Fluktuationen und chronischer Schmerz bei M. Parkinson

Chronische Schmerzen bei Menschen mit M. Parkinson sollten der Erkrankung zugeordnet werden, da ein Grossteil dieser Schmerzen durch eine besser eingestellte dopaminerge Therapie behandelt werden kann. Diese stellt eine kausale Therapie dar und ein Ausweichen auf andere nebenwirkungsreichere Medikamente kann vermieden werden. Aufgrund der erstaunlichen Effekte, auch auf chronische Schmerzen, wird eine regelmässige intensive körperliche Aktivität empfohlen. Nicht zur Parkinson-Erkrankung zuordnungsbare Schmerzen sollen entsprechend «normaler» Schmerzen diagnostiziert und behandelt werden.

It is recommended that chronic pain in Parkinson’ s disease be attributed to the disease itself, as the majority of this pain can be effectively treated with improved dopaminergic therapy. This represents a causal therapy and a switch to other drugs with more side effects can be avoided. Due to the remarkable effects, including on chronic pain, regular intensive exercise is recommended. Pain that cannot be classified as associated with Parkinson’ s disease should be diagnosed and treated as «normal» pain.
Key words: Morbus Parkinson – chronischer Schmerz – Diagnostik – Behandlung

M. Parkinson (MP) ist mit einer Prävalenz von 2 % bei den über 65-Jährigen eine sehr häufige Erkrankung, die mit dem Alter weiter zunimmt (1). Bei Auftreten der Erkrankung unter 40 (young- oder early-onset Parkinson-Syndrom) oder unter 20 Jahren (juveniles Parkinson-Syndrom) besteht oft eine genetische Disposition. Bei etwa 75 % der Patienten mit einem Parkinson-Syndrom liegt der M. Parkinson (oder idiopathisches Parkinson-Syndrom) vor. Weiterhin können symptomatische Parkinson-Syndrome (z. B. lower body Parkinsonism bei vaskulärer Leukenzephalopathie) und atypische Parkinson-Syndrome im Rahmen von neurodegenerativen Erkrankungen (z. B. Multisystematrophie) unterschieden werden.

Obwohl MP eine progredient verlaufende Erkrankung ist, zeichnet er sich im Gegensatz zu anderen Parkinson-Syndromen, meist durch ein gutes Ansprechen auf eine dopaminerge Medikation aus. Neben den bekannten motorischen Symptomen können beim MP auch vielfältige nicht-motorische Symptome vorliegen (2). Diese können in sensorische (Riechstörungen, Visusstörungen und Schmerzen), neuropsychiatrische (Schlafstörungen, Fatigue, Depression, Demenz, Psychose) und autonome (Obstipation, Inkontinenz, orthostatische Hypotonie, nächtliche Hypertonie) Symptome unterschieden werden, wobei der Zusammenhang mit der Erkrankung oft weder für den Patienten noch für die Behandelnden immer offensichtlich ist. Zuletzt wurden mit einer gutartigen primär motorischen, einer intermediären mit nicht-motorischen Symptomen und einer progredienten seltenen Verlaufsform, drei verschiedene klinische Verläufe unterschieden (3).
Ein wichtiges nicht-motorisches Symptom, das die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt, sind chronische Schmerzen (d. h. > 3 Monate Dauer). Sie sind mit bis zu 80 % sehr häufig und oft schwierig zu diagnostizieren, da sie nicht leicht von Parkinson-unabhängigen Schmerzen abgegrenzt werden können (4). Im Laufe der Erkrankung kommt es durch postsynaptische Degeneration zu sogenannten Fluktuationen (Phasen mit verminderter Beweglichkeit oder mit Überbeweglichkeit), da keine stabilen Dopaminspiegel mehr erreicht werden können (5). Diese beinhalten ebenfalls das vermehrte Auftreten nicht motorischer Symptome wie beispielsweise chronischer Schmerzen (6).

Chronische Schmerzen unterscheiden

Durch MP verursachte chronische Schmerzen können diagnostiziert werden, indem v.a. eine Assoziation anhand von verstärkten Parkinson-Symptomen und dem Ansprechen auf eine dopaminerge Medikation erfragt wird (4). Wenn keine Assoziation besteht, wird eine weitere Diagnostik empfohlen. Bisherige Studien zeigten eine ähnliche Häufigkeit nicht Parkinson-assoziierter Schmerzen, wie in der Normalbevölkerung (20–30 %), aber auch höhere Prävalenzen (60 %) (4, 7), die beispielsweise durch Haltungsstörungen mit vermehrter Arthrose und indirekt durch Frailty erklärt werden können. Wenn Schmerzen durch MP verursacht werden, kann dies oft durch eine Anpassung der dopaminergen Therapie behandelt werden (8).

Parkinson-assoziierte chronische Schmerzen feststellen

Um einen ursächlichen Zusammenhang von chronischen Schmerzen mit der Parkinson-Erkrankung festzustellen, können mit dem PD-PCS Fragebogen (Parkinson disease pain classification system) fünf Faktoren erfragt werden (4, 9) (Abb. 1). Diese Kriterien wurden nach Expertenkonsens für chronisch sekundäre muskuloskeletale Schmerzen assoziiert mit MP ergänzt und ins ICD-11 übernommen (10).

• Schmerzen werden durch den Beginn der Erkrankung ausgelöst
• Schmerzen werden durch die Erkrankung verstärkt
• Schmerzen treten in Phasen von stärkerer motorischer oder nicht-motorischer Beeinträchtigung (Off-Phasen, niedriger Dopaminspiegel) auf
• Schmerzen treten bei Überbewegungen auf (On-Dyskinesien, hoher Dopaminspiegel)
• Schmerzen verbessern sich durch die Gabe von dopaminerger Medikation (> 30 % auf der Numerischen Ratingskala).

Wenn einer der Faktoren zutrifft, sollte ein Zusammenhang mit Wirkungsfluktuationen erfragt werden. Wir empfehlen einen Bewegungsbogen, der die Beweglichkeit über den Tagesverlauf (Off-Phasen, normale Beweglichkeit, Überbewegung) erfasst. Dies erlaubt dann eine bessere Einstellung der Parkinson-Medikation.

Unseren Daten zufolge beschreibt eine Besserung durch dopaminerge Medikation diesen Zusammenhang am häufigsten (75 %). Darauf folgen Schmerzen in Off-Phasen (69 %), Schmerzen zu Beginn der Erkrankung oder durch die Erkrankung verstärkt (33 %) und Schmerzen bei choreatischen Dyskinesien (8 %) (bisher unveröffentlichte Daten aus (4)).

Mechanismen chronischer Schmerzen

Nach der Zuordnung des Schmerzsyndroms zur Parkinson-Erkrankung oder zu Parkinson unabhängigen Schmerzen können Schmerzmechanismen unterschieden werden (11), um eine Mechanismen-basierte Therapie zu ermöglichen. Im PD-PCS Fragebogen schlagen wir einen hierarchischen Algorithmus vor, um zuerst neuropathische, dann nozizeptive und anschliessend noziplastische Schmerzsyndrome zu differenzieren (4, 9). Alle wichtigen, durch die Parkinson-Erkrankung verursachten Schmerzsyndrome können so einem Mechanismus zugeordnet werden (Abb. 2).

Neuropathische Schmerzen werden als «Schmerzen, die durch eine Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems verursacht werden» definiert. Sie können mittels eines Gradings definiert werden, wobei eine zugrundeliegende Krankheit und ein neurologisch plausibles Verteilungsmuster (möglich) und typische neuropathische Schmerzcharakteristika (wahrscheinlich) und der Nachweis einer Schädigung des somatosensorischen Systems gefordert werden (definitiv) (12) (z. B. Bandscheibenvorfall mit Wurzelkompression). Im PD-PCS werden neuropathische Schmerzen anhand eines Screening-Fragebogens (Douleur Neuropathique-4 Fragebogens (DN-4)) erfasst (13). Dieser Fragebogen definiert neuropathische Schmerzen, wenn mindestens 4 von 10 Fragen zu neuropathischen Charakteristika und der neurologischen Untersuchung mit «ja» beantwortet werden.

Bei MP liegen wahrscheinlich nur periphere neuropathische Schmerzsyndrome vor. Diese treten oft auch zusammen mit nozizeptivem Schmerz auf (Mixed-Pain, z. B. bei Zervikobrachialgie). Der Schmerz ist im Ausbreitungsgebiet eines peripheren Nervens, einer Nervenwurzel oder distal symmetrisch lokalisiert. Beispiele dafür sind Wurzelkompressionssyndrome, die Polyneuropathie (z. B. bei durch hohe L-dopa Gaben verursachtem Vitamin-B12-Mangel) oder eine periphere Nervenläsion.

Nozizeptiver Schmerz «entsteht durch eine tatsächliche oder drohende Schädigung von nicht-neuralem Gewebe und ist auf die Aktivierung von Nozizeptoren zurückzuführen». Diese sind definiert als schmerzhafte Muskeln, Gelenke oder Bänder oder muskuläre Steifheit. Hierunter werden lokale oder regionale Schmerzsyndrome, das myofasziale Schmerzsyndrom (Schmerzen in zusammenhängenden Regionen mit Triggerpunkten, z. B. Schulter- oder Beckengürtel) und der Coat hanger Schmerz (Nackenschmerzen bei Hypotonie) zusammengefasst.

Bei noziplastischen Schmerzen liegt eine veränderte Schmerzverarbeitung vor und es bestehen keine Hinweise für neuropathische und nozizeptive Schmerzen: «Schmerzen, die durch eine veränderte Nozizeption entstehen, obwohl es keine eindeutigen Hinweise auf eine tatsächliche oder drohende Gewebeschädigung gibt oder Hinweise auf eine Erkrankung oder Läsion des somatosensorischen Systems, die den Schmerz verursacht». Darunter haben wir die nichtmotorische Off-Phase, die motorische Unruhe der Beine (die Kriterien für ein Restless-Leg-Syndrom werden oft nicht vollständig erfüllt), das dopaminerge Dysregulationssyndrom (Unruhe u. a. bei dopaminerger Überstimulation) und das Dopamin-Agonisten-Entzugssyndrom (zu schneller Entzug von Dopamin-Agonisten) definiert. Seltene zentrale Schmerzen können auch hier subsummiert werden, wenn keine neuropathische Komponente besteht und kein anderes nociplastisches Syndrom vorliegt.
Der PD-PCS Fragebogen beinhaltet auch eine Bewertung der Schmerzen (Produkt aus Intensität (0–10), Frequenz (1–3) und Auswirkung auf den Alltag (1–3)). Er liegt bisher auf Deutsch und Englisch vor, weitere Übersetzungen werden derzeit validiert (4, 9). Eine Kurzversion kann auch Online abgerufen werden (siehe QR code in Abb.2).

Nach Zuordnung der Schmerzen zum MP kann alternativ auch die King’ s Parkinson disease pain scale (KPPS) verwendet werden. Sie unterscheidet 7 verschiedenen Schmerzkategorien (14).

Pathophysiologie von Parkinson-assoziierten Schmerzen
Pathophysiologisch sind vor allem Schwankungen des Dopaminspiegels für Parkinson-assoziierte Schmerzen ursächlich. Diese wirken sich im Stammganglien-Bereich auf die weitere kortikale Verarbeitung und durch deszendierende dopaminerge Hemmsysteme auf die spinale Schmerzweiterleitung aus. Im Positronen-Emissions-Tomografie (PET) zeigte sich in der Off-Phase (reduzierte dopaminerge Stimulation) eine vermehrte Aktivierung im medialen schmerzverarbeitenden System, welche sich in der On-Phase zurückbildete (15). In der Off-Phase zeigte sich auch eine erhöhte experimentelle Schmerzempfindung, die schon auf spinaler Ebene nachweisbar war. Im Laufe der Erkrankung nimmt diese weiter zu (16, 17). Bei Patienten mit Schmerzen konnte in einigen Studien eine stärkere Schmerzwahrnehmung gezeigt werden. Eine reduzierte dopaminerge deszendierende Schmerzhemmung wird dafür ursächlich vermutet (18), wobei L-dopa Gabe und tiefe Hirnstimulation diese normalisieren konnte (19, 20).

