2023 ESC-Guidelines: «Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes» – ein Summary

Kardiovaskuläre (cv) Erkrankungen sind weltweit die Haupttodesursache. Unter den cv Risikofaktoren hat der Diabetes mellitus Typ II (T2DM) wegen einer steigenden Prävalenz einen besonderen Stellenwert. 20-30% aller koronaren Patienten haben einen T2DM. Bei einem systematischen Screening dieses Kollektivs sind es mehr als 50%. Auch die Herzinsuffizienz (HI) ist hier deutlich erhöht, ebenso die chronische Niereninsuffizienz (CKD). Aus diesen Überlegungen und neuen bahnbrechenden kardio- und nephroprotektiven antidiabetischen Medikamenten mit überzeugenden Studienresultaten wurde diese ESC-Guideline aus dem Jahre 2019 bereits nach vier Jahren neu aufgelegt (1). Von der 98-seitigen Leitlinie können wir hier nur einige wichtige Punkte wiedergeben; es lohnt, sich mit dieser genauer auseinander zu setzen.

Cardiovascular disease (CVD) is the leading cause of death worldwide. Among cv risk factors, type II diabetes mellitus (T2DM) has a special place because of its increasing prevalence. 20-30% of all coronary patients have T2DM. With a systematic screening of this population, it increases to more than 50%. Heart failure is also significantly increased, as is chronic renal failure (CKD). Based on these considerations and new breakthrough cardio- and nephroprotective antidiabetic drugs with convincing trial results, this 2019 ESC guideline has been reissued after only four years (1). Of the 98-page guideline, we can only reproduce a few important points here; it is worth studying them in more detail.
Key words: ESC-Guidelines 2023 CVD + Diabetes; SGLT2-Inhibitor; GLP-1 RA ; cardio- + nephroprotective; CKD; eGFR+UACR; Finerenon; heart failure; “fantastic-four”; exercise training

Neben der erhöhten Prävalenz manifestiert sich der T2DM mit einer signifikant hohen Morbidität und Mortalität gegenüber Patienten ohne T2DM. Das Risiko für kardiovaskuläre (cv) Erkrankungen (CVD), wie eine koronare Herzkrankheit (CHK), koronarer Tod, nicht fataler Myokardinfarkt, Stroke, ist 2-fach erhöht. Es kommt zu einer früheren und rascheren Atherosklerose und Atherothrombose. Oft bestehen zusätzliche cv Risikofaktoren wie eine Dyslipidämie und/oder eine Hypertonie, welche alleine das cv Risiko ebenfalls erhöhen. Die Lebenserwartung ist bei beiden Geschlechtern wegen den vaskulären Erkrankungen deutlich vermindert. Bei einem T2DM mit einer CHK findet man häufiger eine Hauptstammstenose, eine Mehrgefässerkrankung und einen diffusen Befall der kleinen Gefässe. Zusätzlich häufig weitere vaskuläre Komorbiditäten wie eine CKD, eine PAVK und eine cerebrale Atherosklerose mit Apoplexie (2).

Screening

Bei einem T2DM hat das cv und renale Screening eine Klasse I-Indikation. So stellt sich immer die Frage nach einer ASCVD (athero-sklerotischen cv Erkrankung: u.a. Pulse, ABI, Plaques z.B. Carotis?) und einer Herzinsuffizienz (HI). Durch eine gute Anamnese mit Einordnung von Symptomen ergeben sich klare Erkennungsmerkmale; ebenso zur Erfassung der stark gehäuften HI. Es bedarf auch eines routinemässigen Screenings auf eine CKD (1). Diese wird mit einer eGFR (EPI) und einem morgendlichen Spontanurin mit Frage nach Mikro-/Albuminurie (UACR) nachgewiesen. Je schlechter die eGFR (<60ml/min/1.73m2 u./oder ≥ 30mg/g = 3mg/mmol Albuminurie) desto ausgeprägter die CKD und desto höher das cv Risiko – vgl. KDIGO 2013/2022 und Abbildung 4 (3, 4). Umgekehrt sollte bei einer cv Erkrankung auch ein T2DM mit einem Nüchtern-Blutzucker und einem HbA1c ausgeschlossen werden. Es bedarf einer Identifizierung der cv Risikofaktoren und der Komorbiditäten (HI, CHK, VHFLI, PAVK u.a.). Diese müssen Leitlinien gerecht behandelt werden.

Bei Patienten mit einem T2DM und fehlender symptomatischer ASCVD oder schweren Endorganschäden (TOD), sollte der SCORE2-Diabetes, ein neuer ESC-Risikorechner, verwendet werden (IB). Berücksichtigt werden Alter, Geschlecht, Raucherstatus, systol. BD, Diabetes, HbA1c, wann Diagnose T2DM, Gesamtcholesterin, HDL und eGFR. Mit dieser mobilen ESC CVD Risk Calculation App (escardio.org) kann das cv 10-Jahres Krankheits-Risiko (fataler und nicht fataler CV events) bestimmt werden: <5% tief, 5%-<10% moderat, 10%-<20% hoch und ≥20% sehr hoch. Die Schweiz gehört zu den low risk Ländern wie z.B. Frankreich und Spanien. Bei einer ASCVD oder einem TOD wie einer CKD oder einer Retinopathie und Polyneuropathie kann der Score nicht verwendet werden; liegt hier doch bereits ein sehr hohes cv Risiko vor. Endorganschäden müssen bei T2DM gesucht resp. ausgeschlossen werden (IA). Die TOD sind definiert als: 1. eGFR <45ml/min/1.73m2 ± Albuminurie, 2. eGFR 45-59ml/min/1.73m2 u. Mikroalbuminurie (UACR: 30-300mg/g, Stad. A2), 3. Proteinurie (UACR: >300mg/g, Stad. A3) oder 4. mikrovaskuläre Schäden an drei Organen (Niere A2 u. Retino- u. Neuropathie). Bei CKD nach KDIGO Risikofaktoren Beurteilung alle 3-6 Monate.

Therapie

Bei einem T2DM bedarf es einer intensiven multimodalen Therapie, resp. einer konsequenten Sekundärprävention. Lifestyle-Massnahmen bleiben weiterhin sehr entscheidend. Sie beinhalten neben einer Gewichtsreduktion, eine gesunde mediterrane Ernährung reich an polyungesättigten und einfach gesättigten Fetten (Olivenöl, Nüsse) oder eine pflanzenbasierte Ernährung und weniger Zucker, Fleisch, Alkohol und Salz. Eine regelmässige körperliche Aktivität mit Ausdauer- und etwas Krafttraining und einen Verzicht auf Nikotin und andere Noxen (IA).

Bewegungstherapie: In einer ausgezeichneten Übersichtsarbeit aus Japan wird auf die entscheidende Bedeutung einer korrekten Bewegungstherapie bei T2DM hingewiesen. Durch eine regelmässige körperliche Aktivität kommt es zu einer signifikanten Verbesserung der glykämischen Kontrolle mit positiven Auswirkungen auf die Adipositas, den Fettstoffwechsel, den Blutdruck und auf eine Reduktion entzündlicher Zytokine. Die kardiorespiratorische Fitness wird gesteigert, ebenso die Muskelkraft. So kann auch einem T2DM vorgebeugt werden, die Gesamtmortalität und die cv Events werden vermindert, ebenso mikrovaskuläre diabetische Komplikationen (1,5). Die amerikanische Diabetes Association (ADA) empfiehlt: eine wöchentliche Aktivität von mindestens 150 min moderater (50-70% max. HF) aerober Intensität verteilt auf mind. 3 Tage/Woche mit nicht mehr als zwei aufeinanderfolgenden Tagen ohne Bewegung. 2-mal wöchentlich wird ein zusätzliches aufbauendes Krafttraining empfohlen. Diese Empfehlung gilt auch bei einer Adipositas.

Medikamentöse Therapie: Aufgrund verschiedener Metaanalysen inkl. grossen cv Outcomes Studien mit SGLT2-H. und GLP-1 RA geben die neuen Leitlinien separate Empfehlungen für Patienten mit und ohne ASCVD resp. TOD. Weitere cv medikamentöse Massnahmen werden beurteilt und gewichtet.

SGLT2-Hemmer

Über diese als orales Antidiabetikum entwickelte Medikamentenklasse mit kardio- und nephroprotektiven Eigenschaften und das praktische Vorgehen haben wir berichtet (6,7).

Die SGLT2-H. werden bei einer Herzinsuffizienz unabhängig von der LV-EF und auch bei einer chronischen Niereninsuffizienz (CKD) ± T2DM mit einer eGFR <60ml/min/1,73m2 mit oder ohne Albuminurie bis zu einer eGFR ≥20 ml/min/1,73m2 primär eingesetzt (IA). Es zeigt sich langfristig bei allen eine Stabilisierung der Nierenfunktion. Nach der DAPA-CKD- und der EMPA-Kidney-Studie kann eine Nierenersatztherapie um viele Jahre verzögert werden: dies in Relation zur basalen Nierenfunktion bei Beginn der Therapie. Bei einer CKD und bei einer HI, mit und ohne T2DM, sind sie erste Wahl (8-11). Sie reduzieren eine HI-Hospitalisation, den cv Tod und das Risiko einer MRA assoziierten Hyperkaliämie. Bei einer chronischen HI ist die Rate der cv Todesfälle mit beiden Medikamenten stärker reduziert als ohne MRAs.

In einer Metaanalyse von fünf cv Outcomes Studien (1) zeigen die SGLT2-H. eine überzeugende Wirkung einer Kardioprotektion mit Reduktion der cv Events bei einem T2DM und einer ASCVD. Die cv Events werden unabhängig vom HbA1c und weiteren Antidiabetika vermindert (IA). Es besteht ohne ASCVD resp. TOD eine IIb-Indikation (kann berücksichtigt werden) bei einem 10-Jahresrisko ≥10%. Als NW sind bei einem T2DM Genitalinfekte und selten eine euglykämische Ketoazidose zu beachten. Daher sollte bei schweren Erkrankungen, fieberhaften Infekten, perioperativ oder periinterventionell und bei Nahrungskarenz der SGLT2-H. pausiert werden.

GLP-1 RA

Bei GLP-1 Rezeptor-Agonisten handelt es sich um synthetisch hergestellte Polypeptide, die wie das natürliche Peptidhormon GLP-1 an den GLP-1 Rezeptor binden, aber eine verlängerte Halbwerts-zeit haben. Sie stimulieren die Sekretion von Insulin und hemmen die Ausschüttung von Glucagon. Darüber hinaus verlangsamen GLP-1 RA die Magenentleerung und erhöhen das Sättigungsgefühl. Sie haben wahrscheinlich einen zusätzlich antientzündlichen Effekt durch die Reduktion des Fettgewebes. Auch vermindern sie eine Makroalbuminurie. Die cv Schutzmechanismen durch eine Aktivierung von Rezeptoren am Herz, den Gefässen und am Hirn führt zu einer Reduktion der cv- und der Gesamtmortalität, einer Verminderung von tödlichen und nicht tödlichen Myokardinfarkten und Strokes und einer Reduktion der HI-Hospitalisationen. Dies zeigte eine grosse Metaanalyse. Bei einem T2DM und einer ASCVD wird das cv Risiko unabhängig von der Blutzuckerkontrolle und dem CKD-Stadium gesenkt (IA) (1). Die Abbildungen 1-3 ergeben klare Hinweise bez. Wirkung und Einsatz der GLP-1 RA (Lira-, Sema-, Dulaglutide) bei einem T2DM. Es besteht ohne ASCVD resp. TOD bei einem 10-Jahresrisko ≥10% eine IIb-Indikation. Bei einer CKD wird das cv Risiko und eine Makro-Albuminurie gesenkt; zusätzlich kann die diabetische Stoffwechsellage verbessert werden. Sie können auch bei einer eingeschränkten Nierenfunktion eingesetzt werden – eGFR >15ml/min/1.73m2. Nephroprotektiv bez. eGFR-Verlust sind Semaglutid/Liraglutid bei einem T2DM vor allem bei einer eGFR von 30-60ml/ min/1.73m2. Kaum Hypoglykämien. Keine Kombination mit einem DPP-4-Hemmer bei ähnlichem Wirkprinzip.

Ein sehr aktuelles Einsatzgebiet ist die Adipositas (IIa) bei einem BMI von 30 oder ≥27 kg/m2 mit gewichtsadaptierten Komorbiditäten. Sind doch von der Adipositas weltweit mehr als 50% der Menschen betroffen. Es kommt bei einem GLP-1 RA in hohen Dosen je nach Substanz zu einer signifikanten Gewichtsreduktion. Dieses Medikament soll wie der SGLT2-H. unabhängig vom HbA1c bei einem sehr hohen als auch bei einem hohen cv-Risiko eingesetzt werden: T2DM + ASCVD oder schwere TOD oder 10 Jahres Risiko ≥20% Score2-Diabetes; T2DM und ein 10 Jahres Risiko von 10-<20% (IA). Bei einem BMI ≥35 kann nach erfolglosen konservativen Massnahmen inkl. einem GLP-1 RA die bariatrische Chirurgie diskutiert werden.

Die gastrointestinalen Nebenwirkungen Übelkeit, Erbrechen, Völlegefühl, Obstipation und Durchfall sind zu beachten, daher muss die Dosierung langsam wöchentlich (Liraglutid 1x tgl. s.c.) oder monatlich (Semaglutid, Dulaglutide 1x wö s.c.) auftitriert werden. Seltene NW sind eine akute Pankreatitis, ein Darmverschluss und eine Gastroparese (cave Narkose: 7 Tage Pause) mit einer Wahrscheinlichkeit von <1-2%/pro Jahr Anwendung. Diese NW treten vor allem bei der Adipositastherapie auf, wo deutlich höhere Dosen verwendet werden, als bei der glykämischen Kontrolle. Auch werden mehr diabetische Retinopathie Komplikationen berichtet. Durch die Gewichtsreduktion mehr Gallensteine. Unklar ist heute noch eine evtl. erhöhte Depressionsrate resp. Suizidalität, welche in wenigen Fällen unter Semaglutid beobachtet wurde. Bei einer positiven Familienanamnese bezüglich medullärem Schilddrüsenkarzinom resp. MEN 2 ist eine Verordnung kontraindiziert.

