Optimierte ambulante interdisziplinäre Rauchstopp-Intervention

Dem Ablauf unserer Rauchstopp-Beratungssprechstunde am Universitätsspital Zürich liegt ein Konzept zugrunde mit ­diversen Elementen, die in einer längeren Erstberatung und mindestens vier Folgeberatungen innert circa 3 Monaten vermittelt werden. Je nach medizinischem Kontext, mentaler Verfassung, Motivationsstufe und Vorerfahrungen der rauchenden Person können Inhalte und Intervalle sowie die Anzahl erforderlicher Sitzungen individuell variieren. In aller Regel wird die wiederholte Beratung ergänzt durch eine medikamentöse Unterstützung, relativ oft auch durch medikamentöse Kombinationstherapien. Die Behandlungsfrequenz ist in den ersten 3 Monaten hoch, weil der Unterstützungsbedarf und die Rückfallgefahr dann am grössten sind. Anfänglich finden die Beratungen alle 2 bis 4 Wochen statt, dann werden sie individuell auf 6 bis 8 Wochen ausgedehnt. Idealerweise zieht sich die Beratung über ein halbes Jahr hin. So können der Verlauf über mehrere Monate verbindlich begleitet und bei Bedarf Anpassungen am Procedere vorgenommen werden.

Schlüsselwörter: Rauchstopp-Intervention, interdisziplinäre Beratung, Nikotinersatz, Trigger, Medikamente

Zuweisungsprozess

In der Regel erfolgt die Zuweisung von Patientinnen und Patienten zur Rauchstoppberatung spitalintern durch behandelnde Ärztinnen und Ärzte der verschiedenen Kliniken. Sie entspricht derselben Praxis wie jener anderer Spezialsprechstunden, wie z. B. der Adipositassprechstunde, der Hypertoniesprechstunde oder der Diabetesberatung. Zuweisungen können ebenso von niedergelassenen externen Arztpraxen gemacht werden. Niederschwellig können sich Patienten auch selbst anmelden. Das Konzept «Die rauchende Person muss den ersten Schritt zur Anmeldung selbst unternehmen» ist aus unserer Sicht nicht mehr zeitgemäss und nur unzureichend zielführend. Aus diesem Grund erwarten wir primär Zuweisungen von medizinischen Fachpersonen und erlauben aber auch Selbstzuweisungen.

Die Anmeldung erfolgt mehrheitlich elektronisch oder über das Sekretariat der Pneumologie des Universitätsspitals Zürich (USZ). Dieses terminiert die Rauchstoppsprechstunden und informiert Patienten mittels Brief über Termin, Kontaktmöglichkeiten sowie Konditionen.

Vorbereitung

Aufgrund des Zuweisungsschreibens und klinikinterner Berichte werden die Erst- und Folgeberatungen vorbereitet. Es finden auch Fallbesprechungen zwischen Arzt und Beraterin statt, um geeignete Behandlungsansätze zu evaluieren, eine gemeinsame Strategie festzulegen und eine Behandlungsempfehlung zu machen. Der Fokus richtet sich dabei auf medikamentöse Therapiemöglichkeiten, Klärung allfälliger Medikamentenunverträglichkeiten, Kontraindikationen für gewisse Medikamente, Therapie- und Beratungsansätze unter Berücksichtigung medizinisch relevanter Diagnosen, Therapien sowie bereits erfolgter Massnahmen. Auch soziale anamnestische Aspekte werden beleuchtet und in der Planung berücksichtigt. So können bedarfsweise etwa Bezugspersonen in den Prozess einbezogen werden (1, 2, 3).

Die Erstberatung (Zeitaufwand 45–60 Min.)

Beim ersten Treffen wird nach der Begrüssung die Patientenidentität verifiziert. Je nach Persönlichkeit und Zustand des Patienten kann eine niederschwellige Konversation als Eisbrecher dienen. Patienten werden angehalten, auf Wunsch während der Beratung eigene Notizen zu machen. Dafür liegen ein Schreibblock und Stifte bereit (4).

Als Einstieg ins Rauchstoppgespräch werden weitgehend offene Fragen gestellt. Dazu zählen zum Beispiel:

  • «Sie wurden durch die Klink X oder durch Dr. Y in die Rauchstoppsprechstunde überwiesen. Welcher ist der Grund Ihrer dortigen Behandlung?»
  • «Berichten Sie mir von Ihrem Rauchverhalten.»
  • «Haben Sie schon einmal mit dem Rauchen aufgehört? Mit welcher Methode? Wie ist es Ihnen dabei ergangen? Was führte zum Rückfall?»
  • «Sie möchten etwas an Ihrem Rauchverhalten ändern. Was möchten Sie ändern? Welche Ziele haben Sie?»
  • «Welche Folgen des Rauchens nehmen Sie wahr?» «Wo­ran spüren Sie, dass Ihnen das Rauchen nicht guttut?»
  • Situationsangepasst weitere Fragen.

Offene Fragen ermöglichen es dem Patienten, in eigenen Worten seine Intention zu formulieren, Vorstellungen und Erwartungen, aber auch Bedenken zu äussern. Durch die Art und Weise und den Inhalt seiner Formulierungen lassen sich erste Informationen und Erkenntnisse zum aktuellen Befinden, zur Rauchgeschichte, zur Sichtweise bezüglich des Rauchverhaltens, zum Kommunikationsverhalten und erste medizinische sowie verhaltenstypische Anhaltspunkte erkennen und dokumentieren. Patienten erhalten die Möglichkeit, ihnen wichtige Aspekte zu kommunizieren. Häufig sind solche frühe Aussagen für die Herangehensweise an die Thematik entscheidend. Sie werden daher oft wortwörtlich festgehalten.

Ein zentraler Anhaltspunkt ist die Ausführung der Patienten, ob sie «fremdbestimmt» zugewiesen wurden (ggf. Hinweis auf Absichtslosigkeit, geringe Motivation oder Ambivalenz) oder diesen Schritt selbst initiiert haben (ggf. Hinweis auf höhere Eigenmotivation). Die Antworten auf die Einstiegsfragen können für das weitere Vorgehen im Gespräch richtungsweisend sein.
Wird der Fokus auf das Thema konkreter Rauchstopp gerichtet, geht man darauf ein, wie die Patienten zur Beratung stehen. Kommen sie eher «fremdbestimmt», kann das Thema aufgenommen und vertieft werden. Lässt man die Patienten in eigenen Worten über ihre Intention und Motivation sprechen, erfährt man viel über ihre persönliche Haltung, ihre Erwartungen und über Erfahrungen aus der (Raucher-)Geschichte. Andere Patienten kommen hoch motiviert und erklären gleich zu Beginn, was sie erreichen möchten und welche Hilfe sie benötigen. Oder sie berichten, dass sie bereits mit dem Rauchen aufgehört hätten und den Fokus auf die Aufrechterhaltung legen wollten.

Nachdem die Patienten ein erstes Mal zu Wort gekommen sind, werden sie über das Angebot eines möglichen Standardablaufs und sonstige Aspekte der Rauchstoppberatung informiert. Zur Anamneseerhebung gehören Informationen zur Anzahl täglich gerauchter Zigaretten bzw. sonstiger Nikotinprodukte oder Suchtmittel, Alter bei Rauchbeginn, Berechnung der Anzahl Raucherjahre (py), Schweregrad der Abhängigkeit (Fagerström-Test, FTND), Auskunft zu Anzahl und Dauer früherer Rauchstoppversuche, Gründe für Rückfälle sowie Erfahrungen mit Nikotinersatzprodukten (NET/NRT).

Es gilt, situationsbedingt abzuwägen zwischen für die Beratenden relevanten Standardangaben und dem Hospital Quit Support (HQS)-Standard, wonach im ersten Gespräch nur ein minimales Datenset erhoben werden sollte. Der HQS-Standard gibt selektiv Auskunft über Abhängigkeit und Vorgeschichte mit Relevanz zur Beratungs- und Therapieplanung. Es besteht das Risiko, dass zu viele Details in Erfahrung gebracht werden, die nicht zwingend den Beratungs- und Therapieansatz beeinflussen und oft redundant sind. Andererseits können Aussagen, die auf den ersten Blick wenig bedeutend erscheinen, «zwischen den Zeilen» wichtige Hinweise enthalten. Diese gilt es abzuwägen, zu erfassen und zu dokumentieren, damit sie in den Behandlungsplan integriert und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden können. Hier kommen Erfahrung, Empathie und Sensibilität der beratenden Personen zum Tragen.

Grundsätzlich ist rauchenden Personen die Schädlichkeit ihres Verhaltens bewusst. Je nach Situation kann es aber notwendig sein, einzelne Punkte hervorzuheben und zu erklären (Wirkungsspektrum des Nikotins im Gehirn, Teer, Kohlenmonoxid (CO) und was dies bei jeder Zigarette für den Körper bedeutet). Solche Informationen können allgemeingültigen Charakter haben oder individuell und im Kontext der Patientendiagnosen erläutert werden.

Eine CO-Messung in der Ausatmungsluft kann den Konsum objektivieren, die Informationen rund um das Thema Kohlenmonoxid untermauern und den Patienten veranschaulichen, wie positiv sich eine Änderung ihres Rauchverhaltens zeitnah auswirken kann. Üblicherweise ist der CO-Wert bei einer ersten Beratung, wenn Patienten noch rauchen, hoch (> 10ppm bzw. > 2 % HbCO). Die Aussicht auf tiefere Werte kann motivierend sein. Wann immer möglich, sollte eine CO-Messung durchgeführt werden. In einzelnen Fällen kann sie aber auch kontraproduktiv sein und sollte daher weggelassen werden. Vereinzelt lehnen Patienten die Messung von vornherein ab, weil sie einen hohen Wert befürchten und nicht damit konfrontiert werden möchten.

Aufgrund der erhobenen Informationen/Daten zur Stärke der Abhängigkeit (FTND), Dauer und Intensität des Tabakkonsums und unter Berücksichtigung ggf. schon gemachter Rauchstopperfahrungen kann in einem nächsten Schritt eine erste Therapiestrategie empfohlen bzw. gemeinsam festgelegt werden. Dies erfolgt in der Regel unter Einbezug der ärztlichen Fachperson mit Erfahrung in der Pharmakotherapie des Rauchstopps sowie der Kompetenz der Medikamentenverschreibung, insbesondere bezüglich Polypharmazie von älteren Patienten.

Wir erklären, dass es sich bei der Nikotinsucht sowohl um eine körperliche als auch um eine psychische Abhängigkeit handelt. Die psychische Abhängigkeit hat mit Gewohnheiten, Ritualen, Assoziationen, Belohnungs- und Bewältigungsmechanismen, Trigger sowie dem Umgang mit alltäglichen Situationen und Begebenheiten zu tun. Demgegenüber steht die körperliche Abhängigkeit, bei der es sich um physiologische und z.T. biochemische Reaktionen handelt (Abb. 1, Gewohnheit und Sucht) (5).

Für eine langfristige Nikotinabstinenz ist es unerlässlich, beide Komponenten zu betrachten. Viele Patienten sind sich nur unzureichend bewusst, wie bedeutend eine intensive und vertiefte Auseinandersetzung mit Gewohnheiten ist. Sie erhält in der Beratung ein starkes Gewicht. Erst eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Themen und die Ableitung konkreter und individuell zugeschnittener Bewältigungspläne ermöglichen es, Hochrisikosituationen erfolgreich zu bewältigen und Rückfälle längerfristig zu vermeiden. Dieser Prozess kann anhand der hier aufgeführten Unterlagen («Werkzeuge») gemeinsam mit den Patienten erörtert und vertieft werden.

Ein eigens für die Rauchstoppberatung entwickelter persönlicher Handlungsplan enthält neben Erklärungen zur Nikotinabhängigkeit und Themen rund um die Rauchgewohnheit eine Reihe von «Werkzeugen». Mit diesen wird ein individueller Rauchstopp-Plan gemeinsam erarbeitet. Dabei werden relevante individuelle Faktoren, die den Prozess in die Rauchfreiheit wesentlich beeinflussen, betrachtet und einbezogen.

In der ersten Beratung wird der Handlungsplan vorgestellt und einzelne individuell geeignete Instrumente hervorgehoben. Patienten bekommen die Aufgabe, bis zum zweiten Beratungstermin ausgewählte Themen zu erarbeiten.
In einem ersten Schritt können folgende Instrumente dienlich sein:

Die Motivationswaage (Abb. 2) ermöglicht es, Vor- und Nachteile des Rauchens sowie des Nikotinverzichts aufgrund persönlicher Überlegungen einzuordnen und zu dokumentieren. Daraus können mögliche Ambivalenzen erkannt und beim nächsten Beratungstermin angesprochen werden. Eine konkrete Auseinandersetzung und Formulierung einzelner Punkte dienen der Visualisierung, Gewichtung und Wertung der einzelnen Pro- und Contra-Argumente und können als Diskussionsgrundlage in der Beratung dienen.

Das Rauchprotokoll (Abb. 3, Mein Protokoll) dient der Selbstbeobachtung. Es wird über einige Tage oder Wochen, idealerweise in unterschiedlichen Situationen (Freizeit, [Berufs-]Alltag, Ferien …) geführt und soll Aufschluss darüber geben, in welchen Situationen typischerweise geraucht wird (z. B. in Zusammenhang mit Stress, Routine, Rückzugsbedürfnis, Entspannung, Geselligkeit, Genuss, Langeweile, Sucht). Erhoben wird auch die Selbsteinschätzung, ob die Zigarette im jeweiligen Augenblick als «notwendig» oder «nicht notwendig» betrachtet wird. Ziel ist es, Wahrnehmungen und Bedürfnisse zu erkennen, zu benennen und Tendenzen zu isolieren. Die Ergebnisse bilden eine wichtige Grundlage im Beratungskontext.

Eine erste Auseinandersetzung mit Verknüpfungen von Gewohnheiten und Zigarettenkonsum hat zum Ziel, über mögliche Alternativhandlungen (Abb. 4) nachzudenken. Langfristig sollen neue Handlungen zu neuen Verknüpfungen führen, sich etablieren und so neue Verhaltensweisen zu neuen Gewohnheiten werden. Dieser Prozess der Abkoppelung von alten Verhaltensmustern wird sich über die Dauer der gesamten Beratung und darüber hinaus erstrecken. Patienten werden dazu angehalten, realistische, aber durchaus kreative und ansprechende Alternativen zu sammeln und Schritt für Schritt im Alltag einzuüben. Je nach Situation und Präferenzen können dies Ablenkungen für Hand, Mund, Kopf und/oder Körper sein. Daneben können auch Situationen definiert werden, die es ohne Alternative zu überwinden gilt.

