Vom TARMED zum TARDOC

Liebe Kolleginnen und Kollegen

Auch wenn es heutzutage kaum mehr schwierige Zangengeburten gibt, hier hatten wir bestimmt eine. Es dauerte fast eine epische Ewigkeit, bis sich die Tarifpartner beim TARDOC einigen konnten. Und dann grätschte am Schluss noch die Pauschale in das zuletzt doch so sorgfältig austarierte neue TARDOC-System. Immerhin können wir jetzt mal starten.

Selbst wenn diverse Pauschalen noch nicht ausgereift sind, machen sie doch schon heute an einigen Orten Sinn. Die Entschädigungen beim Medical Freezing, der Fertilitätsprotektion bei Tumorpatientinnen und -patienten, wurden schon vor Jahren als Teilpauschalen ausgehandelt und haben sich – bisher als Provisorium – bewährt.

Mein Bruder, ein Anwalt, schmunzelt jeweils über die «sozialistischen» Honoraransätze in der Medizin. In seiner Kanzlei verrechnet der Partner mit langjährigster, erfolgreicher Erfahrung auf dem Gebiet selbstverständlich einen höheren Ansatz als der Praktikant. Auch bei den Handwerkern haben Lernende natürlich einen tieferen Stundenansatz als der erfahrene Fachmann. Nur in der Medizin ist das nicht so. Immerhin wird die erfahrene Kollegin mit den Pauschalen nun besser honoriert als der Anfänger, da sie die Leistung in einem bestimmten Zeitrahmen häufiger und zudem noch besser durchführen kann als der Kollege mit noch limitierter Erfahrung. So können die Pauschalen vorerst mal eine kleine, später mit den jährlichen Anpassungen wahrscheinlich sogar eine grosse und richtige Korrektur bringen.

Ist der TARDOC – wie von vielen Seiten angekündigt – nun das Gelbe vom Ei? Die einfache vaginale Ultraschalluntersuchung wird damit künftig schlechter honoriert, was sicher diverse konservativ tätige Kolleginnen und Kollegen kaum erfreuen dürfte. Immerhin gibt es aber eine gewisse Kompensation im Gespräch, das gemäss meiner NZZ-Lektüre über den TARDOC nun höher abgerechnet werden kann als früher – ein Hoffnungsschimmer also, dass nicht nur Technik, sondern auch ärztliche Reflexion und Empathie die Wertschätzung erhalten, die sie verdienen. Endlich folgen so auf Worte auch mal – finanzielle – Taten.

Ich hoffe auf einen guten Start des TARDOC und der Pauschalen. Denn es ist klar, dass die neuen Tarife nicht nur unser Einkommen bestimmen. Die neue Tarifordnung beeinflusst neben dem Honorar auch, wie die Medizin zukünftig in der Schweiz ­organisiert und priorisiert wird.

Herzliche Grüsse

Prof. em. Dr. med. Bruno Imthurn

Senior Consultant Kinderwunschzentrum
360° Zürich

bruno.imthurn@uzh.ch

Akute Stoffwechselentgleisung mit Hirnödem bei Ahornsirupkrankheit

Hintergrund

Die Ahornsirupkrankheit (maple syrup urine disease, nachfolgend MSUD) ist mit einer Prävalenz von 1–9:1 000 000 (1) und Inzidenz von 1:120 000 (2) eine seltene erbliche Stoffwechselstörung. Ursächlich besteht eine autosomal-rezessiv vererbte Aktivitätsminderung des Multienzymkomplexes «verzweigtkettige 2-Ketosäuren-Dehydrogenase», aufgrund welcher die verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin sowie deren entsprechende 2-Ketosäuren nicht adäquat abgebaut werden können (Abb. 1). Die Folge ist eine vermehrte Akkumulation im Gewebe mit akuter und chronischer neurotoxischer Wirkung, insbesondere durch Leucin und dessen Metabolit 2-Ketoisocapronsäure. Der Name der Erkrankung leitet sich aus dem süsslichen Geruch des Urins durch vermehrte Ausscheidung eines Isoleucin-Metaboliten ab (3). Bei frühzeitiger Erkennung (Neugeborenenscreening, in der Schweiz von 1965–1986 sowie seit 2014 [4]) und strikter Therapieadhärenz (spezielle Leucin-arme, proteinreduzierte MSUD-Diät, ergänzende Leucin-, Isoleucin- und Valin-freie Aminosäuremischung) können grundsätzlich Referenzbereich-nahe Plasmaleucinspiegel erzielt werden und die Patient/-innen das Erwachsenenalter ohne Folgeschäden erreichen. Die konsequente Umsetzung der stark einschränkenden Diätvorgaben ist jedoch schwierig; in vielen Fällen entstehen daher kognitive Defizite oder ­leichtere neurologische Einschränkungen, selten eine spastische Zerebralparese (5, 6).

