KHM Kongress 2023

Alt und herzinsuffizient – wie findet man die optimale Behandlung?

Die Lebenserwartung in der Schweiz ist hoch. Im Jahre 2018 betrug sie bei Geburt für Männer 81,7 Jahre, für Frauen 85,4 Jahre.

Die Anzahl von Patienten mit Herzinsuffizienz steigt ab 65 Jahren bei beiden Geschlechtern stark an. Sie ist bei Frauen mit einem Mittelwert von fast 3500 über die letzten 5 Jahre höher als bei Männern, mit fast 2500 Fällen pro Jahr, berichteten Frau Dr. med. Renate Albrecht, Zürich und Dr. med. Stefan Christen, Zürich.
Die moderne Herzinfarkttherapie ist eine Erfolgsgeschichte. Das kardiovaskuläre und das pulmonale System verändern sich indessen mit dem Alter. Herzinsuffizienz und Multimorbidität sind häufig und treten in Clustern auf. Bei Patienten, die mit Herzinsuffizienz hospitalisiert werden, haben solche aus dem gesamten EF-Spektrum ein ähnlich schlechtes 5-Jahres-Überleben mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Herzinsuffizienz-Hospitalisierung. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer Verbesserung der Behandlung.

Die klassischen Symptome und klinischen Zeichen im Alter sind Dyspnoe, schnelle Ermüdbarkeit und Ödeme. Unspezifische Symptome sind Schwäche, Müdigkeit, Kachexie, Verwirrtheit und Gebrechlichkeit.

Gemäss den ESC-Guidelines von 2021 sollen vier prognostisch und symptomatisch wirksame Medikamente (ACE-Hemmer, Beta-Blocker, MRA, Dapagliflozin,/Empagliflozin, Loop Diuretika (Klasse Ia)) möglichst früh kombiniert in tiefen Dosierungen eingesetzt werden. Aufdosierung im Verlauf je nach Klinik (Cave: Alter, Gebrechlichkeit), Schleifendiuretika nur zur Volumenkontrolle. Die Polypharmazie stellt ein wichtiges Problem dar. Beim Absetzen berichteten in einer Studie 88% über besseres Allgemeinbefinden und 2/3 über eine Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit (Garfinkel D et al. Isr Med Assoc. 2007:9:430). Das Vorgehen geht nach dem Prinzip «Less is more» als oberstes Credo beim Teaching auf der täglichen Visite: 1. Vollständige Medikamentenliste, 2. Kein Medikament ohne Diagnose, 3. Was ist symptomatisch, was ist prognostisch? 4. Welche Medikamente stellen wir in Frage? 5. Dialog zwischen Patient, Angehörige, Hausarzt. 6. Absetzen. Die Referenten stellen ihre persönliche Favoritenliste vor: PPI, Statine, Allopurinol, Betablocker, Antihypertensiva, Nitrate, Aspirin, insbesondere Kombinationen mit OAK, Amiodarone, Antidementiva, Vitaminpräparate und andere Nahrungsergänzungsmittel, Insulin, NSAR, Benzodiazepin, Stark anticholinergische Substanzen (Anti-Parkinson, Spasmo-Urogenin), Sulfonylharnstoffe.

Niere und Herzinsuffizienz – das Duo infernale

Ein weiteres Thema war der Zusammenhang zwischen Niere und Herzinsuffizienz. Eine Verschlechterung der Nierenfunktion ist häufig, wofür es zahlreiche Gründe gibt: Venöser Nierenstau, arterielle Minderperfusion, Volumenmangel/zu viel Diuretika, zu starke Vasodilatation, Medikamente (+30% Kreatinin unter ACE-Hemmer normal), Infekte, interstitielle Nephritis. Wenn die Verschlechterung nur vorübergehend ist, besteht kein relevanter Einfluss auf die Prognose.

Diagnose des Volumenstatus: Anamnese/Klinik (Zunahme der Anstrengungsdyspnoe, Orthopnoe, Gewichtsverlauf, Blutdruck und Puls in Selbstmessung durch Patienten, klinische Zeichen der Hypovolämie: Oedeme peripher, Halsvenenstauung, Rasselgeräusche und/oder Dämpfung pulmonal (Pleuraergüsse). Technische Untersuchungen: EKG, Labor, insbesondere Kreatinin, Elektrolyte und proBNP, insbesondere Verlauf), Thoraxbild (nur stehend von Nutzen), Bedside-Sonographie der Pleuraergüsse und der Cava inferior.

Behandlung der Hypervolämie (Vorschlag der Guidelines geht nur stationär). Ambulant: Verdoppelung orale Dosis Torasemid, Gewicht, BD/P durch Patient monitorisieren lassen, Kontrolle nach 2-3 Tagen inkl. Kreatinin, Elektrolyte, falls kein Effekt einmal Verdoppelung der oralen Dosis Torasemid oder falls Torasemid 100mg bereits erreicht, zusätzlich Metolazon 2,5mg 20-30 min vor Torasemid p.o., Verlaufskontrolle in 2-3 Tagen, dabei enge Zusammen­arbeit mit Kardiologen in der Praxis oder am Spital suchen.

Hypotonie – wie damit umgehen? To do bei BD <90mmHg und/oder symptomatischer Hypotonie klinisch oder Kreatinin-Anstieg): 1. Überprüfen von allen Medikamenten, 2. Überprüfen des Volumenstatus (klinisch, BNP, Kreatinin, allenfalls Sonographie),

3. Reduktion und/oder bessere Verteilung der Herzinsuffizienzmedikamente, 4. Engmaschisches Monitoring (klinisch, Labor).

Patientenprofile und massgeschneiderte Herzinsuffizienztherapie: «Tailored to patient concept». Der ideale Patient hat eine Herzfrequenz von 60-70/min, eine normale Nierenfunktion und keine Hyperkaliämie, Blutdruck >90/60mmHg, kein Vorhofflimmern und all dies unter der Maximaldosis der Fantastic 4 (SGLT2-Hemmer, Beta-Blocker, ACB/ARB/ARNI, MRA, Diuretika).

End Stage Herzinsuffizienz – Palliation

Bei der Herzinsuffizienz ist die langsame Dynamik, und dass das Endstadium schwierig zu finden ist, besonders. Symptomatische Therapien, Medikamente: Diuretika, Opiate, Benzodiazepine, O2, anti-ischämisches Medikament, aber auch Beta-Blocker, SGLT2-Hemmer, ACE-Hemmer. Spironolacton, ARNI, und viele mehr.

Symptomatische Therapie invasiv: TAVI und Mitra-Clip, Pacemaker, CRT-P (Resynchronisation), Revaskularisation.
Ein spezieller Fokus ist auf folgendes zu legen: Patientenverfügung früh machen lassen, immer wieder IPS ja/nein, Rea-Status, Diskussion über invasive Möglichkeiten (CRT-P, Mitra-Clip, TAVI, Revaskularisation, Symptomkontrolle Fokus Dyspnoe, Angst, Leistungsfähigkeit, Vermeidung von Hospitalisationen, Abschalten ICD/PM? Palliativ-Spitex, Behandlungs-/Notfallplan.)

Die Referenten schlossen mit den folgenden Gegensätzen (in Analogie zum Hauptthema der Tagung)

Diagnose und Behandlung von Eisenmangel bei Patienten mit Herzinsuffizienz: Was der behandelnde Arzt wissen sollte

Am KHM Kongress 2023 sprach Prof. Dr. med. Roger Hullin, CHUV Lausanne, zum Thema Eisenmangel, einer häufigen und relevanten Komorbidität bei Patienten mit Herzinsuffizienz. Die Definitionen des Eisenmangels in der Herzinsuffizienz sind die Folgenden:

Anämie
Mann: <130gHämoglobin/l
Frau: <120g Hämogobin/l
Eisenmangel
Absoluter Eisenmangel Ferritin < µ100g/l
Funktioneller Eisenmagel
Ferritin 100-299µg/l + Transferrinsättigung <20%

Die Prävalenz des Eisenmangels bei Herzinsuffizienz betrage in der Schweiz und Deutschland 54%, so der Referent. Eisenmangel (Ferritin <100): kommt bei 33% der Patienten mit Herzinsuffizienz vor, Eisenmangel (Ferritin 100-300 + Transferrinsättigung <20%) bei 21% und kein Eisenmangel bei 45%.

