Ausgewählte Studien zu soliden Tumoren

Sentinel-Lymphknoten-Biopsie vs. keine Axillar-Operation bei Patientinnen mit kleinem Brustkrebs und negativem Ergebnis der Ultraschalluntersuchung der Axillar-Lymphknoten

Gentilini OD et al J Sentinel Lymph Node Biopsy vs No Axillary Surgery in Patients With Small Breast Cancer and Negative Results on Ultrasonography of Axillary Lymph Nodes JAMA Oncol. 2023 Sep 21 : e233759. doi: 10.1001/jamaoncol.2023.3759 [Epub ahead of print]

Kann bei Patientinnen mit kleinem Brustkrebs (BC) und negativem Ergebnis der präoperativen axillären Ultraschalluntersuchung auf eine Sentinel-Lymphknoten-Biopsie verzichtet werden?

Die Sentinel-Lymphknotenbiopsie (SLNB) ist das Standardverfahren für das axilläre Staging von Patientinnen mit Brustkrebs im Frühstadium, aber ihre Notwendigkeit kann in Frage gestellt werden, da die Operation zur Untersuchung der Axillarknoten nicht in kurativer Absicht durchgeführt wird.
Eine kürzlich publizierte Studie hatte zum Ziel festzustellen, ob der Verzicht auf eine axilläre Operation bei Patientinnen mit kleinem BC und negativem Ergebnis der präoperativen axillären Lymphknoten-Sonographie einer SLNB nicht unterlegen ist (1).

Design, Setting und Teilnehmerinnen

Bei der SOUND-Studie (Sentinel Node vs. Observation After Axillary Ultra-Sound) (1) handelte es sich um eine prospektive, randomisierte klinische Phase-3-Studie, die in Italien, der Schweiz, Spanien und Chile durchgeführt wurde. Insgesamt wurden 1463 Frauen jeden Alters mit einem BC von bis zu 2 cm und einem negativen Ergebnis der präoperativen axillären Ultraschalluntersuchung eingeschlossen und randomisiert. Von diesen wurden 1405 in die Intention-to-Treat-Analyse aufgenommen.

Die teilnahmeberechtigten Patienten wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert, um eine SLNB (SLNB-Gruppe) oder keine axilläre Operation (keine axilläre Operation-Gruppe) zu erhalten.

Der primäre Endpunkt der Studie war das metastasenfreie Überleben (DDFS) nach 5 Jahren, das als Intention to Treat analysiert wurde. Sekundäre Endpunkte waren die kumulative Inzidenz von Fernrezidiven, die kumulative Inzidenz von axillären Rezidiven, das DFS, das Gesamtüberleben (OS) und die Empfehlungen zur adjuvanten Behandlung.

Ergebnisse

Von den 1405 Frauen (medianes [IQR] Alter, 60 [52-68] Jahre), die in die Intention-to-Treat-Analyse einbezogen wurden, wurden 708 in die SLNB-Gruppe und 697 in die Gruppe ohne axilläre Operation randomisiert. Insgesamt betrug die mediane (IQR) Tumorgröße 1,1 (0.8-1.5) cm, und 1234 Patientinnen (87.8 %) hatten Östrogenrezeptor-positiven ERBB2 (früher HER2 oder HER2/neu), nicht überexprimierenden BC. In der SLNB-Gruppe hatten 97 Patientinnen (13.7 %) positive Axillarknoten. Die mediane (IQR) Nachbeobachtungszeit zur Beurteilung der Erkrankung betrug 5.7 (5.0-6.8) Jahre in der SLNB-Gruppe und 5,7 (5,0-6,6) Jahre in der Gruppe ohne axilläre Operation. Die Fünf-Jahres-DDFS lag in der SLNB-Gruppe bei 97,7 % und in der Gruppe ohne axilläre Operation bei 98,0 % (log-rank P = 0.67; Hazard Ratio, 0.84; 90% CI, 0.45-1.54; noninferiority P =0.02). Insgesamt wurden in der SLNB-Gruppe 12 (1.7 %) lokoregionale Rezidive, 13 (1,8 %) Fernmetastasen und 21 (3,0 %) Todesfälle beobachtet, während in der Gruppe ohne axilläre Operation 11 (1,6 %) lokoregionale Rezidive, 14 (2.0 %) Fernmetastasen und 18 (2.6 %) Todesfälle beobachtet wurden.

Schlussfolgerung und Relevanz

In dieser randomisierten klinischen Studie war der Verzicht auf eine axilläre Operation bei Patientinnen mit kleinem BC und einem negativen Ergebnis der Ultraschalluntersuchung der axillären Lymphknoten der SLNB nicht unterlegen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass Patientinnen mit diesen Merkmalen eine axilläre Operation sicher erspart werden kann, wenn das Fehlen pathologischer Informationen den postoperativen Behandlungsplan nicht beeinträchtigt.

