Interventionelle Schmerztherapie

Interventionelle schmerztherapeutische Verfahren spielen heute sowohl in der Behandlung akuter wie zunehmend auch chronischer Schmerzen eine wichtige Rolle. Dies gilt sowohl unter diagnostischen als auch therapeutischen Aspekten. Im vorliegenden Beitrag sollen die wichtigsten Verfahren vorgestellt werden.

Die Anwendung interventioneller schmerztherapeutischer Verfahren ist aus der modernen Schmerztherapie nicht mehr wegzudenken. Dies galt in der Vergangenheit insbesondere für akut und subakut auftretende Schmerzen. Auf der anderen Seite spielten interventionelle Verfahren in der Behandlung chronischer Schmerzen lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle. Hier hat in den letzten Jahren ein gewisses Umdenken stattgefunden und schmerztherapeutische Interventionen gewinnen sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie bei chronischen Schmerzen ebenfalls zunehmend an Bedeutung. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die zunehmende Standardisierung und Professionalisierung der Indikationsstellung und Durchführung interventioneller Verfahren (1, 2). Zusätzlich konnte nachgewiesen werden, dass entsprechend interdisziplinär durchgeführte Assessments die Indikationsstellung und damit die Erfolgsrate von interventionellen Massnahmen verbessern (3). In der gleichen Arbeit wurde gezeigt, dass andererseits diagnostische Interventionen helfen können, eine klinische Diagnose zu verifizieren. Im vorliegenden Beitrag wird der Stellenwert interventioneller Verfahren im Kontext einer multimodalen Therapie chronischer Schmerzen dargelegt. Des Weiteren werden aus schmerztherapeutischer Sicht einige der wichtigsten interventionellen Verfahren vorgestellt.

Stellenwert interventioneller Verfahren in der schmerztherapeutischen Diagnostik

Analog zu den meisten Erkrankungen wird auch bei chronischen Schmerzen im ersten Schritt basierend auf der Anamneseerhebung und klinischen Untersuchung eine Verdachtsdiagnose gestellt. Diese wird durch weitere multiprofessionelle Diagnostik (z. B. Physiotherapie, Psychologie) erhärtet und es kann ein zunehmend konkreter Therapieplan entwickelt werden. Allerdings sind gerade im Zusammenhang mit Schmerzerkrankungen bildgebende Verfahren zwar sensitiv und spezifisch in Bezug auf anatomische Veränderungen, nicht aber in Bezug auf den Schmerz als solchen (4).
Durch die selektive ultraschall- oder fluoroskopisch gestützte Applikation eines Lokalanästhetikums an einen Nerven oder in ein Gelenk kann die Wertigkeit radiologischer Befunde in Hinsicht auf die Schmerzproblematik beurteilt werden. In der Schmerztherapie wird für dieses Verfahren der Begriff der «diagnostischen Blockade» verwendet, welche als positiv gewertet wird, wenn der Schmerz durch die Lokalanästhesie um 50% reduziert wird. Der Begriff der «Blockade» darf in diesem Zusammenhang indessen nicht mit einer mechanischen Blockade von Gelenken verwechselt werden, welche Basis für manualtherapeutische Mobilisationen sein kann.
Als praktisches Beispiel sei an dieser Stelle die Beurteilung des Iliosakralgelenkes (ISG) genannt. In der orthopädischen und physiotherapeutischen Praxis sind diverse Provokationstests bekannt und anerkannt. Allerdings liegen bezüglich Validität dieser Testverfahren in Bezug auf die Diagnosestellung in der Literatur sowohl positive als auch negative Publikationen vor (5, 6). Die gezielte röntgengesteuerte diagnostische intraartikuläre ISG-Blockade hingegen wird hingegen unumstritten als Goldstandard angesehen.
Ein anderes häufig anzutreffendes Beispiel ist die Diagnostik von Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in die untere Extremität. In der neurologischen Diagnostik werden zum Nachweis lumbosakraler Wurzelläsionen routinemässig die Elektromyographie, die F-Wellen-Darstellung sowie die Untersuchung des H-Reflexes durchgeführt. Hier werden häufig die Begriffe «Radikulopathie» und «radikulärer Schmerz» fälschlicherweise synonym gebraucht. «Radikulopathie» beschreibt einen Symptomkomplex aus verschiedenen sensiblen und motorischen Veränderungen mit oder ohne Schmerzempfindung, welche auf eine Reizung oder Verletzung einer Nervenwurzel zurückzuführen sind. Es ist demzufolge durchaus vorstellbar, dass zwar eine Radikulopathie neurophysiologisch nachweisbar ist, die Intensität des ausstrahlenden Schmerzes sich aber nicht durch eine selektive diagnostische Wurzelblockade reduzieren lässt. In diesem Fall muss nach einer anderen Ursache für den gleichzeitig vorhandenen Schmerz gesucht werden. Andererseits kann auch ohne in der Neurophysiologie nachweisbare strukturelle Veränderungen ein relevanter radikulärer Schmerz vorliegen. Diese Diagnose kann dann ausschliesslich durch eine selektive diagnostische Blockade verifiziert werden.

Stellenwert interventioneller Verfahren in der multimodalen Schmerztherapie

Die Effektivität, zumindest für den kurzzeitigen Effekt, ist in der Literatur für viele Blockaden gut belegt, dazu zählen unter anderem die selektiven Nervenwurzel- und Facettengelenksblockaden oder die Triggerpunktinfiltrationen (7-9). Die Wirkung dieser Blockaden kann häufig durch die Augmentation mit Kortison oder die Applikation von Radiofrequenzströmen auf mehrere Wochen verlängert werden. Dennoch ist diese Therapie insbesondere bei chronischen Schmerzpatienten als Monotherapie kritisch zu hinterfragen. Eingebunden in ein multimodales Konzept können jedoch gerade diese Phasen der reduzierten Schmerzintensität ein ideales Zeitfenster für die erfolgreiche Umsetzung anderer Therapiemodalitäten, insbesondere der Physiotherapie, darstellen (10).

Häufig durchgeführte interventionelle Massnahmen

Nervenwurzelverfahren

Die selektive Nervenwurzelblockade beschreibt ein wirbelsäulennahes Verfahren, bei dem unter fluoroskopischer oder CT-gestützter Kontrolle eine Nadel in unmittelbare Nähe einer bestimmten Nervenwurzel im entsprechenden Neuroforamen platziert wird. Wie oben beschrieben, kann diese Intervention unter diagnostischem wie auch unter therapeutischem Aspekt durchgeführt werden. Grundsätzlich wird dieses Verfahren sowohl im zervikalen, im thorakalen als auch im lumbalen und sakralen Abschnitt der Wirbelsäule eingesetzt.
Zur Diagnostik werden aufgrund der hohen Rate falsch-positiver Ergebnisse bei der ersten Intervention zwei Interventionen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, sinnvollerweise mit unterschiedlich lang wirkenden Lokalanästhetika (zum Beispiel Lidocain und Bupivacain) durchgeführt (11). Vor Injektion des Lokalanästhetikums wird zur definitiven Lagekontrolle sowie zum Ausschluss einer intravasalen Position der Nadelspitze Röntgenkontrastmittel injiziert (Abb. 1). Nach positiver Diagnostik kann unter therapeutischem Aspekt sowohl die perkutane funktionelle Denervation (Radiofrequenztherapie) als auch die transforaminale Steroidinfiltration zum Einsatz kommen, wobei die Durchführung grundsätzlich der Durchführung der diagnostischen Blockaden sehr ähnlich ist. Für die Wirksamkeit der Radiofrequenztherapie besteht etwas Evidenz (12), die Evidenz bezüglich Steroidinfiltrationen ist nicht eindeutig belegt (13).

Abb. 1 Darstellung des periradikulären Kontrastmittelabflusses bei einer diagnostischen Nervenwurzelblockade L4 rechts

Blockaden an den Facettengelenken

Eine häufige (Mit-) Ursache lumbaler Schmerzen liegt in den lumbalen Facettengelenken als Schmerztrigger. Auf der anderen Seite gibt es im Rahmen der klinischen Untersuchung keine Testverfahren, die beweisend für die Diagnose eines Facettengelenksschmerzes sind. Mögliche Differentialdiagnosen beinhalten den diskogenen Schmerz, eine Pathologie im Bereich der Iliosakralgelenkes, sowie myofasziale Schmerzen. Zusätzlich besteht gerade bei dieser anatomischen Struktur die Gefahr, dass aufgrund radiologischer (meist degenerativer) Veränderungen zu schnell und undifferenziert von der Bildgebung auf die klinische Situation des Patienten geschlossen wird und invasive Therapieverfahren der lumbalen Facettengelenke (häufig operative Verfahren im Sinne von Spondylodesen) ohne vorherige interventionelle Diagnostik durchgeführt werden. Dabei besteht gerade für die unter fluoroskopischer Kontrolle durchgeführten diagnostischen Blockaden (im Sinne einer Blockade der sensiblen Versorgung der Facettengelenke durch die entsprechenden Rami mediales) eine sehr gute Evidenz (14). Diese werden mit einem Lokalanästhetikum durchgeführt und der Patient hat mit Hilfe eines Schmerztagebuches die Aufgabe, die Schmerzintensität in den folgenden Stunden zu beurteilen. Als positiv gilt eine Blockade üblicherweise, wenn eine mindestens 50%ige Schmerzreduktion erreicht werden konnte.
An therapeutischen Optionen stehen auf der einen Seite die intraartikuläre Steroidinfiltration der betroffenen Gelenke, auf der anderen Seite die Radiofrequenz-Thermoablation oder die gepulste Radiofrequenztherapie der entsprechenden Rami mediales zur Verfügung. Die Evidenz für die intraartikuläre Injektion ist weniger gut, neueren Datums gibt es nur einige Beobachtungsstudien. Die besten Untersuchungen existieren zur Thermoablation. Hier konnte in einer randomisierten Doppelblindstudie nicht nur eine signifikante Schmerzlinderung, sondern auch eine Verbesserung funktioneller Parameter gezeigt werden (15).