Mit einer geschätzten Anzahl von nur 100 erwachsenen MSUD-Patient/-innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Stand 2014) sowie deren Betreuung an spezialisierten Stoffwechselzentren ist die praktische Erfahrung im Umgang mit diesen Patient/-innen in der allgemeininternistischen Erwachsenenmedizin mutmasslich gering. Die MSUD zählt jedoch zu denjenigen Stoffwechselerkrankungen, bei welchen ein Behandlungsunterbruch oder kataboler Zustand (infolge Krankheit, Operation oder Fasten) rasch zu einer akuten Stoffwechselentgleisung mit lebensbedrohlichen Folgen führen kann (3). Anhand dieses Fallberichtes möchten wir das Bewusstsein für dieses Krankheitsbild schärfen und die zentralen Aspekte der Behandlung in Erinnerung rufen.

Fallbericht

Ausgangslage

Eine 50-jährige, im Alltag selbständige Patientin mit bekannter MSUD seit dem 6. Lebenstag wurde aufgrund Vigilanzminderung spätabends an unser Zentrum verlegt. Vorangegangen war eine 4-tägige Hospitalisation (1 Tag Akutspital, 3 Tage Psychiatrie) aufgrund einer schweren Gewalttat mit psychischer Traumatisierung. Eine sich dort schnell entwickelnde qualitative Bewusstseinsstörung war zunächst als Mutismus und psychomotorische Blockade infolge der Traumatisierung interpretiert worden. Am Tag der Verlegung in unser Spital wurde die Patientin komatös vorgefunden. Bei daraufhin bestehendem Verdacht auf akute Stoffwechselentgleisung war zur Verhinderung einer weiteren Katabolie bereits eine 10  % Glukoseinfusion mit 200 ml/h gestartet sowie 300 mg Thiamin i.v. verabreicht worden. Als Komorbidität bestand eine strukturelle Epilepsie im Rahmen der MSUD, unter Therapie mit Lamotrigin.

Befunde

Die Patientin präsentierte sich deutlich vigilanzgemindert mit GCS initial um 8–10. Sie war kreislaufstabil, es bestand eine leichte Tachypnoe um 20/min. Im Labor zeigte sich eine Leukozytose mit Neutrophilie, das CRP war normwertig. Zudem fanden sich eine Hypophosphatämie, eine Hyperurikämie sowie eine Hyperglykämie unter Glukoseinfusion. Es lag eine gemischte Säure-Basen-Störung mit vordergründig respiratorischer Alkalose und zusätzlich leichter metabolischer Azidose vor (Tab. 1). Zur Differenzialdiagnostik erfolgte eine cerebrale Bildgebung (CT-Angiographie und darauffolgend MRI-Schädel), welche ein generalisiertes Hirnödem sowie Diffusionsrestriktionen kortikal, in den Basalganglien und den Thalami zeigte (Abb. 2). Im EEG bestanden Allgemeinveränderungen als Ausdruck einer Enzephalopathie, ohne Hinweis auf einen Status epilepticus. Das quantitative Aminosäureprofil im Blut zeigte schliesslich stark erhöhte Leucin-, Isoleucin- und Valin-Werte. Dies bestätigte die Ätiologie der schweren metabolischen Enzephalopathie mit Hirnödem durch die Stoffwechselentgleisung im Rahmen der Grunderkrankung (Tab. 1).

Therapie

Es erfolgte die durchgehende Weiterführung der bereits extern gestarteten Glukoseinfusion (initial Glukose 10 % 2 ml/kgKG/h, später Glukose 50 % zur Reduktion der Volumeneinfuhr). Ergänzend wurde Phosphat substituiert und die Hyperglykämie mit Insulin korrigiert. Nach Bestätigung des stark erhöhten Leucinspiegels erfolgte zusätzlich der Beginn einer Hämodialyse zur Elimination der neurotoxischen Aminosäuren und Metabolite. Im Verlauf wurde eine enterale Sonde zur Verabreichung der MSUD-spezifischen Aminosäuremischung eingelegt und eine proteinfreie parenterale Ernährung (SMOFlipid) begonnen.

Verlauf

Kurzfristig zeigte sich eine weitere Verschlechterung der neurologischen Situation mit fluktuierendem GCS-Abfall bis auf 3, spontanem Babinski-Zeichen und einer Tonuserhöhung der oberen Extremitäten. Nach Beginn der Hämodialyse normalisierte sich der neurologische Zustand innert 3 Tagen. Die Leucin-Spiegel wurden in dieser Phase 2x ­täglich bestimmt und zeigten sich ebenfalls rasch rückläufig – bis leicht unter die bei der Patientin vorbekannten Werte um 500 µmol/l (Tab. 1). Nach 3 Tagen wurde die Hämodialyse beendet. Die Patientin konnte im Verlauf in deutlich gebessertem Zustand aus dem Spital entlassen werden und präsentierte sich 3 Monate später in ausgezeichnetem Allgemeinzustand zur geplanten Verlaufskontrolle in unserer Stoffwechselsprechstunde. Der Leucin-Spiegel zeigte sich zu diesem Zeitpunkt normwertig.

