SGAIM Frühjahrskongress in Basel

Künstliche Intelligenz im Diabetes-Management

Braucht es uns Diabetologen und Diabetologinnen noch? Diese Frage stellte Frau Prof. Dr. med. et phil. Lia Bally, Bern, eingangs ihres Referats in den Raum. Die künstliche Intelligenz ist eine computergestützte menschenähnliche Entscheidungsfindung. Künstliche Intelligenz als Medizinprodukt für Diagnose und Screening, Prognose, Behandlungsunterstützung und Entscheidungsfindung.

Die Referentin stellte künstliche Intelligenz/Maschinenlernen den physiologischen/mechanistischen Modellen bei komplexen Problemen wie Voraussage, Klassifizierung gegenüber. Neuronale Netzwerke/Deep Learning kann Probleme mit mehreren räumlichen und zeitlichen Skalen angehen und erfordert grosse Datensätze (1000e von Probanden). Die physiologischen/mechanistischen Modelle beschreiben einen physiologischen Prozess, können kleine Datensätze verarbeiten, brauchen Zeitreihendaten. Als Beispiele nannte die Referentin die Glukose-Insulin Rückkoppelungsschleife und das künstliche Pankreas. Sie stellte das kontinuierliche subkutane Glukose-Monitoring mit den entsprechenden Schwankungen innerhalb der Zielzone und das künstliche Pankreas (Closed loop/automated insulin delivery system) vor. Es existiert derzeit eine erhebliche Menge an automatisierten Insulinverabreichungssystemen auf dem Markt (Medtronic 670G und 780G, Tandem Control IQ, CamAPS FX, DBLG1, Omnipod 5, Tidepool Loop, Inreda (nicht kommerziell), Beta Bionic iLET).

Nutzen der automatisierten Insulinabgabe (AID) bei Typ 1 Diabetes

Zunahme der Time in Range ca. 9-16% (>2h/Tag), Abnahme der Time below Range (Nacht > Tag). Abnahme HbA1c 0.3-0.5% (am grössten bei denjenigen mit höherem basalem HbA1c). Lebensqualität/Benutzerfreundlichkeit: Abnahme der Belastung durch das Diabetes-Selbstmanagement, Zunahme der Freiheit und der Schlafqualität, Verminderung der Angst vor Hypoglykämie. Potenziale für Verbesserungen sind Gerätelast, Materialschlacht, Hautprobleme, Probleme der gemeinsamen Nutzung von Daten / Interoperabilität zwischen Geräten, vertragliche Abhängigkeiten, Probleme in der Lieferkette.

Diabetesmanagement im Spital

Etwa eines aus fünf Krankenhausbetten wird von einer Person mit Diabetes belegt. Dazu kommt der Pflegekräftemangel und seine Auswirkungen auf die Patientenpflege. Die automatisierte Insulinabgabe wird auch im Spital für das Diabetesmanagement angewandt. In der medizinisch/chirurgisch nicht kritischen Pflege ergab die vollautomatische Closed Loop Insulinabgabe (FC)L vs. Kontrolle 24 Prozentpunkte mehr Zeit mit Glukose im Zielbereich im Vergleich zur üblichen Versorgung (66% vs. 42%), jeweils täglich 6 zusätzliche Stunden. Bei der parenteralen und/oder enteralen Ernährungsunterstützung ergab die FCL 32 Prozentpunkte mehr Glukose im Zielbereich im Vergleich zur Standardpflege (68% vs. 36%), täglich 8 zusätzliche Stunden. Bei hospitalisierten Dialysepatienten wurden 38 Prozentpunkte mehr Zeit mit Glukose im Zielbereich gegenüber der Kontrolle täglich gemessen, 9 zusätzliche Stunden. gemessen (69% vs. 32%). In der perioperativen Pflege (gemischte elektive Chirurgie) ergab die FCL vs. Kontrolle 22 Prozentpunkte mehr Zeit mit Glukose im Zielbereich im Vergleich zur üblichen Pflege. (77% vs. 55%), täglich 5.5 zusätzliche Stunden.

Patientenbeispiel totale Pankreatektomie

Der 65jährige Patient litt an T2DM. Er erhielt Insulin Degludec 70-0-0. Dapagliflozin 10mg 1-0-0. Metformin 1-0-1. HbA1c 8.0%, BMI 28.8kg/m2. Die Zeitpunkte der Operation waren 1225h Induktion der Anaesthesie, 1340h Inzision, Start der Operation, 2014h Naht, Ende der Operation. Die intraoperativ verabreichten Medikamente waren 1250h 8mg DXM, 1330h 0.2mg Octreotid, 1910h 0.2mg Octreotid. Die Glukosekonzentration war während der gesamten Operationszeit im Zielbereich (5-10mmol/l), meist um 7 mmol/l.

Dies vollständig geschlossene Insulinabgabe entlastet das Krankenhauspersonal. Die Zeitersparnis bei Diabetespatienten über alle Behandlungsperioden beträgt 2.1 bis 4.5Stunden.

Smart Pens

Digitale Dosiserfassung, Echtzeit-Konnektivität (App, Glucose-Sensor), Integration mit personalisierter Entscheidungshilfe für die Dosierung.) Etablierte Produkte sind NovoPen 6/ Echo (CE mark 2019), Medtronic InPen (CE-mark 2021). Da die Smart Insulin Pens auf dem Weg der digitalen Transformation weiter voranschreiten, können weitere Vorteile erwartet werden: iterativ verbesserte Software, maschinelles Lernen und fortschrittliche Entscheidungsunterstützung.

Das Management von Diabetes ist aber mehr als Glukosekontrolle: Screening auf diabetische Retinopathie: automatische Bildanalyse mit Deep-Learning Algorithmen, behördliche Zulassung der ersten Anwendungen (IDx-DR device. Digitale Diagnostik), Herausforderungen bei der Umsetzung sind regulatorische Herausforderungen, Interoperabilität, Heterogenität der nationalen Screeningprogramme.

Lebensstil (Diät und Bewegung)

Das fehlende Teil sind Änderungen des Lebensstils. Eine Studie, die im Rahmen der routinemässigen Primärversorgung untersuchte, ob intensives Gewichtsmanagement zu einer Remission des Typ2 Diabetes führt, zeigte, dass nach 12 Monaten die Hälfte der Patienten eine Remission zu einem Non-Diabetes-Status ohne antidiabetische Medikamente führte (Lean MEJ et al. Lancet 2018). Die Remission von Typ2 Diabetes ist ein praktisches Ziel für die Grundversorgung.

Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen wurde auch bei der automatisierten Nahrungsanalyse eingesetzt: Lebensmittelnachweis, Segmentierung von Lebensmitteln und 3D Rekonstruktion, Schätzung von Volumen/Gewicht von Lebensmitteln, Analyse der Nährstoffe in Lebensmitteln.

DIe Referentin erwähnt ferner die tragbaren und digitalen Geräte zur Überwachung und Behandlung von Stoffwechselkrankheiten und OVIVA, die personalisierte Ernährungsberatung für Versicherte der Helsana, CSS, Swica und über 50 weitere Versicherungen.

Der digitale Zwilling

Das Daten gesteuerte virtuelle Abbild eines Patienten kann verwendet werden, um individuelle Risiken und deren Veränderung durch spezifische Interventionen zu zeigen. Dies führt zur Verbesserung des Verständnisses der Patienten dafür, wie sich verschiedene Gesundheits- und Lebensstilfaktoren und -änderungen auf ihre kardiometabolischen Risiken auswirken. Umsetzung der Ernährungsempfehlungen in die Praxis, natürliche Sprachverarbeitung von Ernährungs- und Rezeptdatenbanken, der Rezeptorgenerator mit künstlicher Intelligenz.

ChatGPT

Kann ChatGPT unseren Diabetesberatern eine gewisse Last abnehmen? Die Referentin warnte vor mit künstlicher Intelligenz generiertem Inhalt (z.B. ChatGPT): Trainiert vor 2021, keine Quellenangabe, nicht auf dem gesamten Werk biomedizinischer Daten erstellt, wie Volltext-Artikel hinter der Paywall von grossen Verlagen und auch nicht von medizinischen Experten getestet. Neigung zu Halluzinationen (ungenaue Informationen, die sprachlich flüssig präsentiert werden). Viele Bedenken hinsichtlich Copyrights, Plagiarismus etc. Hauptbedenken ist die Patientensicherheit, ChatGPT sollte nicht ohne fachkundige menschliche Aufsicht verwendet werden.

