Strategien für HIV-1-Impfstoffe, die breit neutralisierende Antikörper induzieren

HIV-1 wurde 1983 entdeckt (1) und anschließend als Ursache des erworbenen Immunschwächesyndroms (AIDS) (2-4) nachgewiesen. Eine wirksame antiretrovirale Arzneimitteltherapie hat AIDS von einer durchweg tödlich verlaufenden Krankheit in eine chronische Erkrankung mit nahezu normaler Lebenserwartung verwandelt (5). Dennoch infizieren sich jedes Jahr etwa 1,5 Millionen Menschen mit HIV-1 (6). Daher besteht trotz der antiretroviralen Arzneimitteltherapie zur Vorbeugung oder Behandlung (7,8) ein dringender Bedarf an einem sicheren und wirksamen HIV-1-Impfstoff.

Die Entwicklung eines wirksamen HIV-1-Impfstoffs ist aufgrund der außergewöhnlichen und zunehmenden genetischen Vielfalt des HIV-1-Lentivirus (9,10), seiner komplexen Mechanismen zur Umgehung des Immunsystems (11-14) und der Fähigkeit von HIV-1, sich in Immunzellen des Wirts zu integrieren, um gegen die Immunität des Wirts und die Behandlungsmethoden resistent zu werden (15,16), eine besondere Herausforderung.

Nach fast vier Jahrzehnten der Forschung ist ein sicherer und wirksamer HIV-1-Impfstoff noch immer nicht in Sicht. Es gibt viele Gründe, warum die Entwicklung eines wirksamen und dauerhaften HIV-1-Impfstoffs eine Herausforderung darstellt, darunter die außerordentliche genetische Vielfalt von HIV-1 und seine komplexen Mechanismen zur Umgehung des Immunsystems. Die Hüllglykoproteine von HIV-1 werden vom Immunsystem nur schlecht erkannt, was bedeutet, dass wirksame breit neutralisierende Antikörper (bnAbs) nur selten im Rahmen einer HIV-1-Infektion oder durch eine Impfung gebildet werden. Die Biologie der HIV-1-Wirt-Interaktionen erfordert daher neuartige Strategien für die Impfstoffentwicklung, die darauf abzielen, seltene bnAb-produzierende B-Zelllinien zu aktivieren und zu expandieren sowie auf den Erwerb kritischer, unwahrscheinlicher bnAb-Mutationen zu selektieren. Im Folgenden werden Strategien für die Induktion potenter und breit angelegter HIV-1-bnAbs erörtert und die für den endgültigen Erfolg erforderlichen Schritte skizziert.

Ein schützender HIV-1-Impfstoff wird wahrscheinlich der komplexeste Impfstoff sein, der je entwickelt wurde, wobei neuartige Impfstoffplattformen wie modifizierte mRNAs in LNPs oder neuartige Vektoren eingesetzt werden. Schon früh nach der Infektion kann sich das HIV-1-Provirus als latentes Virus in das Wirtsgenom integrieren, ohne virale Proteine zu produzieren1 (17,18) und wird so für das Immunsystem praktisch unsichtbar. Aus diesem Grund muss ein wirksamer HIV-1 bnAb-Impfstoff, der die Übertragung durch eine sterilisierende Immunität verhindern soll, im Wesentlichen zu 100 % wirksam sein, und zwar sowohl bei einer Exposition über das Blut als auch über die Schleimhäute – eine außerordentliche Hürde, die bisher noch kein Impfstoff genommen hat16,181. Schließlich wird die Herstellung von Mehrkomponenten-Proteinimpfstoffen eine Herausforderung darstellen, da die Herstellung mehrerer Proteine unter GMP-Bedingungen schwierig und zeitaufwändig ist und die Kosten für einen solchen Impfstoff hoch sind. Die modifizierte mRNA- und LNP-Technologie, die für COVID-19-Impfstoffe (19,20) so erfolgreich war, könnte sich für die Herstellung von Mehrkomponenten-Impfstoffen besser eignen als für proteinbasierte Impfstoffe (21-27) 127,184-189.

Quelle: Hayes BF et al. Strategies for HIV-1 vaccines that induce broadly beutralizing antibodies. Nat Rev Immunol. 2023; 23(3): 142–158.
Published online 2022 Aug 12. doi: 10.1038/s41577-022-00753-w

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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Wirksamkeit von Impfstoffen gegen die durch Zecken übertragene Enzephalitis in Europa

Die durch Zecken übertragene Enzephalitis (FSME) ist eine Infektionskrankheit, die durch das Zeckenenzephalitis-Virus (FSMEV) verursacht wird und bei Patienten zu Entzündungen des zentralen Nervensystems (ZNS) führt. In mehr als 25 europäischen Ländern gibt es eines oder mehrere FSME-endemische Gebiete. Obwohl zwei FSME-Impfstoffe, FSME-IMMUN® und Encepur®, in Europa häufig verwendet werden, gibt es keine veröffentlichten Untersuchungen über die tatsächliche Wirksamkeit von FSME-Impfstoffen in Europa oder anderswo.

Eine kürzlich erschienene Studie untersuchte PubMed nach Artikeln über die Wirksamkeit von FSME-Impfstoffen (WI) und Extrahierte Informationen über Land, Studiendesign, Studienzeitraum, Studienpopulation, Anzahl der FSME-Infizierten, Anzahl der Teilnehmer und WI gegen FSME-Infektionen und -Ergebnisse.
Die Autoren identifizierten 13 Studien, die in Österreich, der Tschechischen Republik, Lettland, Deutschland und der Schweiz durchgeführt und zwischen 2003 und 2023 veröffentlicht wurden. Bei einer Studie handelte es sich um eine Kohorten-Untersuchung eines durch Milch verursachten Ausbruchs. In den anderen Studien wurde in 11 Fällen (91,7 %) die Screening-Methode und in zwei Fällen (16,7 %) ein Fall-Kontroll-Design angewandt (in einer Studie wurde beides verwendet). FSME-Impfstoffe waren in allen Altersgruppen hochwirksam (WI-Schätzungen >92%) gegen FSME-Infektionen. Die Impfstoffe boten auch einen hohen Schutz gegen leichte Infektionen (d. h. Infektionen bei Patienten ohne Symptome einer ZNS-Entzündung) und gegen Infektionen, die zu FSME und Krankenhausaufenthalt führten. Die Impfstoffe boten auch einen hohen Schutz vor den schwerwiegendsten Folgen wie Krankenhausaufenthalten von mehr als 12 Tagen. Die produktspezifischen VE-Schätzungen waren ebenfalls hoch, obwohl nur begrenzte Daten verfügbar waren. Studien in Österreich, der Tschechischen Republik, Lettland und der Schweiz schätzten, dass FSME-Impfstoffe in diesen Ländern zusammen mehr als 1.000 FSME-Fälle pro Jahr verhinderten und viele Krankenhausaufenthalte und Todesfälle vermieden.

Die veröffentlichten WI-Studien belegen eine hohe reale Wirksamkeit der kommerziell erhältlichen FSME-Impfstoffe in Europa. Obwohl die Zahl der verhinderten Fälle nur für vier Länder geschätzt wurde, verhindert die FSME-Impfung jedes Jahr Tausende von Fällen in Europa. Um lebensbedrohliche FSME-Erkrankungen zu verhindern, sollten die FSME-Impfung und die Einhaltung des Impfplans bei Bewohnern von und Reisenden in FSME-endemischen Ländern in Europa verbessert werden.

Fazit

Die nationalen Impfquoten lagen unter den empfohlenen Schwellenwerten, und die Analyse zeigte, dass Anstrengungen zur Erhöhung der nationalen Impfquoten erforderlich sind. Die Autoren bewerteten die Identifizierung von chronischen Krankheiten anhand von Medikamentenansprüchen und die Berechnung von nationalen Impfquoten auf der Grundlage von Daten der jeweiligen Saison als einen wirksamen Ansatz zur Durchführung der Impfüberwachung. Eine Überwachung auf der Grundlage von Anspruchsdaten kann die nationale Überwachung vervollständigen.

