In Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (1,2) wird die Impfung gegen die saisonale Influenza in der Schweiz für Bevölkerungsgruppen mit erhöhtem Risiko für Komplikationen wie Personen ≥65 Jahre oder solche mit chronischen Krankheiten empfohlen (3). Das erhöhte Risiko in diesen Gruppen wird durch viele Faktoren bedingt, wie zum Beispiel die nachlassende Immunfunktion und eine geringere Wirksamkeit des Impfstoffs. Darüber hinaus ist Multimorbidität mit erhöhten Krankenhausaufenthalten oder der Sterblichkeit bei Menschen ≥65 Jahren verbunden (4, 5). Nationale Impfquoten liegen bei älteren Menschen und Patienten mit chronischen Krankheiten bei 35% (6) und liegt damit weit unter dem von der WHO empfohlenen Ziel von 75% (7, 8). Die Impfquoten in der Schweiz liegen im mittleren Bereich für Europa (8,9). Die Grippe führt zu bis zu 330’000 Konsultationen und bis zu 5000 Hospitalisierungen pro Jahr in der Schweiz, und landesweite Aktivitäten zielen darauf ab, die Impfraten zu erhöhen (10, 11). Der Rückgang der Impfquoten in den letzten Jahren gibt daher zunehmend Anlass zur Besorgnis und unterstreicht die Notwendigkeit einer genauen Überwachung. Die Überwachung von nationalen Impfquoten ist ein Eckpfeiler des globalen WHO-Programms. In der Schweiz stützt sich die nationale Überwachung der Influenza-Impfquoten auf den selbstberichteten Impfstatus. Das Ziel einer kürzlich publizierten Schweizer Studie aus dem Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich (12) war die Ermittlung der VURs bei Risikopatienten, d.h. Patienten ≥65 Jahre und erwachsenen Patienten mit chronischen Krankheiten, unter Verwendung von Leistungsdaten anstelle von Selbstauskünften, sowie Untersuchung der Faktoren für die Inanspruchnahme von Impfstoffen und verschiedene methodische Ansätze zur Überwachung von Impfungen.
In dieser retrospektiven Querschnittsanalyse wurden die nationalen Impfquoten während drei Influenzasaisons (2015/2016/2017/2018) untersucht. Medikamente, Diagnosen oder medizinische Leistungen wurden als Auslöser für die Identifizierung von Patienten verwendet. Für die Berechnung der nationalen Impfquoten bei Patienten mit chronischen Erkrankungen wurden diese anhand der Auslöser in der jeweiligen Saison (Modell 1) und in der aktuellen und der vorherigen Saison (Modell 2) identifiziert. Es wurde eine Regressionsanalyse verwendet, um Faktoren zu identifizieren, die mit dem Impfstatus in Verbindung stehen.
Die Studie umfasste Daten, die von 214’668 einzelnen Patienten analysiert wurden. Nationale Impfquoten über alle Saisons hinweg reichten von 18,4 % bis 19,8 %. Die meisten Patienten mit chronischen Krankheiten wurden mit dem Medikamenten-Trigger identifiziert, und es wurden keine klinisch signifikanten Unterschiede bei nationalen Impfquoten zwischen den beiden Modellen gefunden. Das Vorliegen einer chronischen Krankheit, Alter, männliches Geschlecht und regelmässige Arztbesuche waren mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit verbunden, geimpft zu werden.
Fazit
Die nationalen Impfquoten lagen unter den empfohlenen Schwellenwerten, und die Analyse zeigte, dass Anstrengungen zur Erhöhung der nationalen Impfquoten erforderlich sind. Die Autoren bewerteten die Identifizierung von chronischen Krankheiten anhand von Medikamentenansprüchen und die Berechnung von nationalen Impfquoten auf der Grundlage von Daten der jeweiligen Saison als einen wirksamen Ansatz zur Durchführung der Impfüberwachung. Eine Überwachung auf der Grundlage von Anspruchsdaten kann die nationale Überwachung vervollständigen.
Quelle: Plate A, Bagnoud C, Rosemann T, Senn O. Di Gangi S. Influenza vaccination uptake among at-risk patients in Switzerland—The potential of national claims data for Surveillance. Influenza Other Respi Viruses. 2023;17:e13206.
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen
riesen@medinfo-verlag.ch
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12. Plate A, Bagnoud C, Rosemann T, Senn O. Di Gangi S. Influenza vaccination uptake among at-risk patients in Switzerland—The potential of national claims data for Surveillance. Influenza Other Respi Viruses. 2023;17:e13206.
Das SABCS 2023 bot auch dieses Jahr den teilnehmenden Fachleuten aus Medizin und Pflege die einzigartige Möglichkeit, persönlich in San Antonio oder virtuell teilzunehmen. Davon machten gegen 11’000 Interessierte aus 102 Ländern Gebrauch. Diskutiert wurde rund 400 Präsentationen und knapp 2’000 Abstracts zur aktuellen Brustkrebsforschung. Unsere Expertinnen und Experten vor Ort Dr. med. Denise Vorburger, Dr. med. Ursula Hasler Strub, PD. Dr. med. Marcus Vetter und Dr. med. Andreas Müller sichteten die Beiträge und diskutierten für «info@gynäkologie» die wichtigsten Ergebnisse des Symposiums im Rahmen einer Video-Aufzeichnung, die Sie sich hier anschauen können: www.medinfo-verlag.ch/schweizer-expertinnen-und-experten-diskutieren-wichtige-daten-vom-sabcs-2023.
Viele der in am SABCS 2023 vorgestellten Studien sind praxisverändernd, während andere die bestehenden Behandlungsstandards untermauern. Die Diskussionen konzentrierten sich auf verschiedene klinische Kontexte, einschliesslich unterschiedlicher Brustkrebs-Subtypen, Stadien und Behandlungslinien. Nachfolgend kursorisch eine kleine Auswahl von wichtigen Studien.
Bei den gezielten Therapien für HR-positiven Brustkrebs ist die finale Analyse des Gesamtüberlebens (OS) aus der MONARCH-3-Studie zu erwähnen, in der der CDK4/6-Inhibitor Abemaciclib in Kombination mit einem Aromatasehemmer in der Erstlinienbehandlung von postmenopausalen Patientinnen mit metastasiertem oder rezidiviertem HR-positivem, HER2-negativem Brustkrebs untersucht wurde. Die klinisch signifikante Verbesserung des medianen OS (>13 Monate) in Kombination mit der anhaltenden signifikanten Verbesserung des medianen PFS (>14 Monate) und die signifikante Verlängerung des medianen CFS (>16 Monate) sprechen weiterhin für den Einsatz von Abemaciclib in Kombination mit einem NSAI als Erstlinientherapie beim ABC.
Derzeit ist das triple-negative Mammakarzinom (TNBC) der einzige Brustkrebssubtyp, für den eine Immuntherapie bei Brustkrebs im Frühstadium zugelassen ist. Vorläufige Daten, die auf dem SABCS vorgestellt wurden, deuten jedoch darauf hin, dass eine Immuntherapie auch bei einigen HR-positiven Brustkrebsarten wirksam sein könnte.
Die Studie KEYNOTE-756 untersuchte die neoadjuvante Behandlung mit Pembrolizumab oder Placebo in Kombination mit einer Chemotherapie, gefolgt von einer adjuvanten Behandlung mit Pembrolizumab oder Placebo in Kombination mit einer endokrinen Therapie in der Erstlinienbehandlung von lokal invasivem HR-positivem, HER2-negativem Brustkrebs. Im Vergleich zu Patientinnen in der Placebo-Gruppe hatten Patientinnen in der Pembrolizumab-Gruppe eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein pathologisches komplettes Ansprechen (pCR), ein Ergebnis, das auch bei Patientinnen beobachtet wurde, deren Tumoren eine niedrige HR-Expression aufwiesen.