Kommentar

Das optimale Vorgehen in der Axilla bei der Primärbehandlung des Mammakarzinoms wird intensiv beforscht und bildet eine Kontroverse an jedem Brustkrebskongress. Das Gebiet ist stark in Bewegung und fragmentiert durch die vielen Einflussfaktoren. Neben der präoperativen Diagnostik (hier am wichtigsten der Ultraschall in erfahrenen Händen), dem histologischen Typ mit den Schwierigkeiten beim lobulären Karzinom, den biologischen Subtypen und dem Ausgangsrisiko für axillären Befall sind es vor allem der Einfluss der immer häufiger angewandten neoadjuvanten Therapie und den Optionen der personalisierten und risikoadaptierten, postoperativen adjuvanten Therapie, welche Einfluss nehmen, ob eine Sentinel-Lymphknotenbiopsie einen Nutzen bringt. Immerhin ist der Eingriff rein diagnostisch und schon dadurch ein guter Kandidat für weitere De-eskalation der Chirurgie. Zeigt die SOUND Studie nun, dass die Sentinel-Lymphknotenbiopsie bei klinisch-sonographisch unauffälliger Axilla ausgedient hat? Die Antwort heisst wohl: weitgehend. Ganz neu und überraschend sind die Ergebnisse nicht. Bereits frühere Studien in den 90er Jahren zeigten kaum einen relevanten Gewinn, sogar wenn nur eine palpatorisch untersuchte Axilla verlangt wurde. Schweizer Zentren haben bei der IBCSG 10-93 mitgeholfen die Frage zu untersuchen. In dieser Studie hatten nur 5 von 473 Patientinnen über 65 Jahren mit Hormonrezeptorpositivem Karzinom einen Rückfall in der Axilla als ersten event: 2 im Arm mit Axillachirurgie und 3 im Arm ohne Axillachirurgie. Krankheitsfreies und Gesamtüberleben war wie erwartet nicht unterschiedlich. Bekannt seit bald 20 Jahren. https://ascopubs.org/doi/10.1200/JCO.2005.01.5784
Fazit: Es ist Zeit, bei diesen kleineren Tumoren diese weitere Dees­kalation in die tägliche Routine einzuführen.

Phase-3-Studie SONIA

Sonke GS et al. Primary outcome analysis of the phase 3 SONIA trial (BOOG 2017-03) on selecting the optimal position of cyclin-dependent kinases 4 and 6 (CDK4/6) inhibitors for patients with hormone receptor-positive (HR+), HER2-negative (HER2-) advanced breast cancer (ABC). J Clin Oncol 41, 2023 (suppl 17; abstr LBA1000)

Die primäre Ergebnisanalyse der Phase-3-Studie SONIA (BOOG 2017-03) zur Auswahl der optimalen Positionierung von Inhibitoren der Cyclin-abhängigen Kinasen 4 und 6 (CDK4/6) für Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem (HR+), HER2-negativem (HER2-) fortgeschrittenem Brustkrebs (ABC) wurde am ASCO Annual Meeting 2023 präsentiert.

Die randomisierte, von Prüfärzten initiierte, landesweite SONIA-Studie der Phase 3 untersuchte die Wirksamkeit, Sicherheit und Kosteneffizienz von CDK4/6i als Zusatz zur endokrinen Erst- oder Zweitlinientherapie (ET) bei Patientinnen mit HR+, HER2- ABC, die zuvor keine Therapie für ABC erhalten haben. Die Zugabe von CDK4/6i zur ET verbesserte das progressionsfreie (PFS) und das Gesamtüberleben (OS) bei HR+, HER2- ABC, als Erstbehandlung (Erstlinie) und nach vorheriger endokriner Monotherapie (Zweitlinie). Die meisten internationalen Leitlinien raten zur Erstlinienbehandlung, obwohl die Toxizität länger anhält und die Kosten im Vergleich zur Zweitlinienbehandlung stark ansteigen. Die Überlegenheit der Erstlinientherapie gegenüber der Zweitlinientherapie auf der Grundlage eines direkten Vergleichs ist nicht bewiesen.

Studienanlage

In 74 niederländischen Krankenhäusern wurden prä- und postmenopausale Frauen (N=1050) mit messbarer oder auswertbarer Erkrankung und WHO-Performance-Status 0-2 aufgenommen, die zuvor keine ABC-Therapie erhalten hatten. Eine (neo)adjuvante Therapie war zulässig (krankheitsfreies Intervall nach nichtsteroidalen Aromatasehemmern (NSAI) >12 Monate). Die Patientinnen wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert und erhielten entweder Strategie A (Erstlinientherapie mit einem NSAI + CDK4/6i, bei Fortschreiten der Erkrankung gefolgt von Fulvestrant (F)) oder Strategie B (Erstlinientherapie mit einem NSAI, bei Fortschreiten der Erkrankung gefolgt von F + CDK4/6i). Die Wahl zwischen einem der verfügbaren CDK4/6i (Abemaciclib, Palbociclib, Ribociclib) war ein Stratifikationsfaktor und lag im Ermessen des behandelnden Arztes. Der primäre Endpunkt war die Zeit von der Randomisierung bis zum zweiten objektiven Fortschreiten der Krankheit (PFS2), wie von Prüfärzten beurteilt, oder bis zum Tod. Zu den sekundären Endpunkten gehörten OS, Sicherheit, Lebensqualität und Kosteneffizienz.

Ergebnisse

Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 37,7 Monaten (Stichtag 1. Dezember 2022) betrug das mediane PFS2 bei Strategie A 31,0 Monate gegenüber 27,8 Monaten bei Strategie B (Hazard Ratio 0,89; 95 % Konfidenzintervall, 0,75 bis 1,04; P=0,14). Der Behandlungseffekt war über die Ebenen der vordefinierten Untergruppen hinweg konsistent. Das Sicherheitsprofil war charakteristisch für ET + CDK4/6i. Die mediane Dauer der Behandlung mit CDK4/6i betrug 24,7 Monate in Strategie A und 8,3 Monate in Strategie B (Δ 16,4 Monate). Die Zahl der unerwünschten Ereignisse von Grad ≥3 betrug 2778 für Strategie A und 1620 für Strategie B.

Schlussfolgerung

Der Einsatz von CDK4/6i + ET in der Erstlinie bietet weder einen statistisch signifikanten noch einen klinisch bedeutsamen PFS-Vorteil im Vergleich zum Einsatz in der Zweitlinie bei Frauen mit HR+, HER2- ABC. Der Einsatz in der Erstlinie verlängert die Zeit, in der CDK4/6i eingesetzt wird, um 16,4 Monate und erhöht die Toxizität und die Kosten. Die Zweitlinientherapie könnte daher für die Mehrheit der Patientinnen die bevorzugte Option sein. (Finanziert von der niederländischen Organisation für Gesundheitsforschung und -entwicklung und den niederländischen Krankenkassen; ClinicalTrials.gov-Nummer, NCT03425838). Informationen zur klinischen Studie: NCT03425838.