Der natürliche Verlauf von Eisenmangel und Anämie bei ambulanten chronischen Herzinsuffizienz-Patienten zeigte zu Beginn der Studie bei 10% eine Anämie ohne ID, bei 23% einen Eisenmangel ohne Anämie, 20% hatten beides und 47% hatten keines von beidem. Die Prozentsätze änderten sich im Laufe eines Jahres kaum, aber bei 30% der Patienten trat ein neuer Eisenmange auf, bei 16% eine neue Anämie, während sich der Eisenmangel bei 44% und die Anämie bei 23% auflöste. Im Vergleich zu denjenigen, die eisenreich blieben (Eisen >13 µmol/L), war die Sterblichkeit bei denjenigen mit persistierendem oder neu auftretendem Eisenmangel nach einem Jahr höher [Hazard Ratio (HR) 1,81 (1,23-2,67) bzw. HR 1,40 (0,91-2,14)] in multivariablen Modellen (P = 0,02). Im Vergleich zum persistierenden Eisenmangel war die Auflösung des Eisenmangels mit einer geringeren Mortalität verbunden [HR 0,61 (0,44-0,86); P = 0,004]. Veränderungen des nach FAIR-HF-Kriterien definierten Eisenmangels waren nicht in gleicher Weise mit der Sterblichkeit verbunden. Eine Anämie war mit einem schlechten Ergebnis assoziiert, selbst wenn sie sich auflöste.

Die Behandlung einer Anämie mit Darbepoetin alfa verbesserte die klinischen Ergebnisse bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion nicht, wie die RED-HF-Studie zeigte. Eisenmangel ist ein unabhängiger Prädiktor für Belastungsintoleranz bei Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz. Eisenmangel in Kardiomyozyten beeinträchtigt die mitochondriale Atmung und die Anpassung an eine akute und chronische Zunahme der Arbeitsbelastung. Eine Eisensupplementierung stellt die Energiereserven und die Funktion des Herzens in eisenarmen Herzen wieder her.

Eisenmangel-Behandlung: oral oder intravenös?

In der Herzinsuffizienz ist die Eisenresorption durch ein Ödem der gastrointestinalen Mukosa beeinträchtig. Zudem ist in der Herzinsuffizienz die intestinale Eisenaufnahme durch eine 30-40% Verminderung des Blutflusses in der gastrointestinalen Mukosa beeinträchtigt. Die Eisenresorption kann ebenfalls durch gleichzeitige Einnahme von Medikamenten wie zum Beispiel H2-Blocker oder durch eine diabetische Gastroparese verschlechtert werden. In der Studie IRONOUT (Lewis et al. Circ Heart Fail 2016;9:300 ergab die orale Substitution nach 16 Wochen eine leichte Zunahme des Ferritins von 11ng/ml und der Transferrinsättigung von 3%, während in der FAIR-HF Stuide (Anker et al NEJM 2009;36:2436-4) eine Zunamhe des Ferritins mit intravenöser Substitution von 238ng/ml und eine Zunahme der Transferrinsättigung von +12% registriert wurde.

Welche Behandlung des Eisenmangels und wie? In der EFFECT-HF Studie (van Veldhuisen et al. Circulation 2017;139:1374-1383) ergab sich nach 24 Wochen Behandlung eine Differenz zwischen Behandlung mit Eisencarboxymaltose zur Standard of Care von Ferritin um +188,7ng/ml, der Transferrinsättigung von +4,7% und des Hämoglobins um + 0,74g/l. Klinisch äusserte sich die orale Behandlung in der IRONOUT-Studie in einer nicht signifikanten Zunahme des VO2 Peaks um 0,30 ml/kg/min (p=0.30). Die intravenöse Eisensubstitution ergab in EFFECT-HF eine signifikante Zunahme des VO2-Peaks. Die Studien-Autoren bewerteten die IRONOUT-Studie wie folgt «Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass orale Eisensubstitution bei Herzinsuffizienz-Patienten mit reduzierte Pumpfunktion ohne Wirkung ist». EFFECT-HF: Intravenöse Eisensubstitution mit Eisencarboymaltose verbessert die maximale VO2 um 7.5% (1.o4ml O2/min/kg). Dies kann die Morbidität und Mortalitat verringern, da 6% Zunahme des peak VO2 mit einer 5% verringerten Inzidenz für Gesamtmortalität und Hospitalisierung einhergeht.

Guidelines ESC 2021: Eisenmangel

Es wird empfohlen, dass alle Patienten mit Herzinsuffizienz periodisch auf Anämie und Eisenmangel mit einem vollständigen Blutbild, Serumferritin-Konzentration und Transferrinsättigung gescreent werden (I/C).

Die intravenöse Eisensubstitution mit Eisencarboxymalfose sollte für symptomatische Patienten mit LVEF <45% und Eisenmangel, definiert als Serumferritin <100ng/ml oder Serumferritin 100-299 ng/ml mit Transferrinsättigung <20% in Betracht gezogen werden zur Linderung der Herzinsuffizienz-Symptome, Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und der Lebensqualität (IIa/A).

Bei Patienten mit Eisenmangel und einer linksventrikulären Auswurffraktion von weniger als 50 %, die nach einer akuten Herzinsuffizienz stabilisiert wurden, war die Behandlung mit Eisen(III)-carboxymaltose sicher und verringerte das Risiko von Krankenhausaufenthalten wegen Herzinsuffizienz, ohne erkennbare Auswirkungen auf das Risiko eines kardiovaskulären Todes.

Studien mit intravenöser Behandlung mit Eisencarboxymaltose

Die Resultate der AFFIRM-HF Studie ergab, dass bei Patienten mit Eisenmangel und einer linksventrikulären Auswurffraktion von weniger als 50 %, die nach einer akuten Herzinsuffizienz stabilisiert wurden, die Behandlung mit Eisen(III)-Carboxymaltose sicher war und das Risiko von Krankenhausaufenthalten wegen Herzinsuffizienz verringerte, ohne erkennbare Auswirkungen auf das Risiko eines kardiovaskulären Todes. (Ponikowski et al Lancet 2020; 396: 1895-1904).

Eine weitere Studie, die den Nutzen einer Eisensubstitution bei Herzisuffizienz zeigte, ist die IRONMAN-Studie mit intravenöser Gabe von Eisenderisomaltose. Diese Studie zeigte, dass bei einem breiten Spektrum von Patienten mit Herzinsuffizienz, verminderter linksventrikulärer Ejektionsfraktion und Eisenmangel die intravenöse Verbareichung von Eisen(III)-Derisomaltose mit einem geringeren Risiko von Krankenhauseinweisungen wegen Herzinsuffizienz und kardiovaskulärem Tod verbunden, was den Nutzen der Eisenergänzung in dieser Bevölkerungsgruppe weiter untermauert.

In einer diesjährigen Metaanalyse von zwölf randomisierten und kontrollierte Studien wurden 2381 Patienten einbezogen (Sindone et al ESC Geart Failure 2023;10:44-56). Die Mehrheit (90,8 %) der Patienten, die eine IV-Eisenkohlenhydrattherapie erhielten, bekamen Eisencarboxymaltose (FCM) verabreicht; 7,5 % erhielten Eisensaccharose und 1,6 % Eisenisomaltosid. Eine IV-Eisenkohlenhydrattherapie reduzierte signifikant die Hospitalisierung wegen einer Verschlechterung der HF [0,53 (0,42-0,65); P < 0,0001] und die erste Hospitalisierung wegen einer Verschlechterung der HF oder Tod [0,75 (0,59-0,95); P = 0,016], ie Therapie hatte aber keinen signifikanten Einfluss auf die Gesamtmortalität im Vergleich zur Kontrollgruppe. Eine intravenöse Eisen-Kohlenhydrat-Therapie verbesserte die funktionelle und körperliche Leistungsfähigkeit im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant. Es gab keinen signifikanten Unterschied zwischen den Ergebnissen der IV-Eisenkohlenhydratformulierungen, wenn ähnliche Endpunkte gemessen wurden. Es wurde kein signifikanter Unterschied bei den unerwünschten Ereignissen zwischen den Behandlungsgruppen festgestellt. Die IV-Eisenkohlenhydrat-Therapie führte zu Verbesserungen bei einer Reihe klinischer Ergebnisse und zu einer Steigerung der funktionellen und körperlichen Leistungsfähigkeit, während sich die unerwünschten Ereignisse zwischen den IV-Eisenkohlenhydrat- und Placebo-/Standardbehandlungsgruppen nicht signifikant unterschieden.

Abschliessend zeigte der Referent einen Behandlungsalgorithmus für Eisenmangel (Gstrein C et al. Swiss Med Wkly 2017;147:w14453), sowie die Anzahl der intravenöser Eisensubstitutionen, die erforderlich sind bei 711 Patienten aus der gleichen Studie , nämlich 168 (23.6%) eine Substitution, 50 (7.0%) zwei Substitutionen und 15 (2,%) drei oder mehr Substitutionen.

Fazit

Patienten mit Herzinsuffizienz sollen regelmässig auf einen Eisenmangel und eine Anämie gescreent werden.

Die frühzeitige Korrektur eines Eisenmangels durch intravenöse Substitution kann Krankenhauseinweisungen wegen Verschlechterung der Herzinsuffizienz vorbeuge.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Update zur Behandlung von Angst und affektiven Störungen

Das 14th Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD) stand im Zeichen der personalisierten Therapie und vermittelte den Teilnehmer/innen verschiedene Behandlungsempfehlungen.