Die meisten Rauchenden erwarten, dass sie mit der Erstberatung unmittelbar mit dem Rauchen aufhören müssen. Diese Erwartung wird besprochen und relativiert, weil ein Rauchstopp gut geplant und vorbereitet werden sollte. Dafür sind Tage oder sogar Wochen nötig. Manche Patienten sind erleichtert, dies zu hören. Allerdings soll die Dauer bis zum Rauchstopp als wichtige Vorbereitungszeit definiert und nicht als Aufschub betrachtet werden. Abhängig von der Bereitschaft zur Veränderung und der Motivationsstufe wird ein langsameres oder rascheres Vorgehen festgelegt.

Liegt eine niedrige Bereitschaft, Unentschlossenheit oder gar Absichtslosigkeit vor, wird der Fokus auf dem ­weiteren Gespräch liegen, mit dem Ziel, Patienten weitere Informationen zu möglichen unterstützenden Massnahmen zu vermitteln oder Ambivalenzen aufzulösen. Sie werden in ihrem Gedankenprozess unterstützt, sodass sich ihre Selbstwirksamkeit erhöht und sie mit gestärkter Zuversicht in den Prozess einsteigen. Hier kann das Motivational Interviewing (MI) als geeignetes Instrument eingesetzt werden. MI hat zum Ziel, mittels klientenzentrierter, direktiver Methode die intrinsische Motivation für eine Veränderung zu verbessern mittels Erforschung und Auflösung von Ambivalenz (Miller & Rollnick, 2002). Dabei sollen Patienten durch gezielte Fragestellungen eigene Bewältigungsschritte und Ziele definieren und formulieren. Sie sollen sich ihrer persönlichen Stärken bewusst werden und sich diese zunutze machen. Damit gewinnen sie an Selbstvertrauen und Zuversicht. Ein wichtiger Aspekt des MI ist gutes Zuhören bzw. Patienten ausreden zu lassen. So erhalten sie die Möglichkeit, eigene Gedanken zum Thema zu entwickeln, welche einen inneren Prozess (Auflösung der Ambivalenz) unterstützen können.

Mit Patienten, die hoch motiviert und gut vorbereitet sind, können bereits konkrete nächste Schritte besprochen werden. Wann immer möglich, wird die Schlusspunktmethode (abrupter Rauchstopp) angestrebt. In Ausnahmefällen kann eine Reduktionsstrategie als erstes Zwischenziel in Erwägung gezogen werden.

Medikamente in der Erstberatung

Meist wird in der ersten Beratung der Einsatz von unterstützenden Medikamenten empfohlen (European Strategy for Smoking Cessation Policy WHO, 2004). Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Patienten, die zu unserer Rauchstoppberatung kommen, häufig schon mehrere frustrane Rauchstoppversuche hinter sich haben, und eine gewisse Eskalation der Intervention notwendig erscheint.
Empfehlungen zu Wahl und Dosierung richten sich nach dem täglichen Zigarettenkonsum, Anzahl Packyears und FTND-Score (Tab. 1). Unsere Empfehlung wird mit den Präferenzen des Patienten abgeglichen und ein Konsens angestrebt (Adhärenz!).

Als Erfolg versprechendste Vorgehensweise zur langfristigen Rauchfreiheit wird – gestützt auf der Empfehlung der WHO – eine Kombination empfohlen aus medikamentöser Therapie und wiederholten Beratungssitzungen. Als medikamentöse Therapie kommen Nikotinersatztherapie (NET/NRT) infrage oder der Einsatz von Bupropion, Vareniclin oder Cytisin. Ganz selten wird das Hilfsmittel L-Cystein-Lutschtabletten (Acetium®) eingesetzt, besonders wenn die Motivation für den Rauchstopp gering ist und eine Rauchreduktion im Vordergrund steht.

Rauchreduktion, ob mit NRT (z. B. Inhaler) oder mit Acetium®, ist aus unserer Sicht nur ein Zwischenschritt zum Rauchstopp (reduce to quit) und wird nur ausnahmsweise als primäre Strategie empfohlen. Oft kommt es vor, dass Patienten den geplanten abrupten Rauchstopp beginnen, aber nicht fortführen können. Einige erfahren einen Rückfall mit wenigen Zigaretten. Andere erzielen gar nicht erst den vollständigen Rauchstopp, schaffen am Rauchstopp-tag aber eine deutliche Reduktion (zahlenmässig > 50 % Reduktion des bisherigen Konsums an Tabak) und können diesen reduzierten Konsum beibehalten. Dies wird in der Beratung als Zwischenerfolg gewürdigt und in einem zweiten Schritt der komplette Rauchstopp erarbeitet.

Patienten werden informiert, dass die medikamentöse Unterstützung lediglich ein Hilfsmittel darstellt, welches den Rauchstopp-Prozess erleichtert und die Entzugssymptome u.a. teilweise vermindert. Wenn es Patienten schaffen, mit dem Rauchen ganz aufzuhören und diesen Zustand über längere Zeit halten können (ohne Rückfall), dann ist das ihre Eigenleistung und nicht primär das Resultat einer medikamentösen Strategie. Es gibt kein Rauchstoppmedikament, welches dazu führt, dass «es plötzlich nicht mehr raucht». Bei einem adäquat gewählten Schmerzmittel darf man erwarten, dass die Schmerzen für die Dauer der Medikamentenwirkung vollständig verschwinden. Diese «einfache» Art der Problembehandlung gibt es für Rauchende nicht. Es braucht immer eigenes Zutun, Eigeninitiative, Anwendung von (erlernten) Strategien und Verhaltensänderung, damit eine langjährige Gewohnheit und Sucht definitiv überwunden werden kann.

Je nach Begleitdiagnosen, Eignung und Einstellung der Patienten werden Wirkungsweisen und die Einnahme der oben genannten Medikamente erklärt sowie mögliche Nebenwirkungen erläutert und mögliche Kontraindikationen geprüft. Nicht selten erscheinen mögliche Nebenwirkungen den Patienten plötzlich inakzeptabel. Manchmal hilft es dann, auf die «Nebenwirkungen» oder Folgen der Tabakzigarette hinzuweisen, welche ohne langen Beipackzettel verkauft wird, obwohl die Liste der schädlichen Effekte lang ist.
Gegen Ende der ersten Beratung sollen die Patienten drei Skalen-Fragen beantworten. Er/sie soll sich festlegen, wo er/sie sich auf einer Skala von 0–10 bezüglich Wichtigkeit, Zuversicht und Bereitschaft (für den Rauchstopp) zum aktuellen Zeitpunkt einstuft. Wir besprechen die momentane Einstellung/Einstufung anhand der Antworten. Auch hier können Fragen aus dem MI-Katalog helfen, Patienten dahingehend zu motivieren, dass sie sich ihrer Stärken und Fähigkeiten bewusst werden, indem sie diese herleiten und aussprechen. Patienten erhalten zusätzlich ein doppelseitiges Handout mit Rauchstopptipps für COPD-Patienten, damit sie wichtige Informationen (3) selbst nachlesen können.

Die Beratung endet mit aktuellen Fragen. Wir wollen von den Patienten wissen, ob das weitere Vorgehen nachvollziehbar und erste Schritte umsetzbar erscheinen und/oder zu welchem ersten Schritt sie sich aktuell imstande fühlen. Damit soll vermieden werden, dass Patienten einen zu grossen «Berg» vor sich sehen, sondern erkennen, dass der Prozess aus mehreren Etappen besteht, durch die sie begleitet werden, selbst Verantwortung übernehmen und das Tempo der einzelnen Schritte mitbestimmen dürfen.

Schwerpunkte in der 1. Beratung (abhängig von der Ausgangslage des Patienten)
– Vorstellen des Rauchstopp-Programms
– Fokussierte Anamnese, inkl. Fagerström-Test
– Wo steht die rauchende Person im Prozess? (Zuordnung im Transtheoretischen Modell nach Prochaska/Di Clemente, 1982), Haltung/Erwartungen/Erfahrungen
– Erfahrungen mit NRT?
– Informationsvermittlung/Patientenedukation: Komponenten der Tabakabhängigkeit, Grundsätze der Verhaltensänderung, erfolgreiche und bewährte Strategien (Beratung, verschiedene Medikamente, Komplikationen und Rückschläge möglich, erste Zieldefinition, regelmässige Beratungen wahrnehmen)
– Individualisierte Strategie – inkl. Empfehlung bezüglich Medikament mit erwarteten Vorteilen
– Hauptmotivation/«Guter Grund» für Rauchstopp
– Motivationswaage (Pros und Cons Rauchen/Nichtrauchen)
– Rauchprotokoll
– Thematik Alternativhandlungen
– Zuversicht/Wichtigkeit/Bereitschaft
– Ziele
– CO-Messung
– Festlegung eines Folgeberatungsdatums und ggf. Rauchstopptages

Die Zweitberatung/Folgeberatung (Zeitaufwand 30–45 Min.)

Die Zweitkonsultation steht unter dem Motto: erste Schritte zur Verhaltensänderung (changing your habits). Nach der Begrüssung ist die Einstiegsfrage in der Regel «Wie ist es gegangen?» oder offener formuliert «Berichten Sie mir, was seit unserer ersten Sitzung passiert ist». Die Art und Weise der Berichterstattung sowie der Inhalt der Antworten können aufschlussreich sein. Den Patienten ist unbedingt genügend Redezeit zu geben, damit sie ihre Situation mit eigenen Worten beschreiben können. Allenfalls sind kurze Ergänzungsfragen oder konkrete Nachfragen notwendig, um die Beschreibung der ersten Erfahrungen zu komplettieren und richtig zu verstehen. Was hat sich verändert? Ist der Rauchstopp schon erfolgt, oder sind Sie noch in der Vorbereitungsphase? Wie reagiert Ihre Umgebung auf die Verhaltensänderung? Wie transparent wird der Prozess gegenüber dem Arbeitsumfeld kommuniziert? In welchen Situationen konnten Zigaretten vereinzelt oder gänzlich weggelassen werden? Werden Entzugserscheinungen wahrgenommen?

Welche Situationen wurden als schwierig empfunden? Welche Situationen konnten gut gemeistert werden? Insbesondere erfolgreich bewältigte Situationen sollen vom Patienten detailliert und repetitiv über die gesamte Beratungsdauer hinweg beschrieben werden. Es lohnt sich, den dafür notwendigen zeitlichen Raum zu geben. Mit jeder erfolgreichen Bewältigungsreaktion wird die Selbstwirksamkeit der Patienten erhöht. Sie bildet eine neue Grundlage für weitere erfolgreich zu bewältigende Situationen. Damit lässt sich das Rückfallrisiko senken (vgl. Rückfallmodell Marlatt & Gordon, 1985).

Nach einem ersten Erfahrungsbericht der Patienten wird das Rauchprotokoll (Selbstbeobachtung) gemeinsam besprochen und analysiert, und damit werden Tendenzen und Muster erkannt und isoliert betrachtet. Die Ergebnisse bilden eine wichtige Basis für den weiteren Beratungsprozess.

Die Besprechung der bearbeiteten Motivationswaage gibt ebenfalls Aufschluss über mögliche Ambivalenzen, den Motivationsstand, über Zuversicht und Bedenken und ist wegleitend für den weiteren Verlauf der Beratung.

Eine Besprechung der Alternativhandlungen (Ablenkungen) sowie «Wenn-Dann-Pläne» für konkrete Handlungen, Orte, Zeiten oder Emotionen, welche bislang mit einer Zigarette verbunden sind, zeigen ebenfalls auf, wie- weit sich Patienten bereits mit dem Prozess auseinandergesetzt haben. Bei Patienten mit eher niedriger Motivation oder gar Absichtslosigkeit finden sich in der Regel noch keine Ergebnisse, bei höherem Engagement und höherer Motivationsstufe ist die Auseinandersetzung aufgrund der bereits ausgefüllten Alternativhandlungen oder Ideen dazu erkennbar. Themen können aufgenommen und ggf. gemeinsam weiterentwickelt und konkretisiert werden. Bei vereinzelten Patienten muss zu diesem Zeitpunkt nochmals erläutert werden, was der eigentliche Sinn dieses «Werkzeugs» ist, dass es letztlich um Entkoppelung alter Verbindungen und das Erlernen und Etablieren neuer Verbindungen geht.

Die Übersicht über Tipps für Hand, Mund, Kopf und Körper kann Inspiration und Ideen liefern zu praktischen Ablenkungsmassnahmen.
Tun sich Patienten schwer damit, sich auf Veränderungen festzulegen, können als erster Schritt ein- bis zwei Situationen definiert werden, in denen die Patienten den Einsatz von Alternativhandlungen ausprobieren könnten. Darauf aufbauend, können im Verlauf weitere Schritte dazukommen.

Erfahrungsgemäss bringen nicht alle Patienten den Handlungsplan zu Folgeberatungen mit. Dies kann ein Hinweis sein auf mangelndes Interesse oder darauf, dass dieses In­strument in der Form nicht zusagt. Ggf. können alternativ andere Vorgehensweisen, jedoch im Prinzip mit gleichem Inhalt, gewählt werden.

Je nachdem müssen Patienten aber auch daran erinnert werden, die Themen zu erarbeiten und den Handlungsplan mitzubringen. Andererseits gibt es aber auch Patienten, die den Handlungsplan detailliert erarbeiten und mit vorbereiteten Fragen in die Folgeberatung kommen.

Überprüfung Medikation

Je nachdem haben Patienten zum Zeitpunkt der Folgeberatung schon mit der Einnahme begonnen und erste Erfahrungen gemacht. Wir fragen nach Verträglichkeit, Wirkung und möglichen Nebenwirkungen und überprüfen die korrekte Anwendung (insbesondere bei NRT). Ggf. muss bei NRT die Dosierung angepasst oder bei Anwendungsschwierigkeiten erneut instruiert oder auf ein anderes, gleichwertiges Produkt gewechselt werden (z. B. Inhaler statt Kaugummi).

Wenn es um den Einsatz von Medikamenten geht, muss wiederholt erwähnt werden, dass diese lediglich eine Unterstützung im Rauchstopp-Prozess bedeuten: Die Hauptarbeit liegt bei den Patienten.

Planung des Rauchstopptages

«Quit Day» mittels Notizen zum Tagesablauf (Abb. 5, Mein Rauchstopptag). Patienten bestimmen wann der Rauchstopptag stattfindet. Je nach Situation kann ein konkreter Vorschlag vereinbart werden. Es empfiehlt sich, den Rauchstopptag und die ersten Tage danach konkret und detailliert zu planen, um unerwartete und damit unvorbereitete (Hochrisiko-)Situationen möglichst zu vermeiden. Unterstützend kann das Merkblatt «Checkliste Vorbereitung für den Rauchstopp» hinzugezogen werden.

