Highlights Prostatakarzinom

Bei dem ASCO GU Cancers Symposium wurden im Januar 2024 aktuelle Studienergebnisse und Auswertungen zu den verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms präsentiert und diskutiert. Zu den Highlights des Kongresses zählten: Die Validierung des skandinavischen Früherkennungstests «Stockholm3» in multi-ethnischen Kohorten. Die Langzeit-Ergebnisse der dosiseskalierten Radiotherapie mit Langzeit-Androgendeprivationstherapie beim lokalisierten high-risk-Prostatakarzinom. Die ersten Auswertungen einer Phase-III-Studie zur Kombinationstherapie von Cabozantinib mit Atezolizumab beim metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinom.

At the ASCO GU Cancers Symposium in January 2024, the study results for various stages of prostate cancer were presented and discussed. The highlights of the conference included: The validation of the Scandinavian screening test “Stockholm3” in multi-ethnic cohorts. The long-term results of dose-escalated radiotherapy with long-term androgen deprivation therapy in localized high-risk prostate cancer. The first evaluation of a phase III study on the combination therapy of cabozantinib with atezolizumab in metastatic, castration-resistant prostate cancer.
Key Words: prostate cancer, screening, dose-escalated radiotherapy, immunotherapy

Validierung des multivariablen Screening-Tests Stockholm3 ausserhalb von skandinavischen Kohorten

Das Prostatakarzinom ist die häufigste Krebserkrankung des Mannes. Im Zeitraum von 2020 bis 2040 wird weltweit eine weitere Verdopplung der jährlichen Neuerkrankungen erwartet (1). Bei rechtzeitiger Diagnosestellung gelingt eine Heilung bei der Mehrzahl der Betroffenen, jedoch bleibt ein systematisches Screening wegen des Risikos von Überdiagnosen wenig aggressiver Erkrankungen umstritten. Der aktuell auf dem ASCO GU vorgestellte Stockholm3 Test, welcher neben Blut-Biomarkern auch klinische Angaben und genetische Polymorphismen berücksichtigt, wurde in einer schwedischen Population entwickelt und validiert, und zeigt bei gleicher Sensitivität eine deutlich bessere Spezifität als das traditionelle alleinige PSA-Screening (2). Unter anderem aufgrund der enthaltenen Analyse genetischer Polymorphismen und der unterschiedlichen genetischen Erkrankungsrisiken bestanden aber bisher Zweifel an der Generalisierbarkeit des Stockholm3-Modells ausserhalb Schwedens.

Diese Bedenken dürften seit dem ASCO GU 2024 weitgehend ausgeräumt sein. In der prospektiven SEPTA-Studie wurden 2129 Männer unterschiedlicher ethnischer Abstammung eingeschlossen, welche an nordamerikanische Zentren zur Prostata-Biopsie überwiesen und vorab mittels Stockholm3 getestet wurden. Davon waren 24% afroamerikanischer, 14% hispanischer und 16% asiatischer Herkunft. Das Stockholm3-Modell bestätigte in der heterogenen Gesamtpopulation gegenüber einem PSA-Wert von 4 ng/ml eine nicht-unterlegene Sensitivität bei deutlich überlegener Spezifität. Die Ergebnisse waren konsistent zwischen den ethnischen Subgruppen.

Welche Rolle allerdings Panel-Tests wie Stockholm3 im Rahmen organisierter Screening Programme beispielsweise zur Reduktion von Biopsien oder MRI spielen wird, ist aktuell noch offen (4,5). Aktuell fehlen prospektive Daten, insbesondere zum direkten Vergleich von Stockholm3 mit modernen Screening-Werkzeugen die PSA-Wert, MRI und Risikonomogramme kombinieren. Ferner sind die nicht unerheblichen Kosten des Tests zu bedenken.

Dosiseskalation beim nicht-metastasierten «high-risk»-Prostatakarzinom

Standard in der Therapie des lokalisierten „high-risk“-Prostatakarzinoms ist die radikale Prostatektomie bzw. die externe Strahlentherapie in Kombination mit einer antiandrogenen Therapie (ADT). Im Gegensatz zu Patienten mit „low-risk“- oder „intermediate-risk“-Prostatakarzinom verstirbt jedoch ca. ein Drittel der Patienten mit „high-risk“-Karzinom im Verlauf an ihrer Erkrankung (6). Es werden deshalb verschiedene Ansätze der Therapieeskalation verfolgt. Die elektive Lymphknotenbestrahlung und die Erweiterung der Systemtherapie verbessern das rezidiv-freie bzw. das metastasen-freie Überleben (7,8). Für die Dosiseskalation der Radiotherapie wurde in randomisierten Studien zwar eine Verbesserung der biochemischen Kontrolle nachgewiesen, allerdings bislang ohne Nachweis eines verbesserten Gesamtüberlebens.

Auf dem diesjährigen ASCO GU wurden die Langzeit-Daten der GETUG-AFU-18-Phase-III-Studie präsentiert. Insgesamt 505 Patienten mit lokalisiertem, „high-risk“ Prostatakarzinom ohne Lymphknotenbefall wurden randomisiert zwischen konventionell-dosierter Radiotherapie mit 70 Gy vs. einer Dosiseskalation mit 80 Gy, jeweils in 2 Gy Einzeldosen und in Kombination mit einer Langzeit-ADT über 3 Jahre. Zudem erhielten alle Patienten eine elektive, pelvine Lymphknotenbestrahlung oder vorgängig eine pelvine Lymphadenektomie. Der primäre Endpunkt biochemisches oder klinisches progressionsfreies Überleben (PFS) wurde durch die Dosiseskalation signifikant verbessert (HR = 0.56, [95% KI, 0.40-0.76]), das 10-Jahre PFS lag bei beeindruckenden 83.6% gegenüber 72.2 % im Vergleichsarm. Darüber hinaus wurde erstmals auch eine signifikante und klinisch relevante Verbesserung des krebs-spezifischen Überlebens und des Gesamtüberlebens (OS) durch die Dosiseskalation nachgewiesen. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Rate an Spättoxizitäten ≥ Grad 2. Die GETUG-AFU 18 Studie liefert damit Level-I Evidenz für die dosiseskalierte Radiotherapie in Kombination mit Langzeit-ADT für die Therapie des „high-risk“ Prostatakarzinoms und bestätigt moderne Konzepte mit vergleichbarer biologischer Dosis, bei denen der Einsatz moderat hypofraktionierter Konzepte untersucht wird. Im Hinblick auf die vergleichbar niedrige Toxizitätsrate trotz Dosiseskalation wurde der vermehrte Einsatz von IMRT bei 80.6% der Patienten in der 80 Gy Gruppe gegenüber 59.6% in der 70Gy Gruppe als mögliche Erklärung hervorgehoben. Das sehr gute onkologische Ergebnis ist möglicherweise auch durch die elektive Radiotherapie der pelvinen Lymphabflusswege mitbedingt.