Quelle: Angulo FJ et al. A systematic literature review of the effectiveness of tick-borne encephalitis vaccines in Europe.Vaccine 2023;41):6914-6921.
doi: 10.1016/j.vaccine.2023.10.014. Epub 2023 Oct 17.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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Chronopharmakologie in der Kardiologie

Kardiovaskuläre Erkrankungen gehören zu den häufigsten Todesursachen weltweit (1,2). Zu den wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren zählen arterielle Hypertonie, Rauchen, Diabetes mellitus und Hyperlipidämie (1,2). Durch die medikamentöse Therapie dieser kardiovaskulären Risikofaktoren kann die Entstehung (Primärprävention) und Progression von kardiovaskulären Erkrankungen (Sekundärprävention) positiv beeinflusst und die Morbidität und Sterblichkeit reduziert werden (3–5). Eine Vielzahl von physiologischen und pathophysiologischen Prozessen unterliegen tageszeitlichen Schwankungen. Dieses Phänomen wird als zirkadianer Rhythmus bezeichnet (6). Die Synthese der Lipoproteine, die Cholesterin transportieren und zur Entstehung von Atherosklerose beitragen, ist beispielsweise nachts und in den frühen Morgenstunden am ausgeprägtesten (7,8). Die Freisetzung des Stresshormons Cortisol aus den Nebennieren ist ebenfalls morgens am höchsten. Der arterielle Blutdruck hingegen fällt physiologischer Weise in der Nacht um durchschnittlich 10-20% ab (sogenanntes dipping) (9). Beobachtungen aus epidemiologischen Studien legen nahe, dass nächtliche Blutdruckspitzen (sogenanntes non-dipping) zu einer erhöhten Sterblichkeit beitragen (10–13). Ferner gibt es eine Häufung von Myokardinfarkten und plötzlichen Herztodereignissen in den frühen Morgenstunden (14,15). Vor diesem Hintergrund entstand die Hypothese, dass die Einnahme Blutdruck- und Choles­terin-senkender Medikamente an den zirkadianen Rhythmus angepasst und daher abends eingenommen werden sollten. Aktuelle Studien zeigen, dass Medikamente mit langen Halbwertszeiten unabhängig vom Einnahmezeitpunkt effektiv sind. Wichtig ist, dass der Einnahmezeitpunkte so gewählt wird, dass die Therapietreue maximal unterstützt wird. Im Folgenden werden wichtige Aspekte der Chronopharmakologie in der Kardiologie diskutiert.

Cardiovascular diseases remain the most common cause of death (1,2). Important cardiovascular risk factors include hypertension, smoking, diabetes mellitus, and dyslipidemia (1,2). Treating these risk factors has been shown to delay the progression of cardiovascular diseases thereby improving morbidity and mortality (3–5). Physiologic processes in the human body commonly follow a circadian rhythm (6). Cholesterol synthesis in the liver for example peaks at night (7,8), cortisol synthesis in the adrenal gland is highest in the early morning, and blood pressure physiologically decreases during sleep by 10-20% (i.e. dipping) (9). Epidemiologic studies have shown that high nighttime blood pressure (i.e. non-dipping) associates with increased cardiovascular mortality (10–13). Moreover, the incidence of myocardial infarction is highest in the early morning, as is the occurrence of sudden cardiac death (14,15). Consequently, is has been hypothesized that it might be beneficial to adjust the intake of cardiovascular medication, i.e. antihypertensive and lipid-lowering therapy, to the circadian rhythm. Recent studies, however, have shown that drugs with long half-lives are effective independent of the timing of administration. Therefore, antihypertensive, and lipid-lowering drugs should be taken at time points, which associate with the highest rates of adherence and persistence to medication. Herein, we discuss the evidence surrounding chronotherapy of cardiovascular drugs.
Key Words: Adherence, hypertension, prevention, statins, chronotherapy

Antihypertensiva

Der arterielle Blutdruck unterliegt tageszeitlichen Schwankungen. Physiologischerweise fallen der systolische und diastolische Blutdruck im Schlaf um etwa 10-20% ab (16,17). Das Fehlen einer physiologischen Tag-Nacht-Absenkung des Blutdrucks ist mit einem erhöhten Risiko kardiovaskulärer Endorganschäden assoziiert (9–11, 18–20). Die JAMP-Studie (Japan Ambulatory Blood Pressure Monitoring Prospective), an der insgesamt 6.359 Patienten im medianen Alter von 68 Jahren teilnahmen, bei denen wenigstens ein kardiometabolischer Risikofaktor vorlag, untersuchte die prognostische Bedeutung des nächtlichen Blutdrucks und des Blutdruckprofils (21). Ein Anstieg des systolischen Blutdrucks um 20 mmHg war mit einem Anstieg von atherosklerotischen kardiovaskulären Ereignissen um 18 % verbunden. Das Risiko für eine chronische Herzinsuffizienz lag mit 25 % sogar darüber. Die schlechteste Prognose wiesen die sogenannten „riser“ auf, bei denen die nächtlichen Blutdruckwerte die Tageswerte überschritten. Die Hazard Ratio für kardiovaskuläre Erkrankungen lag bei 1,48 und bei 2,45 für das Auftreten einer chronischen Herzinsuffizienz (21).

Vor diesem Hintergrund wurde untersucht, ob die abendliche Einnahme von Antihypertensiva zur Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Sterblichkeit beitragen kann. Die MAPEC-Studie (Ambulatory Blood Pressure Monitoring for Prediction of Cardiovascular Events) war die erste prospektive, randomisierte Studie, die die abendliche Einnahme mit der morgendlichen Einnahme von Antihypertensiva verglich. Insgesamt 2.156 Patienten mit arterieller Hypertonie und vorbestehender blutdrucksenkender Therapie wurden randomisiert. Langzeitblutdruckmessungen über 48 Stunden wurden durchgeführt und primärer Endpunkt war das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse. Nach einem medianen Follow-Up von 5,2 Jahren traten in der Gruppe, die ihre antihypertensive Medikation abends einnehmen sollte, signifikant weniger kardiovaskuläre Ereignisse (-61%, p<0,001) und grosse Ereignisse (definiert als kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Schlaganfall und nicht-tödlicher Herzinfarkt; -67%; p<0,001) auf. Mechanistisch wurde dies mutmasslich durch eine bessere Blutdruckkontrolle erreicht. Die Gruppe mit abendlicher Medikationseinnahme hatte einen signifikant niedrigeren systolischen Blutdruck während des Schlafes (nächtlicher systolischer Blutdruck über 48 Stunden 110,9 mmHg vs. 116,1 mmHg; p<0.001) einen stärkeren Abfall des Blutdrucks beim Schlafen (11,4% vs. 7,0%), weniger non-Dipper (34% versus 62%; p<0,001), und eine höhere Rate an kontrollierten Langzeitblutdrucken (62% versus 53%; p<0,001) (22).