Epidurale Infiltration

Schmerzen aufgrund einer Spinalkanalstenose haben üblicherweise ein recht charakteristisches Verteilungsmuster. Meistens sind beide Beine betroffen, eine dermatomale Zuordnung der Schmerzen ist nur schwer möglich und es liegt der typische (anamnestische) Hinweis einer claudicatio spinalis vor. Insgesamt ist diese strukturelle Pathologie häufig schon klinisch deutlich besser von einem unspezifischen Schmerzbild abzugrenzen als andere pathologische Zustände. Dennoch kommt auch bei dem klinischen (und möglicherweise radiologischen) Vorliegen einer relevanten Spinalkanalstenose der diagnostischen Epiduralanästhesie eine gewisse Bedeutung zu, insbesondere wenn von wirbelsäulenchirurgischer Seite eine mögliche operative Option diskutiert wird.
Die Durchführung einer epiduralen Injektion gehört zur anästhesiologischen Grundausbildung. Bei Einsatz dieser Intervention im Rahmen der Schmerztherapie, insbesondere unter diagnostischen Aspekten, ist allerdings die Durchführung unter fluoroskopischer Kontrolle indiziert, da auf diese Weise die Ausbreitung des Kontrastmittels (und damit entsprechend des Wirkstoffes) kontrolliert und eine gegebenenfalls unvollständige Blockade entsprechend interpretiert werden kann.
Unter therapeutischen Aspekten wird üblicherweise eine Kombination aus Lokalanästhetikum und Steroid eingesetzt. In der aktuellen Literatur wird der Effekt zwar zum Teil kontrovers diskutiert (16, 17), dennoch kann gerade bei klinisch zwar relevanten, radiologisch aber nicht kompletten Spinalkanalstenosen mit Hilfe (gegebenenfalls wiederholt durchgeführter) epiduraler Injektionen möglicherweise eine Operation vermieden oder zumindest hinausgezögert werden. Dies erlaubt dem Patienten im besten Fall, schmerzgelindert mit Hilfe der Physiotherapie bestmögliche Voraussetzungen für die Operation zu schaffen.

Zusammenfassung

Interventionelle Verfahren spielen in der Schmerztherapie eine wichtige Rolle. Allerdings konnten an dieser Stelle nicht alle in der Diagnostik oder der Therapie von Schmerzen eingesetzten Verfahren beschrieben werden. Zusätzlich zu nennen sind zum Beispiel die gezielte Blockade peripherer Nerven, die Iliosakralgelenksblockade oder die Infiltration des M. piriformis.
Allen diesen Verfahren gemeinsam ist die Tatsache, dass sie unter diagnostischem Aspekt dazu beitragen können, eine anamnestisch und klinisch aufgestellte Verdachtsdiagnose zu erhärten. Unter therapeutischen Aspekten können interventionelle Verfahren eine rasche und im besten Fall mittel- bis langfristig anhaltende Schmerzreduktion bringen, eventuell eine Operation hinauszögern oder gar ersetzen, oder, gerade bei chronischen Schmerzzuständen, die multimodale Schmerztherapie unterstützen.

Dr. med.Tim Reck, MSc

Schmerzspezialist SGSS, Interventionelle Schmerztherapie (SSIPM)
Zentrum für Schmerzmedizin, Schweizer Paraplegiker Zentrum
Guido A. Zäch Str. 1
6207 Nottwil

tim.reck@paraplegie.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  •  Insbesondere gezielte selektive Blockaden können dem Schmerztherapeuten im Rahmen einer interdisziplinären schmerzmedizinischen Abklärung bei der Diagnosestellung helfen.
  • Im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie können durch den schmerzlindernden Effekt von interventionellen Massnahmen die Erfolgschancen anderer Therapiemodalitäten (Physiotherapie, Psychotherapie) gesteigert werden.
  • Häufig durchgeführte schmerztherapeutische Interventionen sind die selektiven Nervenwurzelblockaden, Blockaden an den Facettengelenken sowie epidurale Infiltrationen.

  1. Boswell, M.V., et al., Interventional techniques: evidence-based practice guidelines in the management of chronic spinal pain. Pain Physician, 2007. 10(1): p. 7-111.
  2. Practice guidelines for chronic pain management: an updated report by the American Society of Anesthesiologists Task Force on Chronic Pain Management and the American Society of Regional Anesthesia and Pain Medicine. Anesthesiology, 2010. 112(4): p. 810-33.
  3. Van Zundert, J., et al., Clinical trials in interventional pain management: optimizing chances for success? Pain, 2010. 151(3): p. 571-4.
  4. Boden, S.D., et al., Abnormal magnetic-resonance scans of the lumbar spine in asymptomatic subjects. A prospective investigation. J Bone Joint Surg Am, 1990. 72(3): p. 403-8.
  5. Laslett, M., et al., Diagnosis of sacroiliac joint pain: validity of individual provocation tests and composites of tests. Man Ther, 2005. 10(3): p. 207-18.
  6. Dreyfuss, P., et al., The value of medical history and physical examination in diagnosing sacroiliac joint pain. Spine (Phila Pa 1976), 1996. 21(22): p. 2594-602.
  7. Pfirrmann, C.W., et al., Selective nerve root blocks for the treatment of sciatica: evaluation of injection site and effectiveness–a study with patients and cadavers. Radiology, 2001. 221(3): p. 704-11.
  8. van Kleef, M., et al., Randomized trial of radiofrequency lumbar facet denervation for chronic low back pain. Spine (Phila Pa 1976), 1999. 24(18): p. 1937-42.
  9. Garvey, T.A., M.R. Marks, and S.W. Wiesel, A prospective, randomized, double-blind evaluation of trigger-point injection therapy for low-back pain. Spine (Phila Pa 1976), 1989. 14(9): p. 962-4.
  10. Schatman, M.E. and A. Campbell, Chronic Pain Management: Guidelines for Multidisciplinary Program Development. 1st Edition ed. Pain Management2007: CRC Press.
  11. Van Zundert, J., et al., Evidence-based Interventional Pain Medicine: According to Clinical Diagnoses2011: Wiley-Blackwell
  12. Abejon, D., et al., Pulsed radiofrequency in lumbar radicular pain: clinical effects in various etiological groups. Pain Practice, 2007. 7(1): p. 21-6.
  13. Chou, R., et al., Nonsurgical interventional therapies for low back pain: a review of the evidence for an American Pain Society clinical practice guideline. Spine (Phila Pa 1976), 2009. 34(10): p. 1078-93.
  14. Falco, F.J., et al., An update of the effectiveness of therapeutic lumbar facet joint interventions. Pain Physician, 2012. 15(6): p. E909-53.
  15. Nath, S., C.A. Nath, and K. Pettersson, Percutaneous lumbar zygapophysial (Facet) joint neurotomy using radiofrequency current, in the management of chronic low back pain: a randomized double-blind trial. Spine, 2008. 33(12): p. 1291-7; discussion 1298.
  16. Friedly, J.L., et al., A randomized trial of epidural glucocorticoid injections for spinal stenosis. N Engl J Med, 2014. 371(1): p. 11-21.
  17. Manchikanti, L., et al., Randomized trial of epidural injections for spinal stenosis published in the New England Journal of Medicine: further confusion without clarification. Pain Physician, 2014. 17(4): p. E475-88.

Neuropathischer Schmerz nach Chemotherapie

Trotz dem bedeutenden Erfolg der modernen Chemotherapieverfahren lässt sich ein Einfluss auch auf das gesunde Gewebe oft nicht vermeiden, wobei neurotoxische Nebenwirkungen für den Patienten besonders beeinträchtigend sein können. Dieser Artikel gibt einen Überblick über das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten von neuropathischen Schmerzen.

Bei der Chemotherapie handelt es sich um eine medikamentöse Therapie eines Tumors. Voraussetzung für eine onkologische Therapie ist die Diagnose des Tumors, die Kenntnis des Stadiums der Erkrankung, sowie die molekularen Merkmale des Tumors.

Formen und Zielsetzung einer Chemotherapie

Unterschieden werden folgende Zielsetzungen der Chemotherapie:
1. kurative Therapie: Potentielle Heilung
2. palliative Therapie: Verminderung des Tumorleidens und damit Erhöhung der Lebensqualität ohne Aussicht auf Heilung
3. neo-adjuvante Therapie: Präoperative Chemotherapie, um eine Erniedrigung des Stadiums präoperativ zu erreichen
4. adjuvante Therapie: Nach Durchführung einer potenziell kurativen Tumortherapie soll eine adjuvante Chemotherapie Rezidive verhindern
Die wesentlichen Therapieformen werden nach folgenden Kriterien unterschieden:
Systemische (i.v. oder orale Verabreichung) oder regionale Chemotherapie (intrathekal, intrapleural, selektive Perfusion von Organen) sowie kontinuierliche (täglich Einnahme der Therapeutika ohne Unterbrechung) oder zyklische Therapie (Behandlung erfolgt an einem oder wenigen Therapietagen, gefolgt von einer Behandlungspause).

Allgemeine und neurologische Nebenwirkungen

Das Ziel jeder Chemotherapie ist die Hemmung der DNA Replikation und damit der Tumorzellen. Bei jeder Chemotherapie wird je nach Methode und verwendetem Medikament auch gesundes Gewebe mehr oder weniger stark angegriffen.
Darum: Keine Chemotherapie ohne Nebenwirkungen.