Inhaltliche Vorschläge sind: Einkaufsliste schreiben mit Produkten, die den Rauchstopp unterstützen sollen (Getränke, Obst, Gemüse, Kaugummis, Bonbons, Süssholz, evtl. Nikotinersatzprodukte, neue Laufschuhe u.v.m.).

Planung von bewussten Ablenkungsaktivitäten: Verabredung mit Familie/Freunden (gemeinsame Aktivitäten, Wellness, Kino, Theater …), Massagetermine vereinbaren u.v.m.

Spuren des Rauchens entfernen: Sämtliche Zigarettenvorräte, Feuerzeuge, Aschenbecher entfernen. Haustextilien waschen (ggf. Abgabe des Merkblatts zu Third Hand Smoke), Auto grundreinigen lassen, Termin für professionelle Zahnreinigung vereinbaren etc. Diese minutiöse Planung dient einer Risikominimierung und Vorbeugung von schwer «handelbaren» Craving-Situationen oder zur Überbrückung von Zeitfenstern, in denen man nicht weiss, was ohne Zigarette zu tun ist. Falls Patienten noch nicht so weit sind mit der Festlegung des Rauchstopptages, kann man ankündigen, das Thema bei der nächsten Beratung wiederaufzunehmen.

Erfahrungsgemäss gibt es ein ca. zweiwöchiges Zeitfenster von erhöhter Motivation für einen Rauchstopp. Anschliessend beginnt die Motivation etwas abzuflauen. Der Quit Day sollte also nicht zu weit hinausgeschoben werden. Verhandeln Patienten das Rauchstoppdatum wiederholt, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass die Bereitschaft, den Rauchstopp konkret umzusetzen, tief ist. Ggf. müssen in solchen Fällen neue Zwischenziele definiert werden. Der Beratende sollte konkret nachfragen, wo aktuell noch Hürden oder Bedenken bestehen. Darauf folgt die Frage, welche Massnahmen oder Umstände die Motivation und Zuversicht zu steigern vermögen.

Möglicherweise zu erwartende Entzugssymptome werden besprochen. Dabei kann das Merkblatt «Entzugserscheinungen nach einem Rauchstopp» abgegeben werden. Es gibt eine Übersicht über mögliche Symptome, deren ungefähre Dauer und Bewältigungstipps.

Die Sitzung endet mit der Frage nach der aktuellen Zuversicht und nach konkreten nächsten Schritten, die realistisch umsetzbar sind.

Schwerpunkte in der 2. Beratung (zusammenfassend)
– Feedback
– Auswertung Protokoll, Motivationswaage, Alternativhandlungen
– Schwierige/gut gemeisterte Situationen/Feedback aus Umfeld
– Erste neue Gewohnheiten
– Tipps für Hände, Mund, Kopf und Körper
– Vorbereitung des Rauchstopptages, die ersten 24–48 Stunden
– CO-Messung
– Festlegung eines Folgeberatungsdatums, Notfallmassnahmen besprechen, Notfallkarte mitgeben

3. Beratung (Zeitaufwand ca. 30 Min.)

Erneut erfolgt ein Rückblick auf die Zeit seit der letzten Beratung. Fragen der Patienten werden geklärt und Erfahrungen besprochen. Falls noch nicht geschehen, wird die Festlegung des Rauchstopptages erneut besprochen und wenn möglich definiert. Falls der Rauchstopptag schon vorbei ist, fragen wir nach dem Abstinenzerfolg.Welche Situationen konnten gut gemeistert werden? Wo greifen die Ressourcen? Wo sind Hindernisse vorhanden? Wo sind Verhaltensanpassungen erforderlich? Welche Situationen bedürfen besonderer Aufmerksamkeit? Welche möglichen Entzugssymptome sind aufgetreten? Wie wurden sie wahrgenommen? Was konnte dagegen unternommen werden? Welche Situationen haben sich als weniger schlimm erwiesen als befürchtet? Gab es unerwünschte Wirkungen der Medikamente?

Besprechung des Craving-Ampelmodells: Gedanken ans Rauchen können in 3 Stufen eingeteilt werden: Grün, Gelb und Rot. Gedanken ans Rauchen sind normal. Die Frage ist, wie stark sie eine Situation dominieren. Bei «Grün» wird der Gedanke wahrgenommen, er ist aber nicht quälend und vergeht rasch wieder. Bei der Farbe «Gelb» bleibt der Gedanke ans Rauchen hartnäckig, und es muss aktiv auf Bewältigungsstrategien zurückgegriffen werden. Dies in Form von Ablenkungen oder gezielten Beschäftigungen, wie beispielsweise Atemübungen. Quälende Gedanken, die sich kaum verdrängen lassen und unüberwindbar erscheinen, werden dem «roten» Bereich zugeordnet. In solchen Situationen kommen die Notfallmassnahmen (Abb. 6) zum Tragen. Wir geben eine Notfallkarte ab. Sie enthält Kontaktdetails der beratenden Personen (Pflegefachperson und Arzt) und auf der Rückseite die Notfallmassnahmen.

Welche körperlichen Veränderungen werden wahrgenommen? Was hat sich bisher verändert? Welche sozialen Reaktionen wurden erfahren? Wie ist der Umgang mit Hochs und Tiefs? Auf welche Unterstützung kann gezählt werden? Welche sind konkrete nächste Schritte?

Schwerpunkte in der 3. Beratung (zusammenfassend)
– Feedback Abstinenzerfolge
– Positive Veränderungen
– Entzugssymptome/Gegenmassnahmen
– Ampelmodell des Suchtdrucks
– Zuversicht
– CO-Messung
– Folgeberatungsdatum fixieren

4. Beratung (Zeitaufwand 20–30 Min.)

Erneut erfolgt ein Rückblick auf die Zeit seit der letzten Beratung. Fragen werden geklärt und Erfahrungen besprochen. Die Patienten werden aufgefordert, Situationen zu beschreiben, die sie gut gemeistert haben. Rauchfreiheit wird gewürdigt und zum Abstinenzerfolg gratuliert. Die Beratenden fragen nach Veränderungen, welche seit dem Rauchstopp spürbar und wahrnehmbar sind. Ggf. führen sie den Patienten die Anzahl rauchfreier Tage vor Augen und honorieren diese. Wie viel Geld konnten sie so einsparen? Mögliche Stolpersteine werden thematisiert. Es wird zwischen einem Vorfall, einem einmaligen Ausrutscher («slip»: ohne ins alte Muster zurückzufallen) und einem Rückfall («relapse»: gleiches Verhaltensmuster wie vor dem Rauchstopp) unterschieden. Gemeinsam wird besprochen, wie sich Rückfälle vermeiden lassen, wie sie im Falle eines Eintretens zu bewältigen sind und welche Konsequenzen daraus für zukünftige Situationen abzuleiten sind. Patienten sollen eigene Strategien erarbeiten und formulieren.

Thematisierung Trigger
Dabei geht es um die Vergegenwärtigung potenzieller Situationen, die mit Rauchen in Verbindung gebracht werden könnten und die somit ein erhöhtes Risiko für Vor- oder Rückfälle darstellen. Mögliche Trigger können bestimmte Tageszeiten, bestimmte Orte, verschiedene Tätigkeiten oder bestimmte Emotionen sein (Abb. 7, Triggersituationen). Wir erklären, wie wichtig es ist, eigene, individuelle Auslöser zu kennen. So kann man sich im Vorfeld auf riskante Situationen vorbereiten und unangenehme Überraschungen vermeiden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch das Wissen um und das Vertrauen auf persönliche Bewältigungsstrategien und die Vergegenwärtigung bereits positiv bewältigter Situationen.

Patienten werden zudem auf das Risiko einer gewissen Gewichtszunahme angesprochen (nach dem Rauchstopp durchschnittlich zwischen 3 und 5 kg). Wir erklären, warum der Körper im Durchschnitt ca. 200 kcal pro Tag weniger verbraucht. Falls erwünscht, machen wir zur Ernährung Vorschläge, z. B. bevorzugt Obst und Gemüse statt Schokolade essen, viel Wasser oder ungesüssten Tee trinken, die Wahl der Kohlenhydrate beachten (eher dunkles Mehl bzw. Vollkorn bevorzugen als Weissmehlprodukte) und Bewegungseinheiten im Alltag steigern. Auf Wunsch der Patienten oder nach Ermessen des Behandlungsteams kann auch die Ernährungsberatung einbezogen werden.

Inzwischen konnte seit dem Rauchstopp ein gewisser Betrag an Geld eingespart werden. Dieses Thema kann zu Motivationszwecken individuell vertieft werden. CO-Messung und Frage nach der Zuversicht, ggf. wird auf frühere Angaben hingewiesen. Es werden nächste Schritte und Schwerpunkte definiert.

5. Beratung (Zeitaufwand 20–30 Min.)

Erneut erfolgt ein Rückblick auf die Zeit seit der letzten Beratung. Fragen werden geklärt und Erfahrungen besprochen. An diesem Punkt werden die Themen Aufrechterhaltung der Nikotinabstinenz und erneut Vermeidung von Vor- und Rückfällen besprochen. Körperliche Veränderung über den Verlauf der Beratungen werden thematisiert. Der Abstinenzerfolg wird gewürdigt. Auf den Prozess der erfolgten Rauchentwöhnung zurückzublicken kann hilfreich sein, um einzelne wichtige Themen nochmals zu erörtern sowie positive Erfahrungen zu benennen und zu verinnerlichen. Patienten erkennen ihre Leistung, die sie in diesem Prozess erbracht haben, und fühlen sich befähigt, in eine rauchfreie Zukunft zu gehen. Im Weiteren geht es um die Thematisierung der neuen Identität als nicht rauchende Person. Auf Wunsch wird erneut eine CO-Messung gemacht, insbesondere dann, wenn seit dem Quit Day schon drei Monate vergangen sind.
Das Thema finanzielle Einsparungen kann noch einmal aufgenommen werden. Man kann beispielsweise empfehlen, das eingesparte Geld bewusst zu sparen und für etwas ganz Besonderes auszugeben, das man sich sonst nicht leisten würde. Den Patienten soll die Summe des eingesparten Geldes bewusst gemacht werden.

Ziel ist es, dass Patienten zuversichtlich, mit hoher Selbstwirksamkeit und dem Wissen um die Umsetzung von Bewältigungsstrategien in diversen Lebenslagen die Rauchstoppberatung abschliessen können.

Weitere Beratungstermine

Manchmal werden weitere Beratungstermine benötigt, insbesondere wenn der effektive Rauchstopp erst verzögert umgesetzt wurde. Ziel ist es immer, die Patienten über die ersten drei Monate nach einem Rauchstopp hinaus zu begleiten, wenn sich Bewältigungsstrategien, neue AlltagsAbläufe und Rituale festigen. Für Patienten kann diese zeitlich ausgedehnte «externe Verbindlichkeit» hilfreich sein, um in Hochrisikosituationen weiterhin abstinent zu bleiben.

Abschluss

Wir bieten an, auf Wunsch weiterhin zur Verfügung zu stehen. Wir geben ggf. die Nummer der nationalen Rauchstopplinie an (https://stopsmoking.ch/) und motivieren Patienten, frühzeitig externe Hilfe in Anspruch zu nehmen, falls erneute Schwierigkeiten zur Aufrechterhaltung der Rauchfreiheit eintreten sollten. Hierzu können sich Patienten auch niederschwellig per E-Mail mit der Rauchstoppberaterin in Verbindung setzen. Wann immer möglich wird versucht, den Rauchstatus nach 3 Monaten zu objektiveren (CO-Messung). Manchmal gibt es alternative Überprüfungsmöglichkeiten im Spitalsetting, z. B. arterielle Blutgasanalysen ohne erhöhten CO-Nachweis. Dies sind Bestimmungen, die im Kontext anderer medizinischer Indiktionen vorgenommen werden und uns zur Objektivierung des Rauchstopperfolges dienlich sind.

12 Monate nach Datum des Rauchstopps erfolgt ein telefonisches Follow-up. Dabei wird der Rauchstatus erfragt und dokumentiert. Sollten Patienten noch immer oder wieder erneut rauchen, wird der Zeitpunkt genutzt, um niederschwellig eine Wiederaufnahme der Beratungen anzubieten. Sind Patienten über die 12 Monate hinweg rauchfrei geblieben, berichten sie erfahrungsgemäss gerne vom neuen Lebensgefühl als Nichtraucherin oder als Nichtraucher.

Jenseits der Standardsituation / Grenzen der Rauchstoppberatung

Schwangere

Schwangeren wird zu Recht geraten, mit dem Rauchen gänzlich aufzuhören. Fortgesetztes Rauchen ist mit erhöhten Risiken für die Schwangere und das ungeborene Kind assoziiert. Beachtlich viele Frauen hören mit dem Rauchen auf, wenn sie erfahren, dass sie schwanger sind. Frauen in der Frühschwangerschaft, die es auf Anhieb nicht schaffen, den Tabak- und Nikotinkonsum aus eigener Kraft einzustellen, sind meistens motiviert, professionelle Unterstützung anzunehmen. Die besten Resultate werden bei diesen Frauen erreicht, wenn ihnen ein finanzieller Anreiz gegeben wird. Es kann eine Prämie (Geld) ausgezahlt werden, wenn der Rauchstopp für eine längere Zeit eingehalten wird. In der Schwangerschaft ändert sich der Nikotinmetabolimus, sodass z.T. eine erhöhte Nikotinzufuhr die Folge ist. Dies gilt es zu bedenken, wenn Nikotinersatz eingesetzt wird. Nikotin aus registrierten Nikotinersatzprodukten ist gesundheitlich besser als fortgesetzter Tabakkonsum. Das Beste ist der komplette Rauch- und Nikotinstopp (5, 6, 7).

Psychische Erkrankungen

Bei instabilen psychischen Situationen, z. B. schwerer Depression oder Schizophrenie, führen wir eine orientierende Beratung durch. Wir empfehlen dann eine psychiatrische Betreuung, bevor die Rauchstoppberatung weitergeführt wird. Ggf. erfolgt die Wahl und Dosierung unterstützender Rauchstoppmedikamente in Absprache mit dem behandelnden Psychiater / der behandelnden Psychiaterin. Sozial, psychisch oder emotional sehr stark belastete Menschen bewegen sich oft in komplexen Problemkreisen, wobei das Rauchen gewissermassen symptomatisch als zentrale Bewältigungsstrategie empfunden werden kann und der Gesundheitskontext zweitrangig ist. Bei solchen Personen kann die Empfehlung zum Rauchstopp eine schier unüberwindbare Hürde darstellen.