Atezolizumab in Kombination mit Cabozantinib in der Zweitlinie beim metastasierten kastrationsrefraktären Prostatakarzinom: CONTACT-2

Patienten mit metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) und Progress nach Einsatz neuer Androgen- Rezeptor-Pathway-Inhibitoren (ARPI) haben eine schlechte Prognose, wenngleich neben Taxan-haltiger Chemotherapie in den letzten Jahren PARP-Inhibitoren und die Lutetium-PSMA-Therapie als neue Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Während Immuntherapeutika die Therapie vieler anderer Tumorentitäten revolutioniert haben, verliefen beim Prostata-Karzinom eine Vielzahl grosser Phase-III-Studien negativ. Mit CONTACT-2 wurden beim ASCO GU 2024 erste Ergebnisse einer weiteren Phase-III-ICI-Kombinationsstudie im mCRPC-Setting präsentiert.

Insgesamt 507 Patienten mit mCRPC und Progress nach ADT plus ARPI wurden randomisiert zwischen Cabozantinib (Carbo) und Atezolizumab (Atezo) und im Kontrollarm mit dem Einsatz des jeweils alternativen ARPI (Abirateron oder Enzalutamid). Ca. 25% der Patienten hatten Lebermetastasen und ca. 20% waren zuvor mit Docetaxel behandelt worden. Der primäre Endpunkt, medianes radiologisches PFS (rPFS), war signifikant länger mit Cabo + Atezo als im Kontrollarm (6.3 vs 4.2 Monate, HR 0.65, [95% KI 0.50-0.84]), insbesondere in der Subgruppe mit Lebermetastasen (6.0 vs 2.1 Monate; HR 0.47 [95% KI 0.30-0.74]). Daten für den zweiten primären Endpunkt OS waren noch nicht belastbar und zeigten bei der aktuellen Auswertung lediglich einen Trend zugunsten des experimentellen Studienarms (HR 0.79, [95% Kl 0.58-1.07]). Toxizitäten Grad 3-4 waren mit 33% bei den Patienten in dem experimentellen Arm deutlich häufiger als im Vergleichsarm mit 8%.

Gemäss den Autoren konnte mit CONTACT-2 erstmals eine Phase-III-Studie eine statistisch signifikante und klinisch relevante Verbesserung des PFS bei Patienten mit mCRPC zeigen. Jedoch wurde die klinische Relevanz der Ergebnisse in nachfolgenden Diskussionen kritisch hinterfragt. Insbesondere der Kontrollarm mit einem Wechsel des ARPI wurde, wie zuvor bereits bei anderen Studien, als unzureichend wirksame Therapie gegenüber anderen verfügbaren Optionen wie Cabazitaxel oder Lutetium-PSMA kritisiert. Zudem waren nur ca. 20% der eingeschlossenen Patienten zuvor mit Docetaxel als dem Zweitlinienstandard nach erfolgter ARPI Therapie behandelt worden. Eine weitere Schwäche der Studie ist die geringe Zahl von Patienten, welche nach Progress eine weitere onkologische Therapie erhalten hatten, 23% im experimentellen bzw. 32% im Kontrollarm. Bis dahin bleibt die Verlängerung des rPFS um 2-4 Monate in Anbetracht der weiteren Schwächen der Studie wenig überzeugend, zumal belastbare OS-Daten noch abgewartet werden müssen. Es bestehen die Therapiealternativen mit besserer Evidenz.

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Jonathan Hollmann

Radioonkologie
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel

PD Dr. med. Thomas Hermanns

Zentrum für Urologie
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

Dr. med. Alexandros Papachristofilou

Radioonkologie
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel

◆ Die diagnostische Überlegenheit des multivariablen Prostatakarzinom-Screening-Tests Stockholm3 gegenüber dem PSA-Screening wurde in verschiedenen nicht-skandinavischen Männerkohorten validiert.
◆ Der Stellenwert einer dosiseskalierten Radiotherapie in Kombination mit einer Langzeit-ADT beim „high-risk“-Prostatakarzinom wurde durch ein erstmals nachgewiesenes verbessertes Gesamtüberleben bestätigt.
◆ Eine Verbesserung des progressionsfreien Überlebens durch die Kombination aus Cabozantinib und Atezolizumab bleibt beim metastasierten kastrationsrefraktären Prostatakarzinom (mCRPC) aufgrund von Schwächen im Studiendesign umstritten.

1. James ND, Tannock I, Dow JN, Feng F, Gillessen S, Ali SA, et al. The Lancet Commissions The Lancet Commission on prostate cancer : planning for the surge in cases. 2024;6736(24).
2. Grönberg H, Adolfsson J, Aly M, Nordström T, Wiklund P, Brandberg Y, et al. Prostate cancer screening in men aged 50-69 years (STHLM3): A prospective population-based diagnostic study. Lancet Oncol. 2015;16(16):1667–76.
3. Elyan A, Saba K, Sigle A, Wetterauer C, Engesser C, Püschel H, et al. Prospective Multicenter Validation of the Stockholm3 Test in a Central European Cohort. Eur Urol Focus. 2023;(xxxx).
4. Hugosson J, Roobol MJ, Månsson M, Tammela TLJ, Zappa M, Nelen V, et al. A 16-yr Follow-up of the European Randomized study of Screening for Prostate Cancer(Figure presented.). Eur Urol. 2019;76(1):43–51.
5. Nordström T, Discacciati A, Bergman M, Clements M, Aly M, Annerstedt M, et al. Prostate cancer screening using a combination of risk-prediction, MRI, and targeted prostate biopsies (STHLM3-MRI): a prospective, population-based, randomised, open-label, non-inferiority trial. Lancet Oncol. 2021;22(9):1240–9.
6. Luo Z, Chi K, Zhao H, Liu L, Yang W, Luo Z, et al. Cardiovascular mortality by cancer risk stratification in patients with localized prostate cancer: a SEER-based study. Front Cardiovasc Med. 2023;10(August):1–10.
7. Murthy V, Maitre P, Kannan S, Panigrahi G, Krishnatry R, Bakshi G, et al. Prostate-Only Versus Whole-Pelvic Radiation Therapy in High-Risk and Very High-Risk Prostate Cancer (POP-RT): Outcomes From Phase III Randomized Controlled Trial. Journal of Clinical Oncology. 2021;39(11):1234–42.
8. Attard G, Murphy L, Clarke NW, Cross W, Jones RJ, Parker CC, et al. Abiraterone acetate and prednisolone with or without enzalutamide for high-risk non-metastatic prostate cancer: a meta-analysis of primary results from two randomised controlled phase 3 trials of the STAMPEDE platform protocol. The Lancet. 2022;399(10323):447–60.

Was nun mit unseren Krankenversicherungs-Prämien?

Die Prämienentlastungs- und Kostenbremseninitiativen wurden mit solider Unterstützung der offiziellen Ärzteverbände gebodigt.

Allerdings wäre es ein Trugschluss, jetzt einfach so weiterzumachen wie bisher. Wenn die Politik – und die Ärzteschaft! – zeitnah keine Lösungen finden, wie die Prämienzahlenden entlastet werden, wird das Problem der (zu) hohen Prämienkosten mit immer extremeren Lösungsansätzen von immer radikaleren Gruppen angegangen werden. Es könnte so zu einer Schocktherapie ­kommen, die breiten Kreisen massiv schaden würde – Patientinnen, Patienten und Gesundheitsberufsleuten.

Es werden zwar homöopathische Vorschläge in die Diskussion geworfen wie vermehrter Generikagebrauch, die Einheitskasse oder die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Auch wenn die Ideen gut sind, die Kosten werden damit – wenn überhaupt – kaum spürbar gebremst.
Ein Ansatz, der wirklich die Gesundheitslandschaft ändern könnte, die monistische Finanzierung der Gesundheitsleistungen, d.h. die gleiche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen durch den Steuer- und Prämienzahler, wird ausgerechnet von den Pflegeverbänden bekämpft. Ob es da um das liebe Geld geht? Dies wird natürlich verneint. Es wird argumentiert, dass die durch die neue Finanzierung geförderte Ambulantisierung – wie sie in den meisten industrialisierten Ländern schon längst stattgefunden hat – durch die höhere Kadenz der Eingriffe eine vermehrte Belastung der Pflege zur Folge hätte. Dies mag so sein. Allerdings werden reguläre ambulante Eingriffe während normaler Arbeitszeiten an normalen Wochentagen mit Entlassung der Patientinnen und Patienten am selben Tag durchgeführt. Die Patientenaufenthalte in der Nacht und auch am Wochenende würden so signifikant sinken. Das bedeutete eine massive Entlastung der Pflege. Gerade solche Erleichterungen kämen den Wünschen der Gen Z nach einer besseren Work-Life-Balance entgegen, was den Pflegeberuf bei bereits guter Bezahlung klar attraktiver machen würde.

Und dann ist da noch der Elefant im Raum, über den kaum gesprochen wird: Es hat zu viele Spitäler in der Schweiz! Im internationalen Vergleich haben wir die höchste Spitaldichte. Natürlich, wenn der Prämienzahler und die Steuerzahlerin bereit sind, die zusätzlichen finanziellen Lasten zu schultern, kann jedes Dorf ein eigenes Spital haben. Allerdings würde das aufgrund der geringen Fallzahlen zu einer Abnahme der Behandlungsqualität führen. Darum führt nichts an weiteren Spitalschliessungsrunden vorbei. Es würden u.a. viele nicht ausgelastete und sehr kostspielige Vorhalteleistungen entfallen. Zudem würden viele Fachkräfte freigestellt, nach denen die Spitäler händeringend suchen. Spitalschliessungen können und sollten jedoch patientenfreundlich und sozialverträglich erfolgen, d.h. vorangekündigt über einen Zeitraum von 5, besser 10 Jahren. Das erlaubt den Akteuren, sich an die neue Situation anzupassen. Zudem würden die meisten Akutspitäler einem neuen Zweck in der Gesundheitslandschaft zugeführt, sodass der häufig befürchtete Abbau bisheriger Stellen zwar stattfindet, welche aber meist in neue zukunftssicherere Positionen umgewandelt werden.

Es ist höchste Zeit, dass die Ärzteschaft nicht nur Fundamentalopposition gegen wirklich wirksame Änderungen betreibt, sondern selbst wirksame (!) Lösungen entwickelt, die zu einer Stabilisierung der Gesundheits- und Prämienkosten führen. Ansonsten gilt möglicherweise auch für unseren Berufsstand: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Prof. Dr. med. Bruno Imthurn, Zürich

Prof. em. Dr. med. Bruno Imthurn

Senior Consultant Kinderwunschzentrum
360° Zürich

bruno.imthurn@uzh.ch

Journal Watch von unseren Experten

Laien erkennen maligne Melanome selten selbst

Frage


Wie viele maligne Melanome können durch Patienten selbst entdeckt werden? 

Hintergrund

Die Inzidenz und Prävalenz maligner Hautveränderungen steigt weltweit kontinuierlich an. Das maligne Melanom ist in der Schweiz die vierthäufigste Krebsart überhaupt. Von 100 000 Personen erkranken in der Schweiz etwa 33 Personen pro Jahr neu an einem Melanom. Insgesamt zählt man in der Schweiz ungefähr 2700 neue Fälle pro Jahr. Australien hat weltweit die höchsten Inzidenzen, zwei von drei Australiern erkranken in ihrem Leben an irgendeiner Form eines malignen Hauttumors. In diesem Kontext wird immer wieder das Selbstscreening auf maligen Veränderungen der Haut propagiert.

Studienort

Die Studie wurde an zwei Hautkrebskliniken in Northeast Queensland (NEQ) und in Southeast Queensland/Northern NSW, Australien durchgeführt.

Ein- und Ausschlusskriterien

Männer und Frauen über 18 Jahren, die entweder von einem Hausarzt zu einer Hautkrebsklinik überwiesen wurden oder diese aus eigenen Stücken aufsuchten. Die Studie wurde in den Medien (Radio, Fernsehen, Zeitung) beworben.

Methodik

Sämtliche Teilnehmer füllten einen etablierten Fragebogen aus, der insbesondere ihren Lebensstil und ihre Sonnenexposition erfasste. Es erfolgte die Untersuchung der gesamten Haut durch zwei akkreditierte Hausärzte (nicht Hautärzte) mit einem speziellen Interesse an Hautkrebs, die in der Hautkrebsklinik angestellt waren. Sie benutzten ein hochauflösendes Dermatoskop, das künstliche Intelligenz zur Hautkrebserkennung beinhaltete. Die Teilnehmer wurden gefragt, ob sie eine Hautveränderung bemerkt hätten, die sie beunruhige oder die ihnen suspekt erscheint.

Ergebnisse

Insgesamt nahmen 260 Personen teil, 143 Männer und 117 Frauen, nur 7.7 % wurden vom Hausarzt überwiesen, die Mehrheit kam auf eigene Initiative direkt in die Hautkrebsklinik. Von 260 Hautläsionen wurden 83 (31.9 %) als histopathologisch als maligne Melanome (invasiv oder in situ) eingestuft. Von diesen 83 Teilnehmenden, bei denen das maligen Melanom bestätigt worden war, hatten nur 18 (21.7 %) im Fragebogen angegeben, wegen der entsprechenden Läsion besorgt zu sein. Der Grossteil der Teilnehmer (65, 78.3 %) war sich nicht bewusst, dass eine der Hautläsionen ein ­malignes Melanom darstellt. Dabei wurden eher fortgeschrittene, grössere maligne Melanome als solche von den Patienten als besorgniserregende Hautveränderungen klassifiziert.

Kommentar

• Die Studie zeigt, dass Laien nur schwerlich maligne Melanome – zumindest in einem frühem Stadium – als suspekte Hautlösionen beurteilen.
• Frühere, allerdings meist deutlich kleinere und in anderen Settings durchgeführte Studien, zeigten teilweise deutlich höhere Selbstdeklarationsraten durch Laien.
• Der Aufruf zur Selbstinspektion der Haut ist wohl mit ­einigen Limitationen verbunden
• Dermatoskope, zumal in Verbindung mit künstlicher Intelligenz erlauben auch Hausärzten eine hohe Detektionsrate maligner Melanome, wie die Autoren festhalten

Prof. Dr. Dr. med. Thomas Rosemann

Quelle: Climstein M, Hudson J, Stapelberg M, Miller IJ, Rosic N, Coxon P, Furness J, Walsh J. 2024. Patients poorly recognize lesions of concern that are malignant melanomas: is self-screening the correct advice? PeerJ 12:e17674 https://doi.org/10.7717/peerj.17674

Erfolgreiches SMS-Programm zur Entwöhnung vom Nikotindampfen bei Jugendlichen

E-Zigaretten sind das am häufigsten konsumierte Tabakprodukt bei Jugendlichen. Eine parallele, doppelblinde, individuell randomisierte klinische Studie mit Nachbeobachtungen nach 1 und 7 Monaten wurde bei Personen in USA im Alter von 13 bis 17 Jahren, die angaben, in den letzten 30 Tagen E-Zigaretten konsumiert zu haben und daran interessiert waren, innerhalb von 30 Tagen mit dem Rauchen aufzuhören, durchgeführt. Die Teilnehmer wurden über Social-Media-Anzeigen rerutiert, die Textnachrichten wurde per SMS zugestellt und die Datenerhebungen wurden online oder telefonisch durchgeführt. Um die Adhärenz zu optimieren, erhielten alle Teilnehmer per SMS ­monatliche Auswertungen des Konsums von E-Zigaretten.

Die Personen der Kontrollgruppe (n = 744) erhielten lediglich Textnachrichten zur Erinnerung an die Studie. Die Interventionsteilnehmer (n = 759) erhielten zudem ein automatisiertes, ­interaktives SMS-Programm zur Raucherentwöhnung, welches kognitive und verhaltensbezogene Bewältigungsfähigkeiten trainiert und soziale Unterstützung bietet.

Die 1503 Jugendlichen waren 16.4 Jahre alt. 76.2 % verdampften innerhalb von 30 Minuten nach dem Aufwachen. Die 7-Monats-Nachbeobachtungsrate lag bei 70.8 %. Die selbstberichtete 30-Tage-Punktprävalenzabstinenz vom Dampfen nach 7 Monaten betrug 37.8 % bei den Interventionsteilnehmern und 28 % bei den Kontrollteilnehmern (relatives Risiko 1.35; p < 0.001). Der Einfluss der Intervention auf das Ergebnis wurde durch keine Baseline-Variablen modifiziert. Es gab keine ­Hinweise darauf, dass Jugendliche, die mit dem Dampfen aufhörten, auf brennbare Tabakprodukte umstiegen.

Fazit

Dass eine gezielte SMS-Raucher-Intervention die selbstberichteten Vaping-Entwöhnungsraten bei Jugendlichen erhöht, stimmt zuversichtlich. Solche Programme müssen dringend und breit angeboten werden.

KD Dr. med. Marcel Weber

Quelle: Graham A.L. et al. A Vaping Cessation Text Message Program for Adolescent E-Cigarette Users: A Randomized Clinical Trial. JAMA 2024 Aug 7. doi: 10.1001/jama.2024.11057. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39110436/

Kohortenstudie zur chronischen Niereninsuffizienz. Überblick und Zusammen­fassung ausgewählter ­Ergebnisse

Ein höherer kardiovaskulärer Gesundheitszustand (CVH) wird generell mit einem geringeren Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (CVD) und Mortalität in Verbindung gebracht. Es ist jedoch unklar, ob der kumulative CVH-Wert mit CVD, Nierenerkrankungen im Endstadium (ESKD) und Tod bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung verbunden ist.

Die CRIC (Chronic Renal Insufficiency Cohort)-Studie (1) bietet die Möglichkeit, die Zusammenhänge zwischen dem longitudinalen, kumulativen CVH-Score und klinischen Ereignissen bei einer großen Stichprobe von Erwachsenen mit CKD der Stadien 2 bis 4 zu quantifizieren, für die wiederholte Messungen über 5 Jahre verfügbar waren. Das Ziel einer kürzlich publizierten Studie (2) war es, die Assoziationen zwischen dem kumulativen CVH-Score über 5 Jahre und dem späteren Risiko für das Auftreten von CVD, ESKD und Tod zu bewerten.

Methoden und Resultate

Bei den Probanden der prospektiven CRICStudie (Chronic Renal Insufficiency Cohort) wurde der Prozentsatz des maximal möglichen CVH-Scores, der von Studienbeginn bis zum Besuch im Jahr 5 erreicht wurde, zur Berechnung des kumulativen CVH-Scores verwendet. Mittels multivariabler adjustierter Cox-Proportional-Hazard-Regression wurde der Zusammenhang zwischen dem kumulativen CVH-Score und dem Risiko für anerkannte Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Myokardinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz), ESKD und Gesamtmortalität untersucht. Insgesamt wurden 3939 Teilnehmer (Durchschnittsalter 57,7 Jahre; 54,9 % Männer) eingeschlossen. Der mittlere (SD) kumulative CVH-Score, der innerhalb von 5 Jahren erreicht wurde, betrug 55,5 % (12,3 %). Während der anschließenden medianen Nachbeobachtungszeit von 10,2 Jahren entwickelten 597 Teilnehmer eine CVD, 656 hatten eine ESKD, und 1324 starben. Ein höherer kumulativer CVH-Score war signifikant mit einem geringeren Risiko für CVD, BNE und Mortalität verbunden, unabhängig vom CVH-Score im Jahr 5. Die multivariablen bereinigten Hazard Ratios und 95 % CIs pro 10 % höherem kumulativen CVH-Score über 5 Jahre betrugen 0,81 (0,69-0,95) für CVD, 0,82 (0,70-0,97) für ESKD und 0,80 (0,72-0,89) für Mortalität.

Schlussfolgerungen

Bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung der Stadien 2 bis 4 ist ein besserer CVH-Status, der über einen Zeitraum von 5 Jahren aufrechterhalten wird, mit einem geringeren Risiko für CVD, ESKD und Gesamtmortalität verbunden. Die Ergebnisse belegen die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung eines idealen CVH-Status, um negative Folgen bei chronisch Nierenkranken zu verhindern.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

Quelle: Cao Q et al. Five-Year Cumulative Cardiovascular Health and Clinical Events in Patients With Chronic Kidney Disease: The CRIC Study. J Am Heart Assoc. 2024 May 21; 13(10): e033001. Published online 2024 May 10. doi: 10.1161/JAHA.123.033001

SWISSMEDIC INFO

Public Summary SwissPAR vom 12.01.2024

Imjudo® (Wirkstoff: Tremelimumab)

Erstzulassung in der Schweiz: 13.09.2023
Arzneimittel (Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung) in Kombination mit Durvalumab zur Erstlinienbehandlung von Patientinnen und Patienten mit inoperablem hepatozellulärem Karzinom (uHCC)

Über das Arzneimittel

Das Arzneimittel Imjudo mit dem Wirkstoff Tremelimumab wird in Kombination mit dem Wirkstoff Durvalumab1 eingesetzt zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit inoperablem hepatozellulärem Karzinom (uHCC). Die Patientinnen und Patienten haben noch keine systemische Vorbehandlung2 erhalten.
Hepatozelluläre Karzinome sind aggressive Tumore und treten häufig im Zusammenhang mit chronischen Lebererkrankungen und Leberzirrhose auf. Sie werden in der Regel erst spät im Verlauf der Lebererkrankung diagnostiziert.
Da es sich bei uHCC um eine seltene und lebensbedrohende Krankheit handelt, wurde das Arzneimittel als «Orphan Drug» zugelassen. Mit «Orphan Drug» werden wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten bezeichnet.

Wirkung

Der Wirkstoff von Imjudo, Tremelimumab, ist ein monoklonaler Antikörper. Monoklonale Antikörper sind Proteine (Eiweisse), die spezifisch an andere Proteine binden können. Tremelimumab bindet an das sogenannte «CTLA-4-Antigen», ein Protein, welches die Aktivität von T-Zellen steuert. T-Zellen sind ein Teil des Immunsystems (körpereigenes Abwehrsystem). Durch die Bindung von Tremelimumab an CTLA-4 wird CTLA-4 gehemmt. Dies wiederum bewirkt ein Anstieg der Anzahl und der Aktivität der T-Zellen, welche Krebszellen abtöten können.
Durvalumab bewirkt über einen anderen Mechanismus ebenfalls eine erhöhte Aktivi-tät des körpereigenen Abwehrsystems gegen den Tumor, was die antitumorale Immunantwort von Tremelimumab noch verstärkt und die Ausbreitung des Krebses verlangsamt.

Anwendung

Imjudo mit dem Wirkstoff Tremelimumab ist rezeptpflichtig.
Imjudo wird als Infusion in die Venen (intravenös) über einen Zeitraum von einer Stunde verabreicht.
Die empfohlene Dosis Imjudo beträgt für Patientinnen und Patienten mit 30 kg oder mehr Körpergewicht 300 mg, in Kombination mit 1500 mg Durvalumab im Zyklus 1 am 1. Tag, gefolgt von einer Durvalumab (1500 mg) Monotherapie alle 4 Wochen.
Für Patientinnen und Patienten unter 30 kg Körpergewicht beträgt die empfohlene Dosis 4 mg Imjudo/ kg Körpergewicht und 20 mg Durvalumab/ kg Körpergewicht im Zyklus 1 am 1. Tag, gefolgt von einer Monotherapie mit Durvalumab (1500 mg), alle 4 Wochen bis das Körpergewicht 30 kg beträgt.
Die Behandlung sollte solange fortgesetzt werden, bis es zu einem Fortschreiten der Erkrankung kommt (Progression) oder bis die Nebenwirkungen zu gross sind.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Imjudo wurde in einer Studie (HIMALAYA) mit 1324 Patientinnen und Patienten untersucht. Die Patientinnen und Patienten wurden in 4 Gruppen aufgeteilt. Dabei wurden 2 Dosierungen von Imjudo (300 mg oder 75 mg) in Kombination mit Durvalumab gegen die alleinige Behandlung mit Durvalumab oder Sorafenib (zugelassene Behandlungsoption) verglichen.
Der primäre Endpunkt der Studie war das Gesamtüberleben (OS)3 der Patientinnen und Patienten, die mit 300 mg Imjudo in Kombination mit Durvalumab behandelt wurden.
Die Behandlung mit 300 mg Imjudo in Kombination mit Durvalumab zeigte eine statistisch signifikante Verbesserung des OS im Vergleich zur Behandlung mit Sorafenib. Jene Patientinnen und Patienten, die mit Imjudo in Kombination mit Durvalumab behandelt wurden, hatten ein medianes4 Gesamtüberleben von 16,4 Monaten. Im Vergleich dazu lebten jene Patientinnen und Patienten, welche mit Sorafenib behandelt wurden, im Median 13,8 Monate.

Vorsichtsmassnahmen, unerwünschte Wirkungen & Risiken

Imjudo darf bei einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe nicht angewendet werden.
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen (betrifft mehr als 1 von 10 Anwendern) sind Durchfall, Hautausschlag, Juckreiz, Husten, Fieber, Schmerzen in der Bauchregion, Schilddrüsenunterfunktion und erhöhte Aspartataminotransferase und Alaninaminotransferase5. Häufige schwerwiegende Nebenwirkungen (betrifft bis zu 1 von 10 Anwendern) sind Entzündungen des Dickdarms und Lungenentzündungen.
Durch die Hemmung des körpereigenen Abwehrsystems können auch immunvermittelte unerwünschte Wirkungen auftreten.
Alle Vorsichtsmassnahmen, Risiken und weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind in der Patientinnen- und Patienteninformation (Packungsbeilage) sowie in der Fachinformation aufgeführt.

Begründung des Zulassungsentscheids

Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist weltweit die fünfthäufigste Krebsart und die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache bei Männern.
Obwohl es schon Therapien zur Behandlung von HCC gibt, ist die Krankheit unheilbar und es besteht ein grosser medizinischer Bedarf an sicheren und wirksamen Behandlungsmöglichkeiten.
Die durchgeführte Studie HIMALAYA zeigte, dass Imjudo in Kombination mit Durvalumab die Überlebenszeit von Patientinnen und Patienten im Vergleich zur Behandlung mit Sorafenib verlängern kann. Die Nebenwirkungen von Imjudo in Kombination mit Durvalumab können schwerwiegend sein.
Unter Berücksichtigung aller Risiken und Vorsichtsmassnahmen und aufgrund der vorliegenden Daten überwiegen die Vorteile von Imjudo in Kombination mit Durvalumab die Risiken. Swissmedic hat daher das Arzneimittel Imjudo mit dem Wirkstoff Tremelimumab für die beantragte Indikation des inoperablen hepatozellulärem Karzinom (uHCC) für die Schweiz zugelassen.

Weitere Informationen zum Arzneimittel

Information für medizinisches Fachpersonal:
Fachinformation Imjudo® auf www.swissmedicinfo.ch
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.

1. Durvalumab ist ein bereits zugelassener Wirkstoff. Es ist ein monoklonaler Antikörper, aus der Gruppe der Checkpoint-Inhibitoren, der zur Behandlung von bösartigen Tumoren eingesetzt wird.
2. Systemische Therapie: Im Gegensatz zu einer lokalen Therapie (Behandlung am Ort der Erkrankung) wird bei der systemischen Therapie die Behandlung des gesamten Körpers zur Bekämpfung der Erkrankung eingeschlossen.
3. Gesamtüberleben: Das Gesamtüberleben (OS, overall survival) bezeichnet die Zeitspanne zwischen Therapiebeginn und Tod des Patienten bzw. der Patientin.
4. Median: Der Wert, der genau in der Mitte einer Datenverteilung liegt, nennt sich Median oder Zentralwert. Die eine Hälfte aller Daten ist immer kleiner, die andere grösser als der Median.
5. Aspartataminotransferase (AST) und Alaninaminotransferase (ALT): Dies sind beides Enzyme, welche vor allem in den Leberzellen produziert werden. Erhöhte Blutwerte der Aktivität dieser Enzyme können einen Hinweis auf Erkrankungen im Bereich der Leber darstellen.

Der Stand dieser Information entspricht demjenigen des SwissPAR. Neue Erkenntnisse über das zugelassene Arzneimittel fliessen nicht in den Public Summary SwissPAR ein.

In der Schweiz zugelassene Arzneimittel werden von Swissmedic überwacht. Bei neu festgestellten unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder anderen sicherheitsrelevanten Signalen leitet Swissmedic die notwendigen Massnahmen ein. Neue Erkenntnisse, welche die Qualität, die Wirksamkeit oder die Sicherheit dieses Medikaments beeinträchtigen könnten, werden von Swissmedic erfasst und publiziert. Bei Bedarf wird die Arzneimittelinformation angepasst.

SWISSMEDIC INFO

Public Summary SwissPAR vom 20.02.2024

Talvey® (Wirkstoff: Talquetamab)

Befristete Zulassung in der Schweiz: 30.10.2023
Arzneimittel (Injektionslösung) zur Viertlinien-Behandlung des rezividierenden oder refraktären multiplem Myeloms bei Erwachsenen

Befristete Zulassung in der Schweiz: 30.10.2023
Arzneimittel (Injektionslösung) zur Viertlinien-Behandlung des rezividierenden oder refraktären multiplem Myeloms bei Erwachsenen

Über das Arzneimittel

Das Arzneimittel Talvey mit dem Wirkstoff Talquetamab wird zur Behandlung des multiplen Myeloms («Knochenmarkkrebs») bei Erwachsenen eingesetzt, die mindestens drei vorausgegangene Behandlungsphasen durchlaufen haben, einschliesslich der Behandlung mit Medikamenten der drei Standardtherapieklassen, und deren Erkrankung nach der letzten Behandlungsphase ein Fortschreiten gezeigt hat.
Das multiple Myelom (MM) ist eine seltene Krebsart, welche etwa 1-2 Prozent aller Krebserkrankungen ausmacht. Die Häufigkeit der Neuerkrankungen mit MM nimmt mit dem Alter zu. Zwei Drittel der neuerkrankten Personen sind über 65 Jahre alt. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch eine übermässige Vermehrung der Plasmazellen. Plasmazellen sind eine Unterart der weissen Blutkörperchen, welche im körpereigenen Abwehrsystem (Immunsystem) für die Produktion von Antikörpern verantwortlich sind. Im Rahmen des MM vermehren sich Plasmazellen unkontrolliert im Knochenmark und manchmal auch in anderen Organen. Dies verhindert die normale Bildung von Blutzellen und kann Knochen und andere Organe zerstören bzw. in ihrer Funktion beeinträchtigen.
Da es sich beim multiplen Myelom um eine seltene und lebensbedrohende Krankheit handelt, wurde das Arzneimittel als «Orphan Drug» zugelassen. Mit Orphan Drug werden wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten bezeichnet.
Talvey wurde im Rahmen des «Project Orbis» zugelassen. Project Orbis ist ein von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA koordiniertes Programm für vielversprechende Krebsbehandlungen. Es bietet einen Rahmen für die gleichzeitige Einreichung und Prüfung von Krebsmedikamenten durch mehrere internationale Partnerbehörden verschiedener Länder. Damit wird das Ziel verfolgt, Patientinnen und Patienten einen schnelleren Zugang zu innovativen Krebsbehandlungen zu ermöglichen. Zurzeit sind die Zulassungsbehörden von Australien (TGA), Brasilien (ANVISA), Israel (MOH), Kanada (HC), Singapur (HSA), Schweiz (Swissmedic) und dem Vereinigten Königreich (MHRA) im Project Orbis vertreten.

Wirkung

Der Wirkstoff in Talvey, Talquetamab, ist ein Antikörper (ein immunologisch wirksames Protein), der sowohl an die Tumorzelle über das sogenannte GPRC5D-Antigen als auch an den CD3-Rezeptor (Bindungsstelle) auf den T-Zellen (Zellen des Immunsystems) bindet. Dadurch bringt Talquetamab die Tumorzellen mit den T-Zellen zusammen. Dies wiederum aktiviert die T-Zellen, die dann die multiplen Myelom-Zellen abtöten können.
Anwendung
Talvey mit dem Wirkstoff Talquetamab ist rezeptpflichtig. Talvey ist als Injektionslösung in den Dosen 3 mg gelöst in 1.5 ml und 40 mg gelöst in 1 ml in jeweils einer Durchstechflasche erhältlich. Talvey wird unter die Haut gespritzt. Die Dosierung wird schrittweise auf die Behandlungsdosis erhöht.
Die Anwendung von Talvey soll nur unter der Anleitung von ärztlichem Personal mit Erfahrung in der intensivmedizinischen Behandlung der möglicherweise auftretenden unerwünschten Wirkungen erfolgen. Zu Beginn der Therapie mit Talvey, und bei Bedarf auch im späteren Verlauf der Behandlung, ist eine stationäre Überwachung während mindestens 48 h nach der Verabreichung notwendig.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Talvey wurde in einer offenen Studie1 (MonumentTAL-1) ohne einen Kontrollarm mit 265 MM-Patientinnen und -Patienten untersucht. Die erwachsenen Patientinnen und Patienten hatten schon mindestens 3 vorangehende Behandlungsphasen, einschliesslich der Behandlung mit Medikamenten der drei Standardtherapieklassen erhalten.
Historisch betrachtet haben Patientinnen und Patienten mit wiederkehrendem oder behandlungsresistentem MM, die bereits mit den drei Standardtherapieklassen vorbehandelt wurden, einen ungünstigen Krankheitsverlauf (schlechte Prognose). Nach historischen Daten lag die Gesamtansprechrate (ORR)2 bei ca. 30 %. Das mediane3 progressionsfreie Überleben (PFS)4 lag bei ca. 3 bis 6 Monaten und das gesamte Überleben (OS) bei ca. 6 bis 12 Monaten.
Von den 122 Patientinnen und Patienten, der Patientengruppe, welche in der Studie mit 0,4 mg/kg Talvey wöchentlich behandelt wurden, wurde bei 89 Studienteilnehmenden ein Ansprechen und somit eine ORR von 73% erreicht. Das mediane PFS betrug 7,0 Monate. Aufgrund der zum Zeitpunkt der befristeten Zulassung noch nicht vollständig vorliegenden Daten, kann das Gesamtüberleben zurzeit noch nicht geschätzt werden. Daten von weiteren Patientengruppen der Studie unterstützten diese Ergebnisse.

Vorsichtsmassnahmen, unerwünschte Wirkungen & Risiken

Talvey darf bei einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe nicht angewendet werden.
Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen (betrifft mehr als 1 von 10 Anwendern) gehören das Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS)5, Geschmacksstörungen, Hypogammaglobulinämie6, Erkrankungen der Nägel, Muskelschmerzen, Neutropenie und Lymphopenie (niedrige Anzahl einer jeweils bestimmten Gruppe von weissen Blutkörperchen), Erkrankungen oder Ausschläge der Haut, Müdigkeit, Gewichtsabnahme, Blutarmut, trockener Mund, Fieber, trockene Haut, Thrombozytopenie (geringe Anzahl an Blutplättchen), Schluckstörungen, Durchfall, Infektionen der oberen Atemwege, Juckreiz, Husten, Schmerzen, verminderter Appetit und Kopfschmerzen.
Alle Vorsichtsmassnahmen, Risiken und weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind in der Fachinformation aufgeführt.

Begründung des Zulassungsentscheids

Patienten und Patientinnen mit einem wiederkehrendem oder behandlungsresistentem stark vorbehandelten MM haben eine schlechte Prognose. Daher besteht ein grosser Bedarf an neuen Therapiemöglichkeiten.
Die Daten der vorgelegten Studie zeigten eine hohe Ansprechrate unter Talvey verglichen zu den historischen Daten. Die Aussagekraft der Ergebnisse zum Überleben ist begrenzt, da die Studiendauer zum Zeitpunkt der Datenbetrachtung noch nicht ausreichend lang war.
Das Arzneimittel Talvey wurde deshalb in der Schweiz befristet zugelassen (Art. 9a HMG), da zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht alle klinischen Studien vorliegen oder abgeschlossen waren. Die befristete Zulassung ist zwingend an die zeitgerechte Einreichung der von Swissmedic verlangten ergänzenden Daten gebunden. Nach Erfüllung dieser Zulassungsauflagen kann die befristete Zulassung bei positiver Nutzen-Risiko-Beurteilung der Resultate in eine Zulassung überführt werden.

Weitere Informationen zum Arzneimittel

Information für medizinisches Fachpersonal: Fachinformation Talvey® auf www.swissmedicinfo.ch
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.

1. Offene Studie: Bei einer offenen (unverblindeten) Studie, wissen die Gesundheitsfachpersonen, sowie auch die Patientinnen und Patienten, welche Therapie die Studienteilnehmenden erhalten.
2. ORR (objective response rate) ist definiert als prozentualer Anteil von Patientinnen und Patienten mit Ansprechen auf die Therapie.
3. Median: Der Wert, der genau in der Mitte einer Datenverteilung liegt, nennt sich Median oder Zentralwert. Die eine Hälfte aller Daten ist immer kleiner, die andere grösser als der Median.
4. PFS: Progressionsfreies Überleben (PFS, progression-free survival): Zeitspanne zwischen dem Start einer Behandlung oder einer klinischen Studie und dem Beginn des Fortschreitens der Krankheit oder dem Tod der Patientin oder des Patienten.
5. Zytokin-Freisetzungssyndrom ist eine systemischen Entzündungsreaktion aufgrund massiver Ausschüttung von Zytokinen (Eiweisse), die die weissen Blutkörperchen aktivieren.
6. Hypogammaglobulinämie: Erkrankung des Immunsystems (körpereigenes Abwehrsystem), bei der zu wenig oder keine Immunoglobluline im Blut vorhanden sind. Immunoglobuline sind Proteine (Eiweisse), welche das Immunsystem unterstützen.

Der Stand dieser Information entspricht demjenigen des SwissPAR. Neue Erkenntnisse über das zugelassene Arzneimittel fliessen nicht in den Public Summary SwissPAR ein.
In der Schweiz zugelassene Arzneimittel werden von Swissmedic überwacht. Bei neu festgestellten unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder anderen sicherheitsrelevanten Signalen leitet Swissmedic die notwendigen Massnahmen ein. Neue Erkenntnisse, welche die Qualität, die Wirkung oder die Sicherheit dieses Medikaments beeinträchtigen könnten, werden von Swissmedic erfasst und publiziert. Bei Bedarf wird die Arzneimittelinformation angepasst.

Der Klimawandel, eine existenzielle Gefahr für Mensch und Natur

Seit einigen Jahren bedroht der Klimawandel mit all seinen Auswirkungen zunehmend die Erde und ihre Lebewesen.

Die sich daraus ergebenden Gefahren werden in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Verheerende Unwetter mit massiven Auswirkungen auf die Kulturlandschaft, die Infrastruktur und ganze Dorfteile sind leider auch in der Schweiz eine traurige Tatsache.

Die Ziele des Pariser-Abkommens mit Begrenzung auf 1.5 Grad Klimaerwärmung sind bereits unrealistisch.

Durch den Klimawandel nehmen die Hitzetage bei steigenden Temperaturen deutlich zu; sie werden sich auch über längere Zeiträume ausdehnen. Gefürchtet sind auch die Hitze-Glocken in Nordamerika, welche lange vor Ort verharren. Der CO2-Gehalt ist um 50 % höher als in der vorindustriellen Zeit und speichert die Wärme in der Atmosphäre. Die lange Lebensdauer von CO2 und weiteren Treibhausgasen führt dazu, dass die Temperaturen noch viele Jahre weiter steigen werden.

Es kommt zu einer erhöhten Sterblichkeit. Die Todesfälle sind überwiegend kardiovaskulären Ursprungs. Besonders gefährdet sind neben kleinen Kindern ältere und chronisch kranke Patienten.

Im Juni 2024 wurde in Saudi-Arabien, anlässlich der Pilgerfahrt nach Mekka (Haddsch) in der Grossen Moschee mit der «Kaaba», max. 51.8 °C gemessen. Es kam laut der Agence France-Presse insgesamt zu mehr als 1300 Toten. In Athen stieg die Temperatur Mitte Juni 2024 auf 41 °C, nachts lag diese ≥30 °C. Eine zusätzliche Gefahr sind die Waldbrände mit ihren Zerstörungen und der Luftschadstoffbelastung. Auch in den nördlichen Teilen Indiens wurden bereits im Mai 2024 sehr hohe Temperaturen von max. 50.8 °C, in Neu-Delhi von 48 °C, registriert.

Die Hitze hat auch weitere sozioökonomische Auswirkungen: auf die Bergwelt mit Gletscherschmelzungen und Erwärmung des Permafrosts mit Steinschlägen und Schlammlawinen; auf die Landwirtschaft; auf die Energie mit erhöhter Nachfrage; auf die Wasserversorgung bei weniger Gletschereis und vermehrter Verdunstungsrate mit Erschöpfung der Reserven und auf die Verluste der Wirtschaft mit Ertragseinbussen in der Landwirtschaft, im täglichen Leben in unzähligen Bereichen und deutlich höheren Gesundheits- und Folgekosten.

Das Gesundheitsrisiko wird zusätzlich durch eine Feinstaubbelastung vor allem in urbanen Gegenden potenziert. Je mehr Luftschadstoffe vorhanden sind, desto stärker wirkt die Hitze bei der Entstehung und Akutmanifestation von Herzkreislauferkrankungen. Strassenverkehrs-, Flug- und Eisenbahnlärm steigern, vor allem auch nachts, das gesundheitliche Risiko deutlich.

Doch es gibt auch Hoffnung: Die Menschheit hat immer wieder Wege gefunden, sich anzupassen. Wir haben die Fähigkeit, Herausforderungen zu bewältigen und Schäden durch wissenschaftlichen Fortschritt und technologische Innovationen zu minimieren. Die globale Gemeinschaft ar­beitet intensiv daran, Lösungen zu finden, die sowohl die Umwelt schützen als auch die Lebensqualität verbessern. Fortschritte in der Medizin und in der Umwelttechnik bieten neue Möglichkeiten, um die Gesundheit zu fördern und die negativen Folgen der Umweltveränderungen abzumildern.

Als Ärztinnen und Ärzte tragen wir eine besondere Verant­wortung. Durch Aufklärung und Bewusstseinsbildung können wir dazu beitragen, dass Menschen besser auf die gesundheitlichen Folgen von Hitze, Luftverschmutzung und Lärm vorbereitet sind. Präventive Massnahmen und Schulungen sind essenziell, um die Risiken zu minimieren und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre der vielen interessanten Artikel in dieser Ausgabe. Trotz der schwie­rigen Weltlage erhoffen wir ruhige Sommerferientage ohne weitere Unwetter, Hitzewellen, Feinstaub- und Lärmbelastung.

Dr. med. Urs Dürst

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

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