereignisse spontane Events der zur Behandlung anstehenden nicht-culprit Läsionen. Ausschlaggebend waren periprozedurale Myokardinfarkte, welche in der frühen Revaskularisationsgruppe im initialen Enzympeak des Indexinfarktes untergehen, aber niederschwellig erkannt werden in der «staged PCI» Gruppe. Die Gesamtsterblichkeit und kardiovaskuläre Sterblichkeit war vergleichbar zwischen den Gruppen (36).

In einer Analyse des Bern-PCI Registers mit 1432 ACS-Patienten fand sich keinerlei Signal dass eine zeitnahe (<4 Wochen) gegenüber einer verzögerten (>4 Wochen) «staged PCI» mit einem Unterschied in schweren kardiovaskulären Ereignissen assoziiert sein könnte (37).

Intrakoronare Bildgebung

Die Bedeutung der intrakoronaren Bildgebung wurde erstmals in den Richtlinien hervorgehoben mit einer Klasse IIa-A-Indikation für die Verwendung von Imaging zur Stentimplantation und einer IIb-C-Indikation zur Klärung von unklaren Angiographiebefunden (mit Präferenz für die optische Kohärenztomographie, OCT) (1).

Sekundärprevention

Zusätzlich zum weiterhin gültigen Motto «the lower the better» gilt es, das Lipidziel nach ACS schnellstmöglich zu erreichen. Bei Patienten mit einem kardiovaskulären Zweitereignis binnen 2 Jahren liegt das LDL-Ziel bei <1.0mmol/L (<40mg/dl).(1, 38) Eine Neueinleitung oder Umstellung auf ein hochpotentes Statin (Atorvastatin, Rosuvastatin) sollte immer Teil der Therapiestrategie sein, wobei gemäss der neuen Empfehlungen zur raschen Zielerreichung eine initiale Kombinationstherapie mit Ezetimib erwogen werden kann (Klasse IIb-B). Gemäss Leitlinien sollte eine erste Kontrolle hinsichtlich Ziel-Erreichung in 4-6 Wochen stattfinden (1). Die Limitatio der PCSK-9 Hemmer verlangt jedoch eine 3-monatige Therapie in maximal verträglicher Dosierung (mit oder ohne Ezetimib, oder Ezetimib als Monotherapie), und erstattet bei LDL-Spiegeln von >1.8mmol/L. Mit einer LDL-Senkung von 50-70% unter einer Statin-/Ezetimib-Kombination fällt ein relevanter Anteil von Patienten in den nicht erstattbaren aber gemäss Leitlinien unzureichend kontrollierten Bereich (d.h. 1.4 – 1.8 mmol/L). Eine praktikable Lösung dieses Problems beinhaltet Ezetimib vorzuenthalten, um eine Therapie mit den etwa 3x so potenten PCSK-9 Hemmern zu ermöglichen (39). Dadurch kann sogar eine Regression von bereits bestehenden Koronarplaques erreicht werden (29, 40).

Die antidiabetische Therapie sollte auf Komorbiditäten wie Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz und Übergewicht abgestimmt werden (Klasse I-A) (1). Die ebenso am ESC präsentierten neuen Leitlinien für das Management von kardiovaskulären Erkrankungen bei Patienten mit Diabetes empfehlen den Einsatz von SGLT-2-Hemmern bei allen Patienten mit Herzinsuffizienz (unabhängig von der systolischen Linksventrikelfunktion, dem HbA1c und der begleitenden antidiabetischen Therapie), und Niereninsuffizienz (Klasse I-A). Bei Patienten mit atherosklerotischer Herzkreislauferkrankung sollte unabhängig von der Blutzuckerkontrolle ein GLP-1-Rezeptor-Antagonist zur Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse zum Einsatz kommen (Klasse I-A), speziell wenn eine Gewichtsreduktion angestrebt wird (Klasse IIa-B) (41).

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PD Dr. med. univ. Miklos Rohla

Inselspital, Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Kardiologie
Herz Gefäss Zentrum
Freiburgstrasse 20
3010 Bern

miklos.rohla@insel.ch

Prof. Dr. Dr. Lorenz Räber

Leiter Herzkatheterlabor
Universitätsklinik für Kardiologie
Inselspital
Freiburgstrasse 18
3010 Bern

lorenz.raeber@insel.ch

Miklos Rohla erhielt Beratungshonorare von Daiichi Sankyo, Sanofi Aventis, COR2ED, Novartis und Medtronic, sowie Vortragshonorare von Daiichi Sankyo, Biotronik und Takeda Pharma.
Lorenz Räber erhielt Forschungsförderungen an die Institution von Abbott, Biotronik, Heartflow, Sanofi, Regeneron und Beratungs- bzw. Vortragshonorare von Abbott, Amgen, AstraZeneca, Canon, Novo Nordisk, Medtronic, Sanofi, Occlutech, und Vifor.

◆ Bei NSTEMI-Patienten entscheiden weiterhin Risikocharakteristika über die Dringlichkeit der invasiven Abklärung, wobei Patienten mit sehr hohem Risiko («very high risk») wie STEMIs zu behandeln sind. Der anteilsmässig grösste Teil der Patienten fällt in die Hochrisikogruppe («high risk»), bei denen eine Angiographie innerhalb des initialen Krankenhausaufenthaltes Pflicht ist (I B), aber nicht mehr zwingend innerhalb der ersten 24h (IIa B)
◆ OHCA-Patienten ohne ST-Hebungen sollen nicht mehr zwingend unverzüglich angiographiert, wegen fehlendem Einfluss auf die Prognose
◆ Im Hinblick auf antithrombotische Kombinationstherapie rückt die Vermeidung von Blutungskomplikationen und der damit einhergehende netto klinische Benefit vermehrt in den Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen
◆ Ein routinemässiges Pre-loading mit P2Y12 Inhibitoren vor der Angiographie bei STEMI Patienten ist nicht mehr empfohlen
◆ Die vollständige Revaskularisation aller Koronargefässe nach STEMI ist empfohlen (I A), entweder während der Index Angiographie oder während eines geplanten Zweiteingriffes innerhalb von 45 Tagen
◆ Intrakoronares Imaging wird zur Optimierung der PCI empfohlen
(IIa-A)
◆ Für die lipidsenkende Therapie gilt nicht nur «the lower the better» sondern auch «hit hard and early»

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Oligometastasiertes Prostatakarzinom

Das Konzept der Oligometastasierung als fortgeschrittenes Tumorstadium, welches dennoch in kurativer Intention behandelt werden könne, wurde 1995 von Hellman und Weichselbaum formuliert (1). Beispiele für eine kurative Metastasen-gerichtete Therapie (MDT) sind die Resektion von Lebermetastasen von kolorektalen Tumoren (2–5), von adrenalen Metastasen von nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen (6) oder von Lungenmetastasen verschiedener Tumoren (7). Ziel dieser Arbeit ist es, die Evidenz zur MDT beim oligometastasierten Prostatakarzinom zusammenzufassen und ein paar konkrete Empfehlungen zu geben.

The concept of oligometastasis as an advanced tumour stage that can nevertheless be treated with curative intent was formulated by Hellman and Weichselbaum in 1995 (1).Examples of curative metastasis-directed therapy (MDT) include resection of liver metastases from colorectal tumours (2-5), adrenal metastases from non-small cell lung cancer (6) or lung metastases from various tumours (7). The aim of this paper is to summarise the evidence on MDT for oligometastatic prostate cancer and to make some specific recommendations.
Key Words: oligometastasis, curative metastasis-directed therapy (MDT), radiotherapy, stereotactic ablative radiotherapy, oligometastatic prostate cancer

Das oligometastasierte Prostatakarzinom (omPC) wird meist charakterisiert als das Vorliegen von maximal drei Fernmetastasen (M1), typischerweise Lymphknoten- und/oder Knochenmetastasen (8). Die beste Evidenz für Behandlungsempfehlungen beim metastasierten Hormon-sensitive Prostatakarzinom (mHSPC), welches auch das oligometastasierte Hormon-sensitiven Prostatakarzinom (omHSPC) umfasst, gibt es für palliative medikamentöse Therapien. Die Grundlage der Systemtherapie stellt dabei eine Androgendeprivation (ADT) dar, wobei die Intensivierung der Therapie durch die Ergänzung von Androgen Receptor Pathway Inhibitors (ARPI) und in ausgewählten Fällen von Docetaxel die Prognose deutlich verbessert werden kann (9–17).