In solchen Fällen wird nicht auf einen Rauchstopp insistiert, sondern Verständnis gezeigt. Den Patienten wird das Angebot einer weiteren Beratung unterbreitet für die Zeit, wenn sich die Lebenskrise oder die momentane Situation gebessert hat. Allein das Gespräch übers Rauchen und über die aktuelle Belastungssituation kann unterstützend wirken. Es wird vereinbart, dass eine Folgeberatung oder eine telefonische Kontaktaufnahme durch uns geschieht, und ein Zeitpunkt dafür festgelegt, z. B. in sechs Monaten. Bei motivierten Patienten, die psychisch stabil eingestellt sind, kommen die klassischen Rauchstoppmedikamente ohne signifikante Erhöhung von Komplikationen zur Anwendung (8). Sind die Voraussetzungen weniger günstig, kann auch einmal eine Schadensminderungsstrategie, z. B. Benützung des Inhalers zur Reduktion der Anzahl gerauchter Zigaretten, ausnahmsweise zur Anwendung kommen.

Terminale Patienten / palliative Situationen

Es ist verständlich, dass Patienten mit beispielsweise Krebserkrankungen z. T. einen Rauchstoppwunsch haben. Bei gewissen Tumoren ist die Ansprechrate auf die Therapie deutlich besser nach einem Rauchstopp (verbesserte Durchblutung des Tumorgewebes bei Systemtherapien) (9). Wir beraten und behandeln auch diese Patienten bei einem Rauchstoppwunsch.

Danksagung
Wir möchten Eveline Rutz für die sprachliche Durchsicht und Korrekturen danken.

PD Dr. med. Macé M. Schuurmans

Klinik für Pneumologie
Leitung Rauchstoppsprechstunde
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

mace.schuurmans@usz.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Ärztliche Rauchstoppberatung. Die Dokumentation für die Praxis. Jacques Cornuz, Isabelle Jacot-Sadowski, Jean-Paul Humair. 3. Auflage. Frei von Tabak, 2016
2. Tabakkonsum und Tabakabhängigkeit. Christoph B. Kröger, Bettina Lohmann. 1. Auflage. Hogrefe Verlag, 2007
3. Macé M. Schuurmans, Marc Müller, Jürg Pfisterer, Carole Clair, Werner
Karrer. Rauchstopp für COPD Patienten. Schweiz Med Forum 2015;15(49):1155-1158
4. Macé M. Schuurmans, Anne-Katharina Burkhalter und Jean-Pierre Zellweger
Rauchstopp-Beratung für die Praxis Evidenz-basierte Informationen und erfahrungsmedizinische Tipps.
Psychiatrie 2•2009
5. Elisabeth Biewald, Denise Casanova, Macé Schuurmans. Individuelle Rauchstoppberatung Persönlicher Handlungsplan, Verein Lunge Zürich, The Circle 58, 8058 Zürich-Flughafen. Bildmaterial LUNGE ZÜRICH: Konzepte erarbeitet durch die Autoren dieses Aritkels.
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8. Correa JB, Lawrence D, McKenna BS, Gaznick N, Saccone PA, Dubrava S, Doran N, Anthenelli RM. Psychiatric Comorbidity and Multimorbidity in the EAGLES Trial: Descriptive Correlates and Associations With Neuropsychiatric Adverse Events, Treatment Adherence, and Smoking Cessation. Nicotine Tob Res. 2021 Aug 29;23(10):1646-1655. doi: 10.1093/ntr/ntab056. PMID: 33788933; PMCID: PMC8521682.
9. Chellappan S. Smoking Cessation after Cancer Diagnosis and Enhanced Therapy Response: Mechanisms and Significance. Curr Oncol. 2022 Dec 17;29(12):9956-9969. doi: 10.3390/curroncol29120782. PMID: 36547196; PMCID: PMC9776692.

Praktische Empfehlungen zur Nachbetreuung nach Myokarditis

Die Myokarditis ist eine heterogene inflammatorische Erkrankung des Myokards, welche ätiologisch, pathophysiologisch und nicht zuletzt in der klinischen Präsentation stark variiert. Diese drei Aspekte beeinflussen den Verlauf und die Prognose der Erkrankung. Am häufigsten ist die viral bedingte akute Myokarditis, die meist einen unkomplizierten Verlauf und eine gute Prognose aufweist. Therapieoptionen sind limitiert und spezifische Behandlungen beschränkt auf spezielle Formen der Erkrankung. Diese Zusammenfassung soll mit Blick auf klinisch relevante Hintergrundinformationen zum Krankheitsbild eine praktische Anleitung für das Management in der Nachsorge geben.

Practical recommendations for follow-up care after myocarditis Myocarditis is a heterogeneous inflammatory disease of the myocardium that varies greatly in terms of aetiology, pathophysiology and clinical presentation. These three aspects influence the course and prognosis of the disease. The most common is acute viral myocarditis, which usually has an uncomplicated course and a good prognosis. Therapeutic options are limited and specific treatments are restricted to specific forms of the disease. This summary is intended to provide practical guidance for the management of follow-up care with regard to clinically relevant background information on the clinical picture.
Key words: Acute myocarditis, heart failure, arrhythmia, sudden cardiac death, return to play

Akute Myokarditis: eine Uebersicht

Allgemein

Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Definition von 1995 (1) ist Myokarditis eine inflammatorische Erkrankung des Herzmuskels, die basierend auf etablierten histologischen, immunologischen (2,3) und immunhistochemischen (3) Kriterien diagnostiziert wird. Die europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) hat diese Definition übernommen (2).

Perimyokarditis oder Myoperikarditis: Ausräumen von Gerüchten

Perikarditis beschreibt die Entzündung des Herzbeutels und Myokarditis die des Herzmuskels. Diese Begriffe sind nur theoretisch trennbar, denn die Inflammation kennt keine anatomischen Grenzen und eine exakte Differenzierung der betroffenen Gewebestrukturen ist kaum möglich. Ueber die Bezeichnung der Mischformen bestehen oft Unsicherheiten. Im Gegensatz zu Patient/-innen mit Myoperikarditis haben die mit Perimyokarditis eine Einschränkung der linksventrikuären Ejektionsfraktion (LVEF) von <50% (2) und die Behandlung erfolgt gleich wie bei einer isolierten Myokarditis.

Diagnostik

Seit Einführung der Dallas-Kriterien für den histopathologischen Nachweis der Myokarditis (3) gilt die Endomyokardbiopsie als Goldstandard in der Diagnosestellung (Abbildung 1A). Jedoch hat es in den letzten zwei Dekaden seit Einführung und Entwicklung neuer Mittel – allem voran das Herz-Magnestresonanztomogramm (MRI) (Abbildung 1B) und kardiale hochsensitive Troponin T (hs-Trop-T) – eine Anpassung der diagnostischen Aufarbeitung gegeben. Die Kombination von Symptomen, Untersuchungsbefunden, Laborresultaten und kardialer Bildgebung mit transthorakaler Echokardiographie (TTE) und Herz-MRI, selten Positronen-Emissions-Tomographie (PET)-CT, ist in der klinischen Routine meist ausreichend, um die Diagnose zu stellen. Wir sprechen je nach Konstellation der Befunde von einer möglichen, wahrscheinlichen oder definitiven Myokarditis (4). Die Endomyokardbiopsie (EMB) bleibt schwerwiegenden Fällen vorbehalten, bei denen nach der Untersuchung eine therapeutische Konsequenz zu erwarten ist. Das Risiko für Komplikationen ist generell – wenn in Zentren mit Erfahrung für den Eingriff durchgeführt– gering (<1%), aber prinzipiell höher bei inflammatorischen Kardiopathien und bei linksventrikulärer Biopsie. Die EMB aus dem linken Ventrikel (LV) ist häufig bei allein linksseitigem Befall der Myokarditis nötig. Aufgrund der häufig fleckigen Verteilung der Entzündung ist der Stichprobenfehler meist hoch.

Herz-MRI: Diagnose und Prognose

Das Herz-MRI ist das zentrale nicht-invasive Tool für die Diagnosestellung und mithilfe der aktualisierten «Lake Louis Kriterien» (5) erreicht es eine Sensitivität von 88% und Spezifität von 96%. Dabei ist eine klare Differenzierung der Inflammation nicht möglich, doch können durch die regionale Verteilung mögliche Schlüsse auf die Aetiologie in Korrelation mit der Klinik gezogen werden, zum Beispiel die Beteiligung des basalen Ventrikelseptums bei kardialer Sarkoidose. Nicht zuletzt hilft das kardiale MRI bei der Prognoseeinschätzung für Patient/-innen mit vermuteter Myokarditis (Abbildung 2). So zeigt das Fehlen von late gadolinum enhancement (LGE) eine gute Prognose (6), während das Vorliegen von LGE in einer neueren Studie mit einer Verdoppelung der kardiovaskulären Ereignisse einherging (7).

Epidemologie

Vor der Covid-10 Pandemie betrug die globale Inzidenz der Myokarditis 1 bis 10 Fälle pro 100.000 Personen pro Jahr (8) mit dem grössten Erkrankungsrisiko für junge Männer im Alter von 20 bis 40 Jahre. Eine Zunahme dieser Zahlen ist – mit Verbesserung der «nichtinvasiven» diagnostischen Möglichkeiten und vermehrten Durchführung des Herz-MRIs für unkomplizierte Fälle – zu erwarten.

Pathophysiologie: das Drei-Phasen-Modell

Nach Kontakt mit einem auslösenden Pathogen, infektiös oder nicht-infektiös, kommt es zur Destruktion von Myozyten, entweder direkt durch einen toxischen Effekt oder indirekt durch das Auslösen autoreaktiver immunologischer Prozesse (Phase 1). In den meisten Fällen führt die Elimination der auslösenden Substanzen zur Heilung der Myokarditis, in anderen Fällen jedoch zur Autoantikörper-vermittelten Persistenz der Inflammation, was mit und ohne viraler Perisistenz vonstattengehen kann (Phase 2). Auch in diesem Stadium ist noch ein Uebergang zur Heilung möglich. Selten kommt es in Folge zur chronisch-inflammatorischen Kardiomyopathie mit anhaltender Destruktion und Remodelling des Myokards (Phase 3) und im späten Stadium kann eine dilatierende Kardiomyopathie ohne Nachweis von Mikroorganismen vorliegen. Ein genetischer Hintergrund, der die Neigung des Einzelnen zur Erkrankung an einer Myokarditis und/ oder zur Entwicklung der genannten Spätstadien definiert, wird vielfach diskutiert wie auch die überlappenden Kriterien mit bestimmten genetischen Kardiopathien (9). Die Kenntnis der möglichen Verläufe der akuten Myokarditis sind wichtig für die Planung der Nachsorge dieser Personen.

Präsentation und Behandlung

Das klinische Bild der akuten Myokarditis kann sehr variabel sein. Die Hauptmanifestationen sind «infarktähnlich» mit Thoraxschmerzen (97%) und ST-Streckenhebungen (62%) im Elektrokardiogramm (EKG) mit meist unkompliziertem Verlauf, das heisst anhaltend normaler LVEF, ohne Arrhythmien und mit transplantatfreiem Ueberleben (10). In einer geringeren Anzahl Fälle kommt es zu zunehmender Herzinsuffizienz, kardiogenem Schock bei fulminanter Myokarditis, lebensbedrohlichen Arrhythmien wie atrioventrikulärer (AV) Block oder anhaltende ventrikuläre Arrhtyhmien bis hin zum plötzlichen Herztod (sudden cardiac death, SCD).

Die kardialen Nekrosebiomarker high sensitive-Troponin-T (hs-Troponin-T), Creatinkinase (CK)-MB sowie N-Terminal pro-Brain (NT-pro-BNP) sind sehr häufig erhöht. Trotzdem schliessen tiefe Enzyme oder das Fehlen eine Myokarditis nicht aus. Die Höhe der Werte korreliert zumeist nicht mit dem Schweregrad der Erkrankung.

Zusammengefasst erfolgt die Behandlung der Myokarditis vor allem symptomatisch für die auftretenden Symptome oder supportiv entsprechend den jeweiligen Leitlinien für z.B. Herzinsuffizienz, Arrhythmien, Verhinderung von plötzlichem Herztod mit internem Defibrillator/ Kardioverter (ICD), falls nötig. In der Regel wird mit einer ICD Implantation oder auch Radiofrequenzkatheterablation von Kammertachykardien bis zur Ausheilung der Inflammation gewartet, allenfalls kann diese Zeit mit einer Life Vest überbrückt werden. Ausnahmen für eine frühe ICD Implantation bilden die kardiale Sarkoidose und die Riesenzellmyokarditis. Auch eine immunsuppressive Therapie ist diesen spezifischen Formen der Myokarditis sowie der eosinophilen und der Immuncheckpointinhibitor (ICI)-Myokarditis vorbehalten, nachdem behandelbare Ursachen wie parasitäre Erkrankungen bei der Eosinophilie ausgeschlossen bzw. die auslösenden Noxen entfernt wurden. Nur wenige Studien haben eine günstige Wirkung auf die Entwicklung der LVEF bei chronischer Myokarditis gezeigt und die Behandlung kann wegen fehlender Evidenz nicht empfohlen werden (11-13). In einem aktuellen Expertenkonsensusdokument der American Heart Association (AHA) wird zu der Gabe von 1g Solumedrol bei fulminanter Myokarditis mit hohem Verdacht auf eine immunmediierte Form noch vor weiterführender Diagnostik wie EMB zum Virenausschluss aufgerufen (20).
Im Klinikalltag wird häufig bereits ab einer LVEF < 50% oder auch normaler Pumpfunktion eine RASS Blockade in protektiver Absicht eingeleitet und ein Betablocker für alle Patient/-innen eingesetzt. Der Nutzen der Therapie für die Betroffenen hinsichtlich Remodelling, Fibrosebildung respektive Arrhythmien ist unklar. Eine Therapieempfehlung kann daher nicht ausgesprochen werden. Die Indikation für eine medikamentöse Herzinsuffizienztherapie sollte gemäss den Leitlinien der ESC gestellt und weitergeführt werden (14).
Jede Myokarditis sollte für mindestens 48 Stunden hospitalisiert werden, um die Dynamik der Erkrankung zu beobachten.