Fazit

  • Rasche Entwicklung von Wearables und digitalen Gesundheitstechnologien
  • Automatisierte Insulinabgabe hat die Pflege von Personen mit Typ 1 Diabetes revolutioniert
  • Künstliche Intelligenz/Maschinenlernen (KI/ML) sind vielversprechend
  • Risiko von «Black Box» Ansätzen
  • Herausforderungen in Bezug auf Datenschutz, Datenzugang, Haftung und Ethik
  • Es gibt nur wenige KI/ML-fähige Geräte mit behördlicher Genehmigung
  • Mehr Forschung und Schulung des medizinischen Personals sind erforderlich
  • Synergie zwischen Mensch und KI
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

CAR-T-Zell-Therapie: Update für den Allgemeininternisten

Mit einem Abriss über die Geschichte der Tumorimmunologie und -therapie eröffnete Prof. Dr. med. et Dr. phil. Sacha Zeerleder, Luzern, seinen hervorragenden Überblick über die CAR-T-Zelltherapie. Die Tumorimmunologie begann mit der Beobachtung von William Coley (1862-1936), der feststellte, dass es bei Sarkompatienten oftmals nach einer fieberhaften Erkrankung zu einer Rückbildung des Tumors kam. Coley entwickelte aufgrund dieser Beobachtung eine Bakterienmischung, das sogenannte Coley-Toxin, welches zu erfolgreichen Verläufen bei Tumorpatienten führte. Ungefähr zu Coleys Zeit wurde ein weiterer wichtiger Meilenstein von George Beatson gesetzt, der die Ablatio der Ovarien zur Heilung von inoperablem Brustkrebs einsetzte. Der Zusammenhang zwischen Sexualsteroidhormonen und Krebs ebnete den Weg für die Hormontherapie bei hormonempfindlichen Krebsarten wie Brust-, Ovarial-, Gebärmutter- und Prostatakrebs. Der erste prognostische Wert der Lymphozytenin­filtration war 1921, die TNM-Klassifizierung erfolgte 1932, das Konzept der «Immune Surveillance» 1957 und die Klonierung von CTLA-4 im Jahre 1987. Das erste Tumor-assoziierte Antigen (MAGE-1) wurde 1991 beschrieben und PD-1 1992 kloniert. Die Entdeckung der Anti-Tumoraktivität von CTLA-4 erfolgte 1996, die Anti-Tumoraktivität von anti-PD1/L1 2002. Der immunbasierte Test «Immunoscore» zur Quantifizierung des T-Zellinfiltrats erweist sich der TNM-Klassifizierung als überlegen (2006). Im Jahre 2016 wurde die immunbasierte Metastasenausbreitung beschrieben, im Jahre 2018 die immun­basierte Krebsevolution beim Menschen und im selben Jahr erfolgte die Immunoscore-Klassifizierung. 2018 wurde der Medizin-Nobelpreis für Immuntherapie verliehen und 2019 waren bereits 43 Checkpoint-Immuntherapien bei verschiedenen Krebsarten zugelassen.

Der Referent wandte sich nun der allogenen hämatopoetischen Knochenmarktransplantation zur Behandlung hämatologischer Krebserkrankungen zu. Dabei ist neben der erwünschten Graft vs. Leukemia-Reaktion, ein immunologisches wichtiges Phänomen, welches die Rückfallrate erniedrigt, auch die Graft vs. Host-Reaktion, die systemische zytotoxische Reaktion der transfundierten T-Zellen gegen den Wirtsorganismus, zu berücksichtigen.

Zelluläre Immuntherapie zur Heilung bösartiger Erkrankungen «der heilige Gral»

Welche Tumorantigene sind besonders geeignet? Avidität der Spender-T-Zellen gegen das Zielantigen? Expressionsmuster der Zielantigene (Expression in normalen Geweben)? Stabilität der Antigenexpression? Dabei ist eine wirksame Reaktion auf Tumore ohne Kollateralschaden erforderlich.

Adoptive T-Zelltherapie TIL, CAR und darüber hinaus

Die adoptive Zelltherapie (ACT) hat in den letzten Jahren mit der Zulassung von CAR-T-Zellen für die Behandlung von Patienten mit B-Zell-Malignomen einen Aufschwung erlebt. Um den Einsatz adoptiv übertragener T-Zellen für die Behandlung von Patienten mit soliden Tumoren und anderen hämatologischen Malignomen voranzutreiben, müssen jedoch zahlreiche Hürden in Bezug auf die Effektorzellen und die Mikroumgebung des Tumors überwunden und eine breitere ACT-Plattform genutzt werden, die nicht nur gentechnisch veränderte CAR-T-Zellen, sondern auch andere Formen der ACT einschliesslich der Therapie mit endogenen T-Zellen (ETC) und tumorinfiltrierenden Lymphozyten (TIL) umfasst. Die jüngsten Entdeckungen in Bezug auf die Immunresistenz und der Entwicklung von Technologien ermöglichen es, die Kraft tumor­reaktiver T-Zellen für die adoptive Zelltherapie nutzbar zu machen. So titelte denn die New York Times am 9. Dez. 2012 «A breakthrough against leukemia using altered T cells. In girl’s last hope, altered immune cells beat leukemia». In der letzten Hoffnung eines Mädchens besiegen veränderte Immunzellen die Leukämie.

CAR-T-Zellen

CAR steht für «chimärer Antigenrezeptor». Die therapeutische Strategie basiert auf der genetischen Umprogrammierung von T-Zellen mit einem künstlichen Immunrezeptor, der sie gegen bestimmte Antigene (z.B. CD19, BCMA (B-cell maturation antigen)) auf malignen Zellen dirigiert und deren Zerstörung durch die Ausübung von T-Zellrezeptorfunktionen ermöglicht.

Es existiert eine ganze Reihe von verschiedenen CAR-T-Zell­rezeptor-Therapien, die sich in ihrer Spezifität (anti-CD19 oder anti BCMA) unterscheiden, deren Hinge und Transmembranregion unterschiedlich ist (CD28 oder CD8a) und deren Co-Stimulationsdomänen sich unterscheiden (CD28, oder 4-1BB). Die Intensität der CAR-Signalisierung in T-Zellen wird nicht nur durch das Niveau der CAR-Expression, sondern auch durch die Scharnier-(hinge) Domäne beeinflusst. Die Scharnierdomäne reguliert die CAR-Sigalisierungsschwelle und die Transmembrandomäne die Menge der CAR-Signalisierung über die Kontrolle des CAR-Expressionsniveaus.

CAR-T-Zelltherapie: Prozess von der Ernte bis zur Infusion

Die einzelnen Schritte umfassen: die Lymphozytenapherese, die Lymphozyten-depletierende Chemotherapie und die Reinfusion («Transplantation»).
Die Reinigung, Selektion und Herstellung der CAR-T-Zellen (US/Europa) dauert 3-4 Wochen. In SCHOLAR-1, der grössten, gepoolten, retrospektiven Analyse auf Patientenebene zur Charakterisierung der Ansprechrate und des Überlebens bei Patienten mit refraktärem DLBCL lag die objektive Ansprechrate auf die nächste Therapielinie bei 26% (vollständige Ansprechrate 7%), und das mediane Gesamtüberleben betrug 6.3 Monate. Zwanzig Prozent der Patienten waren nach 2 Jahren noch am Leben. Die Ergebnisse waren in allen Studien­kohorten gleich schlecht.
JULIET: Tisagenlecleucel induziert dauerhaftes Ansprechen. Bei Respondern war das 12-monatige Rückfall-freie Überleben 65%. 54% der Patienten (15/28), die eine PR erreicht hatten, wurden zu einer CR umgewandelt.

CAR-T-Zellen liessen sich bis zu 2 Jahren bei Patienten mit Ansprechen verfolgen.

ZUMA-1: Axi-cel induziert ein dauerhaftes Ansprechen bei DLBCL. Mediane Ansprechdauer (DOR) 11.1 Monate (4.2-51.3), mediane Dauer der CR 62.2 Monate (62.2-NE), mediane Dauer der PR 1.9 Monate ( 1.3-1.7). Das mediane OS betrug 25.8 Monate (12.8-NE).