Eine wichtige Beobachtung wurde in der Studie KEYNOTE-522 gemacht: Längere Verzögerungen sind mit einem quantifizierbaren Anstieg des Upstagings und der Wahrscheinlichkeit, bei der Operation einen positiven Tumorbefund zu erhalten, assoziiert.
In der Studie TROPION-Breast01 wurde in allen Subgruppen eine statistisch signifikante und klinisch bedeutsame Verbesserung des PFS mit Dato-DXd im Vergleich zu ICC beschrieben. Diese Daten unterstützen Dato-DXd als eine mögliche neue Therapieoption für Patienten mit inoperablem oder metastasiertem HR+/HER2- BC, die zuvor 1-2 Linien CT erhalten haben.
Schliesslich noch ein Wort zur klinischen Behandlung von HER2-positivem Brustkrebs. Am SABCS wurden die endgültigen Daten zum invasiven krankheitsfreien Überleben (iDFS) und aktualisierte Daten zum Gesamtüberleben (OS) aus der KATHERINE-Studie vorgestellt. Hierin wurde Trastuzumab Emtansin (T-DM1) mit Trastuzumab bei Patientinnen mit HER2-positivem Brustkrebs verglichen, die nach neoadjuvanter Therapie und Operation noch eine Resterkrankung aufwiesen. Patientinnen in der T-DM1-Gruppe zeigten ein um fast 14 Monate längeres iDFS und ein um 34 % geringeres Sterberisiko als Patientinnen in der Trastuzumab-Gruppe.
Eine weitere Studie, HER2CLIMB-02, untersuchte den Effekt der Zugabe des HER2-Inhibitors Tucatinib zu T-DM1 bei Patientinnen mit HER2-positivem lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs, der nach einer Vorbehandlung mit Trastuzumab und einer Taxan-Chemotherapie fortgeschritten war. Die Kombination von Tucatinib und T-DM1 im Vergleich zu T-DM1 allein führte hierbei zu einer signifikant höheren 3-Jahres-PFS-Rate.
Nun überlassen wir es gerne Ihnen, zur Vertiefung Ihres Wissens die Diskussion der Expertinnen und Expertinnen in der Videoaufzeichnung zu verfolgen sowie die Auswahl von am SABCS vorgestellten und für «info@gynäkologie» zusammengefassten Abstracts zu konsultieren.
Steter Fortschritt durch ein verbessertes Verständnis molekularer Grundlagen
Liebe Kolleginnen und Kollegen
Wie jedes Jahr, wurde der Jahreskongress der Amerikanischen Gesellschaft für Hämatologie (ASH) mit Spannung erwartet und viele Kolleginnen und Kollegen traten die lange Reise an, um in San Diego die neusten wissenschaftlichen und klinischen Daten aus dem Fachgebiet der benignen und malignen Hämatologie präsentiert zu bekommen. Der Kongress wurde erfreulicherweise erneut durch eine Online-Plattform im sog. Hybridkonzept unterstützt und erlaubte Teilnehmenden eine höhere Flexibilität der persönlichen Fortbildung, falls gewünscht auch ganz ohne Reisetätigkeit.
Inhaltlich wies der Kongress wie immer ein hohes wissenschaftliches Niveau auf und ich möchte, ohne den Autoren/-innen dieses Heftes vorzugreifen, kurz meine Highlights mit Schwerpunkt auf dem Gebiet der malignen Hämatologie vorstellen.
Als erster Eindruck verstärkte sich auch dieses Jahr der Trend, dass moderne zielgerichtete Therapien bzw. Immuntherapien klassische Chemotherapien ersetzen oder zumindest in Kombination mit Chemotherapien bessere Therapieergebnisse erzielen können. Ein Beispiel ist die Behandlung der indolenten Lymphome, inklusive der Chronischen Lymphatischen Leukämie (CLL). Nahezu sämtlich vorgestellte Studiendaten beruhten auf zielgerichteten Therapien beziehungsweise Immuntherapie. Eine für den klinischen Alltag relevante Studie der englischen Studiengruppe (UK NCRI FLAIR Studie) stellte die Frage einer zeitlich begrenzten Erstlinientherapie mit Ibrutinib plus Venetoclax (IV) im Vergleich zur Standard Immun-Chemotherapie Fludarabin, Cyclophosphamid und Rituximab (FC-R) bei bisher unbehandelten CLL Patienten/innen (1). IV wurde MRD-gesteuert appliziert und wies ein signifikant verbessertes progressionsfreies Überleben (PFS; HR 0,13; p<0,0001) als auch Gesamtüberleben (OS; HR 0,31; p<0,005) im Vergleich zu FC-R auf. Damit ist nun auch die letzte Indikation für eine Chemotherapie in der Erstlinientherapie der CLL gefallen und sämtliche zur Verfügung stehende Medikamente beruhen auf dem Prinzip der Immun- respektive zielgerichteten Therapie. Diese Arbeit, parallel zur PERSEUS Studie der europäischen Myelom Studiengruppe, wurde zeitgleich im New England Journal of Medicine publiziert. Die PERSEUS Studie (2) belegt, dass in der Erstlinientherapie transplantationsfähiger Myelom-Patienten/innen die Vierfachkombination beruhend auf dem CD38 Antikörper Daratumumab, Lenalidomid, Bortezomib und Dexamethason (D-VRd) der gleichen Dreifachkombination ohne CD38 Antikörper (VRd) bezogen auf das PFS signifikant überlegen ist (medianes follow-up 47,5 Monate: HR 0,42; p <0,0001). Wir hatten bisher mit der GRIFFIN Studie nur eine Phase II Studie zur Verfügung und können nun auf diese für Kostengutsprachen wichtige Phase III Studie zurückgreifen.
Beim klassischen Hodgkin-Lymphom (cHL) sind aus meiner Sicht zwei Studien für den klinischen Alltag relevant: Zum einen die Subgruppenanalyse der SWOG S1826 Studie (3), in der der Einsatz des PD1 blockierenden Antikörpers Nivolumab plus Adriamycin, Vinorelbine und Dacarbazin (N-AVD) versus die gleiche Chemotherapie aber Brentuximab vedotin (Bv) anstelle des PD1 Antikörpers (Bv-AVD Arm) in der Erstlinientherapie aller Altersgruppen getestet wurde. Die Studie hatte bereits im Sommer auf verschiedenen Kongressen für Aufsehen gesorgt, da sich ein früh zu bemerkender Vorteil für den PD1 Arm zeigte. In der nun präsentierten Subgruppenanalyse wurden nur Patienten/-innen > 60 Jahren betrachtet und auch in dieser Altersgruppe zeigte sich ein signifikanter PFS-Vorteil (HR 0,35; p=0,022) für den N-AVD Arm bei gleichzeitig geringerer Toxizität. Damit sollte NAVD als Therapiestandard in der Erstlinientherapie des älteren cHL Patienten/in Verwendung finden. Auch in der Rezidivtherapie (4) zeigte sich, dass eine Re-Induktionstherapie basierend auf einer Chemotherapie plus einem PD1 blockierenden Antikörper vor Hochdosistherapie und autologem Stammzellersatz bei fitten cHL Patienten/innen einer alleinigen Chemotherapie bezogen auf das PFS überlegen ist (HR 0,3; p= <0,001) und damit als Standard zu gelten hat.