Unter anderem können folgende Nebenwirkungen auftreten:

  • Myelosuppression mit Immunsuppression welche die Patienten anfällig für Infektionen und septische Komplikationen machen
  • Übelkeit und Erbrechen
  • dermatologische Nebenwirkungen wie Haarausfall und Hyperkeratosen
  • thromboembolische Ereignisse
  • neurotoxische Nebenwirkungen. Hierbei sind zu unterscheiden zwischen zentralnervösen Störungen (Rückenmark und Gehirn), sowie Polyneuropathie (peripher und autonom).

Die Patienten geben als unangenehmste aller Nebenwirkungen brennende Schmerzen in der Peripherie an. Hinzu kommen unter Umständen noch Kribbelparästhesien, sowie Schwäche der Extremitäten. Beim Auftreten dieser Symptome sollte also primär an die Chemotherapeutika induzierte periphere Neuropathie gedacht werden.
Die Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathien werden vor allem durch folgende Chemotherapeutika begünstigt:

  • Alkaloide aus Vinca rosea ( Alle, deren Name mit Vin- beginnt)
  • Alkaloide aus der Klasse der Taxane (Alle, deren Name mit -taxel endet)
  • Platinanaloga

Ebenso sind Patienten mit erhöhtem Lebensalter, sowie kachektische und neurologisch vorgeschädigte Patienten – Stichwort Diabetes – eher davon betroffen.

Behandlungsmöglichkeiten

Der Behandlung dieser neuropathischen Schmerzen im Speziellen, aber auch der Schmerzen im Allgemeinen kommt, neben der Chemotherapie, bei der Tumorbehandlung eine zentrale Bedeutung zu. Die häufigsten Gründe einer unzureichenden Schmerztherapie sind die fehlende Schmerzdiagnose, sowie die Unterschätzung der Schmerzen. Ein Fehler, der ebenfalls häufig begangen wird, ist die Verordnung nach Bedarf statt nach Schmerzvorbeugung.

Die Grundregeln einer effektiven Schmerztherapie sind folgende:
1. Orale Gabe anstreben da diese bei über 90% effektiv ist
2. Regelmässige Einnahme nach festem Zeitschema
3. Die individuelle Dosierung muss ermittelt werden. Die Dosis wird so lange erhöht bis eine ausreichende Schmerzreduktion erreicht ist
4. Eine kontrollierte Dosisanpassung
5. Die Medikation antizipiert die Schmerzen und läuft dem Schmerz nicht hinterher.

Die Therapie von neuropathischen Schmerzen ist äusserst schwierig, da nur bei 40–60% eine wirkliche Schmerzreduktion erreicht werden kann.
Als Therapeutika der ersten Wahl gehören Trizyklische Antidepressiva (z.B. Amitriptylin: Saroten®), SSNRI (z.B. Duloxetin: Cymbalta®) und Antikonvulsiva (Pregabalin: Lyrica®, Gabapentin: Neurontin®). Andere Medikamentenklassen umfassen topische Behandlungen wie Lidocain 2% Patches oder Capsaicin 8% Patches. Ebenso kommen schwache Opiate (Tramadol®) oder die starken Opiate in Frage. Diese Therapeutika sind jedoch nur in zweiter Linie einzusetzen.
Zu wenig schlüssigen Resultaten haben bis jetzt die Kombination einzelner Medikamentenklassen geführt. Ebenso brachten Cannabinoide nur wenig versprechende Resultate. Weitere Forschung muss ebenso noch an interventionellen schmerztherapeutischen Ansätzen (Neurostimulatoren, intrathekale Schmerzmittelpumpen) getätigt werden.
Bei allen medikamentösen Ansätzen werden zunächst die üblichen Dosierungen eingesetzt. Bei Anzeichen einer Unterdosierung wird antizipierend die Dosis gesteigert, damit der Patient schon gar nicht in eine schwer therapierbare Schmerzspitze gerät. In jedem Fall sollte so früh wie möglich ein Schmerzspezialist beigezogen werden. Eine wirksame Prophylaxe ist bisher keine bekannt.

Fazit

Der Neuropathische Schmerz ist eine äusserst schwierig zu behandelnde Krankheit. Diese kommt zum eigentlichen Tumorleiden hinzu und bedarf einer separaten Therapie. Die eigentliche Crux liegt im Umstand, dass die Therapie des einen Leidens, Chemotherapie, das Entstehen des anderen, des neuropathischen Schmerzes, erst verursacht. Die Therapie des neuropathischen Schmerzes nach Chemotherapie kann daher nicht von einer einzelnen Fachrichtung ausgeübt werden. Es ist von äusserster Wichtigkeit, dass die Schmerztherapie in die Diskussion über die Behandlung eines Tumorpatienten im Tumor Board integriert wird. So kann das zusätzliche Leiden des Patienten in der Behandlung der Grundkrankheit reduziert werden.

Dr. med.Patrick Nordmann

Praxisklinik Urania
Löwenstrasse 28
8001 Zürich

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Dass Chemotherapie neben den Tumorzellen auch gesundes Gewebe angreift, ist hinlänglich bekannt. Dies ergibt sich daraus, dass Chemotherapeutika die schnell teilenden Tumorzellen, aber auch schnell teilende Zellen in anderen Geweben schädigt
  • Dadurch entstehen die Hauptnebenwirkungen betreffend den Magen-Darm-Trakt, sowie dermatologische (Haarausfall) und hämatologische Bereiche (Immunschwäche, thromboembolische Ereignisse)
  • Eine zusätzliche Komplikation kann die Schädigung von Nervenzellen sein, insbesondere von peripheren Nervenendigungen. Dies kann
    sich in neuropathischem, brennendem Schmerz äussern.
  • Diese Schmerzen sind äusserst schwierig zu behandeln und erfordern spezielle Kenntnisse der Schmerztherapie, welche ein interdiszipli-näres Konzept erfordern, unter anderem mit Onkologen und Schmerztherapeuten.

Anenhütte im Lötschental

Diese kleine Rundwanderung beginnt zuhinterst im Lötschental beim grossen Parkplatz vor den Hütten des Gletscherstafels. Wir überqueren gleich am Ende der früheren Alpsiedlung die Lonza und folgen für den Aufstieg zur Anen-Hütte vorerst dem Weg in Richtung Langgletscher. Wir bewegen uns aus geologischer Sicht im Aare-Massiv, dem kristallinen Sockelbereich der Alpen, der etwa 260 Millionen Jahre alt ist. Im Lötschental herrschen Gneise mit Einlagerungen von Augengneisen vor. Der im Norden anschliessende Petersgrat besteht aus Graniten des kleinen Gastern-Massivs, das ebenfalls zum Sockel aus dem Erdaltertum gehört, genauso wie die Granitpyramide des Bietschhorns auf der Südseite des Tales. Beeindruckend sind auch die glazialen Veränderungen der Alpen, die wir auf dieser Wanderung beobachten können. Wir verwenden Kartenmaterial aus den 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts, die gegenüber dem Gelände eine noch wesentlich grössere Ausdehnung der Gletscher am Talende aufzeigen. Die verschiedenen im Gletschervorfeld kreisförmig verlaufenden Moränenzüge lassen unschwer den Rückzug des Eises erkennen. Entsprechend instabil ist der vom Eisdruck befreite Moränenhang an der Gandegga. Aber nicht nur der Gletscherrückzug destabilisiert die Berghänge, sondern auch der abnehmende Permafrost. Während der Wanderung begleiten uns ständig Stein- und Eisschlag aus den Wänden des Breit- und der Lonzahörner.
Die reiche Flora im Bereich des Gletschervorfeldes wird rarer, je mehr wir uns dem Langgletscher nähern. Trotzdem ist es erstaunlich, wie selbst Lärchen dem Eis auf dem Fusse zu folgen scheinen und selbst auf über 1900 Metern Höhe in den Geröllfeldern von Ganderre Wurzeln schlagen, wohl auch begünstigt durch die allmähliche Erwärmung unserer Atmosphäre.
Auf fast 2000 Metern Höhe wendet sich der Pfad gegen Norden und quert die Lonza auf einer Brücke. Wild schäumt das Wasser, als würde der Gletscher in Strömen schwitzen. Wir erklimmen die Geländerippe südlich des Anunbachs und folgen dieser bis zur Hütte (Abb. 1).
Die alte Anenhütte wurde 2007 durch eine mächtige Staublawine vollständig zerstört. Ihr Besitzer, der Bergführer und Ingenieur Peter Tscherrig liess sich dadurch nicht entmutigen und begann umgehend mit Planung und Bau der neuen, in ihrer Bauweise einmaligen Hütte. Diese stellten grosse Herausforderungen. Vorerst mussten die über zwei Kilometer verstreuten Trümmer der alten Hütte aufgesammelt und ausgeflogen werden. Danach konnte mit dem Aushub und dem Rohbau des neuen Gebäudes begonnen werden. Dieses besteht aus einem massiven Stahlbetonbau, der einem erneuten Lawinenniedergang zu widerstehen vermag. Die bergseitigen Glasfenster weisen deshalb eine Dicke von sieben Zentimetern auf! Auch das Dach besteht aus Stabilitätsgründen aus Stahlbeton. Trotzdem wirkt die Hütte wie aus einem organischen Guss erstellt und fügt sich harmonisch in das Landschaftsbild ein. Der geräumige und geschickt mit viel Holz gestaltete Innenausbau strahlt Wärme und Geborgenheit aus.
Nach dem ausgezeichneten Mittagessen auf der Südterrasse steigen wir noch gegen den Anengletscher auf, bevor wir den Weg über die Gugginalp zum Guggistafel unter die Füsse nehmen (Abb. 2). Dieser beginnt an der Nordostecke der Hütte und führt zum Anunbach hinunter. Danach folgt er der Hangschulter mit seinen zahlreichen Moränenbuckeln am Fuss des Gugginbärgs. Vor dem Guggisee zweigt ein Weg ab, der direkt zum Gletscherstafel zurückführt. Wir leisten uns den Umweg über den malerisch gelegenen Guggistafel, von wo man weiter Richtung Westen oder mit einem Schlenker nach Osten zum Ausgangspunkt der Rundwanderung im Gebiet des UNESCO-Kulturerbes zurückkehren kann (Abb. 4). Einmal mehr beeindruckte uns der rasante Gletscherschwund der letzten Jahrzehnte, der diese einmalige Gebirgslandschaft weiter dramatisch verändern und destabilisieren wird. Wie zur Mahnung zieht zum Schluss ein mächtiges Gewitter auf, das die Landschaft in ein gespenstisch wildes Licht taucht (Abb. 3).