CAR-T-Zelltherapie mit Ide-cel (bb2121) beim rezidivierenden/refraktären multiplen Myelom

Krankheitsprogression trotz immunmodulierender Therapie, Proteasom Inhibitoren und anti-CD38: PFS 3-4 Monate, medianes Gesamtüberleben 8-9 Monate. Phase 2 Studie OR 73%, CR 33%, Open Label Phase 3 Studie OR 71%, CR 39%.

Cita-cel bei rezidiviertem/refraktärem multiplem Myelom

OR 97%, CR 67%. Nach 27 Monaten PFS Rate 54.9% (44.0-64.6)
Die CAR-T Zell-Therapie wirkt sowohl beim aggressiven Lymphom als auch beim Multiplen Myelom.

Fazit

  • Die CAR-T-Zelltheraoie ist effektiv beim aggressiven B-Zell-Lymphom und beim rezidivierenden/refraktären multiplen Myelom
  • Sie ist ziemlich sicher
  • Komplikationen sind
    ▻ Systemische inflammatorische Reaktion (Zytokinfreisetzungssyndrom, CRS)
    ▻ Immuneffektorzellen-assoziiertes neurotoxisches Syndrom (ICANS)
    ▻ Zytopenie post CAR-T (CAVE verlängerte hämatologische Toxizität
    ▻ Infektiöse Komplikationen
    ▻ Hypogammaglobulinämie
  • Logistischer Prozess (Gewinn/Produktion): Optimierung im Gange
  • Supportive Behandlung durch gut trainiertes und erfahrenes Team
    ▻ Akute Komplikationen (CRS, ICANS): Inflammation blockieren (anti-IL6, anti-IL1, Steroide)
    ▻ Subakute Langzeitkomplikationen: Panzytopenie- und virale Prophylaxe, IVIG Infusionen, G-CSF
  • Offene Fragen:
    ▻ Rolle der allogenen HSCT (Konsolidierung nach CAR-T-Zell-Therapie?
    ▻ Substitut für autologe HSCT
    ▻ Wirksamkeit im Vergleich zu «T-cell engager/bispezifische Antikörper»
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Modulatoren des CFTR-Proteins zur Behandlung der Mukoviszidose

Im Dezember 2020 liess Swissmedic die «Orphan Drug» Trikafta® zu. Dabei handelt es sich um eine hochwirksame Kombination von Modulatoren des CFTR-Proteins (Cystic fibrosis transmembrane conductance regulator) zur Behandlung von Mukoviszidose bei Patienten mit mindestens einer F508del-Mutation im CFTR-Gen, der häufigsten Mutation bei Mukoviszidose. Die Wirkstoffe sind Elexacaftor, Tezacaftor und Ivacaftor. Derzeit kommen mehr als 85% der Patienten mit Mukoviszidose für eine Behandlung mit CFTR-Modulatoren in Frage, die die Lungenfunktion und die Lebensqualität verbessern und die Exazerbationen der Atemwege verringern.

In December 2020, Swissmedic approved the drug Trikafta®, a highly effective combination of modulators of the CFTR protein (Cystic fibrosis transmembrane conductance regulator), for the treatment of cystic fibrosis (CF) in patients with at least one F508del mutation of the CFTR gene (the most common mutation in CF). The active substances are elexacaftor, tezacaftor and ivacaftor. Currently, more than 85% of people with CF are eligible for CFTR modulator therapy, which has been shown to improve respiratory function and quality of life and reduce pulmonary exacerbations.
Key Words: cystic fibrosis, modulators of the CFTR, elexacaftor, tezacaftor, ivacaftor

Mukoviszidose

Mukoviszidose ist eine potenziell schwere monogenetische Erkrankung, die autosomal-rezessiv vererbt wird und weltweit mehr als 100’000 Menschen betrifft (1, 2). Sie wird durch Mutationen im CFTR-Gen verursacht, die zu einer veränderten Synthese oder Funktion des CFTR-Proteins (Cystic Fibrosis Transmembrane conductance Regulator, im Folgenden pCFTR) führen. Seit der ersten Entdeckung der häufigsten Mutation (F508del) wurden über 2000 Varianten des CFTR-Gens beschrieben (1, 2), von denen etwa 400 als mit Mukoviszidose assoziiert gelten. Sie werden in die Klassen I bis VI eingeteilt, je nachdem, wie sie sich auf die Produktion und Funktion des pCFTR auswirken (1, 2). Das pCFTR ist ein transmembraner Chloridkanal, der sich auf der apikalen Seite sekre­torischer Epithelien, insbesondere der Schweissdrüsen, der Atemwege, des Gastrointestinaltrakts, der Bauchspeicheldrüse und der Samenleiter befindet (1, 2). Es reguliert den Salz- und Wasser­haushalt auf der Zelloberfläche und eine Fehlfunktion dieses Proteins führt zu zähflüssigem Schleim und Sekreten. Die klinischen Manifestationen der Krankheit sind multisystemisch und treten je nach pCFTR-Dysfunktion in unterschiedlichem Alter auf (3, 4).

In der Lunge ist die Mukoviszidose durch eine schwere Störung der mukoziliären Clearance, eine Entzündung und eine chronische bakterielle Kolonisierung der oberen und unteren Atemwege gekennzeichnet, die zu Bronchiektasien und einem allmählichen Rückgang der Lungenfunktion führt. Eine exokrine Pankreasinsuffizienz mit Malabsorption von Lipiden und fettlöslichen Vitaminen ist sehr häufig, ebenso wie Verstopfung. Mukoviszidose-bedingter Diabetes tritt bei 30 % der Patienten über 18 Jahren auf und die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter, während die biliäre Zirrhose viel seltener ist (3, 4). Die Behandlung der Mukoviszidose basierte lange Zeit auf einer symptomatischen Behandlung, die zwar anstrengend war, aber die Lebenserwartung der Patienten erheblich verlängerte. Seit den 2010er-Jahren steht eine neue Klasse von Medikamenten zur Verfügung, die pCFTR-Modulatoren, mit denen die Aktivität des pCFTR wiederhergestellt werden kann (1).

Modulatoren des CFTR-Proteins

Im Gegensatz zu symptomatischen Therapien, die sich auf die Behandlung von Komplikationen der Mukoviszidose konzentrieren, sind pCFTR-Modulatoren kleine Moleküle, die am Ursprung des Problems ansetzen (Abb. 1).

Es gibt zwei Arten von Modulatoren: Potentiatoren (Ivacaftor) verbessern die Funktion des pCFTR, indem sie die Öffnungszeit der Chloridkanäle begünstigen. Die Korrektoren (Lumacaftor, Tezacaftor und Elexacaftor) stabilisieren den pCFTR und erleichtern seinen Transport zur Zellmembran (1). Derzeit sind vier Medikamente als Mono-, Zwei- oder Dreifachtherapie auf dem Markt, von denen einige Merkmale in Tabelle 1 beschrieben sind.

Wirksamkeit und Sicherheit von Modulatoren

Im Jahr 2019 wurden zwei pivotale Studien zur Dreifachtherapie mit Elexacaftor/Tezacaftor/Ivacaftor (Trikafta®) bei 113 homozygoten F508del-Patienten (5) und 403 heterozygoten F508del/Varianten-Kompositpatienten mit minimaler Funktion, die durch die bisherigen Modulatorkombinationen nicht korrigiert werden konnte, veröffentlicht (6). Die erste Studie umfasste nur 4 Wochen und die Kontrollgruppe bestand aus Patienten, die mit Ivacaftor/Tezacaftor behandelt wurden. Die Zugabe von Elexacaftor führte zu einer zusätzlichen Steigerung des maximalen exspiratorischen Einsekundenvolumens (FEV1) um 10,0% und einer Senkung des Schweisschlorids um 45 mmol/l (p < 0,0001). Die zweite Studie führte nach 24 Wochen zu einer Verbesserung des FEV1 um 13,9%, einem Rückgang der Rate an Lungenexazerbationen um 63%, einer Verbesserung des CFQ-R-Scores (Lebensqualitätsscore) um 20,2 Punkte und einer Senkung des Chlorids im Schweiss um 42 mmol/l (p<0,001 für alle Vergleiche). Diese Ergebnisse wurden durch prospektive Real-Life-Studien bestätigt, die auch dazu führten, dass die FDA die Zulassung auf Kinder ab 6 Jahren und vor kurzem auf Kinder ab 2 Jahren ausdehnte (7, 8).