In der STEP-HFpEF Studie konnte mit einem GLP-1 RA bei einer HI mit erhaltener EF (>50%) und einer Adipositas (BMI ≥30kg/m2) neben einer Gewichtsreduktion, eine Verbesserung der HI-Symptome und eine Verbesserung der körperlichen Einschränkung, der Lebensqualität und eine CRP-Senkung erzielt werden (12).

In der aktuellen SELECT-Studie, welche am diesjährigen AHA Kongress im November vorgestellt wurde, zeigte sich erstmals unter einer gewichtsreduzierenden Behandlung mit 2,4mg Semaglutid 1x wö s.c. bei 8803 kardiovaskulären übergewichtigen/adipösen (BMI ≥27) Risikopatienten (3/4 MI, 1/4 HI) ohne T2DM eine signifikante Reduktion des primären Endpunktes (cv Tod, nicht tödlicher Infarkt/Schlag­anfall) von -20%, Gesamtsterblichkeit -19%, NNT: 67. Die kardio-metabolischen Parameter (KG -9,4%, BD, Taille, HbA1c, Lipide) wurden verbessert: das hs-CRP sank um 39,1% (13). Die Studie identifiziert erstmals Adipositas als einen behandelbaren kardiovaskulären Risikofaktor. Die Reduktion von Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall durch Semaglutid wurde, zusätzlich zu einer guten leitliniengerechten Therapie, beobachtet. Interessant ist, dass diese MACE-Reduktion in der Sekundärprävention bereits vor der erheblichen Gewichtsreduktion einsetzte; dies könnte bedeuten, dass noch andere Mechanismen dafür verantwortlich sind. Dies zeigte sich auch bei tieferer Dosis in der SUSTAIN-6-Studie bei diabetischen Patienten mit hohem cv Risiko über 2 Jahre – cv Ereignisse -26%. Als NW traten gastro-intestinale Beschwerden in SELECT in 10% vs 2,0% auf. Die Follow-up-Dauer betrug im Mittel 40 Monate. Positive Wirkung in allen Subgruppen, auch auf den Nierenendpunkt.

GLP-1 RA + SGLT2-H. führen in der Kombination zu einer stärkeren Gewichts- und BD-Reduktion. Bezüglich renalem und cv Outcome gibt es keinen zusätzlichen Effekt. Ihr Einsatz ist unabhängig vom HbA1c und weiteren Antidiabetika.

Glukose senkende Medikamente mit cv Benefit

In den neuen Guidelines wird ein besonderes Augenmerk auf den As­pekt des nachgewiesenen cv Nutzens und/oder der Sicherheit von blutzuckersenkenden Medikamenten gelegt! Es wird empfohlen, die Therapie auf solche Medikamente umzustellen (IC). Vgl. Abbildung 3.

Metformin: sollte bei einem T2DM und einer ASCVD berücksichtigt werden (IIa). Die Nüchternglukose Produktion in der Leber wird gehemmt. Kaum Hypoglykämie-Risiko. Es kommt nach mehreren Studien zu einer nicht signifikanten Veränderung bez. cv Tod und Myokardinfarkt. Ohne ASCVD oder TOD hat das Medikament je nach cv Risiko eine IIa/IIb Indikation. Einschleichend dosieren wegen GI-NW. Kontraindiziert bei: einer CKD mit einer eGFR <30ml/min/1.73m2, perioperativ, periinterventionell bei i.v. Kontrastmittelgabe und bei ausgeprägter Gewebshypoxie. Neutraler Effekt bei HI.

Pioglitazon: kann als weiteres Antidiabetikum bei einem T2DM und einer ASCVD berücksichtigt werden (IIb). Es erhöht die Insulinsensitivität des Fett-, Muskel- und Lebergewebes. Cave Gewichts-anstieg, HI, Verminderung der Knochendichte.

Kardial sicher sind die Sulfonylharnstoffe Glimepirid und Gliclazid, die DPP-4-H. Sitagliptin und Linagliptin sowie die modernen langwirkenden Insuline (Glargine, Degludec). Bei einer HI kontraindiziert sind Pioglitazon, Rosiglitazon und der DDP-4-H. Saxagliptin. GLP-1 RA, haben einen neutralen Effekt bez. HI und dadurch eine IIa Indikation. HbA1c Ziel nach Komorbiditäten, Diabetes-Dauer, Lebenserwartung, prinzipiell <7%; Cave: Hypoglykämien.

Antithrombotische Therapie

Ein DM erhöht die Atherothrombose über folgende Mechanismen: Entzündung, oxidativer Stress, Eiweiss Glykation, Endotheldysfunktion und verminderte NO-Synthese, vermehrter Plättchenturnover und Aggregation und eine verstärkte Prokoagulation und verminderte Fibrinbildung. Das Blutungsrisiko ist bei einem T2DM unter Aspirin etwas tiefer, das Thromboserisiko dafür aber erhöht. Dies gilt auch bei Übergewicht und einem metabolischen Syndrom. Dieser Umstand muss in der Sekundärprävention berücksichtigt werden.

Primärprävention: Bei einem T2DM mit einer blanden Anamnese bez. ASCVD/ Revaskularisation besteht u.a. nach dem ASCEND-Trial (14) ohne KI für Aspirin (GI-Blutungen in Anamnese, Leberleiden, Allergie) ein leichter Vorteil in der Verhinderung eines vaskulären Events über 7,4 Jahre. Es zeigt sich aber in dieser Studie und in zwei Metaanalysen eine deutlich erhöhte Blutungsrate. Die absoluten Vorteile wurden durch die Blutungsgefahr weitgehend aufgewogen. Das erhöhte Blutungsrisiko (GI, intrazerebral) unter Aspirin muss gegen den kleinen Vorteil von etwas weniger Myokardinfarkte in der Abwägung berücksichtigt werden. Die Vorteile der Abgabe von Aspirin rechtfertigen aber meist nicht das Risiko einer Blutung. Daher in der Primärprävention eher kein Aspirin bei einem T2DM! Dies widerspiegelt sich auch in den neuen Guidelines mit einer IIb A Indikation – kann ohne eine KI erwogen werden (schwächster Empfehlungsgrad). Es sollte aber ein Statin nach individuellem Risikoprofil (z.B. Plaques) und entsprechendem LDL-Zielwert (≤1,8mmol/l) bei diesen Patienten eingesetzt werden.

Sekundärprävention: Hier hat Aspirin eine IA-, Clopidogrel eine IB-Indikation. Dies bei einem T2DM und Status nach Infarkt, CCS oder Revaskularisation, bei einer CKD mit ASCVD und bei einem T2DM und einer PAVK ohne Indikation für eine OAK.

In neueren Studien wird die Gabe eines P2Y12-Hemmers wie Clopido-grel oder Ticagrelor favorisiert. Clopidogrel hat auch ein kleineres spontanes Blutungsrisiko als Aspirin. In den Guidelines hat Clopidogrel bei einer Aspirin-Intoleranz eine IB-Indikation, bei einer etablierten ASCVD als Alternative noch eine IIbA-Indikation. Bei ca. 40% der Patienten besteht eine hohe Variabilität in der Medikamentenaktivierung (Prodrug) resp. in der Plättchenhemmung.

Nach einer Revaskularisation bei ACS od. CCS findet man in den Guidelines ein instruktives Slide betreffend Art und Länge der antithrombotischen dualen Therapie (12 resp. 6 Monate). Diese richtet sich nach der Art der Intervention, dem Ischämie- resp. Blutungsrisiko.
Eine Verkürzung oder Herabsetzung der DAPT auf Clopidogrel sollte bei Patienten mit Diabetes nach ACS vermieden werden, da diese ein hohes kardiovaskuläres Risiko aufweisen. Unter Clopidogrel bestehen zu wenig Wirksamkeitsdaten und eine schlechtere Bioverfügbarkeit.

Bei Patienten mit generalisierter Atherosklerose (polyvascular) und einem hohen Risiko für eine Ischämie oder einen Schlaganfall und niederem Blutungsrisiko sollte die zusätzliche Gabe von 2x tgl. 2,5mg Rivaroxaban auf Grund der COMPASS Studie berücksichtigt werden – HR für cv Tod, Apoplexie, MI =0,76 (IIaB) (15).

Patienten mit symptomatischer ASCVD und/oder Revaskularisierung mit einer Indikation für eine Langzeit-OAK profitieren ebenfalls von einem Plättchenhemmer. Dabei muss das Blutungsrisiko beachtet werden. Bezüglich Triple-Therapie (Hospitalisationszeit) resp. Dualer Pathway Inhibition (DPI) (Clopidogrel + NOAK) bei VHFLI und ASCVD mit PCI – vergleiche Guidelines.

Magenschutz: mit Pantoprazol. Bei einer antithrombotischen Kombinationstherapie IA, bei einem Medikament alleine IIaA. Bei Gabe von Clopidogrel cave: Interaktion mit Omeprazol und Esomeprazol mit verminderter Wirksamkeit an den Thrombocyten. Es besteht dafür eine Kontraindikation.

Lipidtherapie

LDL-Senkung je nach cv Risiko (T2DM + ASCVD, TOD, od. Score2-D) – vgl. (1). Sehr hoch <1,4/hoch <1,8/moderat <2,6mmol/l. Bei einem Wert >2,6mmol/l potentes Statin in Kombination mit Ezetrol, i.R. Bempedoinsäure, PCSK9-H. oder PCSK9-Synthese H. LDL-Senkung auch bei einer CKD. Bei einer eGFR <60ml/min/1.73m2: LDL-Ziel <1,8 mmol/l, bei einer eGFR ≤ 30ml/min/1.73m2 oder ≤30-44ml/min/1.73m2 und einer UACR ≥30mg/g: LDL-Ziel <1,4 mmol/l, wie bei einer CHK.

Herzinsuffizienz und T2DM

Bei einem T2DM besteht ein deutlich höheres Risiko für eine HI. Diese kann auch deutlich schneller auftreten. Daher ist eine regelmässige Suche mit Anamnese und Frage nach Symptomen sehr wichtig (IA). Hilfreich ist dabei der Biomaker NT-pro-BNP (≥ 125pg/ml im SR, ≥ 365pg/ml im VHFLI), ein Ruhe-EKG, allenfalls ein Thorax-Rö, ein Routinelabor inkl. TSH, Ferritin und Transferrin-Sättigung und ein transthorakales Echo. Dieses HI Screening hat eine IC-Indikation.

SGLT2-H., ARNI/ACE-H., Betablocker und MRA gehören nach den ESC-Guidelines 2021 zu den «fantastic four» der medikamentösen HI-Basis-Therapie bei einer LV-EF <40% (HFrEF) (10). Es zeigt sich auch ein deutlicher Benefit der SGLT2-H. bezüglich Mortalität und Hospitalisation wegen HI mit einer LV-EF >40% (HFmrEF) und einer LV-EF >50% (HFpEF) (11). Die SGLT2-H. Dapa- und Empagliflozin haben auf Grund der grossen cv Outcome Studien mit Senkung des cv Todes und der HI-Hospitalisationen eine IA-Indikation.

Koronare Herzkrankheit und T2DM

Eine Revaskularisation sollte bei Angina pectoris trotz medikamentöser Therapie und bei einer Ischämie >10% des LV durchgeführt werden. Auch bei einem STEMI und einer Mehrgefässerkrankung ist diese indiziert. Bei einer komplexen CHK ist eine ACBP zu bevorzugen. Bei allen ACS-Patienten muss ein T2DM ausgeschlossen werden. Eine Blutzuckertherapie soll mit Medikamenten mit einem cv Benefit durchgeführt werden – SGLT2-H. u./od. GLP-1 RA. Metformin sollte berücksichtigt werden (IIa).

Arrhythmien und T2DM

Gelegenheitsscreening bzgl. VHFLI ab 65 Jahren (IB). Ein Vorhofflimmern muss bei T2DM Patienten <65 Jahre bei weiteren cv Risikofaktoren gesucht werden, da dieses in dieser Population häufiger auftritt (IC). Ein systematisches Screening ist bei Personen ≥75 Jahre oder bei einem hohen cv Risiko und bei einem erhöhten Strokerisiko sinnvoll (IIaB).

Chronische Niereninsuffizienz (CKD) und T2DM

Die Niereninsuffizienz ist aufgrund der cv Mortalität ein «silent killer». Die 5-Jahres-Todeswahrscheinlichkeit liegt bei 33%, für eine Dialyse bei 12%. Bei einem T2DM mit CKD und einer Albuminurie (≥30mg/g, A2/A3) besteht eine stark erhöhte 10 Jahres Inzidenz von >40% bez. cv Mortalität. Leider wird diese Erkrankung von Ärzten und Patienten zu wenig und zu spät erkannt. Diabetiker müssen regelmässig auf eine CKD gescreent werden: eGFR EPI und UACR im morgendlichen Spontanurin (IA).

Auch hier ergeben sich einige Neuerungen: Auf Grund der bahnbrechenden Studien DAPA-CKD 2020 und EMPA-KIDNEY 2022 (8,9) sind SGLT2-H. bei einer CKD, unabhängig von kardiovaskulären Erkrankungen oder T2DM, mit einer eGFR <60ml/min/1.73m2 und oder einer Albuminurie klar indiziert. Cana-, Dapa- und Empagliflozin sind nephroprotektiv. Unter diesen Medikamenten kommt es zu einer deutlich verzögerten Abnahme der GFR und zu einer sign. Abnahme der Mikro-/Albuminurie. Die SGLT2-H. können ab einer eGFR ≥20ml/min/1.73m2 eingesetzt werden.