Ähnliche Ergebnisse erbrachte die HYGIA Studie, eine multizentrische, randomisierte, kontrollierte Studie, die 19.084 Patienten mit arterieller Hypertonie randomisierte ihre antihypertensive Therapie entweder morgens oder abends einzunehmen. Auch in dieser Studie wurden 48-Stunden-Langzeitblutdruckmessungen durchgeführt. Nach einem medianen Follow-Up von 6,3 Jahren kam es zu signifikant weniger kardiovaskulären Ereignissen in der Gruppe, die ihre Antihypertensiva abends einnahmen, verglichen mit den Patienten, die alle Medikamente morgens einnahmen (-45%; p<0,001). Interessanterweise wurden alle Einzelkomponenten des Endpunktes (Herzinfarkt, koronare Revaskularisation, neu diagnostizierte Herzinsuffizienz, Schlaganfall) in der Gruppe durch die abendliche Medikamenteneinnahme reduziert. Auch diese enorme Reduktion an klinischen Endpunkten wurde durch eine bessere Blutdruckkontrolle in der Nacht und eine geringe Rate an Non-Dippern erklärt (Tabelle 1) (23). Die MAPEC und HYGIA Studien warfen jedoch einige Fragen und methodologische Limitationen auf, die eine Übertragbarkeit der Ergebnisse in den klinischen Alltag in Frage stellen. Es war unklar, warum, trotz der enormen Risikoreduktion, die Studien nicht frühzeitig beendet wurden und warum 48 Stunden Langzeitblutdruckmessungen angewendet wurden, die nicht von Leitlinien empfohlen werden. Weitere Limitationen der HYGIA-Studie ist das PROBE (prospektiv, randomisiert, offen, verblindeter Endpunkt)-Design, die unterschiedliche medikamentöse Therapie und der nur minimale Unterschied in der Blutdrucksenkung zwischen den Gruppen. Letzteres war zu klein, um die Endpunktreduktion zu erklären. Ferner konnten andere Studien keine Überlegenheit einer Chronotherapie nachweisen (z. B. AASK-Studie).

Die TIME (Treatment in Morning versus Evening) Studie, die im Jahr 2022 veröffentlicht wurde, randomisierte 21.104 Patenten mit arterieller Hypertonie ihre vorbestehende antihypertensive Medikation entweder morgens (zwischen 6:00 und 10:00 Uhr) oder abends (zwischen 20:00 und 00:00 Uhr) einzunehmen. Als primärer Endpunkt wurde ein kombinierter Endpunkt, definiert als vaskulärer Tod oder Krankenhausaufnahme als Folge eines nichttödlichen Herzinfarkts oder Schlaganfalls, untersucht. Nach einer medianen Nachbeobachtung von 5,2 Jahren zeigten sich keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich des Auftretens des primären Endpunktes. Interessanterweise waren die Patienten in der abendlichen Einnahmegruppe weniger adhärent als die Patienten in der morgendlichen Einnahmegruppe (39,0% versus 22,5%; p<0,0001). Die TIME-Studie war eine pragmatische Studie, bei der Blutdruckwerte von den Teilnehmern selbst berichtet und dadurch nicht von allen Teilnehmern erhoben wurden. Zudem unterschieden sich die antihypertensiven Therapien der Teilnehmer, denn die vorbestehende Therapie wurde weiterhin eingenommen. Diese Ergebnis­se widersprechen den erhobenen Ergebnissen der HYGIA und MAPEC Studien.

Rezent wurde die Evidenz zur Chronopharmakotherapie von Antihypertensiva in einer Metaanalyse von 72 randomisierten und kontrollierten Studien zusammengefasst. Es zeigte sich, dass die abendliche Einnahme von Antihypertensiva mit einer signifikanten Senkung des 24 Stunden ambulanten systolischen Blutdrucks und des abendlichen systolischen Blutdrucks einherging, wesentlich getrieben jedoch durch die kontroversen Studien HYGIA und MAPEC. Zu einer signifikanten Reduktion von wichtigen klinischen Endpunkten trug eine abendliche Einnahme laut dieser Metaanalyse jedoch nicht bei (24).

Lipidsenkende Therapie

Die Senkung des LDL-C und der ApoB-Partikel durch Lebensstilmodifikationen und Pharmakotherapie ist eine der wichtigsten Strategien in der Primär- und Sekundärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen. Pharmakotherapeutisch kommen vor allem Statine zum Einsatz, die durch Inhibition der beta-3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A-Reduktase (HMG-CoA-Reduktase) die Cholesterinbiosynthese reduzieren und dadurch das LDL-C effektiv senken (25). LDL-C wird vor allem nachts synthetisiert, sodass hypothetisiert wurde, dass die abendliche Gabe von Statinen zu einer effektiveren Senkung des LDL-C führt als eine morgendliche oder mittägliche Einnahme (7,8). Eine Cochrane Meta-Analyse von 8 randomisierten und kontrollierten Studien mit 767 Patienten untersuchte diese Hypothese. Durch die abendliche Einnahme von Statinen kam es nicht zu einer stärkeren Senkung des LDL-C oder des Gesamtcholesterins, jedoch weisen die Autoren auf das hohe Risiko für einen Bias in 4 der 8 untersuchten Studien hin. Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen unterschieden sich nicht wesentlich. Eine Analyse von wichtigen klinischen Endpunkten wurde nicht durchgeführt (26).

Eine Metaanalyse, die im Jahr 2023 veröffentlicht wurde und 15 Studien mit insgesamt 1.352 Patienten einschloss zeigte, dass nur Statine mit kurzer Plasmahalbwertszeit statistisch signifikant stärker die LDL-C- und Triglyceridkonzentration senken, wenn sie abends verabreicht werden. Werden hingegen Statine mit langer Plasmahalbwertszeit verabreicht gibt es keine Unterschiede zwischen einer morgendlichen und einer abendlichen Einnahme hinsichtlich der Reduktion der Serumspiegel von LDL-C und Triglyceriden (27). Vor allem die synthetischen Statine Atorvastatin und Rosuvastatin zeichnen sich durch eine lange Plasmahalbwertszeit aus und sollten daher bevorzugt eingesetzt werden (Tabelle 2) (28). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keine Hinweise, dass eine abendliche Einnahme von cholesterinsenkenden Medikamenten das Überleben oder Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen verbessert.

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Dr. med. Felix Götzinger, felix.goetzinger@uks.eu
Dr. med. Michael Kunz
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Dr. med. Felix Götzinger

Universitäres Herzzentrum Basel
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Prof. Dr. med. Felix Mahfoud

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F.G. hat Vortragshonorare von AstraZeneca erhalten und wird durch die Deutsche Herzstiftung gefördert. M.K gibt keine Interessenskonflikte an. L.L. hat Vortragshonorare von AstraZeneca, ReCor Medical und Medtronic erhalten. S.K. gibt keine Interessenskonflikte an. F.M wird durch die Deutsche Herzstiftung, Deutsche Gesellschaft für Kardiologie und die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt (DFG, SFB TRR 219, Projekt ID-322900939) und hat wissenschaftliche Unterstützung oder Vertragshonorare von Bayer, Boehringer Ingelheim, Inari, Medtronic, Merck, und ReCor Medical erhalten.

◆ Zur Behandlung der Hypertonie sollten langwirksame Antihypertensiva eingesetzt werden. In der großen, randomisierten TIME-Studie hatte der Einnahmezeitpunkt keinen Einfluss auf die kardiovaskuläre Prognose der Patienten. Im Bedarfsfall kann die antihypertensive Therapie auch abends eingenommen werden, z. B. bei erhöhten nächtlichen Blutdruckwerten. Es sollte jedoch bedacht werden, dass die abendliche Gabe signifikant häufiger vergessen wird als die morgendliche Dosis.
◆ In der Therapie der Hypercholesterinämie sollten langwirksame Cholesterin­senker verwendet werden. Bei diesen Substanzen gibt es keine relevanten Wirkungsunterschiede zwischen einer morgendlichen oder abendlichen Einnahme. Auch bei Cholesterinsenkern sollte der Einnahmezeitpunkt daher so gewählt werden, dass er die Adhärenz bestmöglich fördert.

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Schweres Asthma: Was lernen wir aus dem Schweizerischen schweren Asthma Register

Asthma gehört zu den chronischen Atemwegserkrankungen mit der höchsten Prävalenz weltweit. Auch in der Schweiz geht man von bis zu 7 % Asthmatikern und Asthmatikerinnen aus, wovon etwa 5 bis 10 % von einer schweren Form des Asthmas betroffen sind. Wie die Betroffenen in der Schweiz behandelt werden und was ihre Charakteristika sind, war weitgehend unerforscht, durch das schweizerische Register für schweres Asthma wird versucht, diese Lücke zu schliessen. Die ersten Erkenntnisse aus diesen Daten zeigen die Charakteristika der schweren Asthmatiker und Prädiktoren für die Asthmakontrolle. Die Therapie von Asthma richtet sich nach dem Schweregrad und erfolgt nach einem Stufenschema. Die Auswirkungen von schwerem Asthma sind vielfältig und betreffen neben dem Patienten auch das Umfeld und das Gesundheitswesen.