Aus Sicht der Toxizität sind die Modulatoren relativ gut verträglich (9-11). Die Kombination Ivacaftor/Lumacaftor weist jedoch höhere Raten an respiratorischen Nebenwirkungen auf, die offenbar auf Lumacaftor zurückzuführen sind (10). Ein vorübergehender Anstieg von Husten/Bronchorrhoe innerhalb von 48 Stunden nach Behandlungsbeginn ist die Folge einer verbesserten Sekret­clearance und nimmt danach wieder ab. Andere Nebenwirkungen treten vor allem im Magen-Darm-Bereich (Durchfall, Übelkeit, Bauchschmerzen) und bei der Leber (Anstieg der Transaminasen) auf (9-11). Allergien vom Typ Ausschlag oder Überempfindlichkeit wurden selten berichtet. Ein Signal für eine Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit (einschliesslich Depressionen oder neuropsychiatrische Störungen) wurde auf der Grundlage einiger Kohortenstudien und Fallberichte identifiziert (9), obwohl ein kausaler Zusammenhang mit CFTR-Modulatoren nicht formell nachgewiesen werden konnte.

Pharmakokinetische Erwägungen

Die pCFTR-Modulatoren werden hauptsächlich über die Zytochrome (CYP) 3A4/5 eliminiert (Tab. 1). Ivacaftor und Elexacaftor können auch Substrate, Inhibitoren oder Induktoren von P-gp und/oder OATP1B1/3 sein. Daher stellen sie ein erhebliches Risiko für Arzneimittelwechselwirkungen dar, insbesondere mit Induktoren oder Inhibitoren von CYP3A4/5. Eine deutliche Verringerung der Exposition (89%) und ein 15-facher Anstieg der Ivacaftor-Konzentrationen bei gleichzeitiger Verabreichung mit Rifampicin bzw. Itraconazol wurden beobachtet (11). Geringere, aber signifikante Veränderungen werden bei moderaten Inhibitoren oder Induktoren von CYP3A4/5 (z.B. Rifabutin oder Fluconazol) erwartet. Obwohl keine Arzneimittelwechselwirkungen zwischen Trikafta® und OATP1B1/3-Induktoren berichtet wurden, könnten die OATP1B1/3-Inhibitoren Gemfibrozil und Ciclosporin theoretisch zu einem Anstieg der Serumkonzentrationen von Trikafta® führen (12). Da Ivacaftor als CYP2C9-Hemmer die Wirkung bestimmter Arzneimittel, die ein Substrat dieses Enzyms darstellen (Acenocoumarol, Glibenclamid), verstärken kann, ist bei der Verabreichung von Arzneimitteln, die ein Substrat von OATP1B1 darstellen, wie z. B. Statine, Glibenclamid oder Repaglinid, Vorsicht geboten und eine angemessene Überwachung erforderlich. Da Bilirubin ein Substrat von OATP1B1 und OATP1B3 ist, kann es zu leichten Erhöhungen des durchschnittlichen Gesamtbilirubinspiegels kommen (10, 11).

Bei Patienten, die mit Trikafta® behandelt werden, wurde über eine erhebliche Variabilität der Plasmakonzentrationen berichtet, die mit bestimmten Faktoren in Zusammenhang steht, wie Alter und Gewicht bei Kindern, fettreiche Nahrung, die die Exposition gegen­über diesen Arzneimitteln signifikant erhöht, Ko-Medikationen mit dem Risiko von Wechselwirkungen und Veränderungen der Elimination bei Leber- oder Niereninsuffizienz. Die Auswirkungen dieser pharmakokinetischen Veränderungen auf das Ansprechen und die Verträglichkeit dieser Medikamente sind jedoch noch weit­gehend unbekannt. Die Überwachung der Therapie durch die Messung der Plasmaspiegel ist potenziell hilfreich, um die Dosierung dieser Medikamente anzupassen (13).

Was ist in der Praxis zu beachten?

Die Dosen von Trikafta® sollten im Abstand von ca. 12 Stunden zu einer fettreichen Mahlzeit eingenommen werden. Bei mässiger Leberinsuffizienz sollte die Dosierung reduziert werden (11).

Die gleichzeitige Verschreibung von starken CYP3A4/5-Induktoren ist aufgrund des Risikos eines Wirkungsverlustes kontraindiziert. Bei starken und schwachen CYP3A4/5-Inhibitoren wird eine Dosisreduktion empfohlen, um das Risiko von Nebenwirkungen zu verringern. Vorsicht und eine angemessene Überwachung sind geboten, wenn Arzneimittel, die Substrate von CYP2C9, P-gp, OATP1B1 und OATP1B3 sind, zusammen mit Trikafta® verabreicht werden, da die Exposition gegenüber diesen Arzneimitteln erhöht sein kann.

Es wird empfohlen, die Transaminasen (ALAT und ASAT) und das Gesamtbilirubin bei allen Patienten vor Beginn der Behandlung, im ersten Jahr alle drei Monate und danach mindestens einmal jährlich zu kontrollieren (11). Aufgrund des Risikos einer schweren Verschlechterung der Atmung nach Absetzen der Behandlung ist eine Unterstützung der Therapietreue und der Kenntnis der Herausforderungen durch den Patienten und das Pflegepersonal erforderlich (14).

Die Kosten für eine Packung Trikafta® mit 84 Tabletten (28 Tage) belaufen sich auf CHF 17’516.15 und erfordern die Zustimmung der Versicherer zur Kostenübernahme mit einer vorherigen Beurteilung durch den Vertrauensarzt der Versicherung.

Schlussfolgerung

Die pCFTR-Modulatoren haben die Behandlung von Patienten mit Mukoviszidose revolutioniert und zu einer deutlichen Verbesserung der Lungenfunktion und der Lebensqualität sowie zu einer Verringerung des Risikos von Lungenexazerbationen geführt. Wie bei jeder neuen Behandlung sind jedoch die langfristige Wirksamkeit, insbesondere die extrapulmonale Wirksamkeit, und die langfristigen Nebenwirkungen noch unbekannt und es müssen bestimmte Vorsichtsmassnahmen ergriffen werden, um das Risiko einer Toxizität zu minimieren. Weitere Wirkstoffe werden derzeit untersucht und sollen in den nächsten Jahren auf den Markt kommen (15).

 

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. pharm. Ermindo R. Di Paolo

Service de pharmacie, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois et
Université de Lausanne
Lausanne

ermindo.di-paolo@chuv.ch

Dr. med. Georgia Mitropoulou

Unité de mucoviscidose adulte, Service de Pneumologie,
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois et Université de Lausanne
Lausanne

georgia.mitropoulou@chuv.ch

Prof. Dr. pharm.Chantal Csajka

Centre de Recherche et d’ Innovation en Sciences Pharmaceutiques
cliniques Centre Hospitalier Universitaire et Université de Lausanne
Suisse Rue du Bugnon 19
1011 Lausanne

Chantal.Csajka@chuv.ch

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel angegeben.

◆ Die Modulatoren des CFTR-Proteins und insbesondere die hochwirksame Dreifachtherapie (Elexacaftor/Tezacaftor/Ivacaftor) haben die Behandlung der Mukoviszidose revolutioniert und die Lebensqualität der Mehrheit der in Frage kommenden Patienten verändert.
◆ Die Modulatoren sind im Allgemeinen gut verträglich, aber es gibt noch Unbekannte in Bezug auf die langfristige extrapulmonale Wirksamkeit und die Nebenwirkungen.
◆ Arzneimittelwechselwirkungen, an denen die Zytochrome 3A4/5, 2C9 und die Transporter P-gp, OATP1B1 und OATP1B3 beteiligt sind, sollten beachtet werden.
◆ Eine schlechte Therapietreue kann das Risiko für eine schwere
respiratorische Verschlechterung erhöhen.