Als letztes möchte ich kurz auf die akuten Leukämien eingehen. Die Kombination des BCL2 Inhibitors Venetoclax (VEN) mit dem HMA Azacytidine bzw. Decitabine (DEC) gilt bereits bei den meisten älteren AML Patienten/-innen als Standard in der Erstlinientherapie. Das VEN + DEC Regime wurde nun auch bei jüngeren Patienten vs. einer Standardchemotherapie, dem sogenannten 3 + 7 Regime verglichen und es zeigte sich, dass insbesondere Patienten/-innen >40 Jahre mit intermediärer oder ungünstiger genetischer Risikokonstellation von dem chemotherapiefreien Regime bei höheren MRD-Raten und geringerer Toxizität profitieren (5). Mit dem stetig wachsenden Wissen zu den pathogenetischen Prozessen der Leukämieentstehung halten auch molekular gezielte Therapien weiterhin Einzug in die Behandlung. So wurde mit Revumenib ein Inhibitor der Menin-Histon-Lysin-N-Methyltransferase 2A (KMT2A)-Interaktion bei Patienten/innen mit rezidivierter/refraktärer (R/R) KMT2A-veränderter (KMT2Ar) und Nukleophosmin-1-mutierter (NPM1m) akuter Leukämie untersucht (AUGMENT-101 Studie, 6) und zeigte bei guter Verträglichkeit erfreulich hohe Ansprechraten (MRD-Rate knapp 70%), sodass mit einer beschleunigten Zulassung für diese schwierig zu behandelnden Leukämie zu rechnen ist.
Ich hoffe, mit meiner persönlichen Stellungnahme Ihr Interesse an den nun folgenden detaillierten Studienzusammenfassungen geweckt zu haben und wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen!
Osteoporose ist häufig und die Therapieindikation richtet sich nach dem geschätzten Fraktur-Risiko. Hierfür stehen Medikamente unterschiedlicher Potenz und Wirkweise (antiresorptiv bzw. osteoanabol) zur Verfügung. Die Auswahl der Substanz sollte unter Berücksichtigung des Ausgangs-Fraktur-Risikos getroffen werden. Der chronische Charakter der Erkrankung einerseits und die pharmakologischen Eigenschaften der unterschiedlichen Substanzen andererseits machen in den meisten Fällen eine sequentielle Behandlung erforderlich. Die sinnvolle Umsetzung solcher Therapie-Sequenzen setzt wiederum Kenntnisse über die eingesetzten Osteoporose-Medikamente voraus, die in diesem Beitrag vermittelt werden sollen.
Osteoporosis is common and requires specific drug therapy dependent on estimated fracture risk. Medications with differing potency and mode of action (antiresorptive or osteoanabolic) are available. The choice of substance should be based on the initial fracture risk. Owing to the chronic nature of the disease on the one hand and the pharmacological characteristics of the available drugs on the other, a sequential treatment strategy is usually necessary. This article aims to address and provide insights into the knowledge available in order to facilitate appropriate implementation of anti-osteoporotic drug therapy. Key Words: estimated fracture risk, major osteoporotic fracture, antiresorptive drugs, osteoanabolic drugs, sequential therapy
Im Jahr 2019 waren in der Schweiz ca. 524‘000 Patient/-innen von einer Osteoporose betroffen, mit einem Frauenanteil von knapp 80%. Besonders eindrücklich sind die damit verbundenen 82‘000 neuen Frakturen entsprechend 9,4 Frakturen pro Stunde! Die Schweiz ist zudem Spitzenreiter in Europa, was die Kosten durch osteoporotische Frakturen angeht (ca. 3,4 von ges. 74,9 Milliarden Euro) (1). Trotz Zunahme medikamentöser Behandlungsmöglichkeiten in den letzten Jahren ist immer noch von einer erheblichen Behandlungslücke auszugehen (2).
Therapie-Indikation
Die Indikation für eine Osteoporose-Therapie wird heutzutage anhand des geschätzten Frakturrisikos gestellt. Die Abschätzung erfolgt durch Eingabe der zu erfragenden Risikofaktoren (Tab. 1) und des minimalen T-Scores an LWS, Gesamthüfte bzw. Schenkelhals nach DXA-Messung in einen Kalkulator (z.B. FRAX der WHO oder «Tool der Osteoporose-Plattform», TOP). In erster Linie relevant für die Therapieindikation ist das geschätzte Risiko für eine osteoporotische Hauptfraktur (englisch «major osteoprotic fracture», kurz MOF), d.h. Wirbel-, Hüft-, proximale Humerus- oder distale Radius-Fraktur. Eine altersadaptierte Interventionsschwelle, wie sie die Schweizerische Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) vorsieht (Abb. 1), wird gegenüber einer fixen Interventionsschwelle (z.B. 10-Jahres-Risiko 20-25%) kontrovers diskutiert. Für die Prophylaxe bei systemischer Glucocorticoid- oder hormonablativer Therapie sind gesonderte Empfehlungen zu beachten, die in diesem Beitrag aus Gründen des Umfangs nicht abgehandelt werden.
Unterschiedliche Erstlinien-Therapie je nach Ausgangsrisiko
Die SVGO hat im Jahr 2020 Behandlungs-Empfehlungen publiziert (3), die auf einer Stratifizierung nach Risikogruppen basieren (Abb. 2). Bei tiefem (densitometrisch Osteopenie ohne weitere Risikofaktoren) bzw. moderatem Risiko (densitometrisch Osteoporose, Frakturrisiko unterhalb der Interventionsschwelle) steht neben einer generell empfohlenen genügenden Calcium- und Vitamin-D-Versorgung die Prävention mittels Hormonersatz, selektiven Östrogen-Rezeptormodulatoren (SERM) oder optional oralen Bisphosphonaten im Vordergrund. Unverzichtbar ist eine knochenspezifische Behandlung bei hohem (Risiko über der Interventionsschwelle), sehr hohem (Risiko mindestens 20% über der Interventionsschwelle) oder imminentem Frakturrisiko. Letzteres liegt dann vor, wenn bei über 65-jährigen Patient/-innen eine MOF innerhalb der letzten 2 Jahre aufgetreten ist (3). Wie in Abbildung 2 ersichtlich, werden bei prävalenter osteoporotischer Fraktur konkrete Empfehlungen zur Erstlinien-Behandlung gemacht: Teriparatid bei vertebraler Fraktur, Zoledronat bei Hüft-Fraktur und Romosozumab bei anderen MOF. Grundlage hierfür bildet die Evidenz, dass entsprechende Medikamente in vorliegenden Ausgangssituationen eine gute bzw. gegenüber oralen Bisphosphonaten überlegene Wirksamkeit aufweisen (4, 5, 6). Zudem ist als Rationale für den Erstlinien-Einsatz von Teriparatid bzw. Romosozumab die Erkenntnis anzuführen, dass der unter osteoanaboler Therapie erreichte Dichtezuwachs ohne antiresorptive Vortherapie höher ausfällt. Es sei aber darauf hingewiesen, dass sich die Limitationen für die Kostenübernahme der einzelnen Medikamente in der Schweiz nicht grundsätzlich mit den SVGO-Empfehlungen decken.