Asthma is one of the most common chronic respiratory diseases worldwide. In Switzerland, it is estimated that up to 7% of the population have asthma, of which 5 to 10 % if all asthmatics suffer from severe asthma. How asthmatics are treated in Switzerland or what their characteristics are has been largely unexplored, but the Swiss Severe Asthma Registry will attempt to fill this gap of knowledge. The first findings from these data show the characteristics of severe asthmatics and predictors of asthma control. Treatment of asthma is based on severity and follows a graded regimen. The impact of severe asthma is multifaceted and affects not only the patient but also the environment and the health care system.
Key Words: Severe asthma, asthma in Switzerland, difficult-to-treat asthma, asthma register

Hintergrund

Asthma gehört weltweit zu den häufigsten chronischen Atemwegserkrankungen mit über 300 Millionen betroffenen Patientinnen und Patienten (1, 2). Inflammatorische Prozesse der Atemwege führen zu den unterschiedlichsten respiratorischen Symptomen, welche in der Häufigkeit und Intensität oder Kombination ihres Auftretens stark variieren können. Zu diesen Symptomen gehören unter anderem Husten, keuchende Atmung, Engegefühle in der Brust oder die Reduktion der körperlichen Belastbarkeit (1). Die Asthmaprävalenz in der Schweiz liegt bei 4-7% der Bevölkerung (3). Schätzungen zufolge sind zwischen 5-10 % aller Asthmatiker von schwerem Asthma betroffen, genaue Zahlen zur Prävalenz fehlen jedoch (4–9). Obwohl Patienten und Patientinnen mit schwerem Asthma nur einen kleinen Teil der gesamten Asthma-Population ausmachen, entfallen auf diese Gruppe etwa 50 % der medizinischen Kosten im Zusammenhang mit Asthma (10–12). Das Krankheitsbild des schweren Asthmas ist hochkomplex und umfasst viele verschiedene Bereiche von der Diagnostik über die Behandlung bis hin zum persönlichen Erleben der Betroffenen und den gesundheitsökonomischen Aspekten einer chronischen Erkrankung.

Definition schweres Asthma

2014 wurde eine neue, gemeinsame Leitlinie der European Respiratory Society und der American Thoracic Society (ERS/ATS) zur Definition und Behandlung von schwerem Asthma veröffentlicht (11). Asthma gilt als schwer, wenn es A) eine Behandlung gemäss GINA (Global Initiative for Asthma) Behandlungsstufe 4 oder 5 (Abb. 2) erfordert oder B) trotz Behandlung auf GINA Stufe 4 oder 5 eine unzureichende Asthmakontrolle erreicht wird (Tab. 1). Die Kriterien, wann Asthma als unkontrolliert definiert wird ist ebenfalls in Tabelle 1 zu entnehmen. Bevor aber die Diagnose schweres Asthma gestellt werden kann, muss ausgeschlossen werden, dass es sich bei der vorliegenden Patientensituation nicht um sogenanntes «schwer behandelbares Asthma» (difficult to treat) handelt (13) (Abb. 1).
In einem ersten Schritt soll gesichert werden, dass es sich bei den vorliegenden Symptomen um Asthma handelt und nicht durch andere Erkrankungen ausgelöst ist (z.B. COPD, Reflux, Rhinosinusitis, obstruktive Schlafapnoe, etc). In der Diagnostik ist es essenziell auch nach Faktoren zu suchen, welche die Symptomatik negativ beeinflussen (z.B. Inhalationstechnik, Adhärenz, eingenommene Medikation, etc.). Als dritter Schritt soll das Therapiemanagement optimiert werden (Therapieoptimierung, nicht-pharmakologische Interventionen und die Behandlung von modifizierbaren Faktoren). Wenn die Asthmasituation, auch nach drei bis sechs Monaten und trotz optimierter Therapie und Überprüfung beeinflussender Faktoren, weiterhin unkontrollierbar ist, kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei der vorliegenden Situation um schweres, unkontrolliertes Asthma handelt (Abb. 1) (13).

Epidemiologische Datenlage

Schweres Asthma ist eine komplexe, heterogene Erkrankung, und trotz präziser Definitionen und Behandlungsempfehlungen ist wenig über die Prävalenz, den klinischen Verlauf, die verwendete Therapie oder Komorbiditäten bekannt (1, 11, 14, 15).

Auch in der Schweiz sind die Daten zu Patienten mit schwerem Asthma spärlich und die Prävalenz kann nur geschätzt werden. Im Jahr 2017 gaben 4,8 % der Schweizer Bevölkerung im Alter von 15 Jahren an, an Asthma zu leiden, wobei Frauen (5,3 %) häufiger betroffen waren als Männer (4,2 %) (16). Die Prävalenz von schwerem Asthma in der Schweiz wird auf etwa 5 % der asthmatischen Bevölkerung geschätzt (7, 8, 17). Dennoch könnte es immer noch eine beträchtliche Anzahl von Patienten geben, bei denen fälschlicherweise schweres Asthma diagnostiziert wird, obwohl es sich um «difficult to treat asthma» handeln könnte bei unzureichender Inhalationstechnik, unbehandelter Begleiterkrankungen oder mangelnder Therapie Adhärenz (18–22).

In der Literatur werden Risikofaktoren beschrieben, welche die Entwicklung eines schweren Asthmas begünstigen oder die bestehende Symptomatik verschlechtern, dazu gehören unter anderem eine positive Familienanamnese und sozioökonomischer Status, Allergien, Übergewicht, Exposition gegenüber Tabakrauch, Luftverschmutzung, oder aber auch arbeitsbedingte Gesundheitsrisiken (23–25).

Schweizerisches Schweres Asthma Register

Da die Datenlage über den klinischen Verlauf von Patienten und Patientinnen mit schwerem Asthma in der Schweiz mangelhaft ist, hat sich die Special Interest Group (SIG) Airways Disease and Respiratory Physiology (ehemals obstructive airway diseases and allergies) der schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie dafür eingesetzt, ein schweizweites Register für die systematische Datenerhebung von Betroffenen aufzubauen.

In einer ersten Analyse wurden die Daten von 278 Patienten und Patientinnen mit schwerem Asthma analysiert, um diese zu charakterisieren. Zudem wurden die eingeschlossenen Patienten und Patientinnen anhand ihres Asthmakontrolltests in die Gruppen kontrolliertes (ACT ≥20 Punkte) und unkontrolliertes (ACT ≤ 19 Punkte) Asthma eingeteilt, um herauszufinden, wie sich die Gruppen unterscheiden und welche Variablen mit der Asthmakontrolle assoziiert sind. In der analysierten Patientengruppe gibt es einige Variablen, auf welchen sich die Betroffenen mit guter und schlechter Asthmakontrolle statistisch signifikant unterscheiden (26). So sind Personen mit unkontrolliertem Asthma übergewichtiger, haben einen tieferen FEV 1 (forcierte exspiratorische Volumen in einer Sekunde) Wert, erleben mehr Exazerbationen und Krankheitstage bei der Arbeit. In Bezug auf die Komorbiditäten haben wir beobachtet, dass die schlecht kontrollierten Asthmatiker und Asthmatikerinnen weniger Sinus und/oder Nasenpolypen Operationen hatten, wobei sich die Häufigkeit von chronischer Sinusitis und/oder Nasen-Polypen nicht unterscheiden. Weiter haben wir beobachtet, dass Betroffene mit unkontrolliertem Asthma häufiger an COPD, Depressionen und induzierbarer laryngealer Obs-truktion leiden (26). Neben der deskriptiven Beschreibung unserer Population, wollten wir auch wissen, ob die Faktoren auch in einem Vorhersage-Modell stabil sind und welche die Wahrscheinlichkeit für gute respektive schlechte Asthmakontrolle erhöhen. Das Vorliegen von COPD und je grösser die Anzahl Exazerbationen, reduziert die Wahrscheinlichkeit für eine gute Asthmakontrolle (Odds Ratio < 1), wohingegen die Therapie mit monoklonalen Antikörpern die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Asthmakontrolle gut ist (Odds Ratio >1) (Abb. 2) (26).