Im Falle einer bei Erstdiagnose vorliegenden Oligometastasierung (d.h. synchrone Metastasierung) ist häufig auch die Definition einer low volume Erkrankung gemäss CHAARTED-Kriterien erfüllt (16), bei der nach den Ergebnissen aus der STAMPEDE-Studie eine hypofraktionierte Bestrahlung des Primärtumors neben der Standard ADT zu einer absoluten Verbesserung des Gesamtüberlebens von 8% nach 3 Jahren führt (18). In kürzlich präsentierten Ergebnissen der PEACE-1-Studie, zeigte sich in dieser Situation jedoch mit ADT plus Abiraterone (+/- Docetaxel) behandelten Männern durch eine Bestrahlung der Prostata zwar eine Verbesserung des radiographisch Progressions-freien Überlebens (rPFS), jedoch keine Verbesserung des Gesamtüberlebens (19). Daten aus randomisierten Studien für eine MDT bei synchron omHSPC liegen bisher kaum vor. Eine Radiotherapie z. B. einer singulären Knochenmetastase im Bereich der Symphyse kommt allenfalls pragmatisch in Betracht, wenn der Primärtumor bestrahlt wird und dies nicht zu einem relevant höheren Toxizitätsrisiko führt.

Die besten Daten für eine MDT beim omHSPC nach vorgängiger kurativ intendierter Behandlung mittels Prostatektomie oder Radiotherapie (d.h. metachrone Metastasierung) stammen von den randomisierten Phase 2 Studien STOMP und ORIOLE (20, 21). In beiden Studien wurden asymptomatische Patienten mit maximal drei Metastasen eingeschlossen, festgestellt mittels Cholin-PET/CT in der STOMP-Studie (20) bzw. Computertomographie, Magnetresonanztomographie und/oder Knochenszintigraphie in der ORIOLE-Studie (21). Die Patienten wurden anschliessend randomisiert zu einer lokalen Therapie (stereotaktische ablative Radiotherapie, SABR) oder Beobachtung; in der STOMP-Studie war auch eine Resektion pelviner Lymphknotenmetastasen (cN1) möglich (20). In beiden Studien zeigte sich ein signifikanter Unterschied im primären Endpunkt: In der STOMP-Studie fand sich eine Verlängerung der ADT-freien Zeit von median 8 Monaten (20) und in der ORIOLE-Studie eine absolute Reduktion der Progressionswahrscheinlichkeit nach 6 Monaten um 42% (21). Beeindruckend ist die ADT-freie Rate von 34% nach 5 Jahren bei der STOMP-Studie. Die Charakteristika und Ergebnisse beider Studien sind in der Tabelle 1 zusammengefasst.

Bei der Interpretation dieser Daten ist zunächst zu konstatieren, dass eine reine Verlaufsbeobachtung – anders als bei der Planung der Studien – heute kein übliches Vorgehen mehr darstellt und lediglich bei geringer Krankheitsdynamik eine Option darstellt. Weiters handelt es sich um kleinere Phase 2 Studien mit einer beträchtlichen Wahrscheinlichkeit für ein falsch-positives Ergebnis (alpha Fehler). Auch die Bildgebung für den Studieneinschluss dürfte heutzutage an vielen Orten vom sensitiveren PSMA-PET/CT-Untersuchungen abgelöst worden sein. Die Bedeutung hiervon illustriert eine Substudie der ORIOLE-Studie, in der bei allen Männern vor SABR auch ein PSMA-PET gemacht wurde, wobei die Investigatoren bei der Therapieplanung keine Kenntnis der entsprechenden Befunde hatten (21). Es zeigte sich dann, dass bei fast der Hälfte der mit SABR behandelten Männer, viele PET-positive Befunde nicht von den Bestrahlungsvolumina erfasst worden waren. Bemerkenswerterweise zeigte sich nach 6 Monaten dann nur bei 1/19 Männern (5%) mit Behandlung aller Metastasen eine Progression im Vergleich zu 6/16 (38%) bei denen nicht alle PET-positiven Befunde bestrahlt worden waren. Ein ähnliches Bild zeigte sich für den sekundären Endpunkt Progressions-freies Überleben (PFS) mit einer Hazard Ratio (HR) von 0.26 (P = 0.006) zu Gunsten von Patienten ohne nicht-behandelte Metastasen (21).

Gibt es andere Faktoren, welche mit einem Benefit einer Metastasen-gerichteten Therapie korrelieren? Interessanterweise war der Unterschied im ADT-freien Überleben in der STOMP-Studie bei Männern mit einer PSA-Verdoppelungszeit ≤ 3 Monaten deutlich grösser als bei Männern mit einer PSA-Verdoppelungszeit >3 Monaten (20). In einer kürzlich publizierten kombinierten Analyse der beiden Studien mit einem median Follow-up von 53 Monaten konnte bei 70 Patienten ein next generation sequencing (NGS) durchgeführt werden, wobei der relative Benefit einer Metastasen-gerichteten Therapie (MDT) bei Vorliegen einer Hochrisiko-Signatur (definiert als Mutation in ATM, BRCA1/2, Rb1 oder TP53) tendenziell grösser war als wenn eine solche Signatur nicht vorlag: Hazard Ratio für Progression-freies Überleben (HRPFS) 0.05 vs. HRPFS 0.42 (P für Interaktion 0.12) (22). Oder in absoluten Zahlen: Medianes PFS mit Hochrisiko-Signatur 7.5 Monate (MDT) vs. 2.8 Monate (Beobachtung) bzw. ohne Vorliegen einer Hochrisiko-Signatur 13.4 Monate (MDT) vs. 7.0 Monate (Beobachtung) (22). Falls in weiteren Studien bestätigt, dürfte diese Unterscheidung hilfreich sein, da insgesamt Männer mit einem metachron oligometastasierten Prostatakarzinom eine ausgezeichnete Prognose haben (mittleres Überleben in der Grössenordnung von acht Jahren mit alleiniger ADT) (23).

Eine synergistische Wirkung zwischen Radiotherapie und endokriner Therapie ist in der lokalisierten Situation klar belegt (24). Eine kurzzeitige systemische Therapie bestehend aus ADT + ARPI in Kombination mit MDT kann, basierend auf der EXTEND-Studie, erwogen werden (25). In dieser randomisierten Phase 2 Studie wurden Männer mit oligometastasiertem Prostatakarzinom (definiert als maximal 5 Metastasen, diagnostiziert mittels Computertomographie und Knochenszintigraphie oder Fluciclovine F18 PET/CT) nach mindestens zweimonatiger ADT randomisiert zu einer zusätzlichen ablativen Strahlentherapie aller Metastasen unter Fortführung der ADT mit oder ohne ARPI oder einer alleinigen Fortführung der ADT mit oder ohne ARPI. Die endokrine Therapie wurde nach 6 Monaten pausiert und erst bei biochemischer/radiographischer Progression wieder begonnen (intermittierende Gabe). Der primäre Endpunkt war PFS. Mehr als 60% der Patienten in der Gruppe mit der zusätzlichen Strahlentherapie und lediglich 30% der Patienten in der Gruppe ohne Strahlentherapie benötigten 2 Jahre nach Studieneinschluss keinen Wiederbeginn der systemischen Therapie (25). Weitere Details zu Studien sind in Tabelle 2 zusammengefasst.

In der erwähnten EXTEND-Studie mit recht heterogenem Patientenkollektiv wurden insgesamt auch 7 Patienten mit oligometastasiertem Kastrations-resistentem Prostatakarzinom (omCRPC) eingeschlossen, aber auf Grund der Subgruppengrösse nicht separat ausgewertet (25). Randomisierte Daten für eine MDT bei omCRPC liegen ansonsten nicht vor und das Vorgehen in dieser Situation bedarf wie auch das Management einer Oligoprogression (z.B. Progress einer singulären Metastase bei ansonsten ansprechenden oder stabilen Metastasen) einer Einzelfallentscheidung.