Diskussion

Im Rahmen eines katabolen Zustandes infolge Fasten, akuter Krankheit oder Operation kommt es durch den Abbau von Skelettmuskelprotein zu einem stark vermehrten Anfall von Leucin, Isoleucin und Valin. Dies kann bei Patient/-innen mit MSUD aufgrund der dadurch erhöhten neurotoxischen Substanzen zum Hirnödem sowie konsekutiv akuter Enzephalopathie mit neurologischen und neuropsychiatrischen Symptomen führen (Apathie, Halluzinationen, Verhaltensauffälligkeiten, Bewegungsstörungen, Krampfanfälle, Bewusstseinsstörungen bis Koma). Diese Stoffwechselentgleisung ist eine potenziell lebensbedrohliche Notfallsituation, die die umgehende Einleitung einer Akuttherapie notwendig macht (3). In der Regel sollten die Patient/-innen ein entsprechendes Notfallblatt mit Handlungsanweisungen und Kontaktangaben des Behandlungsteams bei sich tragen. Bereits bei Verdacht muss unverzüglich und ohne Abwarten der bestätigenden Laborwerte eine hochprozentige Glukosedauerinfusion begonnen werden (vorübergehende periphervenöse Verabreichung in eine grosse Vene unproblematisch). Ziel ist die Verhinderung eines fortgesetzten Katabolismus durch eine Kalorienzufuhr entsprechend dem 1–1.5-fachen des Erhaltungsbedarfes (Richtwert Glukose 10 % 2 ml/kgKG/h). Zusätzlich ist die Verabreichung von Thiamin (300 mg i.v.) sowie im Falle einer Hyperglykämie Insulin notwendig. Eine intensivmedizinische Behandlung am Zentrum mit frühzeitiger Involvierung des betreuenden Stoffwechselteams ist indiziert. Die im Rahmen der MSUD-Diät vorbestehende Leucin-freie Aminosäuremischung sollte weiter verabreicht werden – falls notwendig mittels Einlage einer enteralen Sonde (bisher sind keine parenteralen Leucin-freie Produkte erhältlich). Das Ziel ist eine schnelle Senkung des Plasmaleucinspiegels in den oberen Referenzbereich. Eine ausreichende Hydrierung mittels ergänzender Elektrolytlösung soll über forcierte Diurese zur weiteren Entgiftung beitragen, wobei eine Volumenüberladung unbedingt zu vermeiden ist. Bei schwerer Symptomatik stellt die Hämodialyse/-filtration die Option zur raschen Entfernung der Metaboliten aus dem Blut dar. Wichtig ist hierbei zu bedenken, dass die Entfernung aus dem zentralen Nervensystem (ZNS) prolongiert verläuft. Dies bedeutet, dass auch bei normalisierten Werten im peripheren Blut noch toxische Metabolitenspiegel im ZNS vorhanden sein können (3).

Mittels quantitativen Aminosäurenprofils (Notfallbestimmung, in der Schweiz aktuell möglich am Universitäts-Kinderspital Zürich, Inselspital und CHUV) wird die Diagnose bestätigt; meist steigt der Plasmaleucinspiegel im Rahmen einer ausgeprägten Katabolie mit Stoffwechselkrise rasch auf ca 1500 µmol/l oder höher an. Die cerebrale Bildgebung (vordergründig zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen bei Vigilanzminderung) kann bei schwerer metabolischer Entgleisung wie bei unserer Patientin ein generalisiertes Hirnödem mit symmetrischen Diffusionsrestriktionen zeigen (Abb. 2). Die ergänzende Routinelaboruntersuchung gibt Hinweise auf zugrunde liegende Erkrankungen (z. B. Infekt) oder weitere Differenzialdiagnosen. Diesbezüglich bestand in unserem Fall kein Hinweis. Wir interpretierten die Problematik durch die verminderte/ausgesetzte Nahrungsaufnahme (einschliesslich der Aminosäurezusätze) während mehrerer Tage im Rahmen der akuten psychischen Belastungsreaktion. Da die akute Stoffwechselentgleisung bei MSUD zu neuropsychiatrischen Symptomen wie Halluzinationen und Verhaltensauffälligkeiten führen kann, ist eine Abgrenzung zu psychiatrischen Erkrankungen schwierig. Bei fehlendem Bewusstsein für die metabolische Problematik kann dies, wie auch in unserem Fall, die therapeutische Korrektur der Stoffwechsellage verzögern und damit die Patient/-innen in eine lebensbedrohliche Lage bringen (7).