Aufgepasst

In dieser Rubrik werden Berg- und Schneeschuhwanderungen vorgestellt, die in der Regel wenig bekannt sind, zu aussergewöhnlichen Orten führen und die Genugtuung einer besonderen persönlichen Leistung bieten, sei es, dass man sich am Abend nach der Arbeit noch zu einer kleinen körperlichen Anstrengung überwindet, bzw. sich in ein oder zwei Tagen abseits breit getretener Wege unvergessliche Naturerlebnisse erschliesst. Zur besseren Beurteilbarkeit des Schwierigkeitsgrades der Tourenvorschläge wird jeweils eine Einschätzung anhand der SAC-Skala für Berg- (B, EB, BG) und für Schneeschuhwanderungen (WT 1 – 6) gegeben. Die schwierigste Wegstelle, unabhängig von ihrer Länge, bestimmt jeweils die Gesamtbewertung der Route. Letztendlich bleibt aber jeder selbst für die Beurteilung seiner Fähigkeiten und Eignung für die vorgestellte Wanderung verantwortlich. Die Gehzeiten sind Richtwerte und gelten für normal trainierte Wanderer. Sie müssen nicht zwingend mit den Angaben auf Wegweisern übereinstimmen.

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

Riedstrasse 9
6430 Schwyz

christian.besimo@bluewin.ch

Differentialdiagnosen der Unverträglichkeits- Reaktionen auf Getreide

Heute ist man vermehrt mit den Schlagworten Allergie, Intoleranz und Unverträglichkeit auf Nahrungsmittel, insbesondere auf Milch- und Getreideprodukte konfrontiert. Klare Begriffsbestimmungen sind notwendig. Prinzipiell muss man zwischen echten Allergien und Intoleranzen unterscheiden.

A food allergy is mediated by the immune system reaction to food, leading to clinical symptoms. The most common food allergies are caused by specific antibodies, so-called immunoglobulins E, IgE antibodies, which are detected by skin tests in the immediate reaction or by blood tests (IgE determinations). Symptoms of skin (hives, atopic dermatitis), respiratory tract (runny nose, asthma), gastrointestinal tract (vomiting, diarrhea, convulsions), or circulatory (anaphylactic shock) may be caused by small or moderate amounts of the food in question, but elimination and can be convincingly and reproducibly triggered by a renewed exposure.
A food intoleranceis a nonimmunological food intolerance, ie it is not detectable by immunological methods (skin tests or blood tests). Most often, enzymatic (enzyme defects) or pharmacological mechanisms are responsible for triggering the complaint. Of the enzymatic intolerances, the most common is lactose intolerance due to a lactase deficiency, a deficiency in the enzyme lactase in the intestinal mucosa, which degrades the lactose. Pharmacological intolerances occur in susceptible persons after a high content of histamine (histamine intolerance) and other pharmacologically active biogenic amines, such as tyramine, serotonin and phenylethylamine (vascular or psychoactive biogenic amines),
Mental aversions on food, patient convictions of a food allergy or intolerance, and food intolerances diagnosed by alternative methods, without intolerances being confirmed by conventional medicine, must be delineated from the term food allergies or intolerances. Irritable Bowel Syndrome (IBS) is not considered a food intolerance. (Fig. 1).

Wheat allergy

Eine Weizenallergie ist eine echte IgE-bedingte allergische Erkrankung und die Diagnose wird entsprechend durch eine Blutbestimmung auf IgE-Antikörper gegen Weizenproteine gestellt. Dabei ist zu beachten, dass es sich hier um andere Allergene handelt, als diejenige, welche im Mehlstaub für das Bäckerasthma verantwortlich sind. Die Weizenallergie macht sich in der Regel schon im Säuglingsalter bemerkbar. Bei Erwachsenen ist die Weizenallergie eher selten. Während sich die Weizenallergie bei Kindern oft wieder verlieren kann, ist dies bei Erwachsenen aber eher nicht der Fall.
Eine Sonderform der Weizenallergie ist die weizenabhängige, anstrengungsinduzierte Anaphylaxie (Wheat Dependent Excercise Induced Anaphylaxis, WDEIA). Die Diagnose wird gestellt durch eine Bestimmung der IgE-Antikörper gegen Omega-5-Gliadin.

Gluten-assoziierte Erkrankungen und Symptome

Zöliakie (Gluten-empfindliche Enteropathie)

Die sogenannte Gluten-empfindliche Enteropathie (Zöliakie) ist den immunologisch bedingten Darmerkrankungen zuzuordnen, und die Voraussetzung für die Entstehung der Symptomatik durch glutenhaltige Nahrungsmittel ist eine genetische Veranlagung. Die Zöliakie kommt mit einer Häufigkeit von 1:100 bis 1:400 vor. 10 - 15 % der Verwandten 1. Grades von Zöliakie-Patienten sind ebenfalls betroffen. Die Symptome und die Schwere des Krankheitsbildes können sehr unterschiedlich sein, was das Erkennen erschwert. Durchfall, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Gewichtsverlust, Depressionen und im Kindesalter nicht zuletzt eine Gedeihstörung sind die Leitsymptome.
Heute steht die sogenannte oligosymptomatische (d.h. nur am Darmtrakt) Sprue des Erwachsenenalters häufigkeitsmässig weit im Vordergrund. Bei unspezifischen Symptomen wie chronischer Müdigkeit oder reizdarmartigen Abdominalbeschwerden oder pathologischen Laborbefunden (Eisenmangel, Transaminaseerhöhung) soll auf Zöliakie abgeklärt werden.
Gluten ist als Kleberprotein vieler Getreidesorten (Weizen, Roggen, Gerste) omnipräsent in der westlichen Ernährung. Gluten ist eine Mischung von verschiedenen Eiweissen, die in 2 Gruppen aufgeteilt werden können: Glutenine und Gliadine. 90% des Eiweissanteils von Weizen besteht aus Gluten, worin zu gleichen Teilen Gliadine und Glutenine vorkommen. Im Verdauungstrakt wird Gluten nicht vollständig abgebaut, da es durch die vielen Prolin- und Glutamineinheiten in seiner Aminosäurensequenz gegen menschliche Verdauungsenzyme resistent ist. Nach unvollständiger Verdauung passieren Glutenfragmente die Dünndarmwand und induzieren in Menschen mit Zöliakie eine Autoimmunantwort gegen die Dünndarmmukosa. Das im Endomysium (Darmmuskelzellen) lokalisierte Enzym Tissue-Transglutaminase (tTGA) modifiziert die Gliadinpeptide, die eine lokale Immunreaktion auslösen und spezielle intestinale Immunzellen (T-Lymphozyten) aktivieren. Das tTGA wirkt dabei als Autoantigen. Die nachfolgende entzündliche Autoimmunreaktion führt zum Zelltod der Enterozyten (Darmschleimhautzellen) mit oft ausgedehnter Zottenatrophie. Es kommt zur Malabsorption. Aufgrund dieser Befunde wird die Zöliakie aus pathophysiologischer Sicht als eine Mischform aus Allergie (Gluten als Antigen) und Autoimmunerkrankung verstanden.
Umweltfaktoren wie Darminfektionen, Stress oder hoher Alkoholkonsum können eine erhöhte Aktivität der tTGA bewirken und so die Entstehung der Zöliakie fördern.
Bei klinischem Verdacht auf Zöliakie werden IgA-Antikörper gegen Endomysium und gegen Transglutaminase (ELISA-Methode) sowie der IgA-Spiegel bestimmt.

Nicht-Zöliakie-bedingte Glutensensitivität

Nicht-Zöliakie-bedingte Glutensensitivität (NCGS) beschreibt ein Syndrom von symptomatischen Reaktionen auf die Einnahme von Gluten bei Patienten ohne serologischen oder histologischen Nachweis einer Zöliakie. Die häufigsten Beschwerden sind Bauchschmerzen, Blähungen und/oder Veränderungen der Darmgewohnheiten, aber einige Patienten klagen über extraintestinale Symptome wie Müdigkeit, Kopfschmerzen und Arthralgien. Der Beginn ist in der Regel innerhalb von Stunden oder ein paar Tagen nach der Einnahme von Gluten. Dieser Zeitverlauf unterscheidet NCGS vom schnellen Auftreten von Symptomen bei Weizenallergien (Minuten bis Stunden), kann sich aber mit dem verzögerten Auftreten von Symptomen bei Zöliakie (Tage bis Wochen) überschneiden.
In pathophysiologischer Hinsicht ist Gluten wahrscheinlich bei vielen Patienten mit Symptomen, die sie selbst auf Gluten zurückführen, kein spezifischer Auslöser. Die Symptome replizieren sich oft nicht bei doppelblinder Glutenexposition, was auf eine Plazebowirkung oder einen Effekt eines anderen Prinzipes hindeutet. Ein Beispiel dafür sind Erwachsene, deren gastrointestinale Symptome durch die fermentierbaren, schlecht absorbierten, kurzkettigen Kohlenhydrate (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole; «FODMAP») verursacht zu werden scheinen. Es handelt sich dabei um vergärbare Mehrfach-, Zweifach- und Einfachzucker sowie mehrwertige Alkohole aus Hülsenfrüchten und einigen Obst-, Gemüse- sowie Getreidearten – inklusive Weizen. Auch Laktose (Milchzucker), Fruktose (Fruchtzucker), Fruktane und Galactane sowie Polyole (z. B: Sorbitol, Mannitol, Xylitol und Maltitol) zählen zu den FODMAPs. Da diese Zucker auch in einer glutenfreien Ernährung reduziert werden, kann das klinische Ansprechen eher auf eine Reduktion der Oligosaccharide als auf eine Eliminierung des Glutens selbst zurückzuführen sein. Es handelt sich dabei am Wahrscheinlichsten um Patienten mit Reizdarmsyndrom (IBS), das durch Oligosaccharide und nicht durch NCGS ausgelöst wird.