Auch kardiovaskulär kommt es bei Dapa- und Empagliflozin zu einer deutlich protektiven Wirkung: RRR bei Dapagliflozin -29 % für den kombinierten Endpunkt Klinikeinweisung wegen HI und kardiovaskulärer Tod. Bei Empagliflozin ein geringeres Fortschreiten der Niereninsuffizienz resp. des kardiovaskulären Todes von 28%. SGLT2-H. werden zur HI-Prävention bei Patienten mit CKD und/oder T2DM empfohlen. Auch ohne T2DM haben die beiden SGLT2-H. einen vollen Nutzen bei einer CKD (1). Man sollte möglichst früh mit diesem Medikament beginnen.

Finerenon bei DKD

Ein weiteres neues nephro- und kardioprotektives Medikament bei einer diabetischen Nephropathie (DKD), bei gleichzeitigem Einsatz eines ACE-H./ARB, ist Finerenon. Dieses verhindert eine pro-fibrotische und proinflammatorische Genexpression. Einsatz: vgl. Abbildung 1.

In der FIDELIO-DKD und FIGARO-DKD Studie wird der positive Nutzen von primär 10 dann 20mg Finerenon, einem neuen nicht steroidalen Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonist (ns MRA) mit deutlich selektiverer Rezeptor-Bindung, bei einer DKD bis zu einer eGFR ≥25ml/min und einer Urin-Albumin-Kreatinin-Ratio (UACR) ≥30mg/g (A2) unter RAAS-Hemmung, einem Statin und einem Serumkalium ≤4,8mmol/l, bei 13026 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 65 Jahren, klar bewiesen – verzögerte Progression der CKD oder renaler Tod und weniger cv Ereignisse (cv Tod, nicht fataler MI und Stroke und Hospitalisierung wegen HI) (16,17). Klinische Endpunktdaten zu Finerenon bestehen aktuell ausschliesslich für die DKD. Typische NW der älteren steroidalen MRA’s wie eine Gynäkomastie oder eine Hyperkaliämie können vermieden werden. Trotzdem sollte auch bei Finerenon eine Kaliumkontrolle erfolgen – eine Hyperkaliämie wurde in der FIDELITY Studie, welche obige beiden Studien zusammenfasste, in 1.7% nachgewiesen. Das Serumkalium darf bei Therapiebeginn nicht ≥4,8 mmol/l betragen; engmaschige Kontrollen sind wichtig. Stopp bei ≥5,5mmol/l.

Senkung des renalen Endpunkts um 23%, Dialyse um 20%; des cv Endpunkts um 14%, HI-Hospitalisationen um 22%. NNT über 3 Jahre von 60. Ein Albuminurie Screening lohnte sich um diese Risiken zu senken, hatten doch 40% dieser Patienten eine eGFR von ≥60ml/min/1.73m2 (18). Finerenon on top der Standardtherapie reduziert das Risiko von cv und renalen Endpunkten bei Patienten mit einem T2DM über ein sehr breites Spektrum der DKD. Die Substanz ist aktuell bei einem CKD-Stadium 3 oder 4 ohne T2DM noch nicht zugelassen – vgl. Abbildung 4.

Bei einer moderaten bis schweren CKD bedarf es einer Behandlung eines: Vit. D-Mangels, einer renalen Anämie, einer Azidose und einer Hyperphosphatämie durch den Nephrologen.

Summary

Gemäss der KDIGO-2022- (4), der ESC- und ESH-2023- (1,19) und den ADA-2023-Leitlinien (20) haben wir 2024 bei einer CKD ± einem T2DM eine kardiorenale organoprotektive Therapie. Diese besteht aus einem gesunden Lebensstil, einer mediterranen Ernährung (viel Obst, Gemüse, Kalium >3,5g/die, wenig rotes Fleisch), Eiweiss 0,6-0,8g/kg/die, wenig Kochsalz (<5g/die), einer Gewichtsreduktion, einer Blutzucker- (HbA1c <7%) und BD-Normalisierung (120-130/70-80mmHg) nach biol. Alter, einer Statin-/Ezetimib-Therapie mit einem LDL-Ziel <1,4mmol/l und aktuell 4 medikamentösen Säulen und einem regelmässigen körperlichen Fitnesstraining:

SGLT2-Hemmer: bei T2DM ± Atherosklerose; HI; CKD eGFR ≥20ml/min/1.73m2; Fortsetzung SGLT2-H. bis zur
Dialyse; evtl. mit Metformin sofern eGFR ≥30ml/min/1.73m2 (Dosisanpassung)
ACE-H./ARB: bei Diabetes; Hypertonie (>130/80mmHg); CKD mit Albuminurie >30mg/g (A2); BD-Selbstkontrolle, 24h-BD; cave: maskierte Hypertonie; wenn möglich max. zugelassene Dosis. Bei Hypertonie Fixkombinationen mit CCB/Diuretika, BD <130/80 mmHg bei Proteinurie; i.R. MRA
Finerenon, ns MRA: bei T2DM + CKD und einer persistierenden Albuminurie ≥300mg/g bei eGFR: >60 (A3) oder >30mg/g bei eGFR: 25-60 ml/min/1.73m2 (A2) trotz RAAS-H.
Serum Kalium ≤4,8mmol/l, eGFR ≥25ml/min/1.73m2
GLP-1 RA: bei T2DM ± Atherosklerose, CKD bei zu hohen Bz-Werten, trotz SGLT2-H./Metformin (eGFR ≥30ml/min/1.73m2); GLP-1 RA eGFR >15ml/min/1.73m2, evtl. weitere Bz senkende Medikamente. Gew. reduktion, zusätzliche Senkung des cv Risikos und Senkung einer Albuminurie durch GLP-1 RA.
Exercise Training: bei allen Patienten; Ausmass je nach Komorbiditäten. Wenn möglich mind. 150min./Woche bei mittlerer Intensität (50-70% max. HF), verteilt auf 3 Tage mit nicht mehr als 2 Tage Pause, zusätzlich 2x wöchentlich leichtes Krafttraining.

Wir können mit den RAAS-Hemmern in ausreichender Dosierung und den drei neuen Substanzen: SGLT2-H., GLP-1 RA und Finerenon das kardiovaskuläre und renale Risiko deutlich senken und so eine evidenzbasierte personenzentrierte Therapie nach den neuen internationalen Guidelines einleiten (1,4,18,19). Die Zukunft wird hier weitere Erkenntnisse (u.a. 6 medikamentöse Säulen) bringen.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Zweitabdruck aus «info@herz+gefäss» 02/03-2024

Dr. med. Jan Vontobel

Ärztlicher Direktor
Chefarzt Kardiologie
Hochgebirgsklinik Davos
Herman-Burchard-Strasse 1
7265 Davos Wolfgang

jan.vontobel@hgk.ch

Dr Urs Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

Die Autoren haben keine Interessens­konflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Hauptbotschaften ESC Guidelines: Screening/Diagnose eines T2DM besonders bei einer cv Erkrankung; Bestimmung des cv Risikos (Score2-D., TOD, ASCVD). Gesunder Lifestyle. Häufige Bz-Kontrollen, vor allem bei cv Erkrankungen. Einsatz von SGLT2-H. u./od. GLP-1 RA unabhängig vom HbA1c. Therapie des BD, des Lipidprofils und Einleitung einer antithrombotischen Therapie bei einer ASCVD. Korrektes Management von Begleiterkrankungen; ein personalisiertes Vorgehen und ein gutes Selfmanagement.
◆ Heute werden SGLT2-H. bei Patienten mit einem T2DM ± einer Atherosklerose, einer CKD und einer HI (unabhängig von der LV-EF) standardmässig eingesetzt (Kl.I). Sie sind kardio- und nephroprotektiv; unabhängig von einem T2DM.
◆ Der GLP-1 RA hat bei einem T2DM mit Atherosklerose und hohem cv Risiko eine IA-Indikation. Bei der Adipositas Einsatz zur Gewichtsreduktion, bei einer HFpEF mit Adipositas zur Verbesserung der HI-Symptome, der körperlichen Einschränkung und der Lebensqualität. Nach der SELECT-Studie gehört Semaglutid heute zur medikamentösen Standardtherapie in der Sekundärprävention von cv Ereignissen bei Patienten mit vorbestehenden Herzkreislauferkrankungen und Übergewicht (BMI ≥27) /Adipositas.
◆ Eine RAAS-Blockade mittels ACE-H./ARB ist notwendig bei einer Hypertonie (>130/80mmHg) sowie bei einer Normotonie begleitet von einer Albuminurie ≥300mg/g oder bei einer diabetischen Nephropathie mit einer Albuminurie ≥30mg/g.
◆ Finerenon on top reduziert das Risiko von cv und renalen Endpunkten bei Patienten mit einem T2DM u. einer diabetischen Nephropathie – Einsatz: eGFR ≥25ml/min/1.73m².
◆ Eine regelmässige körperliche Aktivität von mind. 150min/Woche und 2x wö ein moderates Krafttraining ist als 5. Therapiesäule bei einem T2DM klar zu empfehlen.

 

1. Marx N. et al., 2023 ESC Guidelines for the management of cardiovascular disease in patients with diabetes, European Heart Journal (2023) 00, 1–98, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad192
2. Buchmann N. et al., Der koronarkranke Diabetiker: moderne Therapieansätze und Behandlungspfade, Aktuel Kardiol 2023 ;12 :137-142
3. KDIGO, Kidney Int Suppl 2013;3: 112-119
4. KDIGO, Kidney Int Suppl 2022; Clinical Practice Guideline for Diabetes Managment in CKD, Kidney International 2022;102 (suppl.5 S): S1-S127
5. Yanai H. et al., Exercise Therapy for Patients with Type 2 Diabetes: A Narrative Review, J Clin Med Res 2018; 10(5): 365-369
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7. Dürst U., SGLT2-H. in der Therapie, Teil 2 Niereninsuffizienz, Der informierte Arzt, Nov.2023
8. Heerspink HJL. et al., Dapagliflozin in Patients with Chronic Kidney Disease, DAPA-CKD, N Engl J Med 2020 Oct 8 ;383(15):1436-1446
9. Herrington WG. et al., Empagliflozin in Patients with Chronic Kidney Disease, EMPA KIDNEY, N Engl J Med 2022; 388:117-127
10. McDonagh TA. et al., Heart Failure Guidelines ESC 2021; EHJ 2021 Sep 21;42(36):3599-3726
11. Mc Donagh Th.A. et al., 2023 Focused Update of the 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure, European Heart Journal (2023) 00, 1–13, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad195
12. Kosiborod MN et al., Semaglutide in patients with heart failure with preserved ejection fraction and obesity, 25. August 2023 DOI: 10.1056/NEJMoa2306963
13. Lincoff AM et al. Semaglutide and Cardiovascular Outcomes in Obesity without Diabetes. N Engl J Med. 2023 Nov 11. doi: 10.1056/NEJMoa2307563. Epub ahead of print. PMID: 37952131
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16. Bakris GL. et al., Effect of Finerenone on Chronic Kidney Disease Outcomes in Type 2 Diabetes, FIDELIO DKD, N Engl J Med 2020 Dec 3;383(23):2219-2229
17. Pitt B. et al., Cardiovascular Events with Finerenone in Kidney Disease and Type 2 Diabetes, FIGARO DKD, N Engl J Med 2021;385 :2252-2263
18. Agarwal R et al., Cardiovascular and kidney outcomes with finerenone in patients with type 2 diabetes and chronic kidney disease: the FIDELITY pooled analysis, Eur Heart J 2022 Feb. 10;43(6):474-484
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20. American Diabetes Association, Diabetes care 2023;46(Suppl 1): S 191-S 202

RETO KRAPFs Medical Voice

Frisch ab Presse:

Plastikpartikel als Auslöser einer symptomatischen Atheromatose?

Weltweit ist die Produktion von Plastik weiterhin am ­Zunehmen, auch wenn man hofft, bis ins Jahr 2050 diesen Trend brechen zu können. Plastik wird in der Umwelt zu Mikro- und Nanoplastik-Partikeln (abgekürzt MNPs) degradiert, die dann via orale Einnahme, per Inhalation oder transkutan auch durch Menschen aufgenommen werden. In dieser Studie ging man der Frage nach, inwiefern diese MNPs eine Progressionsrolle in der Atheromatose haben. Die Studienpopulation umfasste 257 Patientinnen und Patienten mit asymptomatischer Carotisstenose, die einer Endarterektomie unterzogen wurden. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 34 Monate postoperativ. In den Carotisexzisaten wurden bei etwa der Hälfte der Patientinnen und Patienten histologisch und biochemisch MNPs und einer ihrer Metaboliten (Polyvinylchlorid) nachgewiesen. Der Verlauf dieser Individuen lässt aufhorchen: Sie hatten über eine Periode von weniger als 3 Jahren ein 4,5-fach erhöhtes Risiko eine symptomatische Manifestation einer kardiovaskulären Erkrankung, d.h. einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt zu erleiden oder an irgendeiner Ursache zu versterben, als die Individuen mit fehlendem Nachweis von MNPs! Die statistische Stringenz war mit einem p < 0.001 eindrücklich. Vorerst handelt es sich um eine Assoziation und keine Kausalität, aber es wird interessant sein, die pathogenen Mechanismen dieser MNPs genau anzuschauen. Sind sie ein weiterer kardiovaskulärer Risikofaktor, beschleunigen sie also die Atherombildung oder führen sie zu vermehrter Instabilität und damit erhöhter Rupturneigung vorbestehender Plaques?