Nachsorge

Die Nachbetreuung der Patient/-innen mit Myokarditis umfasst die Beobachtung des Rückgangs der Beschwerden und des Verlaufs der Inflammation, um sekundär auftretende Komplikationen zu erfassen, die eine Aenderung der Behandlungsstrategie erfordern würden. Die Einschätzung des Risikos für Arrhythmien und der Entscheid bezüglich Rückkehr zu sportlicher Aktivität ist eine andere wichtige Aufgabe der Nachsorge dieser Patient/-innen. Die Nachsorgeplanung beginnt bereits im Spital mit der Risikoklassifizierung.

Risikoklassifizierung

Für das primäre Management und die Nachsorgeplanung hat sich eine Risikoeinteilung als hilfreich erwiesen, welche insbesondere die initiale Präsentation der Erkrankung berücksichtigt (4, 8). Bei fulminantem Verlauf oder Auftreten von Komplikationen müssen die Nachsorgetermine engmaschiger geplant werden. Limitierend sind vor allem relevante Herzrhythmusstörungen wie AV-Block, anhaltende Kammertachykardien, Kammerflimmern und Herzkreislaufstillstand im Spital oder auswärts. Gerade bei Sportler/-innen ist der plötzliche Herztod eine gefürchtete Manifestation der akuten Myokarditis und kann in jeder Phase der akuten Erkrankung auftreten (7).
Als Hochrisikofaktoren gelten Symptome der akuten Herzinsuffizienz inklusive kardiogener Schock, die Einschränkung der LVEF auf weniger als 40% und das Auftreten relevanter Arrhythmien wie ventrikuläre Tachykardien, Kammerflimmern oder AV-Block.Diese Menschen sollten an einem spezialisierten Zentrum behandelt werden, weil das Risiko für eine akute Verschlechterung der kardiorespiratorischen Situation des Patient/-innen hoch ist und allenfalls eine provisorische Schrittmacherstimulation oder eine mechanische Kreislaufunterstützung (MCS) erfordert. Bei der mechanischen Kreislaufunterstützung kommen Geräte wie der «extracorporale life support» (ECLS/ECMO) und/ oder eine temporäre linksventrikuläre axiale Kreislaufpumpe zum Einsatz.

Plötzlicher Herztod

Das Risiko für einen plötzlichen Herztod bei akuter Myokarditis korreliert nicht immer mit dem Schweregrad der myokardialen Inflammation und/ oder der Troponinkonzentration im Serum. Zwar wird die linksventrikuläre Dysfunktion als wichtigster Prognosemarker für «adverse events» gesehen, doch kann ein plötzlicher Herztod auch bei normaler LVEF auftreten und ist am häufigsten mit Tachyarrhythmien assoziiert. Die pathophysiologische Entstehung der Arrhythmien bei akuter Myokarditis ist vielfältig. Ein möglicher Erklärungsansatz ist die adrenerge Stimulation des inflammatorischen Myokards mit verändertem Milieu und Membranpotenial (19). Die Rückkehr zu sportli­cher Aktivität bzw. körperlich­er Anstrengung sollte erst nach voll­ständigem Ab­klingen der Ent­zündung erfolgen. In der kli­nischen Praxis gilt es, diesbezüglich auch die täglichen beruflichen Herausforderungen der Patient/-innen zu berücksichtigen; eine büroangstellte Person darf beispielsweise früher mit vollem Pensum zurück zur Ar­beit als ein Logistikmitarbeiter, der schwere Lasten heben muss.

Sportkarenz

Patient/-innen mit akuter Myokarditis wird die Empfehlung zur Sportkarenz für mindestens 3 bis 6 Monate in Anlehnung an die Vorgaben der europäischen Gesellschaft für Kardiologie (2) und Empfehlung der amerikanischen Gesellschaft für Kardiologie (4) ausgesprochen. Diese Empfehlung ist vor allem für Sportler/-innen, die an kompetitiven Wettkämpfen teilnehmen, gültig, unabhängig von Alter, Geschlecht und LVEF. Wegen fehlender Leitlinien für andere Patientengruppen – ausser Athleten – werden dieselben Richtlinien auch auf die Allgemeinbevölkerung angewandt.

Ein Modell (Abbildung 3)

Eine erste Kontrolle nach 1-4 Wochen dient in erster Linie der klinischen Verlaufsbeobachtung der Inflammation, denn häufig würde sich eine sekundäre Verschlechterung nach der Erstbeurteilung in diesem Zeitraum zeigen und ein Richtungswechsel des Managements könnte jetzt eingeleitet werden. Neben der anamnestischen Erhebung des Beschwerdeverlaufs erfolgt die Bestimmung der kardialen Biomarker und die Durchführung eines 12-Kanal-EKGs. Das in der Zwischenzeit durchgeführte Herz-MRI kann mit dem/der Patient/-in besprochen und eine bessere Einschätzung der Prognose als nach der ersten Risikobeurteilung erhoben werden. Nicht zuletzt ist diese Konsultation für die Patient/-innen wichtig, die bis anhin zumeist (herz)gesund waren, manche noch nie im Spital und nicht selten durch das Ereignis verunsichert sind. Es gilt, ihnen Sicherheit zu vermitteln und – insbesondere bei den am häufigsten unkomplizierten Verläufen – zu bestätigen, dass sie nach Abklingen der akuten Phase nicht beeinträchtigt sein werden. Der psychologische Aspekt und eine gute Aufklärung sind nicht unerheblich, insbesondere wenn die Patient/-innen Rezidive entwickeln.

Die Zweite Kontrolle erfolgt in der Regel nach 3 Monaten mit einem sogenannten «Triade Test», der 3 Untersuchungsmodalitäten umfasst: 12-Kanal-EKG, TTE, Troponinbestimmung. Die Rückkehr zur sportlichen Aktivität gilt als sicher, wenn zusätzlich keine relevanten Arrhythmien (anhaltende Kammertachykardien, AV-Block) in der 24 Stunden Rhythmusüberwachung und im kardialen Belastungstest vorkommen (15-17). Sofern ein Kriterium des Triade Tests pathologisch ausfällt oder Arrhythmien in einer Untersuchung nachgewiesen werden, gilt die Myokarditis als persistierend und weitere Verlaufskontrollen müssen folgen, z.B. nach weiteren 3 Monaten. Eine Erweiterung der diagnostischen und Aenderung der therapeutischen Strategie ist dann notwendig. In der Regel ist ein erneutes kardiales MRI und die Evaluation einer EMB zu empfehlen. Ein Sonderfall stellt die isolierte Erhöhung des Troponin-T dar. Differentialdiagnostisch muss an das Vorliegen heterophiler Antikörper, die mit dem Labor-Essay interferieren gedacht werden und die Bestimmung des ausschliesslich kardial exprimierten Troponin-I kann klären, ob es sich um einen laboranalytischen Fehler oder eine persistierende Inflammation handelt. Auch chronische Pathologien der Skelettmuskulatur führen zu einer Erhöhung des Troponin-T und müssen insbesondere in Hinblick auf systemische inflammatorische Erkrankungen mit myokardialer Beteiligung an dieser Stelle differenziert werden.

Nach Heilung der Myokarditis und Rückkehr des/der Patient/-in zu normaler körperlicher Aktivität muss die Entscheidung für die weiteren Nachkontrollen individuell, abhängig von der initialen Präsentation, dem klinischen Verlauf und zusätzlichen Befunden der kardialen Bildgebung wie Ausmass des Late Gadolinum Enhancements (LGE) und des Extrazellulärvolumens (ECV) im Herz-MRI getroffen werden. Bei unkompliziertem Verlauf sind zunächst jährliche Kontrollen mit Echokardiographie sinnvoll, später können die Abstände erweitert werden.

Fortsetzung der medikamentösen Therapie

Die Indikation für eine medikamentöse Herzinsuffizienztherapie sollte gemäss den Leitlinien der europäischen Gesellschaft für ­Kardiologie (ESC) 2023 (14) erfolgen und – insbesondere wenn anfangs nicht erfüllt – im Laufe der Nachsorgebehandlung in regelmässigen Abständen evaluiert werden. Nach Normalisierung der LVEF kann die Therapie formal sistiert werden. Eine partielle Fortsetzung, die sich nach den Komorbiditäten richtet, wie ACE-Hemmer bei Bluthochdruck oder Betablocker bei Vorhofflimmern, ist von dieser Empfehlung natürlich ausgenommen. Die häufig gestellte Frage nach der Dauer einer «empirisch» begonnen medikamentösen Herzinsuffizienztherapie bei einer LVEF >40% bleibt an dieser Stelle unbeantwortet.

Rehabilitation

In der akuten Phase der Myokarditis ist ein kardiales Rehabilitationsprogramm selbstverständlich obsolet, da den Patient/-innen schon moderate körperliche Aktivität untersagt ist. Doch kann es während der Phase der Sportkarenz rasch zu einer Dekonditionierung kommen und die Symptome der Herzinsuffizienz bei kardialer Inflammation gehen in Leistungsminderung über.
Das Wiedererlangen, der Erhalt und der Aufbau der muskulären Kondition sind unerlässlich für die Rekonvaleszenz. Bleibt dies aus, können im Verlauf Symptome der Dekonditionierung häufig nicht von kardialen unterschieden werden. Ein multimodales Trainingsmodell zur kardialen Rehabilitation hilft, dass die Patient/-innen das Selbstvertrauen in ihr Körpergefühl, die körperliche Fitness zurückerhalten. Die Integration einer kardiopsychologischen Unterstützung in diese Programme fördert die Rückkehr zur Aktivität dieser Personen.

Schlussfolgerung

Daten zum Thema Nachsorge für Patienten und Patientinnen mit akuter Myokarditis sind begrenzt. Wir halten uns generell an die Richtlinien der ESC von 2013 (2) und der amerikanischen Gesellschaft für Kardiologie (ACC) (4), die wir mit Hilfe von aktuellen Studien für unsere klinische Praxis adaptieren können.

Mit der Weiterentwicklung der kardialen Bildgebung, insbesondere dem Herz-MRI, sind mehr vielversprechende Untersuchungen zu erwarten, so dass eine weitere evidenzbasierte Verbesserung der Nachsorge von Patient/-innen mit Myokarditis wird folgen können.

Abkürzungen
AHA American Heart Association
AV-Block atrioventrikulärer Block
CT Computertomographie
ECLS/ECMO extracorporale life support
ECV extrazelluläres Volumen
EKG Elektrokardiogramm
EMB Endomyokardbiopsie
ESC europäische Gesellschaft für Kardiologie
hs-Troponin-T high-sensitive Troponin T
LGE Late Gadolinum Enhancement
LV linker Ventrikel
LVEF linksventrikuläre Ejektionsfraktion
MCS mechanische Kreislaufunterstützung
MRI Magnetresonanztomographie
NT-pro-BNP N-Terminal pro-Brain Natriuretic Peptide
PET Positronen Emissions Tomographie
SCD Sudden Cardiac Death

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Maryam Pavlicek-Bahlo

Inselspital, Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Kardiologie
Herz Gefäss Zentrum
Freiburgstrasse 20
3010 Bern

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die akute Myokarditis ist ein heterogenes Krankheitsbild; die häufigste Manifestation ist der akute Thoraxschmerz mit normaler LVEF und ohne Arrythmien mit meist folgenloser Ausheilung
◆ Die Behandlung erfolgt primär supportiv, eine Herzinsuffizienztherapie sowie Betablockerbehandlung, akut oder im späteren Verlauf, hat erst ab einer LVEF <40% nachweislichen Nutzen.
◆ Eine Risikoeinteilung für das Management initial und in der Nachsorge ist schon früh sinnvoll
◆ Hauptpfeiler der Nachsorgebehandlung sind regelmässige Verlaufskontrollen für die Beobachtung der Inflammation und die Bestimmung der Sportkarenzdauer
◆ Nach einem unauffälligen Triade Test mit EKG, Troponin-T, TTE sowie Belastungstest ohne auslösbare Herzrrhythmusstörungen ist eine Rückkehr zu sportlicher Aktivität nach frühestens 3 Monaten erlaubt.
◆ Bei Erkennen einer sekundären Verschlechterung (z.B. Abnahme der LVEF, Auftreten von Rhythmusstörungen, persistierend erhöhte oder steigende kardiale Biomarker) ist eine erweiterte Diagnostik mit erneutem Herz MRI, EMB und Abklärung von Erkrankungen aus dem rheumatologischen Formenkreis indiziert.

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Das Prostatakarzinom im Fokus am ESMO 2024

Die ESMO 2024 präsentierte bedeutende Fortschritte in der Nuklearmedizin mit einem Fokus auf innovative Ansätze zur Behandlung des Prostatakarzinoms. Besonders hervorgehoben wurde die Rolle von PSMA-gerichteten Radioligandentherapien (RLT) in Kombination mit Chemotherapie, die vielversprechende Ergebnisse in der Verbesserung der PSA-Kontrolle und Progressionsfreiheit zeigten. Die UpFrontPSMA- und SPLASH-Studien demonstrierten das Potenzial von Lutetium-177 PSMA-617 in verschiedenen klinischen Szenarien, während die PEACE-3-Studie die Kombination von Enzalutamid mit Radium-223 als vielversprechende Strategie für Patienten mit Knochenmetastasen evaluierte. Ergänzend untersuchte die RAPSON-Studie die Sequenzierung von Radium-223 und Docetaxel, um toxische Nebenwirkungen zu minimieren und die Lebensqualität zu verbessern. Die vorgestellten Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer präzisen Patientenselektion, optimaler Dosierung und Sequenzierung, um Therapieeffekte zu maximieren. Diese Entwicklungen markieren einen weiteren Schritt hin zu personalisierten Behandlungsansätzen und bieten neue Perspektiven für die klinische Praxis und zukünftige Forschung.