Die Medikamente (siehe auch Tabelle 2)
Antiresorptiva
Bisphosphonate wirken antiresorptiv durch Osteoklastenhemmung und werden seit ca. 30 Jahren zur Osteoporose-Therapie eingesetzt. Gängige Präparate sind in Tabelle 2 aufgeführt. Aufgrund ihrer Wirkweise durch Anlagerung an die Knochenoberfläche hält der antiresorptive Effekt noch nach Pausierung/Beendigung an, was die Bisphosphonate von allen anderen Osteoporose-Medikamenten unterscheidet. Am ausgeprägtesten ist dieser sogenannte «Tail-Effekt» bei Zoledronat. Seltene Nebenwirkungen sind Kieferosteonekrosen und atypische (=subtrochantäre) Femurfrakturen, wobei das jeweilige Risiko mit der Dauer der Therapie steigt. Entsprechend ist nach 3- bis 5-jähriger Bisphosphonat-Therapie eine Pause zu erwägen, zumal die Knochendichte nach dieser Behandlungsdauer trotz fortgesetzter Behandlung normalerweise nicht weiter zunimmt (7). Bisphosphonate sind kontraindiziert bei Schwangerschaft/Stillzeit und Niereninsuffizienz (GFR<35 ml/min).
Denosumab (Prolia®) ist ein vollhumaner monoklonaler Antikörper gegen RANK-Ligand und wirkt via Osteoklastenhemmung. Im Unterschied zu den Bisphosphonaten zeigt sich auch nach 10-jähriger Anwendung kein Plateau des Knochendichteanstieges (8). Allerdings kommt es nach Beendigung bzw. verzögerter Anwendung unmittelbar zu einem überschiessenden Knochenabbau (sog. «Rebound-Phänomen»), welcher mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten multipler Wirbelkörper-Frakturen einhergeht (9). Denosumab eignet sich daher primär zur Langzeittherapie und sollte keinesfalls ohne Anschlusstherapie gestoppt oder verzögert verabreicht werden. Da die Datenlage für die sichere Langzeitanwendung von Denosumab auf 10 Jahre beschränkt ist (8), sollte die Indikation bei jüngeren Patient/-innen zurückhaltend gestellt werden. Sollte eine Beendigung von Denosumab dennoch nötig werden, hat sich insbesondere Zoledronat als Anschlusstherapie aufgrund seiner antiresorptiven Potenz etabliert. Hiermit lässt sich der Rebound zwar reduzieren, aber meist nicht gänzlich verhindern. Bezüglich optimaler Umsetzung der Anschlusstherapie ist die Datenlage noch ungenügend. Sowohl bei Bisphosphonaten als auch bei Denosumab sollten vor Therapieeinleitung eine Hypolcalcämie sowie ein relevanter Vitamin-D-Mangel ausgeschlossen werden. Zudem ist zur Reduktion des Risikos von Kieferosteonekrosen auf eine gründliche Zahnpflege zu achten; chirurgische Eingriffe am Kieferknochen (Zahn-Extraktion, Implantat) sollten unter etablierter Therapie möglichst vermieden werden.
Osteoanabolika
Teriparatid ist eine rekombinante Form des humanen Parathormons. Vor Anwendung bedarf es einer Kostengutsprache durch die Krankenkasse. Es wirkt osteoanabol durch Stimulation der Osteoblasten-Proliferation und -Differenzierung. Die Therapiedauer ist auf 24 Monate limitiert, das Präparat muss täglich subcutan gespritzt werden. Neben dem Originalpräparat Forsteo® existieren mittlerweile diverse (kostengünstigere) Biosimilars. Teriparatid ist u.a. kontraindiziert bei malignen Knochenerkrankungen oder vorausgegangener Strahlentherapie des Skeletts. Nach Abschluss von Teriparatid bedarf es einer antiresorptiven Anschlussbehandlung, da der erreichte Dichtezuwachs andernfalls vollständig reversibel ist.
Romosozumab (Evenity®) ist ein humanisierter Antikörper gegen Sclerostin und die zweite in der Schweiz zugelassene osteoanabol wirksame Substanz. Neben der knochenaufbauenden Wirkung besteht auch ein antiresorptiver Effekt; dieser duale Wirkmechanismus hebt die Substanz von allen anderen zugelassenen knochenwirksamen Medikamenten ab. Die Behandlung erfolgt durch monatliche subkutane Injektionen, die Dauer ist auf 1 Jahr beschränkt. Auch für Romosozumab ist eine Kostengutsprache durch die Krankenkasse nötig. Die Substanz ist nur für postmenopausale Frauen zugelassen und kontraindiziert bei Vorgeschichte eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls. Auch die unter Romosozumab gewonnene Knochendichte verliert sich nach Therapieabschluss, sofern keine antiresorptive Anschlusstherapie erfolgt.
Sequentielle Therapie
Aus den Eigenschaften der genannten Medikamente ergibt sich, dass in der Langzeittherapie einer Osteoporose eine sequentielle Behandlungsstrategie häufig unumgänglich ist. Hierzu 2 Fall-Beispiele. Im zweiten Fall wird auch auf die Möglichkeit einer Kombinationstherapie eingegangen.
Fall 1: Eine 62-jährige, postmenopausale, internistisch gesunde Patientin mit frischer LWK1-Fraktur und einem T-Score in der DXA von -4.4 SD an der LWS bzw. -3.3 SD am Schenkelhals erhält bei imminentem Frakturrisiko eine osteoanabole Erstlinien-Behandlung mit Romosozumab. Nach 1-jähriger Behandlung beträgt der T-Score jeweils -2.9 SD an LWS und Schenkelhals; neue Frakturen sind nicht aufgetreten. Aufgrund der Lebenserwartung der Patientin von deutlich über 10 Jahren entscheidet man sich für eine Anschlussbehandlung mit einem Bisphophonat für 3 bis 5 Jahre. Da die Patientin nach Abschluss der Anschlussbehandlung immer noch unter 70 sein wird, ist mit einer erneuten Behandlungsindikation zu einem späteren Zeitpunkt im Leben der Patientin zu rechnen.
Fall 2: Eine 83-jährige, rüstige Patientin erleidet eine Sakrum-Fraktur nach Sturz aus Standhöhe. In der DXA ist der T-Score der Wirbelsäule aufgrund degenerativer Veränderungen nicht aussagekräftig, an der Gesamthüfte beträgt der T-Score -1.3 SD und am Schenkelhals -1.6 SD. In dieser Konstellation ist die Limitatio weder für Teriparatid noch für Romosozumab erfüllt, so dass eine Erstlinienbehandlung mit einem Bisphosphonat oder Denosumab bleibt. In vorliegender Situation fiel der Entscheid aufgrund des Lebensalters >80 auf eine Behandlung mit Denosumab. Nach 4-jähriger Behandlung mittels Denosumab kommt es zu einer spontanen BWK11-Fraktur, weshalb die Optionen einer Therapieeskalation zu prüfen sind. Die Umstellung auf ein Bisphosphonat würde in puncto Wirkpotenz keine Eskalation darstellen, zumal der Rebound nach Beendigung von Denosumab durch ein Bisphosphonat wie erwähnt meist nur unvollständig verhindert wird. Im Falle einer Umstellung von Denosumab auf Teriparatid ist ein ausgeprägtes Rebound-Phänomen beschrieben, so dass diese Sequenz grundsätzlich zu vermeiden ist (10). Für die Sequenz Denosumab gefolgt von Romosozumab ist die Datenlage ungenügend. In vorliegender Situation ist die wirksamste Option eine Kombination von Denosumab mit Teriparatid (10) für 2 Jahre mit nachfolgender Weiterführung von Denosumab bis zum Lebensende.
Zweitabdruck aus «der informierte @rzt/die informierte @rztin» 02-2024
Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Die Behandlungsindikation der Osteoporose basiert auf dem geschätzten Frakturrisiko, das sich aus dem tiefsten T-Score in der DXA (LWS, Gesamthüfte, Schenkelhals) und den erfassten Risikofaktoren unter Verwendung eines Risikokalkulators ermitteln lässt.