Abb. 1. Klassifikation der Unverträglichkeitsreaktionen auf Nahrungsmittel

Bei einer kleineren Anzahl von Patienten mit diesen Symptomen scheint Gluten jedoch tatsächlich selbst der spezifische Auslöser für Symptome zu sein, womit bei diesen die Diagnose eines NCGS zu Recht gestellt werden kann. So konnten bei 39% von Kindern mit vermuteter Glutenempfindlichkeit nach Ausschluss einer Zöliakie die Symptome durch doppelblinde Glutenexposition reproduziert werden oder umgekehrt wurde die Verdachtsdiagnose bei 61% widerlegt.
Zur Diagnose müssen sowohl eine Zöliakie als auch eine IgE-vermittelte Weizenallergie ausgeschlossen sein und die Untersuchungen müssen unter glutenhaltiger Kost erfolgen, da sonst die Gefahr von falsch negativen Befunden droht. Ausser der doppelblinden Glutenexposition existiert kein Test zur zuverlässigen Unterscheidung von einer echten NCGS von einem IBS oder anderen Zuständen, die nicht spezifisch mit Gluten zusammenhängen. Daher sollte die Diagnose von NCGS mit Vorsicht angegangen werden und nicht nur auf einer kurzfristigen Verbesserung der Symptome bei einer glutenfreien Ernährung beruhen. Bevor ein Patient mit Verdacht auf NCGS eine Gluteneliminierungsdiät einleitet, sollten er über diese Problematik informiert sein und auch auf mögliche Ernährungsdefizite hingewiesen werden, die nicht begründeten Diätrestriktionen folgen können.

Therapie

Da es bisher keine pharmakologische Therapie gibt, bleibt Menschen mit Zöliakie nur der vollständige, lebenslängliche Verzicht auf Gluten, insbesondere Elimination von Weizen, Gerste, Roggen, Dinkel. Oftmals erweist sich eine glutenfreie Ernährung jedoch als schwierig, weil Gluten nicht nur in Brot und Teigwaren, sondern auch als Zutat in vielen verarbeiteten Lebensmitteln verwendet wird (z.B. zum Binden von Suppen und Saucen). Zudem können natürlicherweise glutenfreie Nahrungsmittel (z.B. Hirseflocken) verarbeitungsbedingt Kontaminationen enthalten. Für viele Zöliakiebetroffene ist eine glutenfreie Ernährung mit bedeutenden Mehrkosten (200 CHF pro Monat laut IG Zöliakie der Deutschschweiz) und einer verschlechterten Lebensqualität verbunden, die sich besonders auf das Auswärtsessen, Reisen, Familien und Arbeitsleben auswirkt.
Für Personen, die sich glutenfrei ernähren müssen, wäre es äusserst vorteilhaft, wenn kleine Glutenmengen sicher eingenommen werden könnten (z.B. bei Restaurantbesuchen oder auf Reisen).
Dazu erforschen Mitarbeiter des Institutes für Pharmazeutische Wissenschaften, Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften, ETH Zürich in Zusammenarbeit mit der Universität von Montreal, Kanada und der Firma BioLineRx zwei adjuvante Therapieansätze:

  • Mit Poly(hydroxyethylmethacrylat-co-styrolsulfonat) [P(HEMA-co-SS)] haben die Forscher ein Polymer entwickelt, das gezielt an Gluten und Glutenspaltprodukte bindet und Aggregate bildet, die mit den Fäzes eliminiert werden.
  • Die zweite Methode ist die orale Administration von exogenen Enzymen, sogenannten Prolylendopeptidasen (PEPs), die Gluten vollständig abbauen können. Würden diese glutendetoxifizierenden Substanzen gleichzeitig mit potenziell glutenhaltigen Speisen eingenommen, fiele die Autoimmunreaktion schwächer aus oder im Idealfall ganz weg.

Mit GLUTEOSTOP wird ein Präparat als Nahrungsmittelzusatz und nicht als Medikament angeboten, das Prolyloligopeptidase (Pop) enthält, welches in vitro Gluten in Aminosäuren spaltet. Dieser Vorgang soll verhindern, dass durch Spuren von Gluten oder «verstecktes» Gluten in nicht-deklarierten Fertigprodukten bei Patienten, die eine glutenfreie Diät einhalten müssen, Schäden im Darm ausgelöst würden. Leider liegen keine der Öffentlichkeit zugängliche klinische Studien zum Einsatz dieses Präparates bei Zöliakiepatienten vor, so dass ein allfälliger Nutzen nicht gegenüber dem potentiellen Schaden durch Vermittlung eines falschen Gefühls der Sicherheit abgeschätzt werden kann. Dementsprechend schreibt der wissenschaftliche Beirat in einer Stellungnahme der IG Zöliakie ”Wir sind derzeit an fundierten Abklärungen in Bezug auf dieses Produkt. Dieses Produkt kann aus unserer Sicht aber auf jeden Fall n i c h t die glutenfreie Diät ersetzen! Das schreibt auch diese Firma auf ihrer Homepage: «Gluteostop kann weder eine glutenarme Ernährung ersetzen noch eine Glutenintoleranz, Weizenallergie oder Zöliakie vorbeugen oder behandeln»„. Zudem ist GLUEOSTOP für Patienten mit einer echten Weizenallergie nicht geeignet: es könnte trotz Einnahme des Präparates auch bei kleinen Diätfehlern zu schweren allergischen Reaktionen kommen.

Prof. em. Brunello Wüthrich

Facharzt FMH für Allergologie und Immunologie
Facharzt FMH für Dermatologie
Langjähriger Leiter der Allergiestation am Universitätsspital Zürich
8125 Zollikerberg

bs.wuethrich@bluewin.ch

Dr. med. Hans-Kaspar Schulthess

Facharzt FMF Innere Medizin und Gastroenterologie
Neuhausstrasse 18
8044 Zürich

Schulthess_hk@swissonline.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Eine Nahrungsmittelallergie ist eine durch IgE-Antikörper vermittelte Immunreaktion auf Nahrungsmittel, die zu klinischen Symptomen führt
  • Eine Nahrungsmittelintoleranz ist eine nichtimmunologische Unverträglichkeit auf Nahrungsmittel, die meistens auf enzymatischen (Enzymdefekte, z.B. Laktose-Intoleranz) oder pharmakologischen
    (z.B. Histaminintoleranz) Mechanismen basiert
  • Von diesen müssen psychische Aversionen auf Nahrungsmittel
    abgegrenzt werden
  • Die Zöliakie ist den immunologisch bedingten Darmerkrankungen zuzuordnen
  • Der Nicht-Zöliakie-bedingte Glutensensitivität (NCGS) liegt in der Mehrzahl der Fälle eine unspezifische Unverträglichkeit von FODMAPs zu Grunde, echte Unverträglichkeiten von Gluten sind ausserhalb der Zöliakie möglich, aber selten.

1. Wüthrich B. Unverträglichkeitsreaktionen nach Nahrungsaufnahme (Teil 1).
der informierte arzt 2012;3:13-16.
2. Wüthrich B. Unverträglichkeitsreaktionen nach Nahrungsaufnahme (Teil 2).
der informierte arzt 2012;9:23-25.
3. Wüthrich B. Zöliakie Betroffene: Hände weg von der Bioresonanz. Zöliakie Info 4 / 2012, Dezember 2012, S. 24-26
4. Matoori S, Fuhrmann G., Schulz J D und Leroux J-C. Gluten binden und spalten – zwei neue adjuvante Therapieansätze für die Zöliakie. Schweiz Med Forum 2012;12(37):716–717
5. Studerus D., Wanner R.M. Die 100 Symptome der Zöliakie. der informierte arzt 2017;7(12):19-23
6. Schulthess H.K. Reizdarm bei Weizen- und Lactose-Intoleranz. der informierte arzt 2016;6(12):30-33
7. https://www.zoeliakie.ch/en/news/details/gluteostop-stellungnahme-ig-z%C3%B6lia-bil-wissenschaftlicher-beirat.html (accessed February 21, 2019

Behandlung und Betreuung der fortgeschrittenen Demenz

Der Umgang mit Menschen mit Demenz insbesondere im fortgeschrittenen Stadium wirft neben medizinisch-pflegerischen fast immer auch ethische Fragen auf. An welchen Werten soll mit zunehmender Unterstützungsbedürftigkeit eines demenz-erkrankten Menschen die Betreuung ausgerichtet werden? Wann und in welcher Form kann Zwang gerechtfertigt sein, wenn die kranke Person sich oder andere durch ihr Verhalten gefährdet? Welche Formen von Sterbehilfe sind bei Demenz möglich resp. gesetzlich erlaubt? Auf diese Fragen wird im vorliegenden Artikel aus Sicht der ärztlichen Versorgung eingegangen.