Zusammenfassend kann zum oligometastasierten Prostatakarzinom festgehalten werden, dass drei randomisierte Phase 2 Studien eine Verlängerung der Progressions-freien Zeit durch eine Metastasen-gerichtete Therapie – typischerweise eine stereotaktische Radiotherapie – bei metachroner Metastasierung zeigen konnten, eine Systemtherapie jedoch auch bei Oligometastasierung die Standardbehandlung darstellt. Eine Metastasen-gerichtete Therapie (MDT) ohne begleitende Systemtherapie kommt im Einzelfall bei gut informierten Patienten nach PSMA-PET/CT und sorgfältiger interdisziplinärer Evaluation in Betracht, insbesondere um Nebenwirkungen der endokrinen Therapie zu vermeiden (26). Die Kombination MDT mit einer zeitlich unbegrenzten endokrinen Therapie sollte aus unserer Sicht jedoch kritisch hinterfragt werden, da in den erwähnten Studien STOMP und ORIOLE eine solche Kombination nicht vorgesehen war bzw. eine Verlängerung der ADT-freien Zeit gerade das primäre Studienziel darstellte (STOMP-Studie). Eine zeitlich begrenzte endokrine Therapie in Kombination mit einer MDT kann hingegen, wie durch die EXTEND-Studie illustriert, ebenfalls bei gut informierten Patienten, auch ein sinnvolles Vorgehen darstellen.

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Prof. Dr. med. Arnoud Templeton

Medizinische Onkologie, St. Claraspital, Basel, Schweiz;
St. Clara Forschung, Basel, Schweiz;
Medizinische Fakultät, Universität Basel, Basel, Schweiz

Arnoud.Templeton@claraspital.ch

Dr. med. Alexandros Papachristofilou

Radioonkologie
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel

Arnoud J. Templeton hat Honorare erhalten von Astellas (persönlich [P], an die eigene Institution [I]), Bayer (I), Janssen (P, I), MSD (I), Roche (I), SAKK (P); er hat an Advisory Boards mit Vergütung teilgenommen von MSD (P, I), Sanofi (I), Roche (I), Janssen (I), Bayer (I), Pfizer (I), Ipsen (I), Sandoz (I), BMS (I); er hat Kongressunterstützung erhalten von Orion Pharma (P), Roche (P).
Alexandros Papachristofilou hat Honorare erhalten von Debiopharm, Janssen, Merck und Sanofi sowie Kongressunterstützung von Bayer, Astellas, AstraZeneca.

◆ Bei synchron metastasiertem, oligometastasiertem ProstataCa besteht in der Regel keine Indikation für die Radiotherapie von asymptomatischen Fernmetastasen.
◆ Eine hypofraktionierte Strahlentherapie des Primärtumors kann gemäss STAMPEDE-Studie weiterhin empfohlen werden, der absolute Benefit dürfte jedoch im Zeitalter der eskalierten systemischen Therapie geringer sein.
◆ Eine Radiotherapie von einzelnen Metastasen kann die ADT-freie Zeit verlängern.

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Duktales Carcinoma in situ der Brust: ein Update

Das duktale Carcinoma in situ (DCIS) ist weltweit auf dem Vormarsch. Bei circa 20% aller im Mammographiescreening detektierten Neoplasien handelt es sich um ein DCIS. In diesem Artikel fassen wir die aktuellen Empfehlungen zur Therapie des DCIS zusammen. Dabei wird auch auf die 10-Jahres-Follow-up-Daten der TAM-01 Studie eingegangen, die den adjuvanten Einsatz von «Baby-TAM» nach verschiedenen prämalignen Läsionen untersucht hat.

Ductal carcinoma in situ (DCIS) is on the rise worldwide. Approximately 20% of all neoplasms detected in mammography screening are DCIS. In this article, we summarize the current recommendations for the treatment of DCIS. The 10-year follow-up data from the TAM-01 trial, which investigated the adjuvant use of “Baby-TAM” after various premalignant lesions, is also discussed.
Key Words: Ductal carcinoma in situ, TAM-01 trial, Baby-TAM, premalignant lesions

Einleitung

Bei ca. 20% der mittels Mammographie diagnostizierten Neoplasien handelt es sich um ein duktales Carcinoma in situ (DICS), welches zumeist durch radiologisch suspekt angeordnete Mikroverkalkungen entdeckt wird. In den letzten Jahren kam es durch die Einführung von Screeningprogrammen zu einem deutlichen Anstieg der diagnostizierten DCIS-Fälle von etwa 3% vor Einführung des Screenings auf über 25%. Diese deutliche Zunahme der Inzidenz des DCIS birgt auch eine gewisse Gefahr der Überdiagnose und Übertherapie dieser Erkrankung.

Das Krankheitsbild des DCIS ist sehr häufig assoziiert mit Mikroverkalkungen im Gewebe (Abb. 1). DCIS bilden nur selten einen Knoten und sind deshalb praktisch nicht durch eine Tastuntersuchung zu entdecken. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um eine Zufallsdiagnose im Rahmen der Vorsorge. In den letzten Jahren wird über alle Fachbereiche hinweg sehr intensiv diskutiert, inwiefern welche Therapien sinnvoll sind, um unnötige Interventionen zu vermeiden. Dieser Artikel soll einen Überblick über die aktuellen Behandlungsempfehlungen geben und einen kritischen Blick darauf werfen, was wirklich mit einem Nutzen für die Patientin einhergeht.

Histopathologie und natürlicher Verlauf

Das duktale Carcinoma in situ gehört pathomorphologisch zu einer sehr heterogenen Gruppe von präinvasiven Läsionen mit unterschiedlichem malignen Potential. Das Spektrum erstreckt sich von kleinen low-grade Befunden bis hin zu ausgedehnten high-grade Läsionen. Das Hauptmerkmal des DCIS ist die fehlende Stromainvasion. In manchen Ländern wird auch von einem intraduktalen Karzinom als non-invasivem Brustkrebs gesprochen, welcher durch eine Proliferation von abnormen Zellen innerhalb der Basalmembran erklärt wird.

Eine Einteilung nach Pathologie und Wachstumsmuster zum besseren Verständnis dieser Krankheit ist sinnvoll (Abb. 2). Es werden die Komedo-Typen und Nicht-Komedo Typen unterschieden. Bei dem häufigsten Typ, dem DCIS vom Komedo Typ, zeigen die zentralen Zellen eine Nekrose mit Kalzifikationen. Sie sind deutlich aggressiver im Wachstum als die Nicht-Komedo Typen und gehen in circa 40% der Fälle in ein invasives Karzinom über. Bei den Nicht-Komedo Typen werden solide, kribriforme, papilläre, mikropapilläre und gemischte Typen unterschieden. Trotz der ausgeprägten Heterogenität der DCIS-Typen und der damit verbundenen unterschiedlichen klinischen Verläufe, wird heutzutage noch jedes DCIS praktisch gleichbehandelt. Ansätze, die verschiedenen DCIS- Entitäten besser charakterisieren zu können und dementsprechend auch zielgerechter behandeln zu können, liegen beispielsweise in der Nutzung von Multigen-Panel-Testungen (wie z.B. Oncotype DX Breast DCIS Score). Das Ziel dieser Testung ist es, die jeweiligen biologischen Eigenschaften des DCIS zu berücksichtigen und über Risiko-Scores Patientengruppen zu identifizieren, die weniger Therapie benötigen (1). Diese Testungen sind allerdings heutzutage noch wenig im Einsatz.

Leider fehlen noch immer Prädiktoren zur Abschätzung des Progressionsrisikos eines DCIS, die darüber Auskunft geben, wann das DCIS in ein invasives Karzinom übergeht. Aus den wenigen vorhandenen Publikationen zum natürlichen Verlauf des DCIS wird ersichtlich, dass ein unbehandeltes high-grade DCIS in mehr als 50% der Fälle innerhalb von 5 Jahren in ein invasives Karzinom übergehen kann. Auch ca. 35-50% der low-grade DCIS gehen in ein invasives Karzinom über, allerdings über einen Zeitraum von > 40 Jahren (2).