Kommentar

Dieses paradigmatische Beispiel zeigt, dass nicht jedes neue, innovative, in der ersten Therapieline getestete und wirksame Medikament, auch so verschrieben werden muss, auch wenn es in der (Zulassungs-)Studie mit einem OS Vorteil verknüpft war.
Diese Interpretation ist wie die Studie zeigt nicht korrekt, von der vermehrten Toxizität und den Kosten abgesehen. Zeit unsere Verschreibungspraxis zu überdenken.

Prof. Dr. med. Beat Thürlimann

Brustzentrum, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

Ausgewählte Studien aus der Hämato-Onkologie

Daratumumab, Lenalidomid, Bortezomib und Dexamethason zur Therapie des neu diagnostizierten Multiplen Myeloms bei transplantationsfähigen Patienten (GRIFFIN): Finale Analyse einer offenen, randomisierten Phase-2-Studie

Peter M Voorhees et al., Lancet Haematol 2023; 10: e825–37. https://doi.org/10.1016/S2352-3026(23)00217-X

Hintergrund

Die Zugabe von Daratumumab zu Lenalidomid, Bortezomib und Dexamethason (D-RVd) in der GRIFFIN Studie verbesserte die Rate des vollständigen Ansprechens am Ende der Konsolidierung bei Patienten/innen mit neu diagnostiziertem Multiplem Myelom (MM), die für eine Transplantation in Frage kommen. Aktuell publiziert werden die Ergebnisse der vordefinierten Abschlussanalyse.

Methoden

GRIFFIN war eine offene, randomisierte, aktiv-kontrollierte Phase-2-Studie. Die Patienten/innen hatten ein neu diagnostiziertes MM (ndMM), waren zwischen 18 und 70 Jahre alt und kamen für eine autologe hämatopoetische Stammzellentransplantation (HSCT) in Frage. Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip (1:1) vier D-RVd- oder RVd-Induktionszyklen zugewiesen, gefolgt von einer autologen HSCT, zwei D-RVd- oder RVd-Konsolidierungszyklen und Lenalidomid mit oder ohne Daratumumab Erhaltungstherapie für 2 Jahre. Der primäre Endpunkt war die Rate des vollständigen Ansprechens bis zum Ende der Konsolidierung. Berichtet wird die aktualisierte Analyse der Ansprechraten und sekundäre Endpunkte wie das Progressions-freie Überleben (PFS) und Gesamtüberleben (OS).

Ergebnisse

Es wurden 104 Patienten nach dem Zufallsprinzip der D-RVd-Gruppe und 103 der RVd-Gruppe zugewiesen. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 49,6 Monaten verbesserte D-RVd die Rate des stringenten vollständigen Ansprechens (sCR) auf 67% vs. 47% (p=0,0079). Das 4-Jahres PFS betrug 87,2% für D-RVd vs. 70,0% für RVd mit einer Hazard Ratio (HR) von 0,45 für das Risiko eines Fortschreitens der Erkrankung oder des Todes bei D-RVd. Das mediane OS wurde für beide Gruppen nicht erreicht. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse in den D-RVd- und RVd-Gruppen waren Neutropenie (46% vs. 23%), Lymphopenie (23% vs. 23%), Leukopenie (17% vs. 8%) und Lungenentzündung (12% vs. 14%). Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, die zu einer Behandlung führten, traten bei 46% in der D-RVd-Gruppe und bei 52% in der RVd-Gruppe auf.

Schlussfolgerungen

Die Zugabe von Daratumumab zu RVd verbesserte die Tiefe des Ansprechens und das PFS bei Patienten/innen mit neu diagnostiziertem MM, die für eine Transplantation in Frage kommen.

Die Studie wurde von Janssen Oncology finanziert und ist bei ClinicalTrials.gov (NCT02874742) registriert.

Zweitmalignome bei Patienten/innen mit Lymphomerkrankung nach Hochdosis-Chemotherapie und autologer hämatopoetischer Stammzellentherapie in Dänemark

Trine Trab et al., Lancet Haematol 2023; 10: e838–48. https://doi.org/10.1016/S2352-3026(23)00212-0

Hintergrund

Zweitmalignome (SPM) sind bekannte Komplikationen nach einer Chemotherapie, aber das Risiko für Patienten/innen mit Lymphomen, die mit einer Hochdosis-Chemotherapie und autologer hämatopoetischer Stammzelltransplantation (HSCT) behandelt werden ist nur unzureichend bekannt. Die vorliegende Studie analysiert die Häufigkeit von SPMs in dieser Population im Vergleich zu Kon-trollpersonen aus der Allgemeinbevölkerung.

Methoden

In dieser retrospektiven, bevölkerungsbasierten Kohortenstudie wurden Patienten/innen im Alter von 18 Jahren oder älter mit einem aggressiven Lymphom, die eine Hochdosis-Chemotherapie und eine autologe HSCT erhalten hatten aus dem dänischen Lymphomregister aufgenommen und mit Kontrollpersonen der Allgemeinbevölkerung abgeglichen. Der wichtigste Endpunkt war die SPMs Inzidenz, die bei allen Studienteilnehmern untersucht wurde. Die Auswirkung der Behandlung auf SPMs wurde auch bei Patienten/innen untersucht, die ab der ersten Lymphomdiagnose weiterbehandelt wurden, wobei eine hochdosierte Chemotherapie und autologe HSCT als zeitabhängige Exposition erfasst wurde.