NEJM 2024, DOI: 10.1056/NEJMoa2309822, verfasst am 12.03.2024

Umweltrückstände als endokrine Toxine, die sogenannte «endocrine disruptors»

Nochmals eine Geschichte zu neuzeitigen Umweltgiften: Vielleicht haben Sie gelesen, dass am Engadiner Skimarathon vom 10. März 2024 die Gewinnerin des Damenrennens wegen Nachweis von Fluor in der Form von Polyfluoralkyl Verbindungen auf dem Skibelag disqualifiziert wurde. Diese Substanzen fördern anscheinend die Gleiteigenschaften der Skis vor allem bei weichem, eher höher viskösem Schnee. Dies ist typischerweise beim schweren Neuschnee der Fall, wie er im Engadin an besagtem Wochenende reichlich gefallen ist (1). Eine eben erschienene umfassende Review fasst das gegenwärtige Wissen über die gesundheitsschädigenden Effekte von Polyfluoralkyl Verbindungen und anderer Folgemetaboliten fossiler Brennstoffe zusammen. Sie lässt verstehen, warum solche Substanzen auch verboten gehören. Endokrine Störungen sind als toxische Folgen prominent vertreten (2).

1. https://www.nzz.ch/sport/weitere-sportarten/engadin-skimarathon-siegerin-wegen-fluorwachs-disqualifiziert-ld.1821530, 2. NEJM 2024, DOI: 10.1056/NEJMra2300476, verfasst am 12.03.2024

Wird man eine Alzheimererkrankung in frühen, asymptomatischen Stadien diagnostizieren können?

Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass typische Amyloidkonstellationen (Amyloid Beta42 zu Amyloid Beta 40 Quotient u.a.m.) in der Rückenmarkflüssigkeit und charakteristische Positronenemissionstomographie (PET) Befunde bei der Alzheimererkrankung schon viele Jahre vor dem Auftreten einer kognitiven Einschränkung nachweisbar sind. Dies gilt sowohl für genetisch bedingte als auch sporadische ­Alzheimerformen. Eine bemerkenswerte Studie in einer kognitiv normalen Han-chinesischen Population hat diese bis zu 20 Jahre systematisch regelmässig nachuntersucht. 648 Patientinnen und Patienten in dieser Population entwickelten eine Alzheimer­erkrankung und wurden mit 648 Studienteilnehmenden, die kognitiv normal geblieben waren, verglichen. Alle 2-3 Jahre waren die Studienteilnehmenden in beiden Gruppen ­kognitiv, bildgebend und mit einer Liquoruntersuchung kontrolliert worden. Die charakteristischen Tau- und Amyloidproteine im Liquor begannen sich schon mindestens 15 Jahre vor der Alzheimerdiagnose und dann progredient zu verändern. Das MRI-mässig gemessene Volumen des Hippocampus begann 10 Jahre vor der Diagnose abzufallen. Das sind sehr interessante Befunde, die die Möglichkeit einer Früherkennung ergeben, die wichtig für die Lebensplanung, aber auch belastend sein kann. Ebenfalls wären die Befunde Basis einer Frühintervention, sofern entsprechend wirksame Methoden oder Medikamente verfügbar werden. ­Spekulieren lässt sich darüber, inwiefern westliche Ethikkommissionen repetitive Liquorpunktionen zugelassen hätten. Wirklich interessant wird diese Studie, falls die nun verfügbaren hochsensitiven Blut­analysen von neurodegenerativen Biomarkern die gleiche prognostische Aussagekraft aufweisen werden.

NEJM 2024, DOI: 10.1056/NEJMoa2310168, verfasst am 12.03.2024

Kosten, Nutzen und Gewinne bei onkologischen Medikamenten

Diese Analyse der von der Europäischen Zulassungsbehörde (European Medicines Agency, EMA) zwischen 1995 und 2020 zugelassenen onkologischen Medikamente könnte zu gesundheitspolitischen Emotionen führen.

Das globale, aber schwergewichtig westliche Marktvolumen dieser Medikamente betrug 2020 167 Milliarden Dollar, mit einem prognostizierten Anstieg bis 2025 auf 269 Milliarden Dollar. Dies bei weiterhin geographischen Unterversorgungen, aber einer klaren Tendenz, dass immer mehr und auch ältere Patientinnen und Patienten behandelt werden können. Die Tendenz, dass neuere Medikamente häufig (viel) teurer sind als etablierte, ist ebenso ein wichtiger Teilfaktor. Bezüglich Zusatznutzen macht die Studie eindrücklich klar, dass vor allem Medikamente, die in einem abgekürzten Verfahren (also nicht in einem ordentlichen Verfahren) zugelassen wurden, signifikant weniger bis auch keinen Nutzen für die Patienten aufweisen. Dies, weil die Abkürzungen naturgemäss bedeuten, dass die Evidenzbasis eingeschränkt ist. Die Zulassung erfolgt dann auf Grund hoch geschraubter Erwartungen und wohl auch auf Druck von Interessensgruppen. Interessant ist auch, wie schnell der Verkauf dieser Medikamente die Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen amortisiert. Die medianen Entwicklungskosten pro Medikament betrugen geschätzt knapp 700 Millionen Dollar. Nach medianen nur 3 Jahren überstiegen die Einnahmen bereits die Entwicklungskosten. 8 Jahre nach der Markteinführung lagen die kumulativen Einnahmen (median) pro Medikament bei knapp 4 Milliarden, überstiegen also die Entwicklungskosten bereits um deutlich mehr als das 5-fache. Nachdenklich macht, dass sich die beschleunigte Zulassung mit überdurchschnittlich vielen Medikamenten ohne echten Zusatznutzen für die Patientinnen und Patienten (gemäss Evidenz nach der Zulassung) trotzdem und durchaus als lohnende Investition zeigt. Man kann folgern, dass abgekürzte oder an Bedingungen geknüpfte Zulassungen unter strengen Bedingungen Sinn machen können, dass aber in der untersuchten Periode viele enttäuschte Erwartungen geschürt und unnötige Nebenwirkungen und Kosten induziert wurden.

BMJ 2024, doi.org/10.1136/bmj-2023-077391, verfasst am 08.03.2024

Grenzgebiete der Medizin

Gefährliches Halbwissen

In der Medizin selber, aber auch in den gesellschaftlichen und politischen Diskussionen geht es primär darum, seine eigenen Grenzen zu sehen und sich so dem Rat Erfahrener, respektive sich anderen Meinungen und Ansichten zu öffnen. Wie verhalten sich Wissen und Selbstbewusstsein zueinander? Man möchte annehmen, dass eine lineare Beziehung bestünde, d.h. je höher der Wissensstand, desto stärker wird das Selbstbewusstsein, etwas zu wissen oder gar zu verstehen. Vielleicht stimmt dies, aber nicht bei der Mehrheit der Bevölkerung. Durch Verwendung von mehr als 90’000 Fragekatalogen zu wissenschaftlichen Themen in Europa und den USA wurde versucht, das Selbstbewusstsein über das eigene Wissen und die eigenen Fähigkeiten zu parametrisieren. Dabei wurde namentlich die Differenz zwischen falschen Antworten und Antworten wie «Ich weiss es nicht» als Mass für ein hohes oder zu hohes Selbstbewusstsein genommen. Dabei wurde evident, dass keine Linearität zwischen Wissensstand und Selbstbewusstsein nachweisbar war. Der Grund ist, dass bei der Mehrheit der getesteten Personen bei zunehmendem Wissen das Selbstbewusstsein (oder die Überzeugung «es zu wissen») überproportional zunimmt, die Individuen sich also unkritischer geben und sich in falscher Sicherheit fühlen. Die Studie wurde grossenteils noch vor dem auf Smartphones jederzeit abrufbaren Internet durchgeführt. Wir befürchten, dass die schnelle, meist aber oberflächliche Internetabfrage, diese Diskrepanz noch akzentuiert hat.

Nature Human Behaviour 2023, doi.org/10.1038/s41562-023-01677-8, verfasst am 12.03.2024

Prof. Dr. med. Reto Krapf

krapf@medinfo-verlag.ch

SMOB-Empfehlungen zur Priorisierung der Therapie mit 2,4 mg Semaglutid

Hintergrund

Die derzeitige begrenzte Verfügbarkeit des GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1 RA) Wegovy® (2.4 mg Semaglutid) erfordert eine Priorisierung, bezüglich welche Patientengruppe als erste, zweite usw. behandelt werden sollte. Um die Ärztinnen und Ärzte dabei zu unterstützen, hierbei sinnvolle und (so weit wie möglich) evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen, geben wir die folgenden Empfehlungen für den Priorisierungsprozess.

Allgemeine Empfehlungen:

1. Alle Patient/-innen mit kompliziertem Übergewicht oder Adipositas sollten eine multimodale, individuelle Lebensstilberatung erhalten, welche von einer Ernährungsberater:in oder anderen qualifizierten medizinischen Fachkraft durchgeführt wird, um die Einhaltung einer gesunden, ausgewogenen Ernährung und mindestens 150 Minuten körperlicher Aktivität pro Woche zu unterstützen.

2. Allen Patient/-innen mit einem BMI ≥35 kg/m2 oder einem BMI ≥30 kg/m2 mit unkontrolliertem Typ-2-Diabetes (T2DM), definiert durch einen HbA1c-Wert von ≥ 8 % über einen Zeitraum von ≥ 12 Monaten, welche gemäss den SMOB-Richtlinien (1) für eine bariatrische Operation qualifizieren, muss eine bariatrische Operation und Überweisung an eine auf bariatrisch-metabolische Chirurgie spezialisierten Ärzt:in angeboten werden, um chirurgiespezifische Informationen zu erhalten.

3. Patient/-innen mit T2DM sollten gemäss den SGED-Empfehlungen (2) behandelt werden, die den Einsatz von GLP-1 RA in einem frühen Stadium der Erkrankung vorsehen. Wir halten jedoch fest, dass die gewichtsreduzierende Wirksamkeit der aktuell erstattungsfähigen Maximaldosis von Semaglutid für die Behandlung von T2DM, d. h. Ozempic® 1 mg s.c. pro Woche und in oraler Form von 14 mg Rybelsus®, geringer ist als die gewichtsreduzierende Wirksamkeit von 2.4 mg s.c. pro Woche (Wegovy®) und somit die Diabetes-Präparate nicht den vollen Nutzen in Bezug auf die Gewichtsreduktion bieten. Für Patient/-innen mit Übergewicht/Adipositas und T2DM stellt Tirzepatid (Mounjaro®) die wirksamste pharmakotherapeutische Option zur Reduzierung des Körpergewichts und zur Verbesserung der Blutzuckerkontrolle dar (3). Bislang wird die Behandlung von Patient/-innen mit T2DM mit Mounjaro® jedoch noch nicht von der obligatorischen Krankenversicherung erstattet. Zudem gibt es im Gegensatz zu Semaglutid bislang zur Behandlung mit Tirzepatid von Patient/-innen mit T2DM keine kardiovaskulären Endpunktdaten.

4. Alle Patient/-innen, für die eine GLP-1 RA Pharmakotherapie zur Behandlung von Übergewicht/Adipositas gemäss der von der Swissmedic zugelassenen Indikation in Frage kommen, müssen über folgende Punkte informiert werden:

a) Aufgrund der Chronizität der Krankheit muss die Medikation über einen langen Zeitraum fortgesetzt werden, da ein Absetzen der Medikation hochtwahrscheinlich zu einer Wiederzunahme des Körpergewichts und einer Verschlechterung des damit verbundenen Gesundheitszustands führt (4-6).
b) Da die Kosten für die Behandlung von kompliziertem Übergewicht und Adipositas mit Wegovy® derzeit nur zeitlich begrenzt auf 3 Jahre von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen werden, müssen die Kosten für eine langfristige medikamentöse Behandlung von Patient/-innen selbst getragen werden.

5. Patient/-innen, welche bereits erfolgreich mit einem GLP-1 RA basierten Medikament behandelt werden, einschliesslich denen, die Saxenda® einsetzen (das in naher Zukunft nicht mehr für Erwachsene erhältlich sein wird), und denen, die zu Beginn einer “off-label”-Behandlung mit Ozempic® oder Rybelsus® die von der Swissmedic definierten Indikationskriterien für Wegovy® erfüllten, sollten eine Weiterbehandlung erhalten und auf Wegovy® umgestellt werden.

6. Die von der Swissmedic definierten Indikationskriterien für das Körpergewichtsmanagement-Medikament Wegovy® sollten prinzipiell eingehalten werden. Die eingeschränkte Verfügbarkeit von 2.4 mg Semaglutid (Wegovy®) macht jedoch eine Priorisierung der Behandlung innerhalb dieser Patientengruppe notwendig. Daher empfehlen wir hier drei verschiedene Stufen von Priorisierungskategorien.

Ausblick

Da davon ausgegangen wird, dass die Verfügbarkeit von 2.4 mg Semaglutid (Wegovy®) kontinuierlich zunehmen wird, gehen wir davon aus und unterstützen, dass mit der Zeit auch Patient/-innen einer niedrigeren Prioritätskategorie eine pharmakologische Behandlung erhalten können.

Abschliessende Erklärungen:

Wir appellieren an alle Ärztinnen und Ärzte, unsere Empfehlungen zur Prioritätensetzung zu berücksichtigen, damit die begrenzten Ressourcen von Semaglutid (Wegovy®) denjenigen Patient/-innen zugewiesen werden können, die wahrscheinlich am meisten von dieser Pharmakotherapie profitieren und nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen das beste Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweisen.

Übergewicht/Adipositas ist eine chronische, rezidivierende, multifaktorielle Krankheit. Vor diesem Hintergrund fordern wir, dass die Pharmakotherapie von kompliziertem Übergewicht und Adipositas nicht von den individuellen finanziellen Ressourcen abhängen darf. Die Kostenübernahme einer zeitlich uneingeschränkten Anti-Adipositas-Pharmakotherapie ist daher ein wichtiges Ziel für die Zukunft und bedarf dringend einer klaren Regelung.
Wir betonen, dass die bariatrisch-metabolische Chirurgie ein wesentlicher Bestandteil der Therapie schwerer Adipositas bleibt, da sie aktuell nach wie vor die effektivste und nachhaltigste Behandlungsoption darstellt.