Selbstbestimmung und soziale Teilhabe

Selbstbestimmung ist auch für Menschen mit Demenz zentral (1). Weil diese aber in ihrer Fähigkeit, Selbstbestimmung auszuüben, eingeschränkt sind, müssen sie darin nach individuellem Bedarf unterstützt werden (sog. assistierte Autonomie). Zumindest ebenso wichtig wie Selbstbestimmung ist die soziale Teilhabe. Menschen sind soziale Wesen, und soziale Interaktionen sind für deren Entfaltung und Wohlbefinden essenziell – Menschen mit Demenz unterscheiden sich in diesem Bedürfnis in keiner Weise von kognitiv Gesunden. Durch die Erkrankung sind aber menschliche Interaktionen erschwert oder können wegen Überforderung und Missverständnissen ganz scheitern. Betreuungspersonen und Angehörigen sollen darum die Partizipation von Demenzpatienten am sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben aktiv unterstützen.
Anders als bei kognitiv Gesunden, die sich ihr Umfeld selber gestalten können, ist also die Lebensqualität von Menschen mit Demenz ganz entscheidend von der Unterstützung und Betreuung abhängig, die ihnen zuteil wird (2).

Kommunikation mit Menschen mit Demenz

Im verbalen Austausch mit Menschen mit Demenz bewähren sich kurze, klare Sätze mit nicht mehr als einer Botschaft pro Satz (möglichst wenig Nebensätze). Das im klinischen Alltag meist (zu) schnelle Redetempo soll gedrosselt werden. Auch Menschen mit Demenz haben ihren Stolz – der Fokus des Gespräches soll deshalb nicht zu stark auf die potentiellen Defizite gerichtet sein, sondern eher auf die noch vorhandenen Ressourcen.
Eine unter Ärzten viel zu wenig bekannte, sehr hilfreiche Technik in der Kommunikation mit Menschen mit Demenz ist die sog. Validation. Diese wurde von der US-amerikanischen Broadway-Schauspielerin, Gerontologin und Demenzspezialistin Naomi Feil entwickelt (3). Die validierende Gesprächsführung verwendet eine akzeptierende, nicht korrigierende Sprache gegenüber der demenzbetroffenen Person. Falsche Realitätsbezüge werden also ausdrücklich nicht korrigiert. Stattdessen wird im Gespräch eine Ebene angesteuert, in der ein gemeinsames Verständnis möglich ist. Eine validierende Antwort auf die Aussage einer demenzkranken Person, dass sie nach Hause gehen wolle, würde also nicht lauten: «Aber Sie sind nun doch schon seit über einem Jahr im Pflegeheim!». Vielmehr könnte sie beispielsweise lauten: «Nicht wahr, Sie wohnen doch gleich da hinten um die Ecke – ich werde Sie grad zu Ihrem Zimmer begleiten». Es ist immer wieder erstaunlich, wie erfahrene Betreuungspersonen mit dieser Technik auch in schwierigen Situationen eine Deeskalation zu erreichen vermögen. Es kann auch sehr hilfreich sein, pflegenden Angehörigen in einfachen Worten die Grundzüge dieser Technik zu vermitteln.
Ist die Demenzerkrankung stark fortgeschritten, ist oft fast kein sprachlicher Austausch mehr möglich und die Kommunikation erfolgt nun fast ausschliesslich nonverbal. Menschen mit fortgeschrittener Demenz können selbst bei stark eingeschränkter Kognition nonverbale Äusserungen vonseiten ihrer Mitmenschen erstaunlich lange wahrnehmen (z.B. Lächeln, ruhiges Auftreten, Gesten, taktvolle Berührungen). Ihre eigene Mimik und Gestik ist aber oft schwächer, sodass die Gefahr besteht, dass die Betreuenden diese übersehen oder fehlinterpretieren.

Freiheitseinschränkende Massnahmen (FeM)

Menschen mit Demenz zeigen nicht selten Verhaltensweisen, mit denen sie sich selber oder gelegentlich auch andere Personen gefährden. Oftmals stehen diese Verhaltensweisen im Zusammenhang mit nicht-kognitiven Symptomen der Demenz, also den sog. behavioural and psychological symptoms of dementia (BPSD), zu Deutsch Störungen der Emotionen und des Verhaltens (4). Motorische Unruhe im Zusammenhang mit einer verminderten posturalen Kontrolle kann zu einer Sturzgefährdung führen, Agitation und Enthemmung zu Aggression und Zusammenstössen mit anderen Menschen, etc. In diesem Zusammenhang stellt sich dann nicht selten die Frage des Einsatzes von sog. freiheitseinschränkenden Massnahmen (FeM). Hierbei wird unterschieden zwischen direkten Fixierungen und räumlicher Fixierung, im weiteren Sinne werden auch alle Formen von Personenüberwachungssystemen zu den FeM gerechnet (Tab. 1).
Freiheitseinschränkende Massnahmen sind zum einen ein schwerwiegender Eingriff in die persönliche Freiheit. Zum anderen sind sie keineswegs ungefährlich. Schädliche Folgen von Fixierungen sind häufig und können im Extremfall bis zum Todeseintritt führen (z.B. durch Ersticken bei Einklemmung zwischen Bettgitter und Matratze). Auch sind sie keineswegs immer zielführend. So kommt es beispielsweise beim Einsatz von FeM mit dem Ziel einer Sturzvermeidung oft dennoch zu Stürzen, welche dann in ihren Folgen oft schwerwiegender sind (Fehlen von Abwehrbewegungen, komplizierte Stürze, dadurch erhöhtes Auftreten von sturzbedingten Verletzungen). Aus all diesen Gründen ist man heute mit dem Einsatz von FeM möglichst zurückhaltend (5), und wird doch ein solcher erwogen, wird zu Recht in aller Regel eine ärztliche Verordnung verlangt.
Da für die Störungen, welche die Frage nach dem Einsatz von FeM aufwerfen, nicht selten ein Delir mitverantwortlich ist, sollte aus ärztlicher Sicht als erster Schritt nach möglichen Delirursachen gefahndet und solche ggf. behandelt werden (z. B. Behandlung eines Harnwegsinfekts). Liegt keine behandelbare Ursache vor, ist zu fragen, ob statt der erwogenen FeM nicht eine weniger einschränkende Massnahme eingesetzt werden könnte, wie z. B. Halb-Bettgitter statt durchgehender Bettgitter, Niedrigbetten oder Bodenpflege bei Sturzneigung aus dem Bett, Anti-Rutsch-Socken und Hüftprotektoren («Sturzhosen») bei Sturzneigung etc. Zu erwägen ist auch die zusätzliche Beaufsichtigung durch eine Pflegefachperson oder freiwillige HelferInnen. Bei Sturzneigung hat die Etablierung eines Kraft- und Balancetrainings eine starke protektive Wirkung. Nicht zuletzt muss auch abgewogen werden, ob nicht die Inkaufnahme eines gewissen Risikos für den Patienten immer noch die akzeptablere Alternative ist als die freiheitseinschränkende Massnahme.
Erweist sich die FeM als unumgänglich, sollen die Art der getroffenen Massnahme, der Grund für die Massnahme sowie deren Ziel schriftlich protokolliert, in jedem Fall regelmässig auf ihre Berechtigung hin überprüft und so rasch als möglich wieder aufgehoben werden. Bezugspersonen resp. Vertretungspersonen müssen zeitgerecht informiert werden.
In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass schon die Einweisung in ein Pflegeheim per se oft nicht ganz freiwillig, sondern vor dem Hintergrund eines gewissen sozialen Drucks erfolgt. Anders als bei der Einweisung von Menschen mit einer akuten psychischen Störung in eine psychiatrische Klinik werden in dieser Situation auch bei offensichtlicher Unfreiwilligkeit nur selten formale fürsorgerische Unterbringungen ausgesprochen. Wenn aber Hinweise bestehen, dass die Angehörigen resp. die vertretungsberechtigte Person mit der Heimeinweisung nicht im besten Interesse des Patienten zu handeln scheint, sollte die KESB informiert werden. Der gleiche Schritt sollte auch erfolgen, wenn die adäquate Betreuung einer demenzkranken Person zu Hause offensichtlich nicht mehr möglich ist, sich die Angehörigen aber der Unterbringung in einem Pflegeheim entgegenstellen (2).

Sterbehilfe

Die Demenzerkrankung ist in der Bevölkerung mit erheblichen Ängsten verbunden: Angst vor Abhängigkeit, Angst vor einer Wesensveränderung, Angst, anderen zur Last zu fallen.
Entsprechend ist eine drohende Demenzerkrankung für viele Menschen ein wichtiges Motiv, in einer Patientenverfügung die Ablehnung von allfälligen lebensverlängernden Massnahmen (sog. passive Sterbehilfe) festzuhalten. Was diese Anweisung konkret bedeuten soll, muss allerdings in einer realen Entscheidungssituation meist nochmals diskutiert werden. Geht es hier eher um den Verzicht auf invasive Massnahmen oder auch schon um den Verzicht auf eine einfache Antibiotikatherapie z.B. bei einer Pneumonie? Wie weit umfasst die Aussage auch den Verzicht auf Diagnostik, z.B. bei einer Anämie? Am besten werden solche Fragen bereits vorausschauend in regelmässigen Standortgesprächen im Rahmen des Advance Care Planning thematisiert.
Neben der passiven Sterbehilfe wird in den letzten Jahren in der Schweiz zunehmend auch die Frage diskutiert, ob und unter welchen Umständen einem Ersuchen um Beihilfe zum Suizid auf Grund einer Demenzerkrankung stattgegeben werden kann (Tab. 2). Gesetzlich ist dies im Prinzip möglich, so lange die Urteilsfähigkeit erhalten ist, also in einem frühen oder allenfalls mittleren Demenzstadium. In aller Regel wird dazu ein fachärztliches Gutachten von einem Geriater, Neurologen oder Psychiater verlangt (6). Der Wunsch nach einer Beihilfe zum Suizid sollte von der betroffenen Person möglichst frühzeitig kommuniziert und regelmässig bekräftigt worden sein.