Auswirkungen von schwerem Asthma

Schweres Asthma kann das alltägliche Leben von Patienten und Patientinnen erheblich beeinflussen und sowohl die allgemeine Gesundheit als auch die Lebensqualität einschränken. Anhaltende Entzündungen der Atemwege führen zu einer Obstruktion der Atemwege, was wiederum eine Einschränkung der Lungenfunktion zur Folge hat (27). Chronisch manifestierte Atemwegsobstruktionen erhöhen das Risiko für Exazerbationen, was mit negativen Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen wie beispielsweise Lebensqualität oder Arbeitswelt verbunden ist (27–30). Exazerbationen sind definiert als eine akute Verschlechterung der Asthmasymptome, welche umgehend eine medizinische Versorgung erfordern. Sowohl für die betroffenen Patienten als auch für die Angehörigen stellen wiederkehrende Exazerbationen eine grosse Belastung dar und können Gefühle wie Angst oder Hilflosigkeit hervorrufen (29,31).
Menschen mit schwerem Asthma, insbesondere unkontrolliertem Asthma, leiden häufig unter persistierenden respiratorischen Symptomen und sind angewiesen auf orale und inhalative Kortikosteroide. Diese Symptome können die täglichen Aktivitäten, die körperliche Belastbarkeit und die Schlafqualität erheblich beeinträchtigen und führen nicht selten zu einer Reduktion der Lebensqualität, Wohlbefinden und/oder dem Auftreten von Depression, Angst und Frustration (30–32). Die Reduktion der körperlichen Belastbarkeit kann zu einem Bewegungsmangel beitragen, was wiederum in Kombination mit der Medikation, besonders orale Kortikosteroide, zu einer Gewichtszunahme führen kann und entsprechend negative Auswirkungen auf die Asthmakontrolle, Morbidität und Mortalität hat (33).

Schweres Asthma beeinflusst nicht nur das Leben und den Alltag der betroffenen Menschen, sondern ist auch aus gesundheitsökonomischer Sicht ein relevanter Faktor. Schweres Asthma ist für mehr als 50 % der medizinischen Kosten verantwortlich, welche aufgrund von Asthma entstehen (2). Dazu zählen die direkten Krankheitskosten wie zum Beispiel die Therapien oder die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen (z.B. Arztbesuche, Notfallversorgung oder Hospitalisation), die indirekten Kosten (Verlust von Produktivität, Arbeitsunfähigkeit oder Invalidität) und intangible Kosten (Reduktion der Lebensqualität, Belastung durch anhaltende Symptome) (2,10,34–36).

Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Auswirkungen von schwerem Asthma bei angemessener Behandlung minimiert werden können.

Die Behandlung von schwerem Asthma

Die Behandlung von schwerem Asthma ist komplex und erfordert einen holistischen Behandlungsansatz, mit dem Ziel eine gute Symptomkontrolle zu erreichen. Optimalerweise umfasst der Behandlungsplan nicht nur die medikamentöse Therapie, sondern auch Inhalationstechnik, Patientenedukation und Prävention. Für Patienten und Patientinnen mit schwerem Asthma sollte ein individueller Behandlungsplan erstellt werden, welcher die Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigt aber auch Risikofaktoren oder Umwelteinflüsse beinhaltet.

Medikamentöse Behandlung

Bei schwerem Asthma, sollte die Behandlung anhand der GINA-Behandlungsstufen 4 und 5 erfolgen (Abb. 3) (1, 37). Die Behandlung mit systemischen Kortikosteroiden, sollte immer so kurz wie nötig gehalten werden (1, 11). Als adäquate Kontrollmedikation werden vor allem mittel- bis hochdosierte inhalative Kortikosteroide (ICS) kombiniert mit langwirksamen β2-Agonisten (LABA) eingesetzt. Zusätzlich sind Leukotrienrezeptorantagonisten (LTRA) und langwirksame Anticholinergika empfohlen (1, 11, 18, 38, 39).

In Stufe 5 soll zusätzlich geprüft werden, ob für den Patient oder die Patientin eine Therapie mit einem monoklonalen Antikörper in Frage kommt. Die Abklärungen, ob ein Patient oder eine Patientin für die Therapie in Frage kommt, wird durch einen Facharzt für Pneumologie durchgeführt und erfolgt in Abhängigkeit mit dem klinischen Bild, Komorbiditäten und dem vorherrschenden Phänotyp. Im Moment stehen folgende monoklonalen Antikörper zur Behandlung von schwerem Asthma zur Verfügung: Anti Immunglobuline-E (Omalizumab), Anti Interleukine-5/5R (Benralizumab, Mepolizumab, Reslizumab), Anti Interleukine-4Rα (Dupilumab) sowie Anti-Thymusstroma-Lymphopoietin (TSLP) (Tezepelumab) (1, 37).

Inhalationstechnik

Die beste Medikation nützt nichts, wenn sie nicht korrekt angewendet wird, daher ist neben einer adäquaten Medikation die korrekte Handhabung, insbesondere die Inhalationstechnik, entscheidend für die Wirksamkeit der Medikation (1, 39). Die Patienten und Patientinnen sollten durch Fachpersonen instruiert werden, wie sie den Inhalator anwenden müssen, dies sollte auch durch das Fachpersonal überprüft werden, um Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Im Idealfall wird die Instruktion von Zeit zu Zeit wiederholt, wenn Defizite in der Handhabung der Medikation erkannt werden oder ein neues Inhalativ verwendet wird (1, 37, 40, 41).

Patientenedukation

Patienten und Patientinnen sollten Faktoren kennen und erkennen, welche die Asthmasymptomatik verschlechtern können. Dazu gehören beispielsweise Allergene oder Umweltreize wie Tabakrauch, starke Gerüche, Luftverschmutzung oder auch das Wetter (z.B. Gewitter bei starkem Pollenflug) (1, 31, 42). Auch das Wissen über Symptome und deren Behandlung ist essenziell. Ein geeignetes Mittel hierfür ist ein Asthma Notfallplan und/oder ein Asthmatagebuch. Die Lungenliga Schweiz stellt kostenlos viele Informationen, Broschüren und Lernvideos auf ihrer Homepage zur Verfügung (43).

Präventive Massnahmen in der Behandlung von schwerem Asthma

Wie weiter oben beschrieben, gibt es verschiedene Faktoren, welche auf die Asthmakontrolle einwirken können, beziehungsweise bei Betroffenen mit schlechter Asthmakontrolle häufiger auftreten als bei solchen mit guter Asthmakontrolle. Nicht alle Faktoren sind durch den Patienten oder die Patientin direkt zu beeinflussen, einige jedoch schon, wie beispielsweise das Gewicht. Daher sollten die Personen mit schwerem Asthma eine gesunde Lebensweise anstreben, mit sportlichen Aktivitäten, Gewichtskontrollen, Stressbewältigung und Rauchstopp (44–47). Auch die Behandlung von Komorbiditäten sollte in der Behandlung von schwerem Asthma berücksichtigt werden, um Situationen zu erkennen, welche sich negativ auf den Verlauf auswirken können. (48). Ebenfalls zu den präventiven Massnahmen gehören die Impfungen. Der behandelnde Arzt sollte sich daher den Impfnachweis seiner Patienten und Patientinnen anschauen und dazu beitragen, dass die Impfungen auf dem neusten Stand sind und den aktuellen Empfehlungen entsprechen. Dazu gehören insbesondere die saisonale Grippe-Impfung, aber auch die Pneumokokken-Immunisierung (49–52).