Therapie von Parkinson-assoziierten ­Schmerzen (Abb. 3)

Wenn die Parkinson-Erkrankung ursächlich für die Schmerzen ist, kann das Auftreten der Schmerzen im Zusammenhang mit anderen motorischen und nicht-motorischen Symptomen sowie der Medikation Hinweise für die Therapie geben (8). Beispielsweise kann bei dopaminerger Unterdosierung morgens, nachts oder beim wearing-off (kurze Wirkdauer von Dopamin) die Medikation entsprechend angepasst werden. Bei seltenen choreatischen Dyskinesien (Überbewegung) in der On-Phase kann versucht werden, den dopaminergen Peak abzuflachen. Mit einem Bewegungsbogen können diese Fluktuationen oft gut erfasst werden. Wenn Schmerzen nicht oder nur wenig auf eine Anpassung der dopaminergen Medikation reagieren (< 30 % auf der Numerischen Ratingskala) sollten andere Ursachen erwogen werden. Anschliessend kommen nicht dopaminerge Medikamente in Abhängigkeit vom Schmerzmechanismus zum Einsatz. Nicht-medikamentöse Verfahren sollten immer in Betracht gezogen werden, da die Effekte – beispielsweise von regelmässiger intensiver körperlicher Aktivität – erstaunlich gut sind. Bei schlecht behandelbaren Fluktuationen werden invasive Verfahren angeboten.

Im bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell von chronischen Schmerzen sind neben der Ursache weitere Faktoren wichtig. Neben dem zeitlichen Verlauf und der Schmerzstärke sollten daher die Beeinträchtigung im Alltag, psychosoziale Faktoren und der Leidensdruck berücksichtigt werden.

Dopaminerge Therapie bei M. Parkinson

Der gleichmässige Ersatz des fehlenden Dopamins über den gesamten aktiven Tag ist zu Beginn der Erkrankung durch drei gleichmässig verteilte Dosen eines nicht retardierten L-dopa-Präparates möglich. Um eine gute Wirkung zu erreichen, sollte dieses mindestens 30 Minuten vor oder 60 Minuten nach dem Essen und nicht gleichzeitig mit Milchprodukten eingenommen werden. Wenn sich im Laufe der Erkrankung die Umwandlungskapazität von L-dopa in Dopamin postsynaptisch weiter erschöpft, verkürzt sich die Wirkdauer und das wearing-off (oder end-of-dose Akinesie) tritt auf. Hier kann es notwendig werden, zusätzliche Dosisintervalle einzufügen und die Medikation beispielsweise alle 3 oder 4 Stunden zu verabreichen. Ein retardiertes L-dopa-Präparat kann im Fall von störenden nächtlichen oder morgendlichen Off-Phasen zur Nacht ergänzt werden. Schnell wirksame Präparate (beispielsweise Madopar Liquid), wie auch die Inhalation von L-dopa (bisher in der Schweiz nicht erhältlich), können bei nichtvorhersagbaren Akinesien oder morgens hilfreich sein. Eine Alternative dazu kann auch der Apomorphin-Pen sein.

Der zusätzliche Einsatz von MAO-B- oder COMT-Hemmern kann die Wirkdauer von Dopamin verlängern, damit gleichmässige Plasmaspiegel erreichen. MAO-B-Hemmer können auch schon zu Beginn der Erkrankung gegeben werden. Der COMT-Hemmer Opicapon kann als Einmalgabe abends angewendet werden, während Entacapon mit jeder L-dopa-Dosis kombiniert werden muss. Da diese zusätzliche Medikation die Plasmaspiegel von Dopamin um 30–50 % erhöht, sollte eine entsprechende Dosisreduktion erfolgen, um Überbewegungen zu vermeiden (21).

Durch zusätzliche Gabe von Dopaminagonisten im Frühstadium der Erkrankung und bei jüngeren Patienten erhoffte man sich, L-dopa einzusparen. Aktuell werden Agonisten, wegen möglichen Nebenwirkungen, etwas kritischer betrachtet. Ausserdem konnte gezeigt werden, dass eine späte Dopamintherapie nicht weniger Überbewegungen bewirkt. Das Ziel der dopaminergen Therapie sollte daher eine optimale Kontrolle der motorischen und nicht-motorischen Symptome unter Beachtung von Nebenwirkungen (wie Halluzinationen und orthostatische Dysregulation) sein. Dopaminagonisten haben, wenn der Einsatz unter Beachtung möglicher Nebenwirkungen vorsichtig erfolgt, v. a. in den retardierten Formen immer noch ihre Berechtigung. Mit Rotigotin besteht die Möglichkeit einer einmal täglichen Applikation als Pflaster.

Dopaminerge Therapie chronischer ­Schmerzen

Im Hinblick auf eine wirksame Schmerztherapie durch dopaminerge Medikation liegen nur wenige Studien zu nozizeptivem Schmerz vor, so dass wir zunächst eine Therapie von Wirkungsfluktuationen empfehlen, z. B. bei morgendlichen oder nächtlichen Off-Phasen oder beim wearing-off (siehe oben).

Der Agonist Rotigotin und der MAO-B-Hemmer Safinamid wurden je in 2 RCTs untersucht. Zur Wirkung von L-dopa auf Schmerzen liegen bisher nur Beobachtungsstudien vor. Die post-hoc Untersuchung der RECOVER-Studie zeigte eine Verbesserung des morgendlichen sowie des nächtlichen Off-assoziierten Schmerzes durch das Rotigotin-Pflaster nach 4 Wochen Erhaltungstherapie, wobei die Betroffenen mit Schlafstörungen besonders von der Therapie profitierten (22). Ähnliche Effekte auf den sekundären Endpunkt von Fluktuationen-bedingten Schmerzen zeigte eine weitere Studie (23). Safinamid konnte die On-Zeit signifikant erhöhen und zeigte in einem RCT einen Effekt auf Schmerzen (24), was im 2. RCT mit Schmerz als primäre Zielgrösse nicht reproduziert werden konnte (clinicaltrials.gov NCT03841604). L-dopa-Beobachtungsstudien konnten eine Verbesserung nozizeptiver Schmerzen um 51 % in der On- im Vergleich zur Off-Phase bei Korrelation mit motorischen Funktionen zeigen (25). Muskuloskeletaler Schmerz konnte in einer weiteren Beobachtungsstudie bei 83 % der Patienten um mindestens 30 % reduziert werden (26).

Zusammenfassend liegen bisher nur wenige Studien vor, die dopaminerge Medikation bei Schmerzen bei Parkinson-Betroffenen untersucht haben. Klinische Erfahrungen unterstützen die vorliegenden Daten zur Behandlung von motorischen und nicht-motorischen Fluktuationen (d. h. insbesondere durch Behandlung von Off-Phasen). Beim Erhöhen dopaminerger Medikation sollten jeweils auch mögliche Nebenwirkungen beobachtet werden (z.B. Halluzinationen). Bei den selten schmerzhaften choreatischen Dyskinesien (selten auch dyston) vorwiegend in der On-Phase, sollte versucht werden, die dopaminergen Peaks durch retardierte Präparate zu reduzieren und ggf. Amantadin vorsichtig einzusetzen.

Ergebnisse laufender Studien zu Opicapon und zur Erhöhung von L-dopa werden demnächst erwartet. Zuletzt ist eine Studie zu noziplastischem (zentralem) Schmerz erschienen, die keinen Effekt einer L-dopa Erhöhung zeigen konnte. Daher wird bei noziplastischen Schmerzen empfohlen, das jeweilige Schmerzsyndrom entsprechend zu behandeln (siehe Empfehlungen zu Dopamindysregulationssyndrom, Dopaminagonisten Entzugssyndrom, motorische Unruhe der Beine und nicht-motorischem Off). Zu neuropathischen Schmerzen liegen bisher keine Studien mit dopaminerger Medikation vor.

Nicht-dopaminerge Therapie chronischer Schmerzen

Nicht-dopaminerge Medikation in der Schmerztherapie bei Parkinson-Betroffenen wurde bisher ebenfalls nur in wenigen randomisierten und kontrollierten Studien (RCT) untersucht. RCTs liegen nur für retardiertes Oxycodon, die fixe Kombination von Ocycodon und Naloxon, Cannadibiol (CBD), Botulinum-Toxin und Duloxetin vor. Die meisten Studien wurden bei nozizeptivem Schmerz durchgeführt (Oxycodon und Duloxetin: noziplastischer Schmerz). Laut einer Beobachtungsstudie wurden in Deutschland Schmerzen oft mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAIDs) (55 %), Paracetamol (22 %), Metamizol (16 %) und Opioiden (9 %) mit guten therapeutischen Effekten von bis zu 78 % Schmerzreduktion behandelt (27).

Ein RCT zur fixen Kombination von retardiertem Ocycodon und Naloxon von 2 x 5/2.5–2 x 20/10 erreichte bei starken Schmerzen (Schmerzskala NRS ≥ 6) nicht den primären Endpunkt nach 16 Wochen, zeigte aber signifikante Effekte nach 4, 8 und 12 Wochen (28). Die Ansprechrate (> 30 % Besserung) war mit 48 vs. 34 % höher, jedoch auch die Abbruchrate durch Übelkeit und Obstipation (17 vs. 9 bzw. 6 %). Beobachtungsstudien zu Cannabinoiden haben nur Kurzzeiteffekte gezeigt. Grosse randomisierte Studien konnten diese Effekte nicht zeigen. Eine kleine randomisierte Studie zeigte einen positiven Effekt von 300 mg CBD auf die Lebensqualität, ohne dass Effekte auf Schmerzen nachgewiesen werden konnten (29). In einer Umfrage gaben in Deutschland 8 % der Patienten an, regelmässig medizinischen Cannabis zu nutzen, wobei 40 % der Patienten eine Besserung von Schmerzen und Muskelkrämpfen angab. Tapentadol wurde nur retro-spektiv bei 21 Patienten mit meist nozizeptivem Schmerz mit Dosen bis zu 200 mg über 6 Monate untersucht (30). Dabei fand sich eine Schmerzreduktion um 50 %, ohne dass wesentliche Nebenwirkungen auftraten. Die Stimmungslage der Probanden war besser und die Lebensqualität wurde gesteigert.

Zum Botulinumtoxin liegen zwei randomisierte kontrollierte Studien vor. Eine Studie konnte einen guten Effekt bei Schmerzen durch Grosszehendystonie (Verkrampfung meist in der Off-Phase) und Injektion in den Musculus flexor digitorum longus zeigen, der dem Effekt durch die Injektion in den Musculus flexor digitorum brevis überlegen war (31). Bei nicht L-dopa-responsiven Schmerzen konnte eine weitere Studie keinen Effekt auf Beinschmerzen zeigen, wobei die injizierten Muskeln nicht angegeben wurden.

Duloxetin als dualer selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) kann bei der diabetischen Polyneuropathie oder bei chronischen muskuloskeletalen Schmerzen eingesetzt werden. Eine open-label Studie bei 20 Parkinson-Erkrankten mit vermuteten, starken, zentralen Schmerzen (noziplastisch) zeigte gute Effekte über 6 Wochen bei einer Dosis von 30–60 mg bei jedoch hoher Abbruchrate (32). Eine RCT mit 40 mg konnte diese Ergebnisse bei weniger starken Schmerzen nicht reproduzieren (33).

Die zuletzt erschienene OXYDOPA-Studie konnte, bei schlechter Verträglichkeit, keinen Effekt von retardiertem Ocycodon bei noziplastischem (zentralem) Schmerz zeigen (34).

Zusammenfassend liegen wenige kontrollierte Studien zu nicht-dopaminerger Schmerztherapie bei Parkinson-Betroffenen vor, so dass nur retardiertes Ocycodon und Naloxon mit Vorsicht versucht werden kann (nur die sekundären Endpunkte konnten eine Überlegenheit zeigen). Zudem wird Botulinumtoxin bei Fuss- oder Grosszehendystonie empfohlen. Die Daten zu Duloxetin waren widersprüchlich und zeigten nur einen Effekt bei zentralen starken Schmerzen. Die Studienlage zu diversen Cannabispräparaten ist negativ.

Nicht-medikamentöse Verfahren

Bei den nichtmedikamentösen Verfahren kann eine Studie herausgehoben werden, in der ein bemerkenswerter Effekt von intensivem Ausdauertraining auf chronische Schmerzen gezeigt werden konnte. Durch endogene Opioid-Analgesie wurden nicht nur Symptome der Parkinson-Erkrankung verbessert, sondern auch Schmerzen gelindert. Nordic Walking oder Walking als Ausdauertherapie mit hoher Intensität für 70 Minuten 3 x Woche für 6 Monate konnte verschiedene Schmerzen mehr als halbieren, was in der Kontrollgruppe mit Flexibilitätstraining nicht in diesem Ausmass gezeigt werden konnte (35). Zur Beurteilung alternativer Therapieverfahren bei MP und Schmerz verweisen wir auf entsprechende Reviews (36).

Invasive Verfahren

Als invasive Verfahren bei fortgeschrittener Erkrankung mit nicht mehr gut behandelbaren motorischen Fluktuationen kommen die tiefe Hirnstimulation (THS), die ­jejunale Duodopa-Applikation und die subkutane Apomorphin-Applikation in Frage. Dabei können 5 Einnahmezeiten oder 2 Stunden täglich in der Off-Phase oder 1 Stunde mit störenden choreatischen Dyskinesien (Überbewegungen) einen Hinweis für ein Fortschreiten der Erkrankung mit Fluktuationen sein (5-2-1-Regel). In Studien konnte dabei besonders die THS des Nucleus subthalamicus einen guten Effekt auf chronische Schmerzen zeigen (Schmerzreduktion bis zu 80 %) (37).