Ergebnisse

803 Lymphom-Patienten/innen wurden in die Studie eingeschlossen. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 7,76 Jahre. Die SPM-Rate war höher bei Patienten/innen, die eine Hochdosis-Chemotherapie und eine autologe HSCT erhielten, als bei den entsprechenden Kontrollpersonen (bereinigte Hazard Ratio [HR] 2,35 (p<0,0001)). Patienten/innen mit Hochdosis-Chemotherapie und autologer HSCT hatten eine höhere Rate Nicht-Melanom bedingter Hauttumoren (p<0,0001), eines myelodysplastischen Syndroms (MDS) oder einer akuten myeloischen Leukämie (AML; p<0,0001). Es ergab sich jedoch kein signifikanter Unterschied bzgl. der Rate solider Tumore (p=0,24). Das kumulative Risiko für SPMs nach 10 Jahren betrug 20% im Vergleich zu 14% bei Kontrollpersonen. Hochdosierte Chemotherapie und autologe HSCT waren mit
einem erhöhten Risiko für SPMs verbunden, wenn sie als zeitabhängige Exposition ab der ersten Lymphomdiagnose analysiert wurde (p=0,0054).

Schlussfolgerungen

Eine Hochdosis-Chemotherapie und autologe HSCT ist mit einem erhöhten Risiko für nicht-melanozytäre Hautmalignome, MDS und AML aber nicht einem erhöhten Risiko für solide Tumore bei Lymphom-Patienten assoziiert. Diese Ergebnisse sind für künftige individualisierte Risiko-Nutzen-Bewertungen bei der Wahl zwischen Hochdosis-Chemotherapie und autologer HSCT und chimärer Antigenrezeptor-T-Zelltherapie in dieser Situation relevant.

Die Studie wurde von der Danish Cancer Society finanziert.

Prof. Dr. med. Christoph Renner

Onkozentrum Hirslanden Zürich und Onkozentrum Zürich
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

Christoph.renner@hirslanden.ch

Zusammenhang zwischen Ibrutinib bzw. Venetoclax und progressiver multifokaler Leukenzephalopathie

David Haefliger, MD; Prof. Dr. med. François Girardin, MSc, eMBA Regionales Pharmacovigilance-Zentrum, Abteilung Klinische Pharmakologie, Universitätsspital Lausanne (CHUV), Schweiz

Einleitung

Die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) ist eine opportunistische Infektion des zentralen Nervensystems (ZNS), die durch das JCPolyomavirus verursacht wird (1). Die Mehrzahl der PML-Fälle tritt bei Patienten auf, die gleichzeitig mit HIV infiziert sind. Weitere Risikofaktoren sind hämatologische Malignome, Autoimmunerkrankungen (z. B. Multiple Sklerose, Sarkoidose, rheumatoide Arthritis) oder Immunsuppression nach Organtransplantationen. Einige Medikamente wurden mit einem erhöhten PML-Risiko in Verbindung gebracht, z. B. solche mit B-Zell-Depletion (Rituximab) und VLA4-Integrin-Antagonisten (Natalizumab).

Bei anderen Arzneimitteln ist der Zusammenhang mit PML nicht eindeutig nachgewiesen (1–4). Fälle von arzneimittelinduzierter PML manifestieren sich meist mit motorischen und/oder kognitiven Defiziten mit radiologisch nachweisbaren Läsionen vorwiegend im Frontal- und Parietalbereich (5). In der Onkologie tritt eine arzneimittelinduzierte PML im Durchschnitt 14 Monate nach erstmaliger Gabe des betreffenden Arzneimittels auf (5). Wir berichten über einen Patienten, der im Rahmen einer chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) eine PML mit wahrscheinlicher Beteiligung von Ibrutinib und Venetoclax entwickelte.

Fallbericht

Bei einem Patienten in seinen Siebzigern mit einer 2014 diagnostizierten CLL wurde nach 15 Zyklen Rituximab und Bendamustin (letzte Verabreichung im September 2019) angenommen, dass er sich in Remission befindet. Aufgrund eines hämatologischen Rückfalls wurde im Januar 2022 eine Behandlung mit Venetoclax (Venclyxto®) 400 mg 1 x täglich und Ibrutinib (Imbruvica®) 280 mg 1 x täglich begonnen. Die Standarddosis von Ibrutinib ist 420 mg 1 x täglich, der Patient erhielt jedoch eine niedrigere Dosis aufgrund einer Wechselwirkung zwischen Ibrutinib und CYP3A4-Inhibitoren (d. h. Amiodaron und Diltiazem gegen Vorhofflattern). Weitere verschriebene Medikamente waren Apixaban, Olmesartan und Cholecalciferol/Calcium. Im Dezember 2022 wurde eine schnell einsetzende kognitive Beeinträchtigung mit Gedächtnisverlust und exekutiver Dysfunktion gemeldet. Mitte Februar 2023 wurde der Patient zur Untersuchung eines Hemineglect-Syndroms eingewiesen. Vitalparameter bei der Aufnahme: Blutdruck 140/73 mmHg, Herzfrequenz 67 min-1, O2-Sättigung 95 %, Körpertemperatur 36,8°C. Bei der neurologischen Untersuchung war der Patient desorientiert und zeigte rechts einen multimodalen Hemineglect, eine Labial-Ptosis, Schlaffheit der rechten Extremität und Babinski-Reflex beim rechten Fuss. Die Labortests zeigten eine stabile Nierenfunktion mit einem Kreatininwert von 136 μmol/l (N 62-106 μmol/l) und mit Leberwerten, einschliesslich der Transaminasen, im Normbereich. Das Blutbild zeigte keine Anomalien bezüglich neutrophiler Granulozyten. Lymphozyten-Zellzahlen: Die Zellzahl lag für BZellen bei 8 Zellen/mm3 (N 80-490 Zellen/mm3), für CD4+ T-Zellen bei 359 Zellen/mm3 (N 490-1640 Zellen/mm3) und für CD8+ T-Zellen bei 1709 Zellen/mm3 (N 170-880 Zellen/mm3). Der serologische HIV-Test war negativ. Die zerebralen MRT-Befunde bestätigten die PML-Merkmale: Es wurden multifokale periventrikuläre und subkortikale Bereiche mit hyperintensen Signalen bei T2-Gewichtung festgestellt, hauptsächlich bilateral in den Frontal-, Parietal- und Okzipitalregionen. Eine Lumbalpunktion ergab erhöhte Proteine von 707 mg/l (N 150-460 mg/l), aber Glukose und Laktate blieben Swissmedic Vigilance-News | Edition 30 – Mai 2023 11 im Normbereich. Die zytologische Untersuchung ergab keine Tumorzellen, und die Zellularität war normal. Bei der mikrobiologischen Untersuchung des Liquors wurde das JC-Polyomavirus nachgewiesen (PCR mit 900 Kopien/ml). Die Reaktivierung des JC-Virus wurde auf die mit der CLL verbundene Immunsuppression und auf die Behandlung mit Venetoclax und Ibrutinib (beide abgesetzt) zurückgeführt. Der Krankheitsverlauf war ungünstig und es wurde eine palliative Behandlung eingeleitet. Der Patient starb vier Wochen nach der Einweisung.