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Fabienne Jaun, MSc Public Health

Universitäres Zentrum Innere Medizin,
Kantonsspital Baselland
Rheinstrasse 26
4410 Liestal

Prof. Dr. med.Jörg D. Leuppi

Facharzt Allgemeine Innere Medizin und Pneumologie
Klinischer Professor für Innere Medizin Universität Basel
Chief Medial Officer und Leiter Universitäres Instiut Innere Medizin
Kantonsspital Baselland

joerg.leuppi@ksbl.ch

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Asthma ist nicht gleichzusetzen mit schwerem Asthma, und schweres Asthma kann sich bei verschiedenen Personen unterschiedlich manifestieren. Insbesondere muss ein «difficult to treat asthma» ausgeschlossen werden.
◆ Die Behandlung von schwerem Asthma sollte nach den aktuellen GINA Guidelines erfolgen, sollte sich aber nicht nur auf die medikamentöse Therapie beschränken, sondern auch Patientenedukation und präventive Massnahmen beinhalten.
◆ Bei Patienten und Patientinnen mit Übergewicht sollten begleitende Massnahmen zur Gewichtsreduktion angestrebt werden.
◆ Betroffene mit schwerem Asthma sollten gemeinsam mit Ihrem behandelnden Arzt einen Asthma-Aktionsplan erstellen, in welchem Notfallmedikation und Notfallmassnahmen definiert sind. Zudem sollte der Patient/die Patientin Faktoren kennen, welche das Asthma triggern können und ihnen präventiv entgegentreten.

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Revival der menopausalen Hormontherapie

Es sind nun bald 22 Jahre her, seit die ersten Resultate der Women’s Health Initiative-Studie (WHI) wie eine Bombe einschlugen. Bis zu diesem Zeitpunkt galt es beinahe als ärztlicher Fehler, eine Frau über 50 ohne Rezept für eine menopausale Hormontherapie (MHT) aus der Sprechstunde zu entlassen.

Zu gross schienen die Vorteile dieser Medikation. Es gab sogar gewichtige Stimmen, die forderten, dass die MHT rezeptfrei ohne ärztliche Kontrolle in Supermärkten und an Tankstellen abgegeben werden sollte. Umso entsetzter waren dann die betroffenen Frauen, die Öffentlichkeit und auch viele Fachpersonen, dass diese während Jahren so hochgelobte, vermeintlich nebenwirkungsfreie Hormontherapie ein normales Medikament sein sollte, das nicht nur die vielen bekannten Vorteile, wie u.a. die unübertreffliche Wirkung auf die menopausalen Hitzewallungen oder die Knochen, sondern eben auch Nebenwirkungen und Komplikationen aufwies. Besonders erschüttert hat begreiflicherweise viele Frauen die Nachricht, dass die MHT zu einem Anstieg des Mammakarzinomrisikos führe. Verstärkt durch die Orchestrierung der Medien hat die MHT – nach einem fulminanten Anstieg von Reputation und Verkäufen gegen Ende des letzten Jahrhunderts – in der Enttäuschung über die WHI-Resultate zu einem ebenso massiven Absturz von Ruf und Verschreibungen geführt. Die MHT wurde quasi in den Giftschrank gestellt.

Heute wissen wir, dass das Mammakarzinomrisiko nur bei Frauen mit kombinierter MHT leicht ansteigt (1 auf 1000 Frauenjahre) und das auch nur, wenn die MHT länger als 5 Jahre angewendet wird. Je länger, umso mehr wird aber auch dieser geringfügige Anstieg in Frage gestellt. Dass die WHI bei der Monotherapie mit Östrogenen einen Abfall des Mammakarzinomrisikos um 23 Prozent und des Sterberisikos gar um 40 Prozent zeigte, wurde weitgehend unter den Tisch gewischt, ganz nach dem journalistischen Motto «good news is no news».

Unter dem Eindruck dieser über viele Jahre überinterpretierten Risiken und den mehr oder weniger verschwiegenen «good news» blieb die MHT fast einer Generation von Frauen vorenthalten. Nicht dass ich falsch verstanden werde: Ich rede nicht der Rückkehr des Sugus-Zeitalters das Wort. Nein, die MHT ist kein Sugus-Zeltli! Sie ist aber auch nicht des Teufels. Die MHT ist ein Medikament wie viele andere auch. Sie hat ihre erwünschten, aber auch ihre unerwünschten Wirkungen. Erfreulicherweise kommen in nächster Zeit alternative, neue Pro­dukte auf den Markt, die z.B. östrogenmangelbedingte Hitze­wallungen erfolgreich behandeln können. Aber auch hier handelt es sich nicht um komplikationsfreie Produkte, sondern ebenfalls um Medikamente mit ihren ganz eigenen Wirkungs- und Nebenwirkungsprofilen. Es ist ein Fortschritt, dass wir Ärztinnen und Ärzte in unserem Werkzeugkasten nun eine zunehmende Auswahl von Medikamenten finden, die die menopausalen Beschwerden ganz auf die Bedürfnisse der einzelnen Patientin zugeschnitten zu lindern vermögen. Sie alle, auch die klassische MHT (!), können – unter Berücksichtigung von Kontraindikationen und Interaktionen – verantwortungsvoll, mit gutem Gewissen und zum Wohle unserer Patientinnen verschrieben werden.

Bemerkung: Dieses Editorial wurde ohne Unterstützung durch AI verfasst.

Prof. Dr. med. Bruno Imthurn

Prof. em. Dr. med. Bruno Imthurn

Senior Consultant Kinderwunschzentrum
360° Zürich

bruno.imthurn@uzh.ch

Update PCOS Diagnostik und Therapie 2023

Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) ist die häufigste Hormonerkrankung bei Frauen im reproduktiven Alter. Schätzungen zufolge sind 10-13% betroffen (1). Die Dunkelziffer ist womöglich deutlich höher, da ein Teil der Erkrankten weiterhin nicht adäquat diagnostiziert und therapiert ist. Dieser Artikel soll als Leitfaden für die Diagnostik, Beratung und Therapie bei PCOS dienen. Grundlage bildet die neuste ESHRE Guideline 2023 (1).

Polycystic ovary syndrome (PCOS) is the most common hormonal disorder in women of reproductive age. About 10-13% are affected (1). The number of unreported cases may be higher, as some of those affected are still not diagnosed and treated. This article is intended to serve as a guide for the diagnosis, counseling and treatment of PCOS. It is based on the latest ESHRE Guideline 2023 (1).
Key words: PCOS, Health relevance, Rotterdam criteria, individualised therapy

Einfluss auf die Gesundheit

Das PCOS kann mit erheblichen gesundheitlichen Folgen einhergehen und die Lebensqualität einschränken. Psychische Komorbiditäten wie Depressionen, Angst- und Essstörungen werden oft unterschätzt. Unabhängig vom BMI besteht ein erhöhtes Risiko für eine arterielle Hypertonie. 95% der adipösen, aber auch 75% der schlanken Betroffenen zeigen eine Glukosestoffwechselstörung. Eine Dyslipidämie ist ebenso mit einem PCOS assoziiert (2). Durch die chronische Anovulation und hormonelle Dysbalance, oft kombiniert mit einem metabolischen Syndrom, steigt das Risiko für ein Endometriumkarzinom. Auch scheint das Risiko für Ovarialkarzinome erhöht zu sein (3, 4). PCOS ist eine häufige Sterilitätsursache und wird mit einer erhöhten Abortrate assoziiert, wobei insbesondere metabolische Faktoren ursächlich zu sein scheinen (5). Studien zeigen, dass Betroffene verglichen mit gesunden Frauen kumulativ eine ähnlich hohe Wahrscheinlichkeit haben, ein Kind zu gebären. Sie brauchen tendenziell länger für die Geburt ihres ersten Kindes und haben gesamthaft weniger Kinder. Eine frühe Diagnosestellung und Aufklärung scheinen die Chancen auf ein Kind zu erhöhen (6). Das PCOS Zentrum USZ verfolgt das Ziel, die Sensibilität für das Krankheitsbild zu steigern und eine ganzheitliche Betreuung anzubieten.