◆ Es stehen mehrere knochenwirksame Medikamente zur Verfügung, die sich neben der Wirkweise auch in ihrer Wirkpotenz unterscheiden.
◆ Bei der Auswahl des Medikamentes ist das geschätzte Ausgangsrisiko zu berücksichtigen, wobei bei sehr hohem/imminentem Risiko auch der Erstlinieneinsatz von Osteoanabolika erwogen werden sollte.
◆ Die Langzeitbehandlung der Osteoporose bedarf häufig einer sequentiellen Behandlungsstrategie.
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Eine erfüllte Sexualität fördert die Lebensqualität bis ins hohe Alter. Gynäkologinnen und Gynäkologen spielen hierbei eine entscheidende Rolle, da sie oft erste Ansprechpartner für Frauen mit Anliegen zu ihrer Sexualität sind und entsprechende Beratung Teil der gynäkologischen Primärprävention ist. Daher sollten alle behandelnden Ärzte und Ärztinnen ein Bewusstsein entwickeln, dass Sexualität und ihr individuelles Empfinden durch körperliche, psychische, soziale und partnerschaftliche Faktoren beeinflusst werden. Herausforderungen in der Gesprächsführung bei der sexualmedizinischen Anamnese können zu Kommunikationsproblemen führen. Sensible Kommunikation, Diagnostik und Therapie mit Anlehnung an das biopsychosoziale Modell tragen dazu bei, Frauen zu ermöglichen, ihre Sexualität als erfüllend zu erleben. Eine erfüllte Sexualität fördert somit die Lebensqualität bis ins hohe Alter.
A fulfilled sexuality plays a pivotal role in promoting better aging process by contributing to an overall well-being. Obstetricians/Gynecologists often serve as the primary healthcare professionals consulted by women facing sexual concerns. Consequently, these consultations contribute to the primary prevention through education and sexual medical assessments. Sexuality is a complex interplay of biological, psychological, social and relational components. Challenges in targeted sexual medical histories arise in medical consultations due to communication issues. However, a proactive approach in consultations, incorporating sensitive communication and following the diagnostic and therapeutic process aligned with the biopsychosocial model, empowers women to express their concerns and contributes to their self-determined sexuality. Cultivating a fulfilled sexuality contributes to an enhanced quality of life throughout the aging process. Key words: Fulfilled sexuality, quality of life, aging process, biopsychosocial model, primary prevention, secondary prevention, tertiary prevention
Welche Bedeutung hat die sexuelle Gesundheit in der Gynäkologie?
Historisch betrachtet wurde das Thema Sexualität aufgrund gesellschaftlicher Normen oft schamhaft betrachtet und tabuisiert. Obwohl in den letzten Jahrzehnten eine allmähliche Enttabuisierung des Themas stattfand, hat die zunehmende Digitalisierung im jetzigen Jahrhundert zu einer omnipräsenten Präsenz der Sexualität geführt. Demzufolge hat sich ein verzerrtes Bild der Sexualität in der Gesellschaft entwickelt, das oft fernab von medizinischem Fachwissen liegt. Vor diesem Hintergrund spielt die fachlich kompetente Patientenberatung im Kontext der sexuellen Gesundheit eine entscheidende Rolle. Gynäkologinnen und Gynäkologen sind oft die ersten medizinischen Ansprechpartner für Frauen mit Anliegen zu ihrer Sexualität. In der Sprechstunde ist die Sekundärprävention fest etabliert, wie beispielsweise die Diagnostik und Therapie von sexuell übertragbaren Infektionen, das Vorgehen nach unge-schütztem Geschlechtsverkehr bis hin zur Beratung im Falle einer ungewollten Schwangerschaft. Die Vorbeugung von Gesundheits-problemen im Zusammenhang mit der sexuellen Gesundheit liegt auch in der Verantwortung der gynäkologischen Fachdisziplin und ist Teil der Primärprävention. Die Verbesserung der Gesundheit und Lebensqualität jedes Einzelnen in unserer Gesellschaft bis ins hohe Alter, bei demographisch immer weiter steigender Lebenser-wartung, kann nur durch das Bewusstsein des Menschen über die eigene Selbstverantwortung für seinen Körper geschaffen werden. Dabei ist wesentlich, dass die spezifische Thematik der Sexualität jede und jeden über die gesamte Lebensspanne begleitet.
Häufig wird die Sexualanamnese in Routineuntersuchungen vernachlässigt, vergessen oder sogar ignoriert. Um fest Bestand zu haben, ist die Offenheit für dieses sensible Thema unabdingbar. Durch verbesserte Kommunikation und adäquate Aufklärung wird die Selbstverantwortung der Patientinnen gestärkt und dadurch ein entscheidender Beitrag nicht nur zur Sekundär- oder Tertiärprävention, sondern auch zur Primärprävention geleistet. Idealerweise kann einer Patientin durch die Konsultation geholfen werden, ihre Problematik besser einzuordnen, damit sie ferner eine selbstbestimmte Sexualität ausleben kann. Die Autonomie des Individuums ist für ein erfülltes sexuelles Empfinden wichtig (1).
Einfluss der Sexualität auf die Lebensqualität
Die Sexualität ist einer der intimsten Aspekte des Menschen. Dabei bedeutet Sexualität mehr als der penetrative Geschlechtsverkehr: Sie beinhaltet auch Intimität wie beispielsweise der Austausch von Zärtlichkeiten (Küssen, Umarmen, Petting) oder auch die Masturbation.
Einschneidende Ereignisse über die Lebensspanne wie onkologische Erkrankungen, die Gravidität oder hormonelle Umstellungen (z.B. Stillen, Menopause) wirken sich auf Körper und Seele aus. Wichtig ist die Erkenntnis, dass das sexuelle Erleben des Einzelnen durch verschiedene Wechselwirkungen beeinflusst wird. Das biopsychosoziale Modell, ein bekanntes Konzept in der Medizin und Psychologie, veranschaulicht die komplexen Interaktionen zwischen somatischen, psychischen und sozialen Faktoren (2). Zusammen prägen die verschiedenen Einflussfaktoren das subjektive sexuelle Empfinden eines Individuums (Abbildung 1). Die somatische Komponente der physiologischen Grundlagen der Sexualität (sexueller Zyklus mit vier Phasen: Erregungs-/ Plateauphase, Orgasmus und Refraktärphase) und die hormonelle Regulation sind allgemein bekannt (3, 4, 5). Doch auch die psychologischen Faktoren (Emotionen, Verhaltensweisen, sexuelle Biographie) sind ebenso mitentscheidend (6). Diese können Unsicherheiten bis hin zur Entwicklung einer körperdysmorphen Störung auslösen (7), beispielsweise nach einer Operation. Soziokulturelle Normen der Gesellschaft (Erziehung, Bildung, Umwelt), in die das Individuum eingebettet ist, tragen ebenfalls bei. Darüber hinaus muss auch die Partnerschaft der Patientin mit ergänzenden Einflüssen durch deren Dynamik oder etwaige sexuelle Probleme des Partners oder der Partnerin berücksichtigt werden (8). Sie stellt die vierte Komponente im Modell dar. Ein individueller Ansatz ist nötig, um einen Gesamteindruck zu erhalten und auslösende oder prädisponierende Faktoren auf das subjektiv empfundene Problem zu identifizieren. Gleichzeitig darf durch die Konsultation kein Problem suggeriert werden. Der Leidensdruck der Patientin ist entscheidend.