Standesethisch liegt hier aber ein Graubereich vor: Gemäss den neuen SAMW-Richtlinien «Sterben und Tod» von 2018 ist eine Beihilfe zum Suizid bei Demenz statthaft, sofern ein urteilsfähiger Patient ein «unerträgliches Leiden» an seiner Krankheit geltend machen kann und dies dem Arzt nachvollziehbar erscheint (7). Die Übernahme dieser Richtlinien in die ärztliche Standesordnung wurde von der FMH im Herbst 2018 allerdings genau wegen diesem Passus abgelehnt (8).
Klar ist, dass wenn mit fortschreitender Demenz die Urteilsfähigkeit für die Frage der Selbsttötung nicht mehr gegeben, auch rechtlich keine Suizidbeihilfe mehr möglich ist. Suizidbeihilfe kann auch nicht in einer Patientenverfügung für die Zukunft im Falle einer nicht mehr vorhandenen Urteilsfähigkeit vorausverfügt werden, vielmehr verlangt sie Urteils- und Handlungsfähigkeit im Hier und Jetzt.
Das gleiche – Erfordernis von Urteils- und Handlungsfähigkeit im Hier und Jetzt – gilt übrigens auch für das sog. Sterbefasten resp. den sog. freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF). Es ist also nicht statthaft, in einer Patientenverfügung für den Fall einer fortgeschrittenen Demenz und nicht mehr vorhandenen Urteilsfähigkeit zu verlangen, dass einem ab einem gewissen Demenzstadium keine Nahrung und Flüssigkeit (per os!) mehr angeboten werden solle (2). Sollte allerdings dieses Angebot durch den fortgeschritten Demenzkranken im Hier und Jetzt abgelehnt werden, signalisiert z.B. durch Nicht-Öffnen des Mundes oder Wegdrehen des Kopfes, dann ist dies zu akzeptieren (vgl. dazu den Abschnitt Ernährung im Teil 1 dieses Artikels).

PD Dr. med.Georg Bosshard

Klinik für Geriatrie
Universitäts Spital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

georg.bosshard@usz.ch

Der Autor hat im Zusammenhang mit diesem Beitrag keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Ausübung der Selbstbestimmung und Teilhabe am sozialen Leben sind (auch) für Menschen mit Demenz von zentraler Bedeutung –
    sie sollen darin nach individuellem Bedarf unterstützt werden.
  • In der Kommunikation mit Menschen mit Demenz bewährt sich eine akzeptierende, nicht korrigierende Sprache (sog. Validation).
  • Freiheitseinschränkende Massnahmen bedeuten einen schweren Eingriff in die Persönlichkeit eines Menschen und sollen nur als
    ultima ratio eingesetzt werden.
  • Solange die Urteilsfähigkeit erhalten ist, ist Beihilfe zum Suizid bei Menschen mit Demenz rechtlich gesehen möglich. Sie ist aber
    standesethisch umstritten.

1. Deutscher Ethikrat (2012) Demenz und Selbstbestimmung – Stellungnahme.
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-demenz-und-selbstbestimmung.pdf
2. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW. Medizinethische Richtlinien zur Betreuung und Behandlung von Menschen mit Demenz (2017) https://www.samw.ch/de/Publikationen/Richtlinien.html
3. Feil, Naomi: Validation – Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen. Reinhardt Verlag 2005.
4. Savaskan E et al (2014) Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der behavioralen und psychologischen Symptome der Demenz (BPSD). Praxis 103:135-148.
5. Koczy P et al (2011) Effectiveness of a multifactorial intervention to reduce physical restraints in nursing home residents. JAGS 59:333-339. Siehe auch www.redufix.de
6. Bosshard G (2012) Beihilfe zum Suizid – medizinische, rechtliche und ethische Aspekte. Schweizerische Rundschau für Medizin – PRAXIS 101:183-189.
7. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW. Medizinethische Richtlinien zum Umgang mit Sterben und Tod (2018) https://www.samw.ch/de/Publikationen/Richtlinien.html
8. Scheidegger D (2018) Diskussion um die SAMW-Richtlinien Umgang mit Sterben und Tod. Schweiz Ärztezeitung 99:1613.

Advanced Practice Nurses in der Hausarztpraxis

Die Zunahme chronisch kranker und multimorbider Patienten stellt die Hausärzte vor Herausforderungen, die immer schwieriger zu erfüllen und oft mit einem Mehraufwand verbunden sind. Gleichzeitig ist ein Mangel an Hausärzten absehbar. Ein neues Versorgungsmodell mit Advanced Practice Nurses (APN) könnte Hausarztpraxen ergänzen und entlasten. Dieser Artikel beschreibt das in der Schweiz noch wenig bekannte Berufsbild der APN mit besonderem Blick auf die Hausarztpraxis mit seinen Chancen und Risiken.

Future challenges in primary care

The increase in chronically ill and multimorbid patients poses new challenges to GPs (for better legibility, renouncing both sexes). Follow-up visits, disease management guidance, lifestyle changes and preventative measures to reduce or avoid exacerbations play a much more important role than in acute illness. In addition there is the coordination of different specialists and institutions or the inclusion of relatives. All of these tasks require extra work, which can hardly be accomplished in a general practitioner’s office. Home visits can no longer afford many family doctors. At the same time, there is an increasing shortage of family doctors and retired doctors often find no successors.

What are APNs?

In angelsächsischen Ländern wurden ab den 1960er Jahren aus den genannten Gründen neue Modelle eingeführt, in welchen sogenannte APNs tätig sind. APNs sind ausgebildete Pflegefachleute mit Praxiserfahrung und einem Masterstudium in Pflegewissenschaft. Im Studium werden ihre medizinischen Kenntnisse vertieft und sie lernen, eine Anamnese zu erheben und eine klinische Untersuchung durchzuführen. Weiter werden sie in Themen wie Chronic Care, interprofessioneller Zusammenarbeit oder familienzentrierter Pflege unterrichtet. Sie erwerben auch Kenntnisse in Forschung und Anwendung wissenschaftlicher Literatur. APN ist ein Überbegriff für verschiedene Rollen wie zum Beispiel Clinical Nurse Specialist (CNS) oder Nurse Practitioner (NP).
Allen APNs ist gemeinsam, dass sie sich auf eine spezielle Patientengruppe oder ein spezifisches Setting spezialisieren und in einer erweiterten Rolle in direktem Patientenkontakt stehen, sei dies im stationären oder ambulanten Bereich. APNs zeichnen sich durch klinisches Denken aus und sind fähig, Befunde zu interpretieren und mit dem Krankheitsgeschehen zu verknüpfen. Sie verfügen über Entscheidungskompetenz in komplexen Situationen und weisen eine gewisse Autonomie in ihrer Rolle auf (1, 2).

Internationale Erfahrungen

APN-Rollen existieren heute in über 70 Ländern. In Ländern mit längerer Erfahrung sind ihre Kompetenzen formal geregelt. In gewissen Staaten haben APNs nach entsprechender Ausbildung die Kompetenz zur Verschreibung von bestimmten Medikamentengruppen oder zur Durchführung von Röntgen- oder Labordiagnostik (Tab. 1). Die Anzahl APN pro Bevölkerung ist auch in diesen Ländern sehr unterschiedlich. Insbesondere in den USA ist die medizinische Grundversorgung ohne APNs nicht mehr denkbar (Tab. 2). Bezüglich Wirksamkeit zeigen Reviews, dass APNs bei ihren Patienten insgesamt etwa gleich gute Resultate erzielen wie Ärzte, und dass bei von ihnen behandelten Patienten eher weniger Hospitalisationen nötig sind (1, 3). Die Patienten erhalten bessere Informationen und Unterstützung im Umgang mit ihrer Krankheit, jedoch verordnen APNs mehr Diagnostik und die Konsultationen dauern etwas länger als bei Ärzten (3). Über die Kosten können erst wenige Aussagen gemacht werden, jedoch scheinen APNs eher weniger oder höchstens gleich hohe Kosten zu generieren wie Ärzte (1, 3, 4).

ANP in der Schweiz

Ein Studium in Pflegewissenschaft ist in der Schweiz seit bald 20 Jahren möglich. Den Universitäten Basel und Lausanne sind mehrere Fachhochschulen gefolgt. 2015 haben in der Schweiz 328 Personen ihr Studium abgeschlossen (1). Seit wenigen Jahren werden auch Postmaster Studiengänge angeboten, um die Kenntnisse in klinischer Tätigkeit weiter zu vertiefen.
Hierzulande sind APNs bis anhin vorwiegend in Spitälern tätig. Sie arbeiten als Pflegeexpertinnen auf den Stationen oder führen eigene Pflegesprechstunden wie z.B. für Patienten mit Lebertransplantation, Herzinsuffizienz oder in Palliativsituationen. Seit wenigen Jahren zeichnet sich eine Entwicklung ab, APNs auch in der Grundversorgung einzusetzen, namentlich in der Spitex und in Pflegeheimen. In Schweizer Hausarztpraxen arbeiten bisher erst vereinzelte APNs.