Diagnostik

Das PCOS wird anhand der Rotterdam-Kriterien diagnostiziert (7). Vorausgesetzt andere Ursachen sind ausgeschlossen, darf beim Vorliegen von mindestens 2 der folgenden 3 Kriterien die PCOS-Diagnose gestellt werden:

1. Zyklusstörungen

Unregelmässige Menstruationszyklen gelten als klinisches Leitsymptom beim PCOS. Sind mindestens 3 Jahre nach der Menarche vergangen und liegt eine Poly- (< 21 Tage), Oligo- (> 35 Tage oder < 8 Zyklen/Jahr) oder Amenorrhoe (> 90 Tage) vor, ist das Rotterdam-Kriterium erfüllt. Die diagnostisch schwierigste Phase stellt die Pubertät dar. 95% der Adoleszentinnen haben innerhalb von 3 Jahren nach der Menarche regelmässige Zyklen, die restlichen 5% erst innerhalb von 5 Jahren (8). Die Guideline beschreibt Zyklusstörungen im ersten Jahr nach der Menarche als normal im Rahmen der Pubertätsentwicklung. Sofern die Menarche1 und3 Jahre zurückliegt, ist das Rotterdam-Kriterium der Zyklusstörungen beim Vorliegen einer Poly- (< 21 Tage), Oligo- (> 45 Tage) oder primären Amenorrhoe (keine Menarche bis zum 15. Lebensjahr oder > 3 Jahre nach der Thelarche) erfüllt.

2. Polyzystische Ovarien, Anti-Müller-Hormon (AMH)

Namensgebend für das PCOS ist eine polyzystische Ovarmorphologie (PCOM) (Abb. 1). Die Ovarienbeurteilung sollte frühzyklisch (2.-5. Zyklustag) und ohne Nachweis eines dominanten Follikels, Corpus luteums oder einer Zyste erfolgen. Es muss zwischen dem transvaginalen und transabdominalen Ultraschall unterschieden werden (Tab. 1). Eine PCOM kommt bei Adoleszentinnen sehr häufig vor (9), sodass polyzystische Ovarien frühestens 8 Jahre nach der Menarche diagnostiziert werden dürfen. Bei Adoleszentinnen mit Zyklusstörungen und Hyperandrogenismus darf ohne Ultraschall und nach Ausschluss anderer Ursachen ein PCOS diagnostiziert werden.
Neu gilt auch ein hoher Serum AMH-Wert als Diagnosekriterium für eine PCOM (1). Die Guideline nennt keinen Grenzwert. Folgende Faktoren haben einen Einfluss auf den AMH Wert und sollten bei der Interpretation beachtet werden: Ein hoher BMI kann den Wert erniedrigen, ebenso eine Messung unter hormonellen Kontrazeptiva oder periovulatorisch. Ein hoher AMH Wert ist bei Adoleszentinnen und jungen Erwachsenen zu erwarten (Peak: 20.-25. Lebensjahr) (10). Das Kriterium sollte nur bei Erwachsenen angewendet werden und dient nicht als «Single-Test». Vielmehr sollte der Wert in der Gesamtschau der Befunde bewertet werden.

3. Hyperandrogenismus (klinisch oder laborchemisch)

Es kann entweder ein klinischer oder ein biochemischer Hyper-androgenismus vorliegen. Bei PCOS-Verdacht sollte eine körperliche Untersuchung mit Augenmerk auf einen Hirsutismus, Akne und Alopezie erfolgen. Klinische Androgenisierungszeichen können die Lebensqualität betroffener Frauen deutlich reduzieren (11). Oft erfolgten bereits kosmetische Interventionen (Laser, Rasur, etc.), die die Aussagekraft der körperlichen Untersuchung einschränken. Da Akne bei Adoleszentinnen häufig vorkommt, zählt nur eine schwere Akne oder ein Hirsutismus. Zur Hirsutismusdiagnostik soll der modifizierte Ferriman-Gallwey-Score (mFG) (Abb. 2) angewendet werden. Nur terminales, pigmentiertes Haar mit einem unbehandelten Wachstum > 5 mm zählt. Ein Hirsutismus liegt bei einem mFG ≥ 4-6 Punkten vor. Die Ethnizität der Patientin ist bei der Interpretation zu berücksichtigen.

Eine Hyperandrogenämie kann durch eine frühzyklische Blutentnahme (2.-5. Zyklustag) diagnostiziert werden. Das Gesamttestosteron und Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG) sollten bestimmt werden. Hieraus kann der freie Androgenindex (FAI) berechnet werden. Auch eine Bestimmung von Androstendion, DHEA-S und insbesondere 17-OH-Progesteron zum Ausschluss eines late-onset AGS sollten erfolgen. Da unter hormonalen Kontrazeptiva die Androgen-spiegel durch eine Erhöhung des SHBG falsch zu niedrig gemessen werden können, sollten diese mindestens 3 Monate vor der Hormondiagnostik abgesetzt werden.

Weitere Diagnostik

Bei allen Betroffenen sollten jährliche Gewichts- und Blutdruckkon-trollen erfolgen. Auch ist unabhängig vom Alter und BMI eine Lipidkontrolle (Cholesterin gesamt, LDL- und HDL-Cholesterin, Triglyzeride) sowie eine Abklärung auf Glukosestoffwechselstörungen bei Diagnosestellung indiziert. Das Diabetesscreening sollte alle 1 bis 3 Jahre wiederholt werden, falls möglich immer mittels 75g oGTT. Alternativ kann im Wissen einer reduzierten Aussagekraft die Nüchternglukose und/oder der HbA1c Wert bestimmt werden. Auch präkonzeptionell sollte ein oGTT erfolgen. Der Lipidstatus wird abhängig vom Resultat sowie anderer kardiovaskulärer Risikofaktoren verlaufskontrolliert.

Therapie

So unterschiedlich die Symptome der Betroffenen sind, so individuell sollte das Therapiekonzept sein. Ein Ziel des PCOS Zentrums USZ ist es, mit einem interdisziplinären Team aus Reproduktions-Endokrinologen, Adipositasspezialisten, Dermatologen, Sportmedizinern und Psychiatern/Psychologen einen auf jede Patientin abgestimmten Behandlungspfad zu definieren.

Lifestyle-Management

Die Basis der Therapie bildet eine gesunde Lebensführung mit körperlicher Bewegung und ausgewogener Ernährung. Es werden keine Empfehlungen hinsichtlich eines speziellen Diättypen oder Sportart ausgesprochen. Vor allem bei adipösen Betroffenen kann eine Gewichtsreduktion sich positiv auf den Zyklus, die Fertilität und erhöhte Androgenspiegel auswirken. Der Insulinspiegel und das kardiovaskuläre Risiko sinken signifikant (2).

Kombinierte orale Kontrazeptiva (COC)

Bei Hyperandrogenismus und/oder Zyklusstörungen ohne Kinderwunsch stellen COC nach Ausschluss von Risikofaktoren ein Mittel der Wahl dar. Hierbei werden keine spezifischen Präparate empfohlen. Aufgrund des erhöhten Thromboembolierisikos sollten antiandrogene Pillen mit Cyproteronacetat/Ethinylestradiol (z.B. Diane 35®) nicht als Erstlinientherapie eingesetzt werden (12). Positive Effekte auf Androgenisierungszeichen (u.a. Hirsutismus) sind meist frühestens nach 6 Monaten zu erwarten.