Hürden der Kommunikation über das Thema Sexualität
Das Navigieren der Gesprächsführung mit anschliessender kompetenter Problemlösung während der gynäkologischen Konsultation kann bei diesem sensiblen Thema eine Herausforderung darstellen. Die Kommunikation in der Arzt-Patientinnen-Beziehung kann unter anderem durch persönliche Überzeugungen, Wertvorstellungen, oder der begrenzten Zeit in der ärztlichen Sprechstunde beeinflusst werden (9, 11). Die Vergütung stellt eine zusätzliche Hürde dar, da bei tiefergreifenden Fragestellungen Konsultationen nur begrenzt honoriert werden. Patientinnen können ebenfalls auf Hürden stossen, darunter Schamgefühle, Ängste vor Verurteilung oder Unsicherheiten bezüglich des Ansprechens sexueller Themen während der Konsultation. Auch das Ausleben anderer Beziehungsformen neben dem heteronormativen Beziehungs- und Weltbild kann eine zusätzliche Hemmschwelle darstellen (9).
Für eine effektive Exploration der Sexualanamnese ist eine klare, offene Kommunikation entscheidend, um individuelle Aspekte der Patientinnen zu berücksichtigen. Medizinisches Vokabular ist zwar präzise, kann aber unter Umständen für das Gegenüber schwer verständlich sein. Geschickte Fragetechniken in der Gesprächsführung helfen, Barrieren zu überwinden und Vertrauen aufzubauen. Ein Beispiel für eine verbesserte Kommunikation könnte die Beschreibung anderer Frauen in ähnlichen Lebensumständen sein: «Nach einer schwierigen Geburt erleben viele Frauen Veränderungen in ihrer Sexualität. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?» Solche Vergleiche können entlastend wirken und ermöglichen es, offener über eventuelle Symptomatik zu sprechen. Es ist wichtig, Probleme nicht zu bagatellisieren und Suggestivfragen zu vermeiden.
Basisdiagnostik sexueller Dysfunktionen
Die Erfassung der allgemeinen und gynäkologischen Anamnese mit körperlicher Untersuchung ist die Grundlage, um Aspekte wie Vorerkrankungen, Medikation, Zyklus, Lebensphase der Frau und durchgeführte Operationen, die die sexuelle Gesundheit beeinflussen könnten, zu identifizieren. Eine differenzierte Sexual-anamnese, die Aspekte der Beziehungsbiographie, des sexuellen Verhaltens und der aktuellen Partnerschaft erfragt, kann zusätzlich aufschlussreiche Hinweise liefern. Häufige Symptome wie Dyspareunie, Appetenz- und Orgasmusstörungen können so erfasst werden (10). Bei einem spezifischen Beschwerdebild erfolgt eine detaillierte Exploration der Dauer und Manifestation der Symptomatik. Hormonuntersuchungen können bei Verdacht auf Klimakterium praecox (FSH, E2), Schilddrüsenfunktionsstörung (TSH, T3, T4) oder Hyperprolaktinämie (Prolaktin) wegweisend sein. Die Bestimmung der Androgene bleibt kontrovers und wird in diesem Rahmen nicht weiter vertieft.
Therapeutische Interventionen
Therapeutische Interventionen zur sexualmedizinischen Betreuung können sich am PLISSIT-Stufenmodell orientieren (vgl. Abbildung 2). Die schrittweise Abfolge stellt sich zusammen aus: Permission (Erlaubnis für Aspekte wie Fantasien, Masturbation), Limited Information (Vermittlung spezifischer, für das Individuum relevante Informationen), Specific Suggestions (Konkrete Vorschläge) und Intensive Therapie (Intensive Therapie im Einzel-oder Paarsetting) (11, 12). Ein offener Umgang mit dem Thema, proaktives Zuhören und die fokussierte Aufklärung hinsichtlich Konzeptionen und Verständnisse von Sexualität sind effektive psychoedukative Strategien, die einen guten Therapieansatz bieten können.
Medikamentöse Behandlungen mit hormonellen und nicht-hormonellen Ansätzen können eingesetzt werden. Hierzu gehören systemische oder lokal verabreichte Östrogentherapien, die oft in der Peri- oder Postmenopause eingesetzt werden. Gleitgele oder Dilatatoren können unter anderem als nicht-hormonelle Therapien eingesetzt werden. Unter den verschiedenen Therapieoptionen soll kurz auf die topische Applikation von Testosteron auf Liposombasis aufmerksam gemacht werden. Die Testosterontherapie ist in der Schweiz momentan nicht zugelassen, kann jedoch mit einem Magistralrezept im Off-Label-Use verordnet werden. Eine Testosterontherapie kann bei ovarektomierten oder postmenopausalen Frauen mit krankhaft vermindertem sexuellem Interesse (hypoactive sexual desire disorder (HSDD) empfohlen werden (13).
Vertiefte Sexualtherapie als Therapieoption
Es zeigt sich rasch, ob die anfänglichen Interventionen hilfreich waren. Bei länger anhaltenden Störungen oder schwerwiegenden Paarkonflikten ist eine intensivere Einzel- oder Paartherapie indiziert. Die strukturierte Sexualtherapie fokussiert auf aktuelle Symptome, Auslösesituationen und interpersonelle Probleme. In einer ausführlichen Erstkonsultation wird die Sexualanamnese des Individuums oder Paares erhoben inklusive des Gesundheitszustands. Bereits durchgeführte medizinische Untersuchungen werden evaluiert und je nach Beschwerdebild kann eine weitere fachärztliche Untersuchung notwendig sein (u.a. Urologe, Dermatologe, Psychiater). Auch bisherige Lösungsansätze werden besprochen.
Die systematische Befragung gibt Aufschluss über den Leidensdruck und die Motivation zur Therapie. Gemeinsam wird ein realistisches Behandlungsziel definiert, wobei kleine Erfolgsschritte auf dem Weg dorthin betont werden. Dabei werden vorhandene Ressourcen und sexuelle Fähigkeiten identifiziert und ausgebaut. Die Behandlung kann einige Wochen bis mehrere Monate dauern. Sie verfolgt das Ziel einer selbstbestimmten Sexualität und gesteigerten Lebensqualität, die auch den Alterungsprozess positiv beeinflusst.
Die Autorin hat deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
◆ Die Verantwortung der frauenärztlichen Tätigkeit erstreckt sich neben der Sekundärprävention auch auf die Beratung und Prävention von Problemen im Zusammenhang mit der sexuellen Gesundheit
(Primärprävention).
◆ Komplexe Interaktionen beeinflussen individuell das sexuelle
Empfinden (Biopsychosoziales Modell).
◆ Therapeutische Interventionen orientiert am PLISSIT-Stufenmodell unterstützt die sexualmedizinische Betreuung in der gynäkologischen Sprechstunde.
◆ Sexualität beeinflusst die Lebensqualität und kann den Alterungsprozess verbessern.
◆ Medikamentöse Therapie oder vertiefte Sexual-/Paartherapie sind
Optionen bei langandauernden Störungen oder schwerwiegenden Paarkonflikten.
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L’oncogériatrie est une discipline en plein essor fondée sur l’incidence croissante des cancers avec l’âge et le vieillissement de la population. Afin d’adapter les soins oncologiques aux patients âgés, les prises de décision imposent un niveau d’expertise complémentaire entre oncologue et gériatre, sans oublier le regard du médecin de famille et l’avis du patient: le tout étant validé au tumor board. Les sociétés savantes ont approuvé le score G8 qui permet à l’oncologue de sélectionner quel patient nécessite le recours au gériatre et la classification de Balducci qui guide le gériatre dans son positionnement concernant le traitement oncologique. Le suivi conjoint est primordial pour réévaluer la cohérence du plan de soins. «Primum non nocere» reste le principe fondamental tout au long de la prise en charge: on privilégiera la qualité de vie du sujet âgé.