ESMO 2024 presented significant advances in nuclear medicine with a focus on innovative approaches for the treatment of prostate cancer. The role of PSMA-targeted radioligand therapies (RLT) in combination with chemotherapy was particularly emphasized, showing promising results in improving PSA control and freedom from progression. The UpFrontPSMA and SPLASH trials demonstrated the potential of lutetium-177 PSMA-617 in different clinical scenarios, while the PEACE-3 trial evaluated the combination of enzalutamide with radium-223 as a promising strategy for patients with bone metastases. In addition, the RAPSON study investigated the sequencing of radium-223 and docetaxel to minimize toxic side effects and improve quality of life. The results presented underline the importance of precise patient selection, optimal dosing and sequencing to maximize treatment effects. These developments mark a further step towards personalized treatment approaches and offer new perspectives for clinical practice and future research.
Key words: Nuclear medicine, prostate cancer, radioligand therapies, PET/CT imaging

Einleitung

Die diesjährige Jahrestagung der European Society for Medical Oncology (ESMO) brachte eine Vielzahl neuer Daten und Erkenntnisse im Bereich der Onkologie, insbesondere beim Prostatakarzinom. Besonders im Fokus stand die Nuklearmedizin, die in den letzten Jahren durch gezielte Radioligandentherapien (RLT) und funktionelle Positronen Emission Tomographie (PET) basierte Bildgebungsverfahren bedeutende Fortschritte gemacht hat. Insbesondere die PSMA (Prostata-spezifisches Membranantigen) gerichtete Therapie gewinnt zunehmend an Bedeutun

g in der Behandlung dieser Tumore, vor allem bei Patienten mit fortgeschrittenem, metastasiertem Prostatakarzinom.
Auf der ESMO 2024 wurden mehrere interessante RLT-Studien präsentiert, die das Potenzial von PSMA-gerichteten Radioliganden-Therapien in Kombination mit anderen systemischen Ansätzen, wie der Chemotherapie, untersuchten. Diese Studien heben die wachsende Bedeutung der RLT in der Krebsbehandlung hervor, bei der Patienten gezielt anhand von Bildgebungsverfahren, wie der PSMA PET/CT, ausgewählt werden, um die bestmöglichen Therapieergebnisse zu erzielen.

Ein zentrales Thema war die Kombination von PSMA-gerichteten Therapien mit Chemotherapie. Die am EMSO 2024 vorgestellte UpFrontPSMA-Studie hat erste Ergebnisse zur Wirksamkeit von Lutetium-177 PSMA-617 in Kombination mit Docetaxel beim Hormon-Sensitiven Prostatakarzinom gezeigt. Diese Kombination könnte in Zukunft eine bedeutende Rolle bei der Behandlung von Patienten mit hohem Tumorvolumen und PSMA-positiven Metastasen spielen, wobei erste Ergebnisse auf eine verbesserte PSA-Kontrolle und längere Progressionsfreiheit hindeuten.

Zusätzlich zu den PSMA-basierten Therapien wurde auch die Rolle von Radium-223 bei der Behandlung von Knochenmetastasen erneut untersucht. Die PEACE-3-Studie präsentierte neue Daten zur Kombination von Enzalutamid und Radium-223, die das Potenzial dieser Kombinationstherapie bei der palliativen Behandlung von Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) verdeutlichen.

Insgesamt präsentierte die ESMO 2024 spannende neue Entwicklungen in der onkologischen Nuklearmedizin, die das Potenzial besitzen, die klinische Praxis bei der zukünftigen Behandlung von Prostatakarzinomen zu verändern.

UpFrontPSMA-Studie: PSMA und Chemotherapie in der Erstlinienbehandlung

Die UpFrontPSMA-Studie ist eine multizentrische, randomisierte Phase-II-Studie, die sich auf die Behandlung von Patienten mit metastasiertem, hormonsensitivem Prostatakrebs (mHSPC) konzentriert. Ziel der Studie war es, die Wirksamkeit einer Kombinationstherapie aus Lutetium-177 PSMA-617 und Chemotherapie (Docetaxel) im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie zu untersuchen. Die Studie umfasste Patienten mit PSMA-positiven Tumoren, die mittels PSMA-PET/CT und FDG-PET/CT charakterisiert wurden. Patienten mit hoher PSMA-Aufnahme (SUVmax > 15) und hohem Tumorvolumen (einschliesslich viszeraler Metastasen und mindestens vier Knochenmetastasen) wurden in die Studie eingeschlossen. Patienten mit umfangreichen FDG-positiven, PSMA-negativen Läsionen wurden ausgeschlossen, um eine möglichst homogene Gruppe zu schaffen, die von der PSMA-Therapie profitieren könnte. Ein zentrales Ergebnis der UpFrontPSMA-Studie war die signifikante Verbesserung der PSA-Kontrolle bei den Patienten, die zwei Zyklen PSMA-617 gefolgt von sechs Zyklen Docetaxel erhielten, im Vergleich zur alleinigen Gabe von sechs Zyklen Docetaxel. Nach 48 Wochen zeigten diese Patienten eine deutlich höhere Rate an PSA-Kontrolle im Vergleich zur Gruppe, die nur mit Docetaxel behandelt wurde. Dies unterstreicht den potenziellen synergistischen Effekt der PSMA-Therapie in Kombination mit Chemotherapie bei ausgewählten Patienten mit mHSPC. Die Überlebensanalysen zeigten ebenfalls vielversprechende erste Ergebnisse. Die radiographische progressionsfreie Überlebenszeit (rPFS) war bei Patienten, die PSMA-617 in Kombination mit Docetaxel erhielten, in der ersten Interimsanalyse im Trend bereits deutlich besser, signifikant länger als in der reinen Chemotherapie-Gruppe (HR 0.58, CI 0.32 – 1.05, p = 0.067). Das Gesamtüberleben (OS) ist noch nicht vollständig ausgewertet, jedoch gibt es Hinweise, dass die hohe Crossover-Rate der Patienten die Analyse der Studie erschweren könnte. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Studie war die Bewertung der Lebensqualität und der Nebenwirkungen, wobei sich Lebensqualität in beiden Gruppen trotz der Kombination nicht unterschied. Die Kombination von Lutetium-177 PSMA-617 und Docetaxel führte zu keiner signifikanten Zunahme schwerwiegender Toxizitäten, abgesehen von leichter Mundtrockenheit (Grad 1–2) in der PSMA Gruppe und die Lebensqualität der Patienten blieb in beiden Gruppen der Studie weitgehend stabil.

Die UpFrontPSMA-Studie hat gezeigt, dass die Kombination von PSMA-617 und Docetaxel bei sorgfältig ausgewählten Patienten mit mHSPC eine effektive und gut verträgliche Behandlungsoption darstellt. Die Kombinationstherapie zeigt eine bessere Kontrolle des PSA-Werts, und ein erstes Signal zeigt, dass die untersuchte Kombination das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen könnte. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass PSMA-gerichtete Kombinationstherapien möglicherweise eine wichtige Ergänzung zur etablierten Chemotherapie darstellen, insbesondere bei Patienten mit hoher PSMA-Aufnahme und Tumorlast. Eine offene Frage bleibt jedoch, ob die zusätzlichen zwei Zyklen PSMA-617 eine echte synergistische Wirkung haben oder lediglich eine intensivere Therapie darstellen. Zukünftige Studien müssen klären, ob die Kombination von PSMA mit anderen Behandlungsmodalitäten, wie Immuntherapien (REF 1), möglicherweise noch bessere Ergebnisse liefert.

SPLASH-Studie: Untersuchung von Lutetium-177 PSMA I&T bei mCRPC-Patienten nach Progression Androgenrezeptor-gerichteten Therapie (ARPI)

Die SPLASH-Studie untersuchte Lutetium-177 PSMA I&T bei Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs (mCRPC), die nach einer Androgenrezeptor-gerichteten Therapie (ARPI) eine neue Behandlungsoption benötigten. Diese offene Phase-II-Studie hatte das Ziel, die Wirksamkeit und Sicherheit der PSMA-gerichteten Radioligandentherapie zu evaluieren und zu vergleichen. In die SPLASH-Studie wurden Patienten aufgenommen, die nach der Behandlung mit ARPI (wie Abirateron oder Enzalutamid) eine Progression zeigten und deren Tumore eine hohe PSMA-Expression aufwiesen. Die Studie wurde als randomisierte, offene Phase-II-Studie durchgeführt, wobei die Patienten entweder Lutetium-177 PSMA I&T erhielten oder in die Kontrollgruppe mit einer anderen ARPI (switch) eingeteilt wurden. Das Hauptziel der Studie war es, das progressionsfreie Überleben (PFS) zu untersuchen und zusätzliche Parameter wie die PSA-Ansprechrate sowie die allgemeine Lebensqualität der Patienten zu bewerten. Die SPLASH-Studie bestätigte die Wirksamkeit der PSMA-Therapie, jedoch schien die Effektivität im Vergleich zu früheren Studien, wie der PSMAfore-Studie, welche am ESMO 2023 vorgestellt wurde, weniger ausgeprägt zu sein (REF 2). Bei der Analyse des primären Endpunkts, dem bildgebend progressionsfreien Überleben (rPFS), zeigte sich eine Verlängerung der rPFS-Zeiten in der Lutetium-177 PSMA I&T-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe (9.5 Monate versus 6 Monate, HR 0.71, p = 0.0088). Die PSA-Ansprechrate war in der PSMA-Behandlungsgruppe ebenfalls höher, mit einer deutlichen Reduktion des PSA-Wertes um mehr als 50 % bei einem signifikanten Anteil der Patienten und einer Verlängerung der Zeit bis zum Wiederanstieg des PSA (7.0 versus 3.9 Monate, HR 0.58, p < 0.0001). Der Unterschied zwischen der PSMA-Therapie und den Kontrolltherapien war jedoch weniger ausgeprägt als in der PSMAfore Studie (12.0 Monate versus 5.6 Monate, HR 0.43, p<0.0001). Dies könnte teilweise auf die Wahl einer etwas geringeren Dosis (6,8 GBq in der SPLASH-Studie im Vergleich zu 7,4 GBq in der PSMAfore-Studie) und ein längeres Intervall (8 Wochen in der SPLASH-Studie im Vergleich zu 6 Wochen in der PSMAfore-Studie) zwischen den Zyklen zurückzuführen sein. Ein erheblicher Anteil der Patienten wechselte nach Progression in die PSMA-Behandlungsgruppe, was ebenfalls die Interpretation des Gesamtüberlebens (OS) erschwert. Statistische Anpassungsmethoden wie das rank-preserving structural failure time (RPSFT) Modell und die inverse probability of censoring weighted (IPCW) werden angewendet, um den Effekt des Crossovers zu korrigieren. Diese Analysen könnten helfen, den tatsächlichen Überlebensvorteil der PSMA-Therapie besser zu verstehen.

Die Behandlung mit Lutetium-177 PSMA I&T erwies sich insgesamt als gut verträglich. Die häufigsten Nebenwirkungen umfassten leichte gastrointestinale Symptome und hämatologische Toxizitäten. Schwere Nebenwirkungen traten nur bei einem geringen Anteil der Patienten auf, und es wurden keine neuen Sicherheitssignale im Vergleich zu früheren Studien beobachtet. Dies unterstreicht das günstige Nebenwirkungsprofil der PSMA-Therapie. Die SPLASH-Studie bestätigte die Wirksamkeit von Lutetium-177 PSMA I&T bei der Behandlung von Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs nach Progression unter einem ARPI. Obwohl die Ergebnisse im Vergleich zu früheren Studien weniger ausgeprägt erscheinen, bleibt die PSMA-Therapie eine vielversprechende Option für diese Patientenpopulation.

Zukünftige Studien sollten die optimale Dosis und das beste Behandlungsintervall der PSMA-Therapie untersuchen, da die Ergebnisse darauf hindeuten, dass diese Faktoren einen erheblichen Einfluss auf die Wirksamkeit haben könnten. Zudem sollte die Wahl des Kontrollarms in solchen Studien überdacht werden, um eine realistischere Vergleichsbasis für die Analyse der Überlebensvorteile zu schaffen.

PEACE-3-Studie: Enzalutamid und Radium-223 bei metastasiertem kastrationsresistentem
Prostatakrebs (mCRPC)

Die PEACE-3-Studie untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit der Kombination von Enzalutamid und Radium-223 bei Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs (mCRPC) und fortgeschrittenen Knochenmetastasen. Ziel der Studie war es, herauszufinden, ob diese Kombinationstherapie im Vergleich zur alleinigen Gabe von Enzalutamid Vorteile bietet, insbesondere in Bezug auf das Überleben und die Lebensqualität der Patienten. Die PEACE-3-Studie ist eine randomisierte, offene Phase-III-Studie, in der Patienten mit mCRPC und Knochenmetastasen entweder Enzalutamid allein oder in Kombination mit Radium-223 erhielten. Die Patienten in der Radium-223-Gruppe erhielten zudem bone-protecting-agents wie Denosumab oder Bisphosphonate, um das Risiko von Frakturen zu minimieren, ein Problem, das in früheren Studien (z.B. ERA-223 (Ref 3)) aufgetreten war. Die Ergebnisse der PEACE-3-Studie zeigen, dass die Kombination von Enzalutamid und Radium-223 eine vielversprechende neue Behandlungsstrategie für Patienten mit Knochenmetastasen bei mCRPC darstellt. In Bezug auf das progressionsfreie Überleben (PFS 19.4 Monate versus 16.4 Monate, HR 0.69 (CI 0.54 – 0.87), p = 0.009) und das Gesamtüberleben (OS 42.3 Monate versus 35 Monate, HR 0.69, p = 0.0034) ergab sich ein deutlicher Vorteil für die Kombinationstherapie im Vergleich zu Enzalutamid allein. Auch die Zeit bis zur nächsten systemischen Therapie sowie die Zeit bis zum Fortschreiten der Knochenschmerzen wurden durch die Kombinationstherapie verlängert (50.9 Monate versus 29.9 Monate, HR 0.57, p < 0.001). Allerdings war der Effekt auf die Schmerzprogression in der Kombination geringer als erwartet. Trotz der Zugabe von Radium-223, das besonders bei der Linderung von knochenbedingten Schmerzen in der Palliation sehr effektiv ist, gab es keinen signifikanten Unterschied in der Zeit bis zur Schmerzentwicklung zwischen den beiden Gruppen. Dies deutet darauf hin, dass die Rolle von Radium-223 möglicherweise auch in der direkt zytotoxischen Aktivität als nur in der akuten Schmerzlinderung liegt. Ein zentrales Thema der PEACE-3-Studie war die Frakturrate, die in der vorherigen ERA-223-Studie, in der Radium-223 mit Abirateron kombiniert wurde, zu einem erheblichen Sicherheitsproblem und zuletzt zum Studienabbruch führte. In der PEACE-3-Studie konnte dieses Risiko jedoch durch die gleichzeitige Verabreichung von insbesondere Denosumab, deutlich verringert werden. Die Frakturrate in der Radium-223-Gruppe war vergleichbar mit der Enzalutamid-Monotherapie, was auf die Wirksamkeit, der dieser Strategien hinweist. Insgesamt zeigte die Kombinationstherapie kein erhöhtes Risiko für andere schwerwiegende Nebenwirkungen im Vergleich zur Enzalutamid-Monotherapie. Radium-223 wurde gut vertragen, und es traten keine neuen Sicherheitssignale auf.