Diskussion

Der Patient entwickelte eine PML im Zusammenhang mit CLL ein Jahr nach Beginn der Behandlung mit Venetoclax und Ibrutinib.Venetoclax ist wie Navitoclax ein selektiver Inhibitor des antiapoptotischen Proteins BCL-2 (B-Zell- Lymphom): Es hemmt das BCL-2-Protein, was zur mitochondrialen Apoptose durch Aktivierung der Caspasen führt, einer Familie von Proteasen, die eine wesentliche Rolle beim programmierten Zelltod spielen. Die immunsuppressive Wirkung von Venetoclax ist letztlich auf anhaltende Zytopenien zurückzuführen (6). Häufige unerwünschte Ereignisse sind Neutropenie und Lymphopenie mit Atemwegs- und Harnwegsinfektionen. Opportunistische Infektionen (wie z. B. die Reaktivierung des JC-Virus) werden jedoch nicht als unerwünschte Arzneimittelwirkungen gemeldet, auch nicht langfristig. In der Datenbank der Europäischen Arzneimittel-Agentur sind fünf Fälle von PML in Zusammenhang mit Venetoclax verzeichnet. Gemäss einer Untersuchung der European Society of Infectious Diseases entwickeln 3,6 % der Patienten, die mit Venetoclax behandelt werden, opportunistische Infektionen (einschliesslich Aspergillose, Pneumocystis, Nocardiose, Toxoplasmose). Die Autoren berichten jedoch nicht über einen Zusammenhang zwischen Venetoclax und PML (7). Uns ist kein Fallbericht bekannt, bei dem ein Zusammenhang zwischen Venetoclax und PML beschrieben wird. Hingegen existiert ein Fallbericht zu einem Patienten mit CLL, der eine PML überlebte. Etwa sieben Jahre nach der PML-Diagnose wurde bei ihm ein Rezidiv seiner malignen Erkrankung festgestellt. Die Behandlung mit Venetoclax führte nicht zu einer Reaktivierung des JC-Virus (8). Ibrutinib ist ein Inhibitor der Bruton-Tyrosinkinase (BTK), die an der Pathogenese verschiedener B-Zell-Malignome beteiligt ist. Die BTK spielt eine Rolle bei der Proliferation, dem Überleben und der Differenzierung von B-Zellen. Das mögliche Auftreten von PML während einer Ibrutinib-Behandlung ist in der Fachinformation aufgeführt. Die Datenbank der Europäischen Arzneimittel-Agentur enthält derzeit 31 Fälle von PML im Zusammenhang mit einer Ibrutinib-Behandlung. In der Literatur wurde Ibrutinib mit einem erhöhten Risiko für PML in Verbindung gebracht. In einer Studie auf der Grundlage von Postmarketing-Daten der FDA wurde das Auftreten von PML bei verschiedenen Biologika- und Krebsbehandlungen beobachtet. Es wurden dabei 10 Fälle von PML im Zusammenhang mit Ibrutinib-Behandlungen identifiziert (9). In einer Fallserie wurden fünf CLL-Patienten beschrieben, die nach der Behandlung mit Ibrutinib (n = 1), Ibrutinib + Rituximab (n = 3) oder Ibrutinib + Rituximab + Bendamustin (n = 1) an PML starben. Der Median der Ibrutinib-Behandlungsdauer betrug 11 Monate (Intervall: 1,5-24 Monate), und die PML trat im Durchschnitt acht Jahre nach der CLLDiagnose auf (Intervall: 3-17 Jahre) (10). Als Mechanismus, der den Zusammenhang zwischen dem Auftreten der PML und der Ibrutinib-Behandlung erklärt, wird die Hemmung der B-Zell-Proliferation durch Ibrutinib vorgeschlagen. Es wird angenommen, dass B-Zellen und die humorale Immunantwort eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle der JC-Virus-Replikation spielen (Zusammenspiel von B- und T-Zellen bei der antiviralen Antwort) (5, 11). Im vorliegenden Fall erfolgte die letzte Verabreichung von Rituximab und Bendamustin im September 2019. Ihre Beteiligung am Auftreten der PML erscheint unwahrscheinlich. Die Mehrzahl der PMLFälle mit einer Rituximab-Behandlung entwickelt sich innerhalb von zwei Jahren nach Behandlungsbeginn (12). Ein Zusammenhang zwischen Bendamustin und PML ist in der Literatur nicht nachgewiesen, und die lange Zeitspanne seit der letzten Verabreichung macht den ursächlichen Zusammenhang sehr unwahrscheinlich (13–14).

Schlussfolgerungen

PML ist eine seltene Erkrankung, die vor allem im Zusammenhang mit spezifischen immunsuppres siven Bedingungen auftritt, wie sie bei HIV oder bei Behandlungen mit VLA4-Integrin-Antagonisten vorliegen. Im hier beschriebenen Fall könnten Venetoclax und Ibrutinib, die nur in wenigen Fallberichten erwähnt werden, als Auslöser in Frage kommen. Da es sich bei PML um ein sehr seltenes Ereignis handelt, liegen noch zu wenig Daten vor, um einen Kausalzusammenhang mit einem der beiden Arzneimittel (Ibrutinib, von der FDA seit 2013 zugelassen, und Venetoclax, von der FDA seit 2016 zugelassen) formal auszuschliessen oder zu bestätigen. Aufgrund der immer häufigeren Kombination eines selektiven BCL-2-Inhibitors mit einem BTK-Inhibitor sollte jedoch deren Beitrag beim Auftreten von PML sorgfältig beobachtet werden.