Karin Vogt 1, Matthias Baumgartner 2, Katharina Timper 3, 4

1 Klinik für Innere Medizin, Universitätsspital Basel, Basel
2 Abteilung für Stoffwechselkrankheiten und Forschungszentrum für das Kind, Universitäts-Kinderspital Zürich, Zürich
3 Klinik für Endokrinologie, Diabetes & Metabolismus, Universitätsspital Basel, Basel
4 Departement Biomedizin Basel, Universität Basel und Universitätsspital Basel, Basel

Historie
Manuskript eingegangen: 20.11.2024
Angenommen nach Revision: 20.03.2025

Verdankungen
Wir bedanken uns bei Annika Lonak (Neuroradiologie Universitäts­spital Basel) für die Bereitstellung und Kommentierung der radiolo­gischen Bildbefunde, bei Dr. med. Jonas Quitt (Anästhesie/IMC Universitätsspital Basel) für die Hilfe bei der Aufarbeitung initialer Befunde sowie bei Dr. med. Thomas Vogt für die Unterstützung bei der orthografisch-grammatikalischen Bearbeitung des Fallberichts.

Author Contributions
Konzept, KV; Schreiben, Überprüfen, Editieren, KV, KT, MB. Alle Autorinnen und Autoren haben das eingereichte Manuskript gelesen und sind für alle Aspekte des Werkes mitverantwortlich.

Dipl. med. Karin Vogt

Universitätsspital Basel
Klinik für Innere Medizin
Petersgraben 4

karin.vogt@usb.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Bei Patient/-innen mit vorbekannter MSUD soll immer an die Möglichkeit einer Stoffwechselentgleisung gedacht und bei Verdacht unverzüglich mit der Gabe einer hochprozentigen Glukoseinfusion (10 %, 2 ml/kgKG/h) begonnen werden. Zudem soll 300 mg Thiamin i.v. ver­abreicht werden.
• Es muss eine Verlegung an das behandelnde Stoff­wechselzentrum erfolgen oder mit diesem Kontakt aufgenommen werden.
• Zugrunde liegende Ursachen (z. B. Infekt) sollen gesucht und rasch behandelt werden.
• Im Falle von Krankheit, Operationen (Katabolismus) und Spitalaufenthalt ist bei bekannter MSUD die enge Mitbe­treuung durch das behandelnde Stoffwechselzentrum und die Vorgabe eines Therapieplans mit spezieller Diät notwendig, um eine Stoffwechselentgleisung zu vermeiden.
• Patient/-innen mit MSUD sollten ein Notfallblatt bei sich tragen und entsprechend informiert sein.

1. Orphanet [Internet]. Paris, France: Orpha.net [cited 2024 03 04]. Available from: https://www.orpha.net/consor/cgi-bin/Disease_Search.php?lng=DE&data_id=708&Disease_Disease_ Search_diseaseGroup=msud&Disease_Disease_Search_diseaseType=Pat&Krankheite(n)/Krankheitsgruppe=Ahornsirup-Krankheit&title=Ahornsirup-Krankheit&search=Disease_Search
2. Fingerhut R, Olgemöller B. Newborn screening for inborn errors of metabolism and endocrinopathies: An update. Anal Bioanal Chem. 2009;393(5).
3. Prof. Dr. med. S. vom Dahl, Dr. med. F. Lammert, Prof. Dr. med. K. Ullrich PD med. UW. Angeborene Stoffwechselkrankheiten bei Erwachsenen. Angeborene Stoffwechselkrankheiten bei Erwachsenen. Springer Verlag; 2014.
4. PD Dr. rer. nat. Ralph Fingerhut, Prof. Dr. med. Johannes Häberle PD med. MB. Evaluationsbericht 2020 Neugeborenen Screening auf die Glutarazidurie Typ-I (GA-I) und die Ahornsirupkrankheit (MSUD). 2020.
5. Abi-Wardé MT, Roda C, Arnoux JB, Servais A, Habarou F, Brassier A, et al. Long-term metabolic follow-up and clinical outcome of 35 patients with maple syrup urine disease. J Inherit Metab Dis. 2017;40(6).
6. Holmes Morton D, Strauss KA, Robinson DL, Puffenberger EG, Kelley RI. Diagnosis and treatment of maple syrup disease: A study of 36 patients. Pediatrics. 2002;109(6).
7. Higashimoto T, Whitehead MT, MacLeod E, Starin D, Regier DS. Maple syrup urine disease decompensation misdiagnosed as a psychotic event. Mol Genet Metab Reports. 2022;32.

Überregulierung im Gesundheitswesen der Schweiz: Eine Herausforderung für die Effizienz und Innovation

Das Gesundheitswesen in der Schweiz gilt als eines der besten, wenn auch nicht effizientesten der Welt, doch es steht auch vor der Herausforderung der Überregulierung. Diese wirkt sich negativ auf die Effizienz, die Innovationskraft und letztlich auch auf die Qualität der Patientenversorgung aus.