Wir sind davon überzeugt, dass die Zukunft des Gewichtsmanagements bei Adipositas neben individueller Verhaltens- und Ernährungsberatung ein modularer Ansatz sein wird, bei dem Pharmakotherapie und bariatrisch-metabolische Chirurgie je nach den pathophysiologischen Gegebenheiten, Komorbiditäten und persönlichen Präferenzen der einzelnen Patient/-innen optimal eingesetzt oder sogar kombiniert werden.
Alle behandelten Patienten sollten unabhängig von der eingesetzten therapeutischen Massnahme von einem qualifizierten Behandlungsteam kontinuierlich betreut werden.

Prof. Dr. med.Bernd Schultes 1, Prof. Dr. med. Marco Bueter 2,3
Dr. med. Lucie Favre 4,5,6, Prof. Dr. med. Katharina Timper 7,8
for the collaborative task force “prioritization of anti-
obesity pharmacotherapy” of the Swiss Society for the
Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders (SMOB)

Affiliationen :
1 Metabolic Center St. Gallen, friendlyDocs Ltd., St. Gallen, Switzerland.
2 Department of Surgery, Spital Männedorf, Männedorf Switzerland
3 Department of Surgery and Transplantation, University Hospital Zurich, University of Zurich, Zurich, Switzerland
4 Faculty of Biology and Medicine, University of Lausanne, Lausanne, Switzerland
5 Service of Endocrinology, Diabetes and Metabolism, Lausanne University Hospital, Lausanne, Switzerland.
6 Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, CHUV, Division of Endocrinology, Diabetology and Metabolism, Lausanne University Hospital, Lausanne, Switzerland
7 Endocrinology, Diabetes and Metabolism Clinic, University Hospital Basel, Basel, Switzerland
8 Department of Biomedicine, University of Basel, Basel, Switzerland

Prof. Dr. med. Bernd Schultes

Stoffwechselzentrum St. Gallen, friendlyDocs AG
Lerchentalstrasse 21
9016 St. Gallen

stoffwechselzentrum@friendlydocs.ch

1. SMOB.ch – Richtlinien [Internet]. [cited 2024 Jan 3]. Available from: https://www.smob.ch/de/richtlinien
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Schlafstörungen und Depression – Besonderheiten im Alter

Depressionen sind neben demenziellen Erkrankungen und Angsterkrankungen die häufigsten alterspsychiatrischen Erkrankungen; auch Schlafstörungen sind im Alter ein häufiges Symptom. Depressionen können sich bei älteren Menschen durch atypische Symptome äussern, sodass Altersdepressionen nicht gleich erkannt werden. Oftmals stehen körperliche Beschwerden, Schmerzen, allgemeines Unwohlsein und kognitive Störungen im Vordergrund und nicht die Hauptsymptome der Depression. Insbesondere die Abgrenzung einer Depression im Alter von einer depressiven Symptomatik im Rahmen einer beginnenden Demenz ist aufgrund der kognitiven Störungen bei Altersdepression meist schwierig. Schlafstörungen können ein Symptom der Altersdepression sein. Es können aber auch weitere Ursachen einer Schlafstörungen im Alter zugrunde liegen, und damit unabhängig von einer Depression sein. Unerkannt und unbehandelt erschwert dies die Behandlung der Depression erheblich.

Depression is the most common psychiatric disorders in old age, alongside dementia and anxiety; sleep disorders are also a common symptom in old age. Depression can manifest in older people through atypical symptoms, which means that old-age depression is not immediately recognized. Physical complaints, pain, general malaise and cognitive disorders are often the main cognitive disorders and not the main symptom of depression. In particular, the differentiation of depression in old age from depressive symptoms in the context of incipient dementia is usually difficult due to the cognitive disorders in old-age depression.
Key Words: Old age, depression, symptoms, cognitive disorders

Ursachen der Altersdepression

An der Entstehung einer Depression im Alter können somatische und psychische/psychosoziale Faktoren beteiligt sein.

Hierzu zählen das Nachlassen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, das Auftreten von körperlichen Erkrankungen mit Angst vor Autonomieverlust, Rollenwechsel (Beruf, Pensionierung, Familie – Auszug der Kinder verbunden mit einer persönlichen Neuorientierung für die Zeit der Pensionierung), Verlusterlebnisse, Veränderungen/Reduktion des sozialen Netzwerks, Wegzug/Tod von engen Freunden und Angehörigen, aber auch der Verlust des sozialen Netzwerks am Arbeitsplatz.

Um eine wirksame spezifische und individuell ausgerichtete Therapie zu planen, ist es wichtig, die Depression in ihrer Ausprägung und Intensität zunächst zu erkennen und zudem die möglichen, an der Entstehung und Aufrechterhaltung beteiligten Faktoren (körperliche und psychosoziale Faktoren) zu erfassen.

Diagnostik

Die Diagnostik der Altersdepression erfordert somit eine breite psychopathologisch-psychosoziale wie auch körperliche Abklärung, einschliesslich somatischer Untersuchungen und der Bestimmung von Laborparametern und einer Bildgebung (MRI). Die aktuell vorliegenden Behandlungsempfehlungen, die auch für die Differenzialdiagnostik für eine beginnende Demenz massgebend sind, hat die Schweizer Gesellschaft für Alterspsychiatrie vorgelegt (1). Ergänzend können Ratingskalen wie z.B. die Geriatrische Depressions-Skala (GDS) zur Bestimmung der Intensität der Depression herangezogen werden.

Zur Diagnostik gehört zwingend die Abklärung und Einschätzung der Suizidalität, die sowohl im Alter als auch bei Depressionen deutlich erhöht ist. Die Suizidalität ist anzusprechen und in ihrer Intensität zu erfassen. Die Einschätzung und Besprechung der Suizidalität erfordert eine gewisse klinische Erfahrung, zudem können auch hier ergäneznd Ratingsskalen angewendet werden (1, 2).

Therapie der Altersdepression

Die Therapie der Altersdepression sollte sich, wie schon bei der Diagnostik beschrieben, ebenfalls an den Behandlungsempfehlungen der Schweizer Gesellschaft für Altersdepression orientieren (1). Grundsätzlich gilt, dass bei sekundären Depressionen, die im Rahmen einer anderen Grunderkrankung auftreten (z.B. Schilddrüsenfunktionsstörung), zunächst die Grunderkrankung behandelt werden muss; ggf. muss jedoch – auch bei Vorliegen einer anderen Erkrankung – parallel eine Mitbehandlung des depressiven Zustandsbildes oder einzelner Symptome (z.B. Schlafstörungen, Unruhe) erfolgen. Bei leicht ausgeprägten Depressionen ist eine alleinige Psychotherapie zu bevorzugen, bei mittelgradigen Depressionen kann entweder medikamentös oder psychotherapeutisch oder auch kombiniert behandelt werden; bei schweren Depressionen ist immer eine Kombination aus medikamentös, antidepressiver Therapie und Psychotherapie anzuwenden. Hinzu kommen weitere adjuvante nicht-medikamentöse Therapien wie Lichttherapie, körperliche Aktivität und Sporttherapie sowie Ergo- und Kunsttherapie.

Die Behandlung der Depression sollte v.a. bei älteren Menschen spätestens nach einem (spätestens zwei) erfolglosen Therapieversuch(en) durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie durchgeführt werden, da meist eine ganzheitliche «psychosomatische Sichtweise» mit der Anwendung spezifischer psychotherapeutischer Strategien für die Behandlung notwendig ist.

Psychotherapie

Die Psychotherapie bei älteren Menschen muss sich an den Inhalten und Themen, die als Belastungsfaktoren für die Entstehung von Depressionen im Alter beschrieben sind (s.o.), orientieren. Ein wichtiger Aspekt ist hier, dass auch für ältere, z.T. für hochbetagte Patienten, eine Zukunftsperspektive entwickelt werden kann, auch wenn die Zeit für diese Zukunft bei älteren Menschen wesentlich kürzer ist als im jüngeren Alter. Ein anderer wichtiger Aspekt, der in der Psychotherapie aufgegriffen werden sollte, bezieht sich auf das Thema «Akzeptanz». Hier geht es darum, die aktuelle Situation, z.B. das Vorliegen einer (meist chronischen) körperlichen Erkrankung mit eingeschränkter Mobilität und Autonomie oder auch beklagte Fehler aus früheren Lebensphasen, die nicht mehr zu korrigieren sind, zu akzeptieren. Erst dann kann an Möglichkeiten zur weiteren Gestaltung der Zukunft und der Verbesserung der Lebensqualität gearbeitet werden.

Die meisten positiven Befunde liegen für die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), für die interpersonelle Therapie (IPT) und die psychodynamische Fokaltherapie vor. Für die Verfahren der dritten Welle wie ACT, CBASP, MBCT ist die Datenlagen für die Anwendung im Alter noch gering. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Therapieverfahren im Einzelfall angewendet, nicht wirksam sind (1).

Medikamentöse Behandlung

Ist eine medikamentöse Behandlung notwendig, sind grundsätzlich alle zugelassenen Antidepressiva wirksam. Bereits bei einer leichten bis mittelgradigen Depression mit ausgeprägten Schlafstörungen können Antidepressiva angewendet werden, insbesondere dann, wenn eine Psychotherapie nicht möglich ist (z.B. keine Verfügbarkeit, ausgeprägte kognitive Störungen). Die Auswahl der Antidepressiva richtet sich in diesem Fall in erster Linie nach dem Nebenwirkungsprofil und ggf. gleichzeitig vorliegender Komorbidität. Es gilt bei der medikamentösen Behandlung älterer Menschen grundsätzlich «start low, go slow». Dennoch sollte eine ausreichende Dosierung des Medikaments angestrebt und erreicht werden, die anhand von Blutspiegelkontrollen evaluiert werden kann. Auf Medikamente mit anticholinergen Nebenwirkungen sollte verzichtet werden.

Therapieresistenz

Falls eine Therapieresistenz vorliegt, sollten die in den Schweizer Behandlungsempfehlungen für Altersdepression bzw. unipolare Depression genannten Schritte (Umstellung, Kombination, Augmentation, zusätzliche biologische Verfahren) zum Einsatz kommen (1, 3).

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass wenn durch das Auftreten von Nebenwirkungen bei einer Substanz eine Dosiserhöhung nicht möglich ist, eine Kombination mit einem zweiten Antidepressivum in ebenfalls niedriger bis mittlerer Dosierung helfen kann und Nebenwirkungen minimiert werden können. Die Behandlung einer therapieresistenten Altersdepression sollte durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erfolgen.Auch persistierende Schlafstörungen können ein Grund für mangelndes Ansprechen auf eine antidepressive Behandlung sein.

Schlafstörungen im Alter

Schlafstörungen können – wie bereits erwähnt – ein Symptom der Depression sein. Es gibt aber viele weitere Gründe, die für Schlafstörungen, insbesondere im Alter, verantwortlich sein können.

Schlafregulation

Um Schlafstörungen zu verstehen, ist eine Kenntnis der Schlafregulation notwendig.
EEG-Ableitungen während des Schlafs geben uns einen Hinweis auf die elektrophysiologische Aktivität während der Nacht. Die Analyse dieser Ableitungen zeigt einen Wechsel aus NonREM-Schlaf und REM-Schlaf (Schlafzyklus), mit tiefem NonREM-Schlaf zu Beginn der Nacht und leichtem NonREM-Schlaf gegen Ende der Nacht (in späteren Schlafzyklen). An diese Schlafphasen assoziiert findet sich auch eine regelhafte Freisetzung verschiedener Hormone, die jeweils ein charakteristisches Muster aufweist (4, 5) (Abb. 1).

Eine Erklärung für die Schlafregulation liefert das Zwei-Prozess-Modell (6). Der Schlaf ist an den durch die Sonne vorgegebenen Hell-Dunkel-Rhythmus des 24-Stunden-Tages gekoppelt und unterliegt somit einem circadianen Rhythmus. Dieser wird durch einen endogenen Schrittmacher im Zwischenhirn (nucleus suprachiasmaticus) gesteuert (=Prozess C – circadian). Gleichzeitig beeinflusst – unabhängig vom Hell-Dunkel-Rhythmus der Sonne – die Länge der vorangehenden Wachzeit unseren Schlaf, indem der Schlafdruck zunimmt (Prozess S – Schlafdruck), (Abb.2). Je länger man wach ist, umso tiefer ist der Schlaf in der folgenden Nacht (Schlafdruck-Prozess S). Dem tiefen NonREM-Schlaf wird eine körperliche und psychische Erholungsfunktion wie auch eine Gedächtnis-fördernde Funktion zugeschrieben, u.a. aufgrund der reduzierten Aktivität cortikaler neuronaler Aktivität sowie der veränderten Aktivität bestimmter Hormone und des Immunsystems. Der REM-Schlaf ist von der Variation der vorherigen Wachzeit weniger stark beeinflusst, sondern eher an den circadianen Rhythmus gekoppelt (5).
Aufgrund der in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnisse, ist es wichtig, bei der Behandlung einen gesunden, natürlichen Schlaf, mit ausreichend Tiefschlaf und stabilen REM-Schlafphasen anzustreben.

Im Alter findet sich physiologischerweise eine kürzere Schlafzeit und ein insgesamt leichterer Schlaf, zudem verändert sich auch die circadiane Komponente der Schlafregulation (Prozess C) mit dem Alter, u.a. mit einem früheren Anstieg des Cortisols in der 2ten Nachthälfte (4, 5 7) (Abb. 1).