Die Ergebnisse der PEACE-3-Studie legen nahe, dass die Kombination von Enzalutamid und Radium-223 eine vielversprechende Behandlungsoption für Patienten mit mCRPC und Knochenmetastasen darstellen könnte, insbesondere für jene, die von einer knochengezielten Therapie profitieren könnten. Der signifikante Vorteil in Bezug auf das radiografisch progressionsfreie Überleben zeigt das Potenzial dieser Kombination zur Verzögerung der Tumorprogression. Die Integration von knochenschützenden Mitteln war offensichtlich ein entscheidender Faktor, um die Frakturrate zu senken, was die Sicherheit der Therapie erheblich verbessert hat.
Zukünftige Studien könnten sich darauf konzentrieren, die Rolle von Radium-223 weiter zu untersuchen, insbesondere in Kombination mit anderen systemischen Therapien oder in verschiedenen Krankheitsstadien. Zudem bleibt die Frage, warum die Kombinationstherapie nicht zu einer signifikanten Verbesserung der Schmerzlinderung geführt hat, obwohl Radium-223 bekanntlich in der palliativen Behandlung sehr wirksam ist.

RAPSON-Studie: Untersuchung der Sequenzierung von Radium-223 und Docetaxel bei mCRPC-Patienten

Die RAPSON-Studie, die auf dem ESMO 2024 präsentiert wurde, untersucht die Sequenzierung von Radium-223 und Docetaxel bei Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs (mCRPC) und Knochenmetastasen. Ziel dieser Studie war es, herauszufinden, ob es Unterschiede in der Wirksamkeit und Verträglichkeit gibt, je nachdem, ob Radium-223 vor oder nach Docetaxel verabreicht wird. In dieser Phase-II-Studie wurden Patienten mit mCRPC und Knochenmetastasen randomisiert, um entweder zunächst mit Radium-223 behandelt zu werden, gefolgt von Docetaxel, oder umgekehrt. Der Hauptfokus der RAPSON-Studie lag auf der Bewertung des progressionsfreien Überlebens (PFS) und der Gesamtüberlebensrate (OS) sowie der Lebensqualität und Toxizität, abhängig von der Reihenfolge der Therapien. Zum Zeitpunkt der vorgestellten Zwischenanalyse waren die Daten noch nicht ausreichend, um endgültige Schlussfolgerungen über die Überlegenheit einer Sequenz gegenüber der anderen zu ziehen. Die vorläufigen Ergebnisse zeigten jedoch, dass es zwischen den beiden Sequenzierungsansätzen hinsichtlich PFS und OS keine signifikanten Unterschiede gab. Es stellte sich aber heraus, dass die Sequenzierung eine Rolle bei der Hämatotoxizität spielte: Patienten, die zuerst Docetaxel und danach Radium-223 erhielten, hatten häufiger schwere Thrombozytopenien. Das deutet darauf hin, dass die Kombination dieser beiden Therapieformen eine sorgfältige Überwachung und möglicherweise angepasste Dosierungen erfordert, um Nebenwirkungen zu minimieren. Die RAPSON-Studie bewertete auch die Auswirkungen der beiden Therapiestrategien auf die Lebensqualität der Patienten mithilfe des FACT-P (Functional Assessment of Cancer Therapy-Prostate)-Fragebogens. Die Patienten, die zuerst Radium-223 erhielten, berichteten von einer geringeren Verschlechterung der Lebensqualität im Vergleich zu denen, die zuerst Docetaxel erhielten. Das könnte darauf hindeuten, dass Radium-223 eine vorteilhafte Erstbehandlung für Patienten mit symptomatischen Knochenmetastasen sein könnte, da es die Symptome besser kontrollieren kann, bevor eine systemische Chemotherapie verabreicht wird. Obwohl die RAPSON-Studie noch nicht genügend ausgereifte Daten vorlegen konnte, um eine klare Empfehlung zur idealen Sequenzierung von Radium-223 und Docetaxel abzugeben, deutet sie darauf hin, dass die Reihenfolge der Verabreichung insbesondere in Bezug auf die Toxizität wichtig ist. Die erhöhten Fälle von Thrombozytopenie in der Gruppe, die Docetaxel vor Radium-223 erhielt, lassen vermuten, dass eine umgekehrte Reihenfolge in einigen Fällen vorteilhaft sein könnte, um Nebenwirkungen zu reduzieren. Die endgültigen Ergebnisse der RAPSON-Studie könnten wichtige Hinweise darauf geben, wie mCRPC-Patienten mit Knochenmetastasen am besten behandelt werden, insbesondere hinsichtlich der Vermeidung von Nebenwirkungen und der Verbesserung der Lebensqualität. Zukünftige Studien, wie die DORA-Studie (NCT03574571), die ebenfalls die Sequenzierung von Docetaxel und Radium-223 untersucht, könnten zusätzliche Klarheit bringen und helfen, die Behandlung zu optimieren.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Niklaus Schaefer

Universitätsspital Lausanne – CHUV
Service de médecine nucléaire et imagerie moléculaire
Rue du Bugnon 46
1011 Lausanne

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Die Fortschritte in der Nuklearmedizin, die auf der ESMO 2024 vorgestellt wurden, zeigen vielversprechende Ansätze zur Veränderung der Behandlung von metastasiertem Prostatakrebs.
  • Die Kombination von gezielten Radioligandentherapien mit Chemotherapie und anderen systemischen Methoden ermöglicht eine potenziell effektivere Therapie. Es ist jedoch entscheidend, die optimalen Patientenselektionen, Dosierungsstrategien und Sequenzierungen zu bestimmen, um die Behandlungen zu verbessern.
  • Zukünftige Forschungsarbeiten werden sich darauf konzentrieren, diese Kombinationstherapien weiter zu verfeinern, um die Langzeitergebnisse zu optimieren, Nebenwirkungen zu reduzieren und die Lebensqualität der Patienten zu steigern.
  • Diese Entwicklungen stellen einen weiteren Fortschritt in Richtung einer personalisierten Krebstherapie dar, die die individuellen Bedürfnisse und Tumoreigenschaften jedes Patienten berücksichtigt und bieten eine Grundlage für die nächsten Schritte in der klinischen Forschung und deren Umsetzung in der Praxis.

1. 1. Aggarwal, R., Starzinski, S., de Kouchkovsky, I., Koshkin, V., Bose, R., Chou, J., Desai, A., Kwon, D., Kaushal, S., Trihy, L., Rastogi, M., Ippisch, R., Aslam, M., Friedlander, T., Feng, F., Oh, D., Cheung, A., Small, E., Evans, M., … Hope, T. A. (2023). Single-dose 177Lu-PSMA-617 followed by maintenance pembrolizumab in patients with metastatic castration-resistant prostate cancer: an open-label, dose-expansion, phase 1 trial. In The Lancet Oncology (Vol. 24, Issue 11, pp. 1266–1276). Elsevier BV.
2. 177Lu-PSMA-617 versus a change of androgen receptor pathway inhibitor therapy for taxane-naive patients with progressive metastatic castration-resistant prostate cancer (PSMAfore): a phase 3, randomised, controlled trial. Morris, Michael J et al. The Lancet, Volume 404, Issue 10459, 1227 – 1239
3. ERA 223: A phase III trial of radium-223 (Ra-223) in combination with abiraterone acetate and prednisone/prednisolone for the treatment of asymptomatic or mildly symptomatic chemotherapy-naïve patients (pts) with bone-predominant metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC). Smith, M.R. et al. Annals of Oncology, Volume 29, viii723
4. A phase III trial of docetaxel versus docetaxel and radium-223 (Ra-223) in patients with metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC): DORA. Meeting Abstract: 2021 ASCO Annual Meeting. Morris, Michael J et al.

Schweizer Expertinnen und Experten diskutieren wichtige Daten vom SABCS 2024

Wichtige Erkenntnisse vom SABCS 2024

Auf dem diesjährigen San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) 2024 analysieren Schweizer Expertinnen und Experten die neuesten Daten und ihre Bedeutung für die klinische Praxis: Dr. Catrina Uhlmann Nussbaum, Prof. Stefan Aebi, PD Zaman Khalil, Prof. Roger von Moos, Dr. Andreas Müller, Dr. Elena Kralidis und Dr. Anton Oseledchyk beleuchten die wichtigsten Fortschritte in der Brustkrebsforschung und deren Implikationen für die Patientenversorgung.

 

Risikofaktoren und Behandlung von krebsassoziierten Schlaganfällen

Das Risiko von thromboembolischen Ereignissen wie unter anderem ischämischen Schlaganfällen ist bei Krebspatienten bekanntermassen signifikant erhöht. Eine paraneoplastische Gerinnungsstörung wird bei onkologischen Patienten häufig als primäre Ursache für Schlaganfälle, tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien angesehen. Neben dieser paraneoplastischen Thrombusbildung trägt auch das Vorhandensein klassischer kardiovaskulärer Risikofaktoren, die Krebs- und Schlaganfallpatienten gemeinsam haben, erheblich zum Auftreten von Schlaganfällen bei Krebspatienten bei. Bestimmte Chemo-, Hormon- und Immuntherapien sowie Strahlentherapien im Bereich des Halses und des Gehirns erhöhen ebenso das Schlaganfallrisiko bei Krebspatienten. Es ist daher wichtig, die entsprechenden Krebspatienten mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko zu erkennen und entsprechend zu sensibilisieren.

The risk of thromboembolic events is known to be increased in cancer patients. This also applies to cerebrovascular events such as strokes. Paraneoplastic coagulopathy is often regarded as the main cause of strokes and other thromboembolic events (venous thrombosis and pulmonary embolism) in cancer patients. In addition to paraneoplastic coagulopathy, the presence of classic cardiovascular risk factors, which cancer and stroke patients have in common, also contributes significantly to the occurrence of strokes in cancer patients. Certain chemo-, hormone- and immunotherapies and radiotherapy to the neck and brain also increase the risk of stroke in cancer patients. It is therefore crucial to be able to identify and provide care for cancer patients at increased risk of stroke.
Key words: Cancer-associated stroke, Hypercoagulability, Paraneoplastic coagulopathy, Secondary prevention, Anticoagulation therapy

Fallbericht

Eine 68-jährige Patientin wurde mit Verdacht auf einen Schlaganfall mit einer schweren Aphasie, einer leichtgradigen motorischen Hemiparese rechts und einer deutlichen Vernachlässigung (Neglekt) der linken Körperseite in ein Zentrumsspital eingeliefert. Einige Monate zuvor war bei der Patientin ein metastasierendes Bronchialkarzinom diagnostiziert worden. Bildgebende Untersuchungen zeigten das Vorliegen multipler zerebraler Infarkte in verschiedenen zerebralen Versorgungsgebieten, was auf eine proximal-embolische Genese schliessen liess (Abb. 1).
Die laborchemische Untersuchung zeigte eine ausgeprägte Gerinnungsaktivierung mit stark erhöhten D-Dimer-Werten von 9835 µg/L (Referenzbereich <500 µg/L), die nach Ausschluss einer tiefen Beinvenenthrombose und Lungen­embolie auf das Vorliegen einer paraneoplastischen Gerinnungsstörung zurückgeführt wurde. Auch das C-reaktive Protein (CRP) war mit 48 mg/L (Referenzbereich <5 mg/L) signifikant erhöht. In Abwesenheit weiterer Hinweise auf eine Infektion oder systemische Entzündung wurde dieser Anstieg ebenfalls im Kontext der zugrundeliegenden aktiven Krebserkrankung interpretiert. Zusätzlich wurde eine Anämie mit einem Hämoglobinwert von 108 g/L (Norm: 121-154 g/L) festgestellt, die mangels Anzeichen einer akuten Blutung als chronische Anämie gewertet und höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit der Krebserkrankung gesehen wurde.
Im Rahmen der ätiologischen Abklärung des Schlaganfalls konnten keine alternativen Ursachen festgestellt werden. Insbesondere fanden sich keine Hinweise auf eine kardiale Emboliequelle, welche häufig ein ähnliches multiterritoriales Verteilungsmuster der Schlaganfälle aufweist. Der Schlaganfall wurde letztlich ätiologisch der Krebserkrankung zugeschrieben. Als Sekundärprävention wurde nach 6 Tagen eine therapeutische Antikoagulation mit niedrigmolekularem Heparin (Clexane) in voller Dosierung eingeleitet.
Da die tägliche subkutane Injektion für die Patientin unangenehm war, entschied sie sich nach zwei Wochen, selbstständig die Antikoagulation abzusetzen. In der darauffolgenden Konsultation in der hausärztlichen Praxis wurde eine blutverdünnende Therapie mit Eliquis initiiert und diesmal konsequent fortgeführt.

Risikofaktoren für krebsassoziierte
Schlaganfälle

Krebsassoziierte Schlaganfälle werden neben allgemeinen kardiovaskulären Risikofaktoren auch durch spezifische Risikofaktoren beeinflusst, die sowohl mit der Tumor­erkrankung selbst als auch mit den therapeutischen Massnahmen zusammenhängen (Tab. 1).
Dabei treten die Schlaganfälle häufig innerhalb des ersten Monats nach der Krebsdiagnose auf, wobei das Risiko insbesondere in den ersten drei Monaten nach Diagnosestellung signifikant erhöht ist und anschliessend wieder abnimmt (1).

Hyperkoagulabilität und Krebs

Bestimmte Krebserkrankungen wie Lungen-, Pankreas-, Gastrointestinal- und Ovarialkarzinome, insbesondere in lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Stadien, sind eng mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko verbunden. Darüber hinaus weisen vor allem histologische Adenokarzinome eine deutliche Assoziation mit thromboembolischen Ereignissen auf (2–5). Es wird angenommen, dass alle diese spezifischen und fortgeschrittenen Krebsformen zu einer Hyperkoagulabilität führen, indem prothrombotische Elemente (z. B. von Willebrand-Faktor, Tissue Factor, Tumorantigene, zirkulierende Tumorzellen und entzündungsfördernde Zytokine) in den Kreislauf freigesetzt werden (3, 6, 7).
Diese prothrombotischen Prozesse führen zu einer verstärkten Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin sowie zu einer erhöhten Thrombinaktivität wodurch die Thrombusbildung begünstigt wird (4, 8–10). D-Dimere, Abbauprodukte von Fibrin, werden daher häufig als Marker für eine Hyperkoagulabilität verwendet und sind bei Krebspatienten mit Schlaganfällen deshalb oft stark erhöht (5). Auch die mikroskopische Zusammensetzung von krebs­assoziierten Thromben weist entsprechend oft einen höheren Fibringehalt auf als bei anderen Schlaganfallursachen (11). Der detaillierte Pathomechanismus der paraneoplastischen Gerinnungsstörungen ist jedoch insgesamt noch zu wenig verstanden und weitere Studien sind notwendig, um konkrete Behandlungsansätze zu entwickeln.