Ein zentrales Problem ist die Vielzahl an Vorschriften und Gesetzen, die sowohl für Leistungserbringer als auch für Patienten oft schwer verständlich sind. Die daraus entstehende Komplexität führt zu einem hohen administrativen Aufwand und kann Entscheidungen verzögern. Ärzte und Pflegekräfte verbringen einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit Bürokratie, statt sich um die direkte Patientenversorgung zu kümmern. Viele Ärztinnen und Ärzte beginnen ihre Laufbahn gar nicht erst in der Patientenarbeit – schätzungsweise rund 25 % – oder steigen rasch wieder aus. Unattraktive Anstellungsbedingungen und überbordende Administration werden als Hauptgründe genannt. Auch im Pflegebereich zeigt sich ein ähnliches Bild.

Ein weiterer Aspekt ist die Innovationsbremse, die durch übermässige Regulierungen entstehen kann. In einem sich schnell entwickelnden Bereich wie der Medizintechnik und der digitalen Gesundheit ist es entscheidend, dass neue Technologien und Behandlungsmethoden schnell und effizient in die Praxis umgesetzt werden können. Überregulierung kann jedoch dazu führen, dass vielversprechende Innovationen unnötig lange auf Genehmigungen warten müssen, was letztlich die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Gesundheitswirtschaft gefährdet.

Besonders problematisch ist auch, dass Überregulierung Innovationen ausbremst. Doch langwierige Genehmigungsverfahren gefährden die Wettbewerbsfähigkeit des Gesundheitsstandorts Schweiz. Kleine Praxen und Start-ups, denen Ressourcen fehlen, haben Mühe, die komplexen Anforderungen zu erfüllen, und geraten gegenüber grösseren Institutionen ins Hintertreffen. Die Schweiz rühmt sich ihrer Innovationskraft, verliert aber an Attraktivität für klinische Forschung und industrielle Umsetzung. Viele Start-ups weichen in Länder wie die USA aus, wo bessere Bedingungen und mehr Risikokapital locken.

Neben der Flut an Vorschriften erschwert auch Mikromanagement den Alltag im Gesundheitswesen. So sollte etwa das Herausschneiden einzelner Tabletten aus einer Folie als Medikamentenzubereitung gelten – mitsamt Bewilligung, Schulungspflicht und Zertifikat. Nach Kritik wurde die Teilabgabe zwar geregelt, doch die Vielzahl an beteiligten Behörden – Swissmedic, BAG, BWL (nein, nicht die Betriebswirtschaftslehre, sondern das Bundesamt für Wirtschaftliche Landesversorgung), Kantone – führte zu uneinheitlichen Lösungen. In manchen Kantonen war es teilweise erlaubt, in anderen nur für Apotheken, nicht aber für Ärzte. Dass Letztere operieren dürfen, aber keine Tablette aus der Blisterfolie schneiden, ist ein weiteres Beispiel für die Abwesenheit gesunden Menschenverstands – man denkt unweigerlich an den Vorschlag einer ehemaligen Bundesrätin, eine Bewilligung fürs Grosi einzuführen, wenn es am Mittwochnachmittag die Enkel betreuen will.

Um die Herausforderungen der Überregulierung zu bewältigen, braucht es einen konstruktiven Dialog im Gesundheitswesen. Eine gezielte Vereinfachung der Vorschriften könnte helfen, Effizienz und Qualität der Versorgung besser in Einklang zu bringen. Es braucht ein neues Gleichgewicht zwischen notwendiger Kontrolle und Raum für Innovation.

Insgesamt ist die Überregulierung im Gesundheitswesen der Schweiz ein Thema, das dringend angegangen werden muss, um die Stärken des Systems zu bewahren und gleichzeitig Raum für Fortschritt und Verbesserung zu schaffen. Wer in der Politik hat den Mut das anzupacken?

Prof. Dr. med. Beat Thürlimann

Brustzentrum, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

Die Zukunft mitgestalten: Ein Rückblick zur Arbeit von SHOOT

Seit seiner Gründung im Jahr 2021 hat SHOOT beeindruckende Meilensteine erreicht, welche nicht nur die Mitglieder direkt betreffen, sondern auch weitreichende Auswirkungen auf die beiden Fachrichtungen Hämatologie und Onkologie in der Schweiz haben. Mit rund 100 Mitgliedern aus der ganzen Schweiz hat SHOOT eine starke Basis geschaffen, die jungen Hämatologinnen und Hämatologen und Onkologinnen und Onkologen eine Plattform für Austausch, Vernetzung und professionelle Weiterentwicklung bietet.

Weiterbildung

Ein Kernstück der Aufgabe bilden die innovativen SHOOT Kurse in Onkologie und Hämatologie, die seit 2023 angeboten werden und wesentlich zur Facharztausbildung beitragen. Besonders hervorzuheben sind dabei die Workshops «SHOOT – Challenge the Experts», die in einer Reihe von spezialisierten Veranstaltungen stattfinden. Die nächste Fortbildung am 8. Mai 2025 findet zum Thema «seltene Tumore» statt. Hier werden Diagnostik und Therapieansätze für seltenere Tumorentitäten mit namhaften Expertinnen und Experten diskutiert. Alle diese Veranstaltungen bieten eine einzigartige Plattform, auf der junge Ärztinnen und Ärzte direkt von führenden Experten lernen und komplexe Fälle kennenlernen und diskutieren können.

