Nachkontrollen nach bariatrischen Operationen

Bariatrische Patienten benötigen regelmässige Nachkontrollen, um Komplikationen und ungünstige Verläufe frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Da die Zahl von Patienten, welche einen bariatrischen Eingriff zur Behandlung der Adipositas und ihrer Komorbiditäten erhalten, rasch ansteigt, ist es zunehmend wichtig, dass auch Ärzte in der Praxis Kenntnis der wichtigsten Folgen von bariatrischen Operationen haben. Die Themen in der Nachsorge sind der Gewichtsverlauf, das frühzeitige Erkennen eines ungünstigen Verlaufes, Erkennen und Behandeln von Makro- und Mikronährstoffmängeln, gastrointestinale Symptome wie Schmerzen, Dumping usw. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über diese Themen und beschreibt die Behandlungsmöglichkeiten.

Die Zunahme der Adipositas in den letzten Jahrzehnten hat unter anderem auch zu einer vermehrten Anwendung von bariatrischen Operationen geführt. In der SOS (Swedish Obese Subjects) Studie (1) wurden die anhaltenden Erfolge bezüglich Gewichtsverlauf, die Verbesserung der Komorbiditäten und die Reduktion der Mortalität von operierten Patienten eindrücklich dokumentiert, was zu einer nochmals breiteren Anwendung dieser Operationen geführt hat. Somit ist es zunehmend wichtig, dass auch Ärzte in der Praxis mit den Themen der Nachsorge und Problemen nach bariatrischen Operationen vertraut werden. Der folgende Artikel bietet einen Überblick über praxisrelevante Fragestellungen und möchte Hilfestellungen für das Vorgehen in typischen Situationen geben.
In der Schweiz wurden Guidelines für die operative Behandlung der Adipositas und die Nachsorge nach bariatrischen Operationen von der SMOB (Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders) erstellt und sind auf der Homepage www.smob.ch einsehbar und werden regelmässig aktualisiert. Gemäss diesen Guidelines sind die bariatrischen Zentren verpflichtet, die lebenslange Nachsorge für ihre Patienten sicherzustellen. Die Nachsorge erfolgt durch die bariatrischen Zentren in Zusammenarbeit mit den Hausärzten. Entsprechend den SMOB Richtlinien müssen die Zentren in den ersten 5 postoperativen Jahren eine Nachkontrollrate von mindestens 75% nachweisen können. Die Nachkontrollen sollen bei problemlosem Verlauf zwei, vier, acht und 12 Wochen postoperativ, dann drei-monatlich, im zweiten postoperativen Jahre alle sechs Monate, dann jährlich, jeweils mit Laborkontrolle der Mikronährstoffsituation erfolgen, bei Problemen häufiger. Die Konsultationen müssen ein Assessment und Beratung bezüglich des Gewichtsverlaufes, eine Erfassung der Ernährungs- und Bewegungssituation, sowie der Komorbiditäten beinhalten, weitere individuelle Fragestellungen sind zu thematisieren.
Die am häufigsten durchgeführte Operation ist der Magenbypass, meist in Form des proximalen Roux-Y-Magenbypasses (Abb. 1), welcher sowohl restriktiv wie auch malabsorptiv wirkt. Vor allem restriktiv wirkt die Schlauchgastrektomie oder Sleevegastrectomy (Abb. 2), sowie das Magenband, welches bis 2005 die Standardoperation darstellte, heute aber wegen Intoleranz, im Sinne von Oesophagusdysmotilität und Refluxsymptomen nicht mehr eingelegt wird. Die stärkste Gewichtsabnahme erfolgt nach der biliopankreatischen Diversionsoperation (Abb. 3). Diese Operation führt zu einer starken Malabsorption. Alle Operationen wirken auch über eine Veränderung der neuro-enterohumoralen Komponenten, d.h. über eine Veränderung der gastrointestinalen Peptidhormone und über eine Beeinflussung von zentralen Regelkreisen zur Regulierung von Sättigung und Belohnung. Auch die Veränderung der Microbiota nach den Operationen spielt eine Rolle in der Gewichtsreduktion.

Gewichtsverlauf und ungünstige Entwicklungen

Die durchschnittliche Gewichtsabnahme 5 Jahre nach Magenbypass beträgt 70% des Übergewichts (excessive weight loss, EWL), nach Schlauchgastrektomie ca. 60% und nach biliopankreatischer Diversion ca. 80%, wobei der Nadir 12-18 Monate nach der Operation erreicht ist. Im weiteren Verlauf ist eine Gewichtsstabilisierung anzustreben. Eine sekundäre Gewichtszunahme von ca. 5% bis 10% ist als normal anzuschauen und multifaktoriell bedingt. Es gilt aber festzuhalten, dass es keine klare Grenze gibt, was eine genügende Gewichtsabnahme darstellt. Das Gewichtsresultat muss auch im Kontext der Komorbiditäten betrachtet werden.
Eine Übersicht über die Faktoren und Behandlungsansätze bei ungenügender Abnahme oder verstärkter sekundärer Gewichtszunahme gibt die Tabelle 1.
Ein erhöhtes Risiko für eine überdurchschnittliche Gewichtsabnahme mit Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Muskelmassen- und Kraftverlust besteht bei depressiver Stimmung, ungenügendem Einhalten der Ernährungsempfehlungen, vor allem ungenügender Proteinzufuhr, Entwicklung einer sekundären anorektischen Essstörung, Alkoholabusus, Suchterkrankungen, Tumoren oder chronischen Krankheiten, vor allem COPD. Ein erhöhtes Risiko für Malnutrition und Entwicklung von Untergewicht besteht vor allem nach den stark malabsorptiv wirkenden Eingriffen, vor allem nach biliopankreatischer Diversion.

Mikronährstoffmängel

Nach bariatrischen Operationen besteht wegen kleiner Essmenge und Malabsorption das Risiko für Mikronährstoffmängel, weshalb eine lebenslange Mikronährstoffsupplementation unerlässlich ist (2, 3, 4). Zur Bedarfsdeckung können speziell für bariatrische Patienten entwickelte Präparate (z.B. WLS forte® von FitForMe oder Multi® von Bariatric Advantage) oder ein Multivitaminpräparat, wie z.B. Supradyn® alternierend mit einem B-Komplex-Vitamin eingenommen werden. Regelmässige Laborkontrollen sind immer indiziert, um Mängel frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Es ist wichtig zu beachten, dass das Risiko für Mangelerscheinungen abhängig ist von der Art der Operation, d.h. Operationen mit starker malabsorptiver Komponente, vor allem die biliopankreatische Diversionsoperation, aber auch Bypassoperationen mit längeren von der Nahrung ausgeschalteten Dünndarmabschnitten (OAGB, RYGB mit extra-langer bilio-pankreatischer Schlinge) haben ein stark erhöhtes Risiko für Mikronährstoffmängel. Dabei steigt insbesondere das Risiko für einen Mangel an fettlöslichen Vitaminen (Vitamin A, D, E, K) und für die sonst seltenen Mängel an Selen oder Kupfer stark an. Nach Operationen mit rein restriktiver Komponente, z.B. Schlauchgastrektomie oder Magenband, ist das Risiko deutlich kleiner aber weiterhin vorhanden.
Weitere Gründe, wieso Mängel häufig nach bariatrischen Operationen auftreten, sind Geschmacksaversionen, Malcompliance der Patienten zur Einnahme der Supplemente, ungenügende Information der Patienten, ev. auch erhöhter Bedarf aus anderer Ursache, z.B. bei zusätzlichem Eisenverlust durch Hypermenorrhoe. Problematisch ist auch die fehlende Kassenpflichtigkeit der Supplemente. Mikronährstoffmängel sind auch schon vor bariatrischen Operationen häufig und sollen bereits präoperativ behandelt werden.
Die wichtigsten Mängel nach bariatrischen Operationen, inklusive Symptomen und Folgen sind in Tabelle 2 zusammengestellt.
Adipositas ist per se mit Vitamin-D-Mangel assoziiert, sodass ein Mangel schon präoperativ gesucht und behandelt werden muss. Die Calciumabsorption sinkt nach Magenbypass stark ab. Zur Osteoporoseprophylaxe ist deshalb nach Magenbypass- und biliopankreatischer Diversionsoperation auch eine Calcium-D3 Supplementation notwendig, um den erhöhten Bedarf zu decken und das Entstehen eines sekundären Hyperparathyreoidismus zu vermeiden. Gemäss den Guidelines der American Society of Metabolic and Bariatric Surgery (ASMBS) ist eine totale Calciumzufuhr von 1500 mg/Tag nach Sleevegastrectomy, 1500 – 2000 mg/Tag nach Magenbypass und 1800 – 2400 mg nach biliopankreatischer Diversion zu empfehlen, wobei so viel wie möglich durch alimentäre Zufuhr abzudecken ist (2, 3). Es ist wichtig, dass die Calcium-D3 Supplementation zeitlich versetzt zu den übrigen Supplementen einzunehmen ist, da sonst eine gegenseitige Absorptionshemmung auftritt.
Ein Zinkmangel ist nach bariatrischen Operationen häufig. In einer Studie hatten von 324 Patienten 9 % bereits präoperativ einen Zinkmangel, 12 Monate postoperativ wurde ein Zinkmangel in 42.5% der Patienten beobachtet. Gründe hierfür waren einerseits Malcompliance zu der Supplementation, andererseits aber auch eine stark reduzierte Zinkabsorption. Die fraktionierte Zinkabsorption nimmt nach Bypass von 32.3% präoperativ auf 13.6 % 6 Monate postoperativ und 21% 12 Monate postoperativ ab. Bei den regelmässigen Laborkontrollen ist aus diesem Grund auch ein Zinkspiegel als Marker für die Versorgung an Spurenelementen zu bestimmen. Es bleibt zu beachten, dass der Zinkspiegel im Serum eine unzuverlässige Methode zur Diagnose eines Zinkmangels ist, da nur 0.1% des gesamten Zinkgehaltes im Serum gelöst vorkommen und die Zinkserumkonzentration auch von einer Akute-Phase-Reaktion beeinflusst werden kann (5).
Ein besonderes Augenmerk verdient der Vitamin-B1-Mangel. Die Speicher an Vitamin B1 sind klein, weshalb bei ungenügender Zufuhr und rezidivierendem Erbrechen bereits nach ca. 2 Wochen ein Vitamin-B1-Mangel vorliegen kann. Die klassische Wernicke Trias mit Gangataxie, Augenmuskelparesen und Verwirrtheit ist nicht immer vollständig vorhanden, ein unbehandelter Vitamin-B1-Mangel kann aber irreversible neurologische Ausfälle verursachen. Bei Verdacht auf das Vorliegen eines Vitamin-B1-Mangels ist deshalb die entsprechende Behandlung (Thiamin 100 mg iv) bereits vor Vorliegen des Laborresultates einzuleiten (6).

Makronährstoffmängel

Eine ausführliche Ernährungsinstruktion nach bariatrischer Operation ist unerlässlich, wobei die Proteinzufuhr besonders zu beachten ist, da bei ungenügender Zufuhr ein überdurchschnittlicher Muskelmassenverlust zu befürchten ist. Ziel ist eine Proteinzufuhr von 1 g Protein/KG Normalgewicht. Die Einnahme von Protein-
shakes ist in den ersten Monaten postoperativ meist notwendig, um dieses Ziel zu erreichen und den Bedarf decken zu können. Vor allem nach Operationen mit verstärkter Malabsorption kann auch Jahre nach der Operation eine schwere Proteinmangelernährung mit Kraftverlust, chronischer Diarrhoe und generalisierten Ödemen auftreten. Im Labor findet sich häufig eine Hypalbuminämie. Therapeutisch ist eine hochdosierte Proteingabe indiziert, was je nach klinischer Situation durch Anreicherung der Speisen, Proteinsupplemente, in schweren Fällen auch durch Sondengabe oder ggf. parenteral erfolgen muss (4).