1. Cortese I, Reich DS, Nath A. Progressive multifocal leukoencephalopathy and the spectrum of JC virusrelated disease. Nat Rev Neurol. 2021.
2. Joly M, Conte C, Cazanave C, et al. Progressive multifocal leukoencephalopathy: epidemiology and spectrum of predisposing conditions. Brain. 2023.
3. Melis M, Biagi C, Småbrekke L, et al. Drug-Induced Progressive Multifocal Leukoencephalopathy: A Comprehensive Analysis of the WHO Adverse Drug Reaction Database. CNS Drugs. 2015.
4. Pavlovic D, Patel MA, Patera AC, Peterson I; Progressive Multifocal Leukoencephalopathy Consortium. T cell deficiencies as a common risk factor for drug associated progressive multifocal leukoencephalopathy. Immunobiology. 2018.
5. Maas RP, Muller-Hansma AH, Esselink RA, et al. Drugassociated progressive multifocal leukoencephalopathy: a clinical, radiological, and cerebrospinal fluid analysis of 326 cases. J Neurol. 2016.
6. Maschmeyer G, De Greef J, Mellinghoff SC, et al. Infections associated with immunotherapeutic and molecular targeted agents in hematology and oncology. A position paper by the European Conference on Infections in Leukemia (ECIL). Leukemia. 2019.
7. Reinwald M, Silva JT, Mueller NJ, et al. ESCMID Study Group for Infections in Compromised Hosts (ESGICH) Consensus Document on the safety of targeted and biological therapies: an infectious diseases perspective (Intracellular signaling pathways: tyrosine kinase and mTOR inhibitors). Clin Microbiol Infect. 2018.
8. O’Connor-Byrne N, Quinn J, Glavey SV, Lavin M, Brett F, Murphy PT. Venetoclax for chronic lymphocytic leukemia associated immune thrombocytopenia following recovery from progressive multifocal leukoencephalopathy. Leuk Res. 2020.
9. Raisch DW, Rafi JA, Chen C, Bennett CL. Detection of cases of progressive multifocal leukoencephalopathy associated with new biologicals and targeted cancer therapies from the FDA’s adverse event reporting system. Expert Opin Drug Saf. 2016.
10. Bennett CL, Berger JR, Sartor O, et al. Progressive multi-focal leucoencephalopathy among ibrutinibtreated persons with chronic lymphocytic leukaemia. Br J Haematol. 2018.
11. Lutz M, Schulze AB, Rebber E, et al. Progressive Multifocal Leukoencephalopathy after Ibrutinib Therapy for Chronic Lymphocytic Leukemia. Cancer Res Treat. 2017.
12. Focosi D, Tuccori M, Maggi F. Progressive multifocal leukoencephalopathy and anti-CD20 monoclonal antibodies: What do we know after 20 years of rituximab. Rev Med Virol. 2019.
13. Warsch S, Hosein PJ, Maeda LS, Alizadeh AA, Lossos IS. A retrospective study evaluating the efficacy and safety of bendamustine in the treatment of mantle cell lymphoma. Leuk Lymphoma. 2012.
14. D’Alò F, Malafronte R, Piludu F, et al. Progressive multifocal leukoencephalopathy in patients with follicular lymphoma treated with bendamustine plus rituximab followed by rituximab maintenance. Br J Haematol. 2020.
15. Jancar N, Sousa Gonçalves F, Duro J, Lessa Simões M, Aguiar P. Progressive Multifocal Leukoencephalopathy in a Chemotherapy-Naive Patient With Chronic Lymphocytic Leukemia: A Case Report. Cureus. 2022.

Oncosuisse unterstützt die Kampagne «Rauchfreier Monat November»

Gemeinsam mit dem Rauchen aufhören ist erfolgreich! Der Rauchfreie Monat wird im November 2023 erneut durchgeführt. Dieses Angebot unterstützt Rauchende auf vielfältige Weise und ermutigt sie, einen Monat lang ein rauchfreies Leben auszuprobieren und im besten Fall rauchfrei zu bleiben. Raucherinnen und Raucher können sich auf der Webseite www.rauchfreiermonat.ch anmelden.

Persönliche Erfahrungen von zahlreichen Raucherinnen und Rauchern sowie internationale Studien zeigen: Gemeinsam gelingt es deutlich einfacher und besser, mit dem Rauchen aufzuhören. Das kostenlose und einzigartige 40-Tage-Programm ermöglicht den Teilnehmenden, gemeinsam eine Herausforderung anzunehmen und die ersten Schritte in ein rauchfreies Leben zu wagen. Die Teilnehmenden bereiten sich in den ersten 10 Tagen auf den bevorstehenden Rauchstopp vor. Der gemeinsame Start am 1. November ist wichtig, um als Gemeinschaft den Rauchfreien Monat erfolgreich zu meistern.

Der Rauchfreie Monat bietet den Teilnehmenden zahlreiche und einfache Unterstützungsangebote. Das gegenseitige Motivieren und der Austausch von Erfahrungen unter den Teilnehmenden im privaten Online-Raum stehen im Vordergrund. Zudem steht allen angemeldeten Personen ein praktischer Leitfaden zur Verfügung. Dieser enthält tägliche Tipps und Tricks. Weiter erhalten die Teilnehmenden während des ganzen Monats professionelle Unterstützung von Fachpersonen auf den sozialen Medien und über einen privaten Zoom-Austausch. Ebenso profitieren sie von persönlichen und kostenlosen Telefon-Beratungsgesprächen durch die Rauchstopplinie und finden Unterstützung durch die Stop-Smoking-App.
Bei der letztjährigen Durchführung des Rauchfreien Monats im November 2022 haben über 8000 Rauchende die Herausforderung angenommen.