Gründe für Schlafstörungen im Alter

Neben diesen physiologischen Veränderungen, die zu einem leichteren Schlaf mit abgeschwächtem circadianem Rhythmus für Körperkerntemperatur, Melatonin und des Cortisols mit einer Phasenvorverschiebung (Phase advance) um ca. eine Stunde führen, finden sich als Folge dieser altersbedingten Veränderungen des Schlafs und der schlafassoziierten hormonellen Sekretion (insbesondere auch Cortisol) eine erhöhte Anfälligkeit für Störungen des Schlafs durch exogene Faktoren (Stressoren) im Alter. Diese Stressoren, die diesbezüglich im Alter eine Rolle spielen können, sind analog den Belastungen, welche auch für die Altersdepression genannt wurden (s.o.). Sie können – als altersspezifische Stressoren – bedingt durch den leichteren Schlaf bei älteren Menschen schneller und intensiver zu einer ausgeprägten Insomnie führen (5).

Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Insomnie spielen gerade im Alter körperliche Erkrankungen. Hier sind insbesondere die spezifischen Schlafstörungen des Restless Leg Syndroms (unruhige Beine) wie auch der schlafbezogenen Atemstörungen (Atemaussetzer, Schlaf-Apnoe) zu nennen, die beide mit zunehmendem Alter häufiger auftreten und meist über einen längeren Zeitraum, trotz bereits bestehende Schlafstörung, unerkannt bleiben.
Als spezifische Schlafstörung ist hier auch die REM-Schlafverhaltensstörung zu erwähnen, die mit motorischen Bewegungen während des REM-Schlafs meist in der zweiten Nachthälfte einhergeht und mit einer neurodegenerativen Erkrankung aus dem Kreis der Synnucleinopathien (M. Parkinson, Lewy-Körper-Demenz) assoziiert sein kann und ebenfalls im Alter häufiger auftritt (8).

Zu diesen primären Schlafstörungen kommen eine Vielzahl körperlicher Erkrankungen, die sich negativ auf den Schlaf auswirken können. An erster Stelle sind unterschiedliche Schmerzsyndrome zu nennen, aber auch kardiovaskuläre, pulmonale und urogenitale Erkrankungen wie auch deren medikamentöse Behandlung mit z.T. schlafstörenden Substanzen (z.B. Theophylinpräparate am Abend zur Behandlung von Asthma) (9). Im Fall von bestehenden somatischen (aber auch psychischen) Komorbiditäten ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den medizinischen Disziplinen (Schlafmediziner, Internist, Neurologe, weitere) angezeigt, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Die Therapie der sekundären Schlafstörung erfordert eine möglichst optimale Behandlung der Grunderkrankung, wie auch der medikamentösen Einstellung der Patienten unter Berücksichtigung der schlafstörenden Eigenschaften mancher somatischer Medikamente.

Schlafstörungen im Alter – Diagnostik

An erster Stelle ist abzuklären, ob die Schlafstörung, die der Patient berichtet, überhaupt Krankheitswert besitzt oder ob es sich nur um ein fehlerhaftes Schlafverhalten oder um eine Schlafwahrnehmungsstörung handelt. Hierzu können neben einer vertieften Eigen- und Fremdanamnese, Schlaftagebücher und die Aktigraphie eingesetzt werden. Ist auf phänomenologischer Ebene eine Schlafstörung festgestellt worden, geht es dann um die Ursachensuche. Hier müssen zunächst die oben beschriebenen somatischen Gründe (somatische Komorbiditäten, potenziell schlafstörende Medikamente) und psychische Ursachen (Belastungsfaktoren, psychische Erkrankungen) entdeckt bzw. ausgeschlossen werden.

Da dieser umfassende diagnostische Prozess in einzelnen Fällen lange dauern kann, bis eine gewisse Klarheit herrscht, ist es oft notwendig, die Insomnie bereits parallel symptomatisch zu behandeln.

Dies ist auch dadurch gerechtfertigt, dass -selbst wenn eine Ursache gefunden und diese behandelt wird- oftmals eine zusätzliche spezifische Behandlung der Insomnie notwendig ist.

Für die Behandlung der Insomnie stehen medikamentöse und nicht-medikamentöse Optionen zur Verfügung (9).

Therapie der Insomnie im Alter (Tab.1)

Nicht-medikamentöse Massnahmen

Zu den nicht-medikamentösen Massnahmen zählen zur Stärkung des Prozess C konstante Schlaf- und Wachzeiten, ggf. kombiniert mit Schlafrestriktion und limitiertem Mittagsschlaf (Stärkung des Prozess S).

Der individuell angepasste Einsatz von Lichttherapie (wirkt auf Prozess C) sowie alle Massnahmen der Schlafhygiene (beide Prozesse betroffen) sind weitere, nicht-medikamentöse Therapiemöglichkeiten, die direkt auf diese beiden Prozesse der Schlafregulation einwirken. Körperliche Aktivität im Sinne von sportlicher Betätigung mittlerer Intensität hat ebenso eine unterstützende positive Wirkung, wie aktivierende kreative und geistig stimulierende Therapien (Ergo-, Kunsttherapie), die auch zur Stabilisierung des circadianen Rhythmus eingesetzt werden können, indem sie immer zu festen Zeiten am Tag durchgeführt werden. Gerade in kürzlich veröffentlichten, kontrollierten Studien stellt sich zunehmend der positive Effekt von körperlicher Aktivität und Sport auf die Besserung von Schlafstörungen und Depressionen heraus. Besonders wirksam waren Programme mit mittlerer Intensität und einer Frequenz von drei «Trainings»-Einheiten pro Woche über drei bis sechs Monate. Über 50% der dort untersuchten Studien zeigten positive Wirkungen auf Schlafstörungen wie auch auf eine Verbesserung der Depression insgesamt (10).

Im Alter sollten sportliche Aktivitäten und Programme bei Vorliegen einer Depression oder/und Insomnie in Absprache mit und Supervision durch die behandelnden Ärzte angewendet werden.

Medikamentöse Behandlung

Bei Schlafstörungen sollten immer zunächst nicht-medikamentöse Methoden eingesetzt werden, manchmal ist es jedoch unumgänglich, auch schlaffördernde Medikamente einzusetzen. In erster Linie, jedoch nur für den kurzzeitigen Einsatz, stehen hier Benzodiazepin Hypnotika sowie Benzodiazepin Analoga (die Z-Substanzen wie Zolpidem) zur Verfügung. Sie sind für die Behandlung der Insomnie zugelassen, sollten aber v.a. im Alter aufgrund des Nebenwirkungsprofils (v.a. Sturzgefahr, kognitive Störungen, Toleranz und Abhängigkeitsproblematik) sehr zurückhaltend gegeben werden (Tab. 2).

Ist eine längere medikamentöse Behandlung der Insomnie (bei primärer oder auch bei sekundärer Insomnie) nötig, können Substanzen aus der Klasse der Antidepressiva oder der Antipsychotika gegeben werden.

Beim Einsatz dieser Substanzen im Alter bestimmt auch hier v.a. das Nebenwirkungsprofil der jeweiligen Substanz die Auswahl. Grundsätzlich sollten im Alter keine Substanzen eingesetzt werden, die anticholinerge Nebenwirkungen (u.a. Mundtrockenheit, Harnverhalt, Obstipation, Akkommodation und kognitive Störungen) aufweisen; bei vorhandenen Komorbiditäten ist v.a. auf das Potenzial zur Auslösung von extrapyramidal motorischen Störungen (EPMS), QT-Zeit Verlängerung und der Induktion einer diabetogenen Stoffwechsellage bzw. eines metabolischen Syndroms zu achten.

Es sollten nach Abklärung des Nebenwirkungsprofils und möglicher Komorbiditäten im Alter v.a. Substanzen eingesetzt werden, die keine grossen Änderungen der Schlafarchitektur induzieren und am besten eine Tiefschlafzunahme und keine REM-Schlaf-Suppression bewirken (wie z.B. Trazodon, Agomelatin, Mirtazapin oder aus der Klasse der Antipsychotika v.a. Quetiapin und Pipamperon) (Tab. 2), wobei sich der Einsatz dieser Substanzen –wie oben erwähnt – am Nebenwirkungsprofil orientiert und durch das Vorliegen möglicher Komorbiditäten limitiert ist (5).

Oft vergessen wird der Melatonin-Agonist Circadin, der für Schlafstörungen im Alter zugelassen ist und der mit zunehmendem Alter abnehmenden Stärke des Prozess C entgegenwirkt.

Als neue Behandlungsoption steht seit Ende letzten Jahres der Orexinrezeptor-Antagonist Daridorexant zur Verfügung. Er führt zu einer Verbesserung des Ein- und Durchschlafens, einer Zunahme von Tief- und REM-Schlaf und zeichnet sich v.a. durch eine gute Verträglichkeit, ohne körperliche Abhängigkeit aus, sodass er gerade für ältere Patienten eine ernstzunehmende Behandlungsoption ist (11).

Die Behandlung von Schlafstörungen im Alter besteht jedoch nie in einer alleinigen medikamentösen Behandlung; es sind immer nichtmedikamentöse Behandlungselemente einzubeziehen. Nach einer sorgfältigen Diagnostik und Schlafanamnese ist die Behandlung dann personalisiert auf die beim einzelnen Patienten vorliegende Konstellation zu planen und durchzuführen mit dem Ziel einer vollständigen Behandlung der Schlafstörung und einer Wiederherstellung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit.

Notwendigkeit der Prävention

Eine unbehandelte Insomnie hat sowohl ein erhöhtes Risiko für das Auftreten körperlicher Erkrankungen, v.a. cerebro-, cardiovaskulärer und metabolischer (Diabetes Typ II, metabolisches Syndrom) Erkrankungen, als auch psychischer Erkrankungen wie v.a. Angststörungen, kognitive Störungen und Depressionen zur Folge. Daher ist die zeitnahe und konsequente Behandlung von Schlafstörungen mit Krankheitswert zwingend notwendig.

Das Risiko für das Auftreten von Schlafstörungen im Alter kann reduziert werden durch die Einhaltung eines regelmässigen Tag-Nachtrhythmus mit festen Schlafzeiten (in der Regel Bettzeit nicht vor 22.30 Uhr) und mit festen und regelmässigen Zeiten der Nahrungsaufnahme. Ein Mittagsschlaf kann erlaubt werden, jedoch maximal eine halbe Stunde und nicht mehr nach 15 Uhr.

Hinzukommen Massnahmen zum Erhalt der körperlichen und geistigen Fitness und die Einhaltung schlafhygienischer Massnahmen. All diese verhaltensorientierten Massnahmen spielen bei der Prävention von Schlafstörungen und Depressionen eine grosse Rolle und können von älteren Personen auch selbst durchgeführt werden.

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PD Dr. med. Dr. phil. Ulrich Michael Hemmeter

Chefarzt Psychiatrie St. Gallen Nord
Zürcherstrasse 30
9500 Wil

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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2. Hemmeter U., Suidizalität erkennen und einschätzen, der informierte Arzt, 2023, 10, 13-16
3. Holsboer-Trachlser et al, Die somatische Behandlung der unipolaren depressiven Störungen: Update 2016, Teil 1, Die Akutbehandlung depressiver Episoden, SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(35):716–72
4. Steiger A: Schlafendokrinologie. Nervenarzt. 1995;66:15-27.
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6. Borbély AA et al.: Sleep, sleep deprivation and depression. A hypothesis derived from a model of sleep regulation. Hum Neurobiol. 1982;1(3):205-210.
7. Lorette A et al.: Sleep in the elderly. In:, 2nd edition, Editors: Claudio Bassetti, Walter McNicholas, Tiina Paunio, Philippe Peigneux, Publisher: European Sleep Research Society (ESRS) in Regensburg, Germany. Sleep Medicine Textbook. 2021;2.
8. Patel D et al.: Insomnia in the Elderly: A Review. J Clin Sleep Med. 2018;14(6):1017-1024.
9. Riemann D et al.: S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen, Kapitel «Insomnie bei Erwachsenen» (AWMFRegisternummer063-003), Update 2016. Somnologie. 2017;21:2-44
10. Hemmeter UM, Ngamsri T. [Physical Activity and Mental Health in the Elderly]. Praxis (Bern 1994). 2022;110(4):193-8.
11. Park J, Render KP, Cates DW., Daridorexant: Comprehensive Review of A New Oral Agent for the Treatment of Insomnia. Ann Pharmacother. 2023 Sep;57(9):1076-1087.
12. Hertenstein E et al.: Insomnia as a predictor of mental disorders: A systematic review and meta-analysis. Sleep Med Rev. 2019;43:96-105.

Polyzythämie oder Erythrozytose – Ursachen und diagnostisches Vorgehen

Polyzythämie wird durch einen Anstieg der Hämoglobinwertes (Hb), des Hämatokrits (Hkt) oder Anzahl der roten Blutkörperchen (RBC) über dem Referenzbereich definiert und ist abhängig vom Alter, Geschlecht und Wohnhöhe (üblicherweise ab >1500 m ü.M.). Polyzythämie wurde bei ca. 0.2% aller hospitalisierten Patienten beschrieben (1) und wird in JAK2-mutierte (JAK2-positive) Polyzythämie, welche Polyzythämia vera (PV) genannt wird, sowie JAK2-unmutierte (JAK2-negative) Polyzythämie, welche sekundär, hereditär oder idiopathisch sein kann, eingeteilt.

Polycythaemia is defined by an increase in haemoglobin (Hb), haematocrit (Hct) or red blood cell (RBC) count above the reference range, and is dependent on age, gender and altitude (usually >1500 m above sea level). Polycythaemia has been described in approximately 0.2% of all hospitalised patients (1) and is divided into JAK2-mutated (JAK2-positive) polycythaemia, which is called polycythaemia vera (PV), and JAK2-unmutated (JAK2-negative) polycythaemia, which can be secondary, hereditary or idiopathic.
Key Words: Polycythaemia, haemoglobin, haematocrit, red blood cell¸ JAK2

JAK2-mutierte (JAK2-positive) Polyzythämie: Polyzythämia Vera (PV)

Die PV ist eine hämatologische, klonale Erkrankung, welche zu der Gruppe der myeloproliferativen Neoplasien (MPN) gehört. Die PV-Patienten haben ein deutlich erhöhtes Risiko für venöse und arterielle thromboembolische (auch lebensbedrohliche) Ereignisse. Zudem besteht bei ihnen ein Risiko für die Entwicklung einer Myelofibrose, einer Form der MPN mit einer ungünstigeren Prognose. In seltenen Fällen kann die Erkrankung auch in eine akute myeloische Leukämie (AML) fortschreiten. Gemäss der Klassifikation der Tumorerkrankungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie dem Internationalen Consensus der Klassifikation (ICC) der MPN aus dem Jahr 2022 gibt es klare diagnostische Kriterien für die PV (Tab. 1).

