Die Zukunft der Medizin? Oder längst Gegenwart? Oder doch nur Populismus?
Wer Netflix schaut oder in sozialen Medien stöbert, kommt nicht daran vorbei: Anti-Aging, Verjüngung, «Don’t Die». Auch sehen die Hollywood Stars von Jahr zu Jahr jünger aus – zum Teil so sehr, dass es gespenstisch wirkt. Nun ja, gewisse übertreiben es. Doch die Tendenz ist eindeutig: Altern war früher.
Da wäre zum Beispiel Bryan Johnson. Auf Netflix sieht man ihn in seiner Dokumentation «Don’t Die». Sein ganzes Leben ist darauf ausgerichtet, dem Alter zu trotzen. 120 Pillen am Tag, eine Stunde Sport, Lichttherapien, vegetarische Ernährung – aber nur bis 11 Uhr morgens, danach fastet er bis zum nächsten Tag. Er geht um 20 Uhr schlafen, steht um 4.30 Uhr auf, schläft auf einer temperaturregulierenden Matratze und investiert anscheinend jährlich zwei Millionen Dollar in seinen Kampf gegen die Vergänglichkeit. Ende 2024 hat er sogar eine unerprobte Gentherapie, die Follistatin freisetzt, an sich selbst getestet. Wohin das führt? Wir werden sehen.
Doch im Grunde begann diese Entwicklung lange vor Bryan Johnson – mit der modernen Medizin. Der Tod wurde aus unserem Alltag verbannt. Verstorbene werden diskret aus Heimen und Spitälern abtransportiert , wir sprechen nicht über das Sterben. Wir schieben es mit aller Wissenschaft hinaus, verstecken und verdrängen es. Sterben ist tabu. Und Altern damit ebenso.
Wieso erstaunt es da, dass die Medizin immer teurer wird, wenn man erstens älter wird und zweitens alles macht, um jung zu bleiben oder zumindest jünger auszusehen? Was wäre, wenn Werbung und Filme nicht mehr von makellosen Models, sondern von ganz normalen Menschen bevölkert wären – von Dir und mir, von uns allen? Dann hätten wir andere Ideale als heute. Nämlich die Realität.
Kardiovaskuläre Sicherheit von CGRP-monoklonalen Antikörper zur Migräneprophylaxe
Fragestellung
Ziel der retrospektiven, sequentiellen Kohortenstudie war es, in einem «Real-World-Setting» zu prüfen, ob die Anwendung von monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor zur Migräneprophylaxe mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden ist.
Monoklonale Antikörper gegen CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) oder den CGRP-Rezeptor werden zunehmend zur Migräneprophylaxe eingesetzt. Dennoch gab es bisher Bedenken bezüglich der Sicherheit, insbesondere bei Risikopatienten, da eine Blockade von CGRP möglicherweise das kardiovaskuläre Risiko steigern könnte.
Diese Bedenken stützen sich auf Ergebnisse aus tierexperimentellen Studien. Metaanalysen früherer randomisierter Studien zeigten jedoch keinen negativen Effekt der CGRP-Blockade. Allerdings wurden in diesen Studien häufig ältere Patienten sowie solche mit schweren kardiovaskulären Vorerkrankungen ausgeschlossen, sodass eine «Real-World»-Evidenz bislang fehlte.
Studiendesign
Eine retrospektive Kohortenstudie aus den USA schließt nun diese Lücke. Zwischen Mai 2018 und Dezember 2020 wurden Patienten (über 18 Jahre) mit Migräne untersucht, die entweder Anti-CGRP-Antikörper oder Onabotulinumtoxin A erhielten. Patienten mit einer Vorgeschichte von Myokardinfarkt (MI), Schlaganfall, Clusterkopfschmerz, bösartigem Krebs oder Hospizdienst innerhalb eines 1-Jahres-Zeitraums vor Behandlungsbeginn wurden ausgeschlossen. Der primäre Endpunkt war das Auftreten von Myokardinfarkten oder Schlaganfällen. Sekundäre Endpunkte umfassten hypertensive Krisen, periphere Revaskularisationen und das Raynaud-Syndrom.
Ergebnisse
Von insgesamt 266 848 Migränepatienten erhielten 5153 Patienten (Durchschnittsalter 57.8 Jahre, 83.6 % weiblich) Anti-CGRP-Antikörper, während 4000 Patienten (Durchschnittsalter 61.9 Jahre, 83.8 % weiblich) Onabotulinumtoxin A erhielten.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Behandlung mit Anti-CGRP-Antikörpern nicht mit einer höheren Rate schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse assoziiert war (bereinigte Hazard Ratio [aHR], 0.88; 95 % CI, 0.044–1.77). Zudem führte die Therapie nicht zu einer höheren Inzidenz hypertensiver Krisen.
Auch Subanalysen nach Alter (über und unter 65 Jahre) oder vorbestehenden kardiovaskulären Erkrankungen zeigten kein erhöhtes Risiko.
Die Autoren betonen, dass diese Ergebnisse wichtige Hinweise für die klinische Praxis liefern, jedoch auch mehrere Limitationen bestehen, insbesondere die insgesamt geringe Anzahl kardiovaskuläre Ereignisse und die relativ kurze nach Beobachtungszeit.
Dr. med. Roland Backhaus
Quelle:
Yang S, Orlova Y, Park H et al. Cardiovascular Safety of Anti-CGRP Monoclonal Antibodies in Older Adults or Adults with Disability With Migraine. JAMA Neurol. 2025 Jan 6.
https://jamanetwork.com/journals/jamaneurology/article-abstract/2828333
Der Zusammenhang zwischen MASLD, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes
Die mit metabolischer Dysfunktion assoziierte steatotische Lebererkrankung (MASLD) ist ein neues globales Gesundheitsproblem, und sie ist nicht nur die wichtigste Vorstufe einer möglichen leberbedingten Morbidität, sondern setzt die Patienten auch einem erheblich höheren kardiovaskulären Risiko aus, das nach wie vor eine der Haupttodesursachen bei diesen Patienten ist. Die wichtigsten gemeinsamen pathophysiologischen Mechanismen, die diesen Erkrankungen zugrunde liegen, hängen in erster Linie mit Insulinresistenz, chronischer Entzündung und oxidativem Stress zusammen. Das Vorhandensein von MASLD mit kardiovaskulären Erkrankungen und Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) erhöht das Risiko für schlechte Ergebnisse. Angesichts der Verflechtung von MASLD, T2DM und CVD besteht ein dringender Bedarf an therapeutischen Strategien, die alle drei Erkrankungen berücksichtigen. Obwohl Änderungen des Lebensstils für die Behandlung wichtig sind, spielen Medikamente eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle der Hyperglykämie, der Verbesserung der Leberfunktion und der Senkung des kardiovaskulären Risikos. Die Entstehung und das Fortschreiten von MASLD sollte durch einen vielseitigen therapeutischen Ansatz angegangen werden, der neben den Behandlungstrategien für T2DM auch auf Entzündungs-, Immun-, Stoffwechsel-, oxidativen Stress-, Hormon- und Darmaxis-Wege abzielt. In einer kürzlich veröffentlichten Übersicht wurden die Auswirkungen von Antidiabetika auf die Leberwerte und das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit MASLD, T2DM und CDV diskutiert (1). Im Folgenden wird auf die Inhibition von SGLT2 eingegangen.
SGLT2-Inhibitoren haben sich als wichtige Therapeutika für die Behandlung verschiedener Stoffwechselkrankheiten erwiesen, darunter die mit metabolischer Dysfunktion assoziierte steatotische Lebererkrankung (MASLD), Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (2). Diese Wirkstoffe hemmen die Rückresorption von Glukose in den proximalen Nierentubuli und erleichtern so die Glukoseausscheidung im Urin. Diese gute Kontrolle des Blutzuckerspiegels in Verbindung mit zusätzlichen positiven Effekten auf das Körpergewicht und das Herz-Kreislauf-System haben dazu geführt, dass diese Wirkstoffe als Teil unserer Behandlungsstrategien bei Patienten, die mit diesem tödlichen Dreigestirn von miteinander verbundenen Erkrankungen konfrontiert sind, eine unverzichtbare Bedeutung haben (3). Die pathophysiologischen Wirkungen der SGLT2-Inhibitoren auf MASLD sind vielfältig und komplex. Einer der wichtigsten ist, dass sie die Insulinempfindlichkeit verbessern. Da MAFLD mit Insulinresistenz verbunden ist (4,5), bedeutet ihre Fähigkeit, die Insulinsensitivität zu verbessern, auch, dass SGLT2-Inhibitoren die hepatische Glukoseproduktion verringern und die zirkulierenden freien Fettsäurespiegel senken können (6). Diese Senkung ist wichtig, da ein Übermaß an freien Fettsäuren zu einem erheblichen hepatischen Fettüberschuss und zu Entzündungen führt (7). Die Einnahme von SGLT2-Inhibitoren kann auch erhebliche extrahepatische entzündungshemmende Wirkungen auf die Leber haben. In klinischen Studien zu pro-inflammatorischen Zytokinen und systemischen Entzündungsmarkern wird die Entzündung ebenfalls stark reduziert (8).
Schlussfolgerungen Die Behandlung von Patienten mit MASLD, CVD und T2DM erfordert eine vielseitige und ganzheitliche Strategie, die Lebensstilinterventionen, Pharmakotherapie und eine sorgfältige Überwachung der kardiovaskulären Risikofaktoren umfasst. Indem sie die Zusammenhänge zwischen diesen Erkrankungen berücksichtigen, können Gesundheitsdienstleister die Ergebnisse für die Patienten deutlich verbessern, das Risiko von Komplikationen verringern und die Lebensqualität der Menschen verbessern, die mit diesen chronischen Krankheiten zu kämpfen haben. In der sich ständig weiterentwickelnden Welt dieser eng miteinander verflochtenen Gesundheitsprozesse ist es von größter Bedeutung, dass wir unsere Wachsamkeit im Hinblick auf die Entwicklung optimaler integrierter Versorgungspfade aufrechterhalten, um die vielschichtige Natur unserer Patientenpopulation anzugehen und zu verwalten. Entsprechende Studien sind gerechtfertigt, da diese Krankheiten hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden strukturellen Veränderungen und der gemeinsamen Entzündungswege eine beträchtliche Anzahl von Ähnlichkeiten aufweisen. Da die Herausforderungen, die MASLD, CVD und T2DM mit sich bringen, sehr groß und anspruchsvoll sind, ist eine multidisziplinäre und sektorübergreifende Strategie erforderlich, um Vorkehrungen zu treffen, die Veränderungen für eine bessere langfristige Gesundheit der Patienten mit sich bringen würden.
Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Riesen
Quelle: Michalopoulu E et al. The Triad of Risk: Linking MASLD, Cardiovascular Disease and Type 2 Diabetes; From Pathophysiology to Treatment. J Clin Med 2025;14:428. doi: 10.3390/jcm14020428
Literatur:
1. Michalopoulu E et al. The Triad of Risk: Linking MASLD, Cardiovascular Disease and Type 2 Diabetes; From Pathophysiology to Treatment. J Clin Med 2025;14:428. doi: 10.3390/jcm14020428
2. Umemura A et al. Potential Therapeutic Targets and Promising Agents for Combating NAFLD. Biomedicines. 2022;10:901. doi: 10.3390/biomedicines10040901. [
3. Li Bet al. Effects of Canagliflozin on Fatty Liver Indexes in Patients with Type 2 Diabetes: A Meta-analysis of Randomized Controlled Trials. J. Pharm. Pharm. Sci. 2018;21:222–235. doi: 10.18433/jpps29831.
4. Mo M et al. The safety and efficacy evaluation of sodium-glucose co-transporter 2 inhibitors for patients with non-alcoholic fatty liver disease: An updated meta-analysis. Dig. Liver Dis. 2022;54:461–468. doi: 10.1016/j.dld.2021.08.017. [
5. Chino Y et al. SGLT2 inhibitor lowers serum uric acid through alteration of uric acid transport activity in renal tubule by increased glycosuria. Biopharm. Drug Dispos. 2014;35:391–404. doi: 10.1002/bdd.1909
6. Khaznadar F et al. Biomarkers for Assessing Non-Alcoholic Fatty Liver Disease in Patients with Type 2 Diabetes Mellitus on Sodium-Glucose Cotransporter 2 Inhibitor Therapy. J. Clin. Med. 2023;12:6561. doi: 10.3390/jcm12206561
7. Androutsakos T et al. SGLT-2 Inhibitors in NAFLD: Expanding Their Role beyond Diabetes and Cardioprotection. Int. J. Mol. Sci. 2022;23:3107. doi: 10.3390/ijms23063107.
8. Amjad W.et al. Sodium-glucose cotransporter-2 inhibitors improve liver enzymes in patients with co-existing non-alcoholic fatty liver disease: A systematic review and meta-analysis. Prz. Gastroenterol. 2022;17:288–300. doi: 10.5114/pg.2021.112365.
Das Ovarialkarzinom steht an Stelle 8 der häufigsten Karzinome der Frau und an Stelle 18 der Krebssterblichkeit. Weltweit wurden 2020 313 000 neue Ovarialkarzinome diagnostiziert (1). In der Schweiz erkranken pro Jahr ca. 600 Frauen an einem Ovarialkarzinom, damit liegt der Anteil an allen Krebsneuerkrankungen bei 3 %. Das mediane Erkrankungsalter liegt bei 68.6 Jahren (2). Die 5-Jahres-Überlebensrate ist mit 46 % eingeschränkt. Trotz Fortschritte in der operativen und systemischen Therapie des Ovarialkarzinoms erleiden die meisten Patientinnen einen Rückfall und versterben schliesslich an ihrer Erkrankung.
In der Karzinogenese spielen reproduktive Faktoren eine Rolle, wie beispielsweise frühe Menarche, späte Menopause, späte Erstgebärende und Nullipara. Risikoreduzierend ist die Einnahme oraler Kontrazeptiva. Weiterhin spielen genetische Faktoren eine grosse Rolle bei der Entstehung des Ovarialkarzinoms (3). Erst seit wenigen Jahren weiss man, dass der Anteil an Patientinnen mit Keimbahnveränderungen in den Genen BRCA1 und BRCA2 bei Patientinnen mit einem sog. high-grade serösen Ovarialkarzinom bei bis zu 20 % liegt, weitere 5 % der Patientinnen haben andere risikoerhöhende Mutationen (z. B. PALB2, RAD 51C) (4). Weitere 20 % der Patientinnen haben eine eingeschränkte DNA-Doppelstrangreparatur (Mangel an homologer Rekombination) ohne das Vorliegen einer pathogenen Mutation (sog. HRD-Positivität) (5).
Früherkennung
Trotz grosser Bemühungen in den vergangenen Jahren existiert weiterhin kein Screening auf Eierstockkrebs bei asymptomatischen Frauen. Der transvaginale Ultraschall (TVUS) gilt als Bildgebungsverfahren der ersten Wahl für die Beurteilung von Ovarialkarzinomen, aber der TVUS allein hat keine ausreichende Sensitivität und Spezifität für die Früherkennung von Eierstockkrebs. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das high-grade seröse Ovarialkarzinom seinen mikroskopischen Ursprung in den Eileitern hat und sich bereits früh in der Karzinogenese auf die Eierstöcke und Bauchhöhle ausbreitet. Da eine niedrige Prävalenz den positiven prädiktiven Wert jedes diagnostischen Tests deutlich verringert, besteht das Risiko eines universellen Screenings in falsch-positiven Ergebnissen, die zu Notfällen und diagnostischen Operationen mit potenziell schädlichen Komplikationen führen.
Die UKCTOCS-Studie von Menon et al. war die grösste randomisierte kontrollierte Studie zum Ovarialkarzinom-Screening, an der 200 000 postmenopausale Frauen in Grossbritannien teilnahmen. Ein jährliches multimodales Screening mit einem Algorithmus zur Bestimmung des Tumormarkers CA-125 und/oder einem transvaginalen Ultraschall führten zwar zu einer Verringerung der Diagnose von Eierstockkrebs im fortgeschrittenen Stadium, die krankheitsspezifische Sterblichkeit jedoch verringerte sich nicht (6).
In den letzten Jahren hat die Einführung der opportunistischen bilateralen Salpingektomie als mögliche Strategie zur Verringerung des Risikos von Ovarialkarzinom Einzug gehalten. Die prophylaktische Kastration durch eine bilaterale Salpingo-Oophorektomie bleibt nur Frauen mit genetisch nachgewiesenen BRCA-Genmutationen vorbehalten, da nur hier die Risiken der prämaturen Menopause den Nutzen der Intervention überwiegen (7, 8).
Einteilung
Die meisten Ovarialkarzinome entwickeln sich aus Zellen des Oberflächenepithels; die übrigen entwickeln sich aus anderen Zelltypen (Keimzelltumoren, Keimstrang-Stroma-Tumoren). Selten ist das Ovar Ort von Metastasen (Tab. 1).
Karzinome
Die fünf unterschiedlichen Typen der Karzinome sind biologisch unterschiedlich.
High-grade seröses Karzinom
High-grade seröse Karzinome (HGSC) bilden die grösste Gruppe der Ovarialkarzinome (> 50 % der Fälle). Sie sind aggressive Tumore und werden häufig erst in fortgeschrittenem Stadium entdeckt. Dieser Karzinomtyp ist auch gehäuft mit BRCA1/2-Mutationen assoziiert. Als Ursprungsort der Tumorentstehung wird der Eileiter diskutiert.
Low-grade seröses Karzinom
Low-grade seröse Karzinome sind eine eigene Entität – die Tumorentstehung läuft langsamer als beim HGSC und über Vorstufen von serösen Borderlinetumoren über nicht invasive zu invasiven low-grade serösen Karzinomen (9). Insgesamt haben die low-grade serösen Karzinome zwar eine bessere Prognose, sind jedoch aufgrund schlechter Ansprechraten auf Chemotherapien problematisch. Aufgrund ihrer Seltenheit (5–10 % der Ovarialkarzinome) gab es in den letzten Jahren weniger medikamentöse Therapiefortschritte als beim HGSC. Nebst Chemotherapie haben die antihormonelle Therapie und MEK-Inhibitoren einen wichtigen Stellenwert in aktuellen Behandlungskonzepten.
Muzinöses Karzinom
Diese Karzinome werden häufig im Frühstadium diagnostiziert und entwickeln sich vermutlich aus Zystadenomen oder über Borderlinetumore. Es gibt zwei unterschiedliche Wachstumsmuster: das expansile Muster oder das seltenere, jedoch mit deutlich schlechterer Prognose assoziierte infiltrative Muster. Beim infiltrativen Muster muss eine Metastasierung aus Karzinomen des Gastrointestinaltrakts ausgeschlossen werden.
Endometrioides Karzinom
Endometrioide Karzinome des Ovars entstehen über endometrioide Adenofibrome und Borderlinetumore und werden häufiger in frühen Tumorstadien diagnostiziert. Sie treten häufig in Verbindung mit atypischer Endometriose oder synchron mit einem endometrioiden Karzinom des Corpus uteri auf. Sie werden prinzipiell wie die serösen Ovarialkarzinome behandelt.
Klarzelliges Karzinom
Klarzellige Karzinome treten wie endometrioide Karzinome häufiger bei Frauen mit Endometriose auf und werden immer als high-grade Karzinome klassifiziert. Aufgrund ihrer häufigen Resistenz gegenüber einer platinhaltigen Chemotherapie haben sie in fortgeschrittenen Stadien die schlechteste Prognose aller Ovarialkarzinome. In der Karzinogenese der klarzelligen Ovarialkarzinome spielt die Endometriose, ähnlich wie bei den endometrioiden Ovarialkarzinomen, eine wichtige Rolle.
Maligne Keimzelltumore
Bei dieser Gruppe handelt es sich um die «echten» ovariellen Tumoren, die aus den Keimzellen entstehen. 2/3 aller malignen Ovarialtumore in den ersten zwei Lebensjahrzehnten sind Keimzelltumoren. Der häufigste davon ist das Dysgerminom, gefolgt von gemischten Keimzelltumoren und unreifen Teratomen.
Keimstrang-Stroma-Tumore
Innerhalb der reinen Keimstrangtumore stellen die Granulosazelltumoren (GCTs) die größte Gruppe dar. GCTs sind niedrig-maligne Tumoren, die Östrogene bilden können. Es können Spätrezidive auch noch nach vielen Jahren auftreten. Eine untergeordnete Rolle spielt der Sertoli-Leydig-Zelltumor, der als Hormon Testeron produzieren kann.
Diagnostik
Als bildgebendes Verfahren der ersten Wahl steht der Ultraschall transvaginal zur Verfügung, bei V. a. Karzinom im fortgeschrittenen Stadium sollte ein CT oder eine MRT ergänzend erfolgen. Der V. a. ein Ovarialkarzinom besteht bei Frauen mit unklaren Raumforderungen der Adnexe, unbeabsichtigtem Gewichtsverlust und unklaren abdominalen Beschwerden. Die Symptome sind häufig unspezifisch. Der Tumormarker CA-125 kann als weiteres differenzialdiagnostisches Kriterium herangezogen werden. Gerade bei Frauen nach der Menopause sollten zystische Raumforderungen im Ovar beobachtet bzw. histologisch gesichert werden. Bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter sind die meisten zystischen Befunde funktionelle Zysten. Eine Raumforderung im Unterbauch mit Aszites deutet in der Regel auf ein Ovarialkarzinom hin. Die diagnostische Laparoskopie zur histologischen Sicherung und Beurteilung einer Operabilität stellt eine Option, vor allem bei fortgeschrittenen Stadien, dar (10).
Stadieneinteilung
Die Stadieneinteilung des Ovarialkarzinoms erfolgt als operatives Staging nach FIGO (Tab. 2) und bestimmt die Radikalität der Operation sowie die adjuvanten Therapien.
Die Behandlung des Ovarialkarzinoms richtet sich nach Stadium, Grad und Histologie und basiert auf drei Säulen: operative Zytoreduktion, Chemotherapie und zielgerichtete Erhaltungstherapie. Gemäss der neuen schweizerischen IVHSM-Richtlinie werden Ovarialkarzinomoperationen in Zukunft zur hoch spezialisierten Medizin gehören und auf dafür ausgewählte Zentren limitiert werden.
Folgende Grundprinzipien gelten:
– Im frühen Tumorstadium (Stadium IA oder IB) und/oder bei endometrioiden Tumoren des Grades 1 ist nach einer alleinigen Operation die Prognose ausgezeichnet (Überlebensrate 90 %).
– Ab Stadium IC, II, Grad 3 oder klarzelliger Histologie wird eine adjuvante Chemotherapie (z. B. mit Carboplatin und Paclitaxel) empfohlen.
– Im Stadium III oder IV ist die primäre operative Zytoreduktion, gefolgt von einer systemischen Chemotherapie, die Standardbehandlung. Kommt eine Patientin aufgrund der Tumorausdehnung oder aufgrund von Begleiterkrankungen für eine primäre Operation nicht infrage, ist eine neoadjuvante Chemotherapie, gefolgt von einer zytoreduktiven Operation, eine Alternative.
– Bei Frauen mit Kinderwunsch im Stadium IA kann ein fertilitätserhaltendes Vorgehen (Erhalt von einem Eierstock und dem Uterus) erwogen werden.
Therapie
Operative Therapie
Generell sollte die operative Behandlung des Ovarialkarzinoms durch gynäkologische Onkologen an einem zertifizierten Tumorzentrum erfolgen.
Frühstadium
Bei Verdacht auf ein Karzinom im Frühstadium erfolgt das Staging und die Stadieneinteilung chirugisch (StagingOperation). Diese kann mittels Laparoskopie oder robotergeführter laparoskopischer Chirurgie erfolgen (12). Im Regelfall ist jedoch eine Laparotomie erforderlich, die einen guten Zugang zum Oberbauch und damit eine korrekte Abschätzung der Tumorausdehnung ermöglicht. Die Operation umfasst die Hysterektomie und die bilaterale Salpingo-Oophorektomie. Alle peritonealen Oberflächen, die Zwerchfellhälften und die Organe des Abdomens und des Beckens werden beurteilt. Es wird Spülflüssigkeit vom Becken (Douglas-Raum) gewonnen, und multiple Peritonealbiopsien werden im mittleren und lateralen Becken und Abdomen entnommen. In frühen Tumorstadien wird zu Staging-Zwecken das infrakolische Omentum reseziert und eine pelvine und paraaortale Lymphadenektomie durchgeführt. Eine Sentinel-Lymphknoten-Biopsie wird bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom aktuell in klinischen Studien erforscht. Anzumerken ist, dass die Entscheidung für den operativen Zugangsweg nicht auf Kosten der onkologischen Sicherheit stattfinden sollte.
Fortgeschrittenes Stadium
Die komplette Tumorentfernung ist das primäre Ziel der Operation beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom (Debulking-Operation) (Abb. 1 und 2). Diese umfasst neben der Hysterektomie mit Salpingo-Oophorektomie bds. die Resektion von allen sichtbaren Tumorabsiedlungen im Bauchraum. In der Regel werden eine Resektion des Zwerchfellperitoneums, eine Entfernung von Peritoneum im kleinen Becken und in den Kolonrinnen, die infragastrische Omentektomie und ggf. Darmresektionen, Leberteilresektionen, Splenektomien etc. durchgeführt. Die systematische pelvine und paraaortale Lymphondektomie wird nur beim Tumorbefall der regionalen Lymphknoten durchgeführt. Eine grosse multizentrische, randomisierte europäische Studie zeigte bei fortgeschrittenen Ovarialkarzinomen ab dem Stadium FIGO-IIB keinen Überlebensvorteil für die systematische Lymphonodektomie bei klinisch unauffälligen Lymphknoten, nur eine erhöhte Morbidität (13). Die Zytoreduktion auf keine sichtbare Erkrankung mehr (makroskopische Tumorfreiheit) verbessert das Überleben der Patientinnen. Sollte eine komplette Zytoreduktion nicht erreicht werden, wird versucht, einen verbleibenden Tumorrest unter 1 cm zu erreichen.
Liegt doch ein inoperabler Situs vor, d.h., es ist keine komplette Resektion möglich mit verbleibendem Tumorrest über 1 cm Durchmesser der einzelnen Metastasen, profitieren die Betroffenen nicht mehr von der chirurgischen Resektion. Hier sollte eine primäre Systemtherapie erfolgen. Um unnötige chirurgische Interventionen zu vermeiden, hat die diagnostische Laparoskopie in den letzten Jahren an Stellenwert gewonnen. Der laparoskopisch ermittelte Fagotti-Score evaluiert die Operabilität durch eine Beurteilung der Tumorlast im Abdomen und ist der in Europa am meisten verwendete Score. Bei Patientinnen mit einem hohen Fagotti-Score ist eine optimale primäre Zytoreduktion sehr unwahrscheinlich. Diese Patientinnen können zunächst eine neoadjuvante Chemotherapie erhalten, bei Ansprechen dann gefolgt von einer Intervalloperation. Es kann aber auch sein, dass ein reduzierter Allgemeinzustand ein primäres Tumordebulking nicht ermöglicht.
Systemische Therapie
Es gibt in der Primärbehandlung des Ovarialkarzinoms prinzipiell zwei Möglichkeiten der systemischen Therapie:
– Staging- oder Debulking-Operation, gefolgt von 6 Zyklen einer platinhaltigen Chemotherapie und ggf. Erhaltungstherapie
– 3 Zyklen neoadjvuanter Chemotherapie, gefolgt von einer Operation bei Ansprechen auf die Therapie und Gabe von 3 weiteren Chemotherapiezyklen postoperativ und ggf. Erhaltungstherapie
Die Standardchemotherapie besteht aus 6 Zyklen Paclitaxel und Carboplatin. Für bestimmte Patientinnen wird der Antiangiogenese-Antikörper Bevacizumab hinzugefügt und als Erhaltungstherapie fortgeführt. In einer multizentrischen, randomisierten Phase-III-Studie wurde die Applikationsdauer auf 15 Monate festgelegt (im Vergleich zu 30 Monaten) (14).
Bei Patientinnen mit BRCA1- und/oder BRCA2-Mutationen ist der Einsatz des PARP-Inhibitors Olaparib durch die SOLO1/GOG-3004-Studie belegt. Patientinnen ab FIGO-Stadium-III mit high-grade serösem oder endometrioidem Ovarialkarzinom erhielten bei Ansprechen nach Abschluss der platinhaltigen Chemotherapie eine 2-jährige Erhaltungstherapie mit Olaparib (300 mg 2 x täglich). Nach 7 Jahren lebten 67 % der Patientinnen, die Olaparib erhalten hatten, und nur 46.5 % der Patientinnen mit Placebo, davon waren 45.3 % bzw. 20.6 % der Patientinnen ohne Rezidiv (15).
Die Möglichkeit der Kombination von Bevacizumab und einem PARP-Inhibitor wurde in der PAOLA-1/ENGOT-ov2-Studie überprüft. Patientinnen mit einer BRCA1- oder BRCA2-Mutation oder einem positiven HRD-Score ab FIGO-Stadium-III mit high-grade serösem oder endometrioidem Ovarialkarzinom erhielten bei Ansprechen nach Abschluss der platinhaltigen Chemotherapie eine 2-jährige Erhaltungstherapie mit Bevacizumab plus Olaparib. Das progressionsfreie Überleben verlängerte sich durch Olaparib von 21.7 auf 37.2 Monate bei Vorliegen einer BRCA1/2- Mutation und von 16.6 auf 28.1 Monate in der HRD-positiven Gruppe ohne Mutation. HRD-Positivität (Score >= 42) wurde mittels eines kommerziell erhältlichen Tests am Tumorgewebe (MyChoice® von Myriad genetics) bestimmt, was die Übertragbarkeit in die Routine erschwert. In der Schweiz ist an der Universitätsklinik Genf (HUG) ein akademischer HRD-Test erhältlich, welcher auf der PAOLA-I-Studienpopulation retrospektiv validiert wurde. Weitere kommerzielle HRD-Tests sind ebenfalls erhältlich (z. B. Foundation-One® von Foundation Medicine). Ob eine zusätzliche endokrine Therapie mit dem Aromatasehemmer Letrozol für 2 Jahre eine Option sein könnte, wird in der aktuell rekrutierenden ENGOT-ov54/Swiss-GO-2/MATAO-Studie untersucht.
Die hyperthermische intraperitoneale Chemotherapie (HIPEC), welche im Rahmen einer Intervall-Debulking-Operation bei einer makroskopischen Komplettresektion einen möglichen Stellenwert haben könnte, bleibt aufgrund widersprüchlicher Studienresultate weiterhin sehr umstritten und sollte auch aufgrund der vermehrten Nebenwirkungen nur im Rahmen von klinischen Studien appliziert werden (16). Dies gilt insbesondere auch in der Rezidivsituation, wo eine HIPEC nach sekundärer Debulking-Operation bisher keinen Vorteil aufzeigen konnte. Auch damit verwandte Therapiekonzepte wie die intraperitoneale Hochdruck-Aerosol-Chemotherapie (PIPAC) befinden sich zurzeit noch in experimenteller Entwicklung (17).
Nachsorge
Nach der abgeschlossenen Primärtherapie, noch während der Durchführung einer Erhaltungstherapie, wird eine regelmässige gynäkologisch-onkologische Nachsorge durchgeführt. Ziel der Nachsorge sind die Erkennung von therapieassoziierten Nebenwirkungen, die psychosoziale Betreuung, die Verbesserung der Lebensqualität und die Erkennung des Rezidivs. Die wissenschaftliche Evidenz zur Relevanz der Nachsorge ist limitiert. Die Nachsorge soll eine sorgfältige Anamneseerhebung, die körperliche Untersuchung inklusive gynäkologischer Spiegel- und Tastuntersuchung und die Vaginalsonographie sowie orientierende abdominale Sonographie umfassen. In den ersten 3 Jahren nach Abschluss der Therapie sollte die Untersuchung in 3-monatlichen Intervallen, im 4. und 5. Jahr in 6-monatlichen Intervallen und danach halbjährlich bis jährlich erfolgen. Während einer laufenden Erhaltungstherapie mit Bevacizumab oder einem PARP-Inhibitor sollte alle 3 Monate eine Tumormarkerkontrolle (CA-125) zusätzlich durchgeführt werden. Im Anschluss an die Erhaltungstherapie sollte eine Tumormarkerkontrolle nur bei Symptomen bzw. bei V. a. Rezidiv durchgeführt werden und auch nur bei V. a. Rezidiv eine bildgebende Untersuchung (CT oder MRT) indiziert werden. Eine Mammadiagnostik wird zweijährlich empfohlen.
Zur Sicherheit einer Hormonersatztherapie kann keine zuverlässige Aussage gemacht werden, kann aber nach entsprechender Aufklärung durchgeführt werden.
Rezidiv
Im Falle eines Tumorrezidivs entscheiden der zeitliche Abstand zur vorherigen abgeschlossenen Chemotherapie, das Ausmass der Erkrankung sowie der Allgemeinzustand der Patientin über die weitere Therapie.
In einigen Fällen kann eine zweite Operation im Rezidiv durchgeführt werden. In jedem Fall erfolgt eine erneute Chemotherapie als Kombinationstherapie mit einem Platin oder als Monotherapie. Auch neuere Therapieoptionen mit Antibody-Drug-Konjugaten werden in dieser Therapiesituation in Studien evaluiert. Immuntherapien (Checkpointinhibitoren) haben im Vergleich zu vielen anderen Entitäten beim Ovarialkarzinom bislang zu keinem wesentlichen Behandlungsfortschritt geführt.
Historie
Manuskript eingereicht: 12.09.2024
Angenommen nach Revision: 07.01.2025
Prof. Dr. med. Isabell Witzel
Klinik für Gynäkologie
Universitätsspital Zürich (USZ)
isabell.witzel@usz.ch
Die Autorinnen und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
Das Wichtigste für die Praxis
• In der Schweiz erkranken pro Jahr ca. 600 Frauen an einem Ovarialkarzinom.
• Es gibt bislang kein etabliertes Früherkennungsverfahren für Ovarialkarzinome.
• Genetische Veränderungen spielen in der Ovarialkarzinomentstehung eine grosse Rolle und sind für 20–25 % der Ovarialkarzinome verantwortlich.
• Meist wird das Ovarialkarzinom aufgrund der zunächst geringen und unspezifischen Symptome erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert, was sich in einer eingeschränkten 5-Jahres-Überlebensrate von 46 % widerspiegelt.
• Die Therapie besteht aus der Kombination von Operation, Chemotherapie und ggf. Erhaltungstherapien.
• In den letzten Jahren haben Fortschritte in der Therapie, v. a. durch die Hinzunahme von zielgerichteten Therapieansätzen wie Bevacizumab und PARP-Inhibitoren in der Erhaltungstherapie, zur Prognoseverbesserung geführt.
• Gemäss der neuen schweizerischen IVHSM-Richtlinie werden Ovarialkarzinomoperationen in Zukunft zur hoch spezialisierten Medizin gehören und auf dafür qualifizierte Zentren limitiert werden.
1. Ovarian Cancer Statistics: World Cancer Research Fund International; 2022 Available from: https://www.wcrf.org/cancer-trends/ovarian-cancer-statistics/.
2. Krebs, Neuerkrankungen und Sterbefälle: Anzahl, Raten, Medianalter und Risiko pro Krebsart: Bundesamt für Statistik / Nationale Krebsregistrierungsstelle; 12.12.2023 [Available from: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/krankheiten/krebs/indikatoren-arten.assetdetail.29145337.html.
3. Havrilesky LJ, Abernethy AP. Quality of life in ICON7: need for patients‘ perspectives. Lancet Oncol. 2013;14(3):183-5.
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Vor 25 Jahren war klar: Die akute Divertikulitis hat eine infektiöse Pathogenese, und es braucht daher eine antibiotische Behandlung. Heute hingegen ist bei der unkomplizierten Divertikulitis unklar, ob und welche pathogene Rolle Darmbakterien spielen. Die Guidelines empfehlen grundsätzlich eine antibiotikafreie Therapie, sofern keine Risikofaktoren für einen schweren Verlauf vorliegen. Wir haben uns in früheren Artikeln für eine antibiotikafreie Therapie der Blasenentzündung (1), der rezidivierenden Blasenentzündung (2) und der Streptokokken-Angina (3, 4) eingesetzt. Nun sind wir gespannt, was die wissenschaftlichen Daten für ein Vorgehen bei der Divertikulitis in der Praxis nahelegen. Zur Divertikulitis gibt es empfehlenswerte Übersichtsartikel (5, 6, 8, 21, 29, 30, 31) und Guidelines (7, 9, 10).
Epidemiologie
Wie häufig ist die Divertikulose und die Divertikulitis?
Die Divertikulose nimmt mit dem Alter deutlich zu. In Autopsiestudien sind etwa 5 % der U40-Jährigen betroffen, aber bis 75 % der Ü70 (7). Meist bleibt die Divertikulose asymptomatisch: Nur 1–4 % der Leute mit Divertikulose machen irgendwann im Leben eine Divertikulitis durch (7).
Welche Faktoren erhöhen das Divertikulitis-Risiko?
Ähnlich zu anderen häufigen Krankheiten (z. B. koronare Herzkrankheit, Diabetes, Osteoporose) sind etwa 50 % des Divertikulitis-Risikos genetisch bedingt (6). Gut dokumentierte Risikofaktoren sind männliches Geschlecht, Adipositas und starker (nicht aber regelmässiger mässiger) Alkoholkonsum (6).
Gibt es Medikamente, die das Divertikulitis-Risiko erhöhen?
Ja, Kortikosteroide (Immunsuppression) und Opioide (Passageverzögerung). Zudem kann die regelmässige Einnahme (> 2 x pro Woche) von nicht steroidalen Entzündungshemmern (NSAR) das Divertikulitisrisiko und das Perforationsrisiko von Divertikeln erhöhen (6, 24).
Wie wird die Divertikulitis eingeteilt?
Die grosse Mehrheit (90 % der Patient/-innen) haben eine unkomplizierte Divertikulitis (31). Vereinfacht gesagt ist eine Divertikulitis unkompliziert, wenn bildgeberisch keine Perforation (in der Computertomographie [CT]: keine extraluminale Luft) und kein Abszess sichtbar sind. Die Divertikulitis ist kompliziert, sobald eine Perforation (gedeckt oder ungedeckt) oder ein Abszess sichtbar ist. Die heute gängigen Einteilungen und Therapieempfehlungen zeigen wir in Tab. 1.
Wie oft verlaufen unkomplizierte Fälle doch noch kompliziert?
Die Einteilung unkompliziert/kompliziert ist nicht perfekt. Von den «unkomplizierten» Erstepisoden machen 3 % der Patient/-innen im Verlauf doch noch einen komplizierten Verlauf, etwa 6 % verlaufen chronisch, und bei 3 % kommt es zur Sigmaresektion innert 6 Monaten (15). Hinweise für einen komplizierten Verlauf sind Symptomdauer > 5 Tage, CRP > 140, Leukozyten > 15 000, schlechter Allgemeinzustand (ASA-Score III oder IV) (6).
Nach einer Divertikulitis Episode: Wie hoch ist das Rezidivrisiko?
Etwa 8 % innerhalb eines Jahres und 20 % innert zehn Jahren (6). Wer schon zwei oder mehr Episoden hatte, hat ein höheres Rezidivrisiko, ebenso wenn die Erstepisode kompliziert war und nicht operativ behandelt wurde. Das Risiko eines komplizierten Verlaufs sinkt übrigens bei Rezidiven (6).
Klinik und Diagnostik
Was ist der Stellenwert von klinischer Untersuchung, CRP und Leukozyten?
Symptome und Untersuchungsbefunde sind klar nicht ausreichend, um mit hoher Sicherheit eine Divertikulitis ein- oder auszuschliessen. Es können sowohl Obstipation, Durchfall und gelegentlich peranale Blutungen vorliegen (24). Konkret: Der klinische Verdacht ist nur in 40–65 % der Fälle korrekt (6), und die Klinik korreliert nicht gut mit dem Schweregrad (7). Wichtig: Die publizierten Studien wurden alle in Spitälern und Notfallstationen gemacht – es gibt keine Studien aus der Praxis (25, 26, 27). Ein normales CRP spricht gegen eine akute Divertikulitis, und bei CRP > 50 mg/l scheint eine Bildgebung indiziert. Der Stellenwert der Leukozyten bleibt unklar. Bei der Mehrheit der asiatischen Patient/-innen betrifft die Divertikulitis übrigens das rechte Colon (12).
Wie gut ist die radiologische Beurteilung des Schweregrades?
Der Ultraschall hat in Metaanalysen eine konsistent hohe Treffsicherheit (Sensitivität 92 %, Spezifität 90–94 %) und ist daher, falls verfügbar, Bildgebung der ersten Wahl (27, 28). Die Treffsicherheit der CT ist leicht höher (Sensitivität 93–97 %, die Spezifität wird mit fast 100 % angegeben), bedeutet aber eine Strahlenbelastung und sollte bei unklarem Ultraschallbefund oder fehlender Besserung zum Einsatz kommen (7, 11, 27, 28). Das MRI wird bei der akuten Divertikulitis selten durchgeführt (7).
Braucht es also immer eine Bildgebung?
Gemäss Schweizer Guidelines ja, im Minimum einen Ultraschall, besser eine CT (10). Die Bildgebung ist immer notwendig, um zu entscheiden, ob eine Behandlung ohne Antibiotika möglich ist (10). Gemäss US-Guidelines soll eine CT bei Patient/-innen «erwogen» werden, bei denen zuvor keine bildgebend gesicherte Diagnose gestellt wurde, wenn die Symptome unter Therapie nicht bessern, zur Evaluation von möglichen Komplikationen bei schwerem Verlauf, bei multiplen Rezidiven, v. a. wenn eine Operation erwogen wird, und bei Immunsuppression (6).
Die Symptome meiner Patientin sind gleich wie vor 2 Jahren, als in der CT eine akute unkomplizierte Divertikulitis diagnostiziert wurde. Braucht es wieder eine Bildgebung, auch wenn die Diagnose klinisch klar scheint?
Bei milder Divertikulitis und fehlenden Risikofaktoren/Hinweisen für einen komplizierten Verlauf darf die Hausärztin gemäss europäischen Guidelines auch ohne Bildgebung eine antibiotikafreie Therapie wählen (7). Wir empfehlen eine engmaschige Nachkontrolle (zumindest telefonisch) und eine CT spätestens dann, falls es nach 48–72 h nicht besser geht oder Fieber persistiert (6, 7, 11).
Braucht es immer eine Koloskopie?
Ob es nach einer Erstepisode einer unkomplizierten Divertikulitis immer eine Koloskopie braucht, bleibt umstritten (7). Eine Koloskopie soll empfohlen werden, falls keine Koloskopie in den letzten drei Jahren erfolgt ist (7) (US-Guidelines: im letzten Jahr [6]). Die Koloskopie zudem frühestens 6 Wochen nach Divertikulitis-Episode planen. Dies wegen der ca. 27-fach erhöhten (aber absolut sehr niedrigen: ca. 1:1220 [20]) Gefahr einer Perforation im Fall einer Koloskopie in den ersten 6 Wochen (7).
Wozu braucht es eine Koloskopie?
Vor über 30 Jahren wurde klar dokumentiert: Das Kolonkarzinomrisiko ist bei akuter Divertikulitis deutlich erhöht (22). Bei etwa 1.3 % wird in der Koloskopie ein Kolonkarzinom diagnostiziert, vor allem im linken Colon; bei komplizierter Divertikulitis sind es knapp 8 % (23).
Divertikulitis-Therapie
Wieso bei unkomplizierter Divertikulitis ohne Antibiotika behandeln?
Weil die Therapie auch ohne Antibiotika funktioniert: Selten (weniger als 3 %) kam es in einer Metaanalyse im Verlauf doch noch zur Antibiotikatherapie (30). Mit oder ohne Antibiotika kommt es, gemäss randomisierten Studien und Metaanalysen, gleich häufig zu zusätzlicher radiologisch-interventioneller oder chirurgischer Therapie, Hospitalisation, Komplikationen oder Rezidiven, und bei hospitalisierten Patient/-innen ist die Aufenthaltsdauer ohne Antibiotika kürzer (21, 30). Die allgemeinen Vorteile der antibiotikafreien Therapie sind bekannt: Vermeiden von Resistenzen, Allergien, Nebenwirkungen, Schonung der körpereigenen Normalflora (Mikrobiom).
Wieso überhaupt Antibiotika?
Es ist unbestritten, Komplikationen zu vermeiden (insbesondere Abszesse, Hinchey-Stadium 1b und mehr), und falls sie schon vorliegen, sie antibiotisch und eventuell interventionell/chirurgisch zu behandeln. Wir sollen bei der unkomplizierten Divertikulitis Antibiotika also nicht reflexartig (routinemässig) einsetzen, sondern selektiv, nach sorgfältiger Risikoabwägung durch die Hausärztin (6, 7): bei immungeschwächten oder septischen Patient/-innen, und wenn sie stark geschwächt scheinen oder relevante Komorbiditäten haben.
Was heisst relevante Komorbiditäten?
In den randomisierten Studien, die die Nichtunterlegenheit der antibiotikafreien Behandlung belegen, gab es eine umfangreiche Liste von Ausschlusskriterien (Kasten 1), die zum Teil nicht genau definiert wurden (6). Anders gesagt: Bei zahlreichen Patient/-innen wurde wegen Ausschlusskriterien die antibiotikafreie Therapie gar nicht erprobt! Wir sollten also Vorsicht walten lassen: die Patient/-innen gut aufklären, eine antibiotikafreie Therapie nur bei sorgfältig ausgewählten Patient/-innen anwenden und engmaschig klinisch nachkontrollieren.
Die Radiologin will sich nicht eindeutig auf Phlegmone oder Abszess festlegen. Wie weiter?
Die Unterscheidung von Phlegmone und Abszess (Hinchey 1a vs. 1b) ist pathophysiologisch und radiologisch zugegebenermassen nicht messerscharf. Im Zweifelsfall antibiotisch behandeln. Alternative: engmaschig nachkontrollieren, 48–72 h antibiotikafrei behandeln und Antibiotika doch noch, falls es nicht bessert oder der Zustand sich verschlechtert.
Was ist mit Fieber?
Fieber zeigt eine systemische Reaktion und wurde in manchen Studien als Divertikulitis-Diagnosekriterium gefordert (15, 17). In anderen Studien war «hohes» Fieber bzw. Temperatur > 39 °C ein Ausschlusskriterium für eine antibiotikafreie Therapie (15, 17, 32) (Kasten 1). Fieberpersistenz 48–72 h nach Erstbeurteilung zeigt einen möglicherweise komplizierten Verlauf an und legt eine Bildgebung und antibiotische Therapie nahe.
Welches ist die bevorzugte Antibiotikatherapie?
Zahlreiche Antibiotika können eingesetzt werden. Die internationalen Guidelines machen keine klare Empfehlung (7). Intravenöse Antibiotika sind gemäss Studienlage nicht klar besser als orale Antibiotika. Die Schweizer Guidelines (10) und Übersichtsartikel (5) empfehlen Amoxicillin-Clavulansäure 625 mg 3 x pro Tag. Wir halten 1 g 2 x pro Tag bei milder Divertikulitis ebenfalls für vertretbar. Bei Penicillinallergie Ciprofloxacin 500 mg 1–0–1 (falls Allergie vom Soforttyp) bzw. Ceftriaxon 2 g i. v. 1 x pro Tag (falls Allergie vom Spättyp), jeweils plus Metronidazol 500 mg 1–1–1. Aber: Der Trend ist klar weg von den Chinolonen wegen ausgeprägter Mikrobiomschädigung, Nebenwirkungen (Achillessehnenruptur usw.) und Resistenzen (18).
Was ist die empfohlene Antibiotikadauer?
Die Schweizer Guidelines sprechen von sieben bis zehn Tagen (10) und die britischen Guidelines von fünf Tagen (24). Die US-Guidelines empfehlen vier bis sieben Tage (6), aber «auch länger», gemäss Immunstatus, Schweregrad der Divertikulitis, allgemeiner Gesundheitszustand der Patient/-innen und CT-Befund. Wir unterstützen in der Medizin grundsätzlich eine gemeinsame Entscheidungsfindung. Dem Konzept, dass die Antibiotikadauer auch auf die Erwartungen der Patient/-innen Rücksicht nehmen soll (6), möchten wir uns aber nicht anschliessen, sondern: Antibiotika so lange wie nötig und so kurz wie möglich, so wie auch die Smarter-medicine-Initiative dies seit vielen Jahren fordert (19).
Wenn ich schon das Ciprofloxacin nur 2-mal täglich gebe, kann ich nicht das Metronidazol auch nur 2-mal täglich geben? Das würde die Therapie vereinfachen!
Ja, dies scheint ein gangbarer Weg – eine kürzliche Meta-analyse stützt dieses Vorgehen (33).
Was ist mit Schmerzmitteln?
Diese werden in den Divertikulitis-Guidelines nicht erwähnt (6, 7, 10, 11), sie sind aber zur Reduktion der Schmerzen und der Entzündung im Akutstadium empfohlen. Die britischen Guidelines empfehlen Paracetamol (24). Interessant: In einer kürzlichen randomisierten Studie erhielten alle Patient/-innen – mit oder ohne Antibiotika – Ibuprofen 600 mg alternierend mit Paracetamol 1 g alle 8 h. Es könnte also sein, dass diese «flankierenden Massnahmen» zumindest teilweise für das Ergebnis der Studie (antibiotikafreie Therapie ist gleich wirksam wie Antibiotika) verantwortlich war (8).
Soll ich bei akuter unkomplizierter Divertikulitis Flüssigkost empfehlen?
Eine diätetische Restriktion ist prinzipiell nicht nötig. In den ersten Tagen kann eine Flüssigkost das Wohlbefinden zwar verbessern (6). Die Datenlage ist aber schwach, dass damit der Krankheitsverlauf günstig beeinflusst wird (34). Wer die Diät schneller aufbauen will, darf das. Und gelingt nach drei bis fünf Tagen Flüssigkost der Diätaufbau nicht, dann empfiehlt sich rasche Reevaluation der Patient/-innen (6).
Kann ich bei akuter unkomplizierter Divertikulitis Komplementärmedizin empfehlen?
Mit verschiedenen komplementärmedizinischen Methoden können Entzündungsreaktionen eingedämmt und die Salutogenese unterstützt werden. Publizierte klinische Studien liegen leider keine vor. Allenfalls empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit Kolleg/-innen mit einem Fähigkeitsausweis in einer komplementärmedizinischen Methode. Die chinesische Medizin behandelt eine Divertikulitis mit Akupunktur und chinesischen Arzneimitteln aus Pflanzen als Tee eingenommen. Eine Besserung tritt meist nach einigen Tagen auf.
Ausser Antibiotika – was ist zur Rezidivprophylaxe wirksam?
Wer eine Divertikulitis hatte, soll einen normalen BMI erreichen oder beibehalten, regelmässig körperlich aktiv sein, Obstipation vermeiden (entsprechende Kost, v. a. pflanzliche Laxativa), regelmässige NSAR vermeiden (Aspirin in kardio-präventiver Dosis ist hingegen erlaubt) und nicht rauchen (6, 24). Leider gibt es keine hinreichende Evidenz, dass nicht absorbierte Antibiotika wie Rifaximin (Xifaxan®), intestinale Immunmodulation (z. B. mit Mesalazin [Salofalk®]) oder Probiotika die Rezidivrate senken (7).
Soll die Patientin ihre Diät umstellen?
Gross angelegte Studien zeigen eine tiefere Divertikulitis- Inzidenz bei vegetarischer und faserreicher Ernährung (35, 36). Die US-Guidelines empfehlen entsprechend eine «umsichtige» bzw. «hochwertige» Ernährung, nicht aber spezifisch zur Vermeidung von Rezidiven (weil Evidenz sehr schwach) (7, 31, 34, 37). Konkret: viel Ballaststoffe aus Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten; wenig rotes Fleisch und Süssigkeiten (6). Ballaststoffhaltige Nahrungszusatzprodukte seien kein Ersatz für eine gute Ernährung (6). Wichtig: Die Divertikulitis wird nicht begünstigt oder gar ausgelöst durch Nüsse, Körner (inkl. Popcorn), Fruchtschalen, Beeren mit kleinen Kernchen (z. B. Erdbeeren, Himbeeren) (6, 24, 31, 37) oder fasrige Früchte und Gemüse (Rhabarbern, Spargeln) (38).
Darf ich eine antibiotikafreie Therapie nur bei hospitalisierten Patient/-innen wagen?
Nein. Bei sonst gesunden Patient/-innen in gutem Allgemeinzustand und mit guter Compliance (engmaschige Nachkontrolle) darf die unkomplizierte Divertikulitis selbstverständlich ambulant behandelt werden. In den früheren randomisierten Studien zur antibiotikafreien Therapie erfolgte zugegebenermassen die Therapie ganz im Spital (17) bzw. die ersten 48 h im Spital (15). Es gibt erst eine randomisierte Studie zur antibiotikafreien Therapie, wo die gesamte Behandlung ambulant erfolgte (8).
Historie
Manuskript eingegangen: 24.09.2024
Angenommen nach Revision: 07.01.2025
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Prof. Dr. med. Philip Tarr
Universitäres Zentrum für Innere Medizin
Kantonsspital Baselland
4101 Bruderholz
philip.tarr@unibas.ch
Die Autorinnen und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
• Im unkomplizierten Stadium 1a kann grundsätzlich antibiotikafrei und symptomatisch behandelt werden – Komorbiditäten beachten und nach 48–72 h nachkontrollieren.
• Antibiotika selektiv ab Hinchey-Stadium 1b einsetzen.
• Eine Bildgebung (vorzugsweise Ultraschall) ist vor allem bei Erstmanifestation und Therapieentscheidung und zur Beurteilung des Schweregrades grundsätzlich indiziert.
• Bei gutem Allgemeinzustand und wiederkehrender milder Divertikulitis kann zu Beginn auf eine Bildgebung verzichtet werden.
• Falls Antibiotika, dann empfohlene Dauer von vier bis sieben Tagen, je nach Umständen.
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Vorgestellt werden zwei Patienten mit unterschiedlichem Verlauf bei rasch fortschreitenden Wesensveränderungen und Demenz.
Fall 1
Ein 69-jähriger Mann litt seit März 2019 an unklaren rezidivierenden Dysästhesien und einer motorischen Beinschwäche links. Eine Magnetresonanztomographie (MRI) mit Angiographie des Neurokraniums zeigte keine Hinweise auf eine Durchblutungsstörung, Ischämie oder Raumforderung. Im Sommer 2019 erfolgte bei einer notfallmässigen Vorstellung aufgrund derselben Symptomatik eine Computertomographie (CT) mit Angiographie. Hier fanden sich weiterhin keine Hinweise auf eine Ischämie, jedoch kam eine mässige, am ehesten mikroangiopathische Leukenzephalopathie zur Darstellung. In der nachfolgenden Elektroenzephalographie (EEG) zeigte sich ein bitemporaler Herdbefund rechtsbetont mit Epilepsie-verdächtigen Einzelpotenzialen. Bei Verdacht auf rezidivierende fokal-epileptische Ereignisse wurde eine anfallssupprimierende Therapie mit Levetiracetam eingeleitet. Zunächst kam es zu keinen erneuten epileptischen Ereignissen. Neu wurde seitens der Ehefrau eine depressive Symptomatik beschrieben. Ein Montreal-Cognitive-Assessment(MoCA-) -Test im Januar 2020 fiel mit 18/30 Punkten pathologisch aus, sodass eine demenzielle Entwicklung vermutet wurde. Die empfohlene neuropsychologische Testung wurde nicht durchgeführt. Im Sommer 2020 wurde der Patient schliesslich bei raschem Fortschreiten der demenziellen Entwicklung und Allgemeinzustandsverschlechterung bei uns auf der neurologischen Station hospitalisiert. In der Lumbalpunktion fanden sich nun neben einer Schrankenstörung eine stark erhöhte Proteinzahl von 3600 mg/l (Normwert: 150–450 mg/l) und eine Erhöhung der Zellzahl von 21 mononukleären Zellen/μl (Normwert: < 4 Zellen/μl). Das Tau-Protein war mit 1266 pg/ml (Normwert: < 445 pg/ml) ebenfalls erhöht und das Beta-Amyloid-Protein mit 282 pg/ml (Normwert: > 375 pg/ml) erniedrigt. Das Phospho-Tau-Protein lag mit 35.5 pg/ml im Normalbereich (Normwert: < 61 g/ml). Diese Konstellation im Liquor mit erhöhtem Tau-Protein und erniedrigtem Beta-Amyloid-Protein kann sowohl für eine Demenzform wie Alzheimer aber auch eine inflammatorische cerebrale Amyloidangiopathie (Englisch: cerebral amyloid angiopathy related inflammation; CAA-RI) sprechen. Ein MRI des Neurokraniums mit Kontrastmittel zeigte eine ausgeprägte superfizielle Siderose, eine frische subarachnoidale Sickerblutung und ein Ödem frontal beidseits (Abb. 1). Diese Befunde waren passend für eine CAA-RI. Eine zentrale Manifestation einer systemischen Vaskulitis erschien bei negativen antinukleären Antikörpern (ANA) und antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörpern (ANCA) unwahrscheinlich. Eine serologische Testung des sauren Gliafaserproteins (Englisch: glial fibrillary acidic protein; GFAP) und der Neurofilament-Leichtketten (NFL) erfolgte nicht. Insgesamt wurde nun die Verdachtsdiagnose einer inflammatorischen cerebralen Amyloidangiopathie gestellt. Eine Steroidstosstherapie mit Methylprednisolon intravenös 1 g/Tag über 5 Tage mit anschliessender Erhaltungsdosis mit Prednisolon von 1 mg/kg Körpergewicht wurde eingeleitet. Hierunter kam es zu keiner signifikanten klinischen Besserung. Im MRI des Neurokraniums mit Kontrastmittel nach 1 Woche konnte noch keine wesentliche Befundänderung dokumentiert werden. Die zuvor in der Liquorpunktion erhöhten Werte waren rückläufig (Proteinzahl 465 mg/l, 12 mononukleäre Zellen/μl).
Es erfolgte ein Übertritt in die neurologische Rehabilitation über 1 Monat. Dort wurde vor allem die antiepileptische und psychiatrische Therapie weiter angepasst. Insgesamt blieb der Patient im Antrieb stark gemindert, selektiv mutistisch und konnte keine Handlungen ohne Handlungsplan durchführen. Der Patient wurde anschliessend bei Verdacht auf ein hypoaktives Delir direkt in die Psychiatrie zur weiteren medikamentösen Einstellung überwiesen. Aufgrund einer akuten Vigilanzminderung, Fieber, Tachykardie und Meningismus wurde er nach 10 Tagen wieder ins Spital überwiesen. Laborbefunde zeigten nun ein isoliert erhöhtes CRP. Im CT-Schädel fand sich eine diskrete akute Subarachnoidalblutung im rechten Temporallappen. Neben einer wieder erhöhten Proteinzahl von 1398 mg/l (Normwert: 150–450 mg/l) war die Liquoruntersuchung inklusive einer Multiplex-PCR (polymerase chain reaction) für Meningitis-Erreger unauffällig. Blutkulturen blieben ohne Wachstum. Entsprechend wurde die auf dem Notfall etablierte antimikrobielle Therapie mit Ceftriaxon und Aciclovir wieder ausgesetzt. Auch ein Therapieversuch mit Levetiracetam, welcher bei Verdacht auf einen nicht konvulsiven Status epilepticus gestartet wurde, zeigte keine Symptombesserung, und die Therapie wurde im Verlauf abgebrochen. Da eine Hochdosis-Steroidtherapie bei der ersten Hospitalisation ohne Besserung auf die rasch fortschreitende demenzielle Entwicklung blieb, wurde auf einen zweiten Zyklus verzichtet.
In Rücksprache mit den Angehörigen wurde bei infauster Prognose schliesslich eine palliative Therapie eingeleitet, und der Patient verstarb auf der Palliativstation am 10. Hospitalisationstag Ende Oktober 2020. Die Autopsie bestätigte schliesslich die Diagnose einer CAA-RI aufgrund einer deutlichen Beteiligung der Gefässe in den Leptomeningen und im Cortex, mit fokal geringer begleitender T-lymphozytärer Entzündungsreaktion sowie zahlreichen kortikalen Infarkten und perivaskulären Mikroblutungen (Abb. 2). Die CAA-RI führte über Gefässverschlüsse zu einer diffusen vaskulär-ischämischen Leukenzephalopathie und mehreren frischen und älteren, nicht raumfordernden Subarachnoidalblutungen. Das gesamte Bild sprach für eine CAA-RI und nicht für eine Beta-Amyloid-assoziierte Angiitis (ABRA), welche ein ähnliches histologisches Bild zeigt, jedoch mit ausgeprägter vaskulitischer Komponente und fibrinoiden Gefässwandnekrosen. Es zeigten sich dazu deutliche Alzheimer-assoziierte Veränderungen mit Tau-positiven Neurofibrillendegeneraten und neuritischen Plaques im Hippocampus und Temporal-Cortex und vereinzelt Tangles im frontalen Cortex (Stadium IV nach Braak und Braak, CERAD-3 und ABC-Score A3 B2 C3), dies bei deutlicher äusserer und innerer Hirnatrophie. Zudem fand sich überraschenderweise ein Hämatom der vorderen Bauchwand mit einem Volumen von ca. 1500 ml, und es wurde eine Lobärpneumonie beider Lungen diagnostiziert. Ob die Pneumonie ursächlich für die bislang unklare CRP-Erhöhung war oder die Infektion in den letzten Lebenstagen auf der Palliativstation entwickelt wurde, konnte nicht abschliessend geklärt werden. Die Ätiologie des Hämatoms blieb letztlich unklar. Histologisch fanden sich hier keine Hinweise auf eine Gefässmalformation, Amyloidangiopathie oder Vaskulitis. Ein stumpfes Trauma wurde in der aktuellen Hospitalisation nicht beobachtet, der Patient war nicht antikoaguliert, und während der letzten Hospitalisation erfolgten keine Massnahmen abdominal (z. B. Insulin- oder Heparinspritzen). Nicht eruierbar waren mögliche Vorfälle in den vorangehenden Institutionen. Abdominale Blutungen bei Patienten mit CAA-RI wurden bisher nicht als Assoziation beschrieben. Als Todesursache wurde ein kardiopulmonales Versagen aufgrund der Pneumonie sowie Volumenmangel aufgrund des Hämatoms angegeben.
Fall 2
Eine 74-jährige Patientin wurde im Januar 2022 mit seit einigen Wochen fortschreitender Verwirrtheit, Verlangsamung sowie kognitiver Beeinträchtigung aus einem peripheren Spital in unsere Notaufnahme überwiesen. Ausserdem bestand ein progredienter Mutismus, welcher im Rahmen einer Trauersituation nach dem Tod des Ehemannes 1 Monat zuvor aufgrund von Covid-19 angesehen wurde. Die Patientin selbst litt an Covid-19 mit milden Symptomen. Nun zeigte das MRI des Neurokraniums eine ausgedehnte Leukenzephalopathie, ein vasogenes Ödem und mehrere Mikroblutungen (Abb. 3). Die Ergebnisse des Liquors waren negativ für Treponema pallidum und Lyme-Borreliose, ebenso eine Multiplex-PCR für Meningitis-Erreger. Die Immunphänotypisierung im Liquor, welche bei Verdacht auf ein Lymphom durchgeführt wurde, war negativ für B-Zell- und T-Zell-Neoplasien. Eine Bestimmung im Liquor von Beta-Amyloid, Tau-Protein und Phospho-Tau-Protein als Demenzmarker sowie Neurofilament-Leichtketten (NFL) als Marker bei Multipler Sklerose erfolgte nicht. Ebenso wurden die Biomarker GFAP und NFL serologisch nicht untersucht. Es wurde ein EEG angefertigt. Neben moderaten Allgemeinveränderungen und bifrontaler fokaler Verlangsamung fanden sich Epilepsieverdächtige Einzelpotenziale rechtshemisphärisch, welche unter Levetiracetam-Therapie nach 1 Woche abnahmen. Klinisch kam es jedoch noch zu keiner objektivierbaren Verbesserung. Die Patientin erzielte im MoCa-Test 12/30 Punkte, was für eine starke kognitive Beeinträchtigung steht. Schliesslich wurde eine Biopsie des Hirngewebes entnommen. Diese zeigte Veränderungen im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit mit Tau-positiven Neuronen, neurofibrillären Tangles und eine grosse Menge an Beta-Amyloid-Plaques sowie Amyloidablagerungen an den Gefässwänden (Abb. 4). Zusätzlich fanden sich subarachnoidal Zeichen einer wenige Tage alten Einblutung. Aufgrund der perivaskulären Entzündung wurde schliesslich eine cerebrale Amyloidangiopathie-assoziierte Entzündung (CAA-RI) als am wahrscheinlichsten angesehen. Eine Therapie mit Methylprednisolon intravenös 1 g/Tag gefolgt von oralem Prednisolon mit 1 mg/kg Körpergewicht wurde eingeleitet. Nach der Entlassung erfolgte eine stationäre neurologische Rehabilitation. Hier kam es zu einer klinischen Verbesserung mit jedoch relevanten Einschränkungen in Bezug auf die täglichen Routinen und das Kurzzeitgedächtnis. Die Prednisolon-Dosis wurde langsam reduziert.
In den Verlaufskontrollen bis August 2022 nahmen die Ödemareale im MRI des Gehirns weiter ab, und es fanden sich keine neuen Läsionen. Die multiplen Mikroblutungen supratentoriell beidseits und vereinzelt infratentoriell blieben stationär. Klinisch zeigte die Patientin weiter eine Besserung mit weniger anhaltenden Einschränkungen. Im MoCA-Test wurden 3 Monate nach Diagnosestellung und Therapiebeginn 15/30 Punkte und 7 Monate nach Diagnose 25/30 Punkte erzielt. Im November 2023 wurde eine neuropsychologische Testung durchgeführt, da die Patientin die Fahrtauglichkeit wieder anstrebte. Hier konnte eine Verbesserung der Grundaktivierung, allerdings aber auch eine relevante Verschlechterung der Aufmerksamkeitsteilung, objektiviert werden. Die kognitiven Defizite umfassten fronto-temporo-parietale Ausfälle, und es bestand ein unveränderter Unterstützungsbedarf im Alltag. Die Fahreignung konnte aus neuropsychologischer Sicht weiterhin nicht bestätigt werden. Auch wurde aufgrund der Befunde des letzten MRI des Gehirns von 2022 von keiner weiteren Regredienz der kognitiven Defizite ausgegangen.
Diagnose und Kommentar
Die inflammatorische cerebrale Amyloidangiopathie (CAA-RI) ist eine seltene Erkrankung und potenziell reversibel. Sie gehört zu den cerebralen Amyloidangiopathien (CAA), bei denen es zu einer Ablagerung von Beta-Amyloid-Peptiden in den vorwiegend kleineren cerebralen Arterien kommt (1). Hierdurch entstehen degenerative Veränderungen, Gefässverschlüsse, Mikroaneurysmen, welche schliesslich zu einer diffusen vaskulär-ischämischen Leukenzephalopathie und Hirnblutungen führen. Die CAA ist für ca. 20 % aller intrazerebralen Blutungen verantwortlich (1).
Die Amyloidablagerungen sind bei einem Teil der Patienten mit einer Entzündung der Gefässwand vergesellschaftet, was schliesslich zu einem multifokalen Marklagerödem führt. Insgesamt zeigen diese Veränderungen im MRI ein typisches Bild, welche für die Diagnosestellung einer CAA-RI wesentlich sind. Die Veränderungen lassen sich vor allem in der FLAIR-Sequenz (fluid attenuated inversion recovery) und bei der SWI (Suszeptibilitätsgewichtete Bildgebung) feststellen (2, 3). Dazu gehören Mikroblutungen, eine kortikale superfizielle Siderose und eine asymmetrische fleckförmige oder konfluierende Leukenzephalopathie, welche den angrenzenden Kortex und das subkortikale Marklager miteinbeziehen können. Ebenfalls kann sich als Zeichen der entzündlichen Reaktion ein vasogenes Ödem in der ADC- (apparent diffusion coefficient) Wichtung präsentieren (2, 4, 5). Es wurden die sogenannten modifizierten Boston-Kriterien entwickelt, welche auf eine gute Sensitivität und Spezifität geprüft wurden (6) (Tab. 1) und bei der Diagnosesicherung helfen. Zusätzliche klinische Diagnosekriterien sind ein akuter/subakuter Symptombeginn, Alter über 55 Jahre, Symptome wie Kopfschmerzen, Wesensveränderungen, kognitive Defizite oder fokal neurologische Defizite oder epileptische Anfälle. Andere Ursachen (z. B. infektiös oder paraneoplastisch) müssen ausgeschlossen werden. Sind alle diese Kriterien erfüllt, gilt eine CAA-RI als wahrscheinlich. Zur definitiven Diagnosesicherung wird eine histologische Bestätigung im Rahmen einer Autopsie benötigt, wobei sich neben frischen und alten Ischämien und Einblutungen auch entzündliche, perivaskuläre Veränderungen ohne Gefässbeteiligung finden lassen. Hier kann eine Unterscheidung zur Beta-Amyloid-assoziierten Angiitis (ABRA) gemacht werden, welche ausgeprägtere vaskulitische Veränderungen und fibrinoide Gefässwandnekrosen zeigt. Diese erheblichen Zerstörungen des Hirnparenchyms direkt durch invasive zytotoxische T-Lymphozyten und indirekt durch vaskulitische oder begleitthrombotische Gefässverschlüsse bedingen eine stärkere Immunsuppression als bei der CAA-RI. Teils wird in der Literatur jedoch die ABRA synonym zur CAA-RI genannt. Ob eine Histologie zur Diagnosestellung einer CAA-RI immer zwingend ist, steht aktuell immer noch zur Diskussion. Eine genaue Diagnose hat jedoch teils therapeutische Konsequenzen. Vor allem bei fehlendem Therapieansprechen sollte eine Biopsie angestrebt werden.
Männer und Frauen sind etwa gleich häufig von einer CAA-RI betroffen (7). Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei ca. 67 Jahren. Tritt die Erkrankung bei jüngeren Personen auf, kann eine seltene familiäre Form einer CAA-RI in Betracht gezogen werden (8). Es werden monophasische, schubförmige und primär progrediente Verlaufsformen beschrieben. Über 70 % der Patienten mit CAA-RI sind homozygot für das Apolipoprotein-E-ε4-Allel (ApoE-ε4), jedoch nur < 5 % der Patienten mit CAA (7, 9, 10). ApoE-ε4 ist ebenfalls assoziiert mit der Alzheimer-Erkrankung. Eine Überlappung von Alzheimer mit CAA-RI wird auch in Autopsiestudien beschrieben. Typischerweise sind bei der CAA-RI die Proteine und Zellzahl im Liquor erhöht, das Beta-Amyloid ist erniedrigt.
Differenzialdiagnostisch zur CAA-RI sind neben der ABRA und der primären ZNS-Angiitis (primary angiitis of the central nervous system; PACNS) unter anderem das posteriore reversible Enzephalopathie-Syndrom (PRES), eine progrediente multifokale Leukenzephalopathie (PML), Neurosarkoidose, Creutzfeldt-Jakob-Krankheit oder eine Herpes-simplex-Enzephalitis zu nennen (11–13). Zunehmend häufiger werden Autoimmunenzephalitiden diagnostiziert, welche ebenfalls einen subakuten kognitiven Abbau, eine langsame Bewusstseinstrübung und epileptische Anfälle zeigen können. Weitere gut behandelbare und daher relevante Differenzialdiagnosen sind die Steroid-responsive Enzephalopathie assoziiert mit autoimmuner Thyroiditis (SREAT, Hashimoto-Enzephalopathie), eine Riesenzellarteriitis und die superfizielle Siderose des Zentralnervensystems (14–16).
Die CAA-RI zeigt ein gutes Ansprechen auf Kortikosteroide, worunter es zu einer klinischen Besserung und Regredienz der radiologischen Befunde kommt. Am geringsten kommt es zu einer Verbesserung der kognitiven Symptome. Die rechtzeitige und frühe Therapieeinleitung ist essenziell, um ein möglichst gutes Outcome zu erreichen. Bei Nichtansprechen auf die Steroidtherapie oder bei einer Progression oder Rezidiv (ca. 25 % der Fälle [7]) wurden teils erfolgreich auch andere immunsuppressive Therapien (z. B. Methotrexat, Cyclophosphamid, Immunglobuline) eingesetzt (13, 17). Die Therapiedauer mit einem langsamen Ausschleichen der Kortikosteroide ist eine Einzelfallentscheidung und vom Verlauf abhängig.
Die Diagnose einer CAA-RI gestaltet sich aufgrund des unterschiedlichen, wenig spezifischen klinischen Bildes oft als sehr schwierig. Bei entsprechenden Symptomen soll aber auch an eine CAA-RI gedacht werden und entsprechend die weitere Diagnostik verfolgt werden. Wichtige Säulen bilden das MRI und, sofern möglich, die Histologie.
Dipl. med. Dominik Imhoff
Medizinisches Zentrum gleis d
Gürtelstrasse 46
7000 Chur
d.imhoff@mez-chur.ch
Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
• Die inflammatorische cerebrale Amyloidangiopathie (CAA-RI) ist eine seltene und potenziell reversible Erkrankung, welche sich klinisch in rasch progredienten Wesensveränderungen, Kopfschmerzen, kognitiven Defiziten und epileptischen Anfällen zeigt.
• Multiple, auf lobäre, kortikale oder kortikosubkortikale Regionen beschränkte Blutungen im MRI oder der CT des Neurokraniums oder auch in einer Hirnbiopsie erhärten die Verdachtsdiagnose einer CAA-RI.
• Zur Diagnosebestätigung wird eine vollständige Obduktion benötigt.
• Eine rechtzeitige Therapieeinleitung ist essenziell, um ein gutes Ansprechen zu erreichen, wobei primär Kortikosteroide das Mittel der Wahl sind.
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Wir berichten über einen 68-jährigen Patienten mit Fieber bis 40 °C, Nachtschweiss, Inappetenz und Nausea ohne Emesis seit 10 Tagen. Der Patient war zuvor von einem Aufenthalt in Salerno (Süditalien) zurückgekehrt. Er besuchte dort immer wieder seine Mutter. Der Patient unternahm dort keine speziellen Aktivitäten ausserhalb des Alltags, eine Exposition zu Tieren oder Insektenstiche waren nicht erinnerlich.
Initial zeigte sich ein kardiopulmonal stabiler Patient in reduziertem Allgemeinzustand. Klinsch präsentierte sich ein febriler Patient ohne objektivierbare kardiopulmonale oder abdominelle Auffälligkeiten. Laboranalytisch konnte eine leichte Panzytopenie mit deutlich erhöhtem CRP nachgewiesen werden (Tab. 1a). Bei persistierendem Fieber, zervikaler Lymphadenopathie und unklarem Infektfokus erfolgte eine CT des Halses/Thorax/Abdomens zur Suche nach Infektfokus, neoplasieverdächtiger Raumforderung und pathologischen Lymphknoten. Diese zeigte eine zervikale Lymphadenopathie und eine Splenomegalie ohne weitere pathologische Befunde. Bei unklarem Infektfokus erfolgte initial eine empirische antimikrobielle Therapie mit Co-Amoxicillin und Valacyclovir.
Differenzialdiagnostische Überlegungen
Fieber und Panzytopenie erfordern eine umfassende Abklärung, da sie auf bakterielle, virale oder parasitäre Infektionen, hämatologische Erkrankungen wie aplastische Anämie, Myelodysplastisches Syndrom oder Leukämie, Autoimmunerkrankungen wie systemischer Lupus erythematodes oder maligne Knochenmarkinfiltrationen hinweisen können. Auch medikamentöse Ursachen müssen differenzialdiagnostisch miteinbezogen werden.
Weitere Abklärungsschritte und Verlauf
In der serologischen Diagnostik gelang ein Ausschluss von HIV, viralen Hepatitiden, CMV, EBV, der nasopharyngeale Abstrich auf SARS-CoV-2 und Influenza war negativ. In den Blutkulturen gelang kein Keimnachweis. Mittels Immunfixation konnte eine monoklonale Gammopathie ausgeschlossen werden. Im mikroskopischen Differenzial-blutbild am Eintrittstag wurden in den Monozyten keine Leishmanien beschrieben, im zur Anreicherung hergestellten «Dicken Tropfen» gelang ebenfalls kein Nachweis von Malaria oder anderen Parasiten. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Progredienz der Panzytopenie mit laboranalytischen Zeichen einer disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC) (sinkende Thrombozyten und Fibrinogen, erhöhte D-Dimere) sowie einem Anstieg des CRP, Neopterins und Interleukin-2-Rezeptors (sIL-2 Rezeptor). In der erweiterten infektiologischen Diagnostik konnten HSV, Parvovirus, Rickettsien und Francisella tularensis ausgeschlossen werden. Die Leishmanien-Serologie war hingegen positiv. Zeitgleich erfolgte aufgrund der Progredienz der Panzytopenie eine Knochenmarkbiopsie 5 Tage nach Eintritt. Hier konnte kein klarer Nachweis auf einen lymphoproliferativen Prozess oder eine Plasmazell-Dyskrasie gefunden werden. Stattdessen zeigten sich phagozytierende Histiozyten mit intrazytoplasmatischen Strukturen, verdächtig auf eine Leishmaniose (Abb. 1). Die qPCR für Leishmania sp. aus Blut und Knochenmark war positiv. Die Sequenzierung des Mini-Exon-Gens identifizierte den Erreger als Vertreter des L. donovani-/L. infatum-Komplexes (Tab. 1b).
Diagnose
Bei passender Klink (Fieber, AZ-Reduktion), Epidemiologie (Aufenthalt in Salerno), Labor (Panzytopenie, Hämophagozytose, erhöhtes Neopterin), radiologischen Befunden (Splenomegalie) sowie positiver Leishmanien-Serologie und mikroskopischem und molekularem Nachweis von Leishmanien im Knochenmarkaspirat waren die Beschwerden des Patienten im Rahmen einer viszeralen Leishmaniose erklärt.
Bei erhöhtem löslichem Interleukin-2-Rezeptor (sIL-2- Rez.) und Hyperferritinämie waren zusätzlich die laboranalytischen Kriterien für ein Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) erfüllt.
Kommentar
Die Tropenkrankheit Leishmaniose, eine parasitäre Infektionskrankheit, stellt auch im 21. Jahrhundert weiterhin eine Herausforderung für die öffentliche Gesundheit dar. Die Leishmaniose ist besonders in Mittelamerika, West- und Südostasien sowie in Nord- und Ostafrika vertreten (1). In Europa ist die viszerale Leishmaniose (VL) eher sporadisch und hauptsächlich im Mittelmeerraum verbreitet mit Vorkommen insbesondere in Italien, Spanien und Griechenland (2). 2022 wurden der WHO aus der Schweiz 8 allochthone Fälle gemeldet (1), die Erkrankung ist allerdings nicht meldepflichtig. Bei der VL handelt es sich um eine disseminierte Form der Leishmaniose. Die Leishmaniose selbst ist eine parasitäre Infektionskrankheit ausgelöst durch Protozoen der Gattung Leishmania (3).
Bei immunkompetenten Patienten verursachen Leishmania donovani und Leishmania infantum die viszerale Form der Leishmaniose (4). Als Vektor dient die weibliche Sandmücke (Phlebotominae), die Übertragung erfolgt über ihren Stich (3). Patienten präsentieren meist Fieber, Gewichtsverlust, Diarrhoe und eine Hepatosplenomegalie. Eine Lymphadenopathie in Zusammenhang mit VL ist selten in Gebieten ausserhalb von Ostafrika und hat daher, bei Ansteckungen innerhalb Europas, meist keine klinische Relevanz (5). Laboranalytisch zeigt sich typischerweise die Reduktion einzelner Zelllinien im peripheren Blut oder eine Panzytopenie (6).
Derzeit wird davon ausgegangen, dass nach der Übertragung L. infantum und L. donovani über die Haut in Lymphknoten einwandern und von dort in Milz, Knochenmark und Leber vordringen. Überwindet der Parasit die Immunabwehr, folgt eine Anpassung der Immunantwort an die Bedürfnisse des Parasiten inklusive der Hochregulierung von Makrophagen, die Erkrankung bricht aus (3). Im Rahmen der Hochregulierung von Makrophagen kommt es zu einem Anstieg von Neopterin (7).
Das MAS ist eine akute, generalisierte Entzündungsreaktion. Ein MAS kann z. B. im Rahmen rheumatologischer Erkrankungen oder als Komplikation von Infektionen (parasitär, viral, bakteriell) auftreten (8, 9). Pathophysiologisch betrachtet liegt eine verminderte Aktivität der Killerzellen und Perforin vor. Dies führt zu einer übermässigen Aktivierung von Lymphozyten mit der Ausschüttung von INF‑γ- und Granulocyte-Macrophage-Colony-Stimulating-Factor (GM-CSF). Es kommt zu einer unkontrollierten Aktivierung und Proliferation von Makrophagen (9). Derzeit besteht noch kein internationaler Konsens bezüglich Diagnosekriterien für das MAS. Davi et al. benennen die 9 häufigsten klinischen, laboranalytischen und histopathologischen Merkmale des MAS wie folgt: fallende Thrombozytenzahl, Hyperferritinämie, Makrophagen-Hämophagozytose im Knochenmark, Transaminasenerhöhung, fallende Leukozytenzahl, Fieber > 38 °C, fallende BSG, Hypofibrinogenämie, Hypertriglyceridämie (10). Als weniger häufig wird ein Anstieg des sIL-2-Rez. genannt.
Im hier vorgestellten Fall präsentierte der Patient bei beiden Krankheitsbildern beschriebene Merkmale. Passend zur Diagnose des MAS zeigten sich eine Erhöhung des sIL-2-Rez. sowie eine Hypofibrinogenämie und Hyperferritinämie. Bei zusätzlichem Nachweis von Leishmanien im Knochenmark und Leishmania-DNA und IgG mit erhöhtem Neopterin waren aus unserer Sicht die Diagnosekriterien für sowohl MAS als auch VL erfüllt. Aus Sicht der Autoren sollte die Diagnose einer (viszeralen) Leishmaniose bei Fieber, Gewichtsverlust, Hepatosplenomegalie, Panzytopenie und Aufenthalt in einem Endemiegebiet in Betracht gezogen werden. Zur Diagnostik ist in der Schweiz eine PCR Goldstandard, die Serologie ist hauptsächlich in wenig entwickelten Ländern mit hoher Prävalenz wichtig, da Sensitivität und Spezifität mit steigender Prävalenz ebenfalls zunehmen (11). Im peripheren Blutausstrich sind nur selten Amastigoten zu sehen, weshalb dieser im Alltag zur Diagnostik einer Leishmaniose keine Relevanz hat (5).
Die Therapie der VL hängt von der Region ab, in der die Infektion erworben wurde. Derzeit ist liposomales Amphotericin B die empfohlene Erstlinientherapie basierend auf Daten verschiedener Endemiegebiete weltweit (4). Die Dosierung und Therapiedauer variieren gemäss Endemiegebiet und Immunstatus. Bei unserem Patienten erfolgte die Gabe von 3 mg/kg KG liposomales Amphotericin B an den Tagen 1–5, 14 und 21 (12). Eine Kostengutsprache zur Verschreibung von Amphotericin B, auch im ambulanten Setting, ist nicht notwendig. Gemäss der Spezialitätenliste des Bundesamts für Gesundheit darf die Erstverschreibung allerdings nur durch eine/einen Fachärzt/-in Infektiologie oder Hämatologie erfolgen (13).
Die Therapie des MAS basiert zum grössten Teil auf der hoch dosierten, intravenösen Gabe von Steroiden. Etoposide wird in der Literatur ebenfalls als Therapieoption diskutiert (14, 15). Unser Patient erhielt Steroide und Etoposide 300 mg i.v. zweimalig im Abstand von 4 Tagen. Aufgrund der Steroidtherapie erfolgte eine Pneumocystis-jirove-
cii-Prophylaxe mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol.
In den darauffolgenden ambulanten Verlaufskontrollen zeigten sich eine stetige Besserung des Allgemeinzustands des Patienten sowie ein kontinuierlicher Abfall der Antikörper mit zudem negativer PCR. Generell wird der Behandlungserfolg anhand klinischer Verlaufskontrollen über 12 Monate überprüft. Es sollte sich eine Besserung des klinischen Bildes mit z. B. Gewichtszunahme, Rückgang der Hepatosplenomegalie und Abklingen des Fiebers zeigen. Ein Zeitfenster von 12 Monaten sollte eingehalten werden, da die meisten Rückfälle innerhalb von 6–12 Monaten auftreten (16). Der Verlauf der Serologie hat keinen prognostischen Wert und wurde in diesem Fall aus Interesse bestimmt.
Fälle wie dieser zeigen, wie schwierig die Diagnosestellung von VL und MAS, insbesondere in Kombination, ist. Speziell bei Patienten, die nicht in Endemiegebieten leben. Verzögerte Diagnosestellung und Therapie verschlechtern die Prognose bei ohnehin deutlich erhöhtem Mortalitätsrisiko beider für sich genommenen Erkrankungen.
Historie
Manuskript eingereicht. 24.09.2024
Manuskript angenommen: 04.11.2024
Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
• Unspezifische klinische, laboranalytische und histopathologische Merkmale, Seltenheit und ähnliche Präsentation der VL und des MAS erschweren die Diagnostik.
• Eine schnellstmögliche Diagnosestellung ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Behandlung bei hohem Mortalitätsrisiko.
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