Operative Therapie des DCIS

Der Stellenwert der Operation des DCIS ist weiterhin unbestritten und ist nach den aktuellen Leitlinien der AGO-Mamma die wichtigste Therapiesäule. Gemäss diesen Empfehlungen sollte bei einem histologisch gesicherten DCIS eine Exzision des Befundes erfolgen. Inwiefern eine brusterhaltende Therapie oder eine Mastektomie durchgeführt werden kann, hängt natürlich von verschiedenen Faktoren, wie insbesondere Grösse von Läsion und Brust, ab und muss interdisziplinär und mit der Patientin diskutiert werden. Die ausreichende chirurgische Resektion des DCIS ist ein wichtiger Pfeiler der operativen Therapie. Da eine Korrelation zwischen freien Resektionsrändern und der lokalen Kontrolle besteht (3), sollte der Sicherheitsabstand zu den Resektionsrändern ≥ 2 mm betragen (4). Jedoch wird das Outcome der Patientinnen nachweislich nicht verbessert, wenn die Schnittränder grösser sind. Daher wird auch in einem Konsensus der SSO-ASTRO-ASCO – basierend auf einer Metaanalyse aus 20 Studien mit insgesamt 8651 Patientinnen – ein Resektatrand von 2 mm beim DCIS als ausreichend erachtet (5,6).

Eine Intervention in der Axilla mittels Sentinellymphonodektomie ist nur bei einer Mastektomie indiziert.

Strahlentherapie

Eine weitere Säule der Behandlung des DCIS ist die Bestrahlung. In den aktuellen AGO – Guidelines werden die konventionelle fraktionierte Radiotherapie (50 Gy in 25 Fraktionen) und die hypofraktionierte Radiotherapie (40-42,5 Gy in 15-16 Fraktionen) weiterhin als Standard formuliert (7). Dieses wird empfohlen nach einer brusterhaltenden Therapie und nicht nach einer Mastektomie.

Die adjuvante Radiotherapie muss jedoch mit der Patientin auf der Basis einer Risiko-Nutzen-Bewertung individuell erörtert werden, da sie keinen Einfluss auf das Gesamtüberleben hat.

In der NSABP-B17 und dem EORTC 10853-Trial wurde gezeigt, dass die meisten Lokalrezidive bei high-grade DCIS mit positiven oder unbekannten Resektionsrändern auftraten. Die Radiotherapie führte zur Reduktion, aber nicht zur Eliminierung der Lokalrezidivrate mit einer ca. 50%igen Risikoreduktion in allen Subgruppen. Insgesamt konnte kein Einfluss auf das Gesamtüberleben der Patientinnen festgestellt werden. Die Nebenwirkungen und Nachteile der Radiotherapie müssen gegenüber der erreichbaren Risikoreduktion abgewogen werden. Falls man auf eine Bestrahlung nach einer brusterhaltenden Therapie verzichtet, erhöht sich das lokale Rezidivrisiko ohne Einfluss auf das Überleben der Patientin. In einzelnen Fällen (z.B. hohes Alter der Patientin, kleine low risk-DCIS mit ausreichenden Resektaträndern) sollte über einen Verzicht der Bestrahlung diskutiert werden. Laufende Studien, wie der LORIS Trial (Low Risk DCIS Trial) aus England oder die LORD (Low Risk DCIS) Study der EORTC sollen die Frage klären, bei welchen Frauen vielleicht auch ein aktives Monitoring ausreicht.

Endokrine Therapie

Tamoxifen kann das Risiko für ein ipsilaterales DCIS-Rezidiv um 25% und das Auftreten eines kontralateralen DCIS-Rezidivs um 50% senken (8). Die Cochrane-Analyse zeigte aber auch, dass invasive ipsilaterale Rezidive nicht signifikant reduziert wurden, es jedoch zu einer signifikanten Reduktion der kontralateralen invasiven Karzinome kam. Insgesamt liegt die «Number needed to treat» bei 15 Patientinnen für alle In-Brust Events. Die «Number needed to treat» um ein invasives Mammakarzinom zu verhindern, liegt bei 59. Es zeigte sich kein Benefit für das Gesamtüberleben. Diesem geringen Benefit für die Reduktion lokaler Events steht ein nicht zu vernachlässigendes Nebenwirkungsprofil gegenüber: Lebensqualitätseinschränkungen, ein erhöhtes Thrombose-/Embolie-Risiko und ein erhöhtes Risiko für Endometriumkarzinome müssen sorgfältig abgewogen werden.

Die Aromataseinhibitoren wie z.B. das Anastrozol zeigen in der adjuvanten Anwendung hier vergleichbare Effekte wie das Tamoxifen. In der IBIS-II DCIS Studie (9) konnte kein Unterschied in der Rezidivrate zwischen Anastrozol und Tamoxifen festgestellt werden. Aber auch hier ist das Nebenwirkungsspektrum zu beachten, wie z.B. die Reduktion der Knochendichte, Gelenkschmerzen und Wechseljahresbeschwerden. Es ist ebenfalls zu beachten, dass sich alle Studien bezüglich adjuvanter endokriner Therapien auf postmenopausale Patientinnen beziehen, die eine brusterhaltende Therapie erhalten haben. Somit kann aktuell aufgrund der Nebenwirkungen und der aber unveränderten Gesamtmortalität die endokrine Therapie bei einem DCIS nicht generell empfohlen werden. Sicherlich kann man aber auch in Einzelfällen die endokrine Therapie als Option für die Rezidivprophylaxe anbieten.

Low-dose Tamoxifen (Baby-TAM)

In der Phase-III-TAM-01-Studie wurden 500 Frauen mit prämalignen bzw. Hochrisikoläsionen eingeschlossen: 20% mit atypischer duktaler Hyperplasie, 11% mit LCIS und 69% mit DCIS. Diese Frauen wurden randomisiert und erhielten für 3 Jahre entweder 5 mg Tamoxifen oder Placebo täglich. Nach einem medianen Follow-up von 9,7 Jahren wurden 15 in situ und 51 invasive Mammakarzinome diagnostiziert: 25 in der low-dose-Tamoxifengruppe und 41 in der Placebogruppe (Hazard ratio [HR], 0.58; 95% CI, 0.35 to 0.95; log-rank P = .03). Die meisten Rezidive waren invasiv (77%) und traten ipsilateral auf (59%). Bei den kontralateralen Rezidiven traten sechs im Tamoxifenarm auf und 16 im Placeboarm (HR, 0.36; 95% CI, 0.14 to 0.92; P = .025). Um einen Brustevent in der Tamoxifengruppe zu verhindern, mussten – bezogen auf einen Zeitraum von 10 Jahren – 14 Frauen behandelt werden. Dieser Benefit konnte in allen Subgruppen gesehen werden. Es zeigte sich eine signifikante 50-prozentige Rezidivreduktion in der DCIS-Kohorte, die 70% der Gesamtpopulation in der TAM-01-Studie repräsentierte (HR, 0.50; 95% CI, 0.28 to 0.91; P = .02). Zwischen der Placebogruppe und der low-dose Tamoxifengruppe zeigten sich auch im verlängerten Follow-up keine Unterschiede bezüglich der Inzidenz von Nebenwirkungen.