Krebstherapie als Risikofaktor für Schlaganfall

Krebstherapien können das Schlaganfallrisiko erhöhen, da sie prothrombotische Nebenwirkungen haben und die Blutgefässe schädigen können (12–15). Dabei ist auch bei diesem Prozess weitere Forschung zum genauen Verständnis der Pathophysiologie notwendig.

1. Chemotherapie: Gewisse Chemotherapeutika (Cisplatin, Bevacizumab, Thalidomid) können eine prokoagulierende Aktivität oder Erhöhung der Blutviskosität verursachen und erhöhen daher das Risiko eines Schlaganfalls (16). Darüber hinaus sind einige Chemotherapeutika (Doxorubicin, Cyclophosphamid) direkt toxisch für das Gefässendothel, was die lokale Bildung von Thromben fördern kann.
Ebenso können die kardiotoxischen Nebenwirkungen verschiedener Chemotherapien (z.B. Anthrazykline oder Trastuzumab) durch die Entstehung einer akuten und/oder chronischen Kardiomyopathie oder Herzrhythmusstörungen zu Schlaganfällen führen (17).
2. Immuntherapien: Checkpoint-Inhibitoren (z. B. Pembrolizumab, Nivolumab) können durch beschleunigte Zunahme von Atherosklerose thrombotische Ereignisse begünstigen. CAR-T Cell Therapien wurden ebenfalls mit Schlaganfällen assoziiert, aber der Mechanismus ist derzeit noch nicht geklärt (18, 19).

3. Hormontherapien: Bei bestimmten Krebsarten, insbesondere Brust- und Prostatakrebs, werden häufig Hormontherapien eingesetzt. Diese Therapien (z.B. Tamoxifen, Aromatasehemmer [z. B. Anastrozol, Letrozol] und LHRH-Agonisten [z. B. Goserelin, Leuprolid]) stören das hormonelle Gleichgewicht und können dadurch einen prothrombotischen Zustand induzieren.
4. Strahlentherapie: Strahlentherapie bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich kann zur direkten Schädigung der zerebralen Gefässe führen und weiterhin auch atherosklerotische Gefässveränderungen durch Entstehung von Plaques begünstigen. Beide Phänomene erhöhen langfristig das Schlaganfallrisiko.

Kardiovaskuläre Risikofaktoren bei Krebsassoziierten Schlaganfällen

Neben der direkten Wirkung des Tumors und seiner Therapie spielen klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren eine erhebliche Rolle bei der Entstehung von Schlaganfällen bei Krebspatienten. Patienten mit Krebs haben häufig eine Reihe zusätzlicher «gemeinsamer» Risikofaktoren mit Schlaganfallpatienten, die das Schlaganfallrisiko weiter erhöhen (20, 21). Hierbei sind vor allem Hyper­lipidämie, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Alkoholkonsum und Nikotinabusus aufzuführen.

Akuttherapeutische Möglichkeiten bei krebsassoziierten Schlaganfällen

Die Behandlung akuter Schlaganfälle bei Krebspatienten stellt eine besondere klinische Herausforderung dar, da die Hyperkoagulabilität und die vorliegenden kardiovaskulären Risikofaktoren dieser Patienten das Risiko von neuen thromboembolischen Ereignissen, Blutungen als auch von peri- und postinterventionellen Komplikationen erhöhen können (4, 13).

Intravenöse Thrombolyse

Studien haben gezeigt, dass die intravenöse Thrombolyse bei Schlaganfallpatienten mit Krebs im Thrombolysezeitfenster sicher durchgeführt werden kann. Krebspatienten zeigten nach einer Thrombolysebehandlung eine Verbesserung der Schlaganfall-Symptome. Allerdings besteht bei diesen Patienten ein erhöhtes Risiko für Nachblutungen, insbesondere bei metastatischen Erkrankungen oder bei fortgeschrittenem Tumorstadium (22, 23). Dabei wurde jedoch kein Unterschied zwischen symptomatischen intrakraniellen Nachblutungen nachgewiesen (24). Zusammenfassend ist die intravenöse Thrombolyse bei Schlaganfallpatienten mit Krebs eine sichere Behandlung, wobei jedoch aufgrund eines erhöhten Nachblutungsrisikos eine sorgfältige Abwägung der Risiken und Nutzen erforderlich ist.

Mechanische Thrombektomie

Im Allgemeinen haben Studien gezeigt, dass die Behandlung mittels mechanischer Thrombektomie von Schlaganfallpatienten mit Krebs sicher ist. Die langfristig
verbleibenden Defizite nach einer mechanischen Thrombektomie bei Schlaganfallpatienten mit Krebs waren
jedoch schlechter als bei Patienten ohne Krebs. Dieser Unterschied scheint aber hauptsächlich auf die Krebserkrankung selbst zurückzuführen zu sein und nicht primär auf das Ergebnis der mechanischen Thrombektomie an sich (25).

Prävention von krebsassoziierten Schlaganfällen

Primäre Prävention bei Krebspatienten zur Vermeidung von Schlaganfällen ist derzeit nicht indiziert (26, 27). Eine kürzlich veröffentlichte Literaturübersicht und eine Metaanalyse zeigten keine Reduktion der arteriellen Thrombosen (einschliesslich Schlaganfälle) bei Krebspatienten unter systemischer Therapie, die zur Primärprävention mit Antikoagulanzien behandelt wurden. Thrombozytenaggregationshemmer spielen eine Rolle bei der Primärprävention von arteriellen Thrombosen bei myelo­proliferativen Erkrankungen, werden aber nicht generell zur Primärprävention von Schlaganfällen empfohlen.

Sekundärprävention von krebsassoziierten Schlaganfällen

Post-hoc-Analysen von randomisierten klinischen Studien haben ergeben, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) und Aspirin in der Sekundärprävention bei Schlaganfallpatienten mit Krebs gibt (28). Aufgrund der jeweiligen Studiengestaltung sind diese Ergebnisse allerdings nicht ausreichend, um evidenzbasierte Empfehlungen zur Sekundärprävention abzugeben.
Aktuell werden basierend auf der Annahme ihrer Wirksamkeit auf die paraneoplastische Hyperkoagulabilität bei Krebspatienten zumeist DOAKs nach krebsassoziiertem Schlaganfall als Sekundärprävention eingesetzt. Eine Studie hat gezeigt, dass eine Senkung des D-Dimer-Spiegels durch Antikoagulanzien mit einer reduzierten 1-Jahres-Mortalität verbunden ist, was diese Hypothese unterstützt (29, 30).
Die Langzeitdurchführung einer Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin hingegen wurde aufgrund der unzureichenden Patienten-Compliance infrage gestellt (31). Die Anwendung von DOAKs gilt als sicher, erfordert jedoch weitere Evidenz (32). Generell ist bei der Wahl der Sekundärprävention das spezifische Blutungsrisiko des individuellen Patienten zu berücksichtigen (33).
Ebenso kommt auch der Behandlung von generellen kardiovaskulären Risikofaktoren eine wichtige Bedeutung zu, um das Schlaganfallrisiko insgesamt zu reduzieren.

Fazit für die ärztliche Praxis

Krebsassoziierte Schlaganfälle sind eine erhebliche Herausforderung in der klinischen Praxis, insbesondere aufgrund der komplexen Wechselwirkungen zwischen Krebserkrankungen und thromboembolischen Ereignissen.
Dabei werden krebsassoziierte Schlaganfälle neben gemeinsamen kardiovaskulären Risikofaktoren auch durch spezifische krebsbedingte Einflüsse verursacht. Besonders Patienten mit fortgeschrittenen oder metastasierten Tumoren weisen ein erhöhtes Schlaganfallrisiko auf. Das Schlaganfallrisiko ist hierbei insbesondere in den ersten Monaten nach der Krebsdiagnose erhöht.
Zudem können bestimmte Krebsbehandlungen prothrombotische Zustände begünstigen. Hinsichtlich der Akutbehandlung gelten sowohl die intravenöse Thrombolyse als auch die mechanische Thrombektomie bei Krebspatienten als sicher durchführbar. Entsprechend ist eine schnelle notfallmässige Vorstellung auf einer Notfallstation beim Auftreten von Schlaganfallsymptomen von entscheidender Bedeutung.
Eine Primärprophylaxe von krebsassoziierten Schlaganfällen ist aktuell nicht indiziert.
Die Wahl der Sekundärprophylaxe in Abwesenheit klarer Richtlinien bleibt oft in der Entscheidung des behandelnden Arztes. Während DOAKs bei vielen Patienten aufgrund der zugrundeliegenden Hyperkoagulation bevorzugt werden, zeigen aktuelle Studien keine klare Überlegenheit gegenüber Thrombozytenaggregationshemmer.

Dr. med. Moritz Kielkopf

Neurologische Klinik, Inselspital
Rosenbühlgasse 25
3010 Bern

moritz.kielkopf@insel.ch

Prof. Dr. med. Hakan Sarikaya

Universitätsklinik für Neurologie
Inselspital Bern
Rosenbühlgasse 25
3010 Bern

Dr. med. Morin Beyeler

Universitätsklinik für Neurologie
Inselspital Bern
Rosenbühlgasse 25
3010 Bern

  • Patienten mit fortgeschrittenen oder metastasierten
    Tumoren haben ein signifikant erhöhtes Risiko für Schlag­anfälle, insbesondere in den ersten drei Monaten nach der Krebs­diagnose. Diese sind oft durch paraneoplastische Gerinnungsstörungen verursacht.
  • Krebsassoziierte Schlaganfälle werden durch prothrombo­tische Mechanismen begünstigt, die von fortgeschrittenen Krebsformen ausgelöst werden, wie die Freisetzung von Tissue Factor und anderen entzündungsfördernden Faktoren. Stark erhöhte D-Dimer-Werte sind ein häufiger Marker für diese Prozesse.
  • Gewisse Chemotherapien, Immuntherapien, Hormon­therapien sowie Strahlentherapie können durch prothrombotische Nebenwirkungen und Gefässschädigungen das Schlaganfallrisiko erhöhen.
  • Sowohl die intravenöse Thrombolyse als auch die mechanische Thrombektomie sind bei krebsassoziierten Schlagan­fällen sicher, erfordern jedoch eine sorgfältige Abwägung der Risiken aufgrund eines erhöhten Blutungsrisikos bei meta­stasierten Tumoren.
  • Während DOAKs häufig zur Sekundärprävention bei krebs­assoziierten Schlaganfällen eingesetzt werden, gibt es keine klaren evidenzbasierten Empfehlungen. Eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung, einschliesslich des Blutungs­risikos und der Patienten-Compliance, ist entscheidend.

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Maladie neurodégénérative: la Révolution est en marche

La rencontre de la neurobiologie et des neurotechnologies a créé les conditions de la ­révolution que nous vivons dans le domaine des maladies neurodégénératives.

Que ce soit sur le plan diagnostique, que thérapeutique, le fatalisme dictant que le vieillissement est associé à un déclin inexorable des capacités cognitives et motrices n’  est plus de mise. Le discours doit changer aussi bien dans la communauté médicale que plus largement dans la société. Cette mutation ne se fait toutefois pas sans résistance: on observe toujours chez certains patients, leur proche, ainsi que chez certains confrères une retenue à considérer une évaluation des troubles cognitifs chez les patients âgés, si bien qu’  aujourd’ hui on estime que seulement 50 % des patients avec troubles cognitifs bénéficient d’  une évaluation spécialisée, avec, pour l’  exemple du canton de Vaud, environ la moitié de ces 50 % évaluée dans l’  un des quatre centres mémoires du canton. Ceci est d’  autant plus regrettable, que le réseau des Centres Mémoires de Suisse Romande est particulièrement bien organisé et structuré au sein d’ un réseau romand unique – ROMENS – permettant à la population romande d’ avoir accès à une plateforme multidisciplinaire leur offrant un accès aux nouveautés diagnostiques et thérapeutiques. Ce réseau permet également de maintenir un niveau de connaissance élevé au sein de toute la Romandie, par le recours à des formations structurées, comme le Cours lémanique des démences.

L’ arsenal diagnostique est arrivé à une maturation telle qu’ aujourd’ hui, il est possible d’ identifier la neuropathologie de la maladie d’ Alzheimer avant même l’ arrivée des premiers symptômes. Cela peut se faire par le recours à des biomarqueurs biologiques dans le liquide céphalo-rachidien ou par des techniques d’ imagerie métabolique permettant de visualiser les anomalies biologiques que sont le dépôt de protéines tau ou amyloïde directement à l’ aide d’ un scanner. Dans la pratique clinique, nous n’ avons recours à ces techniques diagnostiques que chez les patients symptomatiques.

L’ autre pan de la révolution concerne l’ axe thérapeutique avec l’ arrivée d’ immunothérapie pour la maladie d’ Alzheimer. Désormais, les autorités sanitaires de nombreux pays (USA, Angleterre, Chine ou Israël) ont donné leur accord pour l’ utilisation d’ anticorps ciblant l’ amyloïde dans le cadre de la maladie d’ Alzheimer. Ces nouveaux traitements sont toutefois associés à des effets secondaires préoccupants, se traduisant par des hémorragies et des œdèmes cérébraux, particulièrement prévalant chez certains sous-types de patients.

Cette révolution thérapeutique, que l’ on vit dans le cadre de la maladie d’ Alzheimer, et son application par les autorités de santé est en train de créer une inéquité de traitement à travers le monde et nécessite une prise de conscience sociétale, afin de ne pas laisser de côté des patients souffrant d’ une maladie inéluctable. Le 9 octobre 2024, le Centre Leenaards de la Mémoire a réuni des experts internationaux pour stimuler une réflexion intégrant les dimensions éthiques, économiques, médicales et biologiques en lien avec l’ arrivée de ces traitements pour la maladie d’ Alzheimer. Ce que l’ on vit dans le cadre de la maladie d’ Alzheimer va s’ étendre à d’ autres pathologies neurodégénératives, si bien que nous devons d’ ores et déjà nous préparer à accueillir cette nouvelle technologie, qui contribuera à améliorer la qualité de vie de nos patients, à condition bien entendu que notre société soit prête à faire évoluer le paradigme que le vieillissement est associé à un déclin inéluctable des capacités cognitive et motrice.

Pr Gilles Allali

Pr Gilles Allali MD, PhD

Centre Leenaards de la mémoire
Département des neurosciences cliniques,
CHUV et UNIL
Chemin de Mont-Paisible 16
1011 Lausanne