Besonders bei psychischen Erkrankungen sollte die individuelle Therapie im Vordergrund stehen. Dass dies über verschiedene Ansätze möglich ist, wurde durch Vorträge zu Epigenetik, Gender Medicine und personalisierte Medizin beleuchtet. Aktuelle Behandlungsempfehlungen wurden vorgestellt und in den Kontext der individualisierten Therapie gestellt. Dabei wurde auch die Frage nach der klinischen Umsetzbarkeit von personalisierter Behandlung diskutiert.

(Epi)genetik: Prädiktion, Prävention und personalisierte Therapie von Angst und affektiven Erkrankungen

In den letzten 12 Monaten waren allein in der EU über 65 Mio. Menschen von Angsterkrankungen, affektiven Störungen und Zwangserkrankungen betroffen, so Prof. Dr. Dr. med. Katharina Domschke (Freiburg), in ihrem Vortrag zur Epigenetik in der Psychiatrie und Psychotherapie. Bei einer Therapieresistenz von bis zu 30% wird deutlich, dass eine dringende Notwendigkeit zur Optimierung der verfügbaren Behandlungsoptionen besteht. Damit spannte Prof. Domschke den Bogen zur «Precision Psychiatry»: Wie bereits bei somatischen Erkrankungen etabliert, können verlässliche Biomarker auch in der Psychotherapie Anwendung finden, um zB. die Responsivität einzelner Patienten zu gewissen Therapieansätzen zu beurteilen. So könnte DNA-Methylierung einen Prädiktor für das (Nicht-) Ansprechen der Patient/innen auf eine Therapie darstellen und damit in Zukunft individuell personalisierte und somit wirkungsvollere Therapieansätze ermöglichen.

Leitliniengerechte Therapie bipolarer Störungen: Bewährte und neue Behandlungsoptionen

Die Behandlung der biopolaren Störung ist komplex, wie Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. Dipl.Biol. Michael Bauer (Dresden) in seinem Vortrag betonte. Die 2020 aktualisierte evidenz- und konsensusbasierte deutsche S3-Leitlinie empfiehlt Lithium als einzige Substanz mit höchster Evidenz, während andere Substanzen weniger Evidenz und/oder erhebliche Einschränkungen in der Zulassung aufweisen. Unabhängig von dem rezidiv prophylaktischen Effekt senke Lithium auch das Suizidrisiko erheblich, so Prof. Bauer. Lithium gilt daher als Goldstandard für Patient/innen mit bipolarer Störung, bei einem optimalen Lithiumspiegel von 0,6-0,8 mmol/L in der Langzeitbehandlung. Potenzielle Alternativen wären Lamotrigin, welches nicht antimanisch wirkt und nicht als Monotherapie empfohlen ist, und Valproat, dass bei jungen Frauen kontraindiziert ist und vom Referenten nur noch gegen Manie eingesetzt wird. Für Fälle, in denen die Lithium-Monotherapie nicht ausreichend wirkt, beschreibt Prof. Bauer die Kombination von Lithium mit Schilddrüsenhormonen als sinnvoll.

Aktualisierte Behandlungsempfehlungen zu Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen

Während eine Zwangsstörung von wiederkehrenden Zwangsgedanken und/oder -handlungen geprägt ist, entsteht eine PTBS als Folge eines Ereignisses, welches tiefgreifenden Stress verursacht, erklärte Prof. Dr. med. Annette Brühl (Basel) an ihrem Vortrag. Die Psychotherapie gilt klar als primäre Therapieempfehlung bei Zwangsstörungen. Als Therapeut/in sollte man Patient/innen dazu mit ihren Zwängen konfrontieren. Eine pharmakologische Behandlung sei eigentlich nur indiziert, wenn eine Psychotherapie abgelehnt wird oder nicht möglich ist, betonte Prof. Brühl. Wird eine pharmakologische Therapie gestartet, gelten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) als erste Wahl.

Bei der Behandlung der PTBS wies Prof. Brühl vor allem darauf hin, dass das Erfassen der Krankheit mit soliden und etablierten Methoden und Fragebögen vonstattengehen solle. Auch bei der PTBS sollte die erste Therapiewahl die Psychotherapie sein, mit einem Schwerpunkt auf der Verarbeitung des Geschehens. Psychopharmaka sind in der ersten Linie nicht empfohlen; wenn sie dennoch eingesetzt werden, sollten eher SSRIs gewählt werden anstelle von Benzodiazepinen. Weiter gilt: Nicht jede Person, welche einem Trauma ausgesetzt war, entwickelt überhaupt eine PTBS. Die Leitlinien raten daher stark von einem Debriefing ab, da solch eine erneute Konfrontation bei manchen Patient/innen eher eine Verschlechterung auslösen könnte.

Gender Medicine: Einfluss des Geschlechts auf Prävalenz und Therapie von affektiven Störungen

Bei fast jeder Erkrankung gibt es geschlechterspezifische Unterschiede. Viele psychische Erkrankungen, aber auch solche des Autoimmunsystems, haben eine höhere Prävalenz bei Frauen. Die WHO bestätigt, dass Frauen ein doppelt so hohes Risiko als Männer haben, in ihrem Leben an einer Depression oder einer Angststörung zu erkranken, so Dr. med. Antonella Santuccione Chadha (Zürich).

Die Gründe dafür sind vielfältig. Es gibt zum einen biologische Ursachen (Genetik, Sexualhormone) aber auch soziale Faktoren, die im Englischen mit dem Begriff “gender” im Gegensatz zum biologischen “sex” zusammengefasst werden. Insgesamt werden Frauen und andere vernachlässigte Gruppen wie Schwarze oder Latinos auch heute noch in manchen klinischen Studien nicht stratifiziert oder sind ganz ausgeschlossen. Und das ist nicht nur fatal für diese Gruppen, die schlechter diagnostiziert und behandelt werden, sondern zunehmend auch für Pharma-Firmen: Der Grund für das Zurückziehen eines bereits zugelassenen Medikaments ist in acht von zehn Fällen ein schädlicher Effekt auf Frauen, so Dr. Santuccione. So sind in Bezug auf Frauen viele medizinische Entdeckungen demnach auch heute noch dem Zufall überlassen. Dies möchte das “Women’s Brain Project” ändern: Es setzt sich für die Etablierung eines Instituts für “Sex and Gender Precision Medicine” in der Schweiz ein – es wäre das erste seiner Art. Doch dafür braucht es noch viel Unterstützung von freiwilligen Helfer/innen, aus der Politik und von Pharma-Unternehmen.

Personalisierte Medizin und psychische Gesundheit: Aktuelle Entwicklungen einer komplizierten Beziehung

Genetisch sind alle Menschen fast identisch; sie unterscheiden sich nur in wenigen genetischen Polymorphismen, sogenannte SNPs. Diese bieten einen Ansatz, die Häufigkeit von psychischen Erkrankungen wie Depression in Abhängigkeit von den genetischen Variationen zu untersuchen. Bei ihrer systematischen Analyse entsteht ein sogenannter Manhattan-Plot, der die statistische Signifikanz des Krankheitsrisikos für jeden SNP angibt. So wird ein individueller Wert für das genetische Risiko einer Person etwa für Depression berechnet: der polygenic score. Dieser basiert darauf, dass genetische Risikovarianten häufiger bei Patient/innen auftreten und protektive Varianten häufiger bei Kontrollgruppen. Mit der Effektstärke kann man die Variationen gewichten und so einen individuellen Wert für jedes Genom berechnen. Für Depression und Schizophrenie erhält man so statistisch signifikante Werte, die aber klinisch völlig irrelevant sind.

Genetik ist auch ein Geschäftsmodell. Sie kann Innovation vorantreiben, es ist aber immer wichtig, genau zu schauen, wie die Datenlage bei bestimmten Angeboten ist, meint Prof. Dr. med. Andreas Papassotiropoulos (Basel) in seinem Vortrag. So könnten genetische Analysen dabei helfen, die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Medikamenten besser zu verstehen. Die FDA hat eine Liste von Medikamenten veröffentlicht, bei denen es wissenschaftliche Evidenz gibt, dass SNPs einen Einfluss auf deren Pharmakokinetik haben. Die klinische Relevanz dieser Erkenntnisse ist aber nicht immer erwiesen.