Mit den nun vorliegenden 10 Jahres-Follow-Up-Daten stellt low-dose Tamoxifen eine echte Alternative zur adjuvanten endokrinen Therapie beim DCIS dar, insbesondere bei Frauen mit einem höheren Risikoprofil.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

med. prakt. Anika Leingartner

Interdisziplinäres Brustzentrum Kantonsspital Baden
5404 Baden

Prof. Dr. med. Cornelia Leo

Interdisziplinäres Brustzentrum
Kantonsspital Baden AG
Im Ergel 1
5404 Baden

Die Autorinnen haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Der Goldstandard der Therapie des DCIS bleibt weiterhin die operative Therapie mit ausreichendem Sicherheitsabstand ≥ 2 mm.
◆ In den meisten Fällen ist die Durchführung einer brusterhaltenden Therapie möglich und sollte hier auch bevorzugt werden.
◆ Im Anschluss an die operative Entfernung sollte, insbesondere beim high-grade DCIS, eine adjuvante Radiatio der betroffenen Brust erfolgen. Diese muss jedoch mit der Patientin auf der Basis einer Risiko-Nutzen-Bewertung individuell erörtert werden.
◆ Nach einer Mastektomie ist keine postoperative Bestrahlung indiziert.
◆ Aufgrund des hohen Nebenwirkungsspektrum der endokrinen Therapie ohne positiven Einfluss auf das Gesamtüberleben wird eine adjuvante endokrine Therapie bei einem DCIS nicht generell empfohlen.
◆ Eine endokrine Deeskalation mit Tamoxifen 5mg, dem sogenannten «Baby-TAM», kann erwogen werden.

 

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Mind the gap!

Kürzlich fand in Bern das von der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung (SAKK) organisierte zweitägige «translational urogenital cancer network meeting» statt. Akademische Forschungsgruppen aus allen Teilen der Schweiz präsentierten ihre laufenden Arbeiten im Bereich der Grundlagenforschung von Blasenkarzinom und Prostatakarzinom. Hervorragende junge Forscherinnen und Forscher zeigten dabei eindrückliche Resultate aus ihren präklinischen Studien, die in hochkarätigen internationalen Journals publiziert worden sind. Das Publikum bestand aus den Grundlagenforscherinnen sowie aus Mitgliederinnen der Projektgruppe urogenitale Tumore der SAKK. Dieses Meeting wird regelmässig seit mehr als zehn Jahren mit dem Ziel durchgeführt, eine bessere Vernetzung zwischen der Grundlagenforschung und der klinischen Krebsforschung zu erreichen.

Schon lange ist erkannt, dass ein besseres gegenseitiges Verständnis für die jeweils andere Seite zu mehr erfolgreichen Kooperationen im Bereich der Krebsforschung führt. Viele Labors in denen Grundlagenforschung betrieben wird, wissen voneinander und sind auf ihrem Gebiet national sowie international bereits sehr gut vernetzt. Weiterhin mangelt es jedoch sowohl von klinischer Seite wie auch von Seiten der Grundlagenforschung am Wissen darum, was die aktuellen Trends in der jeweils anderen Disziplin sind. Die ist umso wichtiger, als sich die Therapiemöglichkeiten für Krebserkrankungen im klinischen Bereich in den letzten Jahren sehr rasch verändert haben und somit andere Prioritäten in den Vordergrund gerückt sind. Um in Zukunft relevante Grundlagenforschung zu betreiben die Ergebnisse erzielt, welche idealerweise in der Praxis umgesetzt werden können, braucht es dieses gegenseitige Wissen und ein gutes Netzwerk nicht nur auf Ebene der Grundlagenforschung oder der klinischen Forschung, sondern insbesondere auch untereinander. Die Schweiz bietet sich hier als Modell an, mit mehreren hervorragenden Institutionen, hochmotivierten Forscherinnen und Klinikerinnen und grundsätzlich kurzen Wegen. Was es zur vielgepriesenen «Translation» braucht, ist darum eine konkrete und regelmässige Vernetzung um das Verständnis füreinander zu fördern und voneinander zum gegenseitigen Wohl zu profitieren. Hier setzen Initiativen wie dieses interdisziplinäre Forschungsmeeting der SAKK an. Weitere ähnliche Veranstaltungen wären zu begrüssen und könnten einen zusätzlichen Beitrag zur Verständigung und Verbesserung der Koordination und Kooperation leisten.

Viele spektakuläre Fortschritte in der Behandlung von Krebserkrankungen sind in den letzten Jahren dank der vermehrten Umsetzung von Erkenntnissen der Grundlagenforschung möglich geworden und helfen nun tagtäglich unseren Patientinnen und Patienten. Wir müssen weiterhin dafür besorgt sein, dass der Graben zwischen den verschiedenen Forschungsspezialitäten immer kleiner wird. Das stellt eine sehr wichtige Aufgabe für alle dar, die in diesem Umfeld aktiv sind. Mind the gap!

 

Prof. Dr. med. Richard Cathomas

Prof. Dr. med. Richard Cathomas

Onkologie/Hämatologie
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170
7000 Chur

richard.cathomas@ksgr.ch

Patientenzentrierte Forschung zur Dosisoptimierung von Onkologika

Pharmazeutika treiben die Kosten der Krebsbehandlung erheblich an und beschränken den Zugang zu lebensrettenden Medikamenten, insbesondere in Ländern mit geringem Einkommen. Viele neue Krebsmedikamente sind teuer, was ihre Verfügbarkeit in diesen Ländern und für unversicherte Patienten stark einschränkt. Die Herstellungs- und Entwicklungskosten solcher Medikamente sind oft gering im Vergleich zu ihren Verkaufspreisen.

Pharmaceuticals significantly drive up the cost of cancer treatment and limit access to life-saving drugs, especially in low-income countries. Many new cancer drugs are expensive, which severely limits their availability in these countries and to uninsured patients. The manufacturing and development costs of such drugs are often low compared to their retail prices.
Key Words: cost of cancer treatment, cancer drugs
Orginalartikel: Annals of Oncology 2023 Aug;34(8):638-644. doi: 10.1016/j.annonc.2023.05.006.

Die Art und Weise, wie Medikamente entwickelt und dosiert wer­den, hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert.
Die herkömmliche Annahme war, dass höhere Dosen zu mehr Wirk­samkeit führen, aber dies kann auch zu mehr Toxizität ohne zusätzlichen Nutzen führen. Die optimale Dosis für viele Medikamente ist oft erheblich niedriger als die maximale verträgliche Dosis. Die FDA hat das Optimus-Projekt ins Leben gerufen, um Dosisoptimierungsstudien für neu zugelassene Krebsmedikamente zu fordern. Dieser Ansatz könnte dazu beitragen, die Kosten zu senken und den Zugang zu lebensrettenden Medikamenten zu verbessern. Es wurden Leitlinien für die Pharmaindustrie verfasst. Durch die Testung bezgl. minimal wirksamer Dosen vor der Zulassung können unnötige Toxizitäten für den individuellen Patienten reduziert werden. Gleichzeitig können direkte Kosten durch Medikamente aber auch sekundäre Kosten der Behandlung von Nebenwirkungen reduziert werden. Selbst wenn Programme wie Optimus erfolgreich sein sollten, können vermutlich dennoch nicht in allen Fällen optimale Dosierungen gefunden werden. Weitere Studien nach Markteinführung werden somit weiterhin notwendig sein.

Die meisten klinischen Studien zur Bewertung von Krebsmedikamenten werden üblicherweise von pharmazeutischen Unternehmen durchgeführt und finanziert mit dem Ziel einer Zulassung und Vergütung. Anreize zur Durchführung von Studien, welche eine Nichtunterlegenheit zeigen sind aber kaum vorhanden. So wurden bis dato kaum Studien mit bereits patentabgelaufenen Medikamenten in neuen Indikationen durchgeführt, da dies kommerziell nicht interessant ist. Genau so wenig wurde in der Vergangenheit getestet ob Medikamente in geringerer Dosis oder weniger häufig gegeben werden könnten. Dies mutet seltsam an, in einer Welt der permanent steigenden Gesundheitskosten.

Ein neues Finanzierungsmodell, bei dem solche Studien von den Kostenträgern finanziert werden, bietet das Potenzial, diese Kosten zu reduzieren. Wenn eine Dosisoptimierungsstudie zeigt, dass das Dosierungsschema mit geringeren Kosten äquivalente Vorteile bietet, wie etwa ähnliche Überlebensraten bei geringerer Toxizität, könnten die langfristigen finanziellen Einsparungen erheblich sein.

Darüber hinaus sind die Nettokostenbelastungen für die Zahler, die solche Studien finanzieren, in der Regel null oder können sogar Geld sparen. Die Einsparungen bei den Arzneimittelkosten während der Studie können dazu verwendet werden, die Kosten der Studie zu decken. Dies macht die Finanzierung solcher Studien für die Kostenträger und Patienten bereits während der Studie attraktiv.