1. Shteinberg M, Haq IJ, Polineni D, et al. Cystic fibrosis. Lancet 2021;397:2195-2211.
2. Bell SC, Mall MA, Gutierrez H, et al. The future of cystic fibrosis care: a global perspective. Lancet Respir Med 2020; 8:65-124.
3. Koutsokera A, Sauty A et al. Swiss recommendations for adult cystic fibrosis care. https://www.revmed.ch/guidelines/swiss-recommendations-for-adult-cystic-fibrosis-care (letzter Zugriff 20.02.2023).
4. Sauty A, Plojoux J, Mornand A, et al. Révolution dans le traitement de la mucoviscidose. Rev Med Suisse 2020; 16:1229-35.
5. Heijerman HGM, McKone EF, Downey DG, et al. Efficacy and safety of the elexacaftor plus tezacaftor plus ivacaftor combination regimen in people with cystic fibrosis homozygous for the F508del mutation: a double-blind, randomised, phase 3 trial. Lancet 2019;394:1940-8.
6. Middleton PG, Mall MA, Drevínek P, et al. Elexacaftor–tezacaftor–ivacaftor for cystic fibrosis with a single Phe508del allele. N Engl J Med 2019;381:1809-19.
7. Trikafta® Swiss Public Assessment Report. Swissmedicinfo. 30 March 2022.
8. Nichols DP, Paynter AC, Heltshe SL, et al. Clinical effectiveness of Elexacaftor/Tezacaftor/Ivacaftor in people with cystic fibrosis: a clinical trial. Am J Respir Crit Care Med 2022;205:529-39.
9. Dagenais RVE, Su VCH, Quon BS. Real-world safety of CFTR modulators in the treatment of cystic fibrosis: a systematic review. J Clin Med 2020;10:23. doi: 10.3390/jcm10010023.
10. Gramegna A, Contarini M, Aliberti S, et al. From ivacaftor to triple combination: a systematic review of efficacy and safety of CFTR modulators in people with cystic fibrosis. Int J Mol Sci 2020 ;21:5882. doi: 10.3390/ijms21165882.
11. https://www.swissmedicinfo.ch, Fachinformation Trikafta® (letzter Zugriff 20.02.2023).
12. Purkayastha D, Agtarap K, Wong K, et al. Drug-drug interactions with CFTR modulator therapy in cystic fibrosis: focus on Trikafta®/Kaftrio®. J Cyst Fibros 2023. doi: 10.1016/j.jcf.2023.01.005.
13. Choong E, Sauty A, Koutsokera A, et al. Therapeutic drug monitoring of ivacaftor, lumacaftor, tezacaftor, and elexacaftor in cystic fibrosis: where are we now? Pharmaceutics 2022;14:1674. doi: 10.3390/pharmaceutics14081674.
14. Mitropoulou G, Balmpouzis Z, Plojoux, J, et al. Effects of elexacaftor−tezacaftor−ivacaftor discontinuation in cystic fibrosis. Respir Med Res 2022;82:100972. doi: 10.1016/j.resmer.2022.100972.
15. https://apps.cff.org/trials/pipeline (letzter Zugriff 20.02.2023).

Zufallsbefunde im Thorax-CT

Die Computertomographie (CT) ersetzt zunehmend die Projektionsradiographie in der Thoraxbildgebung, aufgrund der diagnostischen Überlegenheit bei abnehmender Strahlenbelastung. Die Niedrigdosis-CT (LDCT) des Thorax zur Lungenkrebsfrüherkennung hat an Bedeutung gewonnen, da sie die häufigste Krebstodesursache weltweit adressiert. Inzidentelle Befunde, die bei CTs oft erfasst werden, erfordern standardisierte Definitionen und Managementstrategien, da die Befunderhebung und weitere Abklärung nicht relevanter Zufallsbefunde zu unnötiger Verunsicherung von Patienten und vermeidbaren Kosten führt. Die involvierten europäischen Fachgesellschaften haben daher Empfehlungen zum Umgang mit Zufallsbefunden entwickelt, um Überdiagnosen zu vermeiden und die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu verbessern. Trotz der Ausrichtung auf das Lungenkrebs-Screening können die Prinzipien auch bei anderen Indikationen für Thorax-CTs angewendet werden und bieten somit einen Leitfaden für die klinische Routine.

Computed tomography (CT) is increasingly replacing projection radiography in thoracic imaging due to its diagnostic superiority and decreasing radiation exposure. Low-dose CT (LDCT) of the thorax for the early detection of lung cancer has gained in importance as it addresses the most common cause of cancer death worldwide. Incidental findings, which are often detected during CT scans, require standardised definitions and management strategies, as the assessment and further clarification of irrelevant incidental findings leads to unnecessary uncertainty for patients and avoidable costs. The European specialist societies involved have therefore developed recommendations for dealing with incidental findings in order to avoid overdiagnosis and improve interdisciplinary collaboration. Despite the focus on lung cancer screening, the principles can also be applied to other indications for chest CT scans and thus provide a guideline for routine clinical practice.

Key words: incidental findings, computed tomography, chest, lung cancer screening, management recommendations

Einleitung

Die Computertomographie ersetzt aufgrund ihrer diagnostischen Überlegenheit und der abnehmenden Dosisbelastung für die Patienten zunehmend die klassische Projektionsradiographie in der klinischen Routine. Dies spiegelt sich in den stetig steigenden Zahlen der CT-Untersuchungen wider. Das Bundesamt für Gesundheit hat beispielsweise in der Schweiz im Zeitraum von 2013 bis 2018 einen Anstieg der Anzahl der Computertomographien (CT) von 117 Untersuchungen pro 1000 Einwohner auf 135 pro 1000 Einwohner festgestellt, was einem Anstieg von 15 % entspricht (1). Gleichzeitig nahm die Anzahl der Röntgenuntersuchungen um 7 % ab. Erfreulicherweise nahm in diesem Zeitraum auch die pro CT verursachte Strahlendosis um 15 % ab, sodass die durch die CT-bedingte Strahlenbelastung insgesamt trotz steigender Zahlen stabil blieb (1). Die Fortschritte in der Dosisreduktion ermöglichen aufgrund eines verbesserten Risiko-Nutzen-Verhältnisses neue Einsatzgebiete für die CT, insbesondere die Niedrigdosis-CT (Englisch: low dose CT, LDCT) des Thorax zur Lungenkrebsfrüherkennung hat in den letzten Jahren zunehmend an Relevanz gewonnen. Lungenkrebs stellt die häufigste Krebstodesursache in Europa dar (2) und ist gleichzeitig mit den höchsten Behandlungskosten verbunden (3). Eine Früherkennung von Lungenkrebs stellt hierbei einen vielversprechenden Ansatz dar, um sowohl die Mortalität als auch die Gesundheitskosten zu senken (4). Mittlerweile konnte der Nutzen einer gezielten Lungenkrebsfrüherkennung in einer Vielzahl randomisiert-kontrollierter Studien nachgewiesen werden (5–7), sodass einige europäische Länder die Implementierung von Screening-Programmen planen oder diese bereits durchführen (8). Auch am Universitätsspital Zürich wird zurzeit eine entsprechende Pilotstudie durchgeführt.

Inzidentelle Befunde: Definition und ­Häufigkeit

Unabhängig davon, ob eine Niedrigdosis-CT des Thorax im Rahmen eines Screening-Programms oder aufgrund einer individuellen Indikation bei einem hohen Risikoprofil eines Patienten oder einer Patientin durchgeführt wird, bildet die Untersuchung neben der Lunge und der mediastinalen Strukturen auch Teile des Halses, des Oberbauchs und der Thoraxwand ab. Da diese Regionen eine Vielzahl weiterer Strukturen enthalten, sind häufig zusätzliche Befunde miterfasst. Befunde, die unabhängig von der eigentlichen Fragestellung erhoben werden, bezeichnet man als inzidentelle Befunde oder Zufallsbefunde. Im Kontext der Validierung der Lungenkrebsfrüherkennungsprogramme in unterschiedlichen Kohorten wurde auch die Häufigkeit inzidenteller Befunde systematisch untersucht. Je nach Definition wurden inzidentelle Befunde in 8 % bis 94 % aller CT-Untersuchungen berichtet (9–12), wobei 15–20 % der Befunde signifikant sind und einer weiteren Abklärung bedürfen (9, 13). Die enorme Spannbreite der berichteten inzidentellen Befunde angesichts der Zahl relevanter Befunde verdeutlicht, dass einheitliche Definitionen und Standards bei der Befundung nötig sind. Aus dieser Erkenntnis sind zahlreiche nationale und internationale ­Fachgesellschaften tätig geworden und haben entsprechende Richtlinien veröffentlicht. Allerdings verzeichnet allein das American College of Radiology für den Zeitraum von 2010 bis 2021 zwölf Arbeiten mit Empfehlungen zu den anatomischen Regionen, die im Thorax-CT dargestellt werden (13). Da es im Alltag kaum möglich ist, die verschiedenen Empfehlungen über so viele Publikationen präsent zu halten, wurden diese wiederum zu einheitlichen Empfehlungen zusammengefasst (13).