Gastrointestinale Symptome nach bariatrischen Operationen

Gastrointestinale Symptome nach bariatrischen Operationen sind häufig, am häufigsten sind mit Auftreten mehr als 1x/Woche Diarrhoe bei 23% der Patienten, Dumping bei 13%, Abdominalschmerzen bei 10%, Dysphagie bei 5%, Erbrechen bei 4%. Eine Häufigkeit von > 1x Monat wird angegeben für Diarrhoe bei 24% der Patienten, Dumping bei 27%, Abdominalschmerzen bei 15%, Erbrechen bei 15%, Dysphagie bei 7% (7).
Spezielle Ursachen für Schmerzen nach bariatrischen Operationen und das Dumpingsyndrom werden im Folgenden kurz erläutert.

Schmerzen

Die Ursache von Schmerzen ist vielfältig, in der Regel sind eine genaue Anamnese und die klinische Untersuchung hilfreich und richtungsweisend. Eine genaue Abklärung ist wichtig, um mögliche gravierende Komplikationen nicht zu verpassen. Tabelle 3 zeigt die Differentialdiagnose von Abdominalschmerzen nach bariatrischen Operationen.
Aufgrund von Klinik und Anamnese ergibt sich eine Verdachtsdiagnose, welche den weiteren Abklärungsgang bestimmt (Tab 4).
Die gefährlichste Ursache für Abdominalschmerzen ist das Auftreten einer Obstruktion der ausgeschlossenen Dünndarmabschnitte mit Aufstau in den blind verschlossenen Magen, der sogenannten Bypass-Obstruktion. Dabei verspüren die Patienten starke Übelkeit, können aber nicht erbrechen, dazu Oberbauch- oder Rückenschmerzen. Die Patienten sind extrem unter Stress und entsprechend tachykard. Die Diagnose wird mittels CT Abdomen gestellt, ein unauffälliges, konventionelles Abdomen-Röntgenbild kann wegen z.T. fehlender Luft-Flüssigkeitsspiegel falsch negativ ausfallen. Rasches chirurgisches Handeln ist hier angesagt. Eine viel häufigere Ursache für Abdominalschmerzen sind innere Hernien. Diese Komplikation wird durch Abnahme des mesenterialen Fettes begünstigt und tritt deshalb meist erst nach relevanter Gewichtsabnahme auf. Eine Dünndarmschlinge herniert durch Mesenteriallücken, entweder zwischen Mesocolon Transversum und dem Meso der hochgezogenen Jejunalschlinge, dem sogenannten «Petersen» Space, oder auf Höhe der Fusspunktanastomose, was zu Dünndarmobstruktion und Dünndarmischämie führen kann. Die typische Klinik sind starke Schmerzen im Epigastrium oder Mittelbauch mit Exazerbation postprandial, z.T. Erbrechen, initial häufig krampfartig, im Verlauf kann ein Dauerschmerz auftreten. Eine innere Hernie kann sich aber auch atypisch, d.h. lediglich mit intermittierenden Schmerzen präsentieren. Die Häufigkeit wird in der Literatur mit ca. 2.5 – 10% angegeben (8). Zur Abklärung ist das CT Abdomen hilfreich, wobei hier besonders auf eine Rotationskomponente der Mesenterialgefässe («whirl sign») zu achten ist. Eine zeitnahe chirurgische Sanierung durch einen in Bariatrie erfahrenen Chirurgen ist indiziert.
Magenschleimhautulcera werden in Früh- und Spätulcera eingeteilt (9). Meist sind die Ulcera im Bereich der Anastomose lokalisiert. Die Frühulcera treten bis 10 Monate postoperativ auf. Ursächlich liegt am ehesten eine Ischämie oder Entzündung vor. Risikofaktoren für die Entwicklung eines Spätulcus sind Säurekontakt im Jejunum, z.B. durch eine Pouchvergrösserung, Nikotin-
abusus, die Einnahme von NSAR und ein Diabetes mellitus. Die typische Klinik der Ulcera besteht in starken epigastrisch lokalisierten Schmerzen während dem Essen. Zur Abklärung ist eine Endoskopie durchzuführen, die Therapie besteht in der Behandlung mit Protonenpumpeninhibitor (PPI) über Monate. In einer Studie wurde gezeigt, dass lösliche Formulierungen, d.h. geöffnete Kapseln, bzw. lösliche Formulierungen zu einer rascheren Abheilung der Ulcera führen als ungeöffnete Kapseln (10). Ein Helicobacter-
pylori-Befall, ev. auch eine Persistenz trotz präoperativer Eradikation, soll gesucht und bei Vorliegen behandelt werden. Nikotinabstinenz ist dringend zu empfehlen.

Dumping

Ein häufiges Symptom nach Magenbypass ist das Auftreten einer Dumpingsymptomatik. Wir unterscheiden Früh- und Spätdumping. Die pathophysiologischen Mechanismen des Dumpingsyndroms sind nicht abschliessend geklärt. Ein möglicher Mechanismus für das Auftreten ist aber eine rasche Entleerung der Magenpouch. Das schnelle Übertreten von hochosmolaren Speisen, insbesondere isolierten Kohlehydraten in die hochgezogene Jejunalschlinge löst einen Einstrom von Flüssigkeit ins Darmlumen und somit Hypotonie, z.T. bis zum Kollaps, Schwindel, Müdigkeit, auch Krämpfe und Diarrhoe aus. Dieses Frühdumping tritt 0 – 30 Minuten postprandial auf. Das Spätdumping manifestiert sich 90 – 120 Minuten nach einer kohlehydrathaltigen Mahlzeit und entsteht durch eine überschiessende Insulinantwort auf die hohe Konzentration von Kohlehydraten im Dünndarm, was zu einer Hypoglykämie mit den klassischen Symptomen, nämlich Schwitzen, Zittern, Sehstörungen und Konzentrationsstörungen führt.
Bei unklaren Symptomen ist das Führen eines Ess- und Beschwerde protokolls mit Blutzuckermessung hilfreich. Bei Unklarheit kann auch eine CGM (continuous glucose monitoring) hilfreich sein. Therapeutisch ist in erster Linie das Einhalten der Ernährungsempfehlungen sehr wichtig (keine reinen Kohlehydratmahlzeiten, Essen-Trinkabstand von 30 Minuten einhalten, regelmässige kleine Mahlzeiten, Steigerung der Faserzufuhr, ev. lösliche Fasern, z.B. Optifiber®). Besteht die Symptomatik dennoch weiter, so kann eine medikamentöse Therapie mit Acarbose zur Stabilisierung des Blutzuckers versucht werden, in therapieresistenten Fällen wird auch die Anwendung von Liraglutid oder Octreotid empfohlen. Bei ungenügender Gewichtsreduktion und Dumpingsymptomatik kann die Einlage eines Silikon-Ringes um den Magenpouch herum, eines sog. Fobi-Ringes, diskutiert werden. Dieser führt zu vermehrter Restriktion, langsamerer Entleerung des Pouches und somit zu einer Verbesserung der Dumpingsymptome. Bei therapieresistentem Dumping und überdurchschnittlicher Gewichtsabnahme ist gemäss Expertenmeinung die Gabe von kontinuierlicher Sondennahrung via Gastrostomie-Katheter in den ausgeschlossenen Magen eine therapeutische Option. Als letzte therapeutische Option kommt eine Reversion der Bypassoperation in Frage, allerdings sollten zuvor seltene Differentialdiagnosen für Hypoglykämien, wie das Vorliegen eines Insulinoms oder eine Nebenniereninsuffizienz, ausgeschlossen werden. Auch Medikamente, vor allem Venlafaxin können das Auftreten von Hypoglykämien verstärken.

Dr. med. Martina Gebhart

Leitende Ärztin Innere Medizin / Endokrinologie
Ernährungszentrum St. Claraspital/Bariatrisches Referenzzentrum Clarunis
Lukas Legrand-Strasse 4
4058 Basel

martina.gebhart@claraspital.ch

Die Autorin hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Bariatrische Operationen benötigen eine lebenslange Nachsorge, welche in spezialisierten Zentren in Zusammenarbeit mit den Hausärzten erfolgt
  • Die Themen der Nachsorge sind Gewichtsverlauf, Erfassen und Behandlung von Makro- und Mikronährstoffmängeln, Erfassen und Beurteilen von spezifischen Problemen, wie Schmerzen und Dumping
  • Die häufigsten Mängel nach Bariatrie sind Vitamin-D3-Mangel, Eisenmangel, Vitamin-B12-Mangel und Zinkmangel.

1. Sjöström L. A Review of the key results from the Swedish Obese Subjects (SOS) trial – a prospective controlled intervention study of bariatric surgery. J Intern Med 2013;273:219-234.
2. Mechanick JI, Kushner RF, Sugerman HJ et al, American Association of Clinical Endocrinologists, Obesity Society, American Society for Metabolic and Bariatric Surgery, American Association of Clinical Endocrinologists, The Obesity Society, American Society for Metabolic and Bariatric Surgery. Medical guidelines for clinical practice for the perioperative nutritional, metabolic, and nonsurgical support of the bariatric surgery patient. Obesity 2009;17(Suppl 1):1-70.
3. Mechanick JI et al. Clinical practice guidelines for the perioperative nutritional, metabolic and nonsurgical support of the bariatric surgery patient – 2013 update: Cosponsored by american association of clinical endocrinologists, the obesity society and American society for metabolic & bariatric surgery. Endo Pract 2013;19:337-72.
4. Busetto L, Dicker D, Azran C. Practical recommendations of the Obesity Management Task Force of the European Association for the Study of Obesity for the post-bariatric surgery medical management. Obes Facts 2017;10:597-632.
5. Sallé A, Demarsy D, Poirier AL. Zinc deficiency: a frequent and underestimated complication of bariatric surgery. Obes Surg 2010;20:1660-70
6. Aasheim ET. Wernicke encephalopathy after bariatric surgery: a systematic review. Ann Surg 2008; 248: 714.
7. Edholm et al. Long-term results 11 years after primary gastric bypass in 384 patients. Surg Obes Rel Dis 2013;9:708-713.
8. Iannelli A, Facchiano E, Gugenheim J. Internal hernia after laparoscopic Roux-en-Y gastric bypass for morbid obesity. Obes Surg. 2006;16:1265-71.
9. Csendes A, Burgos AM, Altuve J et all. Incidence of marginal ulcer 1 month and 1 to 2 years after gastric bypass: A prospective consecutive endoscopic evaluation of 442 patients with morbid obesity. Obes Surg 2009;19:135-138.
10. Schulman AR, Chan WW, Devery A et all. Opened proton pump inhibitor capsules reduce time to healing for marginal ulcer after Roux-en-Y-Gastric Bypass. Clin Gastrol and Hepatol 2017;15:494-500.

Mineralwasser auf dem Prüfstand Teil 2

Wasser ist Wasser – oder eben doch nicht, wie der Übersichtsartikel «Mineralwasser auf dem Prüfstand» in «der informierte arzt» im August 2018 zeigte. Da in Mineralwasser per Definition eine Vielzahl von gelösten Stoffen enthalten sind, fokussiert dieser ergänzende Beitrag nun auf Hydrogencarbonat, Sulfat, Silizium und Lithium: nicht so populär, aber nicht minder spannend.

Hydrogencarbonat

Da der Organismus selbst Hydrogencarbonat als Salz der Kohlensäure bilden kann, wird keine Empfehlung zur täglichen Zufuhr gemacht, obwohl es im Rahmen der physiologischen Regelmechanismen als Bicarbonatpuffer unverzichtbar ist.

Säure-Basenhaushalt 2.0

Die weitverbreitete Vorstellung von einer «Übersäuerung» des Organismus, wie sie häufig in komplementärmedizinischen Therapiemethoden vertreten wird, geht auf das Bild des Säure-Basen-Gleichgewichts Ende des 19. Jahrhunderts zurück, hat mit den modernen pathophysiologischen Kenntnissen nur wenig gemein (1) und ist als diätetische Intervention nicht ausreichend belegt. Dennoch werden bei hoher alimentärer Säurezufuhr (gleichbedeutend mit hoher Proteinzufuhr) vermehrt aus dem Körper selbst Basen bereitgestellt.

Osteoporose

Dazu werden die knochenbildenden Zellen gehemmt und die resorbierenden Zellen stimuliert, damit dank erhöhter Knochenresorption mehr Bicarbonat zur Neutralisierung der Säuren freigesetzt wird. Auch werden Kalziumphosphat und Kalziumcarbonat aus dem Knochen gelöst. Dabei dienen Phosphat und Carbonat zum Puffern der Säuren und das dabei freiwerdende Kalzium wird über den Urin ausgeschieden. Dieser Verlust an Knochenmineralstoffen kann eine Osteoporose begünstigen (2, 3). Mehrere Interventionsstudien zeigen, dass bei hoher Säurebelastung und gleichzeitiger Bicarbonat-Gabe die Knochenresorption gehemmt wird. Zu dieser Aussage existieren valide Daten aus Studien, die mit Mineralwasser als Bicarbonat Quelle durchgeführt wurden.

Harnsteine & Sodbrennen

An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass eine hohe Proteinzufuhr auch mit einer Reduktion des Harn-pH-Wertes und der Citratausscheidung assoziiert wird, zwei Faktoren, die die Calciumoxalat-Steinbildung begünstigen (4, 5).
So wirkt bei Patienten mit idiopathischen Harnsteinen nicht nur eine Proteinrestriktion auf 0.8 mg / kg KG alkalisierend auf den Harn-pH, sondern auch die Gabe von Mineralwasser mit einem Bicarbonatgehalt über 1500 mg/l (6). In der Studie wurde eine Mineralwassermenge von 1.4 l/d verabreicht, was dem Effekt eines handelsüblichen Alkalizitrates entsprach (7).
Ähnliches lässt sich auch bei Sodbrennen und Reflux postulieren: Rein rechnerisch kann ein hydrogencarbonatreiches Wasser die gleiche Säurepufferkapazität liefern wie frei verkäufliche Antazida auf Calciumcarbonat-/Magnesiumcarbonat-Basis; die Praxistauglichkeit dieser Intervention untermauern vier prospektive Studien (8).

Soda-Loading

Dass exogen zugeführtes Hydrogencarbonat schnell und effektiv die Pufferkapazität des Blutes erhöhen kann, ist bereits seit längerem aus der Sporternährung bekannt. Das sogenannte Soda-Loading (Bicarbonat zuführen in Form von Backpulver) führt dazu, dass mehr Laktat aus der anaeroben Energiegewinnung aus dem Muskel entfernt wird, was zum Leistungserhalt beiträgt mit dem schönen Nebeneffekt, dass der Insulinresistenz auf Grund der erhöhten Ausscheidung von Stresshormonen, welche ebenso unter erhöhter Säurebelastung passiert, entgegengewirkt wird (9).
Als Faustregel gilt: Um die Säurelast von 100 Gramm Fleisch, Fisch oder proteinreichen Getreideprodukten wie Pasta auszugleichen, ist die zwei- bis dreifache Menge an Gemüse, Salat oder Obst notwendig – oder hydrogencarbonatreiches Mineralwasser als Getränk!

Sulfat

Unter Sulfat verstehen wir die Salze und Ester der Schwefelsäure. Auch für Schwefel wird keine tägliche Zufuhrmenge beschrieben, da der Bedarf mit der Zufuhr von schwefelhaltigen Aminosäuren (Cystin, Cystein, Methionin) gedeckt ist.
Dass Schwefelsalze eine abführende Wirkung haben und als Laxantien zum Einsatz kommen können, ist seit über 100 Jahren gesichert, auch wenn heute weniger gebräuchlich. So regen auch Sulfat haltige Wässer über den Mechanismus der schlechten Absorptionsrate die Motilität an und gleichzeitig wird die Kontraktilität der Gallenblase verstärkt und die Sekretion der Gallenflüssigkeit ins Duodenum gefördert.
Zu diesen Aussagen existieren insgesamt 9 klinische Studien, die allesamt zum Schluss kommen, dass ein Sulfat reiches Wasser bei funktionellen Verdauungsbeschwerden sinnvoll erscheint.

Funktionelle Obstipation

In einer schönen Arbeit (plazebokontrollierte RCT) zum Vergleich der Wirksamkeit eines Sulfat reichen Mineralwassers mit Leitungswasser bei funktioneller Verstopfung mit 100 Patienten wurde über sechs Wochen täglich 1 l Sulfat reiches Mineralwasser (1535 mg/l Sulfat, 573 mg/l Calcium, 105 mg/l Magnesium) gegeben mit signifikantem Effekt nach 3 Wochen in der Stuhlfrequenz (2,02 ± 2,22 vs. 0,88 ± 1,67). Nach 6 Wochen des täglichen Wassertrinkens war die Zunahme der Stuhlgänge nicht mehr signifikant verschieden. Der Effekt in der Sulfatgruppe blieb gleich hoch, die Gruppe mit Kohlesäure versetztem Leitungswasser zeigte eine leichte Zunahme in der Stuhlfrequenz (10). Wie erwähnt bestehen andere Studien zu dieser Thematik, wo aber oftmals auch gleichzeitig magnesiumreiche Wässer verwendet wurden, so dass der alleinige Effekt des Sulfats nicht genau eruiert werden kann.
Wichtig scheint hier der Hinweis, dass Patienten mit häufiger Stuhlfrequenz, Diarrhoe, und störenden Borborygmi vom Wechsel auf ein sulfatarmes Wasser profitieren könnten.

Silicium

Silicium ist in seiner organischen Form als Kieselsäure an vielen Stoffwechselprozessen im Körper involviert und damit auch an der Bildung von Bindegewebsstrukuren der Haut, weshalb es auch an der Wundheilung beteiligt ist. Bislang wurde für Silicium kein Referenzwert zur täglichen Aufnahme herausgegeben. Dass es jedoch von Nutzen sein könnte, soll hier am Beispiel des Knochenstoffwechsels gezeigt werden.

Osteoporose

Verschiedene Kohortenstudien der letzten 30 Jahre weisen darauf hin, dass eine höhere Siliciumzufuhr mit einer höheren Knochenmasse korreliert, was in einem systematischen Review gut aufbereitet ist (11). Der genaue biologische Wirkmechanismus, über welchen Silicium den Knochen beeinflusst, ist noch ungeklärt. Vermutet wird eine Rolle bei der Synthese von Kollagen als Knochengrundsubstanz sowie bei der Stabilisierung und Mineralisation der Knochenmatrix, ebenso scheint es Einfluss auf die Wachstumsrate im Knochen zu haben. Derzeit stützen Interventionsstudien am Tier- und Zellmodell diese Beobachtungen; so führte eine Siliciumsupplementation bei gleichzeitig niedriger Calciumzufuhr zu besserer Knochendichte und weniger Knochenabbau verglichen mit niedriger Calciumzufuhr und ohne Siliciumsupplementation. Einen positiven Effekt der Supplementation auf den Knochenaufbau konnte aber in der Studie nicht festgestellt werden (12).
Doch da Kieselsäure und Silicium auch in grösseren Mengen nicht schädlich sind, wird eine Silicium reiche Ernährung für sinnvoll angesehen (13).

Lithium

Als sogenanntes Ultraspurenelement findet sich Lithium im menschlichen Körper nur in sehr geringen Mengen. Der Tagesbedarf an Lithium ist bislang nicht genau bekannt. Nach Schätzungen werden täglich zwischen 0,6 mg bis 3 mg massgeblich über das Trinkwasser aufgenommen. Interessant: Hohe Lithiumgehalte im Wasser senkten die Selbstmordrate bei Depressionen, wie eine Wiener Studie aus dem Jahr 2011 belegte. So scheint bereits eine Lithiummenge weit unter der therapeutisch verwendeten Dosis einen Effekt auf die psychische Gesundheit zu haben (14). Eindrücklich gestaltet sich auch die aktuelle Forschung zum Zusammenhang zur Alzheimer-Krankheit. Nach Ergebnissen einer dänischen statistischen Regressionsanalyse erkrankten Bewohner im Alter seltener an einer Demenz, wenn das Trinkwasser einen hohen Lithiumgehalt aufwies (15). Dazu existiert auch eine kleine Interventionsstudie bei Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und Gedächtnisstörungen. Probanden erhielten eine Dosis von 150 µg bis 600 µg Lithium pro Tag. Bei der plazebokontrollierten Studie war nach 12 Monaten ein leichter Rückgang der Konzentration von P-tau im Liquor zu verzeichnen. Zudem ergaben sich verbesserte Ergebnisse im ADAS-Cog-Test (16).
Wir müssen nicht zu den «Brunnenkuren» voriger Jahrhunderte zurückkehren, doch der gezielte Einsatz von Wässern als Form der Prophylaxe oder einer niederschwelligen, synergistisch wirksamen Therapie kann im Rahmen diätetischer Interventionen auf der Basis von soliden Daten Anwendung finden.

Diana Studerus, MSc

– GastroZentrum Hirslanden, Witellikerstrasse 40, 8008 Zürich
– Zöliakie Zentrum am GastroZentrum Hirslanden, Zürich
– Ernährungstherapie Basel, Klosterberg 11, 4051 Basel

diana@foodonrecord.com

Die Autorin hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Ein Mineralwasser mit hohem Mineralisierungsgrad (Calcium, Magnesium) sowie ausreichend Hydrogencarbonat und Silicium leistet einen sinnvollen Beitrag in der Osteoporoseprophylaxe
  • Bei Bauchbeschwerden aller Art ist es empfehlenswert den Sulfatgehalt des Wassers zu prüfen und ggf. therapeutisch zu nutzen.
  • Lithium und ev. Silicium scheinen nach neusten Daten von Relevanz für die Gehirngesundheit. Wasser ist hier eine effiziente Zufuhrmöglichkeit (s. Tabelle)

1. Manz, F. History of nutrition and acid-base physiology. Eur J Nutr 2001;40:189–199
2. Naumann J, Bieler D: Hydrogencarbonat in Mineralwasser und Mobilität im Alter. Ernährung & Medizin 2016; 31(03):113-119. DOI: 10.1055/s-0042-108677
3. Dawson-Hughes B, Harris SS, Palermo NJ et al. Treatment with potassium bicarbonate lowers calcium excretion and bone resorption in older men and women. J Clin Endocrinol Metab. 2009;94(1):96-102.
4. Kok J, Iestra, JA, Doorenbos et al. The effects of dietary excesses in animal protein and in sodium on the composition and the crystallization kinetics of calcium oxalate monohydrate in urines of healthy men. J Clin. Endocrinol Metab 1990;71: 861–867
5. Reddy ST, Wang CY, Sakhaee, K et al. Effect of low-carbohydrate high-protein diets on acid-base balance, stone-forming propensity, and calcium metabolism. Am J Kidney Dis. 2002;40: 265–274
6. Giannini S, Nobile M, Sartori L et al. Acute effects of moderate dietary protein restriction in patients with idiopathic hypercalciuria and calcium nephrolithiasis. Am J Clin Nutr 1999;69:267–271
7. Siener R, Jahnen A, Hesse A: Influence of a mineral water rich in calcium, magnesium and bicarbonate on urine composition and the risk of calcium oxalate crystallization. Eur J Clin Nutr 2004;58:270–276
8. Beer AM, Uebelhack R, Pohl U. Efficacy and tolerability of hydrogen carbonate-rich water for heartburn. World J Gastrointest Pathophysiol. 2016;
9. Wagner G, Schröder U, Campo dell’Orto M: Hydrogencarbonat. Sportärztezeitung 2017;01: 86-91
10. Naumann J, Sadghiani C, Alt F et al. Effects of Sulphate-Rich Mineral Water on Functional Constipation: A Double-Blind, Randomized, Placebo-Controlled Study. Forschende Komplementärmedizin 2016;23:1-8
11. Rodella LF, Bonazza V, Labanca M et al. A review of the effects of dietary silicon intake on bone homeostasis and Regeneration. J Nutr Health Aging. 2014 Nov;18(9):820-6
12. Kim MH, Bae YJ, Choi MK et al. Silicon supplementation improves the bone mineral density of calcium-deficient ovariectomized rats by reducing bone resorption. Biol Trace Elem Res. 2009 Jun
13. Naumann J, Prävention mit Silizium aus Nahrung, Wasser und Supplementen: ein qualitativer Review. Aktuel Ernährungsmed 2015;40:1-5
14. Kapusta ND et al. Lithium in drinking water and suicide mortality. Br J Psychiatry. 2011;198(5):346-50.
15. Kessing LV et al. Association of Lithium in Drinking Water With the Incidence of Dementia. JAMA Psychiatry. 2017;74(10):1005–1010.
16. Forlenza O et al. Disease-modifying properties of long-term lithium treatment for amnestic mild cognitive impairment: randomised controlled trial. Br J Psychiatry 2011; 198: 351–6

Spektrum der Polyneuropathien

Polyneuropathien (PNP) als generalisierte Erkrankung des peripheren Nervensystems, oft mit autonomer Beteiligung, sind häufige Erkrankungen mit vielfältigen möglichen Ätiologien und potentiell schwerwiegenden Auswirkungen für die Betroffenen. Eine akut verlaufende PNP ist ein neurologisch-medizinischer Notfall. In diesem Artikel werden die häufigsten Formen im Kontext von Pathophysiologie, Klinik, Diagnostik und Therapie dargestellt.

Das häufigste klinische Bild ist die distale symmetrische, oft mit einer sensiblen Symptomatik beginnende Polyneuropathie. Die Erkrankung führt zu einem neuronalen, axonalen Verlust. Hierbei ist der distale Befall dadurch zu erklären, dass sich die Schädigung stärker auswirkt, je länger die betroffenen Nervenfasern sind. In den letzten Jahren sind auch Polyneuropathien der kleinen, nicht-myelinisierten Nervenfasern (Kleinfaserneuropathie) stärker in den Fokus geraten, welche ebenfalls sehr häufig vorkommen und der typischen elektroneurographischen Untersuchung (wie bei der Grossfaserneuropathie) entgehen (1). Seltenere Verteilungen sind der Multiplex-Typ und die Schwerpunktneuropathie. Besonders die immunvermittelten demyelinisierenden Neuropathien können aufgrund einer Polyradikuloneuropathie auch einen proximalen Befall haben. Die kürzlich überarbeiteten Leitlinien der DGN werden für eine weiter vertiefende Lektüre empfohlen (2).

Ursachen und Pathophysiologie

Ein gleichartiges, klinisches Bild bei der PNP kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. Weiterhin als häufigste Ätiologien sind im metabolisch-toxischen Bereich einerseits Diabetes mellitus oder eine pathologische Glukosetoleranz zu nennen. Schädigungen des peripheren Nervensystems können zeitlich deutlich vor anderen Organschäden auftreten. Zum anderen geht man weiterhin davon aus, dass eine alkoholtoxische PNP die wahrscheinlich zweithäufigste Ursache darstellt. Problematisch ist hier das Fehlen von «Grenzwerten» im Konsumverhalten, da auch hier die neurotoxische Vulnerabilität sehr unterschiedlich sein kann.
Polyneuropathien können klinisch isoliert oder im Zusammenhang mit anderen systemisch relevanten Erkrankungen und Zustandsbildern auftreten und umfassen prinzipiell sämtliche Bereiche der Ätiologien von medizinisch-neurologischen Erkrankungen (u.a. metabolisch-toxisch, entzündlich erregerbedingt oder autoimmun, darunter auch vaskulitisch, antikörperassoziiert, genetisch-hereditär (mit regelhaft auch späten Manifestationen), sowie paraneoplastisch). Eine genaue Anamnese und eine umfassende klinische Beurteilung sind daher im Management von Polyneuropathien unerlässlich.
Eine elektrophysiologische Abklärung erfolgt, um eine axonale von einer demyelinisierenden Pathologie abzugrenzen und eine Aussage über die Akutheit des Verlaufs zu treffen und schliesslich auch die Diagnose in Abgrenzung zu weiteren Differenzialdiagnosen zu sichern. Hierbei ist es bedeutsam zu wissen, dass auch bei einer axonalen Schädigung durch die Schädigung der schnell leitenden Axone die Nervenleitgeschwindigkeit frühzeitig abnehmen kann. Auch bei einer demyelinisierenden Ätiologie kommt es in typischer Weise zu Amplitudenreduktionen. Schliesslich führen viele der häufigeren Polyneuropathie-Ursachen sowohl zu einer axonalen als auch zu einer demyelinisierenden Schädigung. Besonders relevant ist die Feststellung einer rasch progredient verlaufenden axonalen Polyneuropathie. Die frühzeitige Diagnosestellung einer autoimmun-bedingten Neuropathie vom Typ der polyradikulärer Neuropathie ist therapeutisch hoch relevant (Tab. 1.).

Diagnostische Abläufe

In der Anamnese wird besonders nach sensiblen und motorischen Reiz- und/oder Ausfallsymptomen, sowie neuropathischen Schmerzen und autonomen Störungen gefragt. Das Ausmass der Störung auf die Alltagsfunktion wird evaluiert, etwa mit Hinblick auf Gehbehinderung oder Störungen im Arm-Handgebrauch. Fussdeformitäten oder dünne Unterschenkelmuskeln können ebenso wie eine positive Familienanamnese auf eine hereditäre Neuropathie hinweisen. Frühzeitig sollte man sich ein Bild über den Verlauf, beziehungsweise die bereits bestehende Dauer der Beschwerden (akut, subakut, chronisch) machen. Häufig sind in der Anamnese auch andere Grund- und Begleiterkrankungen, welche ein Risiko für eine Polyneuropathie-Entwicklung darstellen, zu erfragen, oder diese sind bereits in der Krankengeschichte bekannt. Auch Noxen und Medikamente als Ursache für eine toxische Polyneuropathie müssen strukturiert erfasst werden. Bei der klinischen Untersuchung achtet man je nach Verteilungstyp der Polyneuropathie auf schlaffe beziehungsweise atrophe Paresen mit distaler Betonung, sowie häufig bestehender socken- oder handschuhförmige Sensibilitätsstörung, wobei alle sensiblen Qualitäten untersucht werden (beispielsweise pathologische Befunde als Hypästhesie, Pallhypästhesie, Thermhypästhesie, Lagesinn- Empfindungsstörung). Auch eine sensible Ataxie ist häufig vorliegend.
Die klinische Elektrophysiologie umfasst in der motorischen Neurographie die Untersuchung von Arm- und Beinnerven (z.B. N. peronaeus, N. tibialis, N. ulnaris). Auch F-Wellen Bestimmungen sind bei besonders demyelinisierender oder proximaler Läsion aussagekräftig. In der sensiblen Neurografie wird am Bein häufig der Nervus suralis untersucht, am Arm der Nervus ulnaris. In einer EMG-Untersuchung, am häufigsten des Musculus tibialis anterior, wird nach pathologischer Spontanaktivität in Form von vor allen Dingen positiven scharfen Wellen und Fibrillationen (als Hinweis auf einen meist rascher einsetzenden axonalen Schaden) gesucht, sowie die Muskelsummenpotenzials mit Hinblick auf Zeichen eines neurogenen Umbaus untersucht. Überhöhte Potenziale sprechen für ältere Umbauprozesse, eine erhöhte Polyphasierate bei normalen Amplituden ist bei subakuten neurogenen Umbauprozessen festzustellen, Hinweise auf Reinnervation können zusätzlich auch sogenannte Satelliten-Potenziale liefern.

Laboruntersuchungen stellen einen wichtigen Eckpfeiler in der Abklärung von Polyneuropathien dar. Neben einem umfassenden Basis-Labor wird die Anforderung von zusätzlichen Parametern in Abhängigkeit von bestimmten Fragestellungen und Konstellationen vorgenommen. Eine Übersicht findet sich in Tabelle 2.
Eine Liquoruntersuchung gehört nicht zur vorgeschriebenen Routineuntersuchung bei der Polyneuropathie, sofern die Diagnose mit anderen Schritten gestellt werden kann. Eine Liquoruntersuchung ist indiziert bei Verdacht auf erregerbedingte entzündliche, autoimmune oder paraneoplastische Ätiologie der Polyneuropathie.
Die erweiterte Diagnostik umfasst Abklärungsschritte je nach Einzelfall. Eine Hautbiopsie als Stanzbiopsie kann intradermale, nicht-myelinisierte Nervenfasern quantifizieren und ein wichtiger diagnostischer Hinweis auf eine Small Fiber-Polyneuropathie sein (3). Nicht für alle Körperregionen gibt es jedoch hinterlegte Normalwerte. Die Auswertung erfolgt in einem ausgewiesenen Speziallabor. Auch eine strukturierte, quantitative Sensibilitätstestung kann hilfreich sein. Eine Nervenbiopsie, am häufigsten des Nervus suralis, wird heute weniger häufig indiziert und hat einen besonderen Stellenwert bei Vaskulitis-Verdacht, wenn mit anderen Methoden keine Diagnosestellung erfolgen konnte, wobei dann auch eine kombinierte Nerv-Muskelbiopsie erwogen werden sollte. Umfassendere endoskopische Abklärungen sowie Schnittbild-Verfahren kommen beim Verdacht auf paraneoplastische Genese zur Anwendung. Bildgebende Verfahren der Neurone (Nervenultraschall, evtl. MRI) können Zusatzinformationen liefern.

Praktische Hinweise

Eine Polyneuropathie mit rasch einsetzenden Paresen oder starken Schmerzen erfordert notfallmässige Abklärungen, da eine drohende axonale Schädigung beispielsweise bei Vaskulitis oder eine immunogene Polyradikuloneuropathie sofortige therapeutische Massnahmen nach sich ziehen muss. Auch spinale Prozesse (Myelitis, kompressive Erkrankungen wie zervikale Myelopathie sowie metabolische Störungen wie funikuläre Myelose) oder polyradikuläre Schädigungen (enger lumbaler Spinalkanal) sind wichtige Differentialdiagnosen. Typische Zeichen einer Schädigung des ersten Motoneurons können bei zentralen Differentialdiagnosen zudem in der Akutphase fehlen.
Die Laborabklärungen zielen zunächst auf häufige und behandelbare Ursachen von Polyneuropathien ab und werden bei negativen Befunden im Kontext von Klinik und Elektrophysiologie ausgeweitet. Bei häufigen Ursachen von Polyneuropathie muss auch an die Möglichkeit einer Kombination mehrerer Ätiologien gedacht werden, sodass in jedem Fall eine Basisdiagnostik angezeigt ist (beispielsweise Diabetes mellitus und Vitamin-B12-Mangel).
Eine pathologische Glucose-Toleranz kann bereits vor der eigentlichen Diabetesdiagnose zu einer Polyneuropathie führen, mit entsprechend strengeren Kriterien für eine Therapie. Umgekehrt kann leider die Persistenz von im Zusammenhang mit dem Glucose-Stoffwechsel stehenden PNP-Beschwerden trotz Verbesserung der diabetischen Stoffwechsellage nicht gegen diesen ätiologischen Zusammenhang sprechen.
Leider sprechen bei weitem nicht alle Patienten mit einer chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP) auf die Standardtherapie mit Steroiden, Immunglobulin, gegebenenfalls Plasmapherese an. Diagnostisch sollten in diesen Fällen spezifische Antikörper bestimmt werden (Tab. 2.). Bei Antikörperpositivität kann eine Behandlung mit Rituximab vielversprechend sein (2).
Eine PNP als Nebenbefund im höheren Lebensalter kann in der allgemeinmedizinischen oder internistischen Praxis eine häufige klinische Situation darstellen (2). Eine neurophysiologische Diagnostik kann hier im Zusammenhang mit der klinischen Evaluation hilfreich sein, um das Ausmass der Schädigung und die mögliche Bedeutung im Einzelfall festzulegen. Laborbezogene Abklärungen sind in jedem Fall sinnvoll, um die häufigsten und kausal behandelbaren Ursachen abzuklären. Um eine rasche Progredienz nicht zu übersehen, ist eine Nachkontrolle nach 4-6 Monaten je nach Verlauf sinnvoll.
Trotz umfassenden Abklärungen bleiben ca. 25-30% der Ätiologien unklar. Eine langsam verlaufende axonale Polyneuropathie macht ca. 25% aller Polyneuropathien aus und wird als idiopathische axonale Polyneuropathie bezeichnet (2).

Therapie

Im Idealfall kann als Folge von Abklärungen eine kausale Therapie einer bestimmten Polyneuropathie-Ursache erfolgen. Dies kann beispielsweise eine Diabetes-Therapie (aus der Kenntnis einer individuell besonderen Vulnerabilität muss bei pathologischer Glukosetoleranz bereits eine frühzeitige Therapieindikation abgeleitet werden), Vitamin-B12-Substitution oder Behandlung einer Schilddrüsenfunktionsstörung umfassen. Eine Immuntherapie ist bei Polyneuropathie im Rahmen einer inflammatorischen PNP oder einer autoimmun-entzündlichen Systemerkrankung erforderlich. Weitere Behandlungen richten sich nach der festgestellten Ursache (Infektionen wie Borreliose, Hepatitiden; Behandlung einer Gammopathien, usw.).
Zusätzlich zur Standardtherapie bei CIDP müssen häufig Immunsuppressiva zum Einsatz kommen. Leider gibt es für keines der heute am häufigsten angewendeten Therapeutika eine Klasse I Evidenz. Zum Einsatz kommen unter anderem Rituximab, Mycophenolat-Mofetil, Azathioprin (4).
Sehr häufig kommen bei PNP symptomatisch ausgerichtete Therapien, insbesondere bei polyneuropathischen Schmerzen, zum Einsatz. Therapeutika umfassen trizyklische Antidepressiva, Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregabalin, Carbamazepin, Opioid-Analgetika. Auch topische Therapien mit Lidocain oder Capsaicin oder eine Behandlung von Crampi (Antiepileptika oder Baclofen) kommen zum Einsatz. Physiotherapie und Ergotherapie sind zur Verbesserung der Mobilität und der manuellen Funktionen in einem ambulanten oder ggf. auch stationären Rahmen angezeigt.

Dr. med. Sylvan J. Albert, MSc

Leiter Neurologie
Kantonsspital Graubünden
7000 Chur

sylvan.albert@ksgr.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Der häufigste Verteilungstyp einer Polyneuropathie (PNP) ist die distal symmetrische sensomotorische PNP, welche meist mit sensiblen Symptomen beginnt
  • Aufgrund von potentiell gravierenden Auswirkungen für die Betroffenen auf die Körperfunktionen, Mobilität und Alltagsfunktionen ist eine Evaluation mit der Fahndung nach kausal behandelbaren Krankheitsursachen ebenso wie ggf. die Anwendung von symptomlindernden Therapieverfahren angezeigt
  • Wegen der Möglichkeit von multifaktoriellen Ursachen empfiehlt sich im Rahmen der Erstabklärung eine vollständige Durchführung einer Basisuntersuchung meist inklusive Elektrophysiologie. Weitere Spezialabklärungen kommen je nach individueller Konstellation zur Anwendung. Um die Dynamik einer Erkrankung zu ermitteln, können klinische und elektrophysiologische Folgeuntersuchungen sinnvoll sein.

1. de Greef BTA, Hoeijmakers JGJ, Gorissen-Brouwers CML, Geerts M, Faber CG, Merkies ISJ. Associated conditions in small fiber neuropathy – a large cohort study and review of the literature. European journal of neurology 2018;25:348-355.
2. Heuss D et al. Diagnostik bei Polyneuropathien. in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie 2019:1-64.
3. Sommer C. Nerve and skin biopsy in neuropathies. Current opinion in neurology 2018;31:534-540.
4. Mahdi-Rogers M, Brassington R, Gunn AA, van Doorn PA, Hughes RA. Immunomodulatory treatment other than corticosteroids, immunoglobulin and plasma exchange for chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy. The Cochrane database of systematic reviews 2017;5:Cd003280.
5. Wunderlich G. Polyneuropathien. In: SOPs Neurologie (Herausgeber GR Fink, R Gold, P Berlit), Thieme Verlag 2018:361-365.
6. McCoy SS, Baer AN. Neurological Complications of Sjogren’s Syndrome: Diagnosis and Management. Current treatment options in rheumatology 2017;3:275-288.
7. Rison RA, Beydoun SR. Paraproteinemic neuropathy: a practical review. BMC neurology 2016;16:13.
8. Rossor AM, Tomaselli PJ, Reilly MM. Recent advances in the genetic neuropathies. Current opinion in neurology 2016;29:537-548.

Höhenaufenthalte bei Herzerkrankungen

Heutzutage reisen auch Patienten mit Herzerkrankungen in grosser Zahl in hochgelegene Regionen. Nicht zuletzt aufgrund der eingeschränkten Datenlage besteht dabei aber nach wie vor eine gewisse Unsicherheit. Im Folgenden soll daher ein kurzer Überblick über kardiale Reaktionen auf Hypoxie und die aktuelle Datenlage zu Höhenaufenthalten bei Herzpatienten gegeben werden, sowie darauf basierend Empfehlungen für einen sicheren Höhenaufenthalt dieser Patienten.

Reisen in hochgelegene Regionen werden immer beliebter. Dank moderner Infrastruktur ist dies heute auch problemlos und ohne grosse Anstrengung möglich. Schätzungen zufolge suchen jährlich etwa 100 Millionen Menschen Höhenregionen über 2500 m auf. Darunter befinden sich zahlreiche Personen mit bekannten oder auch unbekannten Herzerkrankungen.
Während Höhenaufenthalte beim Gesunden in aller Regel gut toleriert werden, kann die in der Höhe durch Hypoxie gesteigerte kardiale Beanspruchung beim Herzpatienten aber zu Problemen führen. Um Zwischenfälle zu vermeiden ist es zum einen notwendig, die physiologischen Prozesse bei Aufenthalten in der Höhe zu verstehen und zum anderen auch die Besonderheiten kardialer Erkrankungen unter diesen Bedingungen zu kennen.

Physiologische Reaktionen auf Hypoxie

Mit steigender Höhe sinkt der Barometerdruck, damit auch der Sauerstoff-Partialdruck (PO2) in der Einatemluft und folglich alveolärer und arterieller PO2. Aufgrund der Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins tritt ein relevanter arterieller Sättigungsabfall ab einer Höhe von etwa 3000 m auf. Unter Belastung kann dies aber schon auf niedrigeren Höhen eintreten (1). Durch eine Reihe physiologischer Vorgänge versucht der Organismus, den PO2 im Gewebe möglichst aufrecht zu erhalten. Neben ventilatorischer und hämatologischer Akklimatisation spielt das kardiovaskuläre System hier eine wesentliche Rolle (2). Da der Sauerstoffbedarf für eine gegebene Belastung unabhängig vom Umgebungs-PO2 konstant ist, muss bei niedrigerem arteriellem PO2 das Herzzeitvolumen steigen, um die gleiche Menge Sauerstoff zu transportieren (3). Im Vergleich zum Flachland bedeutet dies also einen erhöhten myokardialen Sauerstoffbedarf bei vermindertem Sauerstoffangebot. Weiter gesteigert wird der myokardiale Sauerstoffbedarf durch erhöhte Nachlast: linksventrikulär durch gesteigerte sympathische Aktivierung und rechtsventrikulär durch die hypoxische pulmonalarterielle Vasokonstriktion (4).
Die sympathische Aktivierung steigert zudem die Ruhe-Herzfrequenz. Diese bleibt trotz vollständiger Akklimatisation bei Höhenaufenthalten erhöht, was auch auf die Herzfrequenz bei submaximaler Belastung zutrifft (4,5). Die maximale Herzfrequenz nimmt dagegen mit zunehmender Höhe ab (5), die Herzfrequenz-Reserve wird daher geringer. Die maximale Sauerstoffaufnahme als Mass für die Leistungsfähigkeit geht ab einer Höhe von 1000 – 1500 m ebenfalls zurück, durchschnittlich um etwa 1% pro 100 m Höhengewinn (6).

Häufige Herzerkrankungen und Höhenexposition

Arterielle Hypertonie

Akute Hypoxie-Exposition wirkt peripher vasodilatatorisch. Dieser Effekt steht aber nur für kurze Zeit im Vordergrund. Bereits nach wenigen Stunden überwiegt die systemische, sympathisch vermittelte Vasokonstriktion und der Blutdruck steigt an und bleibt dann in der Regel für einige Tage konstant. Auf 5400 m ist bei über 50-jährigen mit einem Anstieg des Blutdrucks um gut 20 mmHg zu rechnen (7).

Koronare Herzkrankheit (KHK)

Die Sauerstoffausschöpfung am Herzen ist bereits im Flachland sehr hoch, weswegen bei vermindertem arteriellem PO2 der zusätzliche Bedarf nur durch eine Zunahme der myokardialen Perfusion gedeckt werden kann. Bei gesunden Koronarien erfolgt dies in der Höhe durch eine hypoxisch bedingte Vasodilatation (8). Bis auf Höhen von 8000 m sind im EKG bei gesunden keine Zeichen einer myokardialen Minderperfusion zu sehen (9). Atherosklerotisch veränderte Koronarien weisen aber eine endotheliale Dysfunktion auf, weshalb die hypoxische Vasodilatation hier ausbleibt oder es gar paradoxerweise zu einer Vasokonstriktion kommen kann (9). Ein erhöhtes Risiko für eine myokardiale Minderperfusion und den damit einher gehenden Komplikationen wäre daher plausibel. Auf der anderen Seite zeigt die Datenlage selbst bei akuter Exposition auf Höhen bis 3500 – 4200 m bei Patienten mit stabiler KHK wenig Evidenz für klinisch relevante höhenbedingte myokardiale Ischämien (5, 6, 10). Levine et al. (11) zeigten aber bei akuter Höhenexposition auf 2500 m eine etwas geringere Belastungstoleranz als im Flachland, die aber bereits nach 5 Tagen Akklimatisation in der Höhe wieder auf das Flachland-Niveau anstieg.
Zur Häufigkeit kardialer Ereignisse in der Höhe bei KHK-Patienten gibt es kaum belastbare Daten. Eine Studie zum plötzlichen Herztod bei Wanderern und Skifahrern ergab ein erhöhtes Risiko nur bei Männern, die Belastung nicht gewohnt waren, einer Patientengruppe die bereits im Flachland ein deutlich erhöhtes Risiko für kardiale Zwischenfälle aufweist (12). Ob die höhenbedingte Hypoxie per se hierzu beiträgt und wenn ja, welchen Anteil sie daran hat, kann aber auch in dieser Studie nicht ausreichend beurteilt werden. Die Häufigkeit akuter myokardialer Ischämien zeigte in einem Kollektiv von durchschnittlich 70-jährigen (KHK Prävalenz 20%) keine klinisch relevanten Ereignisse (13). Bei guter oder nur leicht eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion nach Revaskularisierung traten auch bei maximaler Belastung auf 3454 m Höhe keine kardialen Ereignisse auf (6).

Herzinsuffizienz

Zu Patienten mit Herzinsuffizienz in der Höhe ist die Datenlage noch dünner. Patienten mit Herzinsuffizienz weisen primär schon eine erhöhte sympathische Aktivität auf, die bei Höhenaufenthalten noch weiter gesteigert wird. Die erhöhte Herzfrequenz macht die Herzarbeit ineffektiver, die Wahrscheinlichkeit für Arrhythmien und Ischämien steigt. Auf der anderen Seite zeigen kurzzeitige Aufenthalte auf 3000-3500 m eine erstaunlich gute Höhentoleranz solcher Patienten (klinisch NYHA Klasse II-III). Zwar war der höhenbedingte Rückgang der maximalen Sauerstoffaufnahme umso grösser, je stärker schon die Einschränkung im Flachland war (Flachland vs. 3000 m –10% (EF 39±6%, normale VO2,max) vs. –30% (EF 39±6%, reduzierte VO2,max)), dennoch zeigte sich klinisch keine Angina pectoris Symptomatik und im EKG traten keine Arrhythmien oder Ischämiezeichen auf (14). In einer anderen Studie konnte zudem bei NYHA II Patienten auf 3454 m keine echokardiographisch fassbare Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion gesehen werden (15).

Empfehlungen

Allgemeine Empfehlungen

Hochgebirgsregionen bieten neben der Hypoxie eine Reihe weiterer Besonderheiten, die in Tabelle 1 dargestellt sind. Wenn Patienten dorthin reisen, sollten sie gut über Erkrankung und Therapie informiert sein, damit sie im Notfall erforderliche Therapieanpassungen selbst vornehmen können. Grundsätzlich gilt für alle kardialen Patienten, dass die medikamentöse Einstellung vor einem Höhenaufenthalt bereits im Flachland optimiert werden sollte. Ist dies nicht der Fall oder befindet sich der Patient in einer instabilen Krankheitsphase, ist von Höhenaufenthalten abzuraten (weitere Restriktionen sind in Tab. 2 zusammengefasst). Zur Medikation kardialer Patienten ist anzumerken, dass kardioselektive ß-Blocker vorgezogen werden sollten. Denn nicht-kardioselektive ß-Blocker vermindern die Ventilation unter Belastung, was in der Höhe zu einem verstärkten Sättigungsabfall führen kann (16). Möglicherweise ist hier ein grosszügigerer Einsatz von Acetazolamid (Diamox®) von Vorteil (14), ein schwaches Diuretikum (Carboanhydrasehemmer), das wegen seiner ventilationssteigernden Wirkung von vielen Bergsteigern zur Prophylaxe der Bergkrankheit eingenommen wird. Grundsätzlich sollten Herzpatienten immer die allgemeinen Aufstiegsprinzipien beachten, insbesondere eine Aufstiegsgeschwindigkeit von 300-350 m pro Tag nicht überschreiten (17). Sinnvolle Voruntersuchungen im Rahmen von geplanten Höhenaufenthalten bei Herzpatienten sind in Tabelle 3 dargestellt.

Körperliche Belastung in der Höhe

Körperliche Belastungen werden in der Höhe normalerweise gut toleriert. Personen, die im Flachland nicht schon regelmässig körperlich aktiv sind, sollten damit aber nicht in der Höhe beginnen. Sind körperliche Aktivitäten in der Höhe geplant, kann die Leistungsfähigkeit in der Höhe durch einen Belastungstest im Flachland recht gut abgeschätzt werden (2). Bei Herzinsuffizienz mit eingeschränkter maximaler Sauerstoffaufnahme ist dabei der überproportionale Rückgang der Leistungsfähigkeit mit einzukalkulieren (14). Gegebenenfalls ist ein entsprechendes Training im Vorfeld ratsam. Zur Belastungssteuerung eignet sich auch in der Höhe sehr gut die Herzfrequenz, die aus dem Belastungs-EKG im Flachland ermittelt werden kann.

Arterielle Hypertonie

Patienten welche ausschliesslich eine arterielle Hypertonie haben, die im Flachland gut eingestellt ist, brauchen bei normalen Ferienaufenthalten keine besonderen Massnahmen einzuhalten. Der Blutdruck wird etwas ansteigen (7), was aber für einen kurzzeitigen Aufenthalt in aller Regel unproblematisch ist. Bei längeren Aufenthalten kann dagegen eine Anpassung der Blutdrucktherapie erforderlich und sinnvoll sein. Ein besonderes Augenmerk gilt den Diuretika. In grosser Höhe aufgrund erhöhter körperlicher Aktivität, niedriger Luftfeuchtigkeit und gesteigerter Atmung ist das Risiko einer Dehydrierung erhöht. Diuretika können diesen Zustand weiter verschlimmern und das Risiko einer Hypokaliämie erhöhen und sollten daher nicht Bestandteil der Bedarfsmedikation für Höhenaufenthalte bei Hypertonikern sein.

Koronare Herzerkrankung

Bei koronarer Herzerkrankung sollte eine direkte Anreise auf Höhen von 3000 m oder höher möglichst vermieden werden. In den ersten Tagen eines Höhenaufenthaltes sollten zudem körperliche Anstrengungen unterbleiben, da in der Akklimatisationsphase die Ischämieschwelle etwas gesenkt, das Risiko also umgekehrt erhöht ist. Personen mit niedrigem Risiko (CCS 0-I) können so relativ sicher bis 4200 m aufsteigen und dort auch leichte bis mittlere Aktivitäten ausüben. Intensive körperliche Anstrengungen sollten unterbleiben (5). Bei moderatem Risiko (CCS II-III) scheinen Höhen bis 2500 m ebenfalls sicher, wenn dort nur leichte körperliche Aktivitäten unternommen werden (11). Höhen über 4500 m sind schon in Ruhe mit einer ausgeprägten Hypoxämie verbunden und sollten bei KHK daher grundsätzlich gemieden werden.

Herzinsuffizienz

Herzinsuffizienz-Patienten im klinischen Stadium NYHA I-II können ohne grosses Risiko bis 3500 m aufsteigen, sollten aber hier auch nur leichte bis moderate Aktivitäten ausüben (14). Im klinischen Stadium NYHA III sind Höhen bis 3000 m bei leichter körperlicher Aktivität möglich (15).

Arrhythmien

Arrhythmien in Form von singulären ventrikulären oder supraventrikulären Extrasystolen sind vor allem in der Akklimatisationsphase in der Höhe deutlich häufiger als im Flachland. Dieses Phänomen scheint aber benigner Natur zu sein (18). Patienten, die aber bereits im Flachland komplexe oder höhergradige Rhythmusstörungen aufweisen, haben aus physiologischer Überlegung durchaus ein Risiko für Rhythmusereignisse und sollten daher nicht in die Höhe gehen. Daten hierzu gibt es allerdings nicht. Anhaltspunkte für Schrittmacher- oder ICD-Fehlfunktionen allein bedingt durch Höhe gibt es nicht (19).

Pulmonale Hypertonie und Klappenvitien

Bei Patienten mit pulmonaler Hypertonie können schon Höhen ab etwa 1500 m zu einer Verschlechterung der Symptomatik führen. Patienten mit pulmonaler Hypertonie sollten daher vom Spezialisten im Vorfeld eines gewünschten Höhenaufenthalts beurteilt werden. Im Einzelfall kann eine Bestimmung des pulmonalarteriellen Drucks unter (simulierten) Höhenbedingungen (z. B. echokardiographisch) sinnvoll sein.
Ein direkter Einfluss der höhenbedingten Hypoxie auf Klappenvitien besteht nicht, bei «Klappenpatienten» ist daher immer die allgemeine kardiale Funktion für die Höhentauglichkeit entscheidend. In der Regel haben leicht- bis mittelgradige Klappenvitien daher keinen Einfluss auf die Höhentauglichkeit. Eine höhergradige Aortenstenose kann aber bei höhenbedingter Dehydratation durchaus zu einer Verschlechterung der Symptomatik aufgrund der reduzierten Nachlast führen.
Abschliessend sollte noch erwähnt werden, dass neben den kardiologischen Problemen immer auch akute höhenbedingte Erkrankungen (akute Bergkrankheit, Höhenlungen- und Höhenhirnödem) auftreten können, deren Symptome und Therapie daher bekannt sein sollten. Einen sehr guten Überblick hierüber gibt der Übersichtsartikel von Luks et al. (17).

PD Dr. med. Christoph Dehnert

Allgemeine Innere Medizin und Kardiologie (FMH)
Medbase Sports Medical Center
Löwenstrasse 29,
8001 Zürich

christoph.dehnert@medbase.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikt deklariert.

  • Stabiler Krankheitsverlauf und gute medikamentöse Einstellung sind Grundvoraussetzungen für einen Aufenthalt in grosser Höhe.
  • Kein Höhenaufenthalt bei instabilem Krankheitsverlauf oder kurz nach einer Komplikation.
  • Höhen von 2500-3000 m werden von im Flachland stabilen Patienten (KHK, Herzinsuffizienz) in der Regel komplikationslos toleriert. Leistungsfähigere Patienten (CCS 0-I bzw. NYHA I-II) tolerieren grössere Höhen (4200 m bzw. 3500 m).
  • Inaktive Patienten sollten körperliche Aktivitäten auch in der Höhe vermeiden. Wer im Flachland aktiv ist, kann dies auch in der Höhe sein.
  • Intensive Belastungen in der Höhe sowie Höhen über 4500 m sollten Herzpatienten grundsätzlich meiden.

1. Burtscher M, Bachmann O, Hatzl T, Hotter B, Likar R, Philadelphy M, Nachbauer W. Cardiopulmonary and metabolic responses in healthy elderly humans during a 1-week hiking programme at high altitude. Eur J Appl Physiol. 2001;84(5):379-386.
2. Bärtsch P, Gibbs JS. Effects of altitude on the heart and the lungs. Circulation 2007;116:2191–2202.
3. Lundby C, Calbet JA, Sander M, van Hall G, Mazzeo RS, Stray-Gundersen J, Stager JM, Chapman RF, Saltin B, Levine BD. Exercise economy does not change after acclimatization to moderate to very high altitude. Scand J Med Sci Sports. 2007 Jun;17(3):281-291.
4. Hansen J, Sander M. Sympathetic neural overactivity in healthy humans after prolonged exposure to hypobaric hypoxia. J Physiol. 2003;546:921-929.
5. De Vries ST, Komdeur P, Aalbersberg S, van Enst GC, Breeman A, van’t Hof AW. Effects of altitude on exercise level and heart rate in patients with coronary artery disease and healthy controls. Neth Heart J 2010;18:118–121.
6. Schmid J-P, Noveanu M, Gaillet R, Hellige G, Wahl A, Saner H. Safety and exercise tolerance of acute high altitude exposure (3454 m) among patients with coronary artery disease. Heart 2006;92:921–925.
7. Parati G, Bilo G, Faini A, Bilo B, Revera M, Giuliano A, Lombardi C, Caldara G, Gregorini F, Styczkiewicz K, Zambon A, Piperno A, Modesti PA, Agostoni P, Mancia G. Changes in 24 h ambulatory blood pressure and effects of angiotensin II receptor blockade during acute and prolonged high-altitude exposure: a randomized clinical trial. Eur Heart J 2014;35:3113–3122.
8. Kaufmann PA, Schirlo C, Pavlicek V, Berthold T, Burger C, von Schulthess GK, Koller EA, Buck A. Increased myocardial blood flow during acute exposure to simulated altitudes. J Nucl Cardiol. 2001 Mar-Apr;8(2):158-164.
9. Wyss CA, Koepfli P, Fretz G, Seebauer M, Schirlo C, Kaufman PA. Influence of altitude exposure on coronary flow reserve. Circulation 2003;108:1202–1207.
10. de Vries ST, Kleijn SA, van’t Hof AWJ, Snaak H, van Enst GC, Kamp O, Breeman A. Impact of high altitude on echocardiographically determined cardiac morphology and function in patients with coronary artery disease and healthy controls. Eur J Echocardiogr 2010;11:446–450.
11. Levine BD, Zuckerman JH, deFilippi CR. Effect of high-altitude exposure in the elderly: the Tenth Mountain Division study. Circulation. 1997;96(4):1224-1232.
12. Burtscher M, Philadelphy M, Likar R. Sudden cardiac death during mountain hiking and downhill skiing. N Engl J Med. 1993;329(23):1738-1739.
13. Roach RC, Houston CS, Honigman B, Nicholas RA, Yaron M, Grissom CK, Alexander JK, Hultgren HN. How well do older persons tolerate moderate altitude? West J Med. 1995;162(1):32-36.
14. Agostoni P, Cattadori G, Guazzi M, Bussotti M, Conca C, Lomanto M, Marenzi G, Guazzi MD. Effects of simulated altitude-induced hypoxia on exercise capacity in patients with chronic heart failure. Am J Med 2000;109:450–455.
15. Schmid J, Nobel D, Brugger N, Novak J, Palau P, Trepp A, Wilhelm M, Saner H. Short-term high altitude exposure at 3454 m is well tolerated in patients with stable heart failure. Eur J Heart Fail 2015;17:182–186.
16. Valentini M, Revera M, Bilo G, Caldara G, Savia G, Styczkiewicz K, Parati S, Gregorini F, Faini A, Branzi G, Malfatto G, Magrì D, Agostoni P, Parati G. Effects of beta-blockade on exercise performance at high altitude: a randomized, placebo-controlled trial comparing the efficacy of nebivolol versus carvedilol in healthy subjects. Cardiovasc Ther 2012;30:240–248.
17. Luks AM, Swenson ER, Bärtsch P. Acute high-altitude sickness. Eur Respir Rev. 2017;26(143).
18. Kujaník S, Snincák M, Vokál J, Podracký J, Koval J. Periodicity of arrhythmias in healthy elderly men at the moderate altitude. Physiol Res 2000;49:285–287.
19. Weilenmann D, Duru F, Schönbeck M, Schenk B, Zwicky P, Russi EW, Candinas R. Influence of acute exposure to high altitude and hypoxemia on ventricular stimulation thresholds in pacemaker patients. Pacing Clin Electrophysiol 2000;23:512–515.

Nausea und Erbrechen

Entwicklungsgeschichtlich gelten Nausea und Erbrechen als wichtige Reflexe, welche verhindern, dass Menschen giftige Substanzen zu sich nehmen oder aber nach Aufnahme diese möglichst schnell wieder ausscheiden. Nausea geht dem
eigentlichen Erbrechen in der Regel voraus und beschreibt das Empfinden dringend erbrechen zu müssen. Dieser Artikel fasst die sinnvollen differentialdiagnostischen Überlegungen und das praktische Vorgehen bei diesen Beschwerden zusammen.

Durch das Erbrechen kommt es häufig zu Stimulation des sympathischen und parasympathischen Nervensystems, was wiederum zu Symptomen wie Kaltschweissigkeit, Tachykardie, weiten Pupillen oder Hypotonie führen kann. Regurgitation sollte vom eigentlichen Erbrechen unterschieden werden. Diese ist meistens nicht mit Nausea assoziiert und häufig durch einen insuffizienten unteren Oeosphagussphinkter oder durch eine Oesophagusstenose verursacht. Unter Rumination wiederum versteht man einen retrograden Transport von Mageninhalt (üblicherweise ohne Nausea) zum Beispiel bei Patienten mit psychosomatischen Störungen. Ruktation (Görpsen) und Singultus (Schluckauf) sind Formen von Luftaufstossen (Tab. 1).

Die Differentialdiagnose von Nausea und Erbrechen findet sich in Tabelle 2. Gesteigerter Hirndruck durch Tumore, Blutungen oder Obstruktion des Liquorflusses erzeugen ein schwallartiges Erbrechen, welches meist ohne Nausea auftritt. Die Reizung des Labyrinthes führt bei der Reisekrankheit, beim Morbus Menière und beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel zu Nausea und Erbrechen. Eine Magenobstruktion kann durch maligne oder peptische Ursachen bedingt sein und ebenso wie die Dünn- und Dickdarmobstruktionen (zum Beispiel als Folge von Adhäsionen, Tumoren, Volvulus, Invaginationen oder bei Morbus Crohn) zu Nausea und Erbrechen führen. Es wird geschätzt, dass 20-40% aller Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 eine diabetische Gastroparese entwickeln mit konsekutiver Nausea und Erbrechen. Eine Gastroparese kann jedoch auch nach Vagotomie, bei einem Pankreaskarzinom, sowie bei Sklerodermie und Amyloidose auftreten. Das Erbrechen bei Pankreatitis, Cholezystitis und Appendizitis erfolgt über lokale viszerale Reizung und Motilitätsstörung. Das Arteria-mesenterica-superior-Syndrom stellt ein seltenes Krankheitsbild dar, das durch postprandiales Erbrechen und Gewichtsverlust charakterisiert ist. Pathogenetisch ist es auf eine Einengung des distalen Duodenums zwischen Aorta und A. mesenterica superior zurückzuführen bedingt durch eine extrem spitzwinklig von der Aorta abgehenden A. mesenterica superior. Das Syndrom tritt vor allem bei bettlägerigen und kachektischen Patienten in Rückenlage auf, begleitet von krampfartigen Schmerzen im mittleren Oberbauch, welche sich charakteristischerweise nach Lagewechsel in die Knie-Ellenbogen-Lage bessern. Akutes Erbrechen bei Lebensmittelvergiftungen ist auf Staphylococcus aureus und Bacillus cereus zurückzuführen. Die Schwangerschaft ist die häufigste endokrine Ursache des Erbrechens. Bis zu 70% aller Frauen im ersten Trimenon leiden daran. Als Hyperemesis gravidarum wird eine schwere Verlaufsform des Erbrechens in der Schwangerschaft beschrieben, welche zu einem erheblichen Flüssigkeitsverlust und Elektrolytstörungen führen kann. Weitere metabolische Ursachen von Erbrechen sind Urämie, Ketoazidose, Nebenniereninsuffizienz sowie Störungen der Schilddrüse und der Nebenschilddrüse. Die wohl häufigste Ursache von Erbrechen sind Medikamente. Grundsätzlich können alle Medikamente Nausea und Erbrechen auslösen. Zu den häufigsten gehören Antibiotika, Antiarrhythmika, Antihypertensiva, orale Antidiabetika, Kontrazeptiva und Chemotherapeutika (besonders Cisplatin). Die abdominale Strahlentherapie führt zu einer Störung der motorischen Funktion und Bildung von Strikturen. Toxine im Blut führen zu einer Stimulation der Area postrema (zum Beispiel Alkoholintoxikation). Beim Leberversagen werden ebenfalls endogene Toxine gebildet, welche zu Erbrechen führen. Kardiale Ursachen wie akuter Myokardinfarkt insbesondere der Hinterwand und die biventrikuläre Herzinsuffizienz können zu Übelkeit und Erbrechen führen. Das postoperative Erbrechen kommt bei bis zu 25% aller Operationen vor und ist insbesondere nach Laparotomien, orthopädischen Eingriffen und bei Frauen gehäuft. Patienten mit psychiatrischen Leiden wie zum Beispiel Ess- und Angststörungen, sowie Depression berichten häufig über starke Übelkeit mit verzögerter Magenentleerung und Erbrechen (Tab. 2).

Die Differentialdiagnosen anhand des Zeitraums des Erbrechens sind in Tabelle 3, diejenigen bei Vorhandensein eines zweiten Leitsymptomes in Tabelle 4 und diejenigen anhand der Art des Erbrechens in Tabelle 5 zusammengefasst.

Abklärungsschritte bei Patienten mit Nausea und Erbrechen

Beim weiteren diagnostischen Vorgehen unterscheidet man zwischen einem akuten Auftreten von Nausea und Erbrechen (< 1 Woche) und einem chronischen Persistieren von Nausea und Erbrechen (> 1 Monat). Die Anamnese und die körperliche Untersuchung weist meistens auf die richtige zugrundeliegende Diagnose. Beim Auftreten von Alarmsymptomen wie zum Beispiel einem Alter des Patienten > 50 LJ, ungewolltem Gewichtsverlust, progressiver Dysphagie, persistierendem Erbrechen, Nachweis einer gastrointestinalen Blutung, einer positiven Familienanamnese für Magenkarzinome, einer veränderten Psyche, bei Abdominalschmerzen, fäkalem Erbrechen, Hämatochezie, Meläna und fokalen neurologischen Ausfällen sollten zwingend weiterführende Abklärungen erfolgen.
Bei der Diagnosestellung des Erbrechens wird ein dreizeitiges Vorgehen empfohlen. In einem ersten Schritt sollen primär Elektrolyte, Glukose, Nieren- und Leberwerte, Amylase (bei Schmerzen), Digitalisspiegel bei entsprechender Anamnese, sowie Urinstatus und Schwangerschaftstest bestimmt werden. Bei Verdacht auf eine intestinale Obstruktion kann eine Abdomenleeraufnahme in zwei Ebenen hilfreich sein, bei welcher man Luft-Flüssigkeitsspiegel im Dünndarm sucht. Ein Ileus zeigt sich durch diffus dilatierte und luftgefüllte Darmschlingen. In einem zweiten Schritt wird gemäss Klinik eine Abdomensonographie, Ösophago-Gastro-Duodenoskopie, Stuhlkultur, EKG, TSH und ein Röntgenthorax empfohlen. In einem dritten Schritt erfolgt die Koloskopie, CT/MRI Untersuchung (CT Abdomen bei V.a. entzündliche Krankheit, CT/MRI vom Kopf zum Ausschluss einer zentralen Ursache, CT-/MR-Enterographie zum Ausschluss eines Dünndarmprozesses), sowie Bestimmung der Urin-Toxikologie und der Porphyrine.

Prof. Dr. med. Stephan Vavricka

Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie
Vulkanplatz 8
8048 Zürich

stephan.vavricka@hin.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Bei Patienten mit Nausea und Erbrechen ist die Suche der Grunderkrankung unerlässlich und manchmal schwierig.
  • Der vorliegende Artikel soll Strategien aufzeigen, mit welchen gezielt nach der Ursache gesucht werden soll.
  • Eine der häufigsten Ursachen sind Nebenwirkung von Medikamenten und falls dies vermutet wird, soll die Notwendigkeit des Medikamentes diskutiert werden.

1. Anderson W, Strayer SM. Evaluation of nausea and vomiting in adults:
a case-based approach. American Family Physician 2013¸88: 371-379.
2. Parkman HP, Hasler WL, Fisher RS; American Gastroenterological Association. American Gastroenterological Association technical review on the diagnosis and treatment of gastroparesis. Gastroenterology. 2004;127(5):1592-1622.
3. Witt K, Mäkelä M, Olsen O. Likelihood ratios to determine ‘does this patient have appendicitis?’: comment and clarification. JAMA. 1997; 278(10):819-820.
4. Detsky ME, McDonald DR, Baerlocher MO, Tomlinson GA, McCrory DC, Booth CM. Does this patient with headache have a migraine or need neuroimaging? JAMA. 2006;296(10):1274-1283.
5. Gerhardt RT, Nelson BK, Keenan S, Kernan L, MacKersie A, Lane MS. Derivation of a clinical guideline for the assessment of nonspecific abdominal pain: the Guideline for Abdominal Pain in the ED Setting (GAPEDS) Phase 1 Study.
Am J Emerg Med. 2005;23(6):709-717.
6. Mayer AD, McMahon MJ. Biochemical identification of patients with gallstones associated with acute pancreatitis on the day of admission to hospital. Ann Surg. 1985;201(1):68-75.
7. Straumann A, Pirovino M. Nausea und Erbrechen: Allgemeiner und Spezieller Teil. Swiss Medical Forum 2001; 1 / 2: 15-125.
8. Quigley EM, Hasler WL, Parkman HP. AGA technical review on nausea and vomiting. Gastroenterology 2001; 120: 263-286.
9. Janiak P, Fried M. Differentialdiagnose Nausea und Erbrechen. Der Gastroenterologe 2007; 2: 201-211.
10. Mörk H, Scheurlen M. Leitsymptom Erbrechen. Internist 1998; 39: 1055-1061

Diabetes mellitus Typ 2 und Niereninsuffizienz

Ein 72-jähriger pensionierter Zahnarzt leidet seit mindestens 15 Jahren an einem Diabetes mellitus Typ 2 im Rahmen eines metabolischen Syndroms. Bei der Kontrolluntersuchung finden Sie eine zunehmende Niereninsuffizienz. Welche therapeutischen Überlegungen sind angebracht. Im Artikel werden begründete Vorschläge präsentiert.

Der 72-jährige Mann mit langjährigem Diabetes mellitus Typ 2 erfreute sich über Jahre an einer guten Blutzuckereinstellung mit Metformin und seit ca. 2 Jahren zusätzlich Jardiance® 10 mg pro Tag. Er hat auf beide Medikamente gut angesprochen und HbA1c-Werte von 6.5-7% erreicht. Der Patient ist sehr bestrebt, die modernste und beste Therapie zu bekommen und kommt zu Ihnen in die Hausarztpraxis zur Besprechung. Er hat sich extra selber ein kapilläres Blutzuckermessgerät gekauft und misst nun ab und zu Nüchternblutzuckerwerte, meist um die
8 mmol/l und präprandiale Werte von ca. 8-10 mmol/l.

Soll die Therapie so belassen werden?

Bei einer eingeschränkten Nierenfunktion (eGFR <30ml/min) sollten Metformin und auch der SGLT-2 Hemmer abgesetzt werden. Obwohl die Blutzucker-senkende Wirkung von SGLT-2 Hemmern mit sinkender Nierenfunktion abnimmt, bleiben die reno- und kardioprotektiven Eigenschaften voll erhalten, was besonders bei einer LVEF von 45% zu berücksichtigen ist. In kardiovaskulären Endpunktstudien konnte mit Empagliflozin (Jardiance®) und v.a. mit Canagliflozin (Invokana®) der kardiovaskuläre und renale Nutzen bis zu einer eGFR von 30ml/min gezeigt werden.
Aus diesen Gründen könnte die Therapie von Jardiance belassen werden, sofern sich die Nierenfunktion nicht weiter verschlechtert. Allerdings sollte bei akuter Krankheit, Operation etc. das Jardiance sofort gestoppt werden (Gefahr der Ketoazidose).
Das Metformin könnte durch einen DPP-4-Hemmer Trajenta® (Linagliptin) 5mg ersetzt werden. Das wäre eine sichere Blutzucker-senkende Therapie, aber ohne positive Beeinflussung des reno- und kardiovaskulären Endpunktes.
Falls der BMI ≥ 28kg / m2 wäre, könnte auch eine Therapie mit einem GLP1-Rezeptoragonisten, zum Beispiel dem wöchentlich zu verabreichenden Ozempic (Semaglutid), welches bis zu einer eGFR von 10 ml/min gegeben werden kann, in Betracht gezogen werden. Die GLP1-RA haben nachweislich einen positiven Effekt auf kardiovaskuläre und renale Endpunkte.
Alternativ gäbe es noch eine Insulin-Therapie (Basisinsulin (z.B. Tresiba® oder Glargin300 Toujeo®)oder co-formuliertes Ryzodeg® (70% Insulin Tresiba und 30% NovoRapid)), oder allenfalls einen kurzwirksamen Sulfonylharnstoff ohne aktive Metaboliten (z.B. Gliclazid 30-60 mg/Tag). Beide Alternativem bringen ein Hypoglykämierisiko mit sich, wobei die ultralangen Insuline Tresiba® und Toujeo® ein wesentlich kleineres Hypoglykämierisiko haben, als NPH-Insulin, Mischinsuline (Mixtard, Humalog® Mix) oder Lantus® und Levemir®.

Ist der Diabetes mellitus Typ 2 mit HbA1c von 7.6% gut eingestellt?

Zuerst muss die Glaubhaftigkeit des HbA1c-Wertes hinterfragt werden, weil diverse auf die Erythropoese einwirkende Faktoren den HbA1c-Wert falsch hoch oder tief machen können. Bei vorliegendem Vitamin B12-Mangel wird der HbA1c-Wert eher überschätzt und bei chronischer Niereninsuffizienz ist er eher falsch tief. Die kapillär gemessenen Blutzuckerwerte ergeben grob einen Durchschnitt von ca. 9 mmol/l, was gut zum HbA1c von 7.6% passt und zeigt, dass sich die verändernde Wirkung vom Vitamin B12-Mangel und der Niereninsuffizienz etwa aufheben.
Beim 72-jährigen Patienten mit diversen Sekundärorganschäden ist das primäre Therapieziel keine Hypoglykämien und ein HbA1c-Wert von 7.6% akzeptabel (Ziel-HbA1c 7.5%). Falls eine Therapie ohne Hypoglykämierisiko eingesetzt wird z.B. SGLT-2 Hemmer, GLP-1 RA oder DPP-4 Hemmer möchte man ein möglichst normales HbA1c haben (<7.0%).
Der systolische Blutdruck liegt etwas zu hoch. Allerdings möchte man auch keinen diastolischen Blutdruck unter 70 mm Hg. Die grosse Differenz zwischen systolischem und diastolischem Blutdruck lässt sich wahrscheinlich durch die typische Mediasklerose erklären. Allenfalls könnte die Dosis des ACE-Hemmers und/oder Calciumantagonisten noch etwas erhöht werden.

Multifaktorielle Therapie:

Das LDL-Ziel liegt in diesem Fall bei < 1.8 mmol/l. Es könnte ein Kombinationspräparat (Atorvastatin oder Rosuvastatin mit Ezetimib) gegeben werden.

Prof. Dr. med.Roger Lehmann

UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zurich

Roger.Lehmann@usz.ch

Dr. med. Matthias Ernst

USZ Zürich

matthias.ernst@usz.ch

RL: Teilnahme an Advisory Boards und Referentenhonorare von Novo Nordisk, Sanofi, MSD, Boehringer Ingelheim, Servier und Astra Zeneca.
ME: Reise- und Kongressspesen von Eli Lilly und Ipsen.

  • Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 bei eGFR <30ml/min
    o Kein Metformin (Gefahr einer Laktatazidose)
    o Nachweisliche Verbesserung des kardiovaskulären und
    renalen Risikos:
    > SGLT2-Hemmer bis zu einer eGFR von 30ml/min mit
    nachweislich
    kardio- und renoprotektiver Wirkung (weniger
    Blutzuckersenkung)
    > GLP1-Rezeptoragonisten (z.B. Ozempic bis eGFR 10ml/min
    zugelassen) falls BMI ≥ 28kg/m2.
    o DPP4-Hemmer (z.B. Trajenta 5mg/Tag) sicher, aber ohne
    Nutzen für kardiovaskuläre und renale Endpunkte Insulin oder
    kurzwirksame Sulfonylharnstoffe ohne aktive Metaboliten
    (z.B. Gliclazid)
  • «Sick day rules»: Metformin und SGLT2-Hemmer bei akuter Krankheit,
    Erbrechen, Durchfall, Operation etc. stoppen.
  • Den HbA1c-Wert immer hinterfragen und bei Zweifel oder Interpretationsschwierigkeit in Spezialsituationen mit kapillären Blutzuckermessungen abgleichen.
    o Wichtigste Ursachen für falsch hohe HbA1c-Werte:
    Eisenmangelanämie, Vitamin B12-Mangel.
    o Wichtigste Ursachen für falsch tiefe HbA1c-Werte: chronische
    Niereninsuffizienz, Neusynthese von Erythrozyten (z.B. frisch
    supplementierter Eisenmangel), hämolytische Anämie,
    Leberzirrhose