Die hohen Kosten für Pharmazeutika haben die Forschungsdisziplin der interventionellen Pharmakoökonomie voran gebracht. Diese Disziplin bewertet die Evidenz zur effektiven Dosierung aus klinischen und pharmakologischen Studien und strebt an, Toxizität und Kosten durch Reduzierung der Medikamentendosierung zu verringern. Frühere Veröffentlichungen haben gezeigt, dass die Verschreibungskosten für bestimmte Medikamente um mehr als 50% gesenkt werden können. Dies bedeutet, dass durch die Optimierung der Dosierung von Medikamenten erhebliche Kosteneinsparungen möglich sind.

Eine weniger einschneidende Strategie ist die Anpassung von Medikamentendosen an die Körpergrösse und das Körpergewicht der Patienten, um Toxizität und Kosten zu reduzieren. Die Anpassung der Dosen entsprechend dem Körpergewicht der Patienten kann weltweit zu erheblichen Einsparungen führen. In den USA könnte die gewichtsbasierte Dosierung von Pembrolizumab bei Lungenkrebspatienten die Kostenträger um über 800 Millionen US-Dollar pro Jahr entlasten. Kosten können auch durch Dosierungsanpassungen, z.B. durch die Einnahme mit Nahrung zur Erhöhung der Bioverfügbarkeit, oder durch den Einsatz kostengünstigerer Alternativen gesenkt werden. Das Ziel ist, die klinische Wirksamkeit beizubehalten, die Toxizität zu reduzieren und die finanzielle Belastung für Patienten und Kostenträger zu verringern.

Bei neuen Medikamenten führt die Suche nach niedrigeren, optimalen Dosierungen wahrscheinlich nicht zu niedrigeren Einführungspreisen, aber die Dosierungsoptimierung wird die Toxizität reduzieren und somit die Gesamtkosten für die Kostenträger senken. Bei bereits zugelassenen Krebsmedikamenten mit hohen Dosierungen gibt es erhebliches Potenzial zur Reduzierung von Toxizität und Kosten. Einige Pharmaunternehmen haben Preiserhöhungen vorgenommen, um ihre Einnahmen zu steigern, vor allem in den USA aber es ist schwierig, den Preis einer zugelassenen Dosis erheblich zu erhöhen, ohne öffentliche Empörung auszulösen. Das Teilen von Ampullen bei parenteralen Medikamenten wie monoklonalen Antikörpern bietet erhebliche Möglichkeiten zur Kosteneinsparung. Weniger häufige Dosierung oder kürzere Behandlungsverläufe können sowohl bei neuen als auch bei zuvor zugelassenen Medikamenten erhebliche Einsparungen bewirken.

Die Akzeptanz von abgesenkten Dosierungen von Krebstherapien in Industrieländern ist begrenzt, obwohl solche Ansätze das Potenzial haben, den Zugang zu wirksamen Behandlungen in ärmeren Ländern zu verbessern. Ein Beispiel hierfür ist die Tatsache, dass viele medizinische Leitlinien nach wie vor längere Behandlungszeiträume empfehlen (vergleiche hierzu Trastuzumab adjuvant über ein Jahr bei Brustkrebs versus kürzere Behandlung), obwohl kürzere Therapien, wie sie im Indian National Cancer Grid empfohlen werden, ebenfalls positive Ergebnisse zeigen. Ein weiteres Beispiel ist Abirateron, bei dem niedrigere Dosierungen, die zusammen mit Nahrung eingenommen werden, von der National Comprehensive Cancer Network (NCCN) als Alternative zu höheren, nüchternen Dosierungen aufgeführt sind.

Eine der Hauptursachen für die Zurückhaltung gegenüber abgesenkten Therapien liegt in der Befürchtung, dass dadurch die Wirksamkeit der Behandlung beeinträchtigt wird. Da in den Systemen der westlichen Welt keine Anreize bestehen kostengünstigere Alternativen zu wählen (Kosten werden ja von der Allgemeinheit über Prämien oder Steuergelder bezahlt) werden solche Optmierungen bis heute nicht nachgefragt. Kommt hinzu, dass höhere Dosen häufig auch mehr Nebenwirkungen bedeuten. Anstatt diese aber mit Dosisoptimierungen zu reduzieren liegt der Hauptfokus bei den behandelnden Onkologen darin, die Toxizitäten mit zusätzlichen Interventionen optimal zu managen.

Einen Lösungsansatz, Ärzte, Patienten und Zulassungsbehörden zu überzeugen, stellen Dosierungs-Optimierungsstudien dar. Diese Studien konzentrieren sich auf Medikamente, bei denen es Evidenz für die Wirksamkeit von Dosierungsanpassungen gibt. Die Evidenz kann aus verschiedenen Quellen stammen, wie beispielsweise Anträgen zur Marktzulassung durch Zulassungsbehörden, die gelegentlich Empfehlungen zur Untersuchung niedrigerer Dosen enthalten. Sie kann auch aus präklinischen Studien, Phase-1-Studien oder realen Daten kommen, wenn Ärzte vorbeugende Dosisreduktionen durchführen.

In diesem Kontext möchten wir das Interesse auf drei wichtige Antitumortherapien lenken: Immun-Checkpoint-Inhibitoren, Ibrutinib für lymphoide Malignome und Anti-Androgene der zweiten Generation für die Behandlung von Prostatakrebs. Diese Medikamente sind weit verbreitet und generieren hohe Umsätze weltweit. Es gibt Hinweise darauf, dass die in den großen Zulassungsstudien verwendeten Dosierungen bei diesen Medikamenten über den minimal wirksamen Dosen liegen, um ihre Ziele zu erreichen. Einige klinische Studien, die in Ländern mit begrenztem Medikamentenzugang durchgeführt wurden oder während der Anpassung an die COVID-19-Pandemie, haben aufgezeigt, dass niedrigere Dosierungen genauso wirksam sein könnten, und die Toxizität evtl. sogar reduzieren (Tab. 1).

Eigenfinanzierte Dosis-Optimierungsstudien: Chancen und Herausforderungen

Dosis-Optimierungsstudien bieten klare Vorteile, aber sie stehen vor zahlreichen Herausforderungen bei ihrem Design, ihrer Finanzierung, der Akzeptanz von Onkologen und Patienten, der Modifizierung von Medikamentenlabels und Leitlinien sowie der Umsetzung der Ergebnisse in die Praxis. Diese Herausforderungen und mögliche Lösungen sind in Tabelle 2 aufgeführt, basierend auf begrenzten veröffentlichten Erkenntnissen und persönlichen Erfahrungen der Autoren.

Die Einbeziehung von Patienten und Onkologen in die Planung von Dosis-Optimierungsstudien ist entscheidend, um Endpunkte zu definieren, die später in der Expertenwelt akzeptiert sind und zu einer Praxisänderung führen. Der Fokus sollte auf einer besseren Verträglichkeit der Therapie liegen und damit einer besseren Lebensqualität bei keinen oder möglichst geringen Einbussen von Effektivitätsendpunkten. Nur wenn solche Studienresultate die Chance haben Leitlinien zu verändern sollten sie durchgeführt werden.

Die erforderlichen Beweise zur Veränderung der Praxis variieren wahrscheinlich je nach geografischem Kontext. In Industrieländern können große Nichtunterlegenheitsstudien erforderlich sein, insbesondere wenn die pharmazeutische Industrie die Reduzierung der Dosierung ablehnt. Solche Studien setzen strenge statistische Grenzen für den Nachweis, dass die reduzierte Behandlung im Hinblick auf den primären Nutzen (z. B. das Gesamtüberleben) nicht unter

legen ist gegenüber der Standarddosierung und dem Zeitplan. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMICs) könnten randomisierte Äquivalenzstudien mittlerer Größe mit Fokus auf Toxizitätsreduzierung und Kosten die Praxis beeinflussen.