Decision-making requires a complementary level of expertise between oncologists and geriatricians, as well as the views of the family doctor and the patient: all validated on the tumorboard. Learned societies approved the G8 score, which enables the oncologist to select patients who need to be referred to the geriatrician, and the Balducci classification, which guides the geriatrician in his position regarding oncological treatment. Joint follow-up is essential to reassess the coherence of the care plan. “Primum non nocere” remains the fundamental principle throughout the treatment process: the elderly patient’s quality of life remains our priority. Key Words: Oncogeriatrics, G8 scale Oncodage, Balducci’s classification, Elderly people and cancer
Le cancer: pathologie du sujet âgé?
Du point de vue épidémiologique, l’incidence des cancers augmente avec l’âge et 80% sont diagnostiqués après 70 ans, selon les données de l’OFS (1). En parallèle on assiste à un vieillissement de la population avec l’allongement de l’espérance de vie (2) et une hétérogénéité des profils de séniors (3) : c’est l’âge physiologique qui importe (4).
Dans ce contexte, le plan cancer Suisse se positionne pour une vision intégrative sans discrimination de l’âge, chaque individu ayant le droit au même accès au dépistage, diagnostic et traitement (5). Les patients âgés peuvent être autant demandeurs de traitements curatifs que les plus jeunes (6). Mais en pratique, les sujets âgés ont moins d’investigation, sont diagnostiqués à des stades plus évolués, ils sont sous-traités par rapport aux plus jeunes et participent moins aux essais cliniques (7).
Au niveau international, Balducci, un des pionniers de l’oncogériatrie (8) a déterminé un modèle de management des cancers des sujets âgés (9) validé par la Société Internationale d’OncoGériatrie. En parallèle, Extermann développe le process du Geriatric Assessment en oncologie (10) avec update d’évaluation (11): le tout promouvant l’inclusion des patients âgés dans les protocoles de recherche. En France, un maillage territorial par des unités de coordination et antennes en oncogériatrie permet aux patients âgés de bénéficier d’une prise en charge spécifique avec recours aux réunions de concertation pluriprofessionnelle oncogériatrique pour les cas les plus complexes (12). Un programme spécifique de réadaptation appelée Récupération Améliorée Après Chirurgie a été implémenté et l’intergroupe de recherche en oncogériatrie, DIALOG a été labellisé (12).
Apports de l’évaluation gériatrique en oncologie (EGO)
L’EGO vise à éviter les risques de sur- ou de sous-traitement liés aux décisions thérapeutiques basées exclusivement sur l’âge ou sur le seul jugement clinique du médecin (13).
En 2011, Caillet et al (14) ont montré qu’une EGO peut apporter des changements importants dans la prise en charge pour 21% des 375 patients de l’étude sous forme d’une intensification de traitements (10%) ou d’une réduction d’intensité de traitement (81%). Ceci suppose néanmoins pour 9% du collectif d’une augmentation du délai de 15 jours de prise en charge gériatrique avant le traitement oncologique. Concernant les réductions d’intensité, il s’agit dans 86% des cas d’un retrait d’une chimiothérapie au bénéfice des soins de support. Les facteurs gériatriques significatifs en lien avec ces changements concernent la diminution de l’autonomie fonctionnelle (-0,5 point ADL) et la dénutrition.
En 2022, la méta-analyse de Hamaker et al (15), recueillant les résultats de 61 études, a souligné que l’EGO intégrée à la prise de décision oncologique induit des changements de traitements (31%), une diminution des taux de toxicités (60%), une probabilité améliorée d’achèvement du traitement (65%), une amélioration fonctionnelle (100%) et de la qualité de vie du patient (30%) par mise en place d’un plan d’aides personnalisé (70%).
Collaboration bicéphale: l’évidence du binôme oncologue et gériatre
L’hétérogénéité de la population âgée s’ajoute à celle des cancers justifiant l’expertise conjointe de l’oncologue ou spécialiste d’organe gérant des patients cancéreux âgés et du gériatre. Tous les patients âgés ayant un cancer ne peuvent être vus par un gériatre formé à l’oncogériatrie alors le principe de base est de cibler la collaboration entre oncologues et gériatres. Les compétences de chacun permettant d’être plus efficients.
Rôle de l’oncologue et questionnaire G8
Le patient âgé est vu par l’oncologue qui évalue le type de cancer et son stade d’évolution. Il dispose d’un outil de screening Quand l’oncologue réfère le patient au gériatre, le questionnement du choix du traitement oncologique prioritaire et ses alternatives doit être clairement explicité pour cibler l’évaluation du gériatre et ses réponses.
Rôle du gériatre et classification de Balducci
Le gériatre réalise une évaluation standardisée pour rechercher les syndromes gériatriques: dénutrition, trouble neurocognitif, dépression, troubles neuro sensoriels, chutes, polymédication par des tests validés pour déterminer l’autonomie fonctionnelle, décisionnelle, et le contexte de vie du patient. Une évaluation plus spécifique oncogériatrique détermine l’espérance de vie du patient selon tableaux OFS (2), les fragilités selon Fried (17) avec des tests d’expertise plus fine (vitesse de marche, force de préhension, asthénie, perte de poids, activité physique). La qualité de vie selon le patient est également définie avec une échelle d’autoévaluation numérique SF 36 (18) en précisant ce qui a du sens pour lui.
Le gériatre se focalise alors sur le risque en lien avec le traitement oncologique. L’échelle CIRS-G liste le niveau des comorbidités (19), sans oublier l’examen physique et la biologie en particulier la fonction rénale selon Cockroft, les posologies des médicaments étant basées sur ce calcul. Si l’option thérapeutique est une chimiothérapie, le score de CARG (20) ou CRASH (21) prédit le risque de survenue de toxicités de grade 3 à 5. Le risque chirurgical et péri-opératoire quant à lui, sera à évaluer au cas par cas en fonction du geste prévu et des éventuelles conséquences au décours, comme une colostomie définitive par exemple.
L’avis du patient et/ou de son référent thérapeutique par rapport au choix du traitement oncologique est capital : il faut clairement expliquer les effets secondaires et les bénéfices attendus. Le status réanimatoire sera discuté (fig 2).
Le gériatre est alors en mesure de classer le sénior selon Balducci modifié en 4 profils (22) pour guider la prise en charge oncologique. B1 représente les patients âgés robustes qui peuvent bénéficier des traitements oncologiques comme les plus jeunes. B2 concerne les patients pour lesquels une adaptation de traitement est nécessaire. B3 sont des patients relevant de soins de support alors que la classe B4 regroupe les patients en phase palliative. La classification initiale (23) comportait 3 niveaux, mais l’expérience a permis d’ajouter une classe supplémentaire intermédiaire (24) permettant de prendre en compte le bénéfice d’un programme nutritionnel pour le critère de réversibilité potentielle : un patient classé B2 peut être upgradé en B1. Le passage de B3 vers B2 nécessite un programme de réadaptation nutritionnelle intense et de physiothérapie en milieu stationnaire (fig 3).
Outre son positionnement par rapport au traitement oncologique, le gériatre fera aussi d’autres propositions comme une révision médicamenteuse, des conseils de traitement antalgique, des mesures de prévention d’un étatconfusionnel, un soutien psychologique… Les options de réhabilitation (physio -ergothérapie, programme nutritionnel, support social…) pré-thérapeutique et en intercures sont expliquées pour définir avec le patient un plan d’aides personnalisé en ambulatoire ou en réadaptation oncologique stationnaire. L’avis gériatrique est tout sauf un cumul de scores incompréhensibles aux non-initiés : les scores aboutissent à des diagnostics qui débouchent sur des propositions concrètes.