Metformin

Das orale Antidiabetikum kann die Zykluslängen, die Häufigkeit von Ovulationen als auch die klinische Schwangerschaftsrate verbessern (13). Betroffene mit einem BMI > 25 kg/m2 scheinen besonders zu profitieren. Es handelt sich um einen off-label use. Um häufige zu Beginn der Therapie und oft im Verlauf selbstlimitierende gastrointestinale Nebenwirkungen vorzubeugen, sollte die Dosierung langsam gesteigert werden. Die Startdosis beträgt 500mg/Tag und sollte wöchentlich bis 2.5g/Tag (Erwachsene) bzw. 2g/Tag (Jugendliche) gesteigert werden. Eine Metformintherapie kann mit einem erniedrigten Vitamin B12 Spiegel einhergehen, sodass bei langfristiger Einnahme entsprechende Kontrollen indiziert sind.

Inositol

Inositol wirkt als natürlicher Insulinsensitizer und ist an der Regulation der Androgensynthese im Ovar beteiligt. Die Studienlage ist spärlich, sodass eine Gabe auf individueller Präferenz erfolgen sollte. Metformin sollte bevorzugt eingesetzt werden.

Gestagene

Um Risiken wie Endometriumhyperplasien/-karzinome zu minimieren, sollte bei einer Oligo-/Amenorrhoe spätestens nach 3 Monaten eine Periodeninduktion erfolgen (14). Ist eine kombinierte Pille nicht gewünscht oder führten Metformin bzw. Inositol nicht zur Zyklusregulation, können Gestagenpräparate eingesetzt werden. Bei Wunsch der Patientin nach einem regelmässigen Zyklus, können diese auch monatlich verabreicht werden.

Antiandrogene

Führten kosmetische Therapien (z.B. Laser) und/oder COC für mindestens 6 Monate nicht zu einer Reduktion kutaner Androgenisierungszeichen (v.a. Hirsutismus), können in Kombination mit einer sicheren Verhütung Antiandrogene in Betracht gezogen werden. Die Studienlage ist allerdings eingeschränkt. Therapieoptionen sind Spironolacton (25-100mg/Tag) oder Cyproteronacetat (≥10mg). Bei Finasterid, Flutamid und Bicalutamid muss das Risiko einer Lebertoxizität beachtet werden.

Therapien bei Kinderwunsch

Aromatase-Inhibitoren

Letrozol gilt als first-line Therapie zur Ovulationsinduktion bei infertilen Frauen mit PCOS, sofern keine weiteren Sterilitätsursachen des Paares vorliegen. Mehrere Studien haben gegenüber Clomiphenzitrat die höhere Wirksamkeit und bessere Lebendgeburtenraten gezeigt; insbesondere bei übergewichtigen Frauen (15). Es handelt sich um eine off-label Anwendung. Die Dosierung beträgt 2,5-7,5mg/Tag vom 5.-9. Zyklustag. Regelmässige Ultraschallkontrollen sind indiziert und die Ovulation muss bei einem Leitfollikel (≥ 18 mm) und gutem Endometrium (≥ 7 mm, Bilayer) induziert werden. Die Anwendung von Letrozol gilt als sicher und es bestehen keine Unterschiede hinsichtlich Teratogenität verglichen mit Clomiphenzitrat oder natürlicher Konzeption.

Gonadotropine

Diese gelten als second-line Therapie zur Ovulationsinduktion bei Frauen mit PCOS ohne weitere Sterilitätsursachen des Paares und wo Aromataseinhibitoren nicht zum Erfolg führten. Es sollte ein low-dose step up Protokoll gewählt werden, sprich der Beginn mit einer möglichst niedrigen Dosierung. Die Effektivität verschiedener Präparate scheint sich nicht zu unterscheiden. Die Behandlung erfordert ein hohes Mass an fachlicher Expertise. Es müssen regelmässige Follikulometrien stattfinden. Die Präparate sind teuer und werden nach entsprechender Kostengutsprache von den Krankenkassen übernommen.

Assistierte Reproduktionsmedizin

Eine IVF/ICSI sollte nur durchgeführt werden, sofern die first- und second line Therapien nicht zum Ziel führten. Das erhöhte Risiko für ein ovarielles Überstimulationssyndrom (OHSS) kann durch die Anwendung eines Antagonistenprotokolls sowie einem «freeze all» reduziert werden. Hierbei werden alle Embryonen nach der Befruchtung zunächst eingefroren und zu einem späteren Zeitpunkt transferiert.

«Ovarian drilling»

Bei dieser «Ovarstichelung» wird meist laparoskopisch die Kapsel der Ovarien entweder mit Strom oder Laser «durchlöchert». Betroffene zeigen postoperativ häufig regelmässigere Menstruationszyklen, niedrigere Androgenspiegel, weniger Akne und Hirsutismus sowie bessere Schwangerschaftschancen (16). Die Methode wird als second-line Therapie bei anovulatorischen Frauen mit PCOS und Kinderwunsch, sofern eine monofollikuläre Stimulation missglückte und keine weiteren Sterilitätsfaktoren vorliegen, empfohlen. Aufgrund der Invasivität und fehlenden Standardisierung des operativen Eingriffes sowie Risiken einer sekundären Ovarialinsuffizienz bzw. Adhäsionen wird die Indikation zurückhaltend gestellt.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Mareike Roth-Hochreutener

Leitung PCOS Zentrum USZ, Universitätsspital Zürich
Klinik für Reproduktions-Endokrinologie
Frauenklinikstrasse 10
8091 Zürich

Die Autorin hat deklariert, keine potentiellen
Interessenskonflikte zu haben.

◆ Die PCOS-Diagnose wird anhand der Rotterdam-Kriterien (1. Zyklusstörungen,
2. PCOM oder hoher AMH-Wert, 3. klinischer oder laborchemischer
Hyperandrogenismus; ≥ 2 von 3 Kriterien zutreffend) nach Ausschluss anderer Ursachen gestellt.
◆ Das kardiovaskuläre Risiko (Diabetes mellitus, Hypertonie, Adipositas,
Dyslipidämie) sowie das Risiko für gynäkologische Karzinome (Endometrium,
Ovar) sind erhöht. Es sollten entsprechend regelmässige
Kontrollen von Blutdruck, Gewicht, Blutzucker und Lipidstatus erfolgen.
◆ Die Therapie muss individuell und bedürfnisorientiert sein.
◆ Lifestyle-Massnahmen mit Gewichtsreduktion und gesunder Ernährung
bilden den Grundstein der PCOS-Therapie.

1. Teede HJ, Tay CT, Laven J, Dokras A, Moran LJ, Piltonen TT, et al. Recommendations from the 2023 International Evidence-based Guideline for the Assessment and Management of Polycystic Ovary Syndrome†. Human Reproduction. 2023;38(9):1655-79.
2. Guan C, Zahid S, Minhas AS, Ouyang P, Vaught A, Baker VL, et al. Polycystic
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3. Fearnley EJ, Marquart L, Spurdle AB, Weinstein P, Webb PM. Polycystic ovary syndrome increases the risk of endometrial cancer in women aged less than 50 years: an Australian case-control study. Cancer Causes Control. 2010;21(12):2303-8.
4. Ding DC, Chen W, Wang JH, Lin SZ. Association between polycystic ovarian syndrome and endometrial, ovarian, and breast cancer: A population-based cohort study in Taiwan. Medicine (Baltimore). 2018;97(39):e12608.
5. online A. S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie von Frauen mit wiederholten
Spontanaborten 2022 [Available from: https://register.awmf.org/de/leitlinien/
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9. Kristensen SL, Ramlau-Hansen CH, Ernst E, Olsen SF, Bonde JP, Vested A, et al. A very large proportion of young Danish women have polycystic ovaries: is a revision of the Rotterdam criteria needed? Hum Reprod. 2010;25(12):3117-22.
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