Die JAK2-Mutationen können primär aus dem peripheren Blut getestet werden. Ein erniedrigter Epo-Spiegel ist für PV typisch.

Eine Knochenmarkpunktion (KMP) ist hilfreich, um den Typ der MPN zu charakterisieren und das Vorliegen einer Fibrose, die prognostische Relevanz hat, zu prüfen. Mittels KMP werden Knochenmarkaspirat und Biopsie gewonnen. Wichtige Aspekte bei der Beurteilung sind die gesteigerte Zellularität, eine trilinäre Myeloproliferation, die Morphologie der Megakaryopoese, das Vorhandensein einer Fibrose, sowie eventuelle Vermehrung der Blasten. Die Flowzytometrie ist nicht zwingend nötig, könnte aber dazu beitragen, eine Zunahme der Blasten auszuschliessen. Die konventionelle Zytogenetik ist bei der Diagnosestellung empfohlen, das Material kann jedoch eventuell für spätere Testung asserviert werden. Aufgrund des im Allgemeinen indolenten Verlaufs der PV gehört eine erweiterte molekulare Untersuchung derzeit nicht zur Routine einer Abklärung. Dies ist jedoch in den Fällen mit grenzwertigem Erscheinungsbild, bei denen die Unterscheidung zu anderen MPN schwierig ist, oder bei denen der Verdacht auf ein Fortschreiten der Krankheit besteht, angezeigt. Die erweiterte Charakterisierung erfolgt mittels Next Generation Sequencing (NGS). Es wird ein der Fragestellung entsprechendes Panel eingesetzt. Diese Untersuchung ist jedoch in der Regel mit höheren Kosten verbunden und bedarf einer Zustimmung der Krankenkasse mit einer Kostengutsprache. Der Nachweis zusätzlicher Mutationen kann prognostisch wichtig sein.

Ein Thrombophilie-Screening bei stattgehabter Thrombose kann erwogen werden. Die Testung für Cholesterin (LDL und HDL), Triglyceride, Glucose sowie HbA1c, zur Einschätzung nicht-MPN-bedingter kardiovaskulärer Risikofaktoren sollte erfolgen. Die Optimierung dieser Risikofaktoren ist strikt empfohlen.
Die Diagnose einer PV hat erhebliche therapeutische Konsequenzen, da aufgrund des erhöhten thromboembolischen Risikos der Hkt <45% gehalten werden soll. Die Behandlung hängt vom Alter und der Vorgeschichte stattgehabter Thrombosen ab, die das Risiko für weitere thromboembolische Komplikationen und die richtige Behandlung der Krankheit bestimmen. Die Behandlung umfasst Aderlässe, Thrombozytenaggregationshemmer d.h. Acetylsalicylsäure (ASS) und zytoreduktive Therapie mit Hydroxyurea oder pegyliertem Interferon alpha (Peg-IFN-alpha) (Tab. 2).

Die Hauptziele der Behandlung sind:
1. Reduktion des thromboembolischen Risikos
2. Kontrolle der klinischen Symptome
3. Vermeidung der späten Komplikationen wie
Myelofibrose oder AML

JAK2-unmutierte (JAK2-negative) Polyzythämie: sekundär, hereditär, idiopathisch

Mit der Entdeckung von JAK2-Treibermutationen im Jahr 2005 und breit verfügbaren Methoden zur Testung stellt die PV meist keine diagnostische Schwierigkeit mehr dar. Eine diagnostische Herausforderung ist dagegen die JAK2-unmutierte d.h. JAK-2 negative Polyzythämie, welche eine heterogene Gruppe von Entitäten umfasst.

In der Universitätsklinik der Hämatologie des Inselspitals Bern wurde eine Studie durchgeführt, in welcher die Epidemiologie, Ursachen und die Komplikationen der JAK2-unmutierten Polyzythämie analysiert wurden (1). In dieser Studie wurden alle Patienten, d.h. ca. 730’000, welche am Inselspital über fast 11 Jahre (Oktober 2008 – Juli 2019) in Behandlung waren, untersucht, und davon ca. 1’400 Patienten, welche die Hb/Hkt WHO Kriterien für PV erfüllt haben, identifiziert. Hiervon wurden 95 Fälle der JAK2-mutierten Polyzythämie d.h. PV, und 294 Fälle mit JAK2-unmutierter Polyzythämie festgestellt. Die Resultate der Studie werden in diesem Artikel diskutiert.

Sekundäre und idiopathische, JAK2-unmutierte Polyzythämie

Prinzipiell treten die erworbenen Formen der JAK2-unmutierten Polyzythämie am häufigsten im klinischen Alltag auf. Sie entstehen als Folge von übermässiger Epo-Produktion, entweder als physiologischer Ausgleich für unzureichende Sauerstoffversorgung des peripheren Gewebes (Lunge), Schlafapnoe, Rechts-Links-Herz-Shunts, Rauchen, inklusive Shisha (2), Höhenlage, Nierenarterienstenose und polyzystische Nierenerkrankung, oder als autonome Produktion von Epo durch Tumore oder die Einnahme von Anabolika (3).

Unsere Studie zeigt, dass die Männer der Kohorte der JAK2-unmutierten Polyzythämie stark überrepräsentiert waren (n=242, 82%).

Trotz der Verfügbarkeit molekularer Untersuchungen und anderer diagnostischer Methoden sind idiopathische Formen nach wie vor die häufigste Ursache in dieser Krankheitsgruppe, sodass bei 30 % dieser Patienten keine Ursache festgestellt wurde, gefolgt von Schlafapnoe und Rauchen (Tab. 3).

Bei jungen Patienten (< 30 J., n=56), liess sich eine Ursache der Polyzythämie nur bei ca. der Hälfte eruieren. Bei diesen Patienten blieb die Polyzythämie, trotz extensiver Diagnostik, unklar. Darüber hinaus sind bei jungen Patienten die Schlafapnoe (n=6, 11% aller jungen Patienten) und Rauchen (n=6, 11% aller jungen Patienten) die am häufigsten diagnostizierbaren Ursachen für JAK2-unmutierte Polyzythämie. Aus diesem Grund sollte die Schlafapnoe auch bei jungen Patienten aktiv gesucht werden.

Die sekundäre und die idiopathische Polyzythämie benötigen aus hämatologischer Sicht keine Therapie, da diese Patienten prinzipiell kein klar erhöhtes Risiko für Thromboembolien oder Transformation in eine andere Erkrankung haben. Die Ursache sollte therapeutisch angegangen werden.

Kongenitale Erythrozytose

Angeborene sekundäre Erythrozytosen sind selten und werden meist durch Keimbahnmutationen verursacht, einschliesslich Mutationen in Genen, die am Sauerstoff-Sensorweg und Hb-Bildung beteiligt sind, unter anderem abnormale Sauerstoffaffinität (4). Es sind mehrere Mutationen bekannt, welche eine kongenitale Erythrozytose verursachen können (Tab. 4).

Parameter, die für die Kategorisierung dieser Art von Polyzythämie wegweisend sind, umfassen den Epo-Spiegel im Serum und den P50-Wert. Ein niedriger P50-Wert (PO2 bei 50% Sättigung) in der Blutgasanalyse spiegelt eine hohe Hb-Sauerstoffaffinität wider (5). In unserer Erfahrung ist jedoch die Testung für Epo und P50 in der arteriellen (oder venösen) Blutgasanalyse, selten hilfreich in der Feststellung der Ursache der kongenitalen Erythrozytose, da die bestimmten Mutationen mit verschiedenen Mustern der Epo und P50 Werte verbunden sind (1).

Um die Mutation, welche für die kongenitale Erythrozytose verantwortlich ist, zu untersuchen, muss eine molekulare Testung durchgeführt werden. Diese kann vom peripherenBlut erfolgen und mit NGS durchgeführt werden. NGS ist eine molekulardiagnostische Methode, die erlaubt, mehrere Gene gleichzeitig zu untersuchen und auch vor einer KMP durchgeführt werden kann.

Am Inselspital wurde bereits im Jahr 2018, ein 13-Gen-NGS-Panel für die kongenitale Erythrozytose entwickelt (6). Dieses Panel wurde über die letzten Jahre um weitere Gene erweitert und aktuell werden 24 Gene untersucht (Tab. 5).

Es werden nur Genvarianten untersucht, die gemäß den internationalen Richtlinien als pathogen, wahrscheinlich pathogen oder als Varianten unbekannter Signifikanz (VUS) gelten.

Diese Untersuchung ist vor allem bei jungen Patienten oder Patienten mit positiver Familienanamnese indiziert und benötigt eine Kostengutsprache der Krankenkasse.

Die kongenitalen Erythrozytosen benötigen aus hämatologischer Sicht ebenfalls meistens keine spezifische Therapie und sind nicht mit erhöhtem Risiko für Thrombosen oder Transformation in eine andere Erkrankung verbunden. Die Ausnahme ist die Chuvah Erythrozytose (VHL-mutiert), da diese für eine Thrombosetendenz bekannt ist. Aktuell gibt es jedoch keine klare Therapieempfehlung. Mit der Zunahme der Testung für die kongenitalen Erythrozytosen sowie einer besseren Datenlage, können hoffentlich zukünftig die klaren Managementstrategien etabliert werden.

Diagnostisches Vorgehen bei Patienten mit Erythrozytose

Die Schrittempfehlungen für die Abklärung bei Patienten mit Erythrozytose/ Polyzythämie, die negativ für JAK2-Mutationen in Exon 14 und 12 ist, sind:
1. Genaue Anamnese und Vorgeschichte: Vorerkrankungen? Allgemeine Symptome? Rauchen? Medikamente (Androgen-, Epo-Einnahme)? Gezielte Anamnese bzg. Tumorerkrankungen? Nierentransplantation? Überprüfung früherer Blutbild-Werte: Hatte der Patient jemals normale Hb-/Hkt-Werte?
2. Zuweisung in die Pneumologie zur Abklärung der Schlafapnoe oder anderen Lungenerkrankungen (auch bei beschwerdefreien Patienten). Röntgenuntersuchung des Thorax, Lungenfunktionsprüfung erwägen. Messung von COHb.
3. Screening der kardialen Erkrankungen mit Echokardio­gramm sowie Elektrokardiogramm (EKG), wenn noch nicht erfolgt. Zuweisung Kardiologie erwägen.
4. Ultraschall Abdomen (Frage nach Hepatosplenomegalie, Lymphadenopathie, Tumormasse, Nierenarterien­stenose, Nierenzysten) und/oder gezielte Bildgebung zur Tumorabklärung je nach Symptomatik.
5. Altersentsprechendes Tumorscreening gemäss Standard.
In fast einem Drittel der Patienten bleibt jedoch die Ursache einer JAK2-unmutierten Polyzythämie trotz erweiterter Suche nach sekundären oder kongenitalen Ursachen unklar und wird als idiopathisch klassifiziert.

Unser vorgeschlagener Diagnosealgorithmus für JAK2-unmutierte Polyzythämie bei Erwachsenen ist in Abbildung 1 dargestellt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Poly­zythämie und Erythrozytose wichtige Laborbefunde sind, welche eine weitere Abklärung triggern sollten.

Danksagung: Herzlichen Dank an die Jacques und Gloria Gossweiler Stiftung (www.jggf.ch), welche die Forschung über JAK2-unmutierte Polyzythämie im Rahmen des Fellowship-Preises 2020 für K. A. Jalowiec unterstützt hat.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Katarzyna Aleksandra Jalowiec, MSc
Dr. sc. nat. Naomi Porret
Prof. Dr. med. Sara Christina Meyer, PhD
Prof. Dr. med. Alicia Rovó
Universitätsklinik für Hämatologie und
Hämatologisches Zentrallabor
Inselspital, Universitätsspital Bern, Freiburgstrasse, 3010 Bern

Dr. med. Katarzyna Aleksandra Jalowiec, MSc

Universitätsklinik für Hämatologie und
Hämatologisches Zentrallabor
Inselspital, Universitätsspital Bern
Freiburgstrasse
3010 Bern

Dr. sc. nat. Naomi Porret

Universitätsklinik für Hämatologie und
Hämatologisches Zentrallabor
Inselspital, Universitätsspital Bern
Freiburgstrasse
3010 Bern

Prof. Dr. med. Alicia Rovó

Universitätsklinik für Hämatologie und
Hämatologisches Zentrallabor
Inselspital, Universitätsspital Bern
Freiburgstrasse
3010 Bern

Die Autorinnen haben keine Interessens­konflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Jalowiec, K.A. et al. (2022) JAK2 Unmutated Polycythaemia—Real-World Data of 10 Years from a Tertiary Reference Hospital. Journal of Clinical Medicine [online]. 11 (12), p. 3393.
2. Agbariah, N. and Rovó, A. (2022) Breaking Stereotypes: Polycythemia Secondary to Shisha Smoking in a Middle-Age Swiss Woman. Acta Haematologica [online]. 145 (6), pp. 650–654.
3. Gangat, N., Szuber, N., Pardanani, A. and Tefferi, A. (2021) JAK2 unmutated erythrocytosis: current diagnostic approach and therapeutic views. Leukemia [online]. 35 (8), pp. 2166–2181.
4. McMullin, M.F. (2016) Investigation and Management of Erythrocytosis. Current Hematologic Malignancy Reports [online]. 11 (5), pp. 342–347.
5. Perroud, C., Porret, N. and Rovó, A. (2023) ‘The Long Journey of Unexplained Erythrocytosis’: Erythrocytosis due to High-Oxygen Affinity Hemoglobinopathy – Hemoglobin Variant Little Rock (HBB: c.432C&gt;A) – A Report of a Swiss Family and Review of the Literature. Acta Haematologica [online]. 146 (4), pp. 326–330.
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7. Marchetti, M. et al. (2022) Appropriate management of polycythaemia vera with cytoreductive drug therapy: European LeukemiaNet 2021 recommendations. The Lancet Haematology [online]. 9 (4), pp. e301–e311.
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Gelenkpunktion und Infiltration – Pro und Contra

Die Gelenkpunktion bzw. -Infiltration ist eine häufige medizinische Prozedur, die insbesondere von Rheumatologen durchgeführt wird. An Nummer eins steht das Kniegelenk, da es gross und gut erreichbar ist bzw. häufig von rheumatischen oder mechanischen Erkrankungen betroffen ist. Daneben werden die Schulter, Handgelenk, Hüfte, Sprunggelenk, aber auch kleinere Gelenke wie Fingergelenke am häufigsten punktiert bzw. infiltriert. Im folgenden Artikel soll auf einige Grundlagen sowie Kontroversen der Gelenkpunktion und Infiltration eingegangen werden.