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Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Veit Mylius

Klinik für Neurorehabilitation
Kliniken Valens
Taminaplatz 1
7317 Valens

V. Mylius erklärt, dass Verbindungen zu den Firmen BIAL, AbbVie und Zambon durch Sponsoring von Vorträgen und Forschungsaktivitäten u. ä. bestehen. Die Studie zum Schmerzfragebogen wurde von Parkinson Schweiz unterstützt.

  • Chronische Schmerzen (Dauer > 3 Monate) sind bei Menschen mit der Parkinson-Erkrankung ein häufiges nicht-motorisches Symptom mit Beeinträchtigung der Lebensqualität. Um diese richtig zu diagnostizieren und zu behandeln, empfehlen wir eine Zuordnung des Schmerz­syndroms zur Parkinson-Erkrankung.
  • Die vorgestellten Kriterien erfragen motorische Fluktuationen (z. B. Off-Phasen) und das Ansprechen auf dopaminerge Medikation. Durch eine Anpassung der dopaminergen
    Medikation können Parkinson-assoziierte Schmerzen oft gut behandelt werden.
  • Bei Nichtansprechen der Schmerzen werden eine Mechanismen-orientierte Schmerztherapie und intensives Training empfohlen. Bei nicht behandelbaren Wirkungsfluktuationen und Schmerzen kann an die tiefe Hirnstimulation gedacht werden.
  • Auch nicht Parkinson-assoziierte Schmerzen sollten entsprechend diagnostiziert und behandelt werden. Am häufigsten sind diese auf degenerative Veränderungen des Bewegungsapparats (Arthrosen der Gelenke oder der Wirbelsäule) zurückzuführen.

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Gicht und Ernährung

Gicht, die weltweit häufigste Arthritis, ist eng mit kardiovaskulären Erkrankungen und dem metabolischen Syndrom verknüpft. Der wichtigste Risikofaktor, eine Gicht zu entwickeln, ist die Hyperurikämie. Die Serumharnsäure ist das Endprodukt des Purinstoffwechsels und kann durch Ernährungsänderungen teilweise beeinflusst werden. Da ein Viertel der Serumharnsäure über den Darm exkretiert wird, ist auch hier ein Zusammenhang mit der Ernährung – Stichwort Mikrobiom – gegeben. In letzter Zeit sind eher die genetischen Prädispositionen und die medikamentöse Therapie der Gicht in den Vordergrund gerückt. Da aber in hoher Frequenz kardiovaskuläre Komorbiditäten bestehen, ist eine Ernährungsanpassung auch zur Besserung der Komorbiditäten sinnvoll. In letzter Zeit ist man von der reinen Senkung der Purineinnahme abgekommen, zugunsten der Einführung einer weitgehend pflanzenbasierten Ernährungsform. Die Reduktion des Alkoholkonsums macht aus vielen Gründen Sinn, führt aber nicht zu einer signifikanten Reduktion der Serumharnsäure. Neben der medikamentösen Therapie sollten aber alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um eine rasche Senkung der Serumharnsäure bis zum Zielbereich zu ermöglichen, wozu eine Ernährungsumstellung beitragen kann. Auch hinsichtlich Schüben kann sich die Ernährungsumstellung günstig auswirken. Die gezielte strukturierte Information von Patientinnen und Patienten fördert deren Wissen um die Krankheit und Motivation, mit der richtigen Ernährung einen persönlichen Beitrag zum raschen Erreichen des Serumharnsäurezielspiegels und der Schubfreiheit zu erreichen.

Gout, the most common arthritis worldwide, is closely linked to cardiovascular disease and metabolic syndrome. The most impor­tant risk factor for developing gout is hyperuricemia. Serum uric acid is the end product of purine metabolism and can be partially influenced by dietary changes. Since a quarter of serum uric acid is excreted via the intestine, there is also a connection with diet here – keyword microbiome. Recently, genetic predispositions and drug therapy for gout have come to the fore. However, since cardiovascular comorbidities exist in high frequency, a dietary adjustment also makes sense to improve the comorbidities. Recently, the focus has shifted away from simply reducing purine intake in favor of introducing a largely plant-based diet. Reducing alcohol consumption makes sense for many reasons but does not lead to a significant reduction in serum uric acid. In addition to drug therapy, however, all possibilities should be exploited to enable a rapid reduction in serum uric acid to the target range; a change in diet can contribute to this. A change in diet can also have a positive effect on the frequency of gout flares. Targeted, structured information for patients promotes their knowledge of the disease and motivation to achieve their serum uric acid (SUA) goal. The right diet may be the personal contribution to quickly reaching the SUA target level and freedom from gout flares.
Key Words: Gicht, Purine, Ernährung, DASH-Diät

Einleitung

Die Gicht wird traditionellerweise mit extensiver Nahrungszufuhr, Fleischkonsum und Alkoholexzessen in Verbindung gebracht. Schon im 19. Jahrhundert wurde eine Reduktion der Purineinnahme sowie des Alkoholkonsums empfohlen.

Auch in den aktuellen Guidelines zum Management der Gicht werden Alkoholkarenz sowie Reduktion des Fleisch- und Meeresfrüchtekonsums empfohlen, zusätzlich beinhalten die Guidelines nun den Gewichtsverlust bei Übergewichtigen und die vermehrte Zufuhr von fettarmen Milchprodukten (1, 2).

Obwohl in den Guidelines enthalten, basieren die Richtlinien zur Ernährungsanpassung bei Gicht auf einer niedrigen Evidenzstufe. In den letzten Jahren wurden aber wichtige Forschungsarbeiten publiziert, die die Evidenz verbessern konnten (3).

Es ist zu bedenken, dass die Ernährung bei Patientinnen und Patienten mit Gicht bedeutend ist, weil die Gicht oft nur die Spitze des Eisbergs der bestehenden Krankheiten darstellt: Sehr häufig sind arterielle Hypertonie (75 %), Niereninsuffizienz (70 %), Übergewicht (53 %) und HerzKreislauf-Erkrankungen (10 %) sowie das metabolische Syndrom als Komorbiditäten zu finden (4).

Die Diät führt zwar bezüglich Harnsäuresenkung nur zu einer 10–15 %-igen Reduktion der Serumharnsäure (5), ist jedoch unter anderem aufgrund der Komorbiditäten eminent wichtig. In einer Metaanalyse, basierend auf 5 populationsbasierten Kohortenstudien, wurde der Effekt von einzelnen Nahrungsmitteln und Alkohol bzw. von Ernährungsformen wie die DASH-Diät auf die Harnsäuresenkung im Vergleich zu genetischen Varianten von häufigen gichtspezifischen Loci untersucht; hier ergab sich bei der DASH-Diät zwar eine signifikante Senkung der Serumharnsäure, jedoch in absoluten Zahlen nur eine Harnsäuresenkung von -0.72 μmol/l bzw. 0.38 %. Die häufigen genetischen Varianten von Gicht Loci trugen hingegen 23 % zur Harnsäuresenkung bei (6).

Allerdings spielen bei den bereits von Gicht betroffenen Patientinnen und Patienten noch andere Faktoren als der Serumharnsäurespiegel eine Rolle für die Aktivität der Erkrankung. Hier kann die Ernährungsadaptation zu positiven Effekten wie Verhindern der Entstehung von weiteren Harnsäurekristallen oder der Provokation von Schüben führen.

Die Assoziation des Mikrobioms des Darms und der Gicht wurde gezeigt (7). Das Mikrobiom wird massgeblich durch die Ernährungsform beeinflusst (8).

Noch immer ist die Gicht ungenügend behandelt und mit einer erhöhten Gesamtmortalität assoziiert (9). Neben der medikamentösen Therapie leistet die Ernährungsumstellung einen Beitrag zum günstigen Langzeitverlauf sowie kombiniert mit der medikamentösen Therapie zur Harnsäuresenkung und beeinflusst die oben beschriebenen Komorbiditäten positiv.

Ein weiterer Vorteil einer Ernährungsumstellung ist der direkte Einbezug von Patientinnen und Patienten in die Behandlung (patient empowerment).

Mittlerweile existieren mehrere Ernährungsformen, deren Vorteil bei Gicht gut belegt sind (3, 10). Allen diesen Di­äten ist eine vorwiegend vegetarische Ernährung gemein.

Da die Ernährungsumstellung bei Gicht immer mit der medikamentösen Therapie kombiniert wird, ist auf allfällige Interaktionen oder Nebenwirkungen zu achten. Komorbiditäten wie schwere Niereninsuffizienz oder Diabetes erfordern eine Adaptation der Ernährungsempfehlungen.

Ziel dieser Review ist es, kurz die neueren Erkenntnisse der Ernährung bei der Gicht zu beleuchten.

Die Rolle der Ernährung bei der ­Entstehung einer Gicht

Purine – Freund oder Feind

Purine sind wichtige Bausteine der Nukleinsäuren und werden vom menschlichen Körper selbst gebildet. Sie sind die molekularen Grundbausteine der zwei DNA-Basen Adenin und Guanin. Purin-Nukleotide sind Bausteine von signalübertragenden Stoffen wie cAMP oder cGMP, ferner von Energielieferanten wie ATP oder GTP.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Purine, die aus Nahrungsmitteln stammen, eine lebenswichtige Quelle von exogenen Nukleotiden und Harnsäure darstellen, unabdingbar für die Beibehaltung des Gleichgewichtes im Purin-Metabolismus der Säugetiere und somit auch des Menschen.

Der menschliche Organismus verfügt nicht mehr über die Fähigkeit, Purine zu Allantoin zu verstoffwechseln, da das Enzym Uricase im Verlauf der Evolution, wie bei anderen Primaten, verloren gegangen ist. Die Harnsäure ist somit das Endprodukt des Purinstoffwechsels, woraus höhere Harnsäurespiegel resultieren.

Somit sind einerseits die Purine lebensnotwendig und andererseits können sie bei vermehrtem Anfall via die Hyperurikämie zur Entstehung der Gicht beitragen.

Beitrag der Ernährung zur Hyperurikämie

Für die Entwicklung einer Hyperurikämie kann ein vermehrter Purinanfall ursächlich sein, entweder exogen durch alimentäre Faktoren oder zu zwei Dritteln endogen durch einen erhöhten Zellumsatz (11). Häufiger liegt jedoch eine verminderte Harnsäure-Exkretion, die zu ¾ renal bedingt ist, oder intestinal vor.

Exogener Purinanfall durch die Nahrung
Generell gilt: je zellreicher die Produkte, desto höher ist der Purinanteil. Ein vermehrter Konsum von tierischen Purinen (Fleisch und Fisch) führt zu einer erhöhten Prävalenz der Gicht, nicht aber ein erhöhter Konsum von pflanzlichen Purinen und Milchprodukten (12). Neuere Untersuchungen bez. unterschiedlichen Gehalts der Purinbasen haben Hinweise für die Ursachen dieser Unterschiede gefunden: Es ist entscheidend, welches Purin in den Nahrungsmitteln enthalten ist. Seit Längerem ist bekannt, dass Adenin und Hypoxanthin urikogener als Guanin und Xanthin sind. Mehr als 60 % aller Purine in pflanzlicher Nahrung und Milchprodukten setzen sich aus Adenin und Guanin zusammen, während Hypoxanthin > 50 % des Purinanteils in Fisch- und Fleischprodukten ausmacht (13).

Harnsäure-Exkretion
Via eine Reduktion der Insulinresistenz kann eine vorwiegend pflanzliche Diät die renale Clearance der Harnsäure verbessern.

Rolle der Ernährung bei der Entstehung der Harnsäurekristalle

Hier sind vor allem ein Milieu mit tiefem pH-Wert als Promoter einer Kristallisation anzusprechen; bez. der Ernährung ist der Alkoholkonsum ein Risikofaktor für eine Azidose (14).

Rolle des Mikrobioms

25 % der Harnsäure wird vom Darm exkretiert und durch das Darmmikrobiom weiter metabolisiert. Grosse Anstrengungen wurden unternommen, um die Verbindung zwischen Darmbakterien und Arthritis zu beleuchten. Bei der Gicht im Speziellen ist die Dysbiose der Darmbakterien und die folgende Immunreaktion gut untersucht. Die Ernährung hat einen direkten Einfluss auf die mikrobielle Zusammensetzung der Darmflora. So können Ernährungsformen, die reich an Fructose, Fett, Purinen oder Oxalsäure sind, zu Veränderungen der Zusammensetzung der Darmflora führen. Dies wurde in Tiermodellen sowohl bei Hyperurikämie wie bei Gicht gezeigt. Probiotika bzw. eine Ernährung, die zu einem gesunden Gleichgewicht der Darmbakterien führt, werden noch erforscht und könnten zukünftige Therapieansätze bilden (15).

Ungünstige Ernährungsformen

Fructosereiche Diät
Das Risiko, an Übergewicht, Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen und metabolischem Syndrom zu erkranken, steigt mit der erhöhten Zufuhr von gesüssten Getränken (16) oder anderen Nahrungsmitteln mit hohem Zuckeranteil.

Insbesondere die Fructose wurde in letzter Zeit mit der Hyperurikämie in Verbindung gebracht. Fructose ist ein Monosaccharid, das in Früchten, Gemüsen und Honig von Natur aus vorhanden ist.

Es ist aber auch ein in der Herstellung billiger und potenter Süssstoff, der von der Industrie häufig verwendet wird. Fructose enthält gleich viele Kalorien pro Gramm wie Glucose, ist aber doppelt so süss. Eine hohe Fructosezufuhr ist einer der Gründe für die hohe Prävalenz der Hyperuri­kämie und Gicht (Zunahme der Fructoseeinnahme z. B. in den USA von 25 g auf 80 g/Tag). Der Fructosemetabolismus aktiviert das Enzym Adenosin Monophosphat Deaminase, das eine Degradation der Purine zu Inosin und schlussendlich zur vermehrten Entstehung von Harnsäure führt. Im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass mit Fructose gefütterte Tiere ein metabolisches Syndrom entwickelten, nicht aber mit Dextrose gefütterte Tiere. Durch medikamentöse Senkung der Harnsäure konnte das metabolische Syndrom revertiert werden (17). Ein enger Zusammenhang zwischen Hyperurikämie, metabolischem Syndrom und Fructosezufuhr scheint zu bestehen. Die in den Früchten enthaltene Fructose ist als vorteilhafter zu betrachten, da weitere Nahrungsbestandteile wie Pflanzenfasern, Vitamine, Mineralien und sekundäre Pflanzenstoffe eine günstige Wirkung entfalten. Als vorteilhaft werden Äpfel, Birnen, Wassermelonen und Mangos beschrieben. Besonders ungünstig scheint die ungepaarte oder freie oder überschüssige Fructose ohne gleichzeitiges Vorhandensein von Glucose (Fructose und Glucose bilden das Disaccharid Saccharose) zu sein. In den aktuellen Süssgetränken (Quotient über 1.2 : 1) ist dies über das empfohlene Mass hinaus der Fall (18).

Ein übermässiger Fructosekonsum führt zudem zu einer Leptinresistenz, was das Sättigungsgefühl im Gegensatz zur Glucoseaufnahme reduziert.

Auch das relative Risiko, an einer Gicht zu erkranken, vergrösserte sich bei einer nur 5 %-igen Steigerung der Zufuhr an Kohlehydraten aus freier Fructose auf 2.1, bei entsprechender Steigerung der Gesamtfructose auf 1.52 (19).

Fettreiche Diät
Eine erhöhte Zufuhr von Fetten kann eine Anhäufung von Triglyceriden bewirken, die einen erhöhten Fettanteil der Gewebe und Übergewicht nach sich zieht. In einer Studie mit 14 000 Teilnehmern war Übergewicht/Adipositas in 60 % der Fälle mit Hyperurikämie verbunden, häufiger als Alkoholkonsum (20). Es wird angenommen, dass die Lipidstoffwechselstörung den Purinmetabolismus anfeuert, indem die Aktivität der Xanthin-Oxidase getriggert wird.

Die Harnsäure kann die Lebersteatose (NAFLD) und die Insulinresistenz mittels Aktivierung des NLRP3-Inflammasoms verstärken (21).

Diäten mit hohem Fettanteil können mittels Freisetzung von freien Fettsäuren in Anwesenheit von Harnsäurekristallen zu vermehrten Gichtschüben via Freisetzung von Interleukin-1β führen (22). Eine Ernährung mit hohem Fettanteil resultiert ferner in einer Dysbiose der Darmflora, was ebenfalls zu einer Verschlechterung der Gichtarthritis führen kann.

Streng Purin-arme Diät
Seit nahezu 200 Jahren wurde bei Gicht eine purinarme Diät empfohlen. Es zeigte sich nun, dass dies Nachteile mit sich bringt, da das Ersetzen der proteinreichen Ernährung oft mit vermehrtem Kohlehydratkonsum, insbesondere mit hoher Fructosezufuhr und entsprechenden Nachteilen einhergeht.

Viel wichtiger als die absolute Menge an Purinen ist die günstige Zusammensetzung der Purinbasen. Purine aus tierischen Quellen sind reich an Hypoxanthin, welches urikogener ist als andere Purinbasen. Eine vorwiegend pflanzliche Ernährung bietet hier Vorteile.

Klassische westliche Diät
Diese Ernährungsweise enthält einen grossen Anteil tierischer Produkte und prozessierte Kohlenhydrate, ist jedoch arm an Vollkornprodukten, Früchten und Gemüse.

Erhöhter Alkoholkonsum
Alkohol kann zu einem Konzentrationsanstieg der Harnsäure führen, indem es den Purinstoffwechsel ankurbelt und die Exkretion der Harnsäure im Urin reduziert.

Aus Querschnittsuntersuchungen ist bekannt, dass erhöhter Alkoholkonsum, v. a. Bier (inklusive Malzgehalt), aber auch Spirituosen, den Harnsäurespiegel im Vergleich zu geringerem Alkoholkonsum erhöht, z. B. um 9.66 μmol/l bei einem zusätzlichen Drink pro Tag (6). Eine longitudinale Analyse von Registerdaten aus Japan zeigte hingegen nur eine sehr geringe Senkung des Harnsäurespiegels bei Reduktion oder Sistieren des Alkoholkonsums. Auch in dieser Studie wurde der stärkste Effekt bei der Reduktion des Bierkonsums gesehen (23).

Das Risiko, eine Gicht zu entwickeln, ist bei Patientinnen und Patienten mit Alkoholkonsum erhöht. In einer rezenten Metaanalyse ergab sich ein RR von 1.21 für jede 10 g Alkohol pro Tag (24).

Übergewicht und Adipositas
Die Reduktion des Übergewichts kann zu einer Reduktion der Serumharnsäure führen, ohne dass eine spezifische Gichtdiät befolgt wird (11). Studien zeigten ähnliche Resultate. Dies unterstützt die Evidenz, dass Patientinnen und Patienten mit Gicht und Übergewicht, zusätzlich zur Befolgung ihres Ernährungsplanes, eine Gewichtsreduktion anstreben sollten.

Eine kürzlich publizierte prospektive Beobachtungsstudie über 2 Jahre aus Norwegen konnte zeigen, dass Gichtpatientinnen und -patienten mit hohem Taillenumfang oder erhöhten LDL-Werten ein schlechteres Outcome bez. Erreichen der Harnsäurezielwerte oder Schüben hatten (25).

Ernährungsformen bei Gicht

Im Wesentlichen werden 2 Diäten bei Gicht empfohlen:
einerseits die DASH-Diät (Dietary Approaches to Stop Hypertension), andererseits die Mittelmeerdiät (26) (Tab. 1). Beide sind charakterisiert durch einen hohen Anteil an frischen Gemüsen und Früchten, vermehrtem Fasergehalt, Reduktion der gesättigten Fette und Erhöhung der ungesättigten Fette.

Merkmale der DASH-Diät
• viel Gemüse und Obst, fettarme Milchprodukte – weniger tierische Fette und Zucker
• Reduktion des Salzkonsums auf 1 Teelöffel pro Tag
• Verwendung von Vollkornprodukten
• Fleisch ist erlaubt, empfohlen werden aber pflanzliche Proteinlieferanten wie Hülsenfrüchte

Die Senkung der Serumharnsäure unter einer DASH-Diät konnte gezeigt werden (5). Die Senkung des Risikos, an einer Gicht zu erkranken, konnte anhand einer Analyse von 44 654 Männern (prospective Health Professionals Follow-up Study) gezeigt werden. Es wurde die DASH-Diät (eigentlich speziell auf die Behandlung von Bluthochdruck zugeschnittene Diät) angewendet, auf Alkohol verzichtet und keine Diuretika eingenommen. Mehr als 50 % des Neuauftretens von Gicht konnte verhindert werden (27). Allerdings traf dies nicht auf übergewichtige Patientinnen und Patienten zu, welche keine signifikante Risikoreduktion erreichten.

Merkmale der Mittelmeerdiät (10)
Im Mittelpunkt der Mittelmeerdiät stehen Getreide (Brot, Hafer, Vollkorngetreide, Grütze), Obst, Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte, die täglich verzehrt werden sollten. Diese Lebensmittel sind reich an Ballaststoffen und Antioxidantien (vor allem, wenn sie saisonal sind). Der Verzehr von Olivenöl ersetzt andere Formen von gesättigten Fetten wie tierische Butter und Margarine. Milchprodukte, insbesondere Joghurt und Käse, können in grosser Menge sogar täglich verzehrt werden, während der Verzehr von Fisch und Geflügel (magere tierische Produkte) bis zu zweimal pro Woche empfohlen wird. Eier können bis zu 4–7 pro Woche verzehrt werden. Wenn man in der Ernährungspyramide nach oben geht, gibt es Lebensmittel, die monatlich in kleinen Mengen verzehrt werden sollten, wie z. B. rotes Fleisch. Wenn keine anderen Probleme mit dem Alkoholkonsum verbunden sind, liegt die Obergrenze bei 2 Gläsern/Tag für Männer und 1 Glas/Tag für Frauen. Rotwein wird wegen seines Gehalts an Flavonoiden und Antioxidantien bevorzugt. In letzter Zeit wurde hier vor allem die Empfehlung, Alkohol zu konsumieren, kritisiert, insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit Gicht.

Die ideale Gichtdiät sollte den Harnsäurespiegel senken, die Zahl der Gichtschübe reduzieren, das Körpergewicht im Auge behalten und der Prophylaxe von Gicht-assoziierten Erkrankungen dienen.

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Zweitabdruck aus Therapeutische Umschau 05/2024

Dr. med. Barbara Ankli

Rheumazentrum Basel
Centralbahnstrasse 11
4051 Basel

b.ankli@hin.ch

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Ernährung bei der Gicht ist komplex
  • Reine Reduktion der Purineinnahme nicht ausreichend
  • Aufgrund der Komorbiditäten Diätempfehlungen gerecht­fertigt (kardiovaskuläre Erkrankungen)
  • Die empfohlenen Diäten sind pflanzlich basiert.
  • Das Mikrobiom unterscheidet sich bei Patientinnen und ­Patienten mit Gicht von Gesunden.
  • Als ungünstige Diäten gelten mittlerweile die fructosereiche und die fettreiche Diät.
  • Zentrale Rolle der Fructose bei der Hyperurikämie

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Therapie des Eisenmangels in der Schwangerschaft

Eisenmangel mit und ohne Anämie ist ein hoher Risikofaktor der mütterlichen und kindlichen Morbidität in der Schwangerschaft. Wegen der hohen Prävalenz und der Möglichkeit der Intervention lohnt es sich, Eisenmangel zu detektieren und zu behandeln. Die meisten Frauen verfügen nicht über ausreichende Eisenreserven bei einer Schwangerschaft, um den perinatalen Eisenbedarf für Mutter und Fötus zu decken. Durch die Eisenbehandlung können zahlreiche Symptome bei der Mutter therapiert werden und das Kind kann quasi in utero vor schweren Konsequenzen geschützt werden. Die primäre Intervention bei isoliertem Eisenmangel ist orales Eisen, das allerdings eine hohe Unverträglichkeit bei geringer Wirksamkeit aufweist. Parenterales Eisen zeichnet sich durch eine hohe Wirksamkeit bei im Allgemeinen guter Verträglichkeit aus. Bei der Diagnostik des Eisenmangels hat sich ein Ferritingrenzwert von < 30 μg/L als guter Schwellenwert zur Detektion des Eisenspeichermangels durchgesetzt. Ein Hämoglobinwert < 110 G/L im ersten und dritten Trimenon und < 105 G/L im zweiten Trimenon kann als Anämie angesehen werden.

Iron deficiency and/or iron deficiency anemia complicate nearly 50 % of pregnancies globally, negatively impacting both maternal and fetal outcomes. Iron deficiency can cause a range of symptoms that range from aggravating to debilitating including fatigue, poor quality of life, pagophagia and restless leg syndrome. Iron deficiency and iron deficiency anemia are also associated with maternal complications including preterm labor, increased rates of cesarean delivery, postpartum hemorrhage and maternal death. Fetal complications include increased rates of low birth weight and small for gestational age newborns. Prenatal maternal anemia has also been associated with autism spectrum disorders in the neonate, although causation is not established. Deficiency in the newborn is associated with compromised memory, processing, and bonding, with some of these deficits persisting into adulthood. Despite the prevalence and consequences associated with iron deficiency in pregnancy, data show that it is routinely undertreated. Due to the physiologic changes of pregnancy, all pregnant individuals should receive oral iron supplementation. However, the bioavailability of oral iron is poor and it is often ineffective at preventing and treating iron deficiency. Likewise, it frequently causes gastrointestinal symptoms that can worsen quality of life in pregnancy. Intravenous iron formulations administered in a single or multiple dose series are now available. There is increasing data suggesting that newer intravenous formulations are safe and effective in the second and third trimesters and should be strongly considered in pregnant individuals without optimal response to oral iron repletion.
Keywords: Iron, Iron Deficiency, Anemia (Anaemia), symptoms, pregnancy, iron treatment, iron therapy

Einleitung

Eisenmangel ist der weltweit am häufigsten auftretende Mikronährstoffmangel und folglich ist die Anämie in der Schwangerschaft vor allem auf Eisenmangel zurückzuführen. Gemäss WHO-Daten führen Eisenmangel und Anämie bei etwa 30–60 % der Schwangerschaften weltweit zu Komplikationen. Während der Schwangerschaft leiden fast 75 % der Schwangeren unter Eisenmangel im dritten Trimester, wenn man einen cut off Wert von Ferritin < 30 µg/L zu Grunde legt. Trotz der hohen Prävalenz und den negativen Auswirkungen des Eisenmangels und der Anämie auf die mütterliche und fetale Morbidität, wird Eisenmangel oft nicht ausreichend diagnostiziert und behandelt (1–3).

Die Diagnose und Behandlung der Eisenmangelanämie in der Schwangerschaft ist zwar relativ einfach, wird aber häufig übersehen und/oder von den betreuenden Gynäkologinnen nicht optimal gehandhabt. Ein Problem bei der Labordiagnose des Eisenmangels in der Schwangerschaft ist der fehlende Konsens in der Literatur, da die vorliegenden Studien uneinheitliche Ferritingrenzwerte für die Bestimmung von Eisenmangel verwenden. Eisenmangelanämie in der Schwangerschaft wird meist definiert als Serum Ferritin < 15–30 µg/L und einem Hämoglobin < 110 G/L, wobei der Wert < 110 G/L nicht den physiologischen unteren Schwellenwert des Hämoglobins im zweiten Trimester von 105 G/L berücksichtigt. Die Verwendung eines Ferritingrenzwertes von < 30 µg/L erhöht die Sensitivität der Erfassung des Eisenmangels, es fehlen jedoch Untersuchungen zu schwangerschaftsspezifischen Grenzwerten (5, 10, 11).

Die Ursachen des Eisenmangels sind bekanntermassen vielfältig und abhängig von sozio-ökonomischen Faktoren, Ernährungsgewohnheiten, Alter und Herkunft der Schwangeren, vorbestehendem Eisenmangel und Komorbiditäten, vor allem gastro-intestinalen Erkrankungen wie Zöliakie oder Morbus Crohn. 30–50 % der Frauen weisen bereits vor der Konzeption einen Eisenmangel auf (6–8).

Folgen von Eisenmangel und Anämie für die Schwangere und den Fetus

Eisenmangel kann asymptomatisch sein oder belastende Symptome hervorrufen. Dazu gehören Müdigkeit, Reizbarkeit («Brain fog»), Atemnot, Kopfschmerzen, Haarausfall, Konzentrationsschwäche, verminderte körperliche Leistungsfähigkeit und Restless-Leg-Syndrom. Diese Symptome werden sowohl von den Schwangeren als auch von den Gynäkolog/-innen oft als normal abgetan, da sie auf physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft zurückgeführt werden können. Der isolierte oder latente Eisenmangel (ohne Anämie) kann die mütterliche Morbidität erhöhen, da das Risiko für eine Anämie, Plazentahypertrophie und Hypothyreose erhöht ist (13, 16, 17, 19, 23, 26).

Daneben ist das Risiko für vorzeitige Wehen und Frühgeburtlichkeit erhöht (9). Eine peripartale Eisenmangelanämie geht mit einem erhöhten Risiko an postpartaler Depression, verminderter Lebensqualität, postpartaler Anämie und Bluttransfusion einher (21). Schwerer Eisenmangel erhöht nachweislich die fötale und neonatale Morbidität. Erkenntnisse aus Tiermodellen deuten darauf hin, dass Eisenmangel in kritischen Phasen der fötalen Entwicklung zu Veränderungen des Hirnstoffwechsels, der Neurotransmission, der Epigenetik und der Myelinisierung führt, die sich beim Neugeborenen auswirken. Neuere klinische Studien zeigen, dass diese Folgen auch beim Menschen auftreten und beispielsweise ein Zusammenhang zwischen Eisenmangel und Autismus-Spektrum-Störung und Aufmerksamkeitsdefizit bei Jugendlichen besteht. Mütterlicher Eisenmangel führt zu niedrigen fötalen und neonatalen Eisenspeichern mit den entsprechenden Folgen (14, 15, 18, 27–31) (Abb. 1).

Screenig des Eisenmangels

Es besteht kein Konsens über Screening-Protokolle oder die routinemässige Durchführung eines Screenings auf Eisenmangel in der Schwangerschaft. Nur wenige Organisationen unterstützen ein Screening auf isolierten Eisenmangel, da es nur wenige Studien gibt, die eine Risikoverbesserung durch eine Behandlung belegen. In England wird seit kurzem ein risikobasiertes Screening empfohlen, bei Frauen mit Anämie in der Vorgeschichte, Multipara, Mehrlingsschwangerschaft, kurzem Schwangerschaftsintervall, Vegetarierinnen, Frauen mit hohem Blutungsrisiko bei der Geburt und Frauen, die Bluttransfusionen ablehnen. Das American College of OBGYN (ACOG) empfiehlt ein Screening auf Anämie und die generelle Eisensupplementierung bei Schwangeren. Die Ferritintestung soll gemäss ACOG nur bei einer Anämie durchgeführt werden, mit einem Schwellenwert von < 30 µg/L (WHO < 15 µg/L!) (Practice Bulletin 233, August 2021). Im Expertenbrief der SGGG (Nr. 77) empfehlen wir die Bestimmung von Hämoglobin und Ferritin im ersten Trimester und bei etwa 24–28 SSW zur Erfassung von Eisenmangel und Anämie bei den Schwangeren.

Behandlung

Mehrere nationale Guidelines empfehlen die generelle orale Eisensupplementierung bei Schwangeren (ACOG, Centers of Disease Control, WHO). Diese kann täglich oder alternierend alle zwei Tage erfolgen. Es konnte gezeigt werden, dass eine zweitägliche orale Eiseneinnahme die Eisenresorption bei erniedrigter unerwünschter Nebenwirkungsrate erhöht (4, 22). Es sollte die möglichst niedrigste Eisendosierung oral gewählt werden (etwa 30 mg elementares Eisen/Dosis), da hohe Dosierungen zu einem Therapieabbruch bei bis zu 70 % der Frauen führen, aufgrund der gastrointestinalen Nebenwirkungen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass orales Eisen im ersten Trimester die einzige Behandlungsoption darstellt. Es sind zahlreiche orale Eisenpräparate vorhanden; generell gilt, dass Eisen-II-Salze eine höhere Rate an UWR aufweisen als beispielsweise Eisen-III-Komplexe. Gemäss Studien zeigen die sogenannten Eisen-Bisglycinate (Aminoeisenverbindung) eine gute Resorption und Wirksamkeit bei geringer UWR-Rate auf (16, 25). Ab dem zweiten Trimester stehen bei der Therapie der Eisenmangelanämie intravenöse Eisenpräparate zur Verfügung, die sich in der Schwangerschaft als sicher und wirksam erwiesen haben. Im Gegensatz zu oralem Eisen eignet sich nur intravenöses Eisen zur Therapie schwerer Eisenmangelzustände und Anämien, insbesondere, wenn wir eine Wirksamkeit in kurzer Zeit erwarten (24, 25, 42–49). Die Dosierungen entsprechen denen von nicht schwangeren Frauen. In den meisten Fällen können in der Schweiz heute hoch dosierte Einzeldosierungen verwendet werden, was aufgrund der Einfachheit der Anwendung und der Effektivität auch zu einer hohen Patientinnen-Zufriedenheit führt. Die häufigsten verwendeten parenteralen Eisenpräparate weltweit sind Eisen-Saccharat, Eisen-Dextran mit niedrigem Molekulargewicht (LMWD, Cave: NICHT hochmolekulares Dextran!), Eisen-Carboxymaltose (FCM), Ferumoxytol und Eisen-III-Derisomaltose (24, 25). In Bezug auf die allergischen Reaktionen und andere unerwünschte Nebenwirkungen sind die Präparate vergleichbar. In Vergleichsstudien zwischen parenteralem und oralem Eisen ist die Rate an UNW bei den oralen Präparaten im Allgemeinen höher, vor allem aufgrund der gastro-intestinalen Nebenwirkungen. Eisencarboxymaltose hat gemäss vorliegenden Studien die höchste Rate an induzierter Hypophosphatämie nach Infusion, wobei schwere Hypophosphatämien nach Einzeldosierungen selten sind. In einer kürzlich publizierten Studie von der Klinik für Geburtshilfe der Universität Genf zeigte sich bei 3/22 Schwangeren eine Hypophosphatämie nach Eisencarboxymaltose vs 1/22 Schwangeren unter oralem Eisen (13 vs. 4 %). Der Unterschied war nicht signifikant und die Neugeborenen zeigten keine Hypophosphatämie in der Eisencarboxymaltose Gruppe (49). Die in der Schweiz empfohlenen und meist angewendeten Präparate sind in Tab. 1 aufgeführt. Bei der i.v. Eisentherapie sollen generell und speziell in der Schwangerschaft die von SWISSMEDIC empfohlenen Richtlinien eingehalten werden. Ebenso sind Kontraindikationen wie erstes Trimester, akute bakterielle Infektion und Status nach Anaphylaxie oder schwerer allergischer Reaktion nach i.v. Eisengabe zu beachten. Das Risiko einer anaphylaktischen Reaktion ist bei den neuen Eisenpräparaten unter 1 : 1000 einzuschätzen.

Indikationen für den Einsatz von parenteralem Eisen sind kein oder ungenügendes Ansprechen auf orales Eisen (Hb Anstieg < 10G/L innert 14 Tagen), Unverträglichkeit und Non Compliance bei oraler Eiseneinnahme, gestörte Eisenresorption (bariatrische Eingriffe, chronische Darmerkrankungen, Zöliakie), schwere bestehende oder fortschreitende Anämie (vor allem < 90 G/L), Notwendigkeit der raschen und effizienten Anämie Korrektur bei Risikofaktoren der Schwangeren (Plazenta praevia, hohes Blutungsrisiko, Gerinnungsstörungen, Ablehnung von Fremdblut, Status nach Atonie u.a.m) (42, 43, 48).

Die parenteralen Eisenpräparate werden auch vor allem zur Behandlung der postpartalen Anämie (Hb < 100G/L) in der Schweiz standardmässig im Wochenbett verwendet.

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Zweitabdruck aus info@gynäkologie 01/2025

Prof. Dr. med. Christian Breymann

Gyn & Perinatal Zürich
Ärztezentrum Seefeld Hirslanden
Seefeldstrasse 214
8008 Zürich

C Breymann hält Vorträge und Fortbildungen für CLS-Vifor Schweiz und CLS-Vifor International und Pierre Fabre/ Robapharm Schweiz. Er ist ebenfalls an Publikationen über die jeweiligen Eisenpräparate beteiligt.

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Oropouche-Virus nach Kuba-Reise

Anamnese

Ein 75-jähriger Mann stellte sich Ende Juni 2024 mit starken Kopfschmerzen, retrobulbären Augenschmerzen, orthostatischem Schwindel, Appetitlosigkeit, Nausea sowie Müdigkeit und Kraftlosigkeit auf unserer Notfallstation vor. Er berichtete, dass die Beschwerden vor etwa drei Tagen schleichend begonnen hätten. Vor zwei Tagen sei er mit seiner Partnerin von einer Reise aus Kuba zurückgekehrt, er habe sich in der Provinz Santiago de Cuba aufgehalten und sei von vielen Mücken gestochen worden. Zudem habe er vor etwa einer Woche für drei Tage ähnliche Symptome verspürt: Fieber, Nausea mit Emesis und Gliederschmerzen. Da die Symptome auf eine symptomatische Behandlung gut ansprachen, konnte er den Rückflug beschwerdefrei antreten.

Seine Partnerin erfuhr in der Vorwoche ähnliche Symptome (Fieber, Gliederschmerzen, Nausea), weitere Personen im nahen Umfeld sind nicht erkrankt. Die Partnerin des Patienten informierte uns im Verlauf über einen aktuellen Ausbruch des Oropouche-Fiebers in der bereisten Region in Kuba.

Nebendiagnostisch seien ein intermittierendes Vorhofflimmern und eine Prostatahyperplasie bekannt, regelmässig nehme er ASS Cardio und Tamsulin ein.

Status

Klinisch präsentierte sich der Patient hämodynamisch stabil, subfebril mit 37.5 °C. Er war zu allen Qualitäten orientiert und kooperativ, jedoch objektiv verlangsamt und mit einer Konzentrationsschwäche. Die Herz- und Lungenauskultation ergaben keine pathologischen Befunde. Es bestanden weder Meningismus noch fokal-neurologische Auffälligkeiten. An den Unterschenkeln hatte er viele reizlose Mückenstiche.

Befunde

Laborchemisch bestand bei Eintritt eine Thrombozytopenie 73 10E3/μl (Norm: 150–370 10E3/μl), normale Leukozyten 4.85 10E3/μl (3.6–10.5 10E3/μl), mit tiefen Lymphozyten 0.85 10E3/μl (1.1–4 10E3/μl) bzw. 17.5 % (20–44 %) und prozentual erhöhten Monozyten von 16.7 % (2–9.5 %). Das C-reaktive Protein (CRP) war 1.3mg/l (≤ 5 mg/l), die Alanin-Aminotransferase (ALT) leicht erhöht mit 91 U/l (≤ 35 U/l), die Aspartat-Aminotransferase (AST) normwertig.

In der durchgeführten Lumbalpunktion zeigte sich der Liquor klar mit erhöhten Leukozyten von 36/μl (≤ 5/μl), davon 25/μl mononukleäre und 11/μl polynukleäre. Die Multiplex-PCR-Analyse für neuroinvasive Erreger fiel negativ aus.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Aufgrund der Reiseanamnese veranlassten wir Serologien für das Dengue- (inklusive Dengue-NS1-Antigen), Zika- und Chikungunya-Virus. Kuba gilt als malariafrei. Für eine spezifische rt-PCR-Untersuchung auf das Oropouche-Virus wurde EDTA-Blut und Liquor an die Virologie des Unispitals Genf (HUG) gesandt.

Verlauf

Auf der Notfallstation begannen wir mit einer symptomatischen und empirischen intravenösen antibiotischen Therapie mit Amoxicillin und Ceftriaxon. Das Amoxicillin sistierten wir nach Erhalt des negativen Befundes für Listerien in der Multiplex-PCR aus dem Liquor. Nach Erhalt der positiven PCR-Serologie für das Oropouche-Virus am dritten Hospitalisationstag sistierten wir noch vor Erhalt des negativen Liquor-Serum-Indexes für Borrelien auch die Therapie mit Ceftriaxon. Im Verlauf bestätigte sich das Oropouche-Virus ebenfalls im Liquor. Die weitere
Behandlung erfolgte symptomatisch.

Bis zum Austritt persistierten Kopfschmerzen, eine starke Müdigkeit und rezidivierende Fieberschübe bis 38.5 °C. Die neurologischen Untersuchungen waren weitgehend unauffällig. Wegen passagerer Wortfindungsstörungen wurde eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels veranlasst, welche keine entzündlichen Veränderungen meningoenzephal und keine akute Ischämie zeigte. Die Thrombopenie persistierte bis zum Spitalaustritt, mit leicht steigender Tendenz auf 88 10E3/μl (150–370 10E3/μl). Bei anhaltender Erschöpfung wurde eine Neurorehabilitation aufgegleist, wobei sich der Patient gut erholen konnte. Zehn Tage nach dessen Austritt berichtete der Patient subjektiv, ca. 80 % der vorbestehenden Leistungsfähigkeit wiedererlangt zu haben.

Detaillierte Diagnose

Unseres Wissens ist es der erste gemeldete Fall einer Oropouche-Virus-Infektion in der Schweiz. Zwei weitere Fälle wurden Ende Mai / Anfang Juni 2024 in Italien bei Reiserückkehrern aus Kuba diagnostiziert (1). Gern unterstreichen wir die Wichtigkeit der Reiseanamnese sowie das Verbreitungsgebiet des Oropouche-Virus auf Mittel-/Südamerika, Kuba und andere karibische Länder auszuweiten.

Das Oropouche-Virus wird durch Mückenstiche auf den Menschen übertragen. Am 27. Mai 2024 meldete das Gesundheitsministerium Kubas Ausbrüche des Oropouche-Virus-Fiebers in zwei Provinzen: Santiago de Cuba und Cienfuegos (Abb. 1) (2). Das Virus ist in vielen südamerikanischen Ländern, sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gebieten, endemisch. Periodische Ausbrüche werden in Brasilien, Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Französisch-Guayana, Panama, Peru und Trinidad und Tobago gemeldet (Abb. 2) (3).

Die Inkubationszeit der Oropouche-Virus-Infektion beträgt nach dem infektiösen Stich zwischen drei und zehn Tagen. Die Krankheit äussert sich meistens durch Fieber, Kopfschmerzen, Muskel- und Gliederschmerzen, seltener mit anhaltender Übelkeit und Erbrechen, einem Hautausschlag und dauert in der Regel drei bis sechs Tage. Ein Rückfall der Symptome tritt nach sieben bis vierzehn Tagen bei bis zu 60 % der Fälle auf (2, 4, 5). Laut den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) entwickeln bis zu 4 % der Patienten neurologische Symptome wie Meningitis/Enzephalitis nach der initialen fieberhaften Erkrankung (4). Die genauen Mechanismen des biphasischen Verlaufs sind noch nicht vollständig verstanden. Einerseits könnte das Oropouche-Virus in immunprivilegierten Geweben oder solchen mit schlechter Virusclearance persistieren und eine zweite Freisetzung von Viruspartikeln bewirken. Ferner könnte eine überschiessende Reaktion der entzündungsfördernden Zytokine die zweite Krankheitsphase auslösen.

Die klinische Diagnose des Oropouche-Fiebers ist aufgrund der Ähnlichkeit der Krankheitssymptome, die durch andere mückenübertragene Viren wie Dengue, Zika und Chikungunya verursacht werden, nicht möglich. Der Nachweis des Virus kann in Serumproben während der ersten Infektionswoche erfolgen. Das Virus lässt sich in den ersten Tagen der Infektion leicht kultivieren und wird in der Regel nach dem fünften Tag nicht mehr nachgewiesen. Allerdings kann virale RNA noch einige Tage lang nachgewiesen werden, nachdem das Virus nicht mehr vorhanden ist. Gegen Ende der ersten Krankheitswoche bilden sich IgM-Antikörper, gefolgt von IgG-Antikörpern. Wobei es unseres Wissens nach zurzeit keine kommerzielle Serologie gibt. Ebenso gibt es keine spezifische antivirale Behandlung oder Impfung zur Verhinderung der Oropouche-Virus-Infektion (4, 5).

Abkürzungen:
ALT Alanin-Aminotransferase
ASS Acetylsalicylsäure
AST Aspartat-Aminotransferase
CRP C-reaktives Protein
EDTA Ethylendiamintetraazetat
HUG Hôpitaux Universitaire Genève
MRT Magnetresonanztomographie
(rt-)PCR (Reverse Transkriptase) polymerase chain reaction

Historie
Manuskript eingegangen: 02.09.2024
Angenommen nach Revision: 26.02.2025

Danksagung
Wir bedanken uns bei PD Dr. med. A. Neumayr, Leiter des Zentrums für Tropen- und Reisemedizin Basel, für die akademische Unterstützung sowie bei Alissa Schneller und Riccarda Capaul des Zentrallabors des KSGRs sowie Dr. Francisco Perez Rodriguez der Virologie des Unispitals Genf für deren Unterstützung bezüglich des Oropouche-Nachweises für den ersten Schweizer Fall.

PD Dr. med. Alexia Cusini

Leitende Ärztin für Infektiologie
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170
7000 Chur

alexia.cusini@ksgr.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Eine Infektion mit dem Oropouche-Virus präsentiert sich mir Fieber/Schüttelfrost, häufig retrobulbären Kopfschmerzen, Muskel-/Gliederschmerzen und mittels Exanthem oder Nausea/Emesis. Etwa die Hälfte der Patienten zeigt nach ein bis zwei Wochen einen zwei­gipfligen Krankheitsverlauf.
• Wir empfehlen, an diese (noch) seltene virale Infektion bei Reiserückkehrern aus den Endemiegebieten mit Fieber zu denken, falls die Diagnostik für die Viren Dengue (Serologie und Dengue-NS1-Antigen) und die Serologie für Zika und Chikungunya negativ ausfällt. Die entsprechende Diagnostik für das Oropouche-Virus erfolgt mittels PCR aus dem Blut. Eine kommerzielle Serologie gibt es zurzeit (noch) nicht.
• Es gibt keine spezifische antivirale Behandlung oder Impfung zur Verhinderung der Oropouche-Virus-Erkrankung.
• Reisende in die Tropen sollen über Präventionsmassnahmen aufgeklärt werden: Mückenschutzmittel und -netze verwenden, helle und langärmlige Kleidung tragen.

1. Castilletti C, Mori A, Matucci A, Ronzoni N, Van Duffel L, Rossini G, et al. Oropouche fever cases diagnosed in Italy in two epidemiologically non-related travellers from Cuba, late May to early June 2024. Euro Surveill. 2024;29(26).
2. World Health Organization. Disease Outbreak News; Oropouche virus disease in Cuba [Internet]. 2024 June 11. Available from: https://www.who.int/emergencies/disease-outbreak-news/item/2024-DON521
3. World Health Organization. Epidemiological alert: Oropouche in the Region of the Americas. Geneva: World Health Organization; 2024 May 9. Available from: https://www.paho.org/en/documents/epidemiological-alert-oropouche-region-americas-9-may-2024
4. Centers for Disease Control and Prevention. Oropouche virus disease: Clinical overview [Internet]. Atlanta (GA): CDC; [cited 2025 Jan 14]. Available from: https://www.cdc.gov/oropouche/hcp/clinical-overview/index.html
5. Zhang Y, Liu X, Wu Z, Feng S, Lu K, Zhu W, et al. Oropouche virus: A neglected global arboviral threat. Virus Res. 2024;341:199318.

Impfung bei chronischen Lungenerkrankungen

In der Schweiz wird Patient/-innen mit chronischen Lungenerkrankungen die Impfung gegen Influenza, COVID-19, S. pneumoniae und Varizella-Zoster-Virus (VZV) empfohlen. Trotz wirksamer Pneumokokken-Impfstoffe sind die Impfraten niedrig. Die Influenza-Impfraten sind höher und hochdosierte Impfstoffe steigern die Wirksamkeit in Jahren mit geringer Stammübereinstimmung. Die COVID-19-Mortalität ist zurückgegangen, doch ohne variantenangepasste Impfstoffe haben Patient/-innen mit Lungenerkrankungen weiterhin ein erhöhtes Exazerbationsrisiko. VZV- und Pertussis-Impfungen konnten die Reaktivierungs- bzw. Infektionsraten senken, jedoch ist die Pertussis-Impfung durch ihren raschen Wirkverlust limitiert. Ein Blick in die Zukunft lässt vermuten, dass breitere Impfungen gegen S. pneumoniae eingeführt werden, während erste Impfstoffe gegen das Respiratorische Synzytial Virus (RSV) auf den Schweizer Markt kommen. Dieser Artikel fasst die Impfempfehlungen für Patient/-innen mit chronischen Lungenerkrankungen zusammen.

In Switzerland, vaccinations against influenza, COVID-19, S. pneumoniae, and varicella zoster virus (VZV) are recommended for patients with chronic lung diseases. High-valency S. pneumoniae vaccines have been developed, but vaccination rates remain low. Influenza vaccination rates are higher, with high-dose vaccines improving efficacy in years of low strain matching. COVID-19 mortality has decreased, but patients with chronic lung disease remain at increased risk for exacerbation, unless vaccinated with variant-adjusted vaccines. VZV and pertussis vaccinations have reduced reactivation and infection rates, respectively. However, pertussis vaccination is still limited by its fast waning. A glimpse into the future presumes the introduction of new higher-valence vaccinations against S. pneumoniae, and several types of Respiratory Syncytial Virus (RSV) vaccines are currently entering the Swiss market. This review aims to summarize recommended vaccinations for patients with chronic lung diseases.
Key words: Vaccine efficacy, chronic lung diseases, viral infections, exacerbation prevention

Einleitung

Chronische Lungenerkrankungen stellen eine erhebliche gesundheitliche und wirtschaftliche Belastung dar. Die Inzidenz chronischer Lungenkrankheiten wie Asthma und COPD nimmt zu, während COPD bereits die vierthäufigste Todesursache in der Schweiz ist (1–3). Exazerbationen dieser chronischen Erkrankungen bergen ein hohes Risiko, da sie zu Funktionseinschränkungen, schweren Pneumonien und Krankenhausaufenthalten bis hin zum Tod führen können (3). Ein Grossteil der akuten Exazerbationen wird durch Infektionen verursacht, insbesondere durch Viren, mit Virusnachweisraten von 22–64 % (4–6). Rhinoviren sind die am häufigsten nachgewiesenen viralen Auslöser (bis zu 60 %), gefolgt von Influenza (bis zu 36 %) und Respiratorischem Synzytial-Virus (RSV; bis zu 28 %) (6). Die Vorbeugung von Infektionen durch Impfungen ist daher eine tragende Säule zur Reduktion akuter infektionsbedingter Exazerbationen und der damit verbundenen Verschlechterung chronischer Lungenerkrankungen (7). Aktuelle internationale Richtlinien sowie der Schweizer Impfplan empfehlen für diese Patientengruppe bereits Impfungen gegen Influenza, Pneumokokken und SARS-CoV-2 (7–9). Da auch RSV zu Exazerbationen beitragen kann und ähnliche oder sogar höhere Sterblichkeitsraten als die Influenza aufweist, empfiehlt die Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) und seit Kurzem auch das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Impfung gegen RSV bei Patient/-innen mit COPD (9–12). Dieser Artikel fasst Daten zur Impfeffizienz (vaccine efficacy, VE) verfügbarer Impfstoffe zusammen und gibt einen Ausblick auf künftige Impfmöglichkeiten für Risikopersonen.

Pneumokokken-Impfung

S. pneumoniae verursacht Infektionen des Lungenparenchyms und der unteren Atemwege und ist eine der Hauptursachen für die ambulant erworbene Pneumonie (13). Zwei Drittel der Pneumokokken-Erkrankungen treten bei 25 % der Bevölkerung mit hohem Risiko auf (13, 14). Dies ist besorgniserregend, da eine gleichzeitige Pneumonie bei Exazerbation einer chronischen Lungenerkrankung ein schlechteres Outcome für Patient/-innen birgt (15). Dennoch sind die Pneumokokken-Impfraten in der Schweiz immer noch niedrig: bei Personen mit chronischen Lungenerkrankungen wurde sie für 2020 auf etwa 14.8 % geschätzt, und erreichte bei den 65- bis 85-Jährigen nur 9.6 % (16).

Seit 2023 wird die Impfung mit einem Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff (PCV) für alle Personen ≥ 65 Jahre (zusätzlich zu Kindern und Erwachsenen mit Risikofaktoren) vom BAG und von internationalen Richtlinien empfohlen (VE siehe Tab. 1A) (8, 9, 17). Höhervalente Impfstoffe wie PCV15 (Vaxneuvance®) (18) und PCV20 (Prevenar 20®) (19) wurden kürzlich in der Schweiz eingeführt und für die Anwendung bei Personen ≥ 65 Jahre zugelassen (17). Die höhere Serotypenabdeckung ist wichtig, da das sogenannte Serotypen-Replacement durch nicht in den Impfstoffen enthaltene Serotypen in den letzten Jahren zu einer zunehmenden Häufigkeit von Pneumokokken-Infektionen geführt hat (20). In der Tat variierte im Jahr 2023 die Serotypen-Abdeckung der verfügbaren Impfstoffe stark: 31 % für PCV13, 40 % für PCV15 und 68 % für PCV20 (21). Die Kosten für die Impfung werden derzeit nur für Risikopersonen < 5 Jahre und für Erwachsene > 65 Jahre rückerstattet (17).

Influenza-Impfung

Das Influenzavirus infiziert jedes Jahr etwa 10–20 % der Weltbevölkerung, verursacht jährlich 3–5 Millionen Krankenhausaufenthalte und birgt eine hohe Mortalität vor allem bei Risikopersonen (22). Für Patient/-innen mit COPD zeigte eine Influenzaimpfung langfristige Vorteile in Bezug auf influenzabedingte Atemwegsinfektionen, Anzahl der Exazerbationen, Hospitalisierungsrate, Gesamtmortalität und Mortalität durch Atemwegserkrankungen (23). Zudem reduzierte sie die Zahl der Krankenhausaufenthalte aufgrund von Pneumonie und Influenza bei Personen ≥ 65 Jahre um 8.5 % und bei Personen im Alter von 50–64 Jahren um 12.4 % (24, 25). Aktuelle Studien aus den USA verzeichneten VEs von 37–38 % gegen influenzabedingte Krankenhausaufenthalte (Tab. 1B) (26, 27). Eine prospektive Studie berichtete sogar von einer VE von 63.1 %. Bei Personen mit Herzinsuffizienz oder COPD war die VE mit 68.2 % hinsichtlich Krankenhausaufenthalten aufgrund von Exazerbation oder akuter Atemwegsinfektion sogar noch höher (28). Die aktuellen Schweizer Empfehlungen betonen die Relevanz der Influenzaimpfung bei Risikopersonen, einschliesslich solcher mit chronischen Lungenkrankheiten (29). In der Schweiz sind die quadrivalenten inaktivierten Impfstoffe (quadrivalent inactivated vaccine, QIV) Fluarix Tetra® (30) und Vaxigrip Tetra® (31) für Personen ≥ 65 Jahre und für alle mit mindestens einem Risikofaktor verfügbar und werden erstattet (29). Aufgrund der höheren VE ist die hochdosierte Efluelda® Impfung (32) in der Schweiz für Personen ≥ 65 Jahre verfügbar und wird für alle Personen ≥ 75 Jahre oder ≥ 65 Jahre mit mindestens einem Risikofaktor erstattet (29). Die Influenza-Impfquote bei Personen mit chronischen Lungenkrankheiten in der Schweiz liegt bei 21.6 % in allen Altersgruppen und bei 49.85 % in der Altersgruppe ≥ 65 Jahre (33). Für die Influenzasaison 2024/2025 haben die USA beschlossen, auf einen trivalenten Impfstoff umzusteigen, da der in QIVs enthaltene B/Yamagata-Stamm nicht mehr zirkuliert (34).

SARS-CoV-2-Impfung

Trotz gesunkenem Medieninteresse an SARS-CoV-2 sind die Raten des zirkulierenden Virus im Jahr 2024 immer noch hoch (35). Schwere COVID-19-Fälle sind in der Omikron-Ära zurückgegangen, aber Studien zeigen, dass Personen mit Asthma und COPD noch immer ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere Verläufe haben (HR: 1.31 bzw. HR: 1.36) (36). Die Verabreichung von ≥ 3 Impfdosen kann dieses Risiko jedoch reduzieren (OR: 0.35) (37).

Im Allgemeinen zeigten XBB.1.5-Impfstoffe gegen Omi­kron-Subvarianten eine begrenzte Dauer zur Verhinderung von Infektionen, mit einer VE von 52.2 % nach 4 Wochen und 32.6 % nach 10 Wochen (Tab. 1C). Die Wirksamkeit bezüglich der Reduktion von Krankenhausaufenthalten und Todesfällen blieb jedoch über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten (38). Entsprechend empfiehlt das BAG eine SARS-CoV-2-Impfung für alle Risikopersonen, und derzeit sind die mRNA-Impfstoffe Comirnaty® (39) und Spikevax® (40) in der Schweiz verfügbar und zugelassen (8). Die Verwendung eines mRNA-Impfstoffs, der auf aktuelle SARS-CoV-2-Varianten abzielt, wird unabhängig von früheren Impfungen empfohlen (41).

VZV-Impfung

VZV verursacht Windpocken, die sich typischerweise als hoch ansteckender Ausschlag in der Kindheit manifestieren, und Herpes zoster, das durch Reaktivierung latenter VZV auftritt (42, 43). Weltweit sind jährlich fast 84 Millionen Menschen betroffen und leiden unter der hohen Krankheitslast des Virus (43). Das Risiko, an Herpes zoster zu erkranken, ist bei Patient/-innen mit Asthma um 24 % und bei COPD um 41 % erhöht (44). Eine Exazerbation der COPD scheint zudem mit dem Auftreten von Herpes zoster einherzugehen, und das Risiko für assoziierte Komplikationen ist bei COPD ebenfalls erhöht (44). Dank der Impfung mit Subunit-Impfstoffen hat sich die Krankheitslast stetig verringert (43, 45). Aus klinischen Studien geht hervor, dass zur Vorbeugung einer Reaktivierung bei ≥ 70-jährigen Patient/-innen 35 Individuen geimpft werden müssen (number needed to vaccinate, NNV), und bei ≥ 50-jährigen 32 Individuen (Tab. 1D) (46). Ein 7-Jahres-Follow-up der Kohorte von ≥ 50-Jährigen ergab eine NNV von 51 (47). Im Gegensatz dazu nahm der Schutz des abgeschwächten Lebendimpfstoffs in diesem Zeitraum ab (48). In der Schweiz wird die Impfung mit dem rekombinanten Subunit-Impfstoff Shingrix® (49) für Personen ≥ 65 Jahre, für Personen ≥ 50 Jahre mit schwerem Asthma, COPD oder Immundefizienz sowie für Personen ≥ 18 Jahre mit schwerer Immunsuppression empfohlen (8).

Pertussis-Impfung

Jedes Jahr erkranken etwa 50 Millionen Menschen an Keuchhusten, wobei jährlich 300 000 Menschen daran sterben (50). Die Inzidenz bei gesunden Menschen liegt bei 0.5 pro 100 000 und ist bei Patient/-innen mit COPD und Asthma deutlich erhöht (2.47 und 3.35 pro 100 000) (50). Es gibt immer noch Ausbrüche der Krankheit (51), was möglicherweise auf den schnell abnehmenden Schutz der azellulären Dreifachimpfstoffe (Tetanus, Diphtherie, Pertussis) Boostrix® (52) und Adacel® (53) zurückzuführen ist. Während die VE im ersten Jahr bei 75.3 % liegt, sinkt sie innerhalb von 4–5 Jahren auf 11.9 % (54).

Das BAG empfiehlt eine Grundimmunisierung gegen Pertussis bei Säuglingen und Auffrischungen im Kindes- und Jugendalter. Darüber hinaus wird eine Auffrischungs­impfung mit Boostrix® (52) oder Adacel® (53) für Erwachsene empfohlen, die mit Säuglingen und Schwangeren in Kontakt kommen. Es gibt jedoch keine spezielle Empfehlung für Patient/-innen mit chronischen Lungenerkrankungen (8). (Tab. 1)

Zukunftsaussichten in der Schweiz

Neue Pneumokokkenimpfungen

Derzeit wird in der Schweiz der Einsatz von PCV15 und PCV20 empfohlen (17). Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde (Food and Drug Administration, FDA) hat kürzlich PCV21 für Menschen im Alter von ≥ 65 Jahren zugelassen, welches bis zu 85 % der Serotypen in dieser Altersgruppe abdeckt (55, 56). Diese Zulassung basiert auf kürzlich veröffentlichten Daten, die ein gutes Sicherheitsprofil von PCV21 bewiesen, während die Reaktogenität auf alle eingeschlossenen Serotypen im Vergleich zu niedrigen valenten PCV-Impfungen nicht unterlegen war (57). Darüber hinaus laufen Studien zu einem 24-valenten PCV, mit dem die Abdeckung der Serotypen noch weiter erhöht werden soll (58).

RSV-Impfungen

RSV ist ein RNA-Virus, das Atemwegsinfektionen bis hin zur Pneumonie verursachen kann. Schwere Fälle betreffen vor allem Säuglinge, Kleinkinder und ältere Menschen, und RSV ist im Vergleich zu Influenza oder SARS-CoV-2 mit schwereren Krankheitsverläufen verbunden (59–61). Darüber hinaus wurde ein 2- bis 4-fach erhöhtes Risiko für RSV-bedingte Krankenhausaufenthalte bei Erwachsenen mit COPD und ein 1.5- bis 3-fach erhöhtes Risiko bei Erwachsenen mit Asthma festgestellt (62).

In den letzten Jahren wurden Impfungen gegen das RSV-Fusionsprotein F in klinischen Studien untersucht (63). Die NNVs für den AS01E-adjuvanten RSV-Impfstoff, den bivalenten und den mRNA-Impfstoff betrugen 379, 772 und 381, um eine RSV-bedingte Erkrankung der unteren Atemwege zu verhindern (Tab. 1E) (64–66). Die Wirksamkeit der Impfung liess sich über einen Zeitraum von mindestens zwei bis drei Saisonen aufrechterhalten, aber die Daten hinsichtlich der Verhinderung von Krankenhausaufenthalten sind noch begrenzt (67, 68). In den USA sind jeweils ein Impfstoff mit Adjuvans, ein bivalenter und ein mRNA-Impfstoff für Erwachsene ≥ 60 Jahre zugelassen, und kürzlich wurden die ersten Sicherheitsdaten vorgelegt: Die geschätzten Raten für das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) waren für den bivalenten Impfstoff höher (4.4 pro 1 Million verabreichter Dosen) als für den Impfstoff mit Adjuvans (1.8 pro 1 Million verabreichter Dosen) (69). In der Schweiz sind die beiden Protein-basierten RSV-Impfstoffe Abrysvo® und Arexvy® (70, 71) zugelassen, und ein mRNA-basierter Impfstoff befindet sich derzeit im Zulassungsverfahren. Kürzlich hat das BAG Impfempfehlungen für ältere Menschen und Patient/-innen mit hohem Komplikationsrisiko, darunter solche mit chronischen Lungenerkrankungen, veröffentlicht (72).

Diskussion

Der schweizerische Impfplan enthält spezifische Empfehlungen für die Impfung von Risikopersonen, darunter Patient/-innen mit chronischen Lungenkrankheiten (8). Dennoch sind die Impfraten, insbesondere gegen S. pneumoniae, in der Schweiz nach wie vor niedrig und Empfehlungen zur Impfung mit höhervalenten Impfstoffen sollten Einzug finden (16, 20). In der Schweiz wurden kürzlich zwei RSV-Impfstoffe für Erwachsene ≥ 60 Jahre auf den Markt gebracht (72). Während die GOLD-Leitlinien bereits früher RSV- und Pertussis-Impfungen für Patient/-innen mit COPD empfohlen haben, wurden die Empfehlungen bezüglich RSV erst kürzlich auch in der Schweiz verankert (8, 9, 12). Im Zusammenhang mit der RSV-Impfung sind noch einige wichtige Fragen offen, wie z.B. die Dauer des Impfschutzes, die Notwendigkeit einer wiederholten Impfung, und vor allem die Wirksamkeit in Bevölkerungsgruppen mit Komorbiditäten (73). Darüber hinaus werden Sicherheit und Immunogenität der gleichzeitigen Verabreichung mit z.B. Influenzaimpfstoffen derzeit noch untersucht (74). Auch wenn die RSV-Impfung mit bestimmten Risiken wie GBS verbunden ist, werden diese durch die erfolgreiche Prävention von Exazerbationen und kardiovaskulären Ereignissen bei Risikopersonen aufgewogen (75).

Bei diesem Artikel handelt es sich nicht um eine systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse, da lediglich ausgewählte Studien zur Bewertung des NNV und VE verschiedener Impfstoffe (empfohlen für Patient/-innen mit chronischen Lungenerkrankungen) einbezogen wurden. Ausserdem wurden die meisten dieser Impfstudien nicht explizit bei Personen mit chronischen Lungenerkrankungen durchgeführt. Im Allgemeinen konzentrieren sich viele Impfempfehlungen für chronische Lungenkrankheiten auf die COPD (9). Zwar gibt es einige Studien über die Rolle infektionsbedingter Exazerbationen bei Asthma, doch es liegen nur wenige Daten über die Auswirkungen von Atemwegsinfektionen auf interstitielle Lungenerkrankungen vor (76).

Zusammenfassend ist eine höhere Impfrate bei Personen mit chronischen Lungenerkrankungen entscheidend, um Exazerbationen und damit Morbidität und Mortalität in dieser gefährdeten Bevölkerungsgruppe zu verhindern. Daher wird die Einführung neuer und wirksamerer Impfstoffe in der Schweiz mit ständigen Variantenanpassungen von zentraler Bedeutung sein. Zu den Strategien zur Verbesserung der Impfraten gehören die Ermittlung von Faktoren und Hindernissen, um fundierte Entscheidungen treffen zu können, sowie die Aufklärung der Patient/-innen und die Schulung von Gesundheitsdienstleistern und nationalen Behörden (77).

VZV-Impfung

VZV verursacht Windpocken, die sich typischerweise als hoch ansteckender Ausschlag in der Kindheit manifestieren, und Herpes zoster, das durch Reaktivierung latenter VZV auftritt (42, 43). Weltweit sind jährlich fast 84 Millionen Menschen betroffen und leiden unter der hohen Krankheitslast des Virus (43). Das Risiko, an Herpes zoster zu erkranken, ist bei Patient/-innen mit Asthma um 24 % und bei COPD um 41 % erhöht (44). Eine Exazerbation der COPD scheint zudem mit dem Auftreten von Herpes zoster einherzugehen, und das Risiko für assoziierte Komplikationen ist bei COPD ebenfalls erhöht (44). Dank der Impfung mit Subunit-Impfstoffen hat sich die Krankheitslast stetig verringert (43, 45). Aus klinischen Studien geht hervor, dass zur Vorbeugung einer Reaktivierung bei ≥ 70-jährigen Patient/-innen 35 Individuen geimpft werden müssen (number needed to vaccinate, NNV), und bei ≥ 50-jährigen 32 Individuen (Tab. 1D) (46). Ein 7-Jahres-Follow-up der Kohorte von ≥ 50-Jährigen ergab eine NNV von 51 (47). Im Gegensatz dazu nahm der Schutz des abgeschwächten Lebendimpfstoffs in diesem Zeitraum ab (48). In der Schweiz wird die Impfung mit dem rekombinanten Subunit-Impfstoff Shingrix® (49) für Personen ≥ 65 Jahre, für Personen ≥ 50 Jahre mit schwerem Asthma, COPD oder Immundefizienz sowie für Personen ≥ 18 Jahre mit schwerer Immunsuppression empfohlen (8).

Dr. med. Maria Bösing 1,2
Prof. Dr. med. Werner Albrich 3
Prof. Dr. med. Pierre-Olivier Bridevaux 4,5
Dr. med. Florian Charbonnier 6
Prof. Dr. med. Christian Clarenbach 7
Prof. Dr. med. Jean-Marc Fellrath 8
Dr. med. Pietro Gianella 9
Dr. med. Lukas Kern 10
PD Dr. med. Tsogyal Latshang 11
Dr. med. Nikolay Pavlov 12
Prof. Dr. med. Michael Osthoff 13
Prof. Dr. med. Claudia Steurer-Stey 14
Prof. Dr. med. Christophe von Garnier 15
Prof. Dr. med. Jörg D. Leuppi 1,2

1 Universitäres Zentrum Innere Medizin, Kantonsspital Baselland, Liestal
2 Medizinische Fakultät, Universität Basel, Basel
3 Abteilung für Infektiologie, Infektionsprävention und Reisemedizin, HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen
4 Service de pneumologie, Centre Hospitalier du Valais Romand, Hôpital du Valais, Sitten
5 Faculté de médecine, Université de Genève, Genf
6 Service de pneumologie, Hôpitaux universitaires de Genève, Genf
7 Abteilung für Pneumologie, Universitätsspital Zürich, Zürich
8 Service de pneumologie, Réseau hospitalier neuchâtelois, Neuenburg
9 Ente Ospedaliero Cantonale, Lugano
10 Abteilung für Pneumologie, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen
11 Abteilung für Pneumologie, Kantonsspital Graubünden, Chur
12 Universitätsklinik für Pneumologie, Allergologie und klinische Immunologie, Inselspital, Universitätsspital Bern, Universität Bern
13 Abteilung für Innere Medizin, Kantonsspital Winterthur, Winterthur
14 Universität Zürich, Zürich
15 Abteilung für Pneumologie, Department Medizin, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV) und Universität Lausanne (UNIL), Lausanne

Abkürzungen
ARI akute Atemwegserkrankung
BAG Bundesamt für Gesundheit
CHF kongestive Herzinsuffizienz
COPD chronisch obstruktive Lungenerkrankung
COVID-19 Coronavirus Erkrankung 2019
FDA Food and Drug Administration
GOLD Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease
HD hohe Dosis
HR Hazard Ratio (Risikoverhältnis)
IRR Inzidenzratenverhältnis
KI Konfidenzintervall
LRTD Erkrankung der unteren Atemwege
mRNA-1345 mRNA-basierter RSV-Impfstoff, der das stabilisierte RSV-Präfusions-F-Glykoprotein kodiert
NC nicht berechenbar
NE nicht schätzbar
NEDSS Nebraska Electronic Disease Surveillance System
NESIIS Nebraska State Immunization Information System
NNV number needed to vaccinate (Zahl der erforderlichen Impfungen, auf Einheit gerundet)
NS keine Angabe
OR Odds Ratio (Chancenverhältnis)
PBO Placebo
PCV Pneumokokken-Konjugatimpfstoff
PY Personenjahre
QIV quadrivalenter Grippeimpfstoff
RCT randomisierte kontrollierte Studie
RSV Respiratorisches Synzytialvirus
RSVpreF bivalenter RSV-Präfusionsimpfstoff auf F-Protein-Basis
RSVPreF3 OA AS01E-adjuvierter RSV-Präfusionsimpfstoff auf F-Protein-Basis
RZV Glykoprotein E (gE)-basierter adjuvanter ­rekombinanter Zoster-Impfstoff
SARS-CoV-2 Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2
SD Standarddosis
VE vaccine efficacy (Impfeffizienz)
VZV Varizella-Zoster-Virus

Finanzierung
Das Manuskript wurde finanziell von GSK AG Schweiz und Moderna AG Schweiz unterstützt. Die Sponsoren hatten keinen Einfluss auf den Inhalt der wissenschaftlichen Übersichtsarbeit.

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med.  Maria Bösing

– Universitäres Zentrum Innere Medizin, Kantonsspital Baselland, Liestal
– Medizinische Fakultät, Universität Basel, Basel

Jörg D. Leuppi hat nicht zweckgebundene Förderungen von AstraZeneca Schweiz, GSK Schweiz, OM Pharma Schweiz und Sanofi Schweiz erhalten. Werner Albrich erhielt Förderungen von der Swiss National Science Foundation (33IC30_201300), dem Kantonsspital St. Gallen, OM Pharma, FUNGINOS, Gilead, und erhielt Zahlungen an seine Institution für Vorträge und Präsentationen von Pfizer, GSK, MSD, Gilead. Zudem erhielt er Zahlungen für Reisen zu Tagungen, die an seine Institution gezahlt wurden, von Pfizer, GSK und Gilead, und war Mitglied in den Beiräten von MSD, Sanofi, Pfizer, GSK, OM Pharma, Moderna, Aurovir Pharma und Janssen.

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Politique et santé: un couple dans la douleur

Dans une mise en scène désormais bien rôdée, le nouveau président Donald Trump s’ est appliqué, dès son investiture, à signer toutes sortes de décrets, dans plusieurs domaines et bien sûr en matière de santé et de recherche.
Petit inventaire (incomplet):

retrait de l’ Organisation Mondiale de la Santé en janvier 2026, gel de 3000 milliards de dollars sur les subventions et prêts fédéraux, ce qui met en danger le fonctionnement de Medicaid (prise en charge des soins médicaux des plus pauvres), fermeture de l’ Agence des États-Unis pour le développement international (USAID)*. Par ailleurs, suppression d’ environ 1300 postes, soit 10 % des effectifs, au Centre pour le contrôle et la prévention des maladies (CDC), et jusqu’ à 1 500 employés des National Institutes of Health (NIH). Pour finir, validation par le congrès américain du vaccinosceptique Robert Francis Kennedy Jr. comme nouveau ministre de la Santé des États-Unis.

L’ impact réel de ces décisions ne peut être vraiment apprécié, vu les recours déposés. Mais les réactions de nombreux scientifiques laissent supposer que les conséquences seront désastreuses. La revue médicale britannique The Lancet, dans un récent éditorial, dénonce des « mesures intérieures et extérieures qui ne constituent pas une juste reconsidération des priorités des États-Unis, mais une attaque rapide et dangereuse contre la santé des américains et de tous ceux qui dépendent de l’ aide américaine ».

«Les trois semaines qui viennent de s’ écouler ont provoqué de la colère, de la peur et de la tristesse, mais ce n’ est pas le moment de paniquer. Nous avons besoin de rester concentrés, d’ être stratégiques et bien sûr d’ espérer. La communauté médicale et scientifique a un rôle vital à jouer dans la défense des patients».

«C’ est dans cet esprit que The Lancet sera particulièrement vigilant ces quatre prochaines années et examinera toutes les actions que prendra le gouvernement américain et les conséquences de ses décisions sur la santé» conclut l’ éditorial.

L’ analyse est correcte, mais les solutions semblent bien chétives. Que peut faire le corps médical pour éviter le chaos qui semble se préparer ? Le coup porté aux différentes institutions publiques semble pour l’ instant bien éloigné de notre Suisse, mais, à terme, les conséquences sur notre pratique quotidienne se feront irrémédiablement sentir…

Dr Jérôme Morisod

* La Cour suprême américaine a rétabli le 5 mars une décision de justice sommant l’ administration Trump de reprendre les versements dus à des organisations d’ aide internationale, d’ un montant estimé entre 1,5 et 2 milliards de dollars.

Source: American chaos: standing up for health and medicine, The Lancet, Editorial, Volume 405, Issue 10477, p439, February 08, 2025

Dr Jérôme Morisod

Monthey