Darüber hinaus findet am 16. September 2025 in Zürich der von der SGMO anerkannte Ethikkurs statt, der seit 2024 ein fester Bestandteil des Bildungsangebots von SHOOT ist und direkt bei der Facharztausbildung angerechnet werden kann. Dieser Kurs bietet essenzielles Wissen und Orientierungshilfen zu ethischen Fragen, welche im medizinischen Alltag regelmässig auftreten.

Aufgrund der grossen Nachfrage wird zudem während des Schweizer Onkologie- und Hämatologie-Kongresses (SOHC) ein Kurs in molekularer Onkologie organisiert. Dieser Kurs zielt darauf ab, das Verständnis für molekulare Mechanismen in der Krebsentstehung und -behandlung zu vertiefen und die Teilnehmer mit den neuesten Technologien und Therapieansätzen vertraut zu machen.

Alle diese von SHOOT organisierten und praxisorientierten Kurse sind entscheidend, um die fachliche Kompetenz und das praktische Verständnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu erweitern und sie optimal auf die grossen Herausforderungen in ihrer täglichen klinischen Praxis vorzubereiten.

Gestaltung Facharztausbildung

Darüber hinaus hat sich SHOOT zum weiteren Ziel gesetzt, wichtige Anliegen in den Vorständen der Schweizerischen Gesellschaft für Hämatologie (SGH) und der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO) einzubringen und zu vertreten. Diese Aufgabe ist von grossem Wert, da sie es ermöglicht, die Interessen und Bedürfnisse junger Onkologen und Hämatologen rechtzeitig und zielorientiert direkt in die Weiterentwicklung der beiden Fachbereiche einzubringen und hier auch Änderungen anzustossen. So wurde z. B. in enger Zusammenarbeit mit der SGH ein Antrag an das SIWF zur Revision/Anpassung des Weiterbildungsprogramms Hämatologie mit dem Ziel, die Weiterbildung besser auf die Bedürfnisse der Weiterzubildenden abzustimmen, gutgeheissen.

Die laufenden Projekte zur Weiterentwicklung des Weiterbildungsprogramms Hämatologie und zur Reakkreditierung des Weiterbildungsprogramms Medizinische Onkologie zeigen das grosse Engagement von SHOOT, die Ausbildungsstandards konsequent zu verbessern und zu aktualisieren. Diese Bemühungen stellen sicher, dass die Ausbildung junger Hämatologinnen und Hämatologen und Onkologinnen und Onkologen auf dem neuesten Stand der medizinischen Forschung und Praxis bleibt.

Vertretung an Kongressen

Weiter ist SHOOT auf nationalen und internationalen Kongressen wie dem Schweizer Onkologie- und Hämatologie-Kongress (SOHC), dem Deutschen Kongress für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) und «medifuture» vertreten. Diese Präsenz auf wichtigen Fachtagungen ermöglicht es SHOOT, sich in die Diskussionen auf höchstem wissenschaftlichem Niveau einzubringen und die Interessen ihrer Mitglieder national und international zu vertreten. Auch wurde jeweils an den Tagungen auch ein «SHOOT-Apéro» organisiert, um den Austausch und die Vernetzung unter jungen Fachärztinnen und Fachärzten zu fördern.

Die Errungenschaften von SHOOT sind ein gutes Beispiel dafür, wie junge Fachärztinnen und Fachärzte auch in medizinischen Spezialgebieten durch gezielte Förderung und Vernetzung entscheidend zur Weiterentwicklung ihres Faches beitragen können. Diese Erfolge von SHOOT sind nicht nur für junge Hämatologinnen und Hämatologen und Onkologinnen und Onkologen von Bedeutung, sondern sie stärken auch die gesamte hämatologisch-onkologische Gemeinschaft in der Schweiz. Indem SHOOT rechtzeitig auch die Weichen für die Zukunft stellt, sichert es die hohe Qualität der Patientenversorgung und die Innovationskraft in der Schweizer Onkologie und Hämatologie.