Die Anmeldung für den Rauchfreien Monat 2023 ist über die Webseite www.rauchfreiermonat.ch möglich.

Dr. sc. nat. Michael Röthlisberger

Co-Gesamtprojektleiter NSK
Nationale Strategie gegen Krebs
c/o Oncosuisse
Effingerstrasse 40
Postfach
3001 Bern

michael.roethlisberger@nsk-krebsstrategie.ch

Ausschreibung Preis Innovation Qualité der FMH/SAQM

Oncosuisse fungiert als Partner des Prix Innovation Qualité, mit welchem die Schweizerische Akademie für Qualität in der Medizin der FMH (SAQM) erfolgreiche, praxiserprobte Qualitätsprojekte des Schweizer Gesundheitswesens auszeichnet. Die Innovation Qualité macht das umfassende Qualitätswissen unseres Landes sichtbar, vernetzt Wegbereitende der medizinischen Qualität und verschafft der Fachdiskussion zukunftsweisende Impulse. Die Auszeichnung trägt der Vielfalt der Schweizer Qualitätsarbeit mit drei Preiskategorien Rechnung.

1) Digitale Innovation (dotiert mit CHF 15 000.-) – Um gezielt Innovationen in immer wieder anderen, aktuellen Qualitätsbereichen zu fördern, wählt die SAQM bei jeder Verleihung ein anderes Qualitätsthema als Themenschwerpunkt. Mit dem Themenschwerpunkt 2024 «Digitale Innovation» sollen Qualitätsprojekte ausgezeichnet werden, die mit Hilfe neuer digitaler Technologien zur Verbesserung des Wohls von Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen beitragen.

Qualitätsprojekte in dieser Kategorie müssen von einer Gesundheitsfachperson eingereicht werden.

2) Patientensicherheit (dotiert mit CHF 15 000.-) – In dieser Preiskategorie werden Projekte zur Förderung der Patientensicherheit und zur Prävention vermeidbarer unerwünschter Ereignisse prämiert. Gewählt wird das Gewinnerprojekt von der SAQM gemeinsam mit dem Juryvorsitzenden Prof. Dr. David Schwappach, Leiter des Forschungsschwerpunktes Patientensicherheit am Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern.

3) Sonderpreis der Jury (dotiert mit CHF 10 000.-) – Haben Sie ein Qualitätsprojekt, das weder in die erste Preiskategorie (Themenschwerpunkt «Digitale Innovation») noch in die zweite (Patientensicherheit) passt? Dann bewerben Sie sich für den Sonderpreis der Jury. Überraschen Sie uns!
Der Sonderpreis ist Qualitätsprojekten von Ärztinnen und Ärzten vorbehalten. Das heisst, die Projekte müssen von diesen durchgeführt oder von ihnen in Auftrag gegeben worden sein.

Jetzt Projekt einreichen!

Hat Ihre kluge Qualitätsidee den Praxistest mit Bravour bestanden? Dann bewerben Sie sich damit für die Innovation Qualité! Präsentieren Sie Ihr Projekt einer hochkarätigen Jury und einem interessierten Fachpublikum. Die Anmeldefrist läuft bis 4. Dezember 2023, die Preisverleihung findet am 24. Mai 2024 in Bern statt.

Weitere Informationen finden Sie auf www.innovationqualite.ch

Dr. sc. nat. Michael Röthlisberger

Co-Gesamtprojektleiter NSK
Nationale Strategie gegen Krebs
c/o Oncosuisse
Effingerstrasse 40
Postfach
3001 Bern

michael.roethlisberger@nsk-krebsstrategie.ch

Vergessen, dass man krank ist

Bisherige Studien zu den Erfahrungen von Brustkrebspatientinnen mit körperlicher Aktivität haben den Fokus auf spezifische Interventionen und Behandlungsphasen gelegt. Der nachfolgende Artikel soll dazu motivieren, den Blickwinkel auszuweiten: Das Thema «Bewegung» bewegt die Patientinnen von der Diagnose bis über die Nachsorge hinaus – und das vor allem in ihrer Freizeit.

Projektbeschreibung

Die Bedeutung von körperlicher Aktivität bei Brustkrebspatientinnen ist wissenschaftlich hinreichend belegt (1, 2). Nichtsdestotrotz erleben die meisten von ihnen einen signifikanten Rückgang ihrer körperlichen Aktivitäten während und nach der Krebstherapie (3). Zahlreiche Studien zur Förderung der körperlichen Aktivität von Brustkrebspatientinnen zeigen, dass strukturierte und oftmals aufwendige Bewegungsangebote nach Studienende nicht fortgeführt wurden (4). Im Zuge dessen wurde das Potenzial von niederschwelligen körperlichen Freizeitaktivitäten (z.B. Spaziergänge, Vereinssport) erkannt (5).

In der TANGO-Studie begleiteten wir zwölf Frauen von der Diagnose bis zur Nachsorge (vier bis zwölf Monate). Die Studie bestätigt, dass diese lange Begleitung ein umfassendes Verständnis von derer Erfahrungen ermöglicht (6). Dies veranlasste uns dazu, die reichhaltigen Daten des Projekts für eine Sekundäranalyse zu nutzen. Ziel war es, herauszufinden, welche Bedeutung körperliche Freizeitaktivitäten im Behandlungspfad von Brustkrebspatientinnen haben und welche Erfahrungen die Betroffenen in diesem Zusammenhang machen. Dazu haben wir eine qualitative Inhaltsanalyse der insgesamt 44 Interviews und der zahlreichen tagebuchartigen, digitalen Chatnachrichten der TANGO-Studie durchgeführt.