Empfehlungen der europäischen ­Fachgesellschaften zum Management ­inzidenteller Befunde im Niedrigdosis-­Thorax-CT zum Screening

Mit der beginnenden Implementation der Lungenkrebs-Früherkennungsprogramme in Europa, sind auch die ­entsprechenden europäischen Fachgesellschaften tätig geworden und haben entsprechende Empfehlungen herausgegeben. Die europäische respiratorische Gesellschaft (ERS), sowie die europäischen Gesellschaften der Thoraxchirurgie (ESTS), der Strahlentherapie (ESTRO), Radiologie (ESR) und Thoraxradiologie (ESTI) und der Medizinphysik (EFOMP) haben im letzten Jahr eine gemeinsame Handlungsempfehlung zum Management inzidenteller Befunde in Niedrigdosis-CTs für die Lungenkrebsfrüherkennung herausgegeben (14). Für die Erstellung der gemeinsamen Empfehlungen wurde eine Taskforce mit Repräsentanten aus den jeweiligen Fachgesellschaften erstellt. Zusätzlich wurden auch Patientenvertreter miteinbezogen. Aus einer Liste der Zufallsbefunde im Thorax-CT auf Grundlage einer vorherigen Veröffentlichung von ERS und ESR (15) wurden inzidentelle Befunde ausgewählt, wenn sie häufig genug vorkommen, das Potential für eine klinisch relevante Veränderung in der radiologischen Befundung haben, potenziell dringender Abklärung bedürfen oder klinisch signifikant sind. Die Befunde wurden anschließend in zwei Kategorien aufgeteilt: spezifisch und generisch. Spezifische Befunde wurden als wichtig und häufig benannt, sodass eine einzelnstehende Beurteilung empfohlen wird. Die übrigen Befunde sind seltener oder weniger relevant, sodass eine allgemeine Beurteilung als ausreichend erachtet wird. Abbildung 1 fasst die Einteilung der Befunde in die Kategorien zusammen. Abbildung 2 zeigt Bildbeispiele inzidenzeller Befunde.

Im nächsten Schritt wurde eine systematische Literaturrecherche für die Jahre 2010 bis 2021 durchgeführt, welche durch etwaige landesspezifische Vorgaben entsprechender Institutionen und Behörden ergänzt wurde. Aus den selektierten Studien wurde die Evidenz für die jeweiligen Empfehlungen abgeleitet. Die resultierenden Ergebnisse wurden im Konsensus der Taskforce in der vorgestellten Publikation zusammengefasst. Die wichtigsten Aussagen zu den häufigsten Zufallsbefunden werden in Tabelle 1 aufgeführt. Tabelle 2 fasst die Empfehlung der Taskforce zusammen und geht hierbei auf die Aspekte der Befunderhebung und die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen ein.

Diskussion

Die Durchführung von Thorax-CTs in Niedrigdosistechnik stellt einen Kompromiss aus diagnostischer Beurteilbarkeit und möglichst geringer Strahlenexposition dar, der nur eine limitierte Aussage zu extrapulmonalen Zufallsbefunden zulässt. Umso wichtiger ist eine klare Definition, wie mit den detektierten inzidentellen Befunden umzugehen ist, um eine Balance zwischen Kosten und Nutzen der Untersuchung sicherzustellen. Dies ist insbesondere im Zusammenhang mit einem Lungenkrebs-Screening relevant. Hier steht der Nutzen für die Screening-Population und die Gesamtbevölkerung im Vordergrund vor dem individuellen Nutzen der untersuchten Person. Die Befunderhebung und weitere Abklärung nicht relevanter Zufallsbefunde führen zu einer unnötigen Verunsicherung von Patienten und zu vermeidbaren Kosten, welche den Nutzen eines Screeningprogramms stark mindern können. Zudem ist für eine effiziente Zusammenarbeit zwischen Radiologie und Zuweiser eine einheitliche Kommunikation von Befunden und Zufallsbefunden von grossem Vorteil. Sie erlaubt es dem Radiologen die klinischen Konsequenzen seiner Befundung besser einzuordnen. Gleichzeitig wissen die Zuweiser, wie sie mit den Formulierungen des Befundtextes umgehen können.

Die in diesem Artikel vorgestellten Empfehlungen der europäischen Fachgesellschaften für den Umgang mit inzidentellen Befunden in Niedrigdosis-Thorax-CTs im Rahmen eines Lungenkrebs-Screenings leisten hierfür einen wichtigen Beitrag. Sie bieten einen praktischen Leitfaden sowohl für Radiologen, welche inzidentellen Befunde in welcher Form zu berichten sind, als auch für die Zuweiser, welche Befunde einer weiterführenden Abklärung bedürfen und aus welchen Befunden sich kein Handlungsbedarf ergibt. Die Empfehlungen fussen einerseits auf einer breiten wissenschaftlichen Basis und andererseits auf der Expertise des interdisziplinären Expertengremiums und bieten somit eine hohe Sicherheit. Die Autoren der Empfehlungen stellen in der Arbeit jedoch heraus, dass bisherige Erkenntnisse herangezogen wurden und benennen verschiedene Bereiche, in denen Unklarheiten bestehen und weitere Forschung nötig ist, beispielsweise für den Umgang mit Patienten mit schweren Bronchie­ktasen oder den Schwellenwert für die Durchmesser der Aorta ascendens. Somit müssen die Empfehlungen mit der Zeit gegebenfalls an neue Erkenntnisse oder technische Fortschritte angepasst werden.

Zwar beziehen sich die Empfehlungen explizit auf das Lungenkrebs-Screening, da hier in besonderem Mass eine Überdiagnostik vermieden werden soll. Ihre Prinzipien lassen sich jedoch grundsätzlich auch auf inzidentelle Befunde bei anderen thorakalen Fragestellungen, wie der Niedrigdosis-CT aus individueller Indikation oder auch einer CT-Pulmonalisangiographie zum Ausschluss einer Lungenarterienembolie, als Leitfaden heranziehen. Die vorgestellten Empfehlungen können somit als praktischer Leitfaden für die klinische Routine dienen.

Dr. med. Jonas Kroschke

Institut für Diagnostische und
Interventionelle Radiologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100, 8091 Zürich

Prof. Dr. med. Thomas Frauenfelder

Institut für Diagnostische und
Interventionelle Radiologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100, 8091 Zürich

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Bei steigender Zahl von Niedrigdosis-Thorax-CTs (LDCT) steigt auch die Zahl inzidenteller Befunde, welche eine Herausforderung für die Radiologen und zuweisenden Ärzte darstellen.
  • Befunderhebung und weitere Abklärung nicht relevanter Zufallsbefunde führt zu einer unnötigen Verunsicherung von Patienten und zu vermeidbaren Kosten.
  • Einheitliche Definitionen und Empfehlungen zur Handhabung erleichtern das Management inzidenteller Befunde und erhöhen die Effizienz aller Akteure.
  • Im Rahmen eines Screening-Programms steht der Nutzen für die Screeningpopulation und die Gesamtbevölkerung im Vordergrund vor dem individuellen Nutzen der untersuchten Person.
  • Die gemeinsamen Empfehlungen der beteiligten europäischen Fachgesellschaften bieten einen praktischen Leitfaden für die Handhabung inzidenteller Befunde im Rahmen eines Lungenkrebs-Screening-Programms und darüber hinaus.