Joint punctures and infiltrations are frequent medical procedures, particularly carried out by rheumatologists. First and foremost is the knee, due to its large size and accessibility, as well as its frequent involvement in rheumatic or mechanical diseases. The shoulders, wrists, hips, ankles and small joints such as the finger joints are also often punctured or infiltrated. This article will look at some of the basic principles and controversies surrounding joint puncture and infiltration.
Key Words: joint infiltration, arthrocnetesis, arthritis

Technische Aspekte

Wir unterscheiden zwischen der diagnostischen Punktion, die am häufigsten durchgeführt wird, und der therapeutischen Punktion. Bei einem klaren klinischen Bild wie z.B. einer Chondrokalzinose und gutem Allgemeinzustand erfolgt die diagnostische Punktion und therapeutische Infiltration hier von Glucocorticoiden gleichzeitig. Der Ultraschall hat die Gelenkpunktion entschieden vereinfacht. Ein gut punktiertbarer Gelenkerguss ist gut durch eine hypoechogene Struktur erkennbar. In den wenigsten Fällen (z.B. im Hüftgelenk, bei bestimmten Bursae oder wenig Erguss) muss die Gelenkpunktion unter sonographischer Beobachtung erfolgen. Meist reicht eine entsprechende Markierung aus. Bei wenig Erguss kann übrigens die nicht-schallende oder nicht-punktierende Hand dazu genutzt werden, die Gelenkflüssigkeit von kontralateral in Richtung Schallkopf bzw. Nadel zu drücken. Ein willkommener Nebeneffekt ist die so durchgeführte «Gate Control», d.h. der Druck der Hand sendet schmerzhemmende Afferenzen in Richtung Rückenmark. Man kennt dies vom Reiben einer Körperstelle bei Schmerzen. Natürlich müssen die sterilen Kautelen eingehalten werden, zumindest die empfohlene No-touch Technik. Generell empfehlen wir, die Nadel mit einer Hand zu halten und damit während der Punktion einen Unterdruck zu erzeugen, um das Aspirat möglichst schnell und atraumatisch zu erhalten.

Pro Gelenkpunktion und Infiltration

1. Diagnostischer Nutzen

Klare Nummer eins ist der Ausschluss einer septischen bzw. bakteriellen Arthritis. Cave: Das Grampräparat hat eine Sensitivität von nur 50%. Der Goldstandard ist die Kultur. Bei bestimmten Fragestellungen, wie z.B. beim Nachweis der Borreliose oder Tropheryma whipplei wird eine PCR durchgeführt (1). Als häufige Ursache der Arthritis können in der Polarisationsmikroskopie Kristalle (z.B. Urat, Calciumpyrophosphat) nachgewiesen werden (Abb. 1). Die Zellzahl differenziert zwischen einem entzündlichen Status (>2000 Zellen pro mm3) und einem nicht entzündlichen Status, wie meistens bei der Arthrose. Eine aktivierte Arthrose sollte aus unserer Sicht zumindest einmal diagnostisch mittels Punktion abgeklärt werden. Durch die Injektion von Lokalanästhetika (oft gemischt mit Steroiden) kann abgeklärt werden, ob die Schmerzursache tatsächlich intraartikulär liegt und nicht extraartikulär. Letzteres ist in ca. 10% die Schmerzursache bei der Gonarthrose (z.B. Bursitiden).

2. Zielgerichtete Behandlung

Da das Medikament direkt in das betroffene Gelenk injiziert wird, kann es gezielt auf den problematischen Bereich wirken, ohne den Rest des Körpers zu beeinflussen und weniger mit anderen Medikamenten zu interagieren. Bei einer Monarthritis, z.B. reaktiv, bei einer rheumatoiden Arthritis oder auch bei einer aktivierten Arthrose kann die Entzündung so gezielt durch die Infiltration von Glucocorticoiden behandelt werden. Dies ist zwar nicht krankheitsmodifizierend, kürzt aber Schmerzen und Immobilität entschieden ab. In einer neuen Studie hat ein lang wirksames intraartikulär appliziertes Steroid eine signifikante Wirkung bei der Arthrose über 52 Wochen gezeigt (2). Bei der RA können Steroide auch adjuvant zur Basistherapie verwendet werden (3). Noch gibt es keine wirklichen «Disease-modifying Osteoarthritis Drugs». Die Hyaluronsäure wirkt über Ihren CD44-Rezeptor anti-entzündlich, dieser Effekt ist vielleicht sogar stärker als der rheologische Effekt als «Gelenkschmiere» (4). Das Platelet Rich Plasma (PRP) wird ebenfalls aufgrund der anti-entzündlichen und regenerativen Effekte eingesetzt. Allerdings fehlen für beide Medikamente nachhaltige Daten, um diese in die Routine einzusetzen. Bei Patienten mit kardiovaskulären, gastroenterologischen oder anderen Komorbiditäten kann die Gelenkinfiltration mit Glukokortikoiden oder Hyaluronsäure eine Alternative zu systemisch verabreichten Medikamenten sein, um Nebenwirkungen oder Interaktionen zu vermeiden.

Contra Gelenkinfiltration

1. Risiko von Infektionen:

Zwar ist das Risiko sehr gering, aber jede Gelenkinfiltration birgt die Gefahr einer septischen Arthritis. Risikofaktoren hierfür sind u.a. wiederholte Infiltrationen am selben Gelenk, Immunsuppression und mangelnde Hygiene. Dies muss immer in Abwägung mit dem möglichen Nutzen gestellt werden. Bei der diagnostischen Punktion stellt sich diese Frage meist nicht.

2. Mögliche Nebenwirkungen:

Bei der Infiltration von oberflächlichen Gelenken wie Fingergelenke kann es durch Steroide zu Hautatrophien und Depigmentierungen kommen (Abb. 2). Meist trifft dies 2-3 Monate nach der Infiltration auf und normalisiert sich innerhalb von bis zwei Jahren selbstständig (5). Dies kann auch bei tiefen Gelenken wie den Facettengelenken an der Lendenwirbelsäule passieren.

Nicht nur die orale, sondern auch die wiederholte intra­artikuläre Gabe von Depot-Steroiden kann zu einem Cushing, bzw. anderen Kortison-induzierten Schäden führen wie Osteoporose, Pergamenthaut, etc. Allerdings muss beachtet werden, dass die Alternative zur Gelenksinfiltration oft orale Entzündungshemmer sind, die bekannterweise auch Nebenwirkungen haben, die in den Kontext gestellt werden müssen.

3. Kurzfristige Lösung:

Oftmals bietet die Gelenkinfiltration nur eine temporäre Linderung, z.B. Steroide bei der aktivierten Arthrose oder Kristallarthritis. Die Ursache wird, abgesehen von der Harnsäuresenkung bei der Gicht, bislang nicht behandelt. Für den einzelnen Patienten kann aber bereits die kurzfristige Schmerzlinderung einen sehr grossen Wert haben.

4. Potentielle Schädigung des Gelenkgewebes:

Häufige Gaben von Glukokortikoiden, aber auch Lokalanästhetika können das Knorpelgewebe schädigen. Manche Zentren infiltrieren generell keine Lokalanästhetika mehr in das Gelenk (6). Allerdings beruhen diese Daten v.a. auf in vitro Experimenten und sind in klinischen Studien so nicht unbedingt nachvollziehbar.

5. Fragliche Evidenz für Viscosupplementation bei der Arthrose

Verschiedene Fachgesellschaften wie z.B. ACR raten aufgrund der Datenlage nicht zur intraartikulären Behandlung mit Hyaluronsäure (7). OARSI spricht sich für eine solche Behandlung bei Patienten mit Komorbiditäten aus, die nicht für eine NSAR-Behandlung oder intraartikuläre Steroide in Frage kommen (8).

Zusammenfassung und Ausblick

Die Gelenkinfiltration ist ein wichtiges diagnostisches Tool bei Gelenkerkrankungen und kann für viele Patienten mit Arthritis eine effektive Methode zur Schmerzlinderung und Entzündungshemmung sein. Dies gilt für kristallinduzierte Arthritiden, Arthrose, aber auch bei Arthritiden aus dem rheumatischen Formenkreis. Es ist jedoch wichtig, die potenziellen Risiken und Nebenwirkungen zu berücksichtigen und diese mit dem Patienten zu besprechen.
Bei der Behandlung der Arthrose sollte immer ein ganzheitliches Konzept vorliegen. Das heisst, biomechanische Faktoren müssen berücksichtigt werden und gleichzeitig, z.B. bei Malalignment, durch eine Orthese behandelt werden. Besonders bei chronischen Schmerzsyndromen und der Fibromyalgie ist bei der (repetitiven) Gelenkinfiltration Vorsicht geboten. Dies gilt insbesondere auch für die Infiltration der Wirbelsäule, z.B. der Facettengelenke. Neuere Therapieansätze bei der Arthrose einzelner Gelenke zielen durchaus auf eine intraartikuläre und nicht systemische Gabe ab. Es ist zu hoffen, dass aus diagnostischer Sicht neben der Zellzahl, Kristallanalyse und Bakteriologie auch neuere Biomarker der Synovialflüssigkeit erhältlich sind, z.B. um eine reaktive Arthritis von einer rheumatoiden Arthritis abzugrenzen oder die Prognose und das Ansprechen bei der rheumatoiden Arthritis besser vorherzusagen.

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Prof. Dr. med. Thomas Hügle

Hôpital orthopédique CHUV
Avenue Pierre Decker
1011 Lausanne

Der Autor hat keine Interessens­konflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die Gelenkpunktion ist der direkteste Weg zur Diagnose einer
Kristall-induzierten Arthritis und zur Unterscheidung einer degenerativen von einer entzündlichen Arthrose.
◆ Insbesondere Monarthritiden können mit Glukokortikoiden anstelle einer systemischen Behandlung infiltriert werden.
◆ Bei Osteoarthritis sind Infiltrationen mit Glukokortikoiden bzw. von Hyaluronsäure von symptomatischer Bedeutung, obwohl sie den
radiologischen Verlauf nicht beeinflussen.

1. Aguero-Rosenfeld ME, Wang G, Schwartz I, Wormser GP. Diagnosis of lyme borreliosis. Clin Microbiol Rev. Jul 2005;18(3):484-509. doi:10.1128/CMR.18.3.484-509.2005
2. Spencer-Green G, Hunter D, Schnitzer T, et al. A Phase 3 Study of Repeat Injection of TLC599 in Osteoarthritis of the Knee: Benefits to 52 Weeks. ABSTRACT NUMBER: L19. ACR Convergence 2023 San Diego.2023.
3. Mueller RB, Spaeth M, von Restorff C, Ackermann C, Schulze-Koops H, von Kempis J. Superiority of a Treat-to-Target Strategy over Conventional Treatment with Fixed csDMARD and Corticosteroids: A Multi-Center Randomized Controlled Trial in RA Patients with an Inadequate Response to Conventional Synthetic DMARDs, and New Therapy with Certolizumab Pegol. J Clin Med. Mar 3 2019;8(3)doi:10.3390/jcm8030302
4. Wang CT, Lin YT, Chiang BL, Lin YH, Hou SM. High molecular weight hyaluronic acid down-regulates the gene expression of osteoarthritis-associated cytokines and enzymes in fibroblast-like synoviocytes from patients with early osteoarthritis. Osteoarthritis Cartilage. Dec 2006;14(12):1237-47. doi:10.1016/j.joca.2006.05.009
5. Dhinsa H, McGuinness AE, Ferguson NN. Successful treatment of corticosteroid-induced cutaneous atrophy and dyspigmentation with intralesional saline in the setting of keloids. JAAD Case Rep. Oct 2021;16:116-119. doi:10.1016/j.jdcr.2021.08.022
6. Jayaram P, Kennedy DJ, Yeh P, Dragoo J. Chondrotoxic Effects of Local Anesthetics on Human Knee Articular Cartilage: A Systematic Review. Pm r. Apr 2019;11(4):379-400. doi:10.1002/pmrj.12007
7. Kolasinski SL, Neogi T, Hochberg MC, et al. 2019 American College of Rheumatology/Arthritis Foundation Guideline for the Management of Osteoarthritis of the Hand, Hip, and Knee. Arthritis Rheumatol. Feb 2020;72(2):220-233. doi:10.1002/art.41142
8. Bannuru RR, Osani MC, Vaysbrot EE, et al. OARSI guidelines for the non-surgical management of knee, hip, and polyarticular osteoarthritis. Osteoarthritis Cartilage. Nov 2019;27(11):1578-1589. doi:10.1016/j.joca.2019.06.011