Ergebnisse

Mehrere Teilnehmerinnen bezeichneten sich als «Bewegungsmenschen», denen körperliche Freizeitaktivitäten enorm wichtig waren. Das Ausloten von Möglichkeiten und Grenzen hinsichtlich der eigenen körperlichen Aktivität beschäftigte alle Frauen über den gesamten Behandlungsweg.

Diagnose

Auf eindrückliche Art und Weise beschrieben die Frauen die tiefgreifende Erschütterung, die der Erhalt der Brustkrebsdiagnose bei ihnen auslöste – eine Erschütterung der Selbstverständlichkeit, dass der eigene Körper unversehrt und gesund ist. Ein Telefonat löste aus, dass man als kerngesunder, aktiver Mensch von der einen auf die andere Sekunde schwer krank war. Einige versuchten, sich mit bisher ausgeübten körperlichen Aktivitäten fit zu halten und sich abzulenken.

Neoadjuvante Behandlung

Die Teilnehmerinnen wurden von Fachpersonen darauf aufmerksam gemacht, dass körperliche Aktivität eine Rolle bei der Krebstherapie spielen kann. Gleichzeitig beschrieben sie jedoch eine ausgeprägte Energie- und Antriebslosigkeit im Alltag – vor allem gegen Ende der Behandlungsphase. Aktivität erforderte Überwindung, steigerte im Nachhinein jedoch das Wohlbefinden. Niederschwellige Freizeitaktivitäten rückten in den Vordergrund, so z.B. Spaziergänge im Wald. Dabei stand auch der Aspekt der Ablenkung im Vordergrund.

«Ich bin nicht fit, aber die Bewegung verhindert, dass du zu sehr spürst, was nicht gut geht. Und ich vergesse, dass ich krank bin.» (TN G, 211102)

Operation

Vor allem in der postoperativen Phase waren die Frauen verunsichert, welche körperlichen Aktivitäten überhaupt erlaubt waren. Meist gab es keine gezielten Hinweise der Fachpersonen. Wegen Schmerzen im Operationsgebiet oder Angst vor einer beeinträchtigten Wundheilung verhielten die Patientinnen sich eher vorsichtig und zurückhaltend. Einige recherchierten selbst im Internet, welche körperlichen Aktivitäten erlaubt waren.

Adjuvante Behandlung

Nach der postoperativen Zurückhaltung überwog in der Bestrahlungsphase häufig der Drang nach körperlicher Aktivität. Dieser wurde jedoch mit Verboten durch Fachpersonen unterbunden, welche die Frauen überraschten und einschränkten (z.B. nicht Schwimmen zu gehen). Bei einigen machten sich Ungeduld und Enttäuschung breit, und Verbote wurden nicht immer eingehalten.

Nachsorge

«Die Zeit danach» (TN Q) war für die Patientinnen damit verbunden, zurückzufinden bzw. sich neu zu finden im Alltag. Körperliche Aktivitäten stellten sich als bedeutsame Komponente der alten und neuen Normalität heraus. Der gesellschaftliche Aspekt von körperlicher Freizeitaktivität kam dabei vermehrt zum Ausdruck. Es wurde eine gezielte Unterstützung für den Wiederaufbau der Gesundheit und der körperlichen Leistungsfähigkeit gewünscht.

«Ich habe immer noch diese Atemnot, die es mir nicht erlaubt, mich körperlich zu sehr anzustrengen. Es gibt also keine Möglichkeit, Sport zu treiben, wie ich es gerne tun würde. Moralisch ist das nicht immer einfach.» (TN E, 221108)

Fazit

Im Rahmen der Sekundäranalyse konnten wir die physische, psychische und soziale Bedeutung von körperlichen Freizeitaktivitäten bei Frauen mit Brustkrebs aufzeigen. Fachpersonen können helfen, diese zu fördern, und bei Einschränkungen Möglichkeiten aufzeigen. Es zeigte sich, dass viele Frauen während und nach der Erkrankung für gewohnte und neue körperliche Freizeitaktivitäten bereit waren.

Daniela Bernhardsgrütter, daniela.bernhardsgruetter@ost.ch
MScN, wissenschaftliche Mitarbeiterin

Prof. Dr. Phil. Antje Koller, antje.koller@ost.chCo-Leiterin Kompetenzzentrum OnkOs
Institut für Angewandte Pflegewissenschaft
OST – Ostschweizer Fachhochschule

1. Browall M, Mijwel S, Rundqvist H, Wengström Y. Physical Activity During and After Adjuvant Treatment for Breast Cancer: An Integrative Review of Women’s Experiences. Integr Cancer Ther. 2018;17:16–30. doi:10.1177/1534735416683807.
2. Lahart IM, Metsios GS, Nevill AM, Carmichael AR. Physical activity for women with breast cancer after adjuvant therapy. Cochrane Database Syst Rev. 2018;1:CD011292. doi:10.1002/14651858.CD011292.pub2.
3. Stalsberg R, Eikemo TA, Lundgren S, Reidunsdatter RJ. Physical activity in long-term breast cancer survivors – A mixed-methods approach. The Breast. 2019;46:126–35. doi:10.1016/j.breast.2019.05.014.
4. Kwasnicka D, Dombrowski SU, White M, Sniehotta F. Theoretical explanations for maintenance of behaviour change: a systematic review of behaviour theories. Health Psychol Rev. 2016;10:277–96. doi:10.1080/17437199.2016.1151372.
5. Shallwani SM, Ranger M-C, Thomas R, Brosseau L, Poitras S, Sikora L, King J. A scoping review of studies exploring leisure-time physical activity in adults diagnosed with advanced cancer. Palliat Support Care. 2021;19:615–30. doi:10.1017/S1478951520001327.
6. OST – Ostschweizer Fachhochschule. TANGO Studie: Vertrauen, interprofessionelle Zusammenarbeit und die Rolle der spezialisierten Pflegefachperson in der gynäkologischen Onkologie. www.ost.ch/tango. Accessed 30 May 2023.