In der Schweiz wurden bereits mehrere solcher Studien durchgeführt. Dabei konnte gezeigt werden, dass beim metastasierten Kolonkarzinom eine alleinige Erhaltungstherapie mit Bevacizumab gegenüber einer Therapiepause keinen Vorteil bietet. Eine sehr grosse Studie (Reduse, SAKK 96/12) untersucht die Gabe von Denosumab alle 3 Monate versus monatlich mit 1380 Patienten und steht kurz vor dem Ende der Rekrutierung. Die Finanzierung erfolgt über die Versicherer von Santesuisse. Der andere Krankenkassenverband Curafutura konnte sich nicht zu einer Finanzierung durchringen. Jedoch haben sowohl Helsana als auch die CSS als Einzelversicherer die Studie ebenfalls unterstützt. Einzig die Versicherungen KPT und Sanitas haben die Teilnahme verweigert und werden so, sollte die Studie positiv ausfallen als Trittbrettfahrer von ihren Konkurrenten profitieren.

Leider wurde vom BAG bei der aktuell durchgeführten KVV-Revision trotz Intervention der schweizerischen Gesellschaft für medizinische Onkologie die Aufnahme eines entsprechenden Artikels in die Verordnung abgelehnt.

Gerade in der aktuellen Zeit mit stark steigenden Kassenprämien, wären solche Optimierungen von medikamentösen Therapien ein Lösungsansatz innovative und wirksamere Therapien auch in Zukunft allen Patienten zukommen zu lassen. Ich fordere darum alle Steakholders auf mit der SGMO und der SAKK an einen Tisch zu sitzen um hier nach über 10 Jahren ohne allgemein verbindliche Regeln endlich eine Lösung zu finden.

Dieser Artikel enthält wesentliche Textpassagen von Annals of Oncology Volume 34, Issue 8, 2023, bei der R von Moos als Coautor mitgewirkt hat. Wir empfehlen an dieser Stelle diesen Artikel im Original zu lesen.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Roger von Moos

Direktor Tumor- und Forschungszentrum
Kantonsspital Graubünden
7000 Chur

tumorzentrum@ksgr.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Management of Vulvar Cancer

Das Vulvakarzinom ist ein seltener bösartiger gynäkologischer Tumor, der vor allem bei älteren Frauen auftritt. Die häufigsten klinischen Symptome sind Juckreiz oder Schmerzen an der Vulva, die mit einem Knoten oder einem Geschwür einhergehen können. Es gibt keine Evidenz für ein Screening in einer unselektierten Population. Jede verdächtige Läsion sollte biopsiert werden, um eine Invasion auszuschliessen. Der häufigste Subtyp ist das Plattenepithelkarzinom, das 90 % der invasiven Vulvakarzinome ausmacht. Die Behandlung des Vulvakarzinoms hängt von der Histologie und dem chirurgischen Staging ab. Die primäre Behandlung des Vulvakarzinoms ist die Operation, aber eine primäre oder begleitende Chemoradiotherapie ist eine Alternative, insbesondere bei fortgeschrittenen Tumoren. Die Behandlung sollte individuell erfolgen und von einem multidisziplinären Team in einem Krebszentrum mit Erfahrung in der Behandlung von Vulvakarzinomen durchgeführt werden.

Vulvar cancer is a rare gynaecological malignancy that mainly affects older women. The most common clinical symptoms are vulvar pruritus or pain, which may be associated with a lump or an ulcer. There is no evidence to support screening in an unselected population. Any suspicious lesion should be biopsied to exclude invasion. The most common subtype is squamous cell carcinoma, which accounts for 90% of invasive vulvar cancers. Treatment of vulvar cancer depends on histology and surgical staging. Surgery is the main treatment for vulvar cancer, but primary or concurrent chemoradiotherapy is an alternative, especially for advanced tumors. Treatment should be individualised and carried out by a multidisciplinary team in a cancer centre experienced in treating vulvar cancer.
Key words: Vulvar cancer; Staging; Treatment; Surgery; Chemoradiotherapy

Introduction

Vulvar cancer is rare, accounting for approximately 4-6% of cancers diagnosed in the female genital tract and less than 1% of all cancers in women (1, 2). The 5-year survival rate for vulvar cancer that has not spread beyond the vulva is almost 87%, and drops to less than 50% if it has spread to surrounding tissues or organs and/or regional lymph nodes (1, 3). There are several different types of vulvar cancer, with squamous cell carcinoma (SCC) being the most common, accounting for about 90% of all vulvar cancers, followed by vulvar melanoma, adenocarcinoma, basal cell carcinoma, sarcoma and undifferentiated vulvar cancer (2-4). Vulvar SCC originates from the squamous epithelium of the vulva and is divided into HPV-dependent and HPV-independent subtypes (2-4). Other common risk factors in addition to HPV include 1. a history of anogenital cancer, especially cervical cancer, 2. vulvar lichen sclerosus and vulvar lichen planus, 3. HIV infection or a weakened immune system, 4. smoking, and chronic local irritation, for example from long-term pessary use (2-4).

Diagnostic workup and staging

The diagnosis of vulvar cancer involves several diagnostic tests including physical examination, colposcopy, tissue biopsy and imaging. The pathology report of the preoperative biopsy should include at least the histological type, depth of invasion, molecular testing for HPV, and p53 immunohistochemistry is recommended for HPV-independent carcinoma (4). Computed tomography (CT) and magnetic resonance imaging (MRI) scans may be helpful in identifying enlarged lymph nodes in the groin or pelvis, the extent of spread, or other metastases for treatment planning (5). Fluorodeoxyglucose positron emission tomography CT (PET-CT) can also be used to assess and detect inguinofemoral lymph node involvement and is additionally used when metastatic disease is suspected or in the recurrence scenario, particularly when exenteration is considered (4, 6).

Vulvar cancer can be staged using the FIGO staging system and TNM classification (Table 1). However, due to lack of evidence to base treatment on the FIGO 2021 staging, the TNM classification is advised (4).

Treatment algorithm

Vulvar cancer affects predominantly elderly women and comorbidities increasing with age may prove challenging when planning management. Current guidelines for the management of vulvar cancer are based on retrospective or comparative studies and, because of its rarity, on data from cervical cancer. The management of vulvar cancer should be individualised and provided by a multidisciplinary team in a cancer centre experienced in the management of vulvar cancer. This care should include sexual medicine and psycho-oncology to provide advice on post-treatment vaginal dysfunction.

Early stage

(FIGO: IA and TNM: T1a, N0, M0)
Radical local excision is recommended with the aim of achieving tumour-free pathological margins. A minimum pathological margin of >2-3 mm appears to be sufficient, but the optimal margin remains to be determined (4). In addition, patients with early stage disease (depth of invasion ≤1 mm) do not require deep groin treatment (4, 6). Depending on the extent of the disease, radical wide local excision, partial or complete radical vulvectomy or even pelvic exenteration may be used. If skin grafting is needed, it should be done by a multidisciplinary team with a plastic/reconstructive surgeon.

Adjuvant radiotherapy should be given when (1) invasive disease extends to the pathological margins of the primary tumour and further surgical excision is not possible, and (2) in the case of close but clear pathological margins, radiotherapy may be considered to reduce the incidence of local recurrence. There is currently no consensus on a pathological margin distance threshold below which adjuvant radiotherapy should be recommended (4). Adjuvant radiotherapy should be started within 6 weeks of surgery if possible.

Radiotherapy is mainly used in the adjuvant setting for early stage vulvar cancer. However, individual women who are unable to tolerate surgery may be treated with primary radiotherapy with or without chemotherapy (2, 4).

Locally advanced stage

(FIGO: IB-IVA and TNM: T1b, N0, M0 – T3, any N, M0)
Treatment of advanced vulvar cancer often involves several treatment modalities. Primary chemoradiotherapy should be considered in advanced stages to avoid exenterative surgery (4). Radiosensitising chemotherapy, preferably with weekly cisplatin, is recommended. In addition, individual women who are unfit for surgery may be treated with primary radiotherapy with or without chemotherapy.