1. Viry A, Bize J, Trueb PR, Ott B, Racine D, Verdun FR, et al. ANNUAL EXPOSURE OF THE SWISS POPULATION FROM MEDICAL IMAGING IN 2018. Radiat Prot Dosimetry. 2021;195(3–4):289-95.
2. Bray F, Laversanne M, Sung H, Ferlay J, Siegel RL, Soerjomataram I, et al. Global cancer statistics 2022: GLOBOCAN estimates of incidence and mortality worldwide for 36 cancers in 185 countries. CA: A Cancer Journal for Clinicians. 2024;74(3):229-63.
3. Luengo-Fernandez R, Leal J, Gray A, Sullivan R. Economic burden of cancer across the European Union: a population-based cost analysis. The Lancet Oncology. 2013;14(12):1165-74.
4. Field JK, Vulkan D, Davies MPA, Baldwin DR, Brain KE, Devaraj A, et al. Lung cancer mortality reduction by LDCT screening: UKLS randomised trial results and international meta-analysis. The Lancet Regional Health – Europe. 2021;10:100179.
5. Al-Ameri A, Malhotra P, Thygesen H, Plant PK, Vaidyanathan S, Karthik S, et al. Risk of malignancy in pulmonary nodules: A validation study of four prediction models. Lung Cancer. 2015;89(1):27-30.
6. de Koning HJ, van der Aalst CM, de Jong PA, Scholten ET, Nackaerts K, Heuvelmans MA, et al. Reduced Lung-Cancer Mortality with Volume CT Screening in a Randomized Trial. N Engl J Med. 2020;382(6):503-13.
7. Aberle DR, Adams AM, Berg CD, Black WC, Clapp JD, Fagerstrom RM, et al. Reduced lung-cancer mortality with low-dose computed tomographic screening. New England Journal of Medicine. 2011;365(5):395-409.
8. Wait S, Alvarez-Rosete A, Osama T, Bancroft D, Cornelissen R, Marusic A, et al. Implementing Lung Cancer Screening in Europe: Taking a Systems Approach. JTO Clin Res Rep. 2022;3(5):100329.
9. Morgan L, Choi H, Reid M, Khawaja A, Mazzone PJ. Frequency of Incidental Findings and Subsequent Evaluation in Low-Dose Computed Tomographic Scans for Lung Cancer Screening. Ann Am Thorac Soc. 2017;14(9):1450-6.
10. Reiter MJ, Nemesure A, Madu E, Reagan L, Plank A. Frequency and distribution of incidental findings deemed appropriate for S modifier designation on low-dose CT in a lung cancer screening program. Lung Cancer. 2018;120:1-6.
11. van de Wiel JCM, Wang Y, Xu DM, van der Zaag-Loonen HJ, van der Jagt EJ, van Klaveren RJ, et al. Neglectable benefit of searching for incidental findings in the Dutch–Belgian lung cancer screening trial (NELSON) using low-dose multidetector CT. European Radiology. 2007;17(6):1474-82.
12. Kucharczyk MJ, Menezes RJ, McGregor A, Paul NS, Roberts HC. Assessing the Impact of Incidental Findings in a Lung Cancer Screening Study by Using Low-dose Computed Tomography. Canadian Association of Radiologists Journal. 2011;62(2):141-5.
13. Dyer DS, White C, Conley Thomson C, Gieske MR, Kanne JP, Chiles C, et al. A Quick Reference Guide for Incidental Findings on Lung Cancer Screening CT Examinations. Journal of the American College of Radiology. 2023;20(2):162-72.
14. Emma LO, Dowd, Ilona T, Emily B, Anand D, Jürgen B, et al. ERS/ESTS/ESTRO/ESR/ESTI/EFOMP statement on management of incidental findings from low dose CT screening for lung cancer. European Respiratory Journal. 2023:2300533.
15. Kauczor HU, Baird AM, Blum TG, Bonomo L, Bostantzoglou C, Burghuber O, et al. ESR/ERS statement paper on lung cancer screening. Eur Radiol. 2020;30(6):3277-94.

Zuwachs im Editoren-Board + neue Möglichkeiten mit «Praxis» für den ärztlichen Nachwuchs

Die kardiale Bildgebung hat in der Diagnostik und in der Planung und teilweise im Rahmen der Durchführung kardialer Interventionen einen ausserordentlich wichtigen Stellenwert erreicht. Die nichtinvasive Abklärung der koronaren Herzkrankheit ist zum Gold Standard geworden und erfolgt über sich dauernd verbessernde Bildgebungstechniken.

Das kardiale MRI ist nicht nur für die Funktionsanalysen des Myokards die Methode der Wahl, es bringt auch eine Verbesserung der Diagnostik und Risikostratifizierung bei Inflammatorischen- und Speicher­erkrankungen des Herzens, wie der Myokarditis oder kardialen Amyloidose. Wir freuen uns sehr, mit Prof. Dr. Dr. med. Christoph Gräni einen ausgewiesenen Experten, der das kardiale Imaging in seiner klinischen und akademischen Tätigkeit mit ausgezeichneter Exzellenz betreibt, als neuen Herausgeber begrüssen zu dürfen. Christoph Gräni hält eine ausserordentliche Professur für kardiale Bildgebung an der Universität Bern und ist Leitender Arzt an der Universitätsklinik für Kardiologie. Mit seinem Engagement und seiner Expertise werden wir die ganze Bandbreite unseres Fachs umfassender abbilden können und wir wünschen uns für Sie, liebe Leserinnen und Leser, dass Sie «info@herz+gefäss» weiterhin als eine informative Fortbildungszeitschrift wahrnehmen werden.

Ebenfalls freut es uns, dass wir unser Advisory-Board mit Dr.  med. Johann Debrunner ergänzen dürfen. Dr. Debrunner absolvierte seine Ausbildung im Stadtspital Triemli und am USZ und war u.a. Chefarzt Kardiologie und Innere Medizin in Uster. Seit 2022 ist er selbstständig in einer Gemeinschaftspraxis in Uster tätig. Er wird mithelfen, dass die Sicht aus der Praxis gebührend im «info@herz+gefäss» vertreten ist.

Neben der Vergrösserung des Advisory Boards und dem neuen Herausgeber-Trio im «info@herz+gefäss», gibt es im Aerzteverlag medinfo AG wesentliche Neuerungen: Ab Juli 2023 wird der Aerzteverlag medinfo AG die traditionsreichen Zeitschriften «Praxis – Schweizerische Rundschau für Medizin/ Revue Suisse de la médicine» und «Therapeutische Umschau» herausgeben. Beide Zeitschriften sind in MEDLINE, EMBASE und Scopus gelistet. Die bisherigen Zeitschriften des medinfo Verlags werden in üblicher Weise weitergeführt. Es besteht nun aber für die Autor*innen die Möglichkeit, einen Beitrag aus ihrem Fachgebiet in einer der beiden MEDLINE gelisteten Zeitschriften, insbesondere in der «Praxis», zu publizieren. Für jüngere Kolleginnen und Kollegen eröffnet sich die Möglichkeit ihre für den Facharzttitel geforderte wissenschaftliche Arbeit in einer gelisteten Zeitschrift deutscher Sprache veröffentlichen zu ­können.

Die neuen Zeitschriften zeichnen sich – wie alle medinfo-Titel – durch völlige redaktionelle Unabhängigkeit von Herausgebern, Redaktion und Reviewern aus, die die eingereichten Beiträge beurteilen.

Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Lesen der vorliegenden Ausgabe und wünschen Ihnen einen schönen Sommer

Prof. Dr. med. Franz Eberli

Eleonore E. Droux

Cardio Flash

In dieser Rubrik werden wichtige Studien und Themen von den Herausgebern dieser Zeitschrift kurz zusammengefasst und kommentiert. Wir hoffen, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, diese Information schätzen.

Good News für sportbegeisterte HOCM-Patienten

Die Frage nach der zumutbaren Trainingsintensität gehört zu den brennendsten Fragen sportbegeisterter Patienten mit hyper­tropher obstruktiver Kardiomyopathie (HOCM). Aus Angst ein zu intensives körperliches Training könnte ventrikuläre Tachykardien oder gar einen plötzlichen Herztod provozieren, werden die Betroffenen meist angemahnt möglichst hohe Trainingsintensitäten zu meiden. Ob dies gerechtfertigt ist, ist unklar.

Im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie wurden nun 1600 HOCM-Patienten gemäss ihren Trainingsgewohnheiten als nicht-intensiv Sporttreibende oder intensiv Sporttreibende klassifiziert. In der Gruppe der intensiv Sporttreibenden beteiligten sich 37% in kompetitiven Sportarten. Während der Beobachtungszeit erreichten 4.6% der nicht-intensiv Sporttreibenden und 4.7% der intensiv Sporttreibenden den präspezifizierten kombinierten Endpunkt bestehend aus Tod, Reanimation, rhythmogener Synkope oder adäquatem Defibrillator-Schock. Dies entspricht einer Ereignisrate von 15.3, respektive 15.9 pro 1000 Personen-Jahren und unterschied sich nicht signifikant zwischen den Gruppen.
Fazit für die Praxis: Obwohl das Arrhythmie-Risiko bei HOCM-Patienten bekanntermassen erhöht ist, scheinen intensive sportliche Aktivitäten dieses Risiko nicht weiter zu erhöhen. Diese Erkenntnisse helfen in der differenzierten Beratung von sport­begeisterten HOCM-Patienten.