Crashkurs: Suizidalität in der Praxis — Update 2023

Die Schweiz befindet sich bezüglich Suizidraten im europäischen Mittelfeld, so Prof. Dr. med. Martin Hatzinger (Solothurn) in seiner Präsentation. Um sich der Frage zu nähern, warum Menschen suizidal werden, stellte Prof. Hatzinger mehrere Erklärungsmodelle vor, wobei er neben den soziokulturellen und psychiologischen Faktoren auch auf das medizinische Modell einging. Dieses erkennt psychiatrische Erkrankungen als Hauptursache an – und tatsächlich leiden 90% der Patient/innen während des Suizids an einer psychiatrischen Erkrankung. Er betonte die Wichtigkeit davon, bei der Beurteilung der Suizidalität die Risikogruppen und sogenannte «Red Flags» rechtzeitig zu erkennen. Das können unter anderem schwere Depressionen sein, eine familiäre Belastung, oder auch Ankündigungen eines Suizids. Als therapierender Arzt sei es wichtig, Suizidgedanken zu thematisieren, und mit dem Patienten gemeinsam zu überlegen, wie weiter vorzugehen ist.

Wichtige Massnahmen bei Suizidalität sind zunächst das Abwägen, ob eine ambulante Therapie weiter möglich ist, ob Sicherungsmassnahmen wie zum Beispiel das Beseitigen von gefährlichen Gegenständen erfolgen sollen, oder ob eine Klinikeinweisung notwendig ist. Insbesondere sollte eine adäquate Behandlung der Grunderkrankung erfolgen. Auch Sekundärprävention zur zukünftigen Reduktion des Suizidrisikos sollte angestrebt werden, zum Beispiel mit psychotherapeutischen Programmen wie dem ASSIP (Attempted Suicide Short Intervention Program).

Zu guter Letzt erinnerte Prof. Hatzinger auch noch daran, die Angehörigen nicht zu vergessen: Bei einem Suizid sind mindestens rund 6 Angehörige betroffen, welche mit bedeutenden sozialen Auswirkungen zu kämpfen haben. Er appelliert auch an die Ärzte, welche mit suizidalen Menschen zu tun haben, dass es vermessen wäre zu denken, man könne einen Suizid immer hundertprozentig verhindern. Diese Einsicht möchte er seinen Kollegen zur Entlastung mitgeben. (Weitere Informationen sind zu finden auf www.sgad.ch)

red.

Alfred Escher: Unermüdlich bis zum Tod

Die Geschichte Alfred Eschers ist die Geschichte von Triumphen und Pleiten, von Skandalen und Krankheiten. Escher machte Zürich zum wichtigsten Finanzplatz der Schweiz, zum Verkehrsknotenpunkt, zur Bildungsmetropole und zur reichsten und liberalsten Stadt des Landes. Trotz zahlreicher Krankheiten arbeitete Escher mit eisernem Willen bis kurz vor seinem Tod.

Alfred Escher auf einer Radierung um 1860. Bild: Alfred Escher-Stiftung, Zürich

Patient: Alfred Escher
Geboren: 20. Februar 1819, Zürich
Gestorben: 6. Dezember 1882, Zürich

Der Zürcher Alfred Escher war die herausragende wirtschaftspolitische Persönlichkeit in der Schweiz des 19. Jahrhunderts. Eschers Aufstieg in der kantonalen und eidgenössischen Politik war geradezu kometenhaft: Mit 26 Jahren war er zürcherischer Grossrat und Tagsatzungsgesandter, mit 29 Zürcher Regierungsrat, erstmals Präsident des Zürcher Grossen Rates und eines der jüngsten Mitglieder des 1848 gewählten ersten Nationalrates, mit 30 erstmals Regierungsrats- und Nationalratspräsident. Über die ganze Zeit seiner politischen Tätigkeit sass Escher in rund 200 eidgenössischen und zürcherischen Kommissionen, von denen er einen grossen Teil präsidierte. Eschers «Erfolgsjahrzehnt» dauerte von 1848/49 bis in die frühen 1860-er Jahre. In diesem Zeitraum realisierte Escher seine grossen wirtschafts- und kulturpolitischen Gründungen: die Nordostbahn (1852/53), das Eidgenössische Polytechnikum (1854/55, heute ETH Zürich), die Schweizerische Kreditanstalt (1856, heute Credit Suisse), die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt (1857, heute Swiss Life). 1871 übernahm Escher trotz bereits stark angegriffener Gesundheit das Direktionspräsidium der Gotthardbahn und leitete operativ das damals grösste Bauprojekt der Welt.

Der Jahrhundertunternehmer und -politiker Alfred Escher wurde zeitlebens von zahlreichen Krankheiten heimgesucht, denen er bis zum Tod mit eisernem Willen die Stirn bot. Als Kind litt er oft an Husten, Fieber und Heiserkeit. 1838/39 erkrankte er als 19-Jähriger an Röteln. In einem Brief schrieb er seinem Schuldkameraden Jakob Escher: «Der Arzt schickte mich… sogleich zu Bette, setzte mir 10 Blut­igel an den Kopf und nun zeigte sich ein Ausschlag, der nach sieben Tagen den höchsten Grad erreichte… Entsetzliches Schwitzen folgte jetzt, das mehrmals 12 Stunden lang in einem Tage mich quälte und Drücken und Reissen auf der Brust… 9 Tage lang ass ich – so zu sagen – nichts.»

Ende 1838 war Alfred Escher zusammen mit Jakob Escher und anderen Studenten aus der Schweiz für ein Auslandssemester in Berlin. Kaum hatte das Wintersemester begonnen, erkrankte er. Sein Zustand war so bedenklich, dass er sein Zimmer von Dezember 1838 bis Ende März 1839 nicht verlassen konnte. Bereits damals zeigte Escher die Symptome, die 1882 als Todesursache bezeichnet wurden: Diabetes und als Folge davon Furunkel sowie potenziell tödliche Karbunkel.

Arbeitsüberlastung und Raubbau am eigenen Körper

Noch im Februar 1855 erklärte Bundespräsident Jonas Furrer, dass sein Freund Alfred Escher «seit langen Jahren keine ernsthafte od. hartnäckige Krankheit zu bestehen» hatte. Bald erkrankte Escher aber ein zweites Mal so schwer, dass die Ärzte erneut das Schlimmste befürchteten.
Escher hatte sich viele Verpflichtungen, Ämter und Grossprojekte aufgebürdet, so dass er überarbeitet, gesundheitlich angeschlagen, nervlich gereizt war und auf Rat seines Arztes das Belvoir nicht mehr verlassen durfte. Nach kurzer Besserung im Frühling 1855 erlitt Escher einen Rückfall und wurde von Gicht und starken Ohrenschmerzen geplagt.

Wiederum rieten ihm Freunde, sich zu schonen und kürzer zu treten. Escher beherzigte die Worte und blieb für einmal der Session in Bern fern. Der Zürcher Regierungsrat bewilligte ihm Urlaub: «Herrn Regierungspräsident Dr. Escher wird der nachgesuchte Urlaub zur Wiederherstellung seiner angegriffenen Gesundheit erteilt.»

Escher fiel es schwer, die Erholungszeit in Baden einzuhalten. Er fühlte sich als «Faulenzer» und «Invalider». Statt zu kuren, verlegte Escher das regierungsrätliche Zentrum nach Baden und reiste zwischendurch nach Zürich, um in seinen Büros oder zu Hause im Belvoir seinen Geschäften nachzugehen.

Kaum ging es ihm im Spätsommer 1855 besser, erlitt er im September erneut einen Rückfall. Er erkrankte laut seinen Ärzten an einem «lebensgefährlichen Nervenfieber». Ein zweites Mal sprang Escher über seinen Schatten und gab den Rücktritt aus dem Zürcher Regierungsrat bekannt.

Eschers Schulkamerad vom Zürcher Obergymnasium Friedrich von Wyss schrieb: «Er war durch starken Blutandrang nach dem Kopf & Geschwüre, die sich bildeten, sehr krank geworden, und da er ganz in unserer Nähe wohnte, waren wir sehr häufig bei ihm, wachten auch, als dies einmal nöthig wurde, des Nachts bei ihm. Den ganzen Winter musste er im Zimmer zubringen und konnte keine Collegien besuchen.»

Auch die Öffentlichkeit beschäftigte Eschers Gesundheitszustand. Der Dichter und Politiker Gottfried Keller schrieb im Oktober 1855 seiner Mutter: Er habe Mitleid mit Escher, «da es traurig ist in solcher Stellung, in solcher Jugend und bei solchem Reichthum abziehen zu müssen».
Aller Unkenrufe zum Trotz besserte sich Eschers Gesundheitszustand wieder. Bereits ein halbes Jahr später lud er sich mit der Gründung und Führung der «Schweizerischen Kreditanstalt» erneut eine zusätzliche schwere Bürde auf.

1860 erkrankte Escher an einem «gastrischen Fieberzustand» erneut. Am 10. Januar 1861 schrieb Escher dem Grossen Stadtrat von Zürich, «dass er durch ärztlichen Rath zur schleunigen Erleichterung der auf ihm beruhenden Geschäftslast behufs Wiederherstellung seiner ernstlich gestörten Gesundheit» die Entlassung aus seinen Ämtern beantragen müsse.