Surgery remains the main treatment for locally advanced vulvar cancer. Radical local excision with inguinal treatment is recommended (2-4, 7). Sentinel lymph node sampling is recommended in patients with stage > pT1a and unifocal cancers < 4 cm, without obvious lymph node spread on clinical examination and imaging (Figure 1). A preoperative lymphoscintigram is recommended to allow preoperative identification, location and number of sentinel lymph nodes. A radioactive tracer is used to identify the sentinel lymph node, with optional use of blue dye or indocyanine green (4). Intraoperative assessment should be performed to avoid a second surgical procedure. There is a risk of missing micrometastases (≤2 mm), but inguinofemoral lymphadenectomy can be safely omitted in favour of radiotherapy for micrometastatic disease (4). An inguinofemoral lymphadenectomy of the affected area should be performed if metastatic disease (>2 mm) is detected in the sentinel lymph node or if no sentinel lymph node is found (2, 4). Bilateral sentinel lymph node sampling is required for tumours involving the midline, and if unilateral metastasis is detected, the incidence of contralateral metastasis is low and further treatment can be limited to the affected groin (4).
Inguinofemoral lymphadenectomy through a separate incision is recommended for tumours ≥ 4 cm and/or multifocal invasive disease. If the tumour is > 1 cm from the midline, ipsilateral inguinofemoral lymphadenectomy is recommended. In addition, contralateral inguinofemoral lymphadenectomy should be performed if the ipsilateral nodes show metastatic disease. Re-excision is the treatment of choice if the cancer extends to the pathological margins of the primary tumour (2-4).

Adjuvant radiotherapy to the vulva should be considered when 1. invasive disease extends to the pathological excision margins of the primary tumour and further surgical excision is not possible, and 2. to reduce the incidence of local recurrence in cases with close but clear pathological margins. In cases with > 1 metastatic lymph node and/or the presence of extracapsular lymph node involvement, adjuvant radiotherapy to the inguinofemoral region should be considered (2, 4).

Metastatic

(FIGO: IVA and TNM: Any T, any N, M1)
Metastatic vulvar cancer is a palliative condition. There are limited treatment options and no standard of care for metastatic vulvar cancer. Therefore, the best supportive care should be discussed with the patient as an alternative to medical treatment. As more than one third of vulvar cancer cases occur in older women, it is important to carefully assess the eligibility of these patients for cancer-specific treatment, taking into account overall life expectancy and specific goals related to the cancer diagnosis, before initiating a comprehensive pre-treatment evaluation (2, 4).
First-line platinum-based chemotherapy should be considered, with cisplatin or carboplatin and paclitaxel as the preferred regimen (2, 4). Based on the data from cervical cancer, adding pembrolizumab in cases with PD-L1 expression and CPS≥1 and/or bevacizumab to platinum-based chemotherapy may be considered in selected first-line patients, although these drugs are not approved for vulvar cancer (8). There is no standard treatment after progression to platinum-based first-line chemotherapy. Immune-checkpoint and epidermal growth factor receptor-targeted inhibitors may be considered as monotherapy. However, there is no specific approval for any of these drugs. Therefore, enrolment of metastatic vulvar cancer patients in clinical trials is strongly encouraged.

Treatment should be managed by a multidisciplinary team and early referral to a palliative care specialist is recommended. Palliative care may include medications, radiotherapy, surgery and psycho-oncological therapies that can lead to improved outcomes and quality of life (9).

Local recurrent disease

Restaging by CT (or PET-CT) of the thorax/abdomen/pelvis should be performed. The recommended treatment is radical excision when possible, followed by postoperative radiation in radiotherapy naive patients. Additionally, inguinofemoral lymphadenectomy should be performed if the depth of invasion is > 1 mm and previous sentinel lymph node removal only was performed (4). The indications for postoperative radiotherapy are comparable to those for the treatment of primary disease. If surgical treatment is not possible, chemoradiotherapy should be used (2, 4).

Follow-up

Local recurrences are most common in the first 2 years after treatment, and because therapy is highly dependent on further excision or radiotherapy, detection of recurrence as early as possible is necessary. Therefore, after primary surgical treatment, the ESGO vulvar cancer guidelines (4) recommend follow-up every 3-4 months for the first 2 years after the initial postoperative follow-up of 6-8 weeks, then every 6 months for the third and fourth years, and from then on long-term follow-up, which should include clinical examination of the vulva and groin with biopsy if suspected, and review of symptoms (10). Follow-up after definitive (chemo)radiotherapy is the same, with the exception of a first follow-up 10-12 weeks after completion of definitive (chemo)radiotherapy with CT or PET-CT to document complete remission. Close follow-up is also required to check for injury or tightness and scarring of vulvar and vaginal tissues. Some women may be advised to use vaginal dilators as a prophylactic measure.

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Dr. med. Tibor A. Zwimpfer

– Department of Gynecological Oncology, University
Hospital Basel, Basel, Switzerland.
– Cancer Research, Peter MacCallum Cancer Centre, Melbourne, Australia.

Prof. Dr. med. Viola Heinzelmann-Schwarz

Leiterin Frauenklinik & Gynäkologisches Tumorzentrum
Chefärztin Gynäkologie/Gyn. Onkologie
Frauenklinik
Universitätsspital Basel
Spitalstrasse 21
4031 Basel

viola.heinzelmann@usb.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte angegeben.

◆ Vulvar cancer predominantly affects older women, and the increase in co-morbidities with age can be a challenge when planning treatment.
◆ Surgery is the mainstay of treatment for vulvar cancer, but primary or concurrent chemoradiotherapy is an alternative, particularly for advanced tumours.
◆ Management of vulvar cancer should be individualised and provided by a multidisciplinary team in a cancer centre experienced in managing vulvar cancer.

1. [https://www.cancer.net/cancer-types/vulvar-cancer/statistics].
2. Olawaiye AB, Cuello MA, Rogers LJ. Cancer of the vulva: 2021 update. Int J Gynaecol Obstet. 2021;155 Suppl 1(Suppl 1):7-18.
3. Koh WJ, Greer BE, Abu-Rustum NR, Campos SM, Cho KR, Chon HS, et al. Vulvar Cancer, Version 1.2017, NCCN Clinical Practice Guidelines in Oncology. J Natl Compr Canc Netw. 2017;15(1):92-120.
4. Oonk MHM, Planchamp F, Baldwin P, Mahner S, Mirza MR, Fischerova D, et al. European Society of Gynaecological Oncology Guidelines for the Management of Patients with Vulvar Cancer – Update 2023. Int J Gynecol Cancer. 2023;33(7):1023-43.
5. Lin G, Chen CY, Liu FY, Yang LY, Huang HJ, Huang YT, et al. Computed tomography, magnetic resonance imaging and FDG positron emission tomography in the management of vulvar malignancies. Eur Radiol. 2015;25(5):1267-78.
6. Nikolic O, Sousa FAE, Cunha TM, Nikolic MB, Otero-Garcia MM, Gui B, et al. Vulvar cancer staging: guidelines of the European Society of Urogenital Radiology (ESUR). Insights Imaging. 2021;12(1):131.
7. Lawrie TA, Patel A, Martin-Hirsch PP, Bryant A, Ratnavelu ND, Naik R, Ralte A. Sentinel node assessment for diagnosis of groin lymph node involvement in vulval cancer. Cochrane Database Syst Rev. 2014;2014(6):CD010409.
8. Colombo N, Dubot C, Lorusso D, Caceres MV, Hasegawa K, Shapira-Frommer R, et al. Pembrolizumab for Persistent, Recurrent, or Metastatic Cervical Cancer. N Engl J Med. 2021;385(20):1856-67.
9. Krakauer EL, Kane K, Kwete X, Afshan G, Bazzett-Matabele L, Ruthnie Bien-Aime DD, et al. Essential Package of Palliative Care for Women With Cervical Cancer: Responding to the Suffering of a Highly Vulnerable Population. JCO Glob Oncol. 2021;7:873-85.
10. Salani R, Khanna N, Frimer M, Bristow RE, Chen LM. An update on post-treatment surveillance and diagnosis of recurrence in women with gynecologic malignancies: Society of Gynecologic Oncology (SGO) recommendations. Gynecol Oncol. 2017;146(1):3-10.