Prof. Otmar Pfister

Lampert R et al. JAMA Cardiology, May 17, 2023

Heilung der ATTR Amyloidose durch Antikörper

Für die progressive kardiale Transthyretin Amyloidose (ATTR) steht bis jetzt ausser den supportiven Massnahmen (Herzinsuffizienztherapie und Schittmachertherapie) Tafamidis als ­Stabilisator der falsch gefalteten Transthyretinproteine als einziges Medikament, das den Krankheitsverlauf verlangsamt und die Mortalität mittelfristig verbessert, zur Verfügung. Die Suche nach neuen Therapien ist jedoch intensiv und verschiedene Therapie­ansätze werden verfolgt (siehe Tabelle). Wünschenswert wäre neben dem Unterdrücken der Produktion von TTR Amyloid und dem Verhindern des Einlagerns der Amyloidfibrillen eine Therapie, welche die Amyloidose im Myokard und anderen Geweben rückgängig macht.

Kürzlich wurde die überraschende Spontanheilung von drei Patienten mit dokumentierten ATTR Kardiomyopathie beobachtet (Perugini Grad II in der DPD Szintigrafie und typische Befunde im kardialen MRI) (1). Obwohl die Patienten keine spezifische Therapie, insbesondere kein Tafamidis erhielten, verbesserte sich ihr Zustand. In den bildgebenden Verfahren konnte ein Rückgang der Amyloideinlagerung und eine beinahe Normalisierung der
Dimension und Funktion des Myokards dokumentiert werden. Als Ursache wurde eine Immunantwort gegen das Amyloid gefunden, welches die drei Patienten spontan entwickelt hatten. Es fanden sich hohe Titer von polyklonalen IgG Antikörper gegen das TTR Amyloid.

Bereits vor einigen Jahren wurde festgestellt, dass Antikörper gegen humanes Amyloid P Protein Amyloidfibrillen abbauen können (2). Des Weiteren hat eine Forschergruppe bei gesunden älteren Patienten das Immunrepertoire gegen Amyloid untersucht und Antikörper identifiziert, welche gegen das TTR Amyloid gerichtet sind (3). Inzwischen haben sich zwei voll humane Anti­körper als wirksam erwiesen: der Antikörper NN6019-001 (früher PRX004 genannt) und der Antikörper NI006. Die Antikörper binden an die ATTR Amyloidfibrillen. Der Antikörperkomplex induziert eine Phagozytose und dadurch kommt es zu einem Abbau der Amyloidfibrillen. Nun sind die Resultate der Dosisfindungsstudie des NI006 Antikörpers veröffentlich worden (4). Dabei wurden 40 Patienten randomisiert zu Placebo oder steigenden Dosen von NI006 mit monatlicher Infusion des Antikörpers über ein Jahr. Es kam bei keinem Patienten zu ernsthaften Nebenwirkungen, was die erhoffte Sicherheit dieser Therapie bestätigte. Insbesondere entwickelte kein Patient Antikörper gegen den Antikörper NI006. Bei einer Dosis von mehr als 10mg des NI006 pro kg Körpergewicht kam es zu einer Abnahme der Traceraufnahme in der DPD Szintigrafie und einer Abnahme des extrazellulären Volumens im MRI, beides indirekte Zeichen für den Rückgang der Masse an Amyloid im Myokard. Diese morphologische Verbesserung ging einher mit einer Abnahme des nt-proBNP und des Troponins.

Wenn sich diese ausgezeichneten Resultate in kommenden Studien bestätigen, wäre mit Hilfe der Antikörpertherapie mit NI006 eine Reversion der Amyloideinlagerung bei der kardialen ATTR Kardiomyopathie möglich. Eine weitgehende Heilung der ATTR Kardiomyopathie könnte man sich dann mit der Kombinationstherapie Antikörpertherapie plus genbasierte Unterdrückung der TTR Produktion (TAB. 1) vorstellen.

Prof. Franz Eberli

1. Fontana M. et al. New Engl J Med 2023;388(23):2199-2201
2. Bodin K. et al. Nature 2010;468:93-7
3. Michalon A. et al. Nature Commun 2021;12:3142
4. Garcia-Pavia P. et al. New Engl J Med 2023; DOI:10.1056/NEJMoa2303765

Keine erhöhte nicht-kardiale Mortalität nach Revaskularisation beim chronischen Koronarsyndrom

Eine Meta-analyse der Studien und die grosse ISCHEMIA EXTEND Studie, welche die elektive Revaskularisation plus optimale medikamentöse Therapie (OMT) gegen medikamentöse allein untersucht haben, fanden eine verminderte kardiovaskuläre Mortalität nach Revaskularisation gegenüber der Patienten welche mit OMT allein behandelt wurden (1, 2). In der ISCHEMIA EXTEND Studie stand diesem Vorteil der Revaskularisation auf die kardiale Mortalität eine erhöhte (unerklärte) Mortalität nicht kardialer Ursachen gegenüber (2). Sollte diese Beobachtung der ISCHEMIA EXTEND Studie sich als allgemeingültig erweisen, wäre der Wert einer koronaren Revaskularisation durch PCI oder Bypassoperation in Frage gestellt. Eine Meta-analyse von 18 Studien der Revaskularisation plus OMT oder OMT allein bei insgesamt >16‘000 Patienten, ist nun der Frage nachgegangen, ob die Revaskularisation in der Tat mit einer erhöhten nicht-kardialen Mortalität einhergeht, oder ob die Ergebnisse des ISCHEMIA-EXTEND zufällig waren (3). In den 18 Studien betrug die Rate an nicht-kardialer Mortalität bei den revaskularisierten Patienten 4.68% und bei den initial medikamentös behandelten Patienten 4.17% (RR 1.09; p=0.26). Der nicht signifikante Unterschied war allein durch die ISCHEMIA EXTEND Studie getrieben. Ohne die ISCHEMIAS EXTEND Studie war die nicht-kardiale in den anderen 17 Studien identisch (RR 1.0). Multiple Sensitivitätsanalysen zeigten die Robustheit dieses Resultates. So war die nicht-kardiale Mortalität auch bei langer Nachbeobachtungszeit nicht erhöht.
Diese Resultate sind vorerst beruhigend. Es scheint, dass die Beobachtung in der ISCHEMIA EXTEND Studie ein Ausreisser ist. Die Revaskularisation beim chronischen Koronarsyndrom führt zu einer Abnahme der kardialen Mortalität und zu keiner Zunahme der nicht-kardialen Mortalität, z.B. durch Krebserkrankungen. Auf der anderen Seite machen die ISCHEMIA EXTEND Studie und die nun vorliegende Meta-analyse klar, dass in kardialen Interventionsstudien die Todesursache bei allen Todesfällen sorgfältig dokumentiert und adjudiziert werden muss. Nur so können unerwartete Langzeitfolgen einer Intervention erkannt und bei deren Auftreten erklärt und gezielt angegangen werden.

Prof. Franz Eberli

1. Navarese EP, Lansky AJ, Kereiakes DJ, et al. Cardiac mortality in patients randomised to elective coronary revascularisation plus medical therapy or medical therapy alone: a systematic review and meta-analysis. Eur Heart J. 2021;42(45):4638-51.
2. Hochman JS, Anthopolos R, Reynolds HR et al. Survival After Invasive or Conservative Management of Stable Coronary Disease. Circulation. 2023;147(1):8-19.
3. Navarese EP, Lansky AJ, Farkouh ME et al. Effects of Elective Coronary Revascularization vs Medical Therapy Alone on Noncardiac Mortality. JACC Cardiovascular Intervention 2023;16(10):1144-1156.

Prof. Dr. med. Otmar Pfister

Otmar.pfister@usb.ch

Prof. Dr. med. Franz R. Eberli

Stadtspital Zürich Triemli
Klinik für Kardiologie
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

franz.eberli@triemli.zuerich.ch