Eschers Gesundheit blieb angegriffen. Er litt wiederum an «nervöse Magenschmerzen». Zudem machten dem Direktionspräsidenten der Gotthardbahn-Gesellschaft ein «Fussübel» zu schaffen. In einem Brief an Bundesrat Emil Welti schrieb er: Der Arzt habe, «um meinem Fussübel ein rasches Ende zu bereiten, die Hälfte des Nagels der kranken Zehe samt Wurzel herausgeschnitten».

Aufgrund der finanziellen und technischen Probleme beim Bau der Gotthardbahn, die 1874/75 gehäuft auftraten, arbeitete Escher vielfach auch in der Nacht. Seine Augen litten mehr und mehr, eine Starerblindung wurde befürchtet und eine Operation unumgänglich.

Die letzten Jahre und der Todeskampf

Zur Krise bei der Gotthardbahn kam nach Mitte der 1870er Jahre gleichzeitig die Krise bei der Nordostbahn. Escher arbeitete, bis er jeweils der Müdigkeit erlag und nahm die Arbeit schon nach kurzem Schlaf wieder auf. Zu den riesigen Herausforderungen kamen auch viele ungerechte und böswillige Angriffe auf Eschers Person. Auf der politischen Bühne und in den Medien wurde er verunglimpft und karikiert. Von 1878 an bis zu seinem Tod litt er immer intensiver an verschiedenen Symptomen und Krankheiten: Unwohlsein, Asthma, Fieber, Nervenüberreizung, Augenleiden, Beschwerden an den Kniegelenken, Diabetes, Furunkel und schliesslich Karbunkel. Im Mai 1882 war Escher nicht in der Lage, der bundesrätlichen Einladung zur Feier der Eröffnung «seiner» Gotthardbahn nachzukommen.

Am Donnerstag, 30. November 1882 begannen die Lippen des Kranken anzuschwellen. Trotzdem empfing er im Belvoir noch Besucher. Am Samstag verschlechterte sich sein Zustand. Stark angeschwollene Oberlippe, in der Nacht zum Sonntag hohes Fieber. Sein ganzer Rücken war eine einzige Wunde voller Eiterbeulen. Sein Zustand wurde von den Ärzten als hoffnungslos bezeichnet und man sah von einer Operation ab. Am Montagmorgen stieg das Fieber weiter. Escher erkannte im Fieberdelirium seine einzige Tochter Lydia nicht mehr und verlor zeitweise das Bewusstsein. Noch dauerte der Todeskampf zwei Tage. Escher starb am Mittwoch, 6. Dezember 1882 gegen 6 Uhr früh.

Jörg Weber

Quellen: Alfred Escher Stiftung, Zürich
Jung, Joseph: Alfred Escher 1819 – 1882 – Aufstieg, Macht, Tragik, NZZ Libro

Nach Monaten, während denen seine Eltern und Bekannten um sein Leben gezittert hatten, konnte Escher seine «vier grauen Wände», seine Studentenbude, endlich verlassen, die ihm nach seinen Worten «fast zum Kerker» geworden waren und in die Schweiz zurückfahren. In der Heimat, bei Vater und Mutter, am Familiensitz Belvoir am Zürichsee, erholte sich Escher in kurzer Zeit.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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Endokrinologie im Wandel der Zeit

Die Endokrinologie als Spiegel der Zeit. In diesem Fachgebiet zeigt sich der Fortschritt, welcher in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gemacht wurde. Die Veränderungen habe ich von klein auf mitbekommen. Denn mein Vater war (und ist) Endokrinologe und ich wende als Hausarzt die Endokrinologie an.

Bereits als Kind erfuhr ich vom Diabetes, und zwar durch ein überdimensioniertes Bild, das in einem Ferienlager 1966 aufgestellt wurde. Darauf sah man meinen Vater und die Kinder, wie sie vor einem Zelt Schweineinsulin mit einer Metallspritze mit Glaskanülen aufzogen. Die Spritzennadel wurde nach der Injektion des Insulins über dem Spiritusbrenner sterilisiert. Verwendet wurde sie wohl, bis sie zerbrach. Die Nadeln konnten nachgeschliffen werden – wie damals die Scheren beim Scherenschleifer. Kapilläre Glucosebestimmung gab es nicht. Man sammelte den Urin und versetzte ihn mit einer Benedict-Lösung. Der Urin verfärbte sich blau (kein Zucker), rot (viel Zucker) oder gelb (mässig Zucker). Aufgrund dieses Tests wurde die Insulinmenge bestimmt.

Professor Constam, Endokrinologe am Universitätsspital Zürich, kam damals mit seinem Gefolge von Unterassistenten, Assistenten und Oberärzten im Lager vorbei. Er wollte zeigen, wie man richtig behandelt. Doch aufgrund des vielen Sports waren die Kinder gut eingestellt, die Urine blieben blau, der Professor war enttäuscht, dass er sein Können nicht demonstrieren konnte.

Diese Geschichten schweben mir vor Augen, wenn ich heute einem Patienten einen Natrium-Glukose-Co-Transporter-2-Hemmer abgebe. Oder wenn er wöchentlich ein Glucagon-like Peptid-1 (GLP-1)-Analogon spritzt. Und jedes Mal, wenn wir den prozentual glykolysierten Anteil des Hämoglobin A des Proteins 1c bestimmen. Oder wenn gewisse Patienten auf Ihrem Handy die per Biosensor ausgelesenen BZ-Werte mitteilen – was bald schon via Apple Watch möglich sein wird.

Es ist eine andere Welt. Auch eine teurere. Vielleicht auch eine verspieltere. Nur der Sport, der bleibt etwas auf der Strecke – den kann man weder spritzen noch schlucken, den muss man nach wie vor selber betreiben.

 

Dr. med. Dr. sc. nat. Andreas Bäbler

Dr. med. Dr. sc. nat. Andreas Bäbler

Herrliberg

Neuste Erkenntnisse zum Vorhofsohrverschluss

In den letzten Jahren hat sich das Gebiet des Verschlusses des linken Vorhofohrs (LAAC) rasch entwickelt. Es wurden neue klinische Indikationen evaluiert, neue Devices zugelassen, die unterstützenden Bildgebungstechnologien haben sich weiterentwickelt und die Resultate mehrerer wichtiger Studien wurden publiziert. Dies führte insgesamt zu einer deutlichen Verbesserung der klinischen Resultate im Vergleich zu den ersten Zulassungsstudien, die vor mehr als 10 Jahren durchgeführt wurden. Allerdings gibt es nach wie vor Evidenzlücken, insbesondere in Bezug auf die antithrombotische Therapie nach LAAC, bei Thromben auf dem Device oder bei peridevice Lecks. Ziel dieser Übersicht ist es daher, die neuesten Erkenntnisse und die verbleibenden Herausforderungen im Zusammenhang mit der perkutanen LAAC zu beleuchten.

Over the past few years, the field of left atrial appendage closure (LAAC) has rapidly expanded. New clinical indications have been reported, clinical practice have matured over time, new devices have been approved, imaging technologies have evolved and results from several important studies have been published. The expansion of knowledge about the field of LAAC led to a significant improvement of clinical outcomes as compared to the first pivotal studies conducted more than 10 years ago. However, still evidence gap remain, especially related to the management of post-LAAC antithrombotic therapy, in particular in case of device related thrombus or peridevice leak. Thus, this review aims at evaluating the latest evidence and the remaining challenges related to percutaneous LAAC.
Key Words: left atrial appendage closure, evidence, clinical indication, imaging

Evidenzbasierter Einsatz des LAAC

Der perkutane Vorhofohrverschluss (LAAC) hat sich in der klinischen Praxis als mögliche Alternative zur oralen Antikoagulation (OAK) zur Schlaganfallprävention bei Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern (AF) etabliert. In den letzten 2 Jahrzehnten hat sich viel bewegt: Die Zahl der LAAC-Eingriffe ist exponentiell gestiegen (1), neue Devices wurden zugelassen oder befinden sich in der klinischen Entwicklung (2), Bildgebungstechnologien haben sich weiterentwickelt (3-5), das technische Fachwissen und der Implantationsprozess haben sich gefestigt (1) und es wurden Resultate von mehreren wichtigen Studien publiziert (2, 6-9). Das Konzept einer verbesserten Thromboembolieprophylaxe durch einen vollständigen Verschluss des linken Vorhofs wurde in der multizentrischen, randomisierten LAAOS III Studie eindrücklich demonstriert. Bei fast 5’000 Patienten mit Vorhofflimmern, die sich aufgrund einer anderen Indikation einer Herzoperation unterzogen, hat sich gezeigt, dass die chirurgische Ligatur des linken Vorhofsohrs das Risiko eines Schlaganfalls oder einer systemischen Embolie wesentlich reduziert (Hazard Ration [HR]: 0.67; 95% Confidence Interval [CI]: 0.53-0.85; p=0.001) während einem durchschnittlichen Follow-up von 3,8 Jahren (9). Interessanterweise wurde in beiden Studiengruppen die OAK fortgesetzt, was auf eine synergistische Wirkung von OAK und LAAC hindeutet.

PRAGUE-17 war die dritte randomisierte, kontrollierte Studie nach zwei amerikanischen Studien, die vor mehr als 10 Jahren durchgeführt wurden und alle einen LAAC mit OAK verglichen (8). In der Prague-17 Studie wurden 402 Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern (CHA2DS2-VASc ≥3) randomisiert und bis zu 3,5 Jahre lang mit LAAC im Vergleich zu OAK (95 % Apixaban) behandelt. Der primäre Studienendpunkt war eine Kombination aus kardio-embolischen Ereignissen, kardiovaskulärem Tod, klinisch relevanter Blutung oder peri-prozeduralen Komplikationen. Der LAAC war der OAK nicht unterlegen (HR: 0.81; 95 % CI: 0.56-1.18; p= 0.27; p for non-inferiority = 0.006)(8). Aufgrund des kombinierten primären Endpunkts und der kleinen Patientenzahl ist die Studie allerdings nicht abschliessend konklusiv. Wir müssen daher noch die primären Ergebnisse von weiteren, gross angelegten, randomisierten Studien abwarten (Champion-AF [ClinicalTrials.gov-NCT04394546] und Catalyst [ClinicalTrials.gov-NCT04226547]), um abschliessend beurteilen zu können, ob der LAAC der NOAK Therapie ebenbürtig ist.

LAAC Indikation

Die aktuellen Leitlinien der Europäischen (10) und der Amerikanischen (11) Gesellschaft für Kardiologie ziehen den LAAC in Betracht, falls eine langfristige OAK nicht in Frage kommt (Indikationslevel IIb, Evidenzgrad: B). Patienten mit schweren Blutungen in der Vorgeschichte oder hohem Blutungsrisiko gehören zu dieser Gruppe (Tab. 1) (12). Darüber hinaus kann ein LAAC auch in anderen klinischen Szenarien in Betracht gezogen werden, die mit einem «Versagen» der OAK-Strategie einhergehen, wie z. B. einer OAK-Unverträglichkeit/Allergie, einer fehlenden Compliance, einem embolischen Schlaganfall trotz OAK («breakthrough stroke») oder einem Thrombus im linken Vorhofohr trotz OAK. Eine Substudie des Amplatzer Cardiac Plug Registry mit 115 Patienten, die aufgrund eines Schlaganfalls unter OAK mit LAAC behandelt wurden, ergab nach einer mittleren klinischen Nachbeobachtungszeit von 16,2 Monaten eine jährliche Schlaganfall-/Transitorische Ischämische Attacke Inzidenz von 2,6 %, was einer 65 % Risiko­reduktion im Vergleich zu dem durch den CHA2DS2VASC-Score vorhergesagten Risiko entspricht (13).

Ein interventioneller Verschluss des linken Vorhofohrs ist auch bei Vorliegen eines Thrombus im linken Vorhofohr möglich. Dies wurde in einer kürzlich von uns mitorganisierten, multizentrischen, retrospektiven Studie bei 53 Patienten mit LAAC und Thrombus im linken Vorhofohr gezeigt (14). Mögliche Szenarien für dieses Vorgehen sind Patienten mit LAA Thrombus und Schlaganfall trotz OAK oder Patienten, die wegen Tachykardiomyopathie dringlich elektrokonvertiert werden sollten. Technisch war der Eingriff bei allen Patienten erfolgreich, und nur in einem Fall wurde innerhalb von 30 Tagen nach dem LAAC ein ischämischer Schlaganfall beobachtet, der allerdings nicht peri-prozedural auftrat (14). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der perkutane LAAC für Hochrisikopatienten mit Vorhofflimmern eine geeignete therapeutische Alternative darstellt.

Allerdings sollten die Patienten eine angemessene Lebenserwartung (mindestens >2-3 Jahre) und Lebensqualität haben, um von einem LAAC zu profitieren (1).

In den letzten Jahren haben mehrere Studien den klinischen Nutzen des Einsatzes bildgebender Verfahren zur Planung und/oder Steuerung der LAAC gezeigt. In einer grossen Studie am Inselspital zeigte sich bei insgesamt 811 Eingriffen, dass die Verwendung der intraprozeduralen Echokardiographie zur Steuerung des Eingriffs zusätzlich zum Angiographie-gesteuerten Vorgehen mit einem geringeren Risiko für Eingriffskomplikationen verbunden war als ein rein Angiographie-gesteuertes Vorgehen ([OR]: 0.31; 95% CI: 0.11-0.90; p = 0.030) (4). Auch konnten wir in einer kürzlich durchgeführten Subanalyse der SWISS-APERO RCT Studie zeigen, dass die Verfügbarkeit einer prä-interventionellen CT vor dem Eingriff mit einer höheren Rate an kurzfristigem Behandlungserfolg verbunden war (adjOR: 2.76; 95% CI: 1.05-7.29; p=0.040) und auch den langfristigen Erfolg erhöhte (adjOR:2.12; 95%CI: 1.03-4.35; p=0.041)(3).

LAAC Devices

Die beiden weltweit am häufigsten verwendeten Devices für den perkutanen LAAC sind Watchman Flx (Boston Scientific) und Amulet (Abbott). Die kürzlich durchgeführte Amulet-IDE-Studie, eine multizentrische, randomisierte Studie zum Vergleich von Watchman 2.5 und Amulet bei 1.878 Patienten mit klinisch indiziertem LAAC ergab, dass das Amulet Device dem Watchman Device nicht unterlegen war bezüglich des primären Sicherheitsendpunkts (14,5 % vs. 14,7 %; p<0,001 für non-inferiority) und für den primären Endpunkt (Ischämischer Schlaganfall oder systemische Embolie nach 18 Monaten: 2,8 % vs. 2,8 %; p<0,001 für non-inferiority) (15). Die Vollständigkeit des LAA-Verschlusses nach 45 Tagen war mit dem Amulet Device höher als mit dem Watchman Device (98,9 % vs. 96,8%; p<0,001 für non-inferiority; p=0,003 für superiority), aber verfahrensbedingte Komplikationen waren mit dem Amulet Device häufiger als mit dem Watchman 2.5 Device (4,5 % vs. 2,5 %). Insbesondere traten Perikardergüsse häufiger auf mit dem Amulet Device und ein diesbezüglicher Risikofaktor war eine fortgeführte OAK Therapie (15). Derzeit sind weitere Devices für den perkutanen LAAC in Europa zugelassen und auf dem Markt, wie WaveCrest (Biosense Webster), Ultraseal LAA Occluder (Cardia) oder LAmbre (Lifetech). Die verfügbaren Daten über diese Implantate sind jedoch sehr begrenzt.

LAAC Komplikationen

Verfahrensbedingte Komplikationen stellen eine der grössten Einschränkungen des LAAC dar. Aufgrund des präventiven Charakters des Eingriffes sollte eine Nulltoleranz für Komplikationen bestehen. Basierend auf der grössten Registerstudie zu LAAC, die 38’158 Eingriffe umfasste, welche zwischen 2016 und 2018 in den USA mit Watchman 2.5 durchgeführt wurden, traten bei 2,2 % der Patienten schwerwiegende, unerwünschte Ereignisse im Krankenhaus auf. Die häufigsten Komplikationen waren ein Perikarderguss, welcher eine Intervention erforderte (1,4 %), und schwere Blutungen (1,3 %), während Schlaganfall (0,2 %) und Tod (0,2 %) äussert selten waren (16). Ähnliche kurzfristige klinische Ergebnisse wurden in prospektiven Studien nach Implantation eines Amulet Devices (Raten im Krankenhaus: Tod 0,2 %, Schlaganfall 0,2 %, schwere Blutungen 2,4 %) (17) und Watchman FLX Devices (45-Tage Follow-up: Tod 0,5 %, Schlaganfall 0,7 %, schwere Blutungen 3,0 %) beobachtet (2).

Die beiden wichtigsten LAAC spezifischen Komplikationen in Zusammenhang mit dem Implantat sind ein Thrombus auf dem LAA-Okkluder und ein Leck am Rand des LAA-Okkluders. Ein LAA-Device Thrombus ist mit einem höheren Risiko für einen ischämischen Hirnschlag verbunden (18). Das Management eines Thrombus auf einem LAA-Okkluder ist schwierig und die Vorgehensweise heterogen. Sedaghat et al. zeigten im multinationalen EUROC-DRT-Register, welches 156 Patienten mit einem Thrombus auf einem LAA-Okkluder umfasste, dass die Mehrheit der Pa-tienten mit OAK behandelt wurden (32.1 % mit DOAK und 22.3 % mit VKA), gefolgt von Heparin (31.3 %), und Thrombozytenaggregationshemmern (6.3 %) (19). Eine vollständige Auflösung des Thrombus wurde in fast 80 % der Fälle etwa 3 Monate nach dessen Erkennung erreicht, wobei die Auflösungsraten zwischen den verschiedenen anfänglichen Behandlungsschemata vergleichbar waren.

Anders als bei einem LAA-Okkluder-Thrombus sind die Erkenntnisse über die klinische Relevanz eines Lecks am Rand des LAA-Okkluders noch umstritten und bedürfen weiterer Studien.

Ein Thrombus und auch ein Leck können sowohl mit der transösophagealen Echokardiographie (TEE) als auch mit einer CT nachgewiesen und beurteilt werden. Das CT hat eine höhere Sensitivität als die TEE für den Nachweis eines Thrombus wie auch eines Lecks (6, 20). Aufgrund der vorliegenden Evidenz scheint eine serielle bildgebende Nachuntersuchung, die aus einer doppelten Kontrolle sowohl kurz- (45 Tage bis 3 Monate) als auch langfristig (12 Monate) nach LAAC besteht, angemessen. Simard et al. beobachteten, dass sich ein Drittel der LAA-Okkluder-Thrombi erst später als 6 Monate nach der LAAC entwickelten. Umgekehrt bestand ein signifikanter Prozentsatz der nach 45 Tagen entdeckten Lecks auch nach 1 Jahr noch weiter (18, 21).

Antithrombotische Therapie nach LAAC

Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) empfiehlt eine OAK plus Aspirin für 45 Tage, gefolgt von einer 4,5-monatigen dualen Thrombozytenaggregationshemmer-Therapie (DAPT) und dann Aspirin allein nach der Implantation eines Watchman-Okkluders; nach der Amulet-Implantation sollte eine DAPT oder OAK plus Aspirin für 45 Tage folgen, gefolgt von einer DAPT für 4,5 Monate und dann Aspirin allein. Die Mehrheit der Patienten, die mit LAAC behandelt werden (vorab in Europa), kommt aufgrund des hohen Blutungsrisikos selbst für eine kurzfristige OAK oder eine 6-monatige DAPT eher nicht in Frage. Andererseits ist es denkbar, dass eine vorzeitige Umstellung von DAPT auf SAPT oder eine direkte Entlassung unter SAPT das Risiko einer Thrombusbildung auf dem LAA-Okkluder im Verlauf erhöhen könnte. Die bislang begrenzte Evidenz stützt diese Bedenken jedoch nicht. Patti et al. zeigten in einer retrospektiven, multizentrischen Beobachtungsstudie mit 610 konsekutiven LAACs, dass die SAPT unabhängig mit einer Verringerung schwerer Blutungen verbunden war (adj. HR 0,37; 95%CI: 0,16-0,88; p = 0,024), ohne dass es zu einem signifikanten Anstieg von Thromben kam (7.8 % vs 7.4 %; adj HR 1.34; 95%CI: 0.70-2.55; p = 0.38)(22). Zusammengefasst lässt sich sagen, dass bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko eine kurzfristige DAPT von 1 Monat und bei Patienten mit sehr stark erhöhtem Blutungsrisiko die SAPT ein sinnvolles antithrombotisches Therapieregime nach LAAC darstellt.

Dr. med. Roberto Galea
PD Dr. med. Dr. phil. Georgios Siontis
Prof. Dr. med. Laurent Roten
Prof. Dr. med. Dr. phil. Lorenz Räber
Leiter Herzkatheterlabor
Universitätsklinik für Kardiologie
Universität Bern
3010 Bern

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Dr. med. Roberto Galea

Universitätsklinik für Kardiologie
Universität Bern
3010 Bern

Prof. Dr. med. Laurent Roten

Universitätsklinik für Kardiologie
Universität Bern
3010 Bern

Prof. Dr. Dr. Lorenz Räber

Leiter Herzkatheterlabor
Universitätsklinik für Kardiologie
Inselspital
Freiburgstrasse 18
3010 Bern

lorenz.raeber@insel.ch

Lorenz Räber berichtet über Forschungszuschüsse für seine Institution von Abbott-Vascular, Boston-Scientific, Biotronik, Infraredx, Heartflow, Sanofi, Regeneron. Er berichtet über Honorare für Vorträge/Beratungen von Abbott-Vascular, Amgen, Canon, Medtronic, Novo Nordisk, Occlutech, Sanofi. Laurent Roten hat Honorare für Vorträge/Beratungen von Medtronic und Abbott erhalten sowie Forschungszuschüsse für seine Institution von Medtronic. Alle anderen Autoren haben mitgeteilt, dass sie keine für den Inhalt dieses Artikels relevanten Beziehungen offenlegen müssen.

◆ Der LAA-Verschluss hat sich bei Patienten mit absoluten oder relativen Kontraindikationen für eine Antikoagulation als Alternative zur Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern etabliert.
◆ Der LAA-Verschluss ist dank verbesserter intraprozeduraler Bildgebung und Prozesse sowie dank neuen LAA-Okkludern eine sichere und effiziente Intervention.
◆ In Kürze werden konklusive Daten verfügbar sein, welche aufzeigen, ob der LAA-Verschluss einer NOAK Therapie ebenbürtig ist.
◆ Es bestehen weiterhin mehrere Evidenzlücken, insbesondere in Bezug auf die optimale, antithrombotische Therapie nach LAA-Verschluss und dem Management von Thromben auf dem LAA-Okkluder und Restlecks am Rande des LAA-Okkluders.

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Therapie des Hodgkin Lymphoms: Immuntherapie ersetzt zunehmend Chemo- und Strahlentherapie

Das klassische Hodgkin Lymphom (cHL) ist eine maligne Erkrankung des lymphatischen Systems und tritt in der westlichen Welt mit einer Inzidenz von 2 bis 4 pro 100’000 Einwohnern auf. Erfreulicherweise hat sich die Prognose in den letzten Jahrzehnten deutlich gebessert und heutzutage können insbesondere im jüngeren Alter die meisten Patienten/innen geheilt werden. Ein Grundstein für den Erfolg war die Verfügbarkeit aktiver chemo- und strahlentherapeutischer Behandlungskonzepte und neuerdings immuntherapeutischer Ansätze, insbesondere CD30 basierter Immuntoxine bzw. PD1 spezifischer monoklonaler Anti­körper (Mab).

Classical Hodgkin’s lymphoma (cHL) is a malignant disease of the lymphatic system and occurs in the western world with an incidence of 2-4/100,000 inhabitants. Fortunately, the prognosis has improved significantly in recent decades and nowadays most patients can be cured, especially at younger ages. A cornerstone of success has been the availability of active chemo- and radiotherapeutic treatment concepts and more recently immunotherapeutic approaches, in particular CD30-based immunotoxins or PD1-specific monoclonal antibodies (Mab).
Keywords: Hodgkin Lymphom – Immuntoxin – check-point-blockade inhibitor – CD30 Antigen

Die Genese des cHL ist nach wie vor unklar, eine frühere EBV-Infektion wird immer noch als mögliche Ursache diskutiert. Als Ursprungszelle gilt eine entartete B-Vorläuferzelle, die sog. Reed-Sternberg-Zelle (RS) mit typischerweise starker CD30 Antigenexpression. Die bereits seit langem bekannte gestörte Immunreaktion zwischen dieser RS-Zelle und den sie umgebenden T-Zellen konnte inzwischen experimentell belegt werden: Durch Amplifikation des Chromosomenabschnitts 9p24.1 wird das immunsuppressive PD-L1 Molekül auf klassischen RS-Zellen hoch exprimiert und führt durch Interaktion mit dem PD1 Rezeptor auf den umgebenden T-Zellen zu einer T-Zell Anergie (1). Therapeutisch können somit heutzutage sowohl die PD1/PD-L1 Interaktion als auch die starke CD30 Antigenexpression genutzt werden.

Epidemiologie und Klassifikation

Das Hodgkin-Lymphom hat zwei Altersgipfel: Um das 20. Lebensjahr und nach dem 65. Lebensjahr. Männer sind generell häufiger betroffen, aber in der Gruppe der 20-Jährigen erkranken überwiegend Frauen.

Das Hodgkin-Lymphom wird in die 4 Subtypen des klassischen Hodgkin-Lymphoms (cHL) eingeteilt (Tab. 1). Daneben existiert noch das CD20+ noduläre lymphozyten-prädominante Hodgkin-Lymphom (NLPHL), früher noduläres Paragranulom genannt. Die WHO-HAEM5 führt das NLPHL weiterhin in der Familie der Hodgkin Lymphome, schlägt jedoch eine Anpassung der Bezeichnung auf «noduläres, lymphozytenüberwiegendes B-Zell-Lymphom» vor, da die neoplastischen Zellen ein funktionelles B-Zell-Programm aufweisen (2).

Aktuelle Therapiestandards

Die Systematik in der cHL Behandlung ist trotz der niedrigen Inzidenzrate beeindruckend fundiert und beruht auf den Ergebnissen mehrerer internationaler Studiengruppen. Ein wesentlicher Grundpfeiler einer Stadien- und Risikofaktor-gerechten Therapie ist dabei eine Erfassung des Ausmasses der Erkrankung gemäss aktueller Lugano Klassifikation (3) und einfach zu bestimmender Blutparameter (z.B. BSG). Da in der Schweiz die meisten Zentren den Empfehlungen der Deutschen Hodgkin Lymphom Studiengruppe (GHSG) in der Erstlinientherapie jüngerer cHL Patienten/innen folgen, möchten wir uns auf diese fokussieren (Tab. 2): Frühe, d.h. lokalisierte Krankheitsstadien werden in der Regel mit einer ABVD Chemotherapie (4 Zyklen) bzw. einer Kombination aus ABVD Chemotherapie (2 Zyklen) und einer Strahlentherapie behandelt. Damit kann ein 5-Jahres Gesamtüberleben (OS) von 98,1% erreicht werden (4).

Patienten/innen mit intermediärem Krankheitsstadium haben zwar häufig eine anatomisch begrenzte Krankheit, weisen aber zusätzliche Risikofaktoren auf (Tab. 2) und sollten daher mit 4-6 Zyklen ABVD Chemotherapie oder 2 Zyklen intensiver Chemotherapie (eBEACOPP) und 2 Zyklen ABVD gefolgt von einer Radiotherapie bei residueller PET-Positivität (Deauville Score ≥ 4) behandelt werden. Die Therapieergebnisse sind auch in diesem Krankheitsstadium exzellent und erreichen ein 5-Jahres Progressions-freies-Überleben (PFS) von 97,3% (5).

Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung bedürfen bisher einer noch intensiveren Therapie. Dabei wird häufig entweder gemäss GHSG eine PET-basierte Strategie (HD18 Studie) mit 4-6 Zyklen eBEACOPP (6) oder – favorisiert im amerikanischen Raum – die Kombination aus 6 Zyklen AVD mit dem CD30 spezifischen Immuntoxin Brentuximab Vedotin (BV, Handelsname Adcetris und somit A-AVD Regime gemäss ECHELON-1 Studie) eingesetzt (7). In der HD18 Studie konnte ein 5-Jahres PFS von 91,2 bzw. 93% und in der ECHELON-1 ein 6-Jahres PFS von 82,3% erzielt werden.
Wir sind uns bewusst, dass gerade im fortgeschrittenen Stadium unterschiedliche Therapiealgorithmen fast immer auf einer PET-Untersuchung nach zwei Zyklen (PET2) basierend existieren und De-Eskalationsstrategien bzw. Eskalationsstrategien Anwendung finden. Auch die GHSG stellt sich der Frage einer Toxizitätsreduktion und hat im Rahmen der HD21 Studie eBEACOPP gegen das experimentelle BrECADD Regime getestet (8). Die bisher präsentierten Toxizitätsdaten bestätigen eine geringere Toxizität mit einem deutlich geringeren Transfusionsbedarf, einer geringen Polyneuropathierate und insbesondere auch einer deutlich geringeren Infertilität im BrECADD Arm. Die PFS und OS Daten für die Gesamtpopulation sind weiterhin exzellent, aber noch nicht nach Therapiearmen entblindet.

Entwicklungen

Wie bereits in der Einleitung genannt, weisen die HRS-Zellen durch Amplifikation des Chromosomenabschnitts 9p24.1 eine erhöhte Expression des immunsuppressiven PD-L1/2 Moleküls auf und sind damit kausal für die Anergie PD1 positiver T-Zellen verantwortlich. Aus der Biologie abgeleitet bestätigten sich hohe Ansprechraten für die Therapie mit PD1 Mab. Im direkten Vergleich der PD1 Blockade (P, Pembrolizumab) zu dem CD30 Immuntoxin BV zeigte sich bei Patienten/innen mit rezidiviertem cHL (KEYNOTE 204 Studie (9) im randomisiertem Vergleich nach einer medianen Beobachtungszeit von 25,7 Monaten ein signifikanter PFS-Vorteil von 13,2 Monaten für Pembrolizumab gegenüber 8,3 Monaten für BV (p=0,0027). Die häufigsten behandlungsbedingten Nebenwirkungen Grad 3-5 favorisierten den Einsatz von Pembrolizumab.

Als Konsequenz dieser Daten werden nun PD1 Antikörper in Kombination mit etablierten Chemotherapie-Regimen in der Erstlinie als auch bei cHL Patienten/innen mit refraktärer bzw. früh-rezidivierender Erkrankung mit dem Ziel getestet, einzelne Chemotherapiekomponenten zu eliminieren oder wenigstens in ihrer Dosis zu reduzieren. Die PD1 Applikation kann dabei vorgeschaltet (sequentiell) oder parallel zur Chemotherapie erfolgen.
In einer multizentrischen Phase-II-Studie mit sequentieller Pembrolizumab + AVD-Behandlung erreichten fast zwei Drittel der Patienten/innen mit fortgeschrittener cHL Erkrankung nach drei Dosen Pembrolizumab-Monotherapie ein PET-definiertes vollständiges oder nahezu vollständiges metabolisches Ansprechen (CMR) (10). Darüberhinaus erreichten alle Patienten/innen ein CMR (100%) nach 2 Zyklen AVD-Chemotherapie und bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 33,1 Monaten blieben PFS und OS ebenso bei 100%.

Eine ähnliche Fragestellung adressierte die GHSG in einer multizentrischen, randomisierten Phase-II-Studie in einem etwas anderen Patientenkollektiv, da Einschlusskriterium ein Stadium I bis II mit Risikofaktor(en) war (sog. intermediäres Stadium nach GHSG, 11). Die Systemtherapie beinhaltete vier Zyklen Nivolumab + AVD (N-AVD) oder die sequentielle Behandlung mit vier Dosen Nivolumab, zwei Zyklen N-AVD und zwei Zyklen AVD in Standarddosen gefolgt von einer konsolidierenden 30-Gy-Strahlentherapie. Beim Interims-Staging nach zwei Zyklen N-AVD oder 4 Dosen Nivolumab-Monotherapie erreichten 54 von 54 (100 %) bzw. 49 von 51 (96 %) Patienten/innen, die für ein Ansprechen in Frage kamen, ein objektives Ansprechen mit einer CR bei 47 (87%) bzw. 26 (51%) Patienten. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 13 Monaten betrug das 12-Monats PFS bei den Patienten/innen, die Nivolumab parallel zur Chemotherapie erhielten, 100% und bei den Patienten/innen mit sequenzieller Therapie 98%.
Ähnliche Konzepte einer PD1 Kombination mit Chemotherapie werden auch im cHL Rezidiv getestet. Die wahrscheinlich am häufigsten eingesetzte Kombination beruht auf dem Pembrolizumab, Gemcitabine, Vinorelbine und liposomalen Doxorubicin (P-GVD) Regime. In der zugrundeliegenden Phase-II-Studie (12) wurde P-GVD als Zweitlinientherapie bei Patienten/innen mit rezidivierter oder refraktärer (rr) cHL Erkrankung untersucht. Dabei erhielten 31 Patienten/innen zwei Zyklen, acht Patienten vier Zyklen. Die Gesamt- und CR-Raten nach Pembro-GVD lagen bei 100% bzw. 95%.

Sechsunddreissig (95%) Patienten/innen wurden einer Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation unterzogen und 13 (33%) erhielten anschliessend eine BV-Erhaltungstherapie. Alle 36 transplantierten Patienten/innen sind bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 13,5 Monaten nach Transplantation in Remission.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Nino Fejzibegovic

Klinik für Hämatologie & Onkologie Hirslanden Zürich AG
8032 Zürich

Prof. Dr. med. Christoph Renner

Onkozentrum Hirslanden Zürich und Onkozentrum Zürich
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

Christoph.renner@hirslanden.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Das Hodgkin Lymphom nimmt aufgrund seiner Biologie einen besonderen Stellenwert in der Hämato-Onkologie ein.
◆ Neben der auffälligen Histopathologie sind die Erfolge in der Behandlung durch den Einsatz von Chemo- und Strahlentherapie beeindruckend.
◆ Unter Berücksichtigung des Krankheitsstadiums und Alters können bis zu 95% aller Patienten/innen geheilt werden.
◆ Da vornehmlich junge Patienten/innen erkranken, rücken Spätschäden wie die therapiebedingte Einschränkung der Fertilität und Zweitneoplasien in den Vordergrund.
◆ Mit den neuen Immuntherapien in Form CD30-spezifischer Immuntoxine aber auch PD1/PD-L1 blockierender Antikörper stehen neue Modalitäten zur Verfügung, die klassische Therapien verdrängen und bei geringerer Toxizität weiterhin hohe Heilungschancen erlauben.

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