Les directives anticipées sont alors abordées et à rédiger avec le médecin de famille de préférence. La réflexion est au cas par cas avec comme principe fondamental «Primum non nocere» à tous moments de la prise en soin.
Synthèse oncogériatrique
Une discussion a alors lieu entre gériatre et oncologue et un rapport de la consultation oncogériatrique est adressé à l’oncologue et au médecin de famille. C’est au tumorboard que la décision finale est prise. L’oncologue présente alors au patient le plan de soin oncologique et gériatrique. L’organisation d’un suivi gériatrique conjoint à celui de l’oncologue ou à sa demande optimise la prise en charge, comme cela a été démontré pour l’évaluation gériatrique standardisée (25).
Expériences au RHNe: cas clinique et perspectives
La consultation ambulatoire oncogériatrique se développe depuis 2018 principalement avec l’équipe du département d’oncologie et au Centre du Sein labellisé. L’expérience en pratique montre que l’avis oncogériatrique peut être demandé par l’oncologue sur la base de son sens clinique quand la prise de décision thérapeutique est complexe avec la suspicion d’un trouble neuro cognitif, des chutes répétées. À l’inverse, arrive le questionnement vis-à-vis des theranostics (26) pour le profil des «supers robustes», outrepassant le score G8.
Nos axes d’amélioration concernent les patients oncologiques hospitalisés avec la sensibilisation au recours à l’avis oncogériatrique via l’équipe mobile de gériatrie. La spécificité de celle-ci est sa mixité avec des acteurs du secteur gériatrique et d’autres issus des soins palliatifs. Par ailleurs, la mise en place récente du score IDpall (27) constitue une avancée pour la prise de conscience que les soins palliatifs ne sont pas réservés à la phase terminale.
Vignette clinique
A titre de partage d’expérience et parce que les maladies hémato-oncologiques du sujet âgé représentent des situations particulièrement complexes, voici la situation de Me B, 82 ans.
Contexte oncologique
Me B. est hospitalisée suite à une dyspnée sur épanchement pleural paranéoplasique avec découverte d’une masse médiastinale et métastase osseuse costale gauche: lymphome à grandes cellules B stade IV. Me B. ne prend aucun traitement. Dans ses ATCD, on retient un lymphome du même type au niveau de l’oropharynx traité par RCHOP en rémission depuis 13 ans.
Le questionnement de l’oncologue au gériatre concerne la réalisation d’un traitement par mini R CHOP : Me B. est alors sous prednisone.
Résumé Evaluation gériatrique:
Me B. a présenté une perte d’autonomie brutale récente, elle était autonome pour ses actes de vie quotidienne et activités instrumentales. Elle avait pour habitude de faire 45 minutes de marche tous les matins. Actuellement, elle a besoin d’aide pour sa toilette et habillage et marche avec un rollator en participant activement aux thérapies de réadaptation. Elle est nouvellement incontinente. Du point de vue neuro-cognitif, la patiente est collaborante et orientée et sa capacité de discernement est conservée par rapport au choix du traitement : elle est capable d’expliquer sa pathologie oncologique et elle sait qu’elle a déjà eu un cancer du même type. Elle souhaite bénéficier d’un traitement lourd et demande qu’on lui donne cette chance. Elle s’est déjà battue contre le cancer, elle sait que le traitement sera difficile, mais elle insiste. L’alternative d’une prise en charge type soins de confort n’est pas envisageable pour elle. Ses directives anticipées sont rédigées et son fils est son représentant thérapeutique. Elle présente une dénutrition sévère compliquée d’une perte d’autonomie brutale avec trouble thymique qui en découle. Le tout relève de l’évolution de sa pathologie oncologique avec pronostic sévère.
Résumé évaluation oncogériatrique: Me B. n’a pas de comorbidité évolutive. Selon la classification de Balducci, elle est considérée comme fragile en B3 potentiellement réversible en lien avec sa dénutrition. Le score CARG est à 8 ce qui implique un risque de 55% de développement des toxicités de grade III à V. En parallèle le bilan cardiaque est rassurant et la patiente a une insuffisance rénale chronique modérée KDIGO G3a.
Proposition oncogériatrique: C’est bien l’autonomie antérieure de la patiente et sa détermination soutenue par sa famille qui font basculer la décision. Un cadre est alors posé au vu du pronostic sombre : reconditionnement par alimentation entérale et physiothérapie, adaptation posologie mini RCHOP à la fonction rénale et si effets secondaires majeurs, on stoppe le protocole. En intercure, sera envisagée une réhabilitation oncologique.
Tumorboard: L’option du mini RCHOP adapté à la fonction rénale est validée.
Evolution: Absence de syndrome de renutrition inappropriée. Le rituximab est mal toléré avec un syndrome de lyse tumorale dès J1 traité, une pneumonie de bronchoaspiration et état confusionnel sur rétention aiguë d’urines. À J4, la biologie est normalisée et la patiente bénéficie d’une phase « lune de miel » avec reprise d’autonomie : elle marche aux côtés de son fils et profite de sa famille.
Discussion entre oncologue et gériatre: Au vu des complications en cascade sur le rituximab, le gériatre préconise alors de stopper le protocole et de passer à des soins de confort. Au vu d’une diminution de la masse tumorale, l’oncologue défend une attitude curative. Après réflexion commune, un délai de pause de 48h est convenu.
Evolution: Une dyspnée brutale hypoxémiante apparait sur un épanchement pleural récidivant paranéoplasique de 1l, ponctionné à visée de confort. Le gériatre préconise le relais par l’équipe de soins palliatifs en concertation avec l’oncologue. La cytométrie de flux diagnostique la transformation leucémique : le tumorboard confirme l’arrêt des traitements curatifs.
Des soins de confort sont instaurés. Un réseau est organisé avec la patiente et sa famille, reconnaissantes de la prise en charge intégrative dont ils ont bénéficié. Me B. décèdera paisiblement entourée des siens.
Épilogue: La collaboration entre oncologue et gériatre permet d’assumer en binôme la charge décisionnelle complexe et offrir des soins sur mesure, adaptés et coordonnés : le questionnement éthique restant sous-jacent tout au long des prises en charge.
Copyright Aerzteverlag medinfo AG
Dre Laure Poudens-Gaudout
Médecin cheffe adjointe du Département de Gériatrie
Réadaptation et Soins Palliatifs RHNe Gériatre (F) avec
formation complémentaire en oncogériatrie
laure.poudens@rhne.ch
L’auteur n’a pas declaré de conflits d’intérêt.
◆ L’expertise conjointe de l’oncologue, spécialiste d’organe et du gériatre est indispensable pour les prises décisionnelles initiales et dans le
suivi du sujet âgé atteint d’un cancer, vue la disparité de la population âgée à laquelle s’ajoutent l’hétérogénéité des cancers et les avancées thérapeutiques. Le score G8 aide l’oncologue à dépister quel patient âgé peut bénéficier d’une évaluation oncogériatrique. Le gériatre doit déterminer si l’altération du patient âgé est en lien avec son cancer ou pré existant à une fragilité gériatrique et donner son avis concernant le traitement oncologique en se basant sur la classification modifiée de Balducci. Mais l’algorithme décisionnel ne doit pas enfermer le patient âgé dans une case, la notion de réversibilité potentielle offre des perspectives avec prise en charge adaptée aux besoins et à l’évolution du sujet âgé par ce binôme oncogériatrique.
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