Herausforderungen

Neue Zusammenarbeitsformen zwischen Ärzten, Medizinischen Praxisassistentinnen (MPA) und APN erfordern von allen Beteiligten die Bereitschaft zu einer neuen Aufgabenteilung und Klärung der Verantwortlichkeiten (5). Bei einer Befragung von Hausärzten aus der Stadt Zürich zeigte sich, dass die Ärzte zwar eine gewisse Qualitätseinbusse der medizinischen Versorgung und Kontinuität befürchten, gleichzeitig aber froh wären, wenn sie Koordinationsaufgaben mit andern Spezialisten oder Institutionen an eine APN delegieren könnten (6). Viele Ärzte können sich jedoch noch kein Bild einer solchen neuen Rolle machen.

Eigene Erfahrungen

Seit knapp drei Jahren arbeite ich als APN in einer Gruppenpraxis. Mein Werdegang ist durch eine mehrjährige Erfahrung in Spitex und Akutgeriatrie geprägt. Durch das Masterstudium und das darauf aufbauende Diploma of Advanced Studies „ANP Plus“ erlangte ich Kenntnisse in Anamnese und klinischem Untersuch, aber auch darin, Befunde zu reflektieren und daraus Schlüsse zu ziehen. In meiner gegenwärtigen klinischen Tätigkeit und der fruchtbaren und kritischen interprofessionellen Zusammenarbeit lerne und vertiefe ich nun die Anwendung dieses theoretischen Wissens, vergleichbar mit der Assistenzzeit angehender Fachärzte.
Meine Aufgaben in der Hausarztpraxis erfülle ich in Delegation der Hausärzte. Sie sind in vier sich überschneidende Tätigkeitsfelder aufgeteilt, welche nachfolgend erläutert werden.

Chronic Care Management

Seit längerer Zeit betreue ich eine 82-jährige multimorbide, jedoch selbständig lebende Patientin mit COPD, Herzinsuffizienz und chronischen Rückenschmerzen. Mein Hauptauftrag sind klinische Verlaufskontrollen (Anamnese, Untersuch, Vitalparameter, Labor), die ich meist selbständig organisiere und bei auffälligen Resultaten an den Hausarzt weiterleite. Ein wichtiger Anteil nimmt auch die Koordination mit andern Spezialisten ein, sowie weitere Interventionen wie Grippeimpfung oder das Erstellen einer Patienten- verfügung. Regelmässig bespreche ich mit der Patientin die Interpretation ihrer eigenen Beobachtungen und instruiere sie, unter welchen Umständen sie sich in der Praxis melden soll.
Eine Herausforderung bei vielen chronisch kranken Patienten ist die Therapieadhärenz. Da suchen wir gemeinsam nach Lösungen, damit eine wirksame Therapie eingehalten wird.

Hausbesuche

Ein grosser Teil meiner Arbeit besteht aus Hausbesuchen. Demenzkranke, multimorbide, gebrechliche oder auch verwahrloste Patienten sind oft nicht mehr in der Lage, die Hausarztpraxis regelmässig aufzusuchen. Ich bin meist in engem Kontakt mit der Spitex, welche auf eine Hausarztpraxis im Hintergrund angewiesen ist. Oft besuche ich auch Alters- und Pflegezentren.

Notfälle/ Nachkontrolle

Ein weiteres Einsatzgebiet ist die Triage bzw. Behandlung von Notfällen. Bei wenig komplexen Krankheiten wie z.B. einem unkomplizierten Harnwegsinfekt reichen in der Regel die medizinischen Guidelines und eine kurze Absprache mit dem Arzt bezüglich Behandlung.
Bei Patienten, welche bereits für eine Behandlung bei einem Hausarzt waren, übernehme ich gelegentlich die Nachkontrolle.

Pflegerische Verrichtungen

Das vierte Tätigkeitsfeld betrifft spezielle pflegerische Herausforderungen wie zum Beispiel die Behandlung chronischer Wunden.

Diskussion

Neue Berufsrollen bringen Veränderungen mit sich und setzen eine gewisse Offenheit und Flexibilität des Teams voraus. Verschiedene Aufgaben werden neu verteilt oder erst jetzt wahrgenommen. Die APN kann teilweise bisher ärztliche Tätigkeiten, aber auch ergänzende Aufgaben übernehmen. MPAs, welche sich entsprechend weitergebildet haben, können ebenfalls einen wichtigen Part im Chronic Care Management leisten. Es empfiehlt sich, die Rollen, ihre Überlappungen und Schnittstellen zum Voraus zu klären und zu definieren (5, 7).
Interessanterweise spielt es den meisten Patienten keine Rolle, ob sie primär von einem Hausarzt oder von einer APN behandelt werden. Für sie ist wichtig, dass eine Kontinuität in der Betreuung vorhanden ist und bei Bedarf eine kompetente Fachperson hinzugezogen wird (8).
Es zeigt sich, dass das Vertrauen des Hausarztes in die Leistungen der APN von der persönlichen Erfahrung mit ihr abhängt. Er braucht die Gewissheit, dass sie sich bei (ärztlichem) Handlungsbedarf oder Unsicherheit meldet. Gleichzeitig muss die APN selbständig arbeiten können und bereit sein, Verantwortung zu tragen, damit ein Benefit aus dieser Zusammenarbeit entsteht.

Reglementierung

In der Schweiz sind die Berufsverbände und Hochschulen daran, die Anerkennung zur APN einheitlich zu reglementieren und Bedingungen wie z. B. eine regelmässige Fortbildung zu formulieren. Von politischer Seite fehlt eine Reglementierung gänzlich, die akademische Pflege ist bis heute nicht im Medizinalberufegesetz vertreten. Ob APNs im neuen Gesundheitsberufegesetz aufgeführt werden, wird derzeit im Parlament diskutiert. Somit ist auch die Finanzierung bis jetzt nicht geklärt und die Verrechnung von Leistungen der APN gestaltet sich vorläufig schwierig. Mit dem heutigen schweizerischen Tarifsystem ist der Einsatz von APNs im Moment fast nur in grösseren Gruppenpraxen im Rahmen von Managed Care möglich.

Zusammenfassung

Trotz den aktuell noch ungünstigen politischen Voraussetzungen ist der Einsatz von APNs ein zukunftsträchtiges Versorgungsmodell. Es entlastet die Situation in den Hausarztpraxen und bietet attraktive Berufsrollen für Pflegefachpersonen, vor allem aber ermöglicht es eine Versorgung, die den heutigen Bedürfnissen der medizinischen Grundversorgung entspricht.

Verdankung

Ich bedanke mich bei PD Dr. med. Georg Bosshard für seine wertvollen Hinweise beim Verfassen des vorliegenden Texts.

Corinne Steinbrüchel-Boesch, MScN

MediX Praxis Zürich Altstetten
Hohlstrasse 556
8048 Zürich

corinne.steinbruechel@medix.ch

Die Autorin hat im Zusammenhang mit diesem Beitrag keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Der Einsatz von APNs nimmt weltweit zu. In der Schweiz arbeiten sie bisher hauptsächlich in Spitälern. Es zeigt sich jedoch ein Trend, sie auch vermehrt in der Grundversorgung einzusetzen.
  • APNs können Hausärzte entlasten, aber auch in ihren Aufgaben ergänzen, indem sie z.B. chronisch Kranke betreuen und dadurch Exazerbationen vorbeugen, Hausbesuche stellvertretend übernehmen, Notfälle triagieren und allenfalls behandeln und Koordinationsleistungen vornehmen.
  • APNs erreichen bei chronisch Kranken etwa gleich gute Resultate wie Ärzte und leisten einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von Hospitalisationen.
  • Neue Zusammenarbeitsformen erfordern von allen Beteiligten Flexibilität und die Bereitschaft zu einer neuen Aufgabenteilung. Die Verantwortlichkeiten müssen zum Voraus geklärt werden.

1. Maier C, Aiken, L., Busse, R. Nurses in advanced roles in primary care: Policy levers for implementation. Health Working Papers, No. 98. OECD Publishing, Paris; 2017.
2. Pulcini J, Jelic M, Gul R, Loke AY. An international survey on advanced practice nursing education, practice, and regulation. Journal of nursing scholarship : an official publication of Sigma Theta Tau International Honor Society of Nursing. 2010;42(1):31-9.
3. Horrocks S, Anderson E, Salisbury C. Systematic review of whether nurse practitioners working in primary care can provide equivalent care to doctors. BMJ. 2002;324(7341):819-23.
4. Lovink MH, Persoon A, Koopmans R, Van Vught A, Schoonhoven L, Laurant MGH. Effects of substituting nurse practitioners, physician assistants or nurses for physicians concerning healthcare for the ageing population: a systematic literature review. J Adv Nurs. 2017;73(9):2084-102.
5. Giger M, De Geest S. Neue Versorgungsmodelle und Kompetenzen sind gefragt. Schweizerische Ärztezeitung. 2008;89(43):1839 – 43.
6. Steinbruchel-Boesch C, Rosemann T, Spirig R. Neue Zusammenarbeitsformen mit Advanced Practice Nurses in der Grundversorgung aus Sicht von Hausarzten – eine qualitativ-explorative Studie. Praxis. 2017;106(9):459-64.
7. Bailey P, Jones L, Way D. Family physician/nurse practitioner: stories of collaboration. J Adv Nurs. 2006;53(4):381-91.
8. Waibel S, Henao D, Aller MB, Vargas I, Vazquez ML. What do we know about patients’ perceptions of continuity of care? A meta-synthesis of qualitative studies. International Journal of Quality in Healthcare: Journal of the International Society for Quality in Health Care. 2012; 24 (1): 39-48.