Weitere Informationen
https://www.ssh-ssmo-shoot.ch

Dr. med. Tämer El Saadany

Kantonsspital Graubünden
Onkologie / Hämatologie
Loestrasse 170
7000 Chur

Dr. med. Eveline Daetwyler

HOCH Health Ostschweiz
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

Journal Watch von unseren Experten

Semaglutid bei T2DM und CKD: FLOW-Studie und zwei Subanalysen

Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) und die chronische Nierenerkrankung (CKD) nehmen weltweit stark zu. Diabetes und Hypertonie sind die Hauptursachen einer CKD. Das Mortalitätsrisiko ist bei Patienten mit einem T2DM und CKD über 10 Jahre 4 × höher als ohne diese beiden Erkrankungen; Die Lebenserwartung ist vor allem wegen den kardiovaskulären (cv) Folgeerkrankungen deutlich vermindert. Das Risiko für eine rasche Progression der CKD ist erhöht. Durch eine Adipositas können diese und die cv Folgeerkrankungen (Hypertonie, HI, KHK, VHFli) deutlich verschlimmert werden. Diese Krankheiten beeinflussen sich gegenseitig. Ab einer Urin-Albumin-Kreatinin Ratio (UACR) von 5 mg/g steigt das Risiko bez. cv Mortalität kontinuierlich an und je schlechter die eGFR, desto höher sind die cv Komplikationen.

GLP-1 Rezeptor-Agonisten (GLP-1 RA) reduzieren das Gewicht, verbessern den Blutzucker, verringern cv Ereignisse bei T2DM und haben wie die SGLT2-H. kardio- und nephroprotektive Wirkungen. An der Niere wirken sie antientzündlich und antioxidativ, verstärken die Natriurese und hemmen die Fibrose. Auch haben sie eine pluripotente Wirkung auf verschiedene Organe.

In der 2024 publizierten RCT-Studie FLOW (1) reduzierte Semaglutid das Risiko für klinisch bedeutsame renale Endpunkte sowie den kardiovaskulären Tod und die Gesamtmortalität in der Hochrisikopopulation von 3533 Patientinnen und Patienten mit T2DM und CKD mit einer eGFR von ≥ 50 – ≤ 75 ml/min/1.73m2 und einer UACR > 300 – < 5000 mg/g oder einer eGFR von ≥ 25 – < 50 ml und einer UACR > 100 – < 5000 mg/g; HbA1c ≤ 10 %., in der Vorgeschichte 22.9 % MI oder Apoplexie, 19.2 % HI.

Diese Studie ist insofern relevant, da 79.6 % eine eGFR von weniger als 60 ml/min/1.73 m² und 11.3 % eine eGFR von weniger als 30 ml/min/1.73 m² aufwiesen (96.9 % Stadium A2 oder höher, davon 68.5 % Stadium A3). Im Durchschnitt (D) waren die Patienten 66.6 Jahre, die D-eGFR betrug 47, die D-UACR 567.6 mg/g Kreatinin, 15.6 % hatten einen SGLT2-H. Die Studie wurde infolge positiver Resultate vorzeitig abgebrochen.

Mit einer s. c. Semaglutid-Dosis von 1 mg/Woche (Diabetes-Dosis) über durchschnittlich 3.4 Jahre vs. Placebo u. einer Standardtherapie (RAS-H., potentes Statin, Diuretika, Insulin) im Verh. 1 : 1 konnte der primär kombinierte Endpunkt: Nieren-Outcome, bestehend aus ≥ 50 % Abfall der geschätzten eGFR, eGFR < 15 ml/min/1.73 m², Beginn einer Nierenersatztherapie, renaler und kardiovaskulärer Tod, um 24 % (HR 0.76; p = 0.0003) gesenkt werden. Dies entspricht in 3 Jahren einer sehr guten NNT von 20, zur Verhinderung von einem primären Ereignis. Die sekundären Endpunkte cv-Tod, MACE (cv-Tod, MI, Apo) und Gesamtmortalität wurden auch reduziert, die jährliche eGFR-Abnahme (Slope) war unter Semaglutid weniger stark als unter Placebo. Vorteile gab es auch in Bezug auf Albuminurie, Gewichtsreduktion (–4 kg), verbesserten Stoffwechsel und die BD-Kontrolle.

In einer vordefinierten Analyse der Flow-Studie konnte gezeigt werden, dass das Risiko eines kombinierten Ergebnisses von HI-Ereignissen oder kardiovaskulärem Tod und HI-Ereignissen allein signifikant um 27 % reduziert wurde. Das Risiko, allein am Herz-Kreislauf-Tod zu versterben, wurde um 29 % gesenkt. Die positiven Wirkungen von Semaglutid waren bei Teilnehmern mit und ohne HI zu Studienbeginn und in einer Reihe ­klinisch relevanter Untergruppen ähnlich (2).

In einer weiteren vorab spezifizierten Analyse der FLOW-Studie wurden die Auswirkungen dieses GLP-1 RA auf die cv Ereignisse und die Sterblichkeit durch den Schweregrad der CKD untersucht (3). Die Ergebnisse zeigen, dass Semaglutid das Risiko für den cv-Tod, nicht-tödlichen Herzinfarkt und nicht-tödlichen Schlaganfall um 18 % sowie die Sterblichkeit jeglicher Ursache um 20 % reduziert. Diese positiven Effekte waren unabhängig von der Schwere der CKD, gemessen durch die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR: < 60 oder ≥ 60 ml/min/1.73 m²), das Albumin-Kreatinin-Verhältnis im Urin (UACR-Werten von < 300 oder ≥ 300 mg/g) und die KDIGO-Risikoklassifikation «heat map»: Albuminurie und eGFR, die in niedriges/moderates bei 6.8 % der Patienten (HR: 0.67), hohes bei 24.9 % (HR: 0.75) und sehr hohes Risiko bei 68.3 % der Patienten (HR: 0.84) eingeteilt wurde. Dieses Risiko bezieht sich auf den cv-Tod, den nicht fatalen MI und den nicht fatalen Stroke.

Fazit
Semaglutid reduziert deutlich das Risiko klinisch wichtiger Nierenergebnisse und des Todes durch kardiovaskuläre Ursachen bei Hochrisiko-Patienten mit Typ-2-Diabetes und chronischer Nierenerkrankung.

• Das Risiko eines kombinierten Ergebnisses von HI-Ereignissen oder kardiovaskulärem Tod und HI-Ereignissen allein wurde signifikant reduziert.
• Auch reduziert dieser GLP-1 RA das Risiko für kardiovaskulären Tod/MI/Schlaganfall unabhängig vom Schweregrad der CKD zu Studienbeginn.

Semaglutid sollte als Teil der therapeutischen Strategie zur Verringerung des kardiovaskulären Risikos bei Menschen mit T2DM und CKD in Betracht gezogen werden. Grössere absolute Risikoreduktion mit zunehmender Schwere der CKD. Dies zusätzlich zur modernen «Hintergrundtherapie» mit RAS-H. und Statinen.

Dr. med. Urs Dürst

Literatur
1. Perkovic V et al., Effects of Semaglutide on Chronic Kidney Disease in Patients with Type 2 Diabetes. Published May 24, 2024. In: NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa240334

Vergleichende Analyse des grossen Blutbilds bei Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus und normalen Kontrollen: Assoziation und klinische Implikationen.

Hintergrund und Ziele
Der Zusammenhang zwischen dem grossen Blutbild undi Patienten mit Diabetes mellitus wurde in meherern Studien untersucht. Ziel einer im Jahre 2023 durchgeführten Studie (1) war es, eine umfassende Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Parametern des grossen Blutbilds und Diabetes mellitus zu liefern, wobei der Schwerpunkt auf Markern wie MPV, RDW und NLR lag. Durch die Synthese der verfügbaren Literatur wollen wir das Potenzial dieser Biomarker für das Verständnis der pathophysiologischen Mechanismen, die Diabetes und seinen Komplikationen zugrunde liegen, sowie ihre Rolle bei der Überwachung des Krankheitsverlaufs und der Prognose hervorheben. Letztendlich hoffen wir, Beweise zu liefern, die die Integration dieser Marker in die routinemäßige klinische Praxis als Instrumente zur Verbesserung des Managements und der Ergebnisse von Diabetikern unterstützen.

Methodik
Literatur in englischer Sprache wurde über die Suchmaschine Google Scholar und die PubMed-Datenbank (1980–2024) recherchiert und abgerufen. Als Schlüsselwörter wurden “Diabetes mellitus”, “Anzahl der Blutzellen”, “Mittleres Blutplättchenvolumen”, “Leukozyten” und “Entzündung” verwendet.

Ergebnisse
DM erhöht die vaskuläre Entzündung und den oxidativen Stress, während die vaskuläre Entzündung die Erythropoese und die Verformung der roten Blutkörperchen beeinflusst und so die Verteilungsbreite der roten Blutkörperchen (RDW) erhöht. Das mittlere Thrombozytenvolumen (MPV) ist ein weiterer nützlicher prognostischer Biomarker für DM-Patienten. Darüber hinaus sind erhöhte Spiegel des neutrophilen Lymphozytenverhältnisses (NLR) mit einer schlechten glykämischen Kontrolle bei T2DM-Patienten verbunden, so dass es als Screening-Instrument bei der Nachsorge von Diabetikern eingesetzt werden kann.

Schlussfolgerung
RDW kann als wertvoller unabhängiger Biomarker zur Beurteilung der Prognose von Patienten mit DM verwendet werden. MPV kann auch als nichtinvasiver, weit verbreiteter und kostengünstiger Marker als Schlüsselfaktor sowie als prognostischer/diagnostischer Biomarker verwendet werden, der für DM-Patienten verwendet werden könnte. Die Gesamtzahl der weißen Blutkörperchen, NLR, das mittlere Thrombozytenvolumen-Lymphozytenverhältnis (MPVLR) und das Verhältnis von Monozyten zu High-Density-Lipoproteinen (MHR) sind wertvolle Biomarker bei der Vorhersage von DM.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

Quelle
Essawi K et al.: Comparative Analysis of Red Blood Cells, White Blood Cells, Platelet Count, and Indices in Type 2 Diabetes Mellitus Patients and Normal Controls: Association and Clinical Implications. Diabetes Metab Syndr Obes